„Jonathan! Hier her! Nur ein Foto!“
„Jonathan!“
„Jonathan! Eine Frage!“
Von allen Seiten rufen sie meinen Namen. Grelles Blitzlichtgewitter lässt mich fast erblinden. Ich versuche meine Augen mit meiner Hand abzuschirmen, während ich die Tür zu meinem Appartmentkomplex aufreisse.
„Jonathan, was sagen Sie dazu, dass Alicia wegen Ihnen ihre Rolle abgibt?“
„Sie sagte es liege an Ihnen. Wollen Sie sich dazu äussern?“
„Kein Kommentar!“, knurre ich genervt, verschwinde im Gebäude und ziehe eiligst die Tür hinter mir zu. Die Journalisten rufen weiter mit ihren geschwollenen Englischen Akzenten nach mir und drängen sich an die verdunkelte Glastür.
Tief einatmend gehe ich zum Aufzug und drücke den Knopf. Da mir das Glück wie immer Hold ist, befindet sich der Lift im fünfzehnten Stock und nur sterbenslangsam zählt die Stockwerkaanzeige runter. Schon als die Neun aufleuchtet, tippe ich längst ungeduldig mit den Fingern auf meinen Unterarm. Schnaubend gebe ich auf und nehme die Treppen.
Zu spät höre ich die mir entgegenkommenden Schritte und stosse unvorbereitet mit jemandem zusammen.
„Pass doch auf!“, rufe ich entnervt und übermüdet aus, während ich mich und mein Gegenüber gerade noch so auffangen kann, damit wir nicht beide die Treppe hinunter stürzten.
„Hey Nathan“, begrüsst mich mein Nachbar aus 8 gut gelaunt und ignoriert meine Worte einfach.
„Hallo Aiden“
Niemand nennt mich Nathan, absolut niemand. Jonathan, Jon oder mal ein schelmisch gegrinstes “Joe“, aber niemals Nathan. Nur Aiden, der ein Stockwerk über mir wohnt, nennt mich so. Warum er das tut, weiss ich nicht. Wir kennen uns eigentlich kaum, obwohl es sich oft nicht so anfühlt, sondern eher wie eine Bekanntschaft, die man schon sein ganzes Leben hat...
„Na, wann hast du heute aufgegeben?“
„Im neunten“, gestehe ich matt. Er weiss, dass ich selten die Geduld besitze, auf den Aufzug zu warten.
„Du wirst langsam besser“, lächelt er mich an.
„Er war im fünfzehnten, als ich gedrückt hab“
„Oh. Dann nehm‘ ich‘s zurück. Du wirst immer schlimmer“
Aidens belustigtest Auflachen, bringt auch mich zum Schmunzeln.
Das ist unser Spiel. Es hat schon bei meinem Einzug angefangen. Und irgendwie hat es die zwei turbulenten Jahre, die ich jetzt hier wohne überstanden.
„Mag sein“
Zum Abschied hebe ich die Hand und gehe die Treppen hoch. Ich bin schon ein ganzes Stück weiter, als Aiden mich ruft: „Nathan, warte“
Schnell hat er mich eingeholt und begleitet mich, obwohl er vorhin nach unten gegangen ist.
„Hattest du einen anstrengenden Tag?“, fragt er mich, nachdem wir eine Weile schweigend die Treppen erklimmt haben.
„Passt schon. Heute war Drehpause“, gebe ich ihm zögernd zur Antwort.
Das gehört nicht mehr zu unserem Spiel...
Spassend über meine Ungeduld, dem Lift gegenüber zu reden, das ist so etwas wie unsere persönliche Floskel. Darüber hinaus unterhalten wir uns nie. Zumindest bis jetzt…
„Ach so. Heute Abend bist du bei den Brit Awards, nicht wahr?“
Seufzend halte ich inne und sehe Aiden an. Seinem Ruf als Frohnatur, macht er alle Ehre. Seine blaugrünen Augen strahlen mich an und seine kurzen blonden Haare, die an den Seiten rasiert und oben etwas länger sind, hat er leicht nach hinten gegelt, sodass es mich an ein kleines Entenschwänzchen erinnert. Fröhlich wie der Frühling... Und dass beim Londoner Dauerregen.
„Nein, ich geh nicht hin“
Dass er weiss wo ich am Abend sein werde, oder zumindest wo ich sein sollte, überrascht mich längst nicht mehr. Jeder weiss, wann ich wo bin. Immer. Und manchmal sogar besser, als ich selbst.
„Nicht? Dann hast du schon was Besseres vor, als tolle Live Acts und gratis Champagner?“
Aiden klingt seltsam scheu, was mich bis zu einem gewissen Grad irritiert. Er wirkt für mich nicht wie jemand, der seine Meinung hinter dem Berg hält. Andererseits kenne ich ihn zu wenig, um es sicher zu wissen.
„Nein“
Ja. Auf der Couch liegen und schlafen!
Nachdem ich den ganzen Tag von der Meute vor der Haustür belagert worden bin, will ich einfach nur noch meine Ruhe. Meine Augen brennen vom Blitzen der Kameras und in meinen Ohren hallen tausend Stimmen, die meinen Namen schreien. Der ganze Rummel um mich, wird mir langsam zu viel…
„Nathan?“
Aidens Stimme reisst mich aus meinen Gedanken. Überrumpelt sehe ich ihm ins Gesicht.
„Äh… Ja?“
Offenbar hat er mich etwas gefragt, während ich kurzzeitig in anderen Sphären geflogen bin.
„Ich… also… hättest du Lust, mit mir heute Abend was essen zu gehen?“
„Ein…Date?“
„Naja…“ Aiden streicht sich unsicher über den Hinterkopf. „Nennen wir es doch einfach, zwei Menschen, die einen netten Abend zusammen verbringen…?“
„Okay“, meine ich kurzerhand und wundere mich sofort über mich selber. Jeder Muskel meines Körpers gähnt mich an. Die Müdigkeit zieht als kühler Schatten über mich, aber dennoch hat mein Kopf gewonnen. Vielleicht ist es das Verlangen einmal wieder normal mit jemandem zu reden, denn das ist seit meinem steilen Karrierestart nicht mehr so einfach. Nachdem ich bekannt geworden bin, will plötzlich jeder etwas von mir. Alle haben sie Hintergedanken, doch Aiden strahlt für mich so eine sanfte Ehrlichkeit aus, der ich nicht widerstehen kann.
„Toll! Ist sieben für dich okay?“
Aidens freudiges Lächeln, vertreibt die Strapazen des Tages aus meinem Gedächtnis.
Fröhlich wie der Frühling…
„Sieben, ist in Ordnung“
Mittlerweile sind wir in meinem Stockwerk angekommen, was mich dazu veranlasst, meine Schlüssel aus der Innentasche meines Jacketts zu kramen.
„Sehr gut. Ich verspreche auch, dass du dieses Mal den Aufzug benutzen kannst“
Lachend verabschieden wir uns voneinander. In meiner Wohnung führt mich mein Weg nun eben nicht zu meiner geliebten Couch, sondern direkt ins Badezimmer.
Nach einer langen, heissen Dusche fühle ich mich wieder wie ein lebender Mensch und kaum habe ich einen grafitgrauen Anzug mit einem weissen Hemd, das lässig einen Knopf offen steht, angezogen, klingelt es an der Tür.
Aiden lächelt mich an und strahlt dabei so, dass ich glaube seine warme Aura auf der Haut spüren zu können. Auch er hat sich für ein Hemd entschieden, allerdings für ein schwarzes, dass seine blonden Haare und seine türkisfarbenen Augen grandios zur Geltung bringt. Dazu eine dunkle, verwaschene Jeans in deren Taschen er seine Hände vergraben hat.
Tatsächlich hat er sein Versprechen gehalten, denn der Aufzug steht schon für uns bereit und kurze Zeit später, setzen wir uns in meinem Lieblingsrestaurant an einem Fensterplatz.
„Aiden? Kann ich dir eine Frage stellen?“
„Aber natürlich“
„Wieso jetzt? Warum wolltest du gerade heute mit mir ausgehen?“
Nachdenklich reibt er seine Hände übereinander, bevor er schliesslich verlegen lächelnd gesteht: „Ich ziehe in ein paar Tagen, berufsbedingt, in die Schweiz. Naja und ich habe jetzt zwei Jahre lang gewartet, um dich zu fragen…“
Seine Beichte erwischt mich kalt, denn ich habe nie das Gefühl gehabt, dass Aiden bei mir auf etwas hoffen würde. Ehrlich gesagt, habe ich mir in der Zeit, die ich ihn nun kenne, nie darüber Gedanken gemacht, dass er für mich mehr werden könnte, als nur ein Nachbar. Ich bin nach London gekommen um mich der Schauspielerei widmen zu können. Und dass habe ich getan, mich völlig meiner Leidenschaft verschrieben.
Leidenschaft kommt von leiden… Liebe und Hass in einem Strudel, dem man nicht entkommen kann.
„Haben Sie sich schon entschieden, was Sie trinken möcht –“, die junge Kellnerin, die uns eben anspricht hält mitten im Satz inne und sieht mich mit schockgeweiteten Augen an.
„Sie sind… Sie sind… Jonathan Carter!“, obwohl sie leise spricht, springt mir ihre Euphorie förmlich entgegen. Ich habe eigentlich keine Lust auf kreischende Fans und innerlich seufze ich resigniert auf. Ich bin der Aufmerksamkeit, der Leute mehr als überdrüssig, dennoch ringe ich mich zu einem freundlichen Lächeln durch.
Immer nett sein Carter! Ohne Fans dürftest du nicht tun, was du liebst!
Wie ein Mantra wiederhole ich es im Stillen immer wieder.
Als das Mädchen wie festgefroren vor unserem Tisch steht, Aiden und vor allem mich förmlich anstarrt, nehme ich ihr das Bestellblöckchen und den Stift aus den zitternden Händen. Kurz lächle ich sie erneut an – gehe damit wohl das Risiko ein, dass sie ohnmächtig wird, so aufgeregt wie sie ist – sehe auf ihr Namensschildchen und gebe ihr ein Autogramm, über dem schön deutlich steht: “Für Claire“
„Claire? Hast du die Bestellung schon aufgenommen?“, fragt Hannah – die Bedienung, die üblicherweise meine Bestellungen aufnimmt – und betrachtet Claire tadelnd.
„Nein…“, murmelt diese beschämt, grinst mich aber unauffällig an.
„Tisch 10 möchte bezahlen“
„Okay…“, seufzt Claire, strahlt mich abermals an und bedankt sich, ehe sie geht.
„Hallo Hannah“
„Guten Abend Mister Carter, bitte entschuldigen Sie Claires Benehmen, sie ist noch etwas… unerfahren“, erklärt Hannah zögernd, wobei ich das Gefühl habe, dass “unerfahren“ nicht so sehr zutrifft wie “ekstatisch“.
Als plötzlich das hektische Klicken von Kameras ertönt und vereinzelte Lichtblitze die Abenddämmerung durchzucken, sehe ich wissend auf dem Fenster. Offenbar wollen die Paparazzi mich heute nicht mehr in Ruhe lassen.
Professionell lächelnd, hebe ich begrüssend die Hand, ehe ich entschuldigend zu Aiden sehe. Ihm scheint es überhaupt nicht unangenehm zu sein, denn er sieht mich milde lächelnd an. Auch Hannah ist diese Hetzjagd längst gewohnt und zieht nur unbeeindruckt die Vorhänge zu.
„Danke Hannah“ Erleichtert und dankbar, setzte ich mich wieder entspannter hin.
„Sie sind… Sie sind… Jonathan Carter!“
Völlig verdutzt sehe ich Aiden an, der Claires Stimme gerade so brillant imitiert hat, dass ich mich vor Lachen kaum mehr halten kann.
„Mach das nochmal“, bitte ich unter Lachtränen, woraufhin er theatralisch mit den Wimpern klimpert.
„Sie sind… Sie sind… Jonathan Carter“, während seiner zuckersüssen Interpretation fächert sich Aiden mit den Händen Luft zu, was mich so sehr zum Glucksen bringt, dass ich mein Gesicht in den Händen verbergen muss, um mich wieder einigermassen einzukriegen.
„Wieso kannst du sowas? Als Drehbuchautor gehört das doch sicher nicht zum üblichen Ein mal Eins“
„Nein das nicht, aber wenn ich etwas schreibe hilft es mir die Parts in verschiedenen Stimmen zu sprechen, um mich besser einzufühlen“
„Aha und du kannst jeden nachahmen?“
„Die meisten, ja“
„Mich auch?“, will ich wissen und lehne mich vor, um ihm in seine funkelnden Augen zu sehen. Es ist mir bisher immer entgangen, doch die blaugrünen Seen sind einfach wundervoll. Je nach Lichteinfall scheinen sie die Farbe zu ändern und erinnern mich so an eine Lagune bei Sturm.
„Hm… Vielleicht. Sag mal was“
Verwirrt sehe ich ihn an. „Warum?“
„Ich will sehen, wie sich dein Mund bewegt“
Jetzt bin ich völlig durcheinander, was wiederum Aiden zum Schmunzeln bringt.
„Jeder bildet Laute und Worte etwas anders. Um sie gut zu imitieren, muss ich auch diese Bewegungen nachmachen“
Verstehend nicke ich und beginne zu überlegen.
„Hmm… Ach ja! Blick hinter die Maske und leg deine ab“, sage ich schliesslich den Slogan der Kampagne auf, von der ich das Gesicht bin.
Aiden zögert nicht lange.
„Hmm… Ach ja! Blick hinter die Maske und leg deine ab“, ahmt er gleich alles nach. Mir klappt nur ungläubig der Kiefer nach unten. Es ist gruselig scheinbar seine Stimme, aus einem anderen Mund zu hören, andererseits ist es unglaublich amüsant.
„Wow, du bist wirklich gut“
„Naja, mittlerweile bin ich ziemlich geübt darin“
„Ziemlich? Du könntest dich locker für mich ausgeben“
„Ja am Telefon vielleicht“, grinst er und deutet erst auf seine blonden und dann auf meine braunen Haare. „Aber sonst nicht. Schade, und ich dachte schon, ich würde mal erleben wie es ist vor, statt hinter der Kamera zu stehen“, witzelt Aiden und zwinkert mir verschwörerisch zu. Ich hingegen mustere ihn nur mit schräggelegtem Kopf.
„Und was wäre, wenn du für einen Tag ich sein könntest?“, frage ich nachdenklich.
„Ich fühl mich geschmeichelt Nathan, aber ich sehe dir nicht wirklich ähnlich“
Nein, das tust du wirklich nicht… Ich habe nicht so zarte rosige Wangen und meine braunen Augen kommen niemals gegen deine an…
„Mit einer Maske schon“
In Aidens Gesicht tauchen viele Fragezeichen auf und der schüttelt unverstanden den Kopf.
„Morgen ist der Start meiner Kampagne… Und da spielt auch eine Maske eine Rolle…“
Heute ist wohl der ruhigste Tag, den ich je verbracht habe, seit ich hier her gezogen bin. Ich habe keinen einzigen Fuss vor die Haustür gesetzt, aber selbst wenn ich es gewollt hätte, die Ruhe wäre mir sicher gewesen. Nicht ein Journalist, Fotograf oder aufdringlicher Teenie mit Fotohandy belagert meinen Wohnblock. Wie ausgestorben. Und das liegt an mir. Schliesslich bin ich ja nicht zuhause… Allein der Gedanke lässt mich grinsen. Heute bin ich einen Tag lang nicht Jonathan Carter. Wer ich bin? Niemand. Wer sich für mich interessiert? Niemand!
Und diesen Umstand habe ich nur Aiden zu verdanken. Oder soll ich vielleicht Jonathan sagen? Immerhin ist er ich.
Aus unserer gestrigen Idee ist ein tatsächlicher Plan entstanden. Für heute, darf Aiden sich fühlen wie ein Star von Welt, während ich einmal einfach nur ein x-beliebiger Typ sein kann.
Den Medien weiss zu machen, dass Aiden ich ist, war ein Kinderspiel. Am frühen Morgen bin ich wie immer Brötchen holen gehen. Das habe ich früher, als mich noch niemand kannte täglich getan und das habe ich mir bis heute auch nicht nehmen lassen.
In einer weiten Jeans, einem ausgeleierten Shirt und einer Jacke habe ich mich aufgemacht. Nur dieses Mal habe ich noch ein zusätzliches Accessoire getragen.
Eine Maske.
Sie verdeckt mein ganzes Gesicht. Darauf zu sehen ist eine Hälfte eines kleinen Jungen, während die andere eine faltige Oma darstellt. Auf der Stirn prangt gross das Schlagwort “Me“
Heute ist der Start meiner Kampagne mit der für mehr Toleranz in der Gesellschaft geworben wird. Überall hängen nun grosse Plakate von mir mit dieser Maske. Alles ist perfekt. Auf dem Rückweg zum Appartementkomplex habe ich die Maske kurz abgenommen und vor allen Fotografen bekannt gegeben, dass ich heute nur damit zu sehen sein werde. Sie haben es natürlich sofort als Marketingstrategie gefressen. Weswegen sie auch keine Sekunde gezweifelt haben, als “ich“ eine halbe Stunde später wieder aus dem Wohnblock gekommen bin.
Was eine Perücke, eine Maske und dieselben Klamotten alles ausmachen… Da Aidens Grösse und Statur meiner sehr ähnlich ist, war das Ganze noch einfacher.
Aus Aiden wird Jonathan und aus Jonathan wird... Nathan…?
Tiefenentspannt erhebe ich mich von meiner Couch und gehe in die Küche, als ich von weit weg “meine Stimme“ höre. Vorsichtig schiele ich aus dem Fenster und sehe Aiden, der im Gehen einer Reporterin etwas sagt, bevor er eilig im Eingang verschwindet.
Gespannt auf seine Erlebnisse, verlasse ich meine Wohnung und will ihm entgegen gehen, doch er kommt gerade in meinem Stockwerk an. Als Aiden mich sieht, reisst er sich die Perücke und die Maske ab. Meine fröhliche Stimmung ist sofort wie weggeblasen, als ich in seine zornigen Augen sehe.
„Hier, die Scheisse kannst du wieder haben! Und dein perfektes Leben auch!“, schreit er mir entgegen und knallt die Verkleidung vor meine Füsse, ehe er wütend davon stapft.
Völlig perplex sehe ich ihm nach, wie er die Treppen hoch rennt. Aidens Wut lähmt mich für einige Herzschläge, bevor ich sie abschütteln kann und ihm folge.
„Aiden! Aiden! Was ist passiert?“, rufe ich besorgt durch seine Haustür und hämmere dagegen.
„Hau ab Nathan! Lass mich in Ruhe!“
„Vergiss es!“
Nach einigen erfolglosen Klopfversuchen schere ich mich nicht länger um Anstand und Privatsphäre, sondern betrete Aidens Wohnung, ohne seine Erlaubnis. Ich kann ihn im Wohnzimmer ausmachen, wo er sich gerade mein Shirt vom Körper reisst und mir auch das entgegenschleudert. Dass ich in seiner Wohnung stehe, scheint ihm verdammt egal zu sein.
Nach einer unkoordinierten Hopserei folgt auch die Hose dem Shirt, trifft mich aber nicht. Nur noch mit eine schwarzen Calvin Klein Pants bekleidet steht Aiden seltsam verloren wirkend im Raum. Die Einsamkeit, welche er gerade ausstrahlt trifft mich unerwartet schmerzhaft. Ich möchte zu ihm gehen und ihn in die Arme nehmen, aber die drohenden Vibrationen seiner Wut, die in der Luft schwirren hindern mich daran.
„Aiden? Was ist passiert?“
Langsam gehe ich auf ihn zu, als er sich ruckartig zu mir dreht und den Arm ausstreckt.
„Stopp! Komm ja nicht näher! Ich könnte dir ja deine Karriere ruinieren! Mit mir darf sich der grosse Jonathan Carter nicht einlassen!“, schnaubt Aiden verächtlich. Jeden Buchstaben spuckt er förmlich aus.
„Aiden, wovon redest du?“
Nicht zu wissen, was hier vor sich geht, macht mich wahnsinnig. Ich will Aiden nicht so sehen. Er soll nicht so bedrückt und wütend sein…
Fröhlich wie der Frühling…
„Wie kannst du mit diesen Leuten nur so nett sein? Tust du immer was sie wollen? Hast du überhaupt einen eigenen Willen?!“
Die Verzweiflung in Aidens Stimme erweckt in mir etwas zum Leben. Es macht mich verrückt ihn so zu sehen. Schnell gehe ich zu ihm und lege meine Hände auf seine Schultern. Erst will er sich aus meinem Griff winden, aber dann scheint seine Energie aus ihm zu entweichen und er lässt mich gewähren, als ich ihn sanft aufs Sofa nieder drücke. Ich gehe vor ihm in die Hocke und hebe seinen Kopf an. In Aidens wundervollen Augen schimmern heisse Tränen, die mein Herz verkrampfen lassen. Seine Trauer erwischt mich hart und legt sich nun auch über mich wie ein dunkler kühler Schatten.
„Bitte Aiden, was ist passiert?“, flüstere ich leise.
Schweigend sieht er mich an, eine einzelne Träne rinnt ihm über die Wangen, bevor er schliesslich seufzend beginnt: „Sie haben uns gestern gesehen. Und heute wollten sie von mir wissen, was zwischen uns läuft und ob ich mir denn sicher sei, dass eine kurze Liebelei – wie sie es so schön nannten – so eine gute Idee wäre, da ein Nicht-Promi nicht verstehen könne, wie die Welt der Stars funktioniere und mich somit nur ablenken würde und meiner Karriere schaden würde. Nathan ich bin nicht gut genug für dich! Nicht einmal für ein Essen genüge ich –“
„Hör auf! Das stimmt nicht“, unterbreche ich Aiden und schüttle energisch den Kopf. Nicht nur mein Leben wird von den Medien beherrscht, nein damit nicht genug, jetzt mischen sie sich auch noch in Aidens Leben!
Ich habe schon früh spüren müssen, was mit einem geschieht, wenn man alles was die Leute sagen oder schreiben ernst nimmt. Es macht Menschen kaputt und stumpft sie ab. Genau darum betrachte ich alles mit professioneller Distanz, aber Aiden tut das nicht. Ihn trifft jedes Wort ins Herz.
„Das ist alles purer Schwachsinn Aiden. Du bist hundertmal genug für mich, hör nicht auf sie“ Sanft nehme ich seine Hände in meine und setze mich neben ihn.
„Wir unterscheiden uns in nichts. Da gibt es keine Klassen oder Schichten zwischen uns“
Da Aiden mich aus Tränen verhangenen Augen zweifelnd ansieht, hebe ich eine seiner Hände und lehne meine dagegen.
„Meine Hand ist genau wie deine. Deine Tränen sind wie meine“
Um meine Worte zu unterstreichen, wische ich seine feuchten Perlen mit dem Daumen fort.
„Deine oder meine Lippen sind nicht schlechter oder besser“, hauche ich kurz bevor ich meinen Mund auf Aidens lege. Nur für den Moment eines Herzschlags lasse ich sie auf einander liegen, ehe ich mich zurück ziehe.
„Zwischen uns ist kein Unterschied. Die Medien heben mich auf ein Podest, auf dass ich nie wollte. Ich schauspielere nicht für sie. Ich tue es für mich, weil es das ist, was ich liebe“
Seufzend öffne ich die Augen, verabschiede den Schlaf und erblicke die leicht gebräunte Haut direkt vor mir. Mit einem friedvollen Gefühl, dass durch meinen Körper fliesst, schliesse ich noch einmal meine Augen. An Aidens warme Schulter gelehnt, träume ich noch etwas vor mich hin und geniesse seinen wärmenden Körper an meinem. Sein beruhigender Herzschlag, den ich unter meinen Händen spüre, lullt mich ein und verführt mich dazu, den Moment weiter auszukosten.
Selten, oder vielleicht sogar noch nie, habe ich so gut und tief geschlafen.
Aber jetzt bin ich hellwach, voller Tatendrang und zufrieden mit der Welt, wie sie eben ist.
Eigentlich ist sie heute sogar viel schöner als sonst, stelle ich überrascht fest.
Liebevoll hauche ich ein paar sanfte Küsse auf Aidens nackten Rücken, ehe ich mich vorsichtig von ihm löse. Neben ihm stehend, beobachte ich ihn, wie er schlaftrunken etwas vor sich hin murmelt und sich dann auf die andere Seite rollt. Ich kann nicht wiederstehen und streiche ihm behutsam durch die blonden Strähnen, bevor ich mir meine Kleidung überstreife.
Unschlüssig sehe ich auf ihn nieder und gerade als ich mich dazu entscheide, mich einfach wieder zu ihm zu legen, vibriert mein Handy. Seufzend wende ich mich ab und will gehen um Aiden nicht zu wecken, aber er greift nach meinem Handgelenk und hält mich so auf.
„Nicht gehen“, murmelt er verschlafen und mustert mich aus verschleierten Augen.
„Bin gleich wieder da“
Ich löse behutsam seine Finger von mir, denn Aiden dämmert schon wieder weg.
„Hallo?“, frage ich gelassen ins Telefon, während ich zu meiner Wohnung hinunter gehe.
„Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht!“
Die Stimme des Kampagnenmanagers dringt mir so laut und schrill ins Gehirn, dass ich das Telefon etwas von meinem Ohr nehmen muss.
„Wie bitte?“
Meine Verwirrung interessiert Mister Carlton allerding nicht im Geringsten, denn er brüllt in der gleichen Lautstärke weiter: „Ist das Ihre Vorstellung von Marketing?! Wissen Sie eigentlich was für einen Schaden Sie damit angerichtet haben?! Das wird Konsequenzen mit sich ziehen! Und jetzt bringen Sie das gefälligst wieder in Ordnung!“
Danach ist die Leitung tot und ich stehe völlig ratlos im Treppenhaus. Mir ist absolut schleierhaft wovon Carlton redet bis ich nach unten gehe, um meine Zeitung zu holen…
Entgeistert lese ich die grosse Schlagzeile.
Carter rastet aus!
Gestern… Scheisse… Aiden…
In meinem Kopf rasen die Gedanken an mir vorbei. Hunderte Fragen, die allesamt keinen Sinn ergeben und deren Antworten noch abstruser sind, hallen durch meinen Schädel. Es fühlt sich an, wie ein lautes Stimmenwirrwarr, so penetrant dass mir fast die Ohren klingeln. Meine Hände verkrallen sich in die Zeitung. Regungslos sitze ich auf der Couch und starre auf den toten Fernsehbildschirm. Was ich zuvor gesehen habe, kann ich nicht ertragen. Mein Bild prangt auf jedem Sender, als wäre ich ein gesuchter Schwerverbrecher. Ich bin komplett durcheinander und so mit dem chaotischen Haufen meiner selbst, beschäftigt, dass ich das Klopfen und Klingeln an meiner Haustür gar nicht wirklich wahrnehme.
Erst als Aiden in seinem üblich fröhlichen Timbre meinen Namen ruft, reagiere ich. Als wären meine Sinne auf seine Stimme programmiert, reisst sie mich aus meiner Starre und ich springe auf. Wut pulsiert in mir, lässt meinen ganzen Körper angespannt verhärten, als ich die Tür öffne und Aiden strahlend vor mir steht.
„Hey“, raunt er lächelnd und bringt damit das Fass endgültig zum Überlaufen.
„Hey?! Dass sagst du nachdem du meine Karriere zerstört hast?!“
Meine Stimme zittert vor lauter Zorn und nur mühevoll halte ich mich zurück.
„Wie meinst du das? Wovon redest du Nathan?“
Die unschuldig blickenden Augen, lassen mich kalt. Ich habe mich einmal von ihnen hinters Licht führen lassen, aber ein zweites Mal wird das nicht passieren.
„Wovon ich rede? Davon!“
Grob schmettere ich ihm die Zeitung in die Hände und als mich Aiden dann fragend und schockiert ansieht, entreisse ich sie ihm wieder.
„Carter rastet aus! Als ein Reporter gestern Jonathan Carter zu seiner Serienpartnerin befragen will, rastet dieser aus und beschimpft den Journalisten als Lügner. Ob diese Reaktion durch Alicia Wallace begründet ist, mit der er seit längerem ein wildes Techtelmechtel führt, oder ob der eigentlich sonst so ruhig und freundlich wirkende Schauspieler nun, passend zum Kampagnenstart seine Maske abnimmt und sein wahres Gesicht zeigt, nämlich das eines kalten Egozentrikers, ist bis dato unklar!“, lese ich Aiden einen Teil des Artikels vor. Entgeistert blickt er mir in die Augen, sein fröhliches Lächeln ist verblasst.
„Wieso hast du das getan?“, will ich nun verständnislos wissen. Dass er unseren gestrigen Tausch so ausnützen, und meinen Ruf zerstören würde, hätte ich nie gedacht. Die bitterschmeckende Enttäuschung über meinen Irrtum in ihm, zwänge ich grob meine Kehle hinunter.
„Das… das habe ich nie gesagt!“, beschwört er mich entsetzt. Beinahe bin ich versucht ihm zu glauben… Aber eben nur beinahe… Viel zu tief sitzt der Schock über die Ereignisse.
„Ach nein? Aiden, die Medien bauschen Dinge auf, interpretieren und spekulieren wild, aber sie erfinden nicht einfach einen Ausraster! Also sag mir endlich, was du getan hast!“
Als ich fuchsteufelswild einen Schritt auf ihn zugehe, weicht er erschrocken zurück und stösst mit dem Rücken ans Treppengeländer. Gefangen. Flucht, unmöglich.
„Ich… das… Nathan, das ist alles aus dem Kontext gerissen!“, stottert Aiden verzweifelt, doch mein starrender Blick zeigt ihm, dass er reden soll.
„Nathan so war das alles nicht! Ich wollte dich nur beschützen! Die haben furchtbare Dinge über dich behauptet. Du würdest mit Alicia vögeln um deine Karriere weiter zu pushen. Du würdest dich hochschlafen. Ich… das konnte ich nicht ertragen!“
„Und warum konntest du es nicht ertragen?“
„Weil die keine Ahnung haben! Sie wissen nicht wie du bist und –“
„Ach, aber du weisst das, ja? Du kennst mich doch genauso wenig! Nur weil du liest, was die Klatschblätter schreiben, glaubst du alles über mich zu wissen?“, unterbreche ich ihn voller Hohn und Spott.
„Nein, so ist das nicht! Ich weiss sehr wohl wie du bist! Ich wohne seit zwei Jahren über dir. Glaubst du, ich sehe dich nie, wie du mitten auf der Strasse stundenlang Autogramme gibst, obwohl du hundemüde aussiehst? Du stellst deine eigenen Bedürfnisse hinten an und nimmst dir Zeit für deine Fans. Du bist immer freundlich und gelassen. Deine Ziele erreichst du mit einem unglaublichen Ehrgeiz und deiner harten Arbeit, oder glaubst du ich höre nicht, wie du bis tief in die Nacht deine Texte lernst? Du bist der beste Mensch den ich kenne und du verdienst deinen Ruhm, aber die Paparazzi sehen in dir nur eine Story. Sie reden schlecht über dich, nur um Kohle zu verdienen, das hast du nicht verdient“, schluchzend bricht Aiden ab, schluckt schwer und beginnt dann von Neuem: „Es tut mir leid, was ich angerichtet habe. Ich wollte dir keinen Ärger bereiten. Klär die ganze Sache auf, sag denen, dass alles meine Schuld ist. Ich hätte mich nicht einmischen dürfen, das ist mir jetzt klar geworden“
Tränen rinnen ihm übers Gesicht und er zittert am ganzen Körper. Mit gesenktem Kopf spricht er seine letzten Worte leise aus: „Es tut mir unheimlich leid. Leb wohl Jonathan“
Danach verschwindet er und lässt mich mit offenem Mund zurück.
Meine Wut bricht wie eine Ruine in sich zusammen. Die daraus entstandene Staubwolke kratzt in meiner Kehle und brennt in den Augen. Sprachlos stehe ich hier und weiss nichts mit mir anzufangen. Aidens Worte hallen in mir wider, durchwandern meinen Körper und überdecken jede andere Empfindung. Klares Denken? Unmöglich. Alles ist mir zu viel. Die Presse, Carlton, meine Karriere und Aiden...
Wie aus dem Nichts trifft mich ein sengender Schmerz, darüber dass Aiden mich Jonathan genannt hat. Das hat er noch nie. Diese Geste zieht eine Mauer zwischen uns hoch und macht uns zu Fremden. Alles was sich gerade zwischen uns entwickeln wollte, geht ein wie eine zarte Blume in der Wüstensonne.
Die ganze Situation ist so irreal und verstörend, dass sie mir meine Kraft raubt. Völlig ermattet und durch den Wind ziehe ich mich in meine Wohnung zurück, lasse mich auf mein Sofa fallen und schliesse entkräftet die Augen, in der Hoffnung alles möge nie passiert sein, wenn ich sie wieder öffne…
Das unaufhörliche Klingeln meines Handys reisst mich unsanft aus dem unruhigen Schlaf. Ich fühle mich wie gerädert und nur widerwillig öffne ich die Augen. Murrend greife ich nach meinem Smartphone.
57 Anrufe in Abwesenheit und 40 Ungelesene Nachrichten…
Alle sind von Carlton. Während die ersten Nachrichten noch aus vielen, meist gehässigen Worten bestehen, sind die letzten vorwiegend nur noch Ausrufezeichen. Da ich darauf gut verzichten kann, lege ich es weg und registriere erst jetzt welche Uhrzeit eigentlich ist. Halb sechs. Morgens. Ich habe den gestrigen Tag einfach verschlafen und die Nacht in einem komatösen, aber keineswegs erholsamen Zustand verbracht.
Entnervt setze ich mich auf. Mit groben Bewegungen fahre ich mir durchs Gesicht, als könnte ich mir so etwas Klarheit eintrichtern. Aber ich scheitere. Meine Situation, die Angst, dass ich bald nicht mehr das tun kann, was ich liebe und die gestrige Auseinandersetzung mit Aiden, bringen mich um den Verstand. Doch paradoxerweise, wünsche ich mir nichts mehr, als dass mein strahlender Frühling jetzt hier wäre. Und sei es nur, dass ich mich bei ihm entschuldigen kann. Ich glaube ihm, dass er mich nicht böswillig in diese Scheisse manövriert hat. Ausserdem weiss ich selbst, wie schwierig der Umgang mit der Presse sein kann… Aber gestern war überfordert mit dem drohenden Ende meiner Karriere und das habe ich an Aiden ausgelassen... Ausgerechnet an ihm...
Tief seufzend erhebe ich mich, tigere durch die Wohnung und bleibe vor einer Wand im Flur stehen, an die ich die Fotos meiner Familie gehängt habe. Ihre Gesichter strahlen mir entgegen. Mein Herz wird schwer. Ich vermisse sie unglaublich. Seit gut einem Jahr habe ich keinen von ihnen gesehen. Weder meine Eltern, noch meine Schwestern. Niemanden. Sie haben nicht viel Geld um sich einen Flug zu mir leisten zu können und ich… Ja, was ist mit mir…? Ich könnte es mir ohne Probleme leisten, aber ich bin so versessen auf meine Leidenschaft gewesen, dass ich meine Familie einfach bei Seite geschoben habe…
Betrübt nehme ich ein Foto meiner Schwester und ihres Sohnes von der Wand. Mein Neffe, war gerade mal ein Jahr alt, als ich nach London gezogen bin. Er kann sich sicher nicht einmal an mich erinnern…
Ist es das wirklich wert? Meine Leidenschaft? Ich reisse mir den Arsch auf um die Leute zu begeistern, die mich sofort fallen lassen, wenn ich einmal nicht glänze…
Plötzlich kommen mir meine ganzen Bemühungen furchtbar egoistisch und unsinnig vor, denn selbst bin ich auch nicht anders, als die Presse. Habe ich denn Aiden geglaubt? Nein, ich habe ihn genauso fallen lassen, wie die Medien mich. Ich lag so falsch!
Augenblicklich kommt Bewegung in mich. Eilig verlasse ich meine Wohnung und renne, immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend, zu Aiden hoch.
Zu meiner Überraschung ist seine Tür offen.
„Aiden?“
Zögernd gehe ich hinein, doch von ihm ist keine Spur. Die Wohnung ist leer. Keine Kleidung, keine Bilder. Was gestern Morgen noch seine Persönlichkeit ausgedrückt hat, ist heute alles weg. Er ist verschwunden…
Panik bricht in mir aus.
Ich ziehe in ein paar Tagen, berufsbedingt, in die Schweiz…
Voller Entsetzen erinnere ich mich an seine Worte. Aber das darf nicht sein! Ich… er kann nicht einfach weg sein! Ich habe zwei Jahre und einen Skandal gebraucht, bis ich realisiert habe, was für ein toller Mensch er ist. Und ausgerechnet jetzt, soll alles vorbei sein?
Nein!
„Ihr Platz ist da drüben Mister Maine“
„Ich danke Ihnen“
Mein Herz erzittert wohlig, bei der vertrauten Stimme. Trotz des Drangs sein Gesicht zu sehen, schaue ich stur geradeaus auf den Rücken des Sitzes vor mir. Genau in diesem Moment, weiss ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass meine Entscheidung richtig gewesen ist. All die Erfolge sind schlussendlich nichts wert, wenn man abends allein zuhause sitzt. Lieber unbekannt als frierend vor Einsamkeit. Und genau das wird mit Aiden niemals passieren. Fröhlich und warm…
„Jonathan?“, fragt Aiden verblüfft, als er an seinem Platz – direkt neben meinem – zum Stehen kommt.
Nein… Nicht Jonathan… Nicht für dich…
„Nathan?“
Dieses Mal sehe ich zu ihm. Ängstlich wegen seiner möglichen Reaktion und gleichzeitig sehnsüchtig, betrachte ich sein Gesicht und seine wundervollen Augen. Verwirrt, aber lächelnd setzt er sich neben mich. Der Stein meiner Erleichterung, der auf mir gelastet hat, fällt ab und ich bin sicher man muss den Aufprall auf der ganzen Welt hören können.
„Was machst du denn hier!“
„Ich will mich bei dir entschuldigen“
„Und deswegen buchst du einen Flug?“ Seine unbeschwerte Art, lässt mich endlich wieder freier atmen.
„Nein, also nicht nur deswegen… Du hattest Recht. Mit allem. Und ich habe genug, von all den Gerüchten und Lügen. Ich kann nicht mehr. Deshalb dachte ich mir, ich könnte Urlaub machen“
„In der Schweiz?“
„Die Schweiz ist schön“, sage ich verschmitzt.
„Ich weiss es nicht. Ich war noch nie da“
„Dann könnte ich dir ja ein paar Dinge zeigen. Also falls du mir verzeihst und mir noch eine Chance gibst“
Meine Verunsicherung lässt meine Stimme leise werden. Mein Herzschlag pocht mir bis in die Ohren und ich bin kurz davor zu verzweifeln beim Gedanken, dass Aiden mich zurückweisen könnte, doch er antwortet prompt, ohne eine Sekunde zu zögern.
„Ja!“
Erleichtert fange ich an zu lächeln und nehme seine Hand in meine.
„Aber ich muss dich warnen. Dank dem ganzen Medienrummel, habe ich kein Privatleben mehr und ich habe deswegen alle Zeit der Welt, deins zur Hölle zu machen“
In Aidens Gesicht breitet sich ein schelmisches Grinsen aus: „Die Hölle ist heiss“
Über seine versauten Gedanken kann ich nur schmunzelnd den Kopf schütteln.
„Halt jetzt besser die Klappe“, erwidere ich glücklich und sehe ihm in seine wundervollen blaugrünen Meere. Wieso habe ich ihre Schönheit so lange nicht bemerkt? Ich –
„Darf es etwas zu trinken sein, die Herren?“, fragt plötzlich eine überaus freundliche Stewardess und unterbricht mein unlösbares Rätsel.
„Nein danke. Wir haben alles, was wir brauchen“
Glücklich streiche ich mit dem Daumen über Aidens Finger.
„Sag mal, wieso nennst du mich eigentlich Nathan?“
„Das ist eine andere Geschichte“, lacht Aiden und küsst mich liebevoll.
The end.
Texte: Sämtliche Rechte der Texte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2015
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