Robin Li
DARK NEWS
Cell
Urheberrechtlich geschütztes Material
Kapitel 1
Das Schrillen der Türklingel konnte sie nicht erschrecken. Ihre Finger schwebten bereits über dem Knopf, lange bevor der Fremde die Tür überhaupt erreicht hatte.
Sally starrte auf das Bild der Überwachungskamera. Das Bild zeigte eine Frau mit kurzen, langweilig braunen Haaren und einer spitz zulaufenden Nase. Ihre neckisch vorstehenden Zähne hätten jedem Nagetier alle Ehre gemacht. Die Frau auf dem Bild war sie selbst. Unter ihrem schmalen Gesicht, das aufgrund der lausigen Qualität des Fotos fast nur aus verschwommenen Pixeln bestand, prangten in dicker, schwarzer Schrift die handgeschriebenen Worte: »Es ist vorbei, Mausi.«
Ja. Das stimmte wohl. Es war vorbei. Endlich.
Während der Mann das Haus betrat und sich zu ihrer kleinen Wohnung im dritten Stock hocharbeitete, zwang sie sich eisern zur Ruhe. Der winzige Überwachungsmonitor zeigte ihr jetzt einen Teil des Flures vor ihrer Haustür. Eine öde, hellgraue Wand. Das Haus gab sich ebenso viel Mühe, einen möglichst uninteressanten Eindruck auf seine Besucher zu machen, wie sie selbst. Es hatte Sally einiges an Überwindung gekostet, sich für ihren Besucher aufzuhübschen. Und stundenlange Arbeit. Natürliche Schönheit kommt schließlich nicht von alleine. Hoffentlich wusste Cell ihre Bemühungen auch zu würdigen.
Das Bild auf dem Monitor änderte sich. Ein großer, blonder Mann, der mit einem langen, dunklen Mantel und Handschuhen bekleidet war, kam auf die Kamera zu. Leise, fast wie ein Geist. Und in gewissem Sinne war er ja auch einer. Oder zumindest hielt er sich dafür. Sie ersparte ihm die Mühe, sich bemerkbar zu machen, und öffnete bereitwillig die Tür.
Mit den Worten »Kommen Sie rein« drehte sie sich um. Sie durchquerte den kurzen Flur mit der scheußlichen Tapete und trat in die Stube. Sorgfältig verschloss der Besucher die Tür, bevor er ihr in das gemütliche Wohnzimmer folgte. Erst dort zog er ohne Hast seine Waffe. Die überraschend flache Heckler & Koch schimmerte matt in seiner Hand.
Sally atmete tief ein. Langsam drehte sie sich um. Echte, nackte Angst leuchtete in ihren Augen. Der Mann kannte diesen Blick. Sally ebenfalls. Seit Wochen übte sie ihn jede Nacht vor dem Spiegel.
Ihre Stimme zitterte leicht, als sie fragte: »Wie haben Sie mich gefunden?«
Cells Lächeln hatte etwas Gewinnendes an sich. Es harmonierte mit seinen großen, braunen Hundeaugen und dem strubbeligen Haar. Darüber hinaus blieb er eiskalt, zuckte nur mit den Schultern und antwortete lakonisch: »Berufsgeheimnis.«
Sally nickte. Natürlich. Berufsgeheimnis. Mit verlegenem Lächeln servierte sie die nächste Frage. »Möchten Sie etwas trinken? Ich habe aber nur Bier im Haus. Sie hätten sich anmelden sollen, dann …«
Ein ungeduldiger Wink mit der Waffe ließ Sally verstummen.
»Du weißt, warum ich hier bin?« In seiner Stimme schwang ein drohender Unterton mit. Wieder dieses hintergründige Lächeln.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Robin Li
Bildmaterialien: Dana Müller, pixabay
Cover: Dana Müller, wortjongliererin@hotmail.de
Lektorat: Monika Schoppenhorst
Tag der Veröffentlichung: 06.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2862-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Mit meinem heißesten Dank an die Mädels vom Berliner Autorenzirkel Wortschatz, das Autorencafe Berlin & meine stetige Inspirationsquelle, die Baumanns