© by Holger Hennig
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Erscheinungsdatum 01.04.2013
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Piratige Inhalte Einleitung
Hallo Leserin, hallo Leser,
was habe ich vor? Oder was habe ich nicht vor?
Fangen wir mal mit dem Zweiten an. Ich schreibe kein Brevier, ich will mich auch nicht wichtigmachen oder mich als Vordenker aufspielen. Aber ich habe schon lange die Erfahrung gemacht, dass ich meine Gedanken am besten sammeln kann, wenn ich sie aufschreibe. Man könnte also sagen, ich schreibe einfach mal meine Gedanken auf, alles Mögliche, was ich so über Politik denke, um etwas mehr Klarheit zu bekommen.
Ach so, ja, ich bin Pirat. Und ich bin sehr gern und sehr bewusst Pirat. Vieles, was ich hier schreiben werde, ist direkt aus dem piratigen Denken übernommen, viele Ideen sind also nicht meine, sondern die des Schwarms. Ich raubmordkopiere da, wo ich kann, weil ich ja nun mal Pirat bin. (Und in den letzten Zeilen habe ich auch einfach mal so geschrieben, wie ein Pirat.) Ich sammele auch einiges zusammen, was ich schon mal verbloggt habe, werde auch vielfach Gedanken zu virtuellem Papier bringen, die aus den Podcasts von ThoroughT und mir stammen.
Vielleicht hilft dieses Büchlein seinen Lesern, die Piraten etwas besser zu verstehen, vielleicht interessiert es auch ein paar Piraten, was ich so tippsel, und wenn es auch hier und da eine kleine Diskussion gibt, ich wäre entzückt.
Ah, bevor ich es vergesse, ich bin mir bewusst, dass unsere Sprache männliche Wesen favorisiert. Ich arbeite daran, dass ich mich in dieser Hinsicht nicht allzu ausschließend verhalte, ich versuche auch, mir dieses Problem immer wieder bewusst zu machen. Allerdings mag ich aus stilistischen Gründen das Sprachhäckseln mit Binnen-Is und ähnliche Versuche nicht. Also werde ich eher versuchen Maskulina zu umgehen, oder mal eine Zeitlang im Femininum schreiben. Ich versuche damit kreativ umzugehen, aber das ist noch ein neues Feld für mich.
So, jetzt wünsche ich das, was ich an solchen Stellen immer wünsche: Gute Unterhaltung! (… denn ich bin ja nur ein kleiner Schaubudenbesitzer, der sein Publikum ein bisschen erfreuen will …)
Und 42 ist die Antwort auf die Frage nach „dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ – siehe Douglas Adams. Und so erklärt sich diese Überschrift hoffentlich auch für Nicht-Eingeweihte.
Plattformneutralität ist nicht weniger als der Kern des piratigen Denkens. Und jetzt muss ich natürlich erklären, was das denn jetzt genau ist.
Der piratige Gründungsmythos ist ja immer das Internet, in dem der größte Teil von uns mit Vorliebe lebt. Und da hat man eine spezielle Form der Anonymität kennen gelernt, die sehr prägend wurde. Eine Welt, in der nichts wichtig ist, außer dem, was du tust, außer dem was du kannst. Gehe ich online und spiele eine Runde, so weiß niemand wie alt ich bin, welches biologische Geschlecht ich mitbekommen habe, welche Farbe meine Haut hat, welche meine Haare, auch nicht, was für Klamotten ich trage oder wie viel Geld ich verdiene. Alles das ist schlicht nicht relevant.
Ja, es gibt die Einschränkung, dass sich im Netz zuerst sehr viel mehr Männer als Frauen tummelten. Eine Tatsache, die bis heute auch eine Entsprechung in der Piratenbevölkerung hat. Dort gibt es meistens zwei Phänomene. Outet sich ein Nickname als Frau, ändert sich das Verhalten auffällig. Mann ist besonders freundlich, nervig hilfsbereit und macht das weibliche Wesen zum Maskottchen. Daneben ist das Netz eben männlich, und alle Derbheiten, alle blöden Sexismen von Männerstammtischen gibt es auch im Netz. Abgesehen davon ist das Internet ja eh nur „for porn“!
Man kann überall viel über Freiheit hören, man kann sich sogar den Bundespfarrer anhören, der plappert das Wort so oft vor sich hin, dass er es auch für alles Mögliche anwendet, wo es nichts zu suchen hat. Aber so wichtig das sicherlich für viele ehemalige DDR-Bürger war, Reisefreiheit zu bekommen, und keine Stasi mehr an der Wand lauschen zu haben, die Freiheit, die wir im Netz kennengelernt haben, die wir auch heute noch im Netz lernen können, die geht ein ganzes Stück weiter.
Die Netizen gingen hinaus und fanden eine neue Welt, fanden Freunde, die physisch vielleicht unendlich weit weg waren, aber doch gleich hier nebenan. Sie verstanden, was Netz heißt und vernetzten sich. Und sie merkten, dass so viele Vorurteile und Prägungen, die sie von der gar nicht so „real“ wirkenden Welt mitbekommen hatten, totaler Unsinn waren. Sie sprachen eine neue Sprache, gaben sich selbst die Regeln, nach denen sie leben wollten, nach denen sie kommunizieren wollten. So entstand die Netiquette. Nicht aus irgendwelchen überkommenen Traditionen, aus irgendwelchen Altherrenmoralen der Religionen, sie kam aus dem Schwarm.
Und was daran ist jetzt politisch? Nichts. Überhaupt nichts. Ein großer Teil der Netizen hatte noch nie irgendwas mit Politik am Hut.
Es gibt da eine Parallele, die ich ganz vorsichtig ziehen möchte. Es gab mal Jugendliche, die an Wochenenden gerne aus den Städten heraus auf Fahrt gingen. Die von den Steppen des Ostens und den Prärien des Westens träumten, die von fernen Häfen sangen und Karl May lasen. Die zum größten Teil unpolitische bündische Jugend. Sie wurden von den Nazis verboten, man wollte sie in die HJ gleichschalten, und so machte man sie politisch. Sie wurden zu einem der viel zu wenigen Beispielen von politischem Widerstand in Nazideutschland, und – und deswegen kam ich überhaupt auf den Begriff - die Nazis nannten sie Edelweißpiraten.
Und auch wenn wir heute in einer halbwegs demokratischen Zeit leben, und man die CSU nicht direkt als Nazis bezeichnen will – der Prozess ist erstaunlich ähnlich.
Wie die Nazis die Bündischen einst „Piraten“ nannten, um sie zu diskreditieren, so wurden Netizen „Piraten“ genannt, die ihre Daten weitergaben, Musik verteilten, Filme verteilten und vielleicht sogar dieses Büchlein mal verteilen werden (Aber dazu später…). Und wie die Nazis die Bündischen verboten und kriminalisierten, so kriminalisierte die Politik und die Industrie die Filesharer und tut es noch. Und man versucht immer wieder die den Netizen so wichtige Freiheit eklatant einzuschränken. Und so wurde auch das Netz politisiert, so wurde es in einen Widerstand gedrängt, der noch gar nicht so sehr begonnen hat, wie man es glaubt. Da wird noch sehr viel kommen.
Aber ich habe immer noch nicht erklärt, was Plattformneutralität jetzt wirklich ist, und warum sie 42, also die Antwort ist. Wir gehen davon aus, dass wir die Freiheit, die wir im Netz gefunden haben, auch auf die ganze Welt übertragen können. Und dass das nicht nur für uns gilt, sondern auch für alle anderen. Wir sehen Freiheit eben anders als die FDP. Für die ist Freiheit das Recht des Stärkeren, die Freiheit, alle Welt auszunutzen und zu versklaven, weil das Geld schon regelt. Wir sind der Meinung, dass Freiheit etwas anderes ist. Zum Beispiel die Freiheit, auf die Weise glücklich zu werden, die man sich selbst aussucht. Es geht um freien Zugang, freien Zugang zu Wissen, zu sozialem Miteinander, zu gesellschaftlicher Teilhabe. Und das eben nicht nur für uns, sondern für alle, über alle erdenkbaren Grenzen hinweg. Das ist Plattformneutralität.
Plattformneutralität bedeutet, ich logg mich irgendwo ein und habe dieselben Voraussetzungen. Wenn man diese Freiheit einmal miterlebt hat, dann möchte man eben diese Freiheit überall – und weil wir naiv genug sind, einer Partei beizutreten, müssen wir wohl auch naiv genug sein, daran zu glauben, dass das eigentlich machbar wäre.
Wenn wir also dieses Ding mit der Politik machen, wenn wir uns ein neues Feld der Politik erarbeiten, was ja im Moment noch möglich ist, wir haben das Vollprogramm ja noch nicht fertig, dann denken wir genau von diesem Fundament aus. Die neutrale Plattform ist der Boden, auf den wir unsere Gedankengebäude bauen – und eben nicht auf Luft oder Sand, und das sollte jeder verstehen, der die Piraten verstehen will.
Aber es gibt noch etwas. Den Kodex! Da stehen eine Menge wichtiger Punkte drin, und jeden dieser Punkte sollte man unterschreiben können, wenn man Pirat ist. Da steht drin, dass Piraten frei sind, friedliebend und neugierig, erfinderisch und sozial und noch manches mehr. Vor allem bekennen wir uns auch dazu, eine globale Bewegung zu sein. Wir freuen uns ohne Abstriche über Parteigründungen in anderen Ländern, unterstützen, wo wir können. Piraten waren immer wieder dabei, wenn es darum ging, vom Internet abgeriegelte Länder zu versorgen – Telefonmodems for the win – und Piraten aus ganz Europa treffen sich auf dem Mumbleserver der NRW-Piraten – gastfreundlich sind wir auch.
Wir sind Teil einer Bewegung, zu der auch Teile der Anonymus-Gruppen gehören, die Occupys und Wikileaks und viele andere, die etwas bewegen wollen. Wir sind politisch, weil wir von den Regierungen und den Konzernen politisiert wurden, und die werden uns auch nicht mehr los. Wir Piraten sind der politische Arm der Bewegung. Wir gehen den Weg, den schon andere versucht haben. Aber wir sind die Hacker. Wir hacken das politische System, lernen, was wir lernen müssen, und zwar, bis wir das System verstehen. Und dann lassen wir uns eben nicht einlullen und fügen uns nahtlos ein, wie das die Grünen gemacht haben, wir bleiben chaotisch und behalten die flachen Hierarchien. Wir nutzen unsere Kreativität und Intelligenz nicht, um nur das eigene Klientel zu bedienen oder uns selbst zu bereichern, wir machen ernst mit guter Politik!
Und wir behalten im Hinterkopf: Plattformneutralität ist 42!
Ja, den doofen Spruch habe ich schon gehört, den von, wir sind nicht rechts, nichts links, wir sind vorn. Aber das ist letztlich eben nur ein doofer Spruch. Die einzige Wahrheit dahinter ist, dass wir jegliche Dogmatik ablehnen, keine Ideologien brauchen. Da hat es sich aber auch schon.
Piraten sind in vielen Sachen eindeutig positioniert. Sie sind nicht konservativ, lehnen Veränderung nicht ab, weil es Veränderung ist, sie suchen nach neuen Argumenten, streiten über Lösungen, und natürlich ist das sehr unideologisch. In vielen Sachen haben wir auch neue Antworten auf alte Fragen gefunden, noch häufiger antworten wir auf neue Fragen, für die die etablierten Parteien nur irgendwelche Antworten haben, die sie mal irgendwann auf andere Fragen hatten, und die je nach Partei zwischen dreißig und hundert Jahren alt sind.
Trotzdem ist „Nicht rechts, nicht links!“ leider totaler Blödsinn und bestenfalls ein ungeschicktes Haschen nach konservativen Stimmen. Viele Mitglieder der Piratenpartei haben einen politischen Kompass ausgefüllt und in ihrem Wiki-Profil verlinkt. Es gibt ein Skript, dass diese Profile übereinander legt, und dieses Skript ist sehr eindeutig. Wir sind links-liberal – zumindest der absolut überwiegende Teil von uns.
Und das ist ja auch gut so. Wir distanzieren uns von Nationalismus und Rassismus, sind größtenteils säkular eingestellt und nehmen die Sache mit der Teilhabe für alle ernst, klar ist das links. Und wenn wir sagen, dass wir in Sachen Grundgesetz konservativ sind, dann ist das ein netter Spruch, aber eben leider auch Unsinn. Natürlich nehmen wir die Würde des Menschen ernst, halten die elementaren Menschenrechte hoch – aber es gibt durchaus Sachen, die ganz prinzipiell ins Grundgesetz rein könnten, und wenn wir das können, werden wir das auch durchsetzen. Und sieht man zum Beispiel die Grundgesetzänderung aus den Neunzigern, die es dem Staat ermöglicht, Asylbewerber wie Abschaum und Verbrecher zu behandeln, eine Grundgesetzänderung die unter dem Druck von Bildzeitung und Nazianschlägen entstand, dann ist mit Sicherheit unter neunzig Prozent der Piraten absolute Einigkeit, dass das zurückgeändert werden muss.
Man kann die Frage auch anders herum betrachten. Rechte Gesinnung würde bedeuten, man glaubt, dass manche Menschen besser sind als andere. Das tun wir nicht. Rechts heißt, dass irrationale Traditionen wichtiger sind als Vernunft. Nicht unsere Welt. Rechts heißt, möglichst viele Schubladen basteln und die Leute bequem hineinsortieren. Wir leeren die Schubladen aus und werfen sie auf den gerechten Scheiterhaufen der Geschichte, dorthin, wo sie hingehören. Wenn man so definitiv nicht rechts ist, kann man wohl kaum Mitte sein, oder?
Der große Unterschied zu den Linken, die ja mit Teilen der Grünen die einzigen sind, die wenigstens in Teilen brauchbar denken, ist das Fehlen der Ideologie bei uns. Und noch wichtiger, wir haben eine deutlich andere Idee, was den Staat angeht.
Auch wenn man anderes glauben könnte, wenn man unser Wiki sieht, sind wir keine begeisterten Fans von Bürokratie – selbst in unseren GO-Schlachten nicht. Mit uns könnte man das einfache Steuersystem machen – auch wenn dann Steuerberater so überflüssig würden, wie sie viele von uns finden. Mit uns könnte man die großen echten Reformen machen, von denen die anderen immer sprechen – nur würden wir sie für Menschen machen, nicht für Konzerne. Wir wollen vom Staat weitestgehend in Ruhe gelassen werden. Wir verwechseln das allerdings nicht wie eine „liberale“ Partei, von der man früher mehr hörte, die ihre Entscheidungen an Lobbyverbände verkauft, damit, dass wir vom Staat in Ruhe gelassen werden wollen, damit wir in dieser Ruhe Menschen betrügen und ausbeuten können.
Liberal? Ja! Links? Warum auch nicht?
Netzpolitische Themen liegen den Piraten nicht nur, weil sie viel übers Netz kommunizieren. Bisher sind wir schlicht die einzigen, die das Netz überhaupt verstehen. Also reden wir über Datenschutz auf eine gänzlich andere Art, als das die anderen Parteien tun.
Es gibt auch ein paar Gedanken, die wahrscheinlich alle bei uns teilen. Zum Beispiel, das wir es nicht mögen, wenn der Staat, wenn die Obrigkeit in unsere Daten schauen will. Wir sind durchaus nicht alle einer Meinung, ob man nun mit seinen Daten sparsam umgehen soll, oder eher nicht. Aber wir sind uns sicher, dass wir alle selbst darüber entscheiden sollen, dürfen und müssen, was mit unseren Daten passiert. Also gibt es verschiedene Institutionen, die man aus seinen Kreisen raushalten will. Die Ablehnung eines staatlichen Datenkraken ist Allgemeingut.
Dabei gehen wir einfach davon aus, dass das daran liegt, dass die Denkweise von Staatsdienern verhältnismäßig überdurchschnittlich weniger liberal oder libertär sind, als wir selbst. Und da staatliche Einrichtungen irgendwie einen Hang dazu haben – wir sind ja alle nur Menschen – nicht total verantwortungsvoll mit Daten umzugehen, möchten wir schlicht unsere Daten nicht an den Staat weitergeben.
Dabei ist es durchaus nicht so, dass wir etwas zu verbergen hätten. Das ist ein Vorwurf, der gerne mal aus stumpf-konservativen Kreisen herausmuht. Die Begründung für staatliche Datensparsamkeit ist sehr einfach: Es gibt Menschen, die möchten aus welchen Gründen auch immer, wahrscheinlich einfach aus einer gar nicht rationalen Neigung heraus, möglichst wenig über sich in anderen Händen wissen. Und das respektieren wir nicht nur, das finden wir auch nicht völlig unvernünftig. Da es niemanden schädigt, wenn der Staat möglichst wenige Daten über seine Bevölkerung hat, ist es ein sinnvolles Ziel, jedem Bürger zu ermöglichen, dass eben nicht alles Mögliche und Unmögliche über ihn von staatlicher Seite gespeichert wird.
Okay, das ist jetzt ja letztlich auch keine Überraschung. Wir sind ja irgendwie liberal. Da passt es ja ganz gut zu, dass wir gar nicht so sehr regiert werden wollen. Also wollen wir auch nicht, dass der Staat besondere Macht über uns bekommen soll – und Daten sind nun mal Wissen und damit auch Macht. Und der wichtige Punkt dabei ist nicht die Angst vor dem Staat, sondern das Wissen, dass wir alle der Staat sind. Und wir haben doch gar kein Interesse daran, über Daten in die Leben von anderen einzugreifen, oder?
Aber Datenschutz hat ja noch mehr Dimensionen, und da kommen wir jetzt in Bereiche, die wirklich schwierig sind. Es gibt nämlich sehr verschiedene Bewohner des Netzes, und die gehen auch sehr verschieden mit dem Netz und mit ihren Daten um. Die meisten Internetuser sind relativ sorglos, vertrauen ihre Fotos und Interessen bedingungslos Facebook oder anderen Netzwerken an, erzählen Google ständig, was sie interessiert, damit die besser Anzeigen einblenden können und sind sich dessen gar nicht bewusst.
Netizen sind üblicherweise da viel bewusster. Und eine große Menge davon, gerne die, die aus der Richtung Anonymous kommen – der Name ist halt Programm – sind sich nicht nur der Datennutzungen bewusst, sie reagieren auch darauf. Viele reagieren mit etwas, was nahe an Paranoia ist. Mehrfache Proxys, Verschlüsselungen und Stimmverzerrer, wenn ein VoIP-Programm genutzt wird. Ich habe jetzt sogar ganz kurz so getan, als ob ich Ahnung von Technik hätte, ich kann ruhigen Gewissens beschwören, dass dem nicht so ist. Das ist auch schon ein Grund, warum ich nicht so paranoid bin, ich könnte mich auch gar nicht so schützen. Übrigens soll das jetzt keine echte Abwertung sein. Ich respektiere die, die sich verbergen, so lange sie auch akzeptieren, dass ich nicht so drauf bin.
Auf der anderen Seite steht die Spackeria. Und die sind ganz anders drauf. Da ich noch nicht Mitglied war, als diese ganze Spackeria-Sache anfing, kann ich das gar nicht so gut erklären. Offenbar hat man sie beschimpft, und wie das ja des Öfteren vorkommt, haben sie den Namen angenommen, und sich die Datenschutzkritische Spackeria genannt – und diese Gruppe gehört zu der Post Privacy-Bewegung. Der Gedanke dahinter ist, dass selbst mit großem technischem Aufwand es nicht mehr möglich ist, ungooglebar zu werden, dass man sich nicht mehr wirklich privat halten kann, es sei denn, man lebt vollkommen offline – und selbst dann wird es wahrscheinlich schwierig. Und man kann daraus den Schluss ziehen, dass es durchaus Sinn macht, öffentlich zu leben. Über alles zu bloggen und zu twittern, eine öffentliche Person zu sein. Man kann so viele Informationen verbreiten, dass man ein rundes Bild von sich präsentiert, dass jeder, der einen googelt von Informationen erschlagen wird. Vor allem, und das erklärt hoffentlich den Post-Privacy-Gedanken, ermöglicht eine Fülle von Informationen ein stimmigeres Gesamtbild. Lehnen wir die Fassadenmenschen nicht ab? Die Typen, deren Haus immer picobello aussieht, deren Wagen immer frisch gewaschen glänzt und der dann hinter der Fassade Frau und Kinder schlägt? Post Privacy heißt, dass es keine Fassaden mehr gibt.
Ich habe auch so was wie eine eigene Sicht der Dinge. Da ich wenig nerdig bin und auch keine Paranoia habe, also außer manchmal, wenn ich verfolgt werde, ist mir das mit der Datensparsamkeit nicht wirklich möglich. Außerdem bin ich Gaukler, Schaubudenbesitzer und Rampensau – will heißen, wenn jemand über meine Tweets lacht, darf er ruhig wissen, dass sie von mir sind. Nein, Unsinn, er muss es wissen! Wofür mach ich das sonst?
Ich gebe allerdings zu, dass ich nicht twittere, wenn ich gerade schön masturbiert habe, oder wie flüssig mein Stuhlgang ist. Das überlasse ich gerne anderen. Ich denke schon darüber nach, was ich so twittere oder poste, manchmal sogar darüber was ich blogge oder in Bücher schreibe, aber ich bin ziemlich offen, manchmal offener als das schicklich ist, oder offener, als es gut für mich ist. Ja, ich verstehe die Post-Privacy besser als die Paranoia, ich finde es aber auf jeden Fall gut, dass wir beide Extreme in der Partei haben, auch wenn das manchmal dazu führt, dass wir schmerzhaft über einige Sachen streiten. Hauptsache ist, dass wir im Gegensatz zu anderen Parteien bewusst damit umgehen, wissen was wir tun und wirklich darüber streiten, wie wir zu einem besseren Umgang mit Daten kommen. Das erscheint mir auf jeden Fall mehr Datenschutz, als sie erst mal auf Vorrat zu speichern und dann zu überlegen, ob man sie auch schützen muss.
Als ich den Piraten beitrat, meinte ein Bekannter, der sich wie ich für einen Urheber hält, dass ich ja nun der politische Feind wäre, da die Piraten ja das Urheberrecht abschaffen wollten.
Wir stehen hier vor einem echten Problem. Weil es einfach nicht stimmt. Die Parteimeinung ist nicht nur viel fortschrittlicher als alles, was andere Parteien bisher geschafft haben, wir sind sogar relativ gemäßigt – unter anderem, weil wir hier schon extrem konkrete Positionen vorliegen haben, quasi Gesetzesvorlagen. Das ist etwas, was wir nicht bräuchten, so konkret braucht eine kleine Oppositionspartei nicht sein, so konkret können wir auch nur sein, weil wenige ein heftiges unbezahltes Arbeitspensum in das Thema gesteckt haben. Wir sind so konkret, weil wir dadurch widerlegen können, dass wir das Urheberrecht abschaffen wollen, und weil wir damit auch zeigen können, dass wir durchaus mehr Inhalte haben, als man uns so landläufig billig vorwirft. Dass natürlich immer noch gesagt wird, wir wollten das Urheberrecht abschaffen, klar, kommt vor. Es gibt ja auch immer noch Leute die an die Schöpfung in sieben Tagen glauben, oder bestreiten, dass es die Shoah gab. Dummheit ist nun wirklich überall anzutreffen. Aber seid gewiss, liebe Leser, wenn Euch jemand sagt, die Piraten wollten das Urheberrecht abschaffen, dann sagt nichts, und lacht. Ihr habt wieder jemanden gefunden, der sich nicht informiert und lieber dumme Klischees wiederkäut.
Ich für meinen Teil habe mich nach dem Eintritt dann halt ziemlich in das Thema reingehauen, weil ich selbst die eine oder andere Uhr hebe und mich das Thema also angeht. Ich habe mehrfach meine Meinung relativ stark revidiert, auf der einen Seite, weil man Fakten nun mal nicht widersprechen kann – zum Beispiel das Fakt, dass Leute, die sich viel Musik und Filme saugen zum größeren Teil auch gerne DVDs und Kino- oder Konzertkarten kaufen. Ist so, ist erforscht. Leute werden ja durch Downloadportale angefixt und wenn sie das nötige Geld haben, investieren sie es auch gern in Musik und Film.
Die andere Wandlung erfolgte durch eigenes Nachdenken, und heute bin ich ein bisschen quengelig, dass wir als Partei so ein konkretes und visionsloses Urheberrechtsprogramm haben – klar, für die etablierten Parteien wäre es höllisch innovativ, aber wir könnten auch schon weiter sein.
Wie so vieles hat der entfesselte Markt das eigentlich sehr gut gemeinte Urheberrecht so instrumentalisiert, dass Milliardengeschäfte getätigt werden, der Otto-Normal-Urheber dabei aber völlig übers Ohr gehauen wird. Ich versuche es mal so zu erklären. Würde sich jemand
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2013
ISBN: 978-3-7309-3961-1
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