Ron Robert Rosenberg
Stollen Stories
Vol. 1
Das Buch:
Welch himmelschreiende Bescherung! Kerzenlicht und Kaminfeuer erhellen die herbstlichen Stuben. Die Vorfreude auf das baldige Weihnachtsfest ist groß. Doch die Ungeduld auf aussichtsreiche Beute ebenfalls. Im Schutz der sich ausdehnenden Dunkelheit blühen die Verbrechen. Ob das Leben der Ehefrau, die Säcke voller Diebesgut, der Kunstschnee des Drogenhändlers, die Arglosigkeit gegenüber Trickbetrügern oder die bei einer außergewöhnlichen Wette auf dem Spiel stehende Ehre: Sie alle sind gefährdet und der Gier der Übeltäter ausgeliefert. Aber nicht immer frohlockt das eisige Böse. Manchmal ist die Kraft der Wärme sehr viel stärker. Nicht umsonst gilt der Advent als die Zeit der Wunder.
Zehn schwarzhumorige Kurzgeschichten aus dem Norden Deutschlands, die neben einer Tasse heißem Kakao, warmen Socken und weichen Polstern ein Wohlgefühl entfachen.
Über den Autor:
Ron Robert Rosenberg lebt mit seiner Familie in der Nähe von Braunschweig, der Stadt Heinrichs des Löwen. Beruflich jongliert er mit Paragraphen und Zahlen. Dabei wirbelt er viel lieber doppeldeutige Wörter aufs Papier. Mit dieser Leidenschaft schreibt er nebenbei Kriminalromane und humorvolle Kurzgeschichten.
Ron Robert Rosenberg
Stollen Stories
Vol. 1
Ron Robert Rosenberg
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
1. Auflage, November 2023
© 2023 Copyright by Ron Robert Rosenberg –
alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung:
© 2023 Copyright by Ron Robert Rosenberg
unter Verwendung von Canva.com
Ron Robert Rosenberg
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
ronrobertrosenberg@gmx.de
Inhaltsverzeichnis
Au, Tannenbaum
Lieb und teuer
Eine Prise Schnee
Amarettini für den Marder
Die Illuminaten
Abgestempelt
Wenn Ahnen etwas ahnen
Vom Himmel hoch, da kommt es her
Geduldig am Schnürchen
Alibi halber abzugeben
Anmerkungen des Autors
Au, Tannenbaum
Als der Wecker piepte, war Anton bereits auf den Beinen. Kein Auge hatte er nachts zugetan. Die Aufregung war zu groß. Heute würde er seine Frau umbringen.
Evelyn trug einen Pyjama und richtete sich im Bett auf. Im Gegensatz zu ihrem Mann, der Büroleiter eines Inkassounternehmens war, stand sie nur aus Solidarität mit Anton auf. Sie war es von klein auf gewohnt, nicht arbeiten zu müssen, denn ihre Eltern waren wohlhabend gewesen und hatten ihr ein Vermögen hinterlassen.
„Ist es schon so spät?“ Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen, wälzte sich zur Seite und angelte mit ihren pummeligen Füßen nach den Pantoffeln. „Ich koche dir einen Kaffee.“
„Nicht nötig“, rief Anton aus dem Bad. „Ich bereite mir einen im Büro zu.“ Seine Worte sprühten vor guter Laune. Als er es merkte, war es zu spät. Er musste vorsichtiger sein.
„Ist etwas passiert?“, fragte Evelyn. Es war plumpe Neugier, eine Durchbrechung des Alltags zu erfahren, die sie zu der Nachfrage trieb.
Anton war einen Augenblick irritiert, fing sich aber schnell. „Nein, Schatz. Wir bekommen heute die vorläufigen Jahresabschlusszahlen rein. Da will ich pünktlich sein. Du weißt ja, wie es kurz vor Weihnachten ist.“ Natürlich wusste sie nicht, wie es in der Arbeitswelt zuging. Aber es gab ihr ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Sicherheit. Und sicher sollte sie sich fühlen.
„Dann hole ich dir wenigstens die Zeitung.“ Evelyn schlurfte zur Haustür. Die Ausgabe steckte wie gewohnt in der Zeitungsröhre und duftete nach Druckerschwärze.
Als sie zurückkehrte, hörte sie Anton unter der Dusche ein Lied pfeifen. Es war Bodyguard, ihr Kennenlernlied, damals vor fünfzehn Jahren. Sie hatte sich wie Whitney Houston gefühlt und sich sofort in ihn verguckt.
Inzwischen verlief ihre Beziehung eher schleppend. Immer öfter gerieten sie wegen Nebensächlichkeiten in Streit und Evelyn konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass ihre Schwiegermutter Carmen hinter den üblen Launen ihres Mannes steckte.
Nach zehn Minuten trat Anton mit feuchten Haaren aus dem Bad. Er war in seine Unterwäsche geschlüpft und wählte wie jeden Morgen mit Bedacht ein Hemd für den Kampfeinsatz, wie er scherzhaft den Büroalltag nannte.
Den Guten-Morgen-Kuss hatten sich beide vor langer Zeit abgewöhnt. Daher stand Evelyn etwas verloren im Türrahmen und beobachtete ihren strahlenden Bodyguard, der sie jedoch keines Blickes würdigte. Eine Wolke seines Aftershaves wehte zu ihr herüber.
„Besuchst du heute deine Mutter?“
Anton stutzte. Es war zur Gewohnheit geworden, dass er einmal wöchentlich seine Mutter in der Seniorenresidenz traf. Schnell hatte er sich wieder im Griff.
„Nein. Ich werde morgen zu ihr fahren.“ Er warf Evelyn einen raschen Blick zu. Carmen und ihre Schwiegertochter pflegten ein gespanntes Verhältnis. Evelyn fürchtete die Einmischung der Schwiegermutter, und Carmen ließ kein gutes Haar an ihr.
Anton dachte an das bevorstehende Schicksal und wünschte sich, dass die beiden sich versöhnlicher gegenüberstünden.
„Ich würde mich freuen, wenn du mal mitkämst. Es ist bald Weihnachten, das Fest der Liebe. Gib euch eine Chance, dass ihr euch besser vertragt.“
Evelyn nagte an ihrer Unterlippe. Ihre Miene spiegelte, dass der Tag zu jung war, um über schwerwiegende Themen nachzusinnen.
„Du bist heute früh dran. Kommst du auch eher nach Hause?“
Anton stockte in der Bewegung. Über die Heimkehr hatte er bislang nicht nachgedacht. Am späten Nachmittag, wenn er die Leiche seiner Frau fände. Der Gedanke ließ ihn schaudern, also schob er ihn vorerst beiseite.
„Ich kann dir nichts versprechen“, sagte er lahm und diese Aussage passte inzwischen zu allen Anforderungen, die Evelyn an ihn hatte. Mit einem Mal spürte er, dass es unmoralisch wäre, wenn er sie in den letzten Augenblicken, die ihnen blieben, schroff behandelte. Er beeilte sich, den Plan in die Tat umzusetzen.
„Ach, Schatz! Wenn du nichts vorhaben solltest, wäre es klasse, wenn du heute den Christbaum schmücken könntest.“ Er versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. Doch zitterte seine Stimme oder bildete er sich das nur ein?
Evelyn löste sich von der Tür und schritt ins Wohnzimmer. Dort hatte Anton gestern die Nordmanntanne in den Ständer gewuchtet.
Anton drängte sich an ihr vorbei. „Vielleicht könntest du ihn etwas gießen. Frisch geschlagen ziehen sie eine Menge Wasser.“ Er fummelte an den Manschettenknöpfen.
„Ein wirklich schöner Baum“, sagte Evelyn. „Das mache ich gerne.“
Sie blickte auf die bunten Schachteln mit dem Baumschmuck, den Anton gestern am späten Abend extra vom Dachboden geholt hatte.
Er war im Begriff zu gehen, so schien es, da drehte er sich nochmals um.
„Ach, bevor ich es vergesse. Die Lichterkette ist etwas in die Jahre gekommen. Eine Lampe scheint nicht zu leuchten. Am besten ersetzt du sie. Ich habe eine Ersatzlampe danebengelegt.“
„Ach, Anton. Mit Technik kenne ich mich doch nicht aus.“
Er tappte zu der Lichtergirlande und hielt den leeren Sockel hoch.
„Das ist kinderleicht. Die Lämpchen werden einfach in die Fassung gesteckt. Zum Glück ist es keine Reihenschaltung, dann siehst du sofort, ob alle an sind.“
„Ich weiß nicht. Kannst du das nicht machen?“
Anton ging auf sie zu und berührte ihre Schultern.
„Selbstverständlich kann auch ich das erledigen, mein Schatz. Doch du solltest dir durchaus mal etwas zutrauen. Es ist wirklich nicht schwierig. Anschließend kannst du mich dann mit einem wunderschönen Weihnachtsbaum überraschen, wenn ich im Dunkeln nach Hause komme. Das würde mich sehr freuen.“
Seine kobaltblauen Augen nahmen sie gefangen und sie kapitulierte.
„Na, gut. Ich werde es schon hinkriegen.“
„Prima, Schatz. Das wollte ich hören.“
Mit einer ordentlichen Portion Enthusiasmus verließ er das gemeinsame Haus.
Beschwingt erledigte er den ganzen Vormittag Kreditorenberichte, kontrollierte seine Mitarbeiter mit einer milden Nachsichtigkeit und überraschte sich selbst, als sein Magen ihn daran erinnerte, dass es Mittagszeit war.
Seine Neugier war wie ein zum Zerreißen aufgeblähter Ballon. Am liebsten hätte er zu Hause angerufen und gelauscht, ob Evelyn ans Telefon ging oder besser, ob sie noch ans Telefon gehen konnte. Aber das wäre entgegen der üblichen Gewohnheiten und könnte ihn später in Schwierigkeiten bringen. Also zügelte er seine Unruhe.
Er wickelte sein Brötchen aus und biss hinein.
Dann überfiel ihn ein Anflug von Mitleid. Evelyn war im Grunde kein schlechter Mensch und sie hatte auch keinen grausamen Tod verdient. Aber es gab keinen anderen Ausweg. Sie besaß das Familienvermögen und eine amtliche Trennung würde ihm nur einen Scherbenhaufen hinterlassen. Er würde vor dem Nichts stehen. Da war eine saubere Witwerschaft die einzige Lösung.
Bedauerlich, doch ein weiteres Zusammenleben war ihm inzwischen unerträglich. Zu deutlich hatten sie sich entfremdet und seine Mutter hatte ihm letztlich die Augen geöffnet. Evelyn sei schuld, dass die Ehe gescheitert ist, dass sie keine Enkel hatte, dass er keine Freude mehr fühlte. Sie führe ein Lotterleben, habe keinen Antrieb und hindere ihren Anton an der Verwirklichung seiner großen Lebensträume.
Er liebte seine Mutter. Zugegeben, mit fortgeschrittenem Alter offenbarte sie ihre Schattenseiten, aber ihre Ratschläge würde er mit Gold aufwiegen. Sie war es, die ihn auf die Idee brachte, als sie meinte, er sei besser dran, wenn es Evelyn gar nicht gäbe. Gemeint hatte sie es sicherlich nur im übertragenen Sinn. Nun, sei es drum.
Die Stunden bis zum Feierabend waren eine Qual. Endlich war es fünf Uhr. Eine angemessene Zeit, die er hinterher zu Protokoll geben könnte.
Inzwischen musste das Unglück passiert sein, selbst wenn Evelyn sich vor lauter Faulheit erst am Nachmittag an das Baumschmücken gewagt hatte. 240 Volt ungezügelter Wechselstrom war irgendwann im Laufe des Wintertages durch ihren Körper geflossen. So viel stand fest.
Dabei hatte Anton die defekte Lichtergirlande nur mit Hilfe einer Videoanleitung aus dem Internet reparieren wollen. Der zündende Funke sprang auf ihn über, als er Evelyn beobachtete, wie sie sich unprätentiös auf dem Sofa rekelte. Warum sollte er sie nicht mit etwas Leichtem wie einem Stromstoß ins Jenseits befördern? Je weiter er sich mit dieser Idee auseinandersetzte, desto klarer erschien ihm die Lösung. Es war schnell, simpel und todsicher. Das Beste war, er musste nicht dabei sein und sich um nichts weiter kümmern. Er musste einfach nur nach Hause kommen und seiner Überstürzung freien Lauf lassen.
Nach weiterem Anschauungsunterricht überbrückte er den Transformator für den Niedervoltstrom und legte die Fassung frei. An dieser Stelle bliebe Evelyn kleben, sobald sie versuchen würde, die Ersatzlampe einzustecken. Aber diesen Anblick, wie gesagt, ersparte er sich.
Nachdem Anton tief durchgeatmet hatte, schloss er die Haustür auf.
„Schatz, ich bin wieder zu Hause!“, rief er im Flur, sogar lauter als notwendig. Es amüsierte ihn, wie merkwürdig sich das Schauspiel anfühlte.
Dann stellte er seine Tasche in die Ecke, schlüpfte aus den Schuhen und öffnete die Wohnzimmertür.
Der Raum war in Dunkelheit getaucht und Antons Augen suchten mit Mühe die Schatten auf dem Boden nach einer Leiche ab.
Plötzlich erstrahlte der Weihnachtsbaum in seiner gesamten Herrlichkeit. Niemals leuchtete er so feierlich wie dieses Mal: goldene Kugeln, rotglänzende Holzfiguren, Strohsterne, Zuckerstangen – und bernsteinfarbene Flämmchen einer lückenlosen Lichterkette.
„Überraschung!“, rief Evelyn. Sie stand neben der Tür, mit einem Fuß auf dem Schalter einer Steckdosenleiste.
Anton griff die Lehne des Sessels und plumpste hinein.
„Toni, du bist ja ganz blass.“
Anton japste nach Luft und rang um eine Erklärung.
„Das war ein bisschen viel heute“, stammelte er.
„Freust du dich denn gar nicht?“ Evelyn klang ein wenig enttäuscht. „Du sagtest doch, dass du das prima fändest, wenn ich dich mal überraschen würde.“
„Doch, doch. Ich bin hin und weg, mein Schatz.“
Dann erst registrierte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2023
ISBN: 978-3-7554-6204-0
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