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Salatgurke mit Verspätung

 

Hannes

 

 

„Mist! Nicht das auch noch. Das darf jetzt echt nicht wahr sein...“ fluche ich in die Stille meiner Küche. Eigentlich sollte man mit 43 Jahren ja über den Dingen stehen. Tue ich auch, denn mir zu Füßen liegt eine Salatgurke. Lächerlich, ein Scherbenhaufen wäre schlimmer, obwohl Scherben auch wieder Glück bedeuten. Kein Grund zu fluchen? Stimmt! Das weiß ich auch, doch meine Nerven sind zum Bersten gespannt. Nein, im Grunde sind sie nicht mehr vorhanden. Resigniert lasse ich mich auf meinem Küchenstuhl nieder.

 

„Reiß dich zusammen!“ Nach nicht einmal einer Woche zu Hause, führe ich schon Selbstgespräche. Und warum das Ganze? „Ach, ich könnte mir in den Hintern beißen!“ Letztes Wochenende bin ich mal wieder in den Wald. Nun, nicht zum Wandern, obwohl es meinem fortgeschrittenen Alter wohl mehr entsprechen würde. Nein, Fahrradfahren oder eher Mountainbiken wie es heutzutage genannt wird. Soweit nichts Außergewöhnliches, doch diese Baumwurzel…wieder liegt mir ein Fluch auf den Lippen. Jedenfalls endete mein Ausflug in der Notaufnahme und seither ziert ein Gips meinen rechten Arm.

 

„Bis in sechs Wochen wird alles soweit verheilt sein. Sollte zwischenzeitlich nichts schmerzen kommen sie dann zur Nachkontrolle wieder“, höre ich den Arzt sagen. Mit Schmerztabletten versorgt kehrte ich in meine Wohnung zurück und dachte…ja was eigentlich? Es könnte nicht schlimmer kommen oder sechs Wochen Urlaub auf Krankenschein sind nicht das Schlechteste. Eines Besseren belehrt, frei dem Motto >schlimmer geht immer< ist mein Leben seither das reinste Chaos.

Ein Blick zur Küchenuhr lässt keine Zeit für Selbstmitleid, in 45 Minuten steht Ben auf der Matte. Ein Griff unter die Spüle und mit meinem Kehrwerkzeug befördere ich kurzerhand den Salat in die Tonne. Wobei kurzerhand nicht ganz stimmt, in Wahrheit hat mich diese Kleinigkeit ganze fünf Minuten gekostet. Gut, nach der letzten Woche als einarmiger Bandit überrascht mich das nicht wirklich. Dennoch, Zeit zum Trödeln bleibt mir nicht. Immerhin will ich mich kurz frisch machen und eine Rasur wäre auch angebracht. Im Grund ist es Ben wahrscheinlich völlig egal, wie ich aussehe, mir eben nicht. Eitel? Nein, so würd ich das nicht nennen, doch ich habe schon immer auf mein Äußeres geachtet und nur wegen des voranschreitenden Alters, oder gerade deshalb, lasse ich mich nicht gehen. Wenn ich da an manchen Kollegen in der Firma denke, erschreckend.

 

Während ich eine neue Jogginghose anziehe - den Vorteil eines Gummibunds habe ich zu schätzen gelernt, Reißverschlüsse erweisen sich derzeit einfach als zu widerspenstig – lasse ich meine Gedanken wieder zu Ben schweifen. Vor knapp einem Jahr ist er hier eingezogen, nicht bei mir, in das gleiche Haus. Irgendwann sind wir uns dann im Keller begegnet, jeder mit seinem Bike an der Hand. Kurzum, aus dem gemeinsamen Hobby hat sich mit der Zeit eine Freundschaft entwickelt und wir haben hin und wieder was gemeinsam unternommen.

 

Mittlerweile den Rasierer in der Hand, sehe ich meinem verträumt lächelnden Spiegelbild entgegen. Ich schreibe es noch heute meinem unterentwickelten Gayradar zu, dass ich erst drei Monate später durch Zufall erfahren habe, dass Ben am gleichen Ufer fischt. `Schwule erkennen Gleichgesinnte´, ein Trugschluss, zumindest für mich. Diese Fähigkeit habe ich, auch nach drei Jahrzehnten, nicht entwickelt. Stört mich nicht weiter, denn One-Night-Stands sind nicht meins und Beziehungen hatte ich trotzallem, wenn auch nicht sonderlich viele. Und die letzte Zeit bin ich auch nicht wirklich auf was Festes aus. Die einzige Konstante ist Ben.

 

„Autsch“, ja selbst schuld, wenn man nicht bei der Sache ist und auch noch mit der falschen Hand den Rasierer führt. Nicht weiter schlimm, aber eben ärgerlich. Wo war ich? Richtig, Ben. Er ist da anders gestrickt, ONS und Affären wechseln sich ab. Woher ich das weiß? Nun, die eine oder andere Anekdote hierzu ist quasi ein Ritual unserer Treffen geworden. Meist nach dem zweiten Bier lausche ich den Geschichten seiner neuesten Eroberungen. Und ich bin ein guter Zuhörer. Jetzt nicht, dass ich die Geschichten für mein Kopfkino brauche oder nutze. Es ist Bens Stimme die ich einfach gerne höre, eigentlich versinke ich eher in ihr - tief und rau, gleichzeitig melodisch und sanft. Apropos sanft, nicht der erste Eindruck den man von Ben hat, wenn er vor einem steht. Mit 1.95m durchtrainierter Muskelmaße gleicht er eher dem sprichwörtlichen Schrank auf zwei Beinen. Einzig seine strahlend blauen Augen…

 

„Ja. Mist verdammter“, noch ein Schnitt ziert meine Wange und sonderlich weit bin ich auch noch nicht gekommen.

 

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Ben

 

 

Jetzt klingle ich schon zum fünften Mal bei Hannes an der Wohnungstüre. Erst hatte die Bahn ihre obligatorische Verspätung,  dann hab ich mich beeilt um nach Hause zu kommen, Dusche und Kleidungswechsel im Eiltempo abgehakt, nur um jetzt auf dem Hausflur zu stehen. Gut, die letzte Woche Fortbildung hat nicht zu meiner guten Laune beigetragen. Dennoch habe ich mich auf den gemeinsamen Abend mit Hannes gefreut. Hat er abgesagt? Ich weiß es gerade nicht, denn mein Handy liegt unten in meiner Wohnung. Akku leer! Das Ladekabel hatte ich sinniger Weise zu Hause liegen lassen. Gerade als ich mich zur Treppe umdrehe vernehme ich ein gedämpftes Fluchen. Zumindest scheint er da zu sein und wohl auch nicht bester Laune.

 

„Hi Ben, war gerade noch im Bad“ höre ich Hannes Stimme, während er mir die Tür öffnet. Bevor ich richtig eintreten kann schaue ich in das Gesicht meines Freundes und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Seine rechte Wange zieren zwei Schnitte, während die linke noch unberührt ist. Sieht komisch aus und passt nicht zu ihm.

 

„Hallo, was ist denn mit dir passiert?“ entgegne ich prompt.  Mit „Komm erst mal rein“ werde ich durch gewunken und eine Mischung aus Freude und Frust blickt mir entgegen. Ohne eine weitere Antwort laufe ich in den kleinen Flur weiter, um mir die Schuhe abzustreifen und setze meinen Weg Richtung Küche fort. Während ich hinter Hannes herlaufe, lasse ich meinen Blick über ihn schweifen. Wie immer lässt seine Kleidung nur erahnen welch eine Sahneschnitte darunter verborgen ist. Obwohl Hannes zwölf Jahre älter ist, der ein oder andere Silberstreifen seine Haare ziert, braucht er sich nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil! Dank unseres gemeinsamen Hobbys und der damit verbundenen Sportbekleidung weiß ich sehr wohl, welch durchtrainierter Körper sich hier vor mir befindet. Erst als er mir ein wenig unbeholfen ein Bier in die Hand drückt, fällt mir auch sein Gips am Arm auf. Tja, da war ich mit meinen Gedanken woanders.

 

„Und?“, frage ich nochmals und nehme den ersten Schluck, meinen Blick weiter auf Hannes gerichtet. „Kurzfassung – mit dem Bike unterwegs und eine Baumwurzel übersehen – mit dem Ergebnis mehrere Wochen Zwangspause auf Rezept“, gibt er schulterzuckend von sich.

 

„Oh, dumm gelaufen“, meine ich salopp, denn ´tut mir leid´ ist zu förmlich und auf Mitleid ist Hannes ganz sicher nicht aus. Und ´wie ist das passiert´ na da kann ich selbst ein Lied von singen. Fairer Weise muss ich allerdings ergänzen, dass ich lediglich Prellungen davon getragen habe, doch Mountainbiken im Stadtwald ist eben nicht ganz ungefährlich. Meinen Blick immer noch starr auf sein Gesicht gerichtet wird mein Lächeln etwas größer.

 

„Ich meinte eher den halb gerodeten Urwald in deinem Gesicht. Oder hat sich in meiner Abwesenheit die Mode geändert?“ Mit einem Seufzen setzt sich Hannes an den Tisch. War das jetzt zu viel? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann setzt Hannes seine Erklärung auch schon fort und ich lasse mich ihm gegenüber auf einem Stuhl nieder.

 

„Schön, dass es dich amüsiert. Aber mal ehrlich, seit einer Woche ist hier Ausnahmezustand. Der Einkauf zu Fuß – geht…an der Kasse mit nur einem Arm – ist schon schwieriger…im Haushalt braucht halt alles etwas länger – es läuft ja nichts weg…ich kann nicht anziehen was ich will und die Zeit im Bad…nun das Ergebnis sitzt dir gegenüber“,  schließt er seinen Bericht. Schweigend beginnen wir mit dem Essen. Denn entgegen der landläufigen Meinung wir Männer seien zu Multi-Tasking nicht fähig, habe ich derweil unsere Teller gefüllt. Während ich mir die Pasta schmecken lasse berichte ich zur Ablenkung von meiner Fortbildungsreise.

 

Die Teller sind schon eine Weile leer und wir sitzen uns schweigend gegenüber. Zum einen ist mein Bauch gefüllt, eine gewisse Trägheit hat mich erfasst, zum anderen scheinen wir beide unseren Gedanken zu folgen. Es ist eine angenehme Stille, keiner versucht zwanghaft ein Gespräch am Laufen zu halten. So war das seit Beginn. Mit Hannes kann man über alles reden, aber eben auch schweigen. Ich überlege wie ich Hannes mit seinem Handicap auf Zeit vielleicht helfen könnte. Anfangs hab ich in solchen Momenten mit Hannes geflirtet, ihn gemustert, seinen Blick aufgesogen. Ich bedauere es schon ein wenig. Nicht unsere Freundschaft, die möchte ich nicht eintauschen, denn wir harmonieren fast perfekt miteinander. Eher die Tatsache, dass es darüber hinaus nicht mehr gibt. Aber lieber eine gute platonische Beziehung als gar keine.

Fußball in Gedanken

 

Hannes

 

 

„Wollen wir ins Wohnzimmer gehen? Das Spiel sollte gleich anfangen.“ Eigentlich wäre das mein Satz als Gastgeber, doch es ist schließlich nicht unser erster gemeinsamer Abend und Ben weiß einfach, dass ich mich gerne mal in meinen Gedanken verliere. Er nimmt mich einfach wie ich bin.

 

„Ja klar, nimmst du noch zwei neue Bier mit? Ich komme gleich nach“, sage ich und gehe noch schnell ins Bad um mich zu erleichtern. Bei meiner Rückkehr muss ich schmunzeln. Da sitzt er auf dem Sofa, die Beine von sich gestreckt, die Arme vor der Brust verschränkt und lauscht dem Vorbericht der Moderatoren. So als würde er genau hierher gehören. Das habe ich in der letzten Woche vermisst. Nicht allein zu sein. Über meine Gedanken selbst überrascht, laufe ich kopfschüttelnd die letzten Schritte zum Sofa.

 

„Was?“

 

„Nichts, was Interessantes?“

 

„Dauert wohl noch, irgendwelche Probleme auf dem Platz.“

 

Und schon ist alles gesagt und der Bildschirm hat unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Für Außenstehende könnte es den Eindruck erwecken wir wären uns nicht wichtig, doch das stimmt nicht. Es ist unkompliziert. Wäre nur alles so einfach wie mit Ben. Am Mittwoch waren David und Martin zu Besuch. Nach einer Stunde wusste ich alle Neuigkeiten aus unserer Stammkneipe, hatte die komplette Reiseroute inklusive Sehenswürdigkeiten als Vorabinformation und kannte – aus gegebenem Anlass – die Krankengeschichte von beiden seit Kindheitstagen an. Dagegen ist diese Ruhe geradezu eine Wohltat. Kein `hörst du uns überhaupt zu` oder ´bist du schon wieder am Träumen´…nichts dergleichen.

 

Seit fünf Jahren kenne ich die zwei schon, also David und Martin. Da waren sie noch kein Paar wie heute, im Grunde konnten sie sich nicht leiden. David kam damals frisch zu uns ins Büro und in einer Pause lernten wir uns am Snackautomaten kennen. Ein Wort ergab das andere und  so dauerte es nicht lange bis wir über die Bezeichnung Arbeitskollege hinaus auch Freunde wurden. Dass wir beide homosexuell sind erleichterte vieles, unter Gleichgesinnten lässt sich vieles ungezwungener bereden und man braucht verschiedene Themen nicht umschiffen. Jedenfalls zählte David zu meinem Freundeskreis und somit auch zu dem von Stefan, meinem Ex. Einfach nur Ex. Denn Ex-Freund wäre zu höflich in der Umschreibung. Ex-Mann, zum Glück ist es im Nachhinein nicht so weit gekommen und die korrekte Bezeichnung, auch eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung einer Körperöffnung, nun die verbietet meine gute Kinderstube. Also schlicht Ex. Aber zurück zu den beiden. So wie ich ihn in unsere Runde mitbrachte, genauso kam Martin über Stefan zu uns. Warum die zwei sich anfangs nicht riechen konnten, besser gesagt, wie die Bullterrier ständig auf der Lauer lagen, weiß ich bis heute nicht. Denn dazu schweigen beide beharrlich. Da waren sie sich komischerweise von  Beginn an einig. Und als sie eines Tages zu einem unserer Treffen kamen und sich als Paar präsentierten, da dachte ich, es sei eine Phase und der nächste Streit wäre nicht weit. Zu aller Erstaunen, vielmehr zu meinem, sind sie bis heute zusammen. Nicht nur das, seit letztem Sommer sind sie sogar verheiratet. Der bittere Beigeschmack bleibt, nicht das ich ihnen ihr Glück nicht gönne. Im Gegenteil. Doch zu sehen, was einem selbst verwehrt wurde ist, als…

 

„Hannes? ...Hannes hast du zugehört?“, werde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen.

 

 „Ähm nein“, entkommt es mir wenig geistreich.

 

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Ben

 

 

„Das hab ich bemerkt. Das Spiel verzögert sich auf unbestimmte Dauer“, antworte ich lächelnd und drehe mich seitlich zu Hannes. „Da uns außer Warten nichts bleibt…Wo warst du gerade?“, frage ich meinen Träumer. Moment, meinen Träumer? Ich dachte, die Phase hätte ich hinter mir gelassen. Zu behaupten, ich wäre mehr gegenüber abgeneigt, wäre eine glatte Lüge. Zugegeben, nachdem meine anfänglichen Flirtversuche nicht erwidert wurden, habe ich mich zurückgezogen. Es bei unserem rein freundschaftlichen Verhältnis belassen. Trotzdem, den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht, wenn er es auch gleich wieder gut versteckt, kann – nein, will ich jetzt nicht ignorieren. 

 

„Ach, ich hab an David und Martin gedacht. Die sind übrigens gerade in ihren zweiten Flitterwochen“, entgegnet Hannes, doch das erklärt jetzt nicht seine Mimik. Da wir im Fernsehen die nächste Zeit nichts verpassen, schalte ich mal eben auf stumm. Ich habe so ein Bauchgefühl, dass da mehr dahinter steckt. Zeit für ein Verhör, beschließe ich kurzerhand. Möchte man etwas wissen, muss man fragen. Vor allem bei Hannes, das habe ich zwischenzeitlich gelernt.

 

„Richtig, sowas haben sie erzählt, als wir in der Kneipe waren. Was noch?“

 

„Wie was noch? Was meinst du?“, kommt die Gegenfrage von Hannes.

 

Doch ich bin neugierig und werde ihn heute mal nicht so einfach ablenken lassen.

 

„Na, an was hast du noch gedacht? Ich kenne deinen ich-bin-woanders-Blick und da steckt mehr dahinter!“

 

Sein erstaunter Blick bestätigt meine Vermutung. Wobei ist er jetzt über meine Nachfrage erstaunt, oder weil ich nicht wie sonst das Thema wechsle? Seit wir uns kennen habe ich nie großartig nachgefragt. „Was willst du hören, Ben?“, hakt er nach. Ja, was will ich eigentlich? Die gleiche Frage hab ich mir zu meinen 30ten Geburtstag vor einem Jahr schon gestellt. `Hab deinen Spaß, bleib für dich` beharrt ein Teil von mir, `du wolltest einen Neuanfang, bitte hier ist die Chance` entgegnet der andere. Zu oft hab ich den immer wieder gleichen Dialog in meinem Kopf geführt. Der Jobwechsel, der Umzug hierher schien perfekt. Neue Stadt, neuer Job, neue Freunde...Freunde, damit fing doch alles erst an. Zuerst stellte mir Marc seinen Freund, also Partner nicht nur Freund, vor…dann kam Helen in unsere Runde…und so weiter. Jedenfalls ist dieser ganze Pärchen-Boom an mir vorbeigezogen und ich saß allein da. Natürlich gibt’s die Clique noch, aber eben anders. Und zu genau der Zeit begannen auch diese Dialoge mit mir selbst. Richtig, meine Stimmen…die eine nennt es Selbstschutz, lenkt mich in gewohnten Bahnen zwischen ONS und Affären hindurch. `Geh einfach, alles gut`…`Bleib, trau dich` mahnt die andere, schubst mich ins Neuland und lässt mich auf dem Sofa verharren. Sofa…Hannes... 

 

„Hannes“, murmle ich, um mich wieder an unser Gespräch zu erinnern und schau zu ihm rüber.

 

„Hannes?“, knirsche ich etwas lauter, denn der Platz neben mir ist leer. Wo ist er? Und wann bitte ist er aufgestanden?

Kaffee unter Spannung

 

Hannes

 

 

„Küche“, erteile ich weiter vor mich hin lächelnd Auskunft. Ich lausche den sich leise nähernden Schritten. Ein Blick über die Schulter werfend sehe ich einen leicht zerknirschten Ben im Türrahmen stehen. „Setz dich“, fordere ich, „Kaffee ist gleich fertig.“ Die letzten Handgriffe machend fahre ich fort „Ich dachte du bist vielleicht müde oder erschöpft. Auf meine Frage hast du nicht geantwortet,  überhaupt so abwesend kenne ich dich nicht. Und die Tagträumerei ist eher mein Part. Aber du kannst auch…“

 

„Nein, alles ok. Danke“, unterbricht er mich. Noch bevor ich die Tassen vor uns abstellen kann, höre ich ein leises „Alles“. Erwidern tue ich nichts, das Fragezeichen steht mir mitten im Gesicht. Jetzt wäre der Zeitpunkt für weitere Ausführungen, doch Ben starrt in seine Tasse und ich starre auf Ben.

 

„Alles was?“, hake ich nach, „Gab es Schwierigkeiten auf der Fortbildung oder hast du private Probleme?“, anders kann ich mir die Situation gerade nicht erklären. Ich meine, ich kenne Ben, er ist nie so…so weit weg. Jetzt sitzt mir eine Art Spiegelbild gegenüber. Dabei ist es immer seine lockere, lustige Art, die mich entweder aus meiner Träumerei holt oder eben diese kommentiert, ohne je verletzend zu sein. Rollentausch mal anders, aber nicht anders gut. Auch das Schweigen ist anders, gleicht einer Stille vor dem Sturm. Dabei war alles wie sonst…Fußballabend, Essen, Sofa…wann nur hat sich das Blatt gewendet? Planlos greife ich nach meiner Tasse, fixiere Ben immer noch auf eine Erklärung wartend, die mir selbst nicht kommen mag.

 

„Das bist nicht du“, murmle ich vergessen vor mich hin, da versteift er sich kurz - die Tasse im Würgegriff, dass selbst die Knöchel weiß hervortreten. Unsicher, gar scheu blickt er mir entgegen. „Himmel, du bist wie ausgewechselt. Was ist passiert?“ besorgt greife ich über den Tisch, umschließe seine Hände mit meinen. Will ihm zeigen, dass er mir vertrauen kann, solange er nur endlich anfängt zu reden.

 

„Das…das war so nicht geplant. Ich…ich geh jetzt wohl lieber“, stammelt er vor sich hin, zieht seine Hände zurück und steht auf. So einfach lass ich ihn nicht entkommen, beuge mich kurz über den Tisch und greife seinen Arm. „Stimmt, geplant war was anderes. Und jetzt sind wir hier.“ Ich halte ihn immer noch fest. „Hör mit zu oder rede, am besten beides…aber bitte bleib“, setze ich fort. Mein Bauchgefühl rät mir ihn nicht gehen zu lassen und seit langer Zeit bin ich gewillt ihm zu folgen. Wie eingefroren haben wir uns keinen Millimeter bewegt.

 

Während ich langsam meinen Griff lockere nickt er tonlos und wendet sich ab. Stirnrunzelnd sehe ich ihm nach, verfolge seine Schritte und mir entweicht einen zittriger Atemzug. „Puuhhh, Wohnzimmer“ – er bleibt!

 

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Ben

 

 

Ich sollte nicht mehr hier sein, aufstehen und gehen, meine Gedanken weiter verschließen… vielleicht sollte ich aber auch über meinen Schatten springen, verstummen dann die Stimmen in meinem Kopf? … alles rast in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei.

 

Erschrocken zucke ich zusammen, als er sich neben mich setzt und nur das senken der Polster ihn verrät. Schleichend wie ein Jäger hat er sich an mich ran gepirscht. „Folgender Deal, ich erzähle dir von mir. Du kannst zuhören, Fragen stellen und danach…“, seine Pause lässt mich aufblicken. Grüne Augen, beruhigend, wie das Dach des Waldes schauen mir verständnisvoll entgegen. Jetzt lächelt er auch noch und meint „…Ben, du entscheidest, ob überhaupt oder was du mir sagen willst. Ok?“ Hannes Vorsicht rührt mich, doch ist es mir fast einen Tick zu viel des Guten.

 

„Ja, wir sind schon zwei Helden!“, versuche ich es gewohnt ironisch. „Seelen-Striptease statt Fußballabend…hatte ich so auch noch nicht.“ Ich ziehe meine Füße auf die Couch, drehe mich im Schneidersitz ganz zu ihm. Fühle mich grad völlig planlos, ein wenig überfordert. „Hannes“, frage ich mit etwas unsicherer Stimme, „was wird das hier? Ich meine…also ich hab dich verstanden. Aber was…nein…wohin führt das? Ich fühle mich grad einfach nicht so wohl. Nicht… bitte versteh das jetzt nicht falsch…“.

 

„Pssst“, unterbricht er mich schnell, „ich weiß!“ Meine Finger spielen nervös miteinander und ich beobachte abwartend, wie sich seine Hand leicht darüber legt. Das fühlt sich gut an. Klar hat mich Hannes zuvor schon angefasst, freundschaftlich auf die Schulter und dergleichen, aber diese kleine Geste beruhigt mich ungemein. Das ist dazu auch wieder typisch Hannes, dieses Gefühl ruhig und geborgen zu sein, finde ich nur bei ihm.

 

„In der Küche vorhin, als ich dich aufgehalten habe. Da hab ich seit langer Zeit einfach wieder meinem Bauchgefühl getraut. Und auch jetzt gribbelt es nervös, doch es scheint richtig. Trinken wir nächstes Mal wieder gemeinsam Bier beim Fußballabend? Das weiß ich nicht, aber es ist mir gerade ziemlich egal, Ben.“ Wie ein Fels sitzt er mir gegenüber, hält weiter meine Hände und nichts lässt mich daran zweifeln, dass er es genau so meint. Was mich daran irritiert? Auch meine Zweifel bröckeln, als würde die Sicherheit seiner Worte über unsere verbundenen Hände direkt in mich sickern. Vorsichtig, als würde jede Bewegung die Ruhe unterbrechen, hebe ich meine Hände, streiche durch mein Haar und nicke Hannes entschlossen entgegen. „Gut reden wir“, nehme ich sein Angebot an. Entweder ist das gerade der Neustart, den ich ja wollte, oder aber der Beginn vom Ende meiner Freundschaft mit Hannes. Egal ist es mir nicht.

 

„Schön“, ruckartig erhebt sich Hannes und fragt „Kaffee oder Bier?“. Mit verdutztem Blick folge ich seiner Bewegung. „Ähm Bier“, erwidere ich, dankbar für den kleinen Aufschub.

Geständnisse und Schweigen

 

Hannes

 

 

Verrückter kann der Abend nicht mehr werden, wobei die ganze Woche schon seltsam genug ist. Da bin ich gereizt, reg mich über alles und jeden auf, suhle mich in Selbstmitleid. Ich hab keine Ahnung was mit Ben los ist, aber dagegen scheint dieser Gipsarm momentan lächerlich. Apropos Ben, wie beginne ich jetzt am besten? Überlege ich noch im zurückgehen, die Flaschen unterm Arm eingeklemmt.

 

Verblüfft halte ich inne, als Ben zuerst das Wort ergreift. „Es ist nichts passiert. Nicht in der letzten Woche.“ Die Ellenbogen auf den Knien gestützt sitzt er vor mir, blickt zu mir auf. Da ist es wieder, dieses Flattern in meinem Bauch. Diesmal ist es keine Nervosität, dessen bin ich mich sicher, es sind Bens eisblaue Augen. Meine Finger zucken, wie gerne würde ich jetzt durch seine braune Locken streichen oder meine Hand an seine Wange legen. Aber nicht jetzt, mahne ich mich selbst, später in meinen Träumen. Denn auch wenn ich mir immer wieder vor Augen führe, dass ich einfach zu alt für Ben bin, die Freundschaft alles ist was mich mit ihm verbindet, träumen ist erlaubt!

 

Ein klein wenig beruhigt mich seine Aussage immerhin und ich setze mich zurück auf die Couch. „Die letzte Woche war frustrierend“, beginne ich leise, den Kopf  in den Nacken gelegt. „Dieses ständige Pochen im Arm hat mir den Schlaf geraubt, zumindest die ersten Nächte. Vieles ist mühsam, dauert länger…deswegen waren David und Martin hier, um mir mit dem Einkauf zu helfen. Da bin ich auch echt dankbar für und die Abwechslung tat gut. Aber…“ Unsicher unterbreche ich kurz, zähle im Stillen die Punkte meiner Raufasertapete an der Decke, als ein „Aber was?“ von Ben mich daran erinnert fortzufahren. „Naja, manchmal sind die Zwei zusammen einfach zu viel, meist kommen dann Erinnerungen hoch, die eigentlich begraben bleiben sollten“, langsam neige ich meinen Kopf zur Seite, um in seine Richtung zu blicken. Wenn ich jetzt fortfahre steuere ich unweigerlich auf die Mitleidsschiene zu. „Willst du diese alten Kamellen wirklich hören?“, frage ich Ben daher. „Du meintest Reden und Zuhören“, beginnt er zögerlich, „jetzt höre ich dir zu. Was und worüber du erzählst, liegt ganz bei dir – deine Worte! Aber ich verspreche dir, ich mache keinen Rückzieher, danach erzähle ich.“ Bens Blick gibt mir die Sicherheit, die ich zum weiter reden brauche.

 

Angefangen bei meinem 40ten Geburtstag, der so vieles geändert hat. Damals war ich schon drei Jahre mit Stefan zusammen und träumte von einer gemeinsamen Wohnung, denn trotz unserer Partnerschaft war er immer viel unterwegs. Ich wollte diesen Tag zu etwas besonderem für uns beide machen, plante mein ganz privates Geburtsgeschenk – einen Heiratsantrag. Doch anstatt romantischer Stunden, saß ich allein zu Hause, denn nicht Stefan kam, sondern eine SMS mit Glückwünschen und der Nachricht er könne erst morgen kommen. Ich frag mich heute noch, warum ich es nicht habe kommen sehen. So wurde aus dem erhofften `Ja, ich will` eine ich-mache-Schluss-Rede vom feinsten, schließlich würde ein ehrgeiziger junger Student besser zu seinem Image passen, als ein träumender Büromitarbeiter kurz vor der Midlife-Crisis.

 

Meinen Kopf angelehnt ziehen die einzelnen Bilder an meinem inneren Auge vorbei und die Worte  sprudeln immer weiter heraus.

 

Das Empfinden bei David und Martin das fünfte-Rad-am-Wagen zu sein und wie schmerzlich es ist, die traute Zweisamkeit zu sehen, immer das Verlorene vor Augen. Und erst mit Ben in der Runde wir uns wieder regelmäßig treffen, da ich nun nicht mehr alleine mit ihnen war. Meinen Versuch jemandem im Club kennenzulernen, der schon an der Türe endete, da ich nicht der Zielgruppe entsprach. Und ich deshalb immer gespannt seinen Geschichten lausche und mir wünschte auch ein wenig mehr Mut zu haben. Bis zu letzter Woche, den unzähligen Stunden mit nichts-tun und dem Wunsch jemandem an meiner Seite zu haben, der mir bei Sachen helfen könnte, um die man Freunde gewiss nicht bittet. „Ich mag nicht mehr allein sein!“, ende ich und ein leichter Druck an meiner Schulter holt mich aus meiner Seifenblase wieder zurück. Verlegen räuspere ich mich, genieße gleichzeitig das gute Gefühl seit langem wieder im Arm gehalten zu werden.

 

 

 

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Ben

 

 

Hannes ist so in seine Erzählung vertieft, dass er erst am Ende meinen Arm bemerkt. Die Grenzen, die wir im Laufe des Abends wieder und wieder verschieben, zähle ich nicht mehr. Er hatte vorhin recht, es fühlt sich richtig an, wie er jetzt in meinem Arm sitzt, wenn auch etwas steif. „Es war einmal ein Junge, der lebte in einem Dorf. Was lange niemand wusste, er war schwul. Er war ein fleißiger Schüler, denn er wollte in die Stadt ziehen. Und so kam es, dass er fortging - in die Freiheit und all seine Fantasien lebte“, beginne ich märchenhaft, einen kurzen Blick auf Hannes gerichtet. Er lauscht mit einem Lächeln und schmiegt seinen Kopf an meine Schulter.

 

Beginnend mit meinem Schlüsselerlebnis und ebenso einer Geburtstagsfeier, nämlich meinem 30ten. Wie ich mit meinen Freunden zusammensaß, umgeben von Paaren und mich fragte, ob dies auch für mich eine Möglichkeit sei, meinten alle `Das bist nicht du – das passt nicht zu dir`, doch versuchen wollte ich es. Mein Gegenstück fand ich nicht, dafür die Erkenntnis, dass Jahre der ungezügelten Freiheit einen Preis haben. Einen Ruf zwar gut fürs Bett zu sein, darüber hinaus jedoch nichts zu erwarten sei und egoistisch oder oberflächlich noch nette Umschreibungen meiner Person darstellten. Zu jener Zeit begann mein innerer Dialog, meine Stimmen – wie Engel und Teufel – vergleichbar mit Hannes Träumereien. Der Wunsch nach Veränderung wurde immer stärker und das Jobangebot kam zur rechten Zeit. Der Engel forderte einen Neuanfang, sah die Hoffnung auf eine Beziehung. Doch wie führt man eine solche? Unsicher auf neuem Terrain kamen die Selbstzweifel und der Teufel führte den Weg zu bekannten Wegen – anonymer Druckabbau. Und zwischen all dem Chaos lernte ich dich kennen. Wie wir immer mehr zu Freunden wurden, eine Konstante in meinem Alltag und meine Ausschweifungen nicht aufgehört haben, jedoch seltener wurden. „Hannes, du bist mir wichtig, deshalb möchte ich gerne alles über dich erfahren, denn ich bin nicht oberflächlich, bislang hatte ich nur nicht das Bedürfnis was zu ändern“, schließe ich meine Darstellung.

 

Das flackern der Straßenbeleuchtung lenkt meinen Blick zum Fenster, eine stumme Übereinkunft herrscht zwischen Hannes und mir, das Gesagte bleibt unkommentiert. Er sitzt noch immer angeschmiegt bei mir, da räuspert er sich kleinlaut, „Hmmm… tschuldigung“,  will sich von mir losmachen. Ich kann, nein eigentlich will ich mich nicht von ihm trennen und schließe meine Arme fester um seine Brust, ziehe ihn zurück. „Hannes, bitte bleib!“, fordere ich erwartungsvoll, lege lächelnd mein Kinn auf seinen Scheitel, als ich spüre wie er sich wieder gegen mich lehnt. Außer unseren Atemzügen ist nichts zu hören und in genau diesem Augenblick ist es vollkommen – fühlen, mehr braucht es nicht.

Karussellfahrt im Schlaf

 

Hannes

 

 

Der Duft in meiner Nase weckt meine Sinne, gurgelnde Geräusche und ein letzter Tropfen. Kaffee, mein persönliches Grundnahrungsmittel. Eine Tasse ist mein ständiger Begleiter: zu Hause, im Büro und dank `to-go` auch unterwegs. Einziger Nachteil dabei, der Energieschub bleibt aus. Da hilft nur eine kalte Dusche, um den Schlaf aus meinen Knochen zu bekommen. Die letzte Nacht war kurz. Den Blick ins Leere gerichtet schweifen meine Gedanken zurück.

 

Zu lange ist es her, dass ich von starken Armen gehalten wurde. Die Augen geschlossen lehne ich meinen Kopf an seine Schulter, ein Hauch Zitrone steigt in meine Nase. „Alles okay?“, flüstert mir Ben ins Ohr. `Ich kuschle mit Ben`, diese Erkenntnis lässt mich mit dem Kopf schütteln. Ehe ich das Missverständnis auflösen kann löst sich Ben langsam von mir. „Besser als in meinen Träumen“, entweicht es mir ebenso leise. Ruckartig richte ich mich verlegen auf, wende meinen Blick von ihm ab, spüre wie sich meine Wangen erhitzen. Wo ist das große Loch im Boden, wenn man es braucht? Ich überlege verzweifelt nach einer Ergänzung oder gar Ausrede, vielleicht hat er es auch überhört. Meine Hoffnung zerfällt, als er sich erhebt, ok nicht fluchtartig, aber er steht auf. „Hannes, treffen wir uns morgen zum Frühstück?“, damit wirft er mich aus der Bahn und ich sehe zu ihm auf. Mit einem Lächeln steht er vor mir und erwidert zärtlich meinen Blick. „Hmm, um 10:00 Uhr?“, antworte ich irritiert, bleibe sitzen und sehe ihm beim Verlassen der Wohnung hinterher.

 

„Arrr, der ist ja kalt“, schimpfe ich meiner Tasse Kaffee zu und schütte sie in den Ausguss. „Erst die kalte Dusche, dann ein zweiter Versuch“, verkünde ich meinen Plan. Möglicherweise helfen Selbstgespräche, meine endlosen Hirngespinste tun es jedenfalls nicht. `Herz kombiniert mit Kopf – ganz schlechte Mischung`, so lautet meine tiefgründige Erkenntnis der fehlenden Nachtruhe. Seit gestern die Tür hinter Ben zugefallen ist, fährt das Karussell in meinem Kopf. Wir sind Freunde, nur welcher Art? Der Abend hat etwas verändert, hat mich aufgeweckt. Was bedeutet das jetzt? Gute Freunde finden sich nicht an jeder Straßenecke, das hab ich nach der Trennung von Stefan gemerkt. Zum Feiern sind alle gekommen, genau zwei haben meine Trübsal geteilt, mich aufgemuntert und sind geblieben. Nur was mache ich mit Ben? Er ist Besonders so viel steht fest, besonders für mich. Spiele ich mit offenen Karten, riskiere unsere Freundschaft oder rudere ich zurück, tue so als hätte es gestern nicht gegeben. Fragen über Fragen und immer noch keine Antwort. „Himmel Arsch und Zwirn“, fluche ich lautstark, als das kalte Wasser meinen Körper trifft.

 

Kurz darauf sitze ich wieder in meiner Küche, nach dem Eisschock definitiv wach und mit einer neuen heißen Tasse Kaffee in der Hand. Der Tisch ist gedeckt, nichts weltbewegendes, sondern wie immer. Noch drei Stunden – rumsitzen, macht es nicht besser und das Pochen in meinem Arm erinnert mich an meine Tabletten. Meinen E-Reader vom Regal geschnappt, lege ich mich aufs Sofa. Kurz noch die Tabletten mit einem Schluck Wasser hinunter gespült und schon kann ich meinen Blick auf die erleuchtete Anzeige richten. Ich bin immer wieder erstaunt, welch eine Vielzahl, selbst homoerotischer Bücher, es heutzutage gibt. Da fällt mir die Auswahl immer wieder schwer. Ich klicke mal hier und mal da, lese die Vorschau und gehe doch wieder zurück. Unstrukturiert und leicht chaotisch beschreibt meine Vorgehensweise am besten, doch letztendlich habe ich immer was gefunden. Den Kopf ins Kissen gedrückt, die Beine langgestreckt, so lasse ich mich in die Geschichte fallen, mache eine kleine Reise an andere Ort, verfolge das Leben anderer.

 

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Ben

 

 

Gestern Abend von Hannes wegzugehen war verdammt schwer, aber ich hatte mir selbst nicht mehr getraut. So sehr ich die Wärme, die Nähe mit Hannes genossen habe, doch wie wäre der Abend weiter verlaufen? Hätte ich ihn mir geschnappt, wie ansonsten die Männer in den Clubs? Wäre er auf meine Avancen eingegangen? Oder hätte er mich dann selbst aus seiner Wohnung geworfen? Der Teufel wollte dem Trieb folgen, der Engel mahnte zur Geduld. Ehrlich, mein Rückzug war reiner Selbstschutz. Ich will das mit Hannes einfach nicht überstürzen, sofern es da überhaupt was gibt und noch weniger möchte ich ihn überrollen, denn meine direkte Art gehört hier einfach nicht hin. Kurzum ich war ratlos.

 

Seit einer halben Stunde sitze ich fertig gerichtet in meinen Wohnzimmer und zappe durch die verschiedenen Kanäle. Nichts erweckt meine Aufmerksamkeit und auch wenn die zahllosen Privatsender eine Menge verschiedenster Themen bereit halten, so beherrschen mich doch meine Gedanken. Schließlich schalte ich den Fernseher wieder aus und setze mich mit meinem Kaffee auf den Balkon, beobachte die Nachbarschaft im Innenhof. Herr Kramer ist gerade auf dem Weg zur Bäckerei, wie jeden Sonntag holt er die frischen Brötchen pünktlich um neun Uhr. Meine Tüte liegt bereits auf der Kommode im Flur. Da meine Nacht eher kurz war, stand ich schon bei Öffnung in unserem Bäckerladen um die Ecke.

 

Noch nie hatte ich meine Wohnung als kalt und leer wahrgenommen, bis auf gestern. Kaum stand ich in meiner Türe wollte ich schon wieder kehrt machen, zurück zu Hannes. Stattdessen packte ich meinen Koffer aus, stellte die Waschmaschine an und auch der Rest meiner Sachen fand wieder seinen gewohnten Platz. War es Ablenkung? Vielleicht, doch ich war auch geschafft und einfach nur müde. Kaum lag ich in meinem Bett war ich auch schon eingeschlafen.

 

Hannes steht eng umschlungen mit einem anderen Mann im Flur. Sie küssen sich ganz innig und setzen ihren Weg Richtung Keller fort. Das ist auch mein Weg, denn das Wetter lädt zu einem Ausflug in den Stadtwald ein. Ich erreiche als erster unsere Stammroute und nehme an Tempo auf, meine ganze Wut und Enttäuschung fließen in jede Umdrehung der Pedale. Ich höre sie lachen und lege nochmal einen Zahn zu. Will einfach nur weg, weg fahren und die beiden Turteltäubchen hinter mir lassen. Aber egal wie sehr ich mich anstrenge, sie kommen immer näher und überholen mich sogar. Soll ich ihnen nun folgen? Wer ist dieser Typ überhaupt? Oder bleibe ich zurück? Nach kurzem Zögern entschließe ich mich zur Verfolgung und kann sie auch fast einholen. Da wird der Abstand wieder größer, egal was ich versuche, wie sehr ich mich auch anstrenge, ich kann sie nicht erreichen. Frustriert blicke ich hinab, schaue auf mein Mountainbike. Doch anstatt meiner Rennmaschine erblicke ich einen alten Drahtesel.

 

Dieser wirre Traum hat mich heute Morgen schweißgebadet aufwachen lassen. Seither versuche ich mich zu beschäftigen, die Zeit bis zum Frühstück totzuschlagen, denn der Traum hängt mir immer noch nach. Im Grunde glaube ich nicht an Traumdeutung, aber wenn es das gibt, also wenn die Träume zu uns sprechen, was wollte mir dieser sagen? Gibt es für Hannes und mich keine Chance? Keine Chance auf mehr als reine Freundschaft? Oder aber soll ich die Chance die mir gerade gegeben wird nicht nutzlos verstreichen lassen? Noch nie in meinem Leben, zumindest soweit ich mich erinnere, waren die frühen Morgenstunden mit derlei vielen Fragen erfüllt. Noch eine Stunde, dann kann ich hoch zu Hannes. Ich hoffe wir finden gemeinsam die Antworten, alleine komme ich nicht weiter.

 

Rasierschaum zum Frühstück

 

Hannes

 

 

Im Halbschlaf versuche ich das penetrante Klingeln meines Weckers zu erschlagen. Stattdessen treffe ich mit meinem Gips die Tischkante des Wohnzimmertischs und falle dabei auch noch fast vom Sofa. „Mist! Tut das weh“, kommentiere ich das Pochen einer neuen Schmerzwelle, als erneut das Klingeln ertönt. Diesmal wach, kann ich es auch zuordnen. Die Türklingel. „Wie spät ist es eigentlich?“, spreche zu mir selbst und lasse mein Blick auf der Suche nach der Uhr durch das Zimmer gleiten. „Es ist ja schon 10:00… Ben!“, aufgescheucht ignoriere ich meinen Arm und laufe zügig zur Tür. „Na, auch schon wach?“, stellt er mit einem Lächeln im Gesicht fest und folgt mir in meine Wohnung.

 

„Schon wach? Das ist gut… Schon wieder trifft es besser. Bin wohl beim Lesen nochmal eingeschlafen.“

 

„Schon wieder?“

 

„Die Nacht war eindeutig zu kurz!“

 

„So spät bin ich doch gar nicht gegangen. Aber mein Morgen fing auch unerwartet früh an.“

 

Als hätte er ein schlechtes Gewissen schaut mir Ben mit leicht betrübtem Blick entgegen. Während wir reden setzen wir uns beide an den Frühstückstisch, Ben verteilt die Brötchen und ich gieße den Kaffee ein. Alles läuft Hand in Hand, Butter und Marmelade werden zwischen uns hin und her gereicht, ebenso Milch und Zucker. Noch bevor ich den ersten Bissen meines Brötchens abbeiße, gebe ich mir einen Ruck und erzähle Ben von meinem Gedankenkarussell und wie mich meine Zweifel wachgehalten haben. „Ich weiß nicht, wie du den gestrigen Abend siehst, aber ich möchte…ja, also…was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass…“ stammle ich immer leiser. Die ganze Zeit über blickt mir Ben mit einem aufmunternden Lächeln entgegen, lauscht meinen Worten, als mich seine Stimme unterbricht, „Ich bin gestern Abend eingeschlafen wie ein Murmeltier.“

 

Oh, denke ich, dann hat ihm das Ganze nicht so viel bedeutet wie mir. Habe ich seine Zeichen falsch gedeutet? Zu viel hineininterpretiert? Habe ich gerade noch meine Gefühle offenbart, so bereue ich es bereits. Mein Gesicht muss ein Spiegel meines Bedauerns sein, denn Ben fährt fort, „Wie gesagt, ich habe gut geschlafen, bis ein wirrer Traum mich geweckt hat.“ Kurz berichtet er von seinen frühen Morgenstunden und endet schließlich,  „Ich wollte gestern eigentlich gar nicht gehen, aber ich hatte Angst, dass ich dich überrumple. Also mach dir keinen Kopf! So wie es gelaufen ist, so wie wir gerade hier sitzen, so fühlt es sich richtig an. Lassen wir es auf einen Versuch ankommen?“ Die Brötchen sind vergessen und wir blicken uns direkt in die Augen. Im Grunde sitzen hier zwei verletzte Seelen an einem Tisch, jeder auf seine Weise. Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen nicke ich ihm zu. Ja, warum eigentlich nicht?

 

Das weitere Frühstück verläuft normal. Naja was ist schon normal? Immer wieder schaue ich in seine Richtung, suche seinen Blick, versuche seine Mimik zu lesen. Immer wenn er mich dabei ertappt, und das ist recht häufig, stiehlt sich ein Grinsen in sein Gesicht und manchmal zwinkert er mir zu. Diese Augen, so klar wie ein Bergsee, faszinieren mich immer wieder und ich verliere mich in diesen Momenten des Augenkontakts, spüre dem Kribbeln nach, welches mich erfasst.

 

„Was steht heute eigentlich noch an?“, unterbricht Ben meine Tagträumerei.

 

„Ich sollte meine Vorräte auffüllen. Warum?“

 

„Einkaufen, da bin ich dabei. Bei mir herrscht auch Ebbe im Kühlschrank. Aber so kann ich nicht mit dir raus!“

 

Schockiert über diese Aussage erhebe ich mich vom Tisch und beginne mit dem Aufräumen. Vor nicht einmal einer halben Stunde meinte er doch selbst, dass wir es versuchen sollten und jetzt, ja jetzt will er nicht mit mir gesehen werden. Das verstehe ich nicht und lasse deshalb meinen Unmut am Geschirr aus. Ich spüre, dass er hinter mir steht, aber ich bin nicht bereit ihm in die Augen zu sehen. Das Einzige was dort zu finden ist, ist ein verletzter Blick. Diese Blöße muss ich mir nicht geben und ignoriere ihn daher einfach weiter. Plötzlich spüre ich seine Hand, sie hält meine fest umschlossen, und er flüstert mir ins Ohr, „Komm… komm bitte mit.“ Irritiert halte ich inne, was soll dieser Sinneswandel? Wo soll ich denn mit hinkommen und warum jetzt auf einmal doch? Immer noch perplex zieht er mich an meiner Hand aus der Küche in Richtung Badezimmer. Was will er denn jetzt im Bad?

 

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Ben

 

 

Hannes hat meine Bemerkung völlig in den falschen Hals bekommen und trotzdem stehen wir jetzt gemeinsam in seinem Bad. Ich lasse seine Hand los und wende mich zum Waschbecken, drehe den Wasserhahn auf. „Was wird das?“ fragt mich Hannes leicht säuerlich. Ich kann es ihm nicht übel nehmen, versuche meinen Fehler zu korrigieren und entgegne ihm daher, „Lass mich dir was Gutes tun“, gleichzeitig suche ich auf seiner Ablage alles zusammen, was ich für mein Vorhaben brauche.. „Du willst mich rasieren“, kommentiert er meine Handgriffe. Als ich fertig bin drehe ich mich langsam zu Hannes um, dieser steht immer noch mitten in seinem Bad, unsicher blickt er mir entgegen und ich dirigiere ihn hinüber zum Wannenrand.

 

„Nimm bitte Platz. Ich…Also ich wollte vorhin nicht sagen, dass ich nicht mit dir raus möchte. Ich wollte, also ich meinte deinen halbgerodeten Urwald im Gesicht. Seit gestern hat sich da ja nichts geändert. Und ich dachte mir eben, dass du so nicht raus möchtest. Und ich möchte auch nicht, dass dein hübsches Gesicht noch mehr Verletzungen erhält“, schließe ich mit einem Lächeln meine Erklärung. Ich hoffe sehr, dass er jetzt nicht aufsteht und geht oder ich ihn gar zu sehr verletzt habe. Mein schnelles Mundwerk hat mir schon so manchen Ärger eingebracht, doch gerade das hier, das ist mir wichtig und ich möchte es nicht vermasseln.

 

„Mein hübsches Gesicht?“, murmelt Hannes leise und hebt seinen Blick, dass seine Augen, in denen ich mich wie in einem grünen Meer verlieren konnte, mich anschauten. Um diesen seltsam intimen Moment nicht zu stören, greife ich blind nach dem Rasierschaum und gebe ein wenig auf meine Handfläche. Vorsichtig nähere ich mich seinem Gesicht und verteile langsam den Schaum auf seiner Wange. Fahre seine Kontur entlang und spüre ganz tief in mir, dass mich Hannes auf eine Art berührt, die ich bisher nicht gekannt habe. Diese Nähe fühlt sich so gut an, dass ich jeden Zentimeter seiner Haut die ich berühren kann genieße. Auch Hannes scheint diesen Augenblick zu genießen. Leider hat er seine Lider gesenkt und seine Augen sind verborgen, doch als ich meine Hand von seinem Gesicht löse blickt er wieder auf. Ich wende mich ab, spüle die Schaumreste ab und greife nach dem Rasierer. Langsam trete ich wieder zu Hannes an den Wannenrand, stelle mich leicht zwischen seine geöffneten Beine. Unsere Blicke treffen sich und in seinen Augen spiegeln sich seine Zuneigung und das Vertrauen in mich, dass es in meinem Bauch flattert. Jetzt nur nicht anfangen zu zittern, denke ich mir.

 

Vorsichtig, ich will ihn ja nicht auch noch schneiden, setze ich den Rasierer an seiner rechten Wange an. Lediglich dieses leise kratzende Geräusch, wenn Klingen über die Haut gleiten, erfüllt die Stille des Raumes. Fasziniert beobachte ich Hannes, wie er sich der Bewegung entgegen schmiegt. Als ich  mich wieder abwende, flüstert Hannes kaum hörbar „Danke, Ben!“ Ich drehe mich wieder zu ihm, greife nach seinem Kinn und drücke seinen Kopf leicht in den Nacken, um auch am Hals die letzten Stoppel zu entfernen. Wieder blickt er direkt in meine Augen und ich folge meinem Bauchgefühl. In Zeitlupe beuge ich mich über Hannes und streiche mit meinen Lippen hauchzart über seine. Viel zu schnell löse ich mich wieder, lehne meine Stirn gegen seine und verharre, spüre seinen Atem an meinem Gesicht. Augenblicklich löst sich Hannes von mir, zieht sich zurück. Habe ich eine Grenze überschritten? Nervös zucken meine Augen hin und her, versuchen die Situation zu erfassen. Habe ich was falsch gemacht?

 

Impressum

Texte: Aluma Lugenje
Bildmaterialien: Aluma Lugenje unter Verwendung von Bildmaterialien von Pixabay (mar-mann-strand-küste-menschliche-1203345; klinge-rasierklinge-rasieren-retro-949101)
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2016

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