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„Pass auf du Nichtsnutz“, fauchte mich die ältere Dame an dem Tisch rechts von mir an. „Fast hättest du meinen teuren Pelz ruiniert.“

Schüchtern haschte mein Blick auf zu der Frau und mein Mund murmelt eine leise Entschuldigung, danach huschten meine Füße wieder über den gefliesten Boden zurück zum Tresen, wo meine Hände nach dem alten, muffligen Lappen griffen. Anschließend tapste ich wieder zurück zu dem Tisch der Lady und wischte die große Kaffepfütze weg, doch auch dies machte ich nicht gut genug für die Kundin, weshalb sie mir den Lappen aus meinen Fingern riss und das Putzen selbst übernahm.

Meine Augen brannten und mein Körper zitterte.

„Sie sind nicht einmal als Putzfrau nützlich“, beschimpfte mich die Frau weiter und schmiss mir den Lappen vor die Füße.

Schweigend hob ich das Putztuch auf und trug es in die Küche, wo ich mich gegen die Küchentheke lehnte und versuchte mich zu sammeln. Ja, ich war nicht die beste Kellnerin wie die aus den feinen fünf Sterne Restaurants, aber ich war auch kein Trampel. Meinen ungeschickten Händen passierte nun mal der ein oder andere Fauxpas, aber davon ist noch keiner gestorben.

„Leonor?“, flüsterte eine Stimme durch den Türspalt und ich richtete mich leicht auf, wischte mir diese eine Träne weg und sah zu meiner Kollegin Yasmin.

„Mir geht es okay“, versicherte ich ihr und nahm meinen Notizblock wieder.

Seit Anfang des Schuljahres arbeitete ich nun nebenbei hier in diesem kleinen Diner in der Innenstadt, was nun schon zwei Monate waren. Anfangs hatte ich Spaß an diesem Job gefunden und bin darin ganz und gar aufgegangen, doch mit der Zeit verlor ich immer mehr die Lust daran Gäste zu bedienen und mich mit ihnen zu unterhalten, es war, als hätte man mir mit einem Staubsauger all die Lebensenergie und Freude aus mir heraus gesaugt.

Dies merkte man allerdings auch an meiner Arbeitsleistung, immer schlampiger und unordentlicher wurde mein Dienst als Kellnerin. Die Kunden beschwerten sich öfters und  motzten mich auch hin und wieder an, wie eben diese Frau.

Auf Yasmins Lippen breitete sich ein herzliches und freundliches Lächeln aus. „Ich übernehme die Kundin und du machst dafür Tisch 14?“, schlug sie gutmütig vor und ich nickte eifrig zustimmend. „Gerne.“

Schnell band ich meinen schwarzen Zopf neu, jedoch blieb es ein einziges Chaos. In Frisuren war ich noch nie besonders begabt gewesen, weshalb es auch schon bei einem simplen Pferdeschwanz scheiterte.

Ich ging also im aufrechten Gang an der Frau von vorhin vorbei, zu dem Tisch 14 an den mich Yasmin geschickt hatte. Ein hochgewachsener Mann mit blondem Haar saß mit dem Rücken zu mir gewandt da und las Zeitung. Seine Haare waren kein normales Engelsblond, eher ein schmutziges Straßenköterblond.  Meine Beine machten halt und ich sah zu ihm herab, sah in sein Gesicht, wie zu mir hinaufsah und seine Zeitung zuklappte.

„Leonor ich wusste nicht, dass du hier arbeitest.“

Ich schnappte leise nach Luft. „Mister Leandris?“

Mein Mathematiklehrer. Er war noch recht jung für einen Lehrer, am Anfang der Arbeitswelt, frisch aus dem College gesprungen. Mitte bis Ende zwanzig.

Seine Moosgrünen Augen glitten an meiner Kellnerinnenuniform herab. Ja, wir  mussten solche Uniformen tatsächlich noch tragen, so wie in den 50er Jahren. Schön in rot und weiß. Wie Ketchup und Majonäse, dachte ich mir immer.

„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte ich schnell, wollte nicht, dass er mich länger noch begutachtete. Seit diesem Schuljahr, war er der Mädchenschwarm an unserer Schule und diese Schwärmerei ließ mich nicht aus. Er war gutaussehend mit seinen Wangenknochen, die sich gerade wieder bewegten und dass er mein Typ war konnte ich auch nicht abstreiten, aber wie gesagt es waren Schwärmereien nichts weiter. Er war mein Lehrer.

„Einen Kaffee.“

Ich nickte und ging schnell eine Tasse holen und die Kaffeekanne auffüllen. Nachdem ich alles zu ihm getragen hatte, schenkte ich vor ihm den Kaffee in die Tasse, passte nun noch besser auf.

„Wie lange arbeitest du nun hier?“, verwickelte er mich deutlich in ein Gespräch.

Ich stellte die Kanne ab. „Seit zwei Monaten“, lächelte ich ihn an und strich meinen Rock glatt. „Ich brauchte zusätzliches Taschengeld und da war Kellnern eine wirklich realistische Option.“

Er nickte. „Gut, dass du keinen anderen Blödsinn gemacht hast. Junge Mädchen wie du stürzen sich da oft wo rein und kommen nicht mehr heraus.“

Ich sah ihn verwirrt und geschockt an. Redete er gerade von Prostitution? Ich spürte eine Wärme in meine Wangen aufsteigen. „Lassen sie sich Ihren Kaffee schmecken, Mister Leandris.“

Meine Hände griffen nach der Kanne und ich wollte weggehen, doch er griff während ich vorbei ging nach meiner freien Hand. „Ich hätte nichts gegen Gesellschaft.“

Ich sah zu ihm herab. „Mister Leandris ich arbeite.“

„Kunden sind doch die Könige, nicht wahr? Und außerdem ist eh jeder hier drinnen versorgt“, grinste er mich an.

Ich sah zu den vier anderen besetzten Tischen und nickte seufzend. Yasmin hatte bestimmt nichts dagegen, bei wenig Betrieb, hatte ich mich ja früher auch immer zu den einsamen Kunden gesetzt, welche Gesprächsbedürftig waren.

Ich stellte die Kanne wieder ab und setzte mich gegenüber von ihm hin.

„Wie läuft es bei dir in Mathe?“, fragte er mich und ich lehnte mich zurück. Mathe...sollte er das nicht selbst nach meinen verhauten Prüfungen wissen?

„Na ja...“, ich schmunzelte. „Könnte schon besser sein.“

Er trank einen Schluck. „Hast du in irgendetwas Fragen oder soll ich dir noch einmal was erklären?“

Ich dachte nach. „Vielleicht nochmal diese eine Aufgabe, die wir heute Morgen gemacht haben?“

Er nickte und holte aus seiner braunen Tasche seine Unterlagen. Ich reckte meinen Hals und sah mit in seine Papiere. Er fing an mir die Aufgabe, den Lösungsweg und das ganze drum herum zu erklären. Es war mein letztes Jahr an der High School und ich brauchte gute Noten für das Collage, was danach kam. Mister Leandris erzählte mir von einer Liste, auf der Problemschüler standen und denen er helfen wollte, einen guten Abschluss zu bekommen. Ich stand auch darauf. Ich war in der roten Zone.

Bevor ich weiterarbeiten musste, gab er mir noch seine Nummer und sagte, dass ich ihm gerne schreiben sollte, falls ich bei den Hausaufgaben Probleme bekommen würde. Ich speicherte dankbar seine Nummer ein und erklärte ihm, dass sein Kaffee aufs Haus ging.

Dann nahm ich die Kaffeekanne wieder und ging zu dem Tresen wo mich Yasmin interessiert anlächelte.

„Er ist mein Lehrer“, flüsterte ich und spülte die mittlerweile leere Kanne aus.

„Aber ein echt scharfer Lehrer“, flüsterte sie ohne dabei ihre Lippen zu bewegen. Wie ein wahrhaftiger Bauchredner, dachte ich mir.

 

Am Sonntagmittag lag ich verzweifelnd auf meinem Bett. Wieso konnten einfache Zahlen so kompliziert sein. Es war als bekäme man ein Blattpapier und müsste daraus einen Wolkenkratzer bauen. Ich vergrub mich in meine Kissen. Mein Vater, der noch irgendwas verstand, war auf Geschäftsreise und meine Mutter, die mich wenigstens getröstet hätte, war mit ihrer Freundin in einen Kurzurlaub gefahren. Ich war allein mit diesen Wolkenkratzern.

Außer der, der mir das Blattpapier gegeben hatte, Mister Leandris. Schnell tippten meine Finger auf meinem Handybildschirm und ich schrieb ihm eine Nachricht, dass ich verzweifelt über den Hausaufgaben hing.

Nach wenigen Minuten bekam ich schon die Antwort. „Wollen wir uns treffen, damit ich dir helfen kann?“

Ich überlegte und schrieb ihm einfach meine Adresse. Er war ja mein Lehrer, da konnten meine Eltern ja kaum was dagegen haben. Schnell lief ich runter in die Küche und machte für uns Kaffee und legte den Kuchen, welchen ich von der Arbeit mitgenommen hatte auf einen Teller. Mit einem großen Tablett balancierte ich alles hinauf und sammelte die dreckige Wäsche ein. 

Nach einer halben Stunde klingelte es an meiner Haustüre und ich huschte schnell unsere Treppen runter und strich über meine Locken, bevor ich ihm aufmachte.

„Hallo Leonor.“

Ich lächelte zurück. „Hallo Mister Leandris.“

Nachdem er seine Schuhe und seine Jacke ausgezogen hatten, gingen wir hoch in mein Zimmer.

Er setzte sich auf mein großes Bett und betrachtete das Chaos, welches ich in meiner Verzweiflung hin gekritzelt hatte.

„Ich schätze, da haben wir viel vor“, meinte er grinsend.

Mein Gesicht wurde wieder wärmer und ich nickte leicht, während ich ihm den Kaffee hinhielt.

„Danke Leonor.“ Er trank unter meiner Beobachtung einen Schluck. Tatsächlich konnte ich meine Augen nicht von ihm reißen.

„Hast du den Kuchen gebacken?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe ihn von der Arbeit mitgenommen. Ich hoffe sie mögen Kirschkuchen.“

Er grinste wieder.  „Eine meiner Lieblingssorten.“

Ich setzte mich zu ihm auf das Bett und er fing an mir die Aufgaben zu erklären, die Formeln und gemeinsam suchten wir die Lösungswege. Fast zwei Stunden saßen wir an den Aufgaben, da es immer was zum Optimieren gab oder etwas, was einfach nicht in mein Gehirn rein wollte.

Es war mittlerweile schon dunkel, als ich endlich das Buch zuklappte und mich zufrieden lächelnd zurück fallen ließ.

„Das war ein erfolgreicher Sonntagnachmittag“, meinte ich und sah zu Mister Leandris hoch, welcher zustimmend nickte.

„Du hast dich wacker geschlagen.“

Ich streckte mich. „Dankeschön Mister Leandris.“

Er grinste und aß das letzte Stückchen Kuchen.

„Wie viel verlangen Sie pro Stunde für Nachhilfe?“, fragte ich nach.

Er lachte. „Leonor du musst mir nichts geben.“

Es klang fast so als wäre dies eine Ausnahme, als würden andere schon etwas zahlen müssen.

„Ich denke du braucht mindestens drei Mal in der Woche Nachhilfe“, meinte mein Lehrer und packte seine Unterlagen zusammen. „Aber ich bin zuversichtlich, dass du mit viel Fleiß das Schuljahr bestehst und auf ein Elite Collage gehen wirst.“

Auf meinem Gesicht breitete sich ein erleichtertes Lächeln aus. „An welchen Tagen wäre es Ihnen denn angenehm?“

Er holte einen kleinen, blauen Taschenkalender raus, auf dessen Cover in goldenen Buchstaben das Jahr aufgedruckt war. Er blätterte durch die Seiten. „Hättest du etwas gegen Wochenenden?“, fragte er, während er weiter blätterte und nicht einmal aufsah.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann mir das so einrichten, wie es ihnen am praktischsten passt.“

Er grinste leicht. „Mittwoch, Freitag und Sonntag“, legte er schließlich die Tage fest, nahm sich einen roten Filzstift von meinem Mäppchen, machte mit seinem Mund den Stift auf und behielt den Deckel zwischen den Lippen, während er sich was, vermutlich unsere Treffen, in den Kalender notierte.

Er schloss souverän den Stift wieder und legte ihn ohne mich anzusehen wieder zurück in mein Mäppchen. War da jetzt seine Spucke dran? Ew.

Er packte das blaue Büchlein wieder in seine braune Ledertasche und mit dazu unsere Unterlagen, die in einer roten Mappe mit der Aufschrift ‚Leonor‘ verwahrt waren.

Er erhob sich, stellte ehe ich etwas erwidern konnte die Tassen und die leeren Kuchenteller auf das grüne Plastiktablett und trug es runter in unsere Küche, die an den Gang angrenzte. Er musste sie wohl beim Eintreten bereits gemerkt haben. Mein Körper folgte ihm schnell, jedoch war ich verwirrt, da seine Tasche oben geblieben war, auf meinem Bett.

„Du musst es doch nicht wegräumen, ich hätte das schon gemacht“, meinte ich und eilte zu ihm, als er den Geschirrspüler öffnete. Er sah zu mir auf und erst da wurde mir bewusst, dass ich ihn geduzt hatte... „Ich...äh...Sie müssen...das nicht aufräumen“, stammelte ich und merkte wieder diese Wärme in meinem Gesicht.

„Du klingt besser“, raunte er und platzierte die Teller in die Spülmaschine.

Ich beobachtete ihn und musste eine Tomate gewesen sein, da er immer grinste, als er zu mir sah. „Jasper.“

Ich sah ihn perplex und verwirrt an. Wollte er wirklich, dass ich ihn duzte?

„Nenn mich Jasper, Leonor“, raunte er und lehnte sich an die Theke hinter ihm.

Ich nickte leicht und schloss dann die Spülmaschine und sah wieder zu ihm hoch. Er war ungefähr einen Kopf größer als ich.

„Wieso?“, fragte ich misstrauisch nach.

„Ich bin 25, wer will denn da schon gesiezt werden wie ein alter Mann?“

Ich seufzte leise. „Das ist eine Sache des Respekts.“

„Nein Leonor du sollst mich anders respektieren und nicht so“, meinte er, stützte sich von der Theke weg und ging wieder hoch.

„Wieso sind Sie jetzt so komisch?“, rief ich nach und folgte ihm hoch.

„Wieso empfindest du mich als komisch? Weil ich mich auf eine Ebene mit dir stellen will? Weil ich keine Autoritätsperson von dir sein will?“

 „Du bist mein verdammter Lehrer“, platzte es aus mir raus und im nächsten Moment schaute ich ihn schon wieder unschuldig an.

„Und du bist meine verdammte Schülerin“, raunte er und strich über meine Wange, sah dabei in meine Augen.

Ich sah zu ihm empor und schluckte leise. „Jasper?“, hauchte ich leicht verwirrt, doch da beugte er sich schon zu mir runter und küsste mich. Zuerst wollte ich mich wehren, er war doch mein Lehrer, jedoch tat es viel zu gut, was er da mit mir anstellte, weshalb ich mich auf ihn einließ und ihn zurück küsste.

Wir standen eine gefühlte Ewigkeit in dem kleinen Gang vor meinem Zimmer und hingen an den Lippen aneinander. Irgendwann löste er sich von mir, ging in mein Zimmer, wo er seine Tasche nahm und mit ihr raus ging. Ich hörte noch die Tür ins Schloss fallen, dann war ich allein. Und verwirrt.

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Tag der Veröffentlichung: 28.12.2017

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