34. Jiccúr, 1331
Anwesen von Alexey
Das Baby schrie schon wieder. Alexey hatte seit drei Tagen nicht geschlafen und morgen war die wichtige Prüfung.
Sie saß an ihrem Holzschreibtisch in der kleinen Stube, welche ihre Eltern ihr zugeteilt hatten, und hielt sich weinend die Ohren zu. Ihr dunkelblondes Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht, die Nägel waren bis zum Fleisch abgebissen und unter ihren sonst so schönen Augen, die in der Farbe von Amethysten leuchteten, hatten sich dunkle Ringe gebildet, die von ihrer Schlaflosigkeit zeugten.
Keiner hatte sie gezwungen das Kind zu behalten, doch sie würde Schande über ihre Familie bringen, wenn sie sich wie ein dummes Bauernbalg benahm. In einer gehobenen Familie zieht man das Kind groß, oder man beseitigt es still und heimlich, behauptet es war eine Totgeburt und niemand würde je wieder fragen.
Natürlich wussten die meisten, dass dies nur eine Lüge für die gehobene Gesellschaft war, doch man schwieg. Man schwieg über so viel.
Das Baby schrie weiter. Langsam wurde Alexey unruhig.
Was, wenn jemand das Kind hörte und nachsehen kam?
Dann würden die Leute wissen, dass ihre Eltern nicht wieder gekommen waren, wie sie es behauptet hatte.
Und dass ihr Mann gar nicht bei ihr war.
Sie wäre leichte Beute für die niederen Gestalten, welche sich dort draußen im Dunkeln tummelten.
Alexey hob den Kopf und nahm die Hände von ihren Ohrmuscheln. Sie musste etwas tun und zwar schnell. Sie wischte sich mit der Faust die Tränen aus den Augen und zog ihre laufende Nase auf.
Festen Schrittes steuerte sie auf die kleine Holzwiege zu, bereit das Unaussprechliche zu tun. Sie konnte dieses schreiende Bündel von Anfang an nicht leiden; es war schließlich der Auslöser für all die Schrecklichen Dinge die Passiert waren.
Thomás hatte sie verlassen, kaum war das kleine Mädchen auf der Welt. Sein Balg.
Er lag wahrscheinlich schon einer anderen bei, so wie es all diese miesen Verräter der Gesellschaft waren.
Sie wusste nicht, dass er ein gesuchter Verbrecher war. Sie wusste nichts von seinen magischen Fähigkeiten; seiner Abstammung.
Kaum war die Hebamme bei ihnen aufgetaucht, war Thomás verschwunden.
Jemand hatte den Wachen erzählt, dass er sich bei ihr aufhielt. Sie wusste nicht was los war, als die Wachen in das Zimmer gestürmt kamen. Sie hatte gerade ein Baby auf die Welt gebracht.
Es war ein Mädchen.
Und nun lag es vor ihr in der Wiege, ohne Schutz, ohne Vater, ohne Großeltern.
Ihre Knöchel traten weiß hervor, so fest hatten sich ihre Finger um das Wiegengeländer gekrallt.
Die Zähne zusammengebissen hob sie das Baby aus der Wiege, da verstummte es plötzlich und sah es mit seinen großen Kulleraugen an. Sie war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Dieselben eisblauen Augen, in die sie sich vor letzten Winter verliebt hatte.
Er hatte an ihrer Tür geklopft, war komplett durchnässt und der Schnee hatte seinen Bart weiß gefärbt.
Und jetzt hielt sie dieselbe Ausgeburt in ihren Armen.
Alexey schob das Tuch, in welches das Mädchen gehüllt war weg, da ergriff das Baby ihren Finger und lächelte sie an.
Die Lippen zusammengepresst starrte sie das Baby an. Sie hatte ihm keinen Namen gegeben. Sie wollte ihm keinen Namen geben, denn sobald man etwas benennt, hat es einen Platz in deinem Herzen und das wollte sie vermeiden. Dieses Ding sollte keinen Platz in ihrem Herzen haben. Es sollte verschwinden.
Eine Erinnerung tauchte auf; sie stand mit Thomás in der kleinen Küche, er hockte vor ihr und streichelte ihren rundlichen Bauch.
„Wie willst du ihn nennen?“, fragte Alexey mit einem verträumten Lächeln auf ihren Lippen.
Thomás lächelte, behielt seinen Blick aber weiter auf ihrem Bauch, um vielleicht eine der kaum sichtbaren Bewegungen des Babys zu erhaschen. „Sie. Es wird eine Kämpferin, genau wie seine Mutter. Sie soll Roxanne heißen.“ Wie eine Zustimmung strampelte das Baby in diesem Moment und er konnte seinen Fußtritt spüren.
Beide lachten und sahen sich verliebt an. Da erhob sich Thomás, umfasste Alexeys Gesicht und küsste sie sanft auf den Mund.
Er hörte kurz auf, um sie stürmischer zu küssen. Drängend schob er sie gegen den Küchentisch.
Sie löste sich atemlos von ihm und drückte ihre Hand gegen seine Brust. „Nicht. Du tust dem Kind vielleicht weh.“
„Das bezweifle ich.“ Er hob sie auf den Tisch, drückte sie sanft nieder, schob ihren Rock hoch und-
Angewidert Schüttelte Alexey diese Erinnerung ab.
Das Baby in ihren Armen strampelte und sie sah es erneut an. Roxanne.
West Kri'en (Küste)
Exorzisten Akademie von Kri'en
'24. Jiccúr, 2347 n. d. Befreihung.
Nachdem das letzte Stück unseres großen Buntglasfensters eingefügt wurde, darf ich mit Freude verkünden, dass der Turm nach 7 Jahren endlich fertiggestellt wurde.
Effir ließ auch sofort die Alchemie-Klasse in den neuen Turm verlegen, doch wie sich herausstellte, waren für die verlegung von Inventar und Pflanzen mehr als nur ein Tag notwendig.
Doch wir lachten nur und beschlossen, dass ich mit meiner Klasse am nächsten Tag weiterarbeiten und er im neuen Teil unterrichten werde. Tags darauf würden wir tauschen und so weiter und so fort.
Im Unterricht gab es nichts Neues, bis auf die Tatsache, dass mein Schüler einen Dämon beschwor, für den ich die Wächter zu Hilfe rufen musste. Es handelte sich nicht um die normalen Dämonen, die viel zu schwach waren, um den Menschen gefährlich werden zu können, sondern um einen hochrangigen Krieger der Unterkategorie Succubus.
Nachdem dieser Dämon - nach vielen Hindernissen - endlich zurück in die Hölle verbannt wurde, musste ein Teil des Westturms abgesperrt werden, da er fast abgebrannt wäre.
Ich nehme mir nun vor, diesen Schüler - Ilias von Nálgar - insbesondere zu beobachten. Seine Vergangenheit ist uns unbekannt, was mich zunehmends beunruhigt. Wir müssen seine Macht im Zaun halten, sonst könnte er womöglich gefährlich werden.
Er scheint zwar noch keinen Hang zur Gier nach Macht zu haben, doch wir müssen jeden Funken danach im Keim ersticken.'
Lazarus, seinerseits Erzmagier von Kri'en, seit 46 Jahren, legte die Feder neben das Tintenfass auf sein Pult und lehnte sich in seinen Holzsessel zurück. Er atmete tief ein und lächelte seelig, als er den neuen Turm durch das vergitterte Fenster sah.
Diese Akademie war sein größter Schatz und ihre Schüler sein größter Stolz.
Glücklich blickte er auf die riesige Sonnenuhr, die ihm zeigte, dass der Unterricht für heute bald zu Ende sei, also machte er sich auf den Weg in den neuen Turm, um sich den Fortschritt Effirs anzusehen.
Den quietschenden Stuhl zurückschiebend, dachte er darüber nach, das Tribunal nach einer neuen Einrichtung für den Alchemieturm zu bitten.
Auf den Treppen blieb er stehen und sah ungläubig aus dem nordwestlich gelegenen Fenster und trat näher heran.
Das Fenster gab den Blick auf den Wald von Kri'en frei, in dessen Mitte ein riesiger verrottender Baum stand, welcher gestern noch im schönsten Grün erblühte.
"Das kann doch nicht wahr sein", sagte er zu sich. "Da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu."
Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zum Dachgeschoss, von dessen Aussichtsplattform er eine bessere Sicht auf das Spektakel werfen konnte.
Wald von Krí'en
Auf den engen Waldwegen herrschte drückende Stille. Während die Sonne durch das Blätterdach der Bäume fiel und alles in ein idyllisches Licht tauchte, blieben die Tiere dem Wald fern.
Nicht ganz, war der Wald doch riesig und voller Leben, doch in seinem Herzen begann sich etwas zu regen, etwas Böses lauerte im Schatten der Bäume.
Eine schwarze, in Nebel getauchte geisterhafte Gestalt manifestierte sich im Schatten. Sie sog alles Licht, das auf sie fiel, auf und absorbierte es. Die Macht, die von der Gestalt ausging war so unglaublich groß, dass der Umhang von einem nicht vorhandenen Wind in Bewegung gehalten wurde, und alle Tiere im Wald sich versteckten.
Da streckte sie die Hand nach vorne in Richtung eines Buschwerks. "Diener, tritt vor mich", befahl die tiefe raue Stimme der Gestalt.
Aus dem Gebüsch trat ein Mann, der demütig sein Haupt gesenkt hielt und die Hände hinter seinem Rücken versteckte, in der Hoffnung die Gestalt würde nicht bemerken, wie sehr er sich fürchtete. Er kniete sich auf das linke Bein, die rechte Hand am Herzen, die Linke hinter den Rücken verschränkt. "Zu Ihren Diensten, Meister."
"Aturiel, ich habe einen Auftrag für dich. Finde einen Magiebegabten, der die Rune des Lebens besitzt und benutzen kann. Es ist nicht wichtig, ob Besitzer der Rune oder ein Wildfremder."
"Ich habe verstanden, Meister." Arturiel verharrte in seiner Position, darauf wartend, dass sein Meister ihm die Erlaubnis gab, sich zu erheben und zu gehen.
"Und, Atruriel, bevor ich es vergesse: Ich dulde kein Versagen. Solltest du es dennoch tun, wird dich das gleiche Schicksal ereilen wie deinen Vorgänger."
Aturiel schluckte. Er wusste nicht was mit seinem Freund Ethrandiel passiert war, er war einfach von einem Tag auf den anderen verschwunden.
24. Jiccúr - Ost Natír
Anwesen von Cornelius
Ein weiterer erfolgreicher Tag, für eine angehende Hexe - zumindest wenn es um das Scheitern von Missionen ging.
Als angehende Hexe ohne Grundausbildung kam man in dieser Welt nicht weiter, das musste Roxanne von Freyar am eigenen Leib erfahren. Sie hatte ihren ersten Job als angehende Hexe vermasselt und ist in ihrer Wut der falschen Person auf den Fuß getreten.
Das wäre alles nicht so schlimm, wenn dieser Job ihr nicht den Weg zum Abschluss ihrer Grundausbildung versperren würde. Doch sah sie keine Hoffnung mehr darin, dass ihr Ausbilder ihr jetzt noch eine Chance gab.
Im Grunde genommen hatte sie es nun aufgegeben ihren Ausbilder anzubetteln, ihr noch eine Chance zu geben, also wäre ihre Ausbildung am Ende bevor sie überhaupt gestartet war.
Doch sich dann mit einer Dämonin zu streiten war dumm, dass sah nun sogar sie ein.
Nun stand sie hier, neben vier Wracks von Frauen, die um ihr Leben betteln und sich gegenseitig Ratschläge geben, wie sie es vielleicht doch noch heil aus diesem Anwesen schaffen konnten.
Ziemlich unbeeindruckt stand sie neben der mannshohen Wärterin und dachte sich, dass ihr Tag gar nicht schlimmer werden konnte.
"Hast du gar keine Angst?", fragte die mannshohe Wärterin mit ihrer tiefen Stimme.
Sie sah zu ihr hoch und antwortete emotionslos: "Ich werde sterben. Kann ich es verhindern? Nein. Interessiert es mich? Nicht wirklich."
"Mir scheint du weißt nicht mit wem du es zu tun hast?"
"Nun, die vier da drüben", sie nickte in Richtung der Tränensäcke, "faseln die ganze Zeit etwas von einem Cornelius von Natír und - wenn ich mich nicht irre und im Geschichtsunterricht mal nicht geschlafen habe - würde ich sagen ein Vampir."
Sie lachte laut auf. "Pah! Er ist Mitglied des Tribunals und du solltest vor Angst erzittern, allein wenn du seinen Namen hörst!"
Unbeeindruckt zuckte sie mit den Schultern. "Wäre Ihre Woche verlaufen wie es meine ist, würden Sie sich keine Gedanken darüber machen wer oder was Sie umbringt."
Sie verdrehte die Augen. "Er wird dich genießen."
"Dann soll er sich beeilen bevor die langeweile ihm zuvor kommt und mich tötet." Roxanne ignorierte die Stimme in ihrem Kopf, die sie darauf hinwies, dass es Mitglieder des Tribunals, - des Höchsten aller Gerichte - eigentlich strengstens untersagt ist, das Blut von Menschen mit Gewalt einzufordern. Aber was sollte sie nun schon noch groß tun können? Ihm einen Vortrag über den Inhalt des Gesetzbuches halten? Sicherlich würde er ihr zuhören und sich bekehren lassen.
Schwachsinn.
Im selben Moment ging die Tür auf und ein Mann mit schwarzer Hose, glänzenden Lackschuhen und einem glattgebügeltem Hemd, das aussah als wäre es eben erst gebügelt worden, bei der Tür herein. Recht ansehnlich. Gut gebaut, Muskeln, groß, dunkelbraune Haare, Haselnussbraune Augen und eine Aura, wie sie schwarzer nicht sein könnte.
Sein Haar war mit Gel so stark nach hinten gedrückt worden, dass er aussah, als käme er gerade von einem Gerichtstermin.
"Was habt ihr mir heute schönes mitgebracht?", fragte er belustigt und rieb sich die Hände. Sein Blick fiel auf die 4 Frauen. Er atmete tief ein. "Oh, ich liebe den Angstgeruch. Aber kein Grund zur Sorge, meine Lieben, wir werden unseren Spaß haben", meinte er mit einem Zwinkern.
Genervt rollte sie die Augen, stöhnte auf und ging einfach an ihm vorbei, doch noch bevor die Wärterin sie festhalten konnte, tat es der Mann.
"Wer bist du denn? Hast du keine Angst?", fragte er mit einem eisigen Lächeln.
"Ich bin eine genervte Frau die darauf wartet, dass gnädiger Herr Vampir sich Zeit für seine Gefangenen nimmt, wenn er sie schon so spät am Abend hat fangen lassen." Sie wollte seine Hand abschütteln, dich sein Griff wurde stahlhart und als sie in seine Augen sah, wurde ihr klar, dass sie ihn gerade verärgert hatte.
Eine ihrer Spezialitäten: Leute verärgern.
"Du gehst nirgends hin, du freches Gör!", zischte er mit ausgefahrenen Fängen.
Er packte Roxanne grob am Arm und schleuderte sie ins Nebenzimmer. Der Mann wechselte noch ein paar kurze Worte mit Frau Mannsweib, ehe er die Tür zuknallte, abschloss und auf sie zuging.
"Hast du überhaupt eine Ahnung wer ich bin?!", knurrte er leise und bedrohlich zusammengebissen Zähnen hindurch.
"Ich wiederhole mich zwar ungern", meinte sie lustlos, " aber für Sie werde ich eine Ausnahme machen. Wie ich eben ihrer Bediensteten erklärt habe, gedenke ich es zu wissen, sofern ich im Geschichtsunterricht nicht eingeschlafen war oder mir meine Ausbilder keinen Unfug beigebracht haben."
"In Sachen Respekt haben sie jedenfalls komplett versagt", seine Nasenflügel bebten und seine Augen waren zu schlitzen geformt.
Sie winkte ab. "Ja, das wurde mir von ihnen auch gesagt, aber rauswerfen konnten sie mich nicht, also mussten wir uns zusammenraufen."
"Interessiert es dich überhaupt, was ich als nächstes mit dir vorhabe?", fragte er, ungläubig, dass Roxanne wirklich keine Spur von Angst zu haben schien.
Unentschlossen neigte sie den Kopf von einer Seite zur anderen und duckte sich herum. "Das kommt auf die Sicht der Dinge an."
Cornelius zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sprich."
"Nun, ich habe den Job für meine Grundausbildung zur Hexe vermasselt - es war zwar nicht meine Schuld, dass sich mein Auftraggeber selbst im Zaubern üben wollte und dabei explodierte, aber egal - nun müsste ich meinem Ausbilder alles erklären und ihn auf Knien anflehen, mir noch eine Chance zu geben. Allerdings weiß ich nur zu gut, dass er mir keine zweite Chance geben wird, denn ich werde nicht für die Dummheit irgendeines Menschen ins Gefängnis gehen – was meine Mutter nur allzu gern genehmigen wird." Mittlerweile hatte sie es sich auf dem Tisch im Zimmer gemütlich gemacht und die Beine überkreuzt. "Und deshalb habe ich aus lauter Zorn", sie klopfte sich kräftig auf die Oberschenkel, "zu guter Letzt auch noch irgendein hohes Tier beleidigt und bin zur Bestrafung zu Ihnen geschickt worden."
Er sah sie eine Minute schweigend an, bevor er vor sie trat und ernst ansah. "Es interessiert mich einen feuchten Dreck, wie mies dein Tag war und wie bedauernswert dein Leben nicht ist."
"Ach, Ihnen hat als Kind sicherlich niemand zugehört, richtig? Und Freunde hatten sie wohl auch nicht viele." Was konnte schon schiefgehen, wenn man in den letzten Minuten seines Lebens die coole Sau raushängen ließ?
Sein Blick wechselte zwischen genervt und verwundert hin und her.
"Wieso sehen Sie mich so an?" Langsam dämmerte es ihr, dass sie womöglich eine Chance gehabt hätte, dass er sie gehen ließ, aber das war bevor sie ihn verärgert hatte.
Er atmete laut aus. "Ich frage mich gerade, wieso dich noch niemand umgebracht hat. Dein Gequassel muss doch schon mehr als einen in den Tod getrieben haben."
Gespielt beleidigt sog sie die Luft ein. "Oh, ich bitte um Verzeihung der Herr, wenn ich nicht als Essen für irgendwelche Vampire enden will, sondern gerne noch etwas von meinem Leben haben möchte." Jetzt war alles aus.
"Nun, vielleicht wärst du nicht hier, wenn du nicht in eine Vampir-Schenke gegangen wärst, und dort einen Dämon beleidigt hättest, aber davon möchtest du sicherlich nichts hören."
Roxanne zog verwundert die Augenbrauen hoch. "Weshalb auf einmal so ruhig? Vor nicht ganz drei Minuten warst du noch in Mordlaune." Vielleicht bestand doch noch eine Chance für sie, immerhin könnte es doch sein, dass er sich für sie interessierte. Als Hexe verstand sich. Blödsinn!
Cornelius schüttelte den Kopf. "Du bist nicht mit den normalen Tricks aus der Ruhe zu bringen, also warum sollte ich mir die Mühe machen. Wir wissen beide, dass du sterben wirst, also: Was wirst du jetzt tun?"
"Wissen wir wirklich, dass ich sterben werde? Vielleicht entkomme ich durch einen Zufall", meinte sie nonchalant.
Ein tiefes Lachen erfüllte den Raum. "Das bezweifle ich. Du tust, als wärst du nur einen Fingerschnips von deiner Freiheit entfernt." Seine Haselnussbraunen Augen funkelten.
Nun war ich mit lächeln dran.
"So vielleicht?" Sie schnippte mit Mittelfinger und Daumen, und schon war sie weg.
25. Jiccúr - Nord Thriéd
Turm der Erleuchtung in Máliet
"Wie lange wird sie nun schon vermisst?", fragte der Erzmagier von Máliet.
"Ihre Mitbewohnerin sagt sie habe nach dem Gespräch gestern Mittag nichts mehr von ihr gehört", antwortete Lucan.
Der Erzmagier streichelte seinen langen grauen Bart und sah seinem Stellvertreter in die Augen. "Um was ging es in diesem Gespräch."
"Miss Roxanne ist bei ihrer Abschlussarbeit gescheitert und das hat sie ihr mitgeteilt." Er verzog die Lippen, da er sich wieder mit Roxanne und ihrer störrischen Art abgeben musste, weil sie niemand hinauswarf.
"M-hm. Gibt es Hinweise auf ihren letzten Aufenthaltsort."
Lucan ging zu dem Bücherregal auf der linken Seite des Schreibtisches. "Ein paar meiner Studenten meinten sie hätten sie auf dem Weg zum Bites gesehen."
Der Erzmagier zog die Brauen kraus. "Ist das nicht diese Anderlingsschenke?"
"Richtig." Lucan nickte zustimmend. "Bevorzugt wird diese Schenke von Vampiren und niederen Dämonen besucht." Vielleicht sind wir sie nun endlich los, dachte er sich, insgeheim hoffend er hätte nun endlich seine Ruhe.
Der Erzmagier blickte in Lucans Richtung. " Abgesehen davon, dass sie minderjährig ist und eigentlich gar nicht hineinkommen dürfte, was hatte eine Auszubildende dort zu suchen?"
"Unsere Nachforschungen konnten uns auch nicht weiterhelfen. Wir wissen nur, dass sie nach dem Scheitern ihrer Misson dorthin ging."
"Irgendwelche Magiespuren?" Der Erzmagier wusste wie sehr seine Leute von Roxannes Art genervt waren, doch durch ihr Blut war sie sehr wertvoll und durfte nicht in falsche Hände geraten, doch davon wusste Roxanne natürlich nichts.
Lucan nickte bedauernd. "Sie hat sich mit einer Dämonin wegteleportiert."
Skepsis machte sich auf dem Gesicht des Erzmagiers breit. "Wenn Miss Roxanne erst ihre Grundausbildung macht, wie kann sie dann einen so mächtigen Zauber wie den Teleportationszauber beherrschen? Kannst du mir das erklären, Lucan?"
"Wir gehen von der Annahme aus, dass sie sich nicht selbst teleportiert hat, sondern von der Dämonin teleportiert wurde." Lucan beobachtete, wie sich die Miene des Erzmagiers verfinsterte. "Die Zeugen werden in ebendiesem Moment nach Einzelheiten befragt."
"Müssen wir von der Annahme ausgehen, dass wir es hier mit einer Entführung zu tun habe?"
Lucan dachte schnell nach, er wollte nicht, dass der Erzmagier noch mehr Zeit mit der Suche nach dieser Novizenhexe verschwendete, geschweige denn einen Suchtrupp nach ihr schickte, denn im Moment brauchten sie alle Hexer, um den Drachen zu finden, der nahe Góthor gesichtet wurde. "Dieser Annahme-", der Erzmagier hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen.
"Ich will keine Ausreden hören. Ich bin zwar alt, aber nicht dumm und wenn du denkst ich wüsste nicht, dass du alle Hexer für die Verteidigung gegen den Drachen brauchst, dann hast du dich aber geirrt." Er seufzte. "So jung und unbedeutend sie auch für dich und die Hexer ist, so wichtig ist sie doch für die Gesellschaft. Was würde aus unserer Stadt werden, wenn wir alle Novizen ihrem Schicksal überließen?"
Lucan beugte demütig sein Haupt. "Entschuldigen Sie mein Fehlverhalten, ich war wohl nicht ganz bei der Sache." So viel zu meiner Ruhe.
Der Erzmagier nahm seine Brille ab und rieb sich müde die Augen. "Solange das nicht zur Gewohnheit wird, ist es kein Problem, Lucan. Wenn du mich nun entschuldigst, ich werde mich ein wenig zur Ruhe legen. Meine alten Knochen brauchen etwas Ruhe."
Lucan verbeugte sich und verließ rückwärts das Arbeitszimmer des Erzmagiers.
Nord Thriéd
Keller desTurm der Erleuchtung in Máliet
Roxanne klopfte sich den Staub von Schultern und Oberschenkel. "Menschenskinder, Staub! So verdammt viel Staub." Sie schüttelte sich. "Als könnte man in einem Keller nicht einmal Staubwischen."
Nachdem sie sich dreimal an einen unbekannten Ort teleportiert hatte, war sie beim vierten Mal endlich dort wo sie hin wollte. Nun ja, fast…
Der Keller des Turms von Máliet war wesentlich einschüchternder, als die Magier die hier lebten. Er war riesengroß. Man könnte eine Hydrugiel-Arena darin eröffnen. Doch es war so dunkel, dass selbst 100 dieser Biester mit ihren brennenden Schweifen ihn nicht erleuchten könnten. Und an die Arden die hier ihre Netze spinnen konnten, wollte sie erst gar nicht denken.
Wenn allerdings die Entdeckung ihrerseits durch Magier des Turms geschah, konnte sie ebenso einpacken, denn dann blieb ihr die Prüfung zur Grundausbildung in jeglicher Hinsicht verwehrt, ebenso wie die Weiterbildung als Hexe und ihre Spezialisierungen. Weiteres würde sie vom Erzmagier vor das Gericht gezerrt, wenn die herausbekämen, dass sie im verbotenen Teil der Bibliothek war. Blieb nur zu hoffen, dass eben jener sie nicht bemerkt hatte.
So leise Roxanne konnte, beschwor sie ihr Magierlicht und kramte in ihrer Tasche nach einer Karte, die sie aus diesem Labyrinth, bestehend aus Gängen und Tunneln, führte. Das Echo des Knitterns der Karte ließ sie zusammenfahren. Hier klang alles so laut, dass sie sich nicht einmal traute laut einzuatmen.
Ihr Zeigefinger huschte über die Karte, als sie versuchte ihren Standort zu finden. "Das wird so nichts", murmelte sie. "Locatio", hauchte Roxanne und schon erschien eine kleine leuchtende Kugel über der Karte, die ihr ihren Standort anzeigte. "Na, das ist doch schon viel besser", flüsterte sie zufrieden.
Nun galt es den Ausgang zu ermitteln und ihn dann einzuschlagen - nachdem sie herausgefunden hatte wo Norden und wo Süden war.
Nach einer gefühlten Stunde des Herumirrens lagen ihre Nerven blank und sie war nahe daran zu einem einzigen Wrack zu werden. Noch mehr als Arden hasste sie die Dunkelheit. Doch Dunkelheit und Kälte gemischt, das war Roxannes Schwachpunkt. Sie fühlte sich, als würde sie in einem kalten Grab herumirren und jeden Moment würde ein Untoter vor ihr erscheinen und sie mit sich in sein Grab ziehen.
Zwar war der Keller mit einem Zauber erschaffen, der Magie von außen abschirmte, allerdings fühlte sie mich auf dem weichen Erdboden, der vor ein paar hundert Metern angefangen hatte, nicht wohl. Ihr Magen krampfte sich zum hundertsten Mal zusammen und alles in ihr riet zur Flucht.
Ihre Hände zitterten, war es vor Angst oder Kälte, sodass es ihr schwer fiel die Karte zu lesen. Doch sie konnte mit Freude feststellen, dass sich gleich um die Ecke der Ausgang befand.
Roxanne beschleunigte ihren Schritt und atmete erleichtert aus, als sie die Treppe zum Ausgang erblickte. "Gott sei Dank!"
Plötzlich hörte sie das Knirschen von blanken Füßen am Erdboden hinter ihr. Blitzschnell drehte sie sich um und schrie. Ein halb verwester Untoter stand vor ihr und blickte sie aus seinen kalten toten Augen an.
Fleisch hing ihm von der linken Schläfe und dem rechten Oberschenkel; das linke Schienbein bestand nur noch aus Schien- und Wadenbein. Sein linkes Auge war noch halb vorhanden, während in seiner rechten Augenhöhle Maden gerade den letzten Rest des Auges fraßen.
Nachdem sie endlich aus ihrer Starre erwacht war, bemerkte sie weitere Bewegungen im Hintergrund. Noch mehr Untote!
Sie nahm die Beine in die Hand und hetzte zur Stiege, diese hinauf und mit voller Wucht gegen die Falltür - die sich kein Stück bewegte.
Scheiß auf die Erzmagier!, dachte sie sich und schrie so laut sie konnte: "HILFE!" Doch es schien sie niemand zu hören. Sie schrie erneut, auch diesmal ohne Erfolg.
Die Untoten hatten mittlerweile den Fuß der Stiege erreicht und begannen diese hoch zu trotten.
Ihr Atem ging schneller, Panik breitete sich in ihr aus. So wollte sie nicht sterben, doch zum erneuten teleportieren besaß sie zu wenig Mana.
Ein Adrenalinschub erfasse sie und sie schoss mit aller Macht einen Eisbrocken gegen die Falltür, doch es brachte nichts. Der Gedanke, dass sie diese Magie eigentlich gar nicht beschwören hätte können verschwand so schnell, wie er gekommen war.
"Verdammt nochmal! Mach doch einer diese verdammte Falltür auf!", schrie Roxanne mit Tränen in den Augen. Toll, gerade habe ich mich aus dem Kerker eines mächtigen Vampirs gerettet und nun sterbe ich, weil ich zu wenig Macht habe einen Haufen Untoter wieder unter die Erde zu schicken.
Sie spürte den eiskalten Hauch des Todes der von den Kreaturen ausging.
Mit allerletzter Kraft schickte sie einen mächtigen Eisbrocken gegen die Tür, den sie normalerweise nicht einmal mit vollem Mana in der Lage war zu beschwören.
Als sich nun wieder nichts rührte musste sie es einsehen: Dies war ihr Ende.
Kraftlos warf sie einen letzten Blick über die Schulter, direkt in die Augen des Untoten, der gerade die knöchrige Hand nach ihr ausstreckte.
Dies ist mein Ende.
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2017
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