Die Frage
Weshalb nur konnte das geschehen? Ausgerechnet jetzt, wo ich gerade nach Hause gekommen war? Ich drehte meinen Kopf zur Seite und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Ich wunderte mich, dass ich ärgerlich dieses „ausgerechnet jetzt“ gedacht hatte. Denn das war doch jetzt gänzlich unwichtig. Karin, meine Lebensgefährtin, lag auf der Krebsstation des Krankenhauses, hier in Hamburg. Hauptsache war doch, sie konnte überhaupt gerettet werden! Was spielte es da ins gemein für eine Rolle, worüber ich mich mokierte? Zu Hause, kurz bevor mir auffiel das mit Karin irgendetwas nicht stimmte, hatten wir gestern Abend noch gelacht. Ich lächelte über diesen jetzt einflusslosen Gedanken und fiel wieder in meine düstere Stimmung zurück, die mich schon seit Stunden erfüllte. Was für ein beschissener Tag war das heute gewesen. Alles kam so gänzlich unerwartet für mich, niemals hätte ich damit gerechnet. Wie hatte ich nur so unaufmerksam sein können? Wäre es mir klarer gewesen, was in Karin vorging, hätte ich mehr auf sie geachtet, hätte intensiver nachgehakt um zu erfahren was die Ärztin damit meinte, als sie zu Karin gesagt haben soll: „Das ist eine Lungenentzündung, die sie da auf dem Röntgenbild sehen“. Später, beim Abendbrot, fragte ich noch einmal nach. Karin braucht eine kleine Weile, um mir zu antworten. Dann lächelte sie und meinte: „Ach, das ist nur eine kleine bakterielle Infektion, die ich mit der Antibiotika von Frau Doktor schnell wieder los bin. Mach dir man keine Sorgen. Ich habe ja nicht einmal Fieber!“. Eine Weile schwieg ich nachdenklich. Wie keine Sorgen, dachte ich? Und was war mit dem grünen Hustenauswurf, der sie nun schon seit mehreren Wochen quälte? Sag mir, meinte ich plötzlich, seit wann hast du denn diese Entzündung schon? Karin verfolgte mit einem amüsierten Blick unseren Kater, der sich gerade anschickte ein Stück Mortadella von meinem Teller zu klauen und meinte dann wie nebensächlich: „Das war wohl eine nicht auskurierte Grippe. Keine Ahnung, wann das gewesen sein sollte. Wohl eine verschleppte Infektion. Sagt Frau Doktor jedenfalls“. Dann stand sie auf und ging in unser Badezimmer. Wieder hörte ich dieses nasse und bellende Husten, das mir so viel Sorgen bereitete. Das war einfach deprimierend. Sie wollte doch mit mir eine Tour nach Ägypten unternehmen um sich endlich einmal vor Ort über die Pyramiden schlau zumachen. Aber so wie es jetzt den Anschein hatte, würde daraus wohl nichts werden. Schon vor Monaten hatte sie mir gegenüber ihren Wunschtraum eines erfüllten Daseins darzulegen versucht. Ein sich hingeben in Abenteuer, Liebe und Glück ohne Verpflichtung an diese Welt. Ja, da spürte ich ihre ungeheure Lebenskraft, die sich prickelnd wie ein elektrisches Feld, mit einer wohltuenden Gänsehaut über meine Seele legte. Obwohl, wie ich heute weiß, ein gewisser Unterton in ihrer Stimme mich hatte warnen wollen, zog ich es vor meine Feinfühligkeit zu unterdrücken und in ihren Traum einzusteigen. Heute bereue ich mein vorgehen. Zumal mir erst zu spät klar wurde was Karin mit einem Satz anzudeuten versuchte, der sich in den vergangenen Monaten immer wiederholt hatte: „Ich möchte nach Hause“, lautete er. Wenn ich sie fragte, was sie denn damit sagen wolle, denn wir wären doch zu Hause, konnte sie mir außer mit einem „Ich weiß nicht“ keine Antwort geben. Irgendwann dann antwortete ich auf ihre stereotype Aussage mit: „Da wirst du noch ein wenig warten müssen“! Vielleicht hatte ich gespürt, was da auf uns zukam. Doch wirklich darüber nachgedacht hatte ich nicht. Und nun ist es zu spät. Karin ist tot.
Willkommen
„Schaue dich um und sei willkommen!“Diese Stimme hatte ich schon bei den ersten Worten erkannt. Sie gehörte meiner Großmutter Annelie, meiner geliebten Oma, die nunmehr vor bereits über dreißig Jahren verstorben war. Vor ihrem Tod hatte ich noch einige Wochen mehrere Gespräche mit ihr geführt. Immer sagte sie mir klar und deutlich, dass sie keinen Sinn mehr in ihrem irdischen Aufenthalt sehen könne und sich lieber zurückziehen möchte. Natürlich hatte ich strikt etwas dagegen. Du sollst Leben, solange es Gott erlaubt. Sagte ich damals. Dann als Annelie, die streng gläubig war, mir dann eröffnete, dass sie nicht mehr an Gott glauben könne, wurde ich sehr nachdenklich. „Ich habe die Hoffnung verloren“, eröffnete sie mir damals.“ Die ganze Welt stecke voller Schmerz und Ungerechtigkeit und niemand schert sich einen Deut darum. Und schon gar nicht der Himmel“, schloss sie bissig mit einem zornigen Blick an die Zimmerdecke ihres Altenheims. Irgendwie konnte ich Oma folgen. Sie hatte ihren Mann (und ich meinen Opa) verloren, dann wurde sie auch noch ein Pflegefall und musste das Bett hüten. Ihre Kinder waren groß und versorgt und ihr Enkel saß an ihrem Bett und versuchte Klugzuscheißen. Klar, dass der alten Dame da die Lust am Leben schon vergehen konnte. Ja, und dann kam der Tod zu ihr. Nur ein paar Tage nach unserem letzten Gespräch. Natürlich hatte ich mich auf diese Endgültigkeit vorbereitet und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Dietrich von Teja
Bildmaterialien: Authors Analytics e.V.
Cover: Authors Analytics e.V.
Lektorat: Authors Analytics e.V.
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2020
ISBN: 978-3-7487-2965-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dietrich von Teja ist freier Sci-Fi und Wissenschaftsjournalist des Authors Analytics e.V. Er wurde in die Nachkriegszeit geboren und wuchs in Deutschland in der Freien und Hansestadt Hamburg auf. Seit frühester Jugend befasste er sich mit den fundamentalsten Fragen der Physik und den damit verbundenen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Aus der Zusammenfassung seiner Erkenntnisse verfasste er diese Kurzgeschichte im Jahr 2019.