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Das Messerkreuz

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Chris war ein junger Mann, der in Wien ein eigentlich ganz normales Leben führte. Er war gerade mal 21 Jahre alt.

Sein Alltag bestand darin arbeiten zu gehen um sich eines Tages eine Wohnung leisten zu können und die Wohnung seiner Eltern verlassen zu können.

Es war kein gut bezahlter Job, den er ausführte. Er war in einem Pharmaunternehmen angestellt, wo er hauptsächlich Medikamente verpackte und Dokumentation darüber führte, wie viel er am abgeschlossenen Tag geschafft hatte.

Er arbeitete hart daran, bald aus der Herrschaft seiner Eltern zu entfliehen.

 

Als er an einem Samstag im September zum wiederholten Mal nachrechnete, wie es um seine Finanzen steht, ob er sich möglicherweise schon eine kleine Mietwohnung leisten konnte, kam heraus, dass das Geld reichte. Also machte er sich auf die Suche nach seinem neuen Wohnsitz.

 

Im Internet stieß er auf einen Immobilienmakler, der Wohnungen angeblich zu sehr günstigen Preisen anbot.

Er zögerte nicht lang, griff zum Telefon und rief ihn an.

„Hallo, Immobilien-Juwel, was kann ich für sie tun?“ sagte der Herr am anderen Ende der Leitung.

„Guten Tag, mein Name ist Horrer. Ich bin auf der Suche nach einer günstigen Mietwohnung und …“

Schon unterbrach ihn der Mann.

„Sehr schön. Ich habe wohl genau das richtige für sie.“ meinte er.

Chris war etwas verwundert über die schnelle Unterbrechung. Er hatte noch nicht mal zu Ende gesprochen.

„Ja, ich hätte gerne was zwischen zweihundert und dreihundert Euro pro Monat.“

„Perfekt, ich wusste ja, dass ich das richtige für sie habe. Wann haben sie denn Zeit?“

Der Makler klang übermotiviert und mehr wie eine Maschine, als wie ein Mensch.

„Ich kann morgen Vormittag ab 8 Uhr wenn das ginge.“ sagte Chris.

„Wunderbar, sie können um 8 Uhr einen Besuch in einem Büro machen und ich fahre sie dann in die besprochene Wohnung um sie ihnen vorzuführen.“

Chris war erfreut zu hören, dass es so schnell ging und sagte gleich zu, ohne zu fragen, wie groß die Wohnung sei oder wo sie überhaupt war.

 

Nach dem Telefonat fühlte er sich seltsam. Er war sich nicht sicher, ob er so schnell zusagen hatte sollen und überlegte noch mal.

Im Endeffekt blieb er bei seiner Entscheidung und freute sich auf den nächsten Tag.

Die freudige Botschaft wurde noch am selben Tag an alle möglichen Leute verbreitet, so als wäre er sich der Wohnung schon vollkommen sicher, obwohl er sie noch nicht mal gesehen hatte.

Das war ihm zu dem Zeitpunkt egal.

Er wollte nur so schnell wie möglich seine eigenen 4 Wände haben und hoffte darauf, dass sie bereits eingerichtet waren.

Das Geld reichte schließlich nicht aus um die Ablöse der Wohnung und Einrichtung auch noch zu bezahlen.

Jetzt fühlte er sich wieder komisch. Er hätte doch noch weiter nach Details fragen sollen.

Die ganze Sache wurde immer seltsamer.

Alleine die Stimme des Maklers klang am Telefon schon irgendwie maschinell oder ferngesteuert.

Chris sagte sich aber, dass er sich das nur einbilde und alles auf sich zukommen lassen sollte.

Auf einen oder zwei Tage kam es jetzt für ihn auch nicht mehr an. Wenn es nicht diese Wohnung werden würde, dann eben eine andere.

Ohne viel nachzudenken legte er sich abends mit einem Grinsen vor Freude auf den nächsten Tag schließlich ins Bett und schlief ruhig ein.

 

Er träumte in dieser Nacht seit langer Zeit wieder.

Keinen schönen Traum.

Im Traum ging er eine lange Wendeltreppe hinunter. Es war eng und finster. An den Wänden hingen nur leicht brennende Kerzen, von denen das Wachs auf den Boden tropfte.

Das Flackern des Lichts schien ihm unheimlich, aber er ging einfach weiter hinunter, ohne zu wissen, wo er eigentlich hin ging.

Schließlich stand er vor einer Tür. Darüber war die Nummer 13 zu lesen.

Es war kein Schalter für eine Glocke zu sehen, also klopfte er stark gegen die Tür.

Das Klopfen hallte durch den ganzen langen Wendeltreppenflur, den er herunter kam.

Dann hörte er Schritte und jemand blickte durch den Spion der Tür nach draussen.

Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein großer, schlanker Mann in einem langen schwarzen Mantel stand vor ihm.

Sein Gesicht war nicht gut zu erkennen in dem flackernden Kerzenlicht das von draussen hinein schien. Von innen kam kein Licht. Es war stockdunkel.

Der Mann blickte nach unten auf seine Füße und sagte kein Wort.

Chris stand ihm paralysiert gegenüber. In ihm begann Angst hochzusteigen, ihm wurde heiß und kalt zugleich.

Auf seinem Körper breitete sich Gänsehaut aus und ihm tropfte Schweiß von der Stirn in die Augen.

Dann sagte er nur „Hallo?“.

Der Mann blickte schlagartig auf und sah ihm in die Augen ohne etwas zu sagen.

Chris fragte noch einmal „Hallo?“.

Der Mann griff in die Innentasche seines Mantels und zog etwas heraus.

Es war ein Kreuz. Ein Kreuz, dessen untere Spitze ein Messer war. Von der Spitze tropfte eine rote Flüssigkeit auf den Boden und Chris zuckte erschrocken einen Schritt nach hinten.

Der Mann öffnete langsam seinen Mund, während er die Augen weit aufriss und schrie wie ein Schwein, das gerade abgeschlachtet wurde.

Ein Schrei der Qual und des Leidens.

Aus seinem Mund tropfte ebenfalls die rote Flüssigkeit, welche nur Blut sein konnte.

Plötzlich tat sich ein Riss an der Kehle des Mannes auf. Sein Kopf trennte sich langsam vom Hals und rutschte zu Boden. Das Blut spritzte aus seiner Halsschlagader, der Kopf purzelte zu Boden und blieb direkt vor Chris’ Füßen mit genau demselben Gesichtsausdruck liegen, den er gerade aufgesetzt hatte. Das Schreien hörte nicht auf und die Augen des Mannes starrten Chris an.

Der kopflose Körper blieb stehen und hielt das Messerkreuz in seiner rechten Hand.

Als Chris sich umdrehen wollte um die Stufen der Wendeltreppe wieder hoch zu flüchten, rannte der Körper des Mannes auch schon auf ihn zu.

 

Chris wachte schweißgebadet auf und war heilfroh darüber, diesen Horror nur geträumt zu haben.

 

 

- 2 -

 

Am nächsten Morgen fühlte sich Chris nicht besonders gut. Der Traum hatte seinem Schlaf ziemlich zugesetzt. Er konnte danach auch nicht mehr einschlafen und verbrachte den Rest der Nacht damit sich wiederholt im Bett von einer Seite auf die andere zu drehen.

Als die Sonne dann aufging, beschloss er, das Bett zu verlassen und stand auf.

Als erstes ging er wie jeden Tag ins Badezimmer, wo er sich erst mal erleichterte und dann die Zähne putzte.

Anschließend stellte er sich unter die Dusche und genoss zehn Minuten lang die warmen Wasserstrahlen.

Das war für Chris wie ein Ritual. Bevor er nicht geduscht hatte, konnte er nicht vor die Tür gehen.

Eine warme Dusche half ihm, wach zu werden und den Tag gut zu starten.

Der Traum von letzter Nacht hing im tief im Hinterkopf und er wusste nicht was seine Fantasie ihm damit sagen wollte.

Trotzdem grübelte er selbst bei der entspannenden Morgendusche.

Was hatte es mit diesem langen Stufenabgang und dem kopflosen Mann auf sich.

Wieso schrie er so und ging dann ohne Kopf mit einem Kreuz, das eine Messerspitze hatte auf ihn los?

Wer war dieser Mann?

Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen ähnlich aussehenden Typen gesehen zu haben.

Wieso dann in seinem Traum?

 

Er beschloss nicht mehr darüber nachzudenken, was ihm nicht leicht fiel.

Der Traum kam ihm so real vor, als wäre er letzte Nacht wirklich in diesem seltsamen Haus gewesen.

Zumindest fühlte er sich körperlich so, als hätte er Extremsport betrieben, wie zum Beispiel eine Wendeltreppe hinauf sprinten, als wäre der Teufel hinter einem her.

Es war bereits 07:30 Uhr und er machte sich fertig, um sich auf den Weg zum Immobilienmakler zu machen.

Seine Eltern waren schon außer Haus gegangen.

Er war alleine und die Stille in der Elternwohnung war ihm komischerweise zum ersten Mal unheimlich gewesen.

Also beeilte er sich, zog sich die Schuhe und Jacke an und ging aus der Wohnung.

Das Büro des Maklers, war nicht weit weg. Er musste nur einige Haltestellen mit der Straßenbahn fahren. Er wartete nicht lange auf sie und stieg ein.

Draußen prasselte der Regen auf das Dach der Straßenbahn und verursachte ein unangenehmes Geräusch. Die Fensterscheiben waren angelaufen.

Aufgrund der niedrigen Temperatur draussen und der hohen Luftfeuchtigkeit drin, konnte man nicht wirklich hinaussehen.

Auf einem Sitz lag eine Zeitung ausgebreitet.

Die Zeitung war schon eine Woche alt.

Er sah die Schlagzeile „Mann in seiner Wohnung geköpft“ und las den Bericht.

Erschrocken, darüber wie krank man doch sein muss um so etwas fertig zu bringen und dass er erst letzte Nacht einen Traum hatte, in dem ein Mann seinen Kopf verlor, schlug er die Zeitung wieder zu und musste auch schon aussteigen.

Ein paar Gassen weiter war das Gebäude in dem sich das Büro der Firma „Immobilien-Juwel“ befindet.

Er klingelte an der Sprechanlage bei Tür 6.

Eine Stimme erklang „Ja bitte?“

Es war die Stimme des Mannes am Telefon.

„Hallo, ich habe einen Termin um 8. Mein Name ist Horrer“.

Schon öffnete sich die Tür und Chris ging die Stufen hoch in den ersten Stock wo die Tür 6 schon offen stand.

Er betrat das Büro. Sein erster Eindruck war sehr gut. Alles gepflegt und schön eingerichtet. Ein gut eingerichtetes und gepflegtes Immobilienbüro würde in seiner Hoffnung auch gute Immobilien anbieten.

Am Schalter stand eine junge Dame. Er ging auf sie zu und sagte „Guten Tag, ich habe einen Termin um 8, mein Name ist Horrer“.

„Guten Morgen, Herr Horrer, der Chef wartet schon auf sie, gehen sie nur hinein.“

Chris ging ins nächste Zimmer und sah sofort den „Chef“ auf seinem Bürostuhl hinter einem riesigen Schreibtisch sitzen.

Es war ein rüstiger, grauhaariger Mann. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Als hätte er gerade einen Geist gesehen.

„Guten Tag“ rief Chris in den Raum.

Es war der Mann vom Telefonat.

Er sagte „Guten Morgen, setzen sie sich doch, dann zeige ich ihnen gleich die Details zur besprochenen Wohnung.“

Chris setzte sich und wunderte sich darüber, wie kalt und emotionslos die Stimme des Mannes heute klang. Gestern war er doch noch so motiviert gewesen. Aber genauso maschinell wie heute.

Der Mann stellte sich nicht einmal vor also fragte Chris nach seinem Namen.

„Verzeihen sie, ich vergaß. Mein Name ist Kobold und ich bin der Inhaber dieses Immobilienbüros. Nun lassen sie uns zur Sache kommen.

Es handelt sich um eine 40 Quadratmeter große Altbauwohnung am Rande der Stadt. Die Miete beträgt 240 Euro pro Monat. Mit allen anderen Kosten werden sie auf ungefähr 500 Euro pro Monat kommen. Ist das für sie akzeptabel?“

„Ja, perfekt“ meinte Chris. „Ich würde sie mir sehr gerne mal genauer ansehen“.

Herr Kobold packte seine Sachen zusammen und stand auf.

„Gehen wir, mein Wagen steht unten vor der Tür“.

Sie machten sich auf den Weg nach unten, sprachen aber dabei kein Wort.

Chris wollte Smalltalk führen, aber ihm kam kein einziges Wörtchen über die Lippen.

Es war ihm irgendwie unangenehm, mit einem fremden zu sprechen, obwohl er sonst nicht schüchtern war.

Sie kamen schließlich beim Auto an, stiegen ein und fuhren los.

Der Makler fing während der Fahrt ein Gespräch an.

Im Hintergrund lief im Radio ein Lied von Metallica.

„So ein Krach, im öffentlichen Radio, das ist ja nicht auszuhalten“ meinte er.

Chris riss die Augen auf und ärgerte sich heimlich.

„Na ja, so schlecht ist die Musik auch wieder nicht, aber ist eben Geschmackssache.“ Sagte Chris darauf.

„Ich bin dafür, dass mehr klassische Musik gespielt wird, aber egal wo man hinschaltet, jeder Sender spielt diesen modernen Schrott, bei dem man sich nicht mal richtig konzentrieren kann. Kein Wunder, dass unsere heutige Jugend so versaut ist.“ versuchte Herr Kobold, seinem Beifahrer zu überzeugen.

Doch Chris war absolut nicht seiner Meinung. Er selbst hörte leidenschaftlich gerne Heavy Metal. Den sogenannten „Schrott“ wie Herr Kobold es nannte.

„Ich hab auch nichts gegen klassische Musik, aber bin offen für jede Musik und dieser Schrott gefällt mir eigentlich auch ganz gut.“ meinte Chris.

„Jedem das Seine“ folgte darauf nur aus dem Mund des Maklers.

Bis sie an der Adresse der Wohnung angekommen waren, sprachen sie kein Wort mehr miteinander.

 

 

- 3 -

 

Sie betraten die Wohnung, die im dritten Stock lag.

Es gab einen Lift im Stiegenhaus. Im Stiegenhaus war es recht finster, da die Fenster an einer unpassenden Stelle waren.

Diese Tatsache konnte nachts zum Problem werden, wenn mal ein Stromausfall passieren sollte.

Doch das war Chris geringste Sorge.

Er machte sich mehr Sorgen darüber, dass es Tür 13 war. Dieselbe Tür wie in seinem Traum.

In der Wohnung angekommen, schaute sich Chris in aller Ruhe um.

Es war eine hübsch eingerichtete 1-Zimmer-Wohnung. Direkt nach der Eingangstür betrat man die Küche, welche rechts eine Tür ins Badezimmer hatte. Das Badezimmer war sehr klein. Gerade mal groß genug um eine Duschkabine, ein Waschbecken und eine Toilette darin unterzubringen.

Links von der Küche aus ging es ins Wohn/Schlafzimmer.

Es war bereits alles mit Möbel eingerichtet. Sogar ein alter Fernseher stand auf dem Wandverbau.

Chris war sehr zufrieden mit dem ersten Eindruck und lächelte.

Der Makler zeigte ihm noch, dass mit den Fenstern, den Heizungen, Strom und den Wasserleitungen alles in Ordnung war und fragte nur kühl

„Was sagen sie? Wollen sie einziehen? Die Wohnung steht seit einer Woche leer und ist sofort bezugsfertig. Wir können gleich den Mietvertrag aufsetzen.“

Chris zögerte nicht lange und las sich den Vertrag in Ruhe durch.

Darin standen nur die Größe der Wohnung und alle Details zur Wohnung, wie Mietkosten und so weiter.

Er unterschrieb sofort und war bereit noch am selben Tag die Wohnung zu beziehen.

Es war ungefähr eine Stunde entfernt von der Wohnung seiner Eltern. Umso besser, wie er fand. Denn er wollte so weit weg, wie möglich.

Er hatte es geschafft, seine eigene Wohnung war da.

Herr Kobold bedankte sich für das gute und schnelle Geschäft, das er abwickeln konnte und sagte noch „Wenn sie Fragen haben oder ein Problem, dann können sie sich jederzeit an mich wenden, Herr Horrer.“

Chris gab ihm die Hand, nahm den Schlüssel entgegen, bedankte sich und der Makler ging.

Das erste was er machte, war seine Mutter anzurufen.

„Hallo, ich hab eine Wohnung gefunden und schon den Mietvertrag unterschrieben. Es ist alles fertig und ich kann heute noch hier einziehen.“

„Was? Davon wusste ich ja gar nichts. Hast du denn überhaupt genug Geld für so einen Schritt?“ fragte die Mutter besorgt.

„Mach dir keine Sorgen, Mama. Ich bin alt genug und weiß was ich tue“ antwortete Chris.

„Na wunderbar, dann gratuliere ich dir, Junge. Wo ist die Wohnung. Wie groß?“ Die Mutter stellte noch einige nervige Fragen, die Chris genervt beantwortete um ihre Neugier zu befriedigen.

„Erzähl es Papa auch, ich hab keine Lust alles doppelt zu erzählen.“ meinte Chris.

Sie vereinbarten, dass die Eltern am nächsten Tag mit dem Auto vorbei kommen würden, um sich die Wohnung anzusehen und Chris einige seiner Sachen zu bringen.

Sie wollten ihm große Mühe ersparen, denn er hatte selbst noch keinen Führerschein.

Aber er war seinen Eltern dankbar, dass sie ihn in dieser Sache so unterstützten.

 

Chris setzte sich zum ersten in seiner Wohnung auf seine Couch, die man als Bett benutzen konnte und starrte aus dem Fenster.

Draußen sah man nicht viel. Direkt vorm Fenster war ein Kindergartenspielplatz und am Horizont der Wilhelminenberg zu sehen.

Eine schöne Aussicht und kein Straßenlärm.

Jetzt fehlte nur noch die Tatsache, dass seine Nachbarn auch in Ordnung waren und eventuellen Lärm seiner Musik dulden würden bzw. selbst nachts Ruhe geben, damit Chris seinen Schlaf bekommen konnte.

 

Er ging in die Küche, öffnete aus Neugier den Kühlschrank und erschrak heftig.

Was er sah, war nicht schön.

Der Kühlschrank war voll mit Schimmel und Ungeziefer hatte sich darin breit gemacht.

Er wurde nicht ausgeräumt, nach dem der letzte Mieter ausgezogen war. Es lagen im untersten Fach noch Lebensmittel, wenn man das so nennen konnte.

Da der Strom ausgeschalten war in dieser Woche, kühlte der Schrank natürlich die Lebensmittel nicht mehr und der Verwesungsprozess nahm seinen Lauf.

Angewidert entfernte er einen schwarzen Fleischklumpen auf einem Teller aus dem Fach.

Dabei fragte er sich, wer aus seiner Wohnung auszog ohne den Kühlschrank auszuräumen.

Lange wunderte er sich darüber nicht. Er dachte sich nur „heutzutage gibt’s einfach kranke Menschen…“.

Begeistert von der Tatsache, dass er gerade in seiner eigenen Wohnung war, beschloss er erst mal in den nächsten Supermarkt zu gehen und die Sache mit einem Six-Pack Bier zu feiern.

Er machte sich also voller Optimismus auf den Weg zum Geschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Chris wollte aber nicht alleine trinken und feiern, also rief er unterwegs seinen einzigen guten Freund Joe an.

„Joe, kommst du zu mir? Ich hab was zu feiern!“

„Zu dir? Was ist mit deinen Eltern?“ fragte Joe.

„Vergiss meine Eltern, ich hab eine Wohnung.“

Joe war sofort hin und weg davon, fragte nach dem Weg und so war die Einweihungsfeier auch schon geplant.

Die Tatsache, dass er auf Tür 13 wohnte und in seinem Traum ebenfalls Tür 13 vorkam, hatte er verdrängt.

Er dachte sich, es konnte nur Zufall sein.

 

 

- 4 -

 

Es läutete an der Tür. Die Klingel klang schrill und laut. Unangenehm in den Ohren, empfand es Chris.

Er ging zum Hörer, fragte „Hallo?“ und Joe schrie „Wo bleibt mein Bier?“

Chris öffnete die Tür und Joe fuhr mit dem Lift nach oben in den dritten Stock.

Oben angekommen, wartete schon Chris mit einem geöffneten, kühlen Bier in der Tür.

Der Kühlschrank war schon geputzt und aktiviert, das Bier eingekühlt.

Die Beiden unterhielten sich lange Zeit über alles Mögliche, da sie sich lange nicht gesehen hatten.

Joe war der Meinung, auch gleich einziehen zu wollen, da er ebenfalls noch bei seiner Mutter wohnte.

Man beschloss die Nachbarn zu testen und Musik einzuschalten.

Joe hatte seine externe Festplatte, den Laptop und Lautsprecher mitgebracht.

Sie hörten nach langer Zeit wieder gemeinsam Musik.

Aus den Boxen dröhnte Heaven Shall Burn. Eine deutsche Metalcore-Band, welche für die beiden Freunde viel bedeutete.

Die Biere wurden weniger und draußen wurde es langsam finster. Joe war schon etwas angeheitert, nach dem er 3 ganze Bier getrunken hatte. Er war eigentlich in letzter Zeit brav gewesen, was den Alkohol angeht. Dabei hatten die beiden eine ziemlich heftige Vergangenheit was Drogen und Alkoholkonsum betrifft.

Aber zu einer Feier gehörte nun mal zumindest Bier und gute, laute Musik.

Chris schlug vor, dass Joe bei ihm übernachten sollte, da der Heimweg schon etwas weit war.

Doch Joe lehnte ab und machte sich auf den Weg nach Hause.

Nun saß Chris alleine, etwas angeheitert vom Bier in seiner Wohnung und fragte sich, wie schön es doch wäre, eine Frau bei sich zu haben.

Er war kein Typ auf den die Frauen flogen. Eher ein Außenseiter und in sich gekehrt.

Doch er träumte davon, mit seiner Traumfrau zusammen zu wohnen.

Der Gedanke machte ihm ein wenig zu schaffen, also stieg er unter die Dusche um sich abzulenken.

Als er das Wasser einschaltete, spritzte eine rote Flüssigkeit aus dem Duschkopf und Chris sprang erschrocken aus der Dusche.

Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und sah noch einmal hin.

Da war plötzlich keine rote Flüssigkeit mehr zu sehen.

Noch einmal schüttelte er den Kopf und dachte sich, er habe zu viel getrunken und Halluzinationen.

Halluzinationen vom Bier?

Das war ihm neu gewesen. Aber er konnte es sich nicht anders erklären.

Dann stieg er noch einmal in die Dusche und genoss zum ersten Mal die warmen Wasserstrahlen seiner eigenen Dusche.

Dabei fragte er sich immer wieder, was eigentlich mit ihm los sei.

Zuletzt dieser Traum und jetzt diese „Halluzination“.

Vielleicht hatte er sich zu viele Horrorfilme in der letzten Zeit angesehen. Er war ein begeisterter Fan von Horrorfilmen.

Aber eigentlich hatten ihn diese nie erschüttern können. Deshalb war ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass seine Fantasie ihm momentan solche Streiche spielte.

Er rief Joe noch einmal an um ihm davon zu erzählen, doch Joe war so betrunken gewesen, dass er am Telefon nur Schwachsinn von sich gab.

Außerdem war der Empfang des Handys in der Wohnung irgendwie schlecht. Es rauschte ständig im Hintergrund und er hörte die Stimme des anderen nur abgehackt.

Einen Haken musste es ja haben, dass er jetzt so schnell eine Wohnung bekommen hat.

Das störte ihn nicht weiter. Telefonieren konnte er schließlich auch außerhalb der Wohnung und wenn es sein musste schrieb er eben SMS.

Er war sowieso kein großer Freund vom telefonieren gewesen. Er konnte es sich nie erklären, aber irgendwas hatte ihn traumatisiert und er telefonierte nur ungern. Wenn er es tat, dann nur kurz und bündig.

Er fragte sich immer wie manche Menschen es schaffen, stundenlang zu telefonieren und über ihre Freiminuten hinaus zu kommen.

Das hatte er noch nie geschafft. Von 1000 Minuten hatte er jedes Monat höchsten 200 verbraucht.

 

Es war bereits spät, die Uhr zeigte 03:00 an.

Chris war recht müde und der Alkohol hatte ihm auch sehr zugesetzt. Er war es nicht mehr gewohnt so viel zu trinken.

Aufgrund der Tatsache, dass er keine Decke und keine Kissen hatte, wollte er nicht so recht schlafen.

Doch die Müdigkeit zwang ihn dazu, sich auf die Couch zu legen.

 

Als er sich hinlegte und für einen kurzen Moment still war, hörte er ein seltsames Geräusch. Es war leise, aber es war da.

Es klang ähnlich wie das Rauschen am Telefon.

Doch irgendwas daran, war unheimlich. Als konnte er im Rauschen eine Stimme hören.

Eine unangenehme Stimme, die ihm ein wenig Angst machte.

Er versuchte herauszuhören, was die Stimme sagte und dachte sich, das konnte nur der Fernseher des Nachbarn sein.

Schließlich konnte er nichts verstehen, von dem Gestammel inmitten eines unangenehmen Rauschens das er wahrnahm.

 

Langsam fielen Chris die Augen zu und er schlief zum ersten Mal in seinen eigenen vier Wänden ein.

 

 

- 5 -

 

Als Chris aufwachte war es draußen bereits hell und die Sonne schien ihm ins Gesicht.

Sein Kopf dröhnte, er hatte einen heftigen Kater.

Den Alkohol war er nicht mehr gewohnt.

Eine Weile brauchte er bis er endlich aus dem Bett stieg und ins Vorzimmer ging.

Überraschenderweise stand die Eingangstür der Wohnung offen.

Er war sich sicher, sie noch zu verriegeln, bevor er ins Bett fiel. Wieso stand die Tür offen?

Ist jemand in die Wohnung eingebrochen?

Chris nahm sich aus der Küche ein Messer und schloss die Tür.

Er durchsuchte die Wohnung, in der Hoffnung auf niemanden zu treffen.

So war es auch. Es war niemand da. Wieso aber war die Tür geöffnet, fragte er sich.

Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Aber er wusste beim besten Willen nicht was los war.

Die Umstände in den letzten Tagen wurden immer seltsamer.

Zuerst dieser Traum, dann diese Halluzinationen.

Chris verstand die Welt um sich herum nicht mehr.

Er wartete darauf, dass seine Eltern kamen und ihm ein paar seiner persönlichen Dinge brachten.

Als sie da waren, wusste Chris nicht, ob er ihnen die Geschichte der letzten paar Tage erzählen sollte. Sie würden ihn für verrückt halten, dachte er.

Also beschloss er, erst mal nichts zu erzählen und die Dinge auf sich beruhen zu lassen.

Es gab für alles eine logische Erklärung, beruhigte er sich.

Vielleicht hatte er ja doch vergessen die Tür zu verriegeln und sogar einen Spalt unabsichtlich offen gelassen, als Joe die Wohnung verlassen hat.

So betrunken wie er gewesen war, hätte ihn das nicht gewundert.

Das war seine logische Erklärung für die offene Tür.

 

Seine Eltern brachten ihm Kleidung, Handtücher und einige Hygieneartikel mit, sodass er wenigstens die lebenswichtigen Dinge im Haus hatte.

Seine Mutter war natürlich wieder überbesorgt und brachte auch ein paar Fertiggerichte mit, die er sich im Mikrowellenherd zubereiten konnte.

 

Als die beiden wieder weg waren, fühlte sich Chris alleine. Es war so still in der Wohnung. Diese Stille war er nicht gewohnt. Er hatte sonst immer irgendwelche Geräusche um sich gehabt.

Man hörte nur ein paar Vögel zwitschern und den Wind leicht durch die Ritzen ins Fenster blasen.

Es war ein sehr windiger Tag und der Himmel war von Wolken bedeckt. Die Sonne die ihm morgens ins Gesicht geleuchtet hat, war verschwunden.

Chris fing an sich seine Wohnung genauer anzusehen, alle Schränke zu öffnen, seine Kleidung zu verstauen, die Hygieneartikel im Badezimmerschrank einzuräumen und die Küchenutensilien zu untersuchen.

Dabei entdeckte er in der Küche im Schrank einen Blatt Papier auf dem etwas geschrieben stand.

 

„Mach nicht denselben Fehler wie ich.“

Stand in roten, schwer lesbar gekritzelten Buchstaben darauf. Es sah aus, als hätte man eine Feder in Blut getaucht und damit diesen Satz aufgeschrieben.

Was war damit gemeint? Wer war damit gemeint?

Und wer hatte einen Fehler gemacht? Was war der Fehler?

Chris stellte sich alle möglichen Fragen und er bekam ein ungutes Gefühl im Bauch.

Immer öfter passierten seltsame Dinge, seit er angefangen hat, eine Wohnung zu suchen.

Er konnte sich nicht erklären, ob das alles nur Zufall war, ob ihm sein Verstand einen Streich spielt oder ob es wirklich einen Grund gibt Angst zu haben.

Er hatte Angst. Scheinbar hat der Vormieter dieser Wohnung, den Satz auf diesen Zettel geschrieben um jemanden vor irgendwas zu warnen. Chris fragte sich, ob der Vormieter hier alleine gelebt hat und an wen der Brief war.

Aber wer lebte zu zweit in einer so kleinen Wohnung? Vielleicht ein Pärchen, vielleicht eine Mutter mit ihrem Kind, die sich nichts Besseres leisten konnten.

In seiner Angst beschloss Chris, Herrn Kobold, den Makler anzurufen und zu fragen wer hier zuletzt gewohnt hat.

„Vor ihnen lebte ein älterer Herr in der Wohnung, aber er verstarb und die Wohnung wurde frei. Wieso wollen sie das denn wissen?“

„Rein aus Interesse, Danke Herr Kobold. Wissen sie woran der Mann starb?“ neugierig wie Chris war, fragte er natürlich nach.

„Ich weiß nicht ob sie das gelesen oder in den Nachrichten gehört haben, aber der Mann wurde ermordet.“ antwortete der Makler.

„Was? Und das sagen sie mir erst jetzt?“ regte sich Chris auf.

„Es tut mir leid Herr Horrer, ich wusste nicht, dass es etwas zur Sache tut, wer zuletzt in ihrer Wohnung gelebt hat und was mit ihm geschah.“

„Und wo wurde er umgebracht? Doch nicht hier, in der Wohnung oder?“ Chris fing an zu zittern.

„Im Zeitungsbericht stand, dass der Mann in seiner Wohnung enthauptet wurde.“

Jetzt wurde Chris einiges klar. Es war der Mann, von dem er in der Zeitung gelesen hat, als er am Weg zum Makler war.

„Was soll das? Ich wohne hier in einer Wohnung in der ein Mensch getötet wurde?“ Chris schrie schon fast ins Telefon.

„Herr Horrer, beruhigen sie sich. In so ziemlich jeder Wohnung in der Stadt, starb schon mal ein Mensch. Warum stört sie das so sehr? Sie wollten doch eine günstige Wohnung oder nicht?“ Der Makler klang plötzlich unverschämt und genervt.

„Ja klar, günstig und alles. Aber eine Mordwohnung? Ach, vergessen sie’s!“ Chris drückte auf den roten Knopf seines Handys und konnte es nicht fassen.

Hatte das alles etwas mit diesem Mord zu tun?

Er fühlte sich plötzlich alles andere als wohl in seinen 4 Wänden. Als er darüber nachdachte, dass hier irgendwo ein Mann ohne Kopf lag und sein Blut den Boden überströmte, wurde ihm ganz schlecht.

Die Tatsache, dass er von einem älteren Mann geträumt hat, der seinen Kopf verlor, machte ihn jetzt umso mehr zu schaffen. Das musste ein Zeichen sein. Und jetzt auch noch dieser Zettel, mit der Warnung. Die Halluzinationen. Er zählte alles zusammen und ihm wurde klar, dass es hier um weit mehr geht, als um Zufall.

Eigentlich war Chris nicht abergläubisch und glaubte nicht an übernatürliche Phänomene oder Geister, aber je länger er darüber nachdachte, was ihm in den letzten Tagen passiert war und was er jetzt erfahren hatte, desto unheimlicher wurde die ganze Sache für ihn.

Er wusste sich nicht zu helfen, nahm seinen Schlüssel und verließ die Wohnung.

Draußen setzte er sich auf eine Parkbank. Ihm war kalt und er hatte das Gefühl, jetzt schon einen Fehler gemacht zu haben, nur weil er diesen Mietvertrag unterschrieben hatte.

Aber was konnte er tun? Er wollte am liebsten die Wohnung nicht mehr betreten, doch es war jetzt sein zuhause.

- 6 -

 

Auf der Parkbank sitzend und nachdenkend, beschloss Chris ein Internet Cafe aufzusuchen und das Netz nach Informationen zu diesem Mord zu durchstöbern.

Nicht weit von der Wohnung fand er auch schon sein Ziel. Er ging in das Internet Cafe, setzte sich an einen Computer und fing an zu suchen.

Ganz genau wusste er nicht, nach welchen Begriffen er suchen soll oder wie er am Besten Informationen zu dem Thema finden soll.

Auf gut Glück tippte er „Enthauptung in Wohnung“ in die Suchmaschine und drückte auf die „Enter“ Taste.

Der erste Eintrag der Suchmaschine war auch schon ein Treffer.

Er klickte auf den Link mit dem Titel „Mord in Wien. Enthauptete Leiche in Wohnung gefunden“

Es war die Webseite einer bekannten Zeitung.

Der Artikel war nicht lang, aber eindeutig.

 

„Heute vor einer Woche fand die Polizei in einer Wohnung am Rande Wiens eine enthauptete Leiche. Der ältere Herr wurde kaltblütig in seiner eigenen Wohnung ermordet. Nachdem die Nachbarn einen grauenhaften Geruch aus der Wohnung des ermordeten Mannes wahrnahmen, riefen sie die Polizei.“

 

Das war eindeutig die Wohnung, dessen Mietvertrag Chris unterschrieben hatte.

So oft passierte es nicht, dass jemand geköpft in seiner Wohnung aufgefunden wird.

Er suchte weiter. Im zweiten Sucheintrag fand er weitere Informationen.

 

„Mysteriöser Todesfall am Rande Wiens. In einer Wohnung fand man einen enthaupteten Mann.

Am Tatort fand die Polizei keinerlei DNA-Spuren die auf einen Mord hinweisen könnten. Die Behörden tappen daher noch im Dunkeln.“

 

Chris’ Übelkeit kam wieder. Keine DNA-Spuren heißt kein Täter.

„Der Mann konnte sich doch schwer selbst enthauptet haben“ dachte Chris.

Er hatte genug gelesen, bezahlte für seine verbrauchte Zeit im Internet und verließ das Internet Cafe wieder.

Als er die Tür hinter sich zufallen hören konnte, sah er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen älteren Mann, mit langem schwarzem Mantel, wie in seinem Traum.

Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm und bewegte sich nicht. Er stand einfach nur da und starrte scheinbar ins Nichts.

Chris wusste nicht, was zum Teufel jetzt wieder passieren würde. Es war weit und breit kein anderer Mensch auf der Straße zu sehen. Der Wind wehte die Blätter auf dem Boden auf.

Es war still, man konnte nur den Wind und das Rascheln des Laubes hören, durch das der Wind pfiff.

Chris ging wie ferngesteuert auf den Mann zu, über die Straße.

Als er 3 Meter vor ihm war, blieb er stehen.

Er wollte sich irgendwie bemerkbar machen, traute sich aber nicht.

Dann drehte der Mann sich langsam um und blickte starr auf seine Füße nach unten.

Keiner der beiden sagte ein Wort. Es war wie in dem Traum, den Chris vor kurzem hatte.

Er wusste, dass es nicht wahr sein kann, was er da gerade erlebte. Es konnte nur wieder eine Halluzination sein. Im Traum sprach er den Mann an. In der Realität wusste Chris nicht, was er tun sollte. Doch er tat es.

„Hallo?“ drang es aus seinem Mund, obwohl er es gar nicht wollte. Am liebsten wäre er einfach weg gelaufen, so schnell er konnte, doch seine Beine waren wie angekettet und seine Augen nur auf den Mann gerichtet. Er konnte sich nicht bewegen.

Der Mann sah Chris an und noch einmal fragte er „Hallo?“.

Darauf griff der Mann in die Innentasche seines Mantels und zog, wie im Traum, das Kreuz mit der Messerspitze heraus, von dem Blut tropfte.

Dann riss der Mann seinen Mund auf und schrie wie im Traum. Es war genau derselbe Schrei, den er im Schlaf schon einmal wahr genommen hatte.

Er erlebte genau dasselbe, wie im Traum, noch einmal in der Realität.

Der Mann verlor auch jetzt seinen Kopf, der vor Chris’ Füßen landete und ihn tot anstarrte und weiter schrie. Chris wusste, was als nächstes geschehen würde, doch er konnte sich einfach nicht rühren, so sehr es auch wollte.

Der kopflose Mann hob das Kreuz und lief auf Chris zu. Als er bei ihm ankam, verlor Chris sein Bewusstsein.

 

Er wachte an genau derselben Stelle wieder auf.

Um ihn herum standen Passanten und blickten auf ihn hinab. Eine junge Dame fragte, ob alles mit ihm in Ordnung sei, ob er Hilfe brauchte.

Chris war im ersten Moment verwirrt und sagte nur „Ja klar, warum sollte ich Hilfe brauchen?“

Dann wurde ihm erst klar, was gerade passiert war und er konnte es sich ein weiteres Mal nicht erklären.

Er stand langsam auf. Der kopflose Mann war verschwunden.

„Wo ist er?“ fragte er.

„Wo ist wer?“ fragte die Frau zurück.

„Na, der Mann, mit dem Kreuz!“

„Ich weiß nicht wovon sie sprechen. Sie sollten nach Hause gehen und sich ausruhen. Sie sind wohl umgekippt.“

„Da war doch … der Mann …“ stammelte Chris leise. „Okay“

Nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, ging er langsam Richtung Wohnung.

Er musste der Sache auf den Grund gehen. Irgendwas passierte mit ihm und er wollte unbedingt wissen, was. Vielleicht wollte der Geist des ermordeten Mannes Kontakt mit Chris aufnehmen. Vielleicht brauchte er seine Hilfe, damit seine Seele in Frieden ruhen konnte. So wie er es schon in vielen Horrorfilmen gesehen hatte.

Nur das es diesmal kein Film war, sondern sein Leben. Er kam sich vor wie in einem sehr gut gemachten Horrorfilm oder einer virtuellen Realität.

Dass er nicht träumte, war Chris bewusst und er wusste auch, dass er irgendetwas tun musste, um diese Sache zu beenden. So sehr er auch Angst hatte in diesem Moment, beschloss er zuhause den Geist, oder was auch immer ihn verfolgte anzusprechen.

 

 

- 7 -

 

Chris kam wieder zuhause an. Seine Angst hat sich mittlerweile in Neugier verwandelt. Er wusste genau, dass all die Ereignisse einen Grund hatten. Diesen Grund wollte er mit allen Mitteln untersuchen.

Er setzte sich ruhig auf sein Bettsofa und schaute um sich. Es war nichts zu sehen. Draußen wurde es langsam dunkel. Es dämmerte und am Horizont war nur noch der rote Schein über dem Berg zu sehen, der von Wolken umgeben war.

Chris fragte in den Raum „Hallo? Ist jemand da?“

Keine Reaktion.

Er wartete ab und blieb ruhig sitzen, während er ein Glas Wasser austrank.

Als einige Minuten lang nichts passierte, stand er auf und ging durch die Wohnung, um nachzusehen ob sich irgendwas verändert hatte.

Es war alles unverändert. Die Sonne war in der Zwischenzeit ganz untergegangen und der Lichtschein, der vor ein paar Minuten noch durchs Fenster schien, tauchte den Raum jetzt in Dunkelheit. Chris schaltete das Licht in allen Räumen ein und fragte ein Weiteres Mal in den Raum „Ist jemand anwesend? Bitte zeig dich.“

Es geschah wieder nichts. Es war absolut still. Man konnte wieder nur leise den Wind durch die Fensterritze pfeifen hören.

Chris wurde ungeduldig. Er fühlte sich provoziert.

Jetzt wo er bereit war, Kontakt mit dem Wesen aufzunehmen, das ihn verfolgte, reagierte es nicht.

Es kam wohl immer nur überraschend, dachte Chris.

Als ihm die Angelegenheit zu langweilig wurde, schaltete er den Fernseher ein.

Es lief nichts gutes, wie immer im Kabelfernsehen, nur Wiederholungen von öden Serien, die er alle schon zigmal gesehen hatte.

Dann hörte er ein lautes Krachen, aus der Küche.

Darauf hatte er schon gewartet, endlich passierte etwas. Er stand hurtig auf, ging zur Küche und sah nichts verdächtiges, wo das Geräusch hergekommen sein konnte.

Er fragte ein drittes Mal „Hallo, bitte zeig dich.“

Dann erklang aus dem Badezimmer einen kratzenden Laut, als würde jemand mit den Fingernägeln an der Wand kratzen.

Er ging zum Badezimmer und sah endlich etwas.

Auf dem Spiegel stand in roten Buchstaben geschrieben „Joe“. Es sah wieder so aus, als wäre es mit Blut geschrieben. Mit einem blutigen Finger.

Chris fragte sich, warum „Joe“?

Joe war sein bester Freund. Was hatte er damit zu tun? Spielte ihm Joe einen Streich?

Doch das kam für ihn nicht in Frage, als er darüber nachdachte. Joe konnte schließlich nicht seine Träume steuern und ihm Halluzinationen ins Hirn setzen. Es sei denn, er gab ihm heimlich Drogen, was Joe aber niemals tun würde.

Außerdem war die Tür verschlossen und Joe konnte unmöglich Buchstaben auf seinen Spiegel schmieren.

Als Chris sich umdrehte und in Richtung Küche blickte, sah er den Mann im schwarzen Mantel an der Eingangstür stehen. Er hatte wieder das Kreuz in der Hand und seine Hände waren blutverschmiert.

Chris zögerte keine Sekunde und fragte „Wer bist du? Was willst du?“

Der Mann blickte wie üblich nur auf seine Füße und zeigte dann mit dem blutigen Kreuz ins Wohnzimmer, als auch schon Chris’ Handy klingelte, das im Wohnzimmer auf dem Tisch lag.

Ohne sich Gedanken zu machen, machte er sich auf den Weg um das Telefonat entgegen zu nehmen. Er ließ den Mann nicht aus den Augen. Der Mann stand weiterhin nur da.

Am Handydisplay stand „Joe“. Chris drückte den grünen Knopf und fragte „Ja? Joe?“

Am anderen Ende hörte er nur ein langsam, gurgelndes atmen.

„Joe? Was ist los?“ fragte Chris weiter.

Dann antwortete Joe mit heiserer Stimme „Chris, ich bin am Weg.“
„Am Weg wohin?“

„Ins Nichts und Überallhin.“ war das Letzte was Joe sagte, bevor das Telefonat beendet wurde.

Der Mann war plötzlich verschwunden.

Auch die Buchstaben am Spiegel waren nicht mehr da. Chris’ Herz raste wie verrückt und er rief Joe sofort zurück.

„Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar. Bitte versuchen sie es später noch einmal“ sagte die automatische Ansage.

Joes’ Handy war also ausgeschalten.

Aus Chris’ Neugier wurde wieder Angst. Angst um seinen guten Freund Joe. Er fragte sich, ob ihm was zugestoßen sein konnte.

Er zog sich schnell die Schuhe an und machte sich auf den Weg zu Joe.

Unterwegs geschah nichts erwähnenswertes, doch die Fahrt kam Chris vor, wie eine halbe Ewigkeit.

Er wollte nur wissen, ob mit Joe alles in Ordnung war und versuchte friedlos in weiterhin zu erreichen. Sein Handy blieb aber ausgeschalten und Chris wurde langsam panisch.

Als er ankam, war es komplett dunkel. Es war nur noch die Straßenbeleuchtung zu sehen.

Keine Menschen auf den Straßen. Es fing an zu regnen als Chris den Autobus verließ.

Er rannte wie vom Teufel gejagt zu Joes’ Wohnhaus und klingelte bei Tür 14, wo er wohnte.

Keiner antwortete. Seine Mutter war auch nicht zuhause. Was sollte er jetzt tun?

Wenn er die Polizei anrief und es war nichts geschehen, hielt man ihn nur für irre.

Bestürzt und verstört machte sich Chris wieder auf den Weg nach Hause. Wenn Joe etwas zugestoßen war, würde er es spätestens am nächsten Tag erfahren. Er konnte nichts weiter tun, als abzuwarten.

 

 

- 8 -

 

Der nächste Morgen brach an und Chris hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht.

Es geschah komischerweise nichts weiter in dieser Nacht.

Er lag einfach nur auf seinem Bettsofa und machte sich Sorgen um seinen Kumpel.

Einige Male hatte er noch versucht Joe zu erreichen, doch sein Handy blieb ausgeschalten.

Heute war Chris’ letzter Urlaubstag, den er sich für den Umzug genommen hatte.

In der ganzen Zeit hatte er jedoch nichts für den Umzug getan. Er war viel zu sehr damit beschäftigt einen Geist zu jagen oder von einem Geist gejagt zu werden.

Er fuhr noch einmal zu Joes’ Wohnung, klingelte wieder auf Tür 14.

Diesmal antwortete seine Mutter.

„Hallo, ist Joe zuhause?“ Chris freute sich, dass jemand da war.

„Nein, er kam gestern nicht nach Hause und ich kann ihn auch nicht erreichen. Komm bitte mal nach oben.“

Chris stürmte die Stufen zu Joes’ Mutter hoch, die schon in der Tür stand und mit einem traurigen Blick „Hallo“ sagte.

„Ich mache mir Sorgen, was wenn ihm etwas passiert ist?“ meinte Chris.

„Ja, ich mir auch. Er kommt sonst immer irgendwann nach Hause und ist immer erreichbar gewesen. Wir sollten die Polizei anrufen.“

„Machen wir das.“

Joes’ Mutter bat Chris in die Wohnung. Sie setzten sich in die Küche und Chris wählte den Polizeinotruf.

Er schilderte der Dame am anderen Ende was vorgefallen war, doch die Polizistin gab sich unbemüht.

Man konnte angeblich erst eine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn 48 Stunden verstrichen waren.

Es waren aber erst knappe 12 Stunden vergangen seit dem Vorfall.

Chris traute sich nicht, Joes’ Mutter all die Dinge zu erzählen, die er erlebt hatte. Er wollte es niemandem erzählen. Man konnte ihn schließlich für verrückt halten und zum Psychiater schicken.

Langsam hielt Chris sich selbst schon ein wenig für psychisch krank, weil er all diese seltsamen Dinge sieht. Vielleicht war er schizophren oder etwas in der Art? Vielleicht hatte er Joe etwas angetan und seine gespaltene Persönlichkeit konnte sich nur nicht daran erinnern.

Er machte sich selbst immer mehr Vorwürfe.

Joes’ Mutter schlug vor, zu warten. Wenn Joe nicht am nächsten Tag zurück war und kein Lebenszeichen kam, machten sie die Vermisstenanzeige bei der Polizei.

Die beiden unterhielten sich noch ein wenig über alltägliche Dinge wie Arbeit und was es sonst so neues gab in Chris’ Leben.

Er hatte nicht viel zu erzählen. Zu Joes’ Mutter hatte er nie ein gutes Verhältnis gehabt. Sie war immer der Meinung gewesen, er hätte einen schlechten Einfluss auf Joe gehabt.

Plötzlich klingelte das Handy der Mutter.

Sie hob ab. Es war die Polizei.

Man hatte Ihren Sohn gefunden.

Sie brach in Tränen aus, als sie aufgelegt hatte.

Chris fragte, was los war und sie erzählte ihm alles.

„Joe… wurde tot gefunden. Er ist … tot.“

„Was? Oh mein Gott, was ist passiert?“ Chris riss die Augen weit auf und konnte es nicht fassen.

Er hoffte darauf, dass das ganze ein Irrtum war und es nicht Joes’ Leiche war, die man gefunden hatte.

Seine Mutter sollte zur Identifikation in die Gerichtsmedizin kommen.

Chris überredete sie, dass er mitkommen durfte. Er wollte der Sache auf den Grund gehen.

Während sie nicht aufhören konnte zu weinen, konnte Chris keine Träne vergießen. Er war zu sehr unter Schock und musste die ganze Sache erst verdauen. Er konnte es erst glauben, wenn er ihn sah. Wenn er die Leiche seines besten Freundes im Leichensack identifizieren konnte.

Noch hatte er nie eine echte Leiche gesehen. Aber er fühlte sich verantwortlich für Joes’ Tod, sofern es Joe war. Er war es ihm schuldig, mitzukommen.

Die beiden machten sich sofort auf den Weg zur Gerichtsmedizin. Unterwegs sprachen sie kein einziges Wort. Sie weinte pausenlos und er starrte nur vor sich hin, in der Hoffnung, dass alles nur ein Missverständnis war.

Angekommen in der Gerichtsmedizin, standen sie vor der Tür, die zur Leichenhalle führte.

Der Polizist fragte Chris, ob er sich sicher war, mitkommen zu wollen.

Er ließ es sich aber nicht ausreden.

Sie betraten die Leichenhalle, in der es ziemlich kalt war.

Der Polizist führte sie zu einem Tisch auf dem ein geschlossener Leichensack lag.

Er fragte noch einmal, ob sie bereit waren und öffnete langsam den Sack.

Darin lag Joes’ entstellter Körper. Seine Mutter drehte sich um und brach zusammen.

Der Polizist brachte sie nach draußen um ihr einige Fragen zu stellen.

Chris blieb stehen und schaute sich Joes’ Körper an. Jetzt hatte er die ungute Gewissheit, dass sein bester Freund wirklich tot war. Doch wer oder was konnte ihm das angetan haben?

Er untersuchte mit den Augen, was ihm zugestoßen war.

Sein Kopf war übersäht von Hämatomen und war zur Hälfte zertrümmert.

An seinem Hals konnte man einen tiefen Schnitt erkennen. Sein Oberkörper war ebenfalls von blauen Flecken und Schnitten verschandelt worden.

Er scheint verblutet zu sein. Solche heftigen Verletzungen konnte kein Mensch überleben. Aber konnte ein Mensch solch grauenhafte Taten vollbringen? Chris lief die erste Träne über seine Wange, doch er versuchte ruhig und gelassen zu bleiben. „Es tut mir so leid, Joe“ sagte er, während er seinen besten Freund ansah, der einem Menschen nur noch wenig ähnlich sah.

Joes’ Finger fehlten. Es sah aus, als hätte jemand oder etwas sie abgebissen. Seine Brustwarzen wurden ebenfalls entfernt und Chris konnte darunter die Rippen hervorstehen sehen.

Er blickte weiter nach unten in Richtung Bauch. Der Bauch war offen.

Ein weiter horizontaler Schnitt hatte seine Innereien frei gesetzt.

Nun war es Chris zuviel. Er musste den Raum sofort verlassen, ehe er sich übergeben musste.

Er konnte seine Gefühle nicht mehr unterdrücken und brach ebenfalls in Tränen aus.

Der Polizist bestätigte die Identität von Joe und machte eine abfällige Bemerkung

„Hatte wohl die falschen Freunde, der Junge“.

Worauf hin Chris mit der Faust gegen die Wand schlug und einen blutigen Fleck hinterließ.

Der Polizist ermahnte ihn und schickte ihn nach draußen.

Joes’ Mutter kam bald nach und erklärte Chris unter Tränen, dass die Leiche untersucht werden muss, damit klar gestellt werden kann, wer ihm das angetan hat. Chris musste sofort an die enthauptete Leiche denken, an dessen Tatort man keine fremde DNA gefunden hatte und somit auch kein Täter in Frage kam.

Er konnte nichts mehr sagen und die Wege der beiden trennten sich.

Chris entschloss sich dazu, seine Eltern zu besuchen und ihnen alles zu erzählen.

Ob er ihnen auch von den seltsamen Geschehnissen erzählen sollte, wusste er noch nicht. Er wollte jetzt einfach nur zu seinen Eltern.

 

 

- 9 -

 

Der Weg zu seinen Eltern war nicht weit weg von Joes’ Wohnung. Er musste nur über den Donaukanal spazieren und ein paar Häuser weiter wohnten seine Eltern auch schon.

Er war froh darüber wieder in seinem Heimatbezirk zu sein und klingelte bei seinen Eltern auf Tür 9.

Seine Mutter antwortete „Ja?“

„Hallo, ich bin’s Chris“

Die Tür öffnete sich und Chris betrat den Lift. Er fuhr hoch in den zweiten Stock wo seine Mutter schon auf ihn wartete.

Chris fragte, ob sein Vater auch zuhause war. Er war nicht da.

„Ich muss euch was Schlimmes erzählen“

„Hm ich dir auch. Warum warst du die ganze Zeit nicht erreichbar?“ fragte die Mutter.

„War ich doch, mein Handy ist eingeschalten, wie immer.“

„Egal, ich hab deinen Vater seit gestern nicht gesehen und kann ihn ebenfalls nicht erreichen. Ich glaube, er hat mich verlassen.“ sagte die Mutter mit traurigem Blick.

„Das würde er nie tun. Aber trotzdem beunruhigt mich das jetzt total. Joe ist tot und er war auch einen Tag lang nicht erreichbar, bevor man ihn fand.“

„Ach du meine Güte“ die Mutter war fassungslos.

„Was ist mit ihm passiert?“

„Er wurde ermordet und sein Körper verstümmelt.“ flüsterte Chris seiner Mutter zu.

Sie griff sich an die Stirn und ließ den Kopf hängen.

„Aber jetzt mach dir deswegen keinen Kopf, wichtiger ist jetzt wo Papa ist. Nicht, dass ihm auch was zugestoßen ist. Es passieren momentan sehr komische Dinge. Ich weiß aber nicht wie ich dir das erklären soll.“ Chris war misstrauisch und war sich nicht sicher, ob er jetzt alles erzählen sollte.

„Du kannst mit mir immer über alles reden, das weißt du doch.“ beruhigte ihn seine Mutter und streichelte ihm über den Kopf.

„Na ja in letzter Zeit passieren mir echt unheimliche Sachen. Seit ich in der neuen Wohnung bin.“

Er erzählte ihr alles detailreich und sie konnte sich nichts davon erklären. Ihr einziger Kommentar darauf war „Du siehst wohl wieder zu viele Horrorfilme.“

Wenn dem so gewesen wäre, warum sah er dann den alten Mann ständig und warum warnte er ihn, dass Joe etwas passiert war?

Und jetzt war sein Vater auch noch verschwunden.

„Mach dir keine Sorgen, er wird schon wieder auftauchen.“ die Mutter glaubte sich selbst nicht so recht, aber wollte ihren Sohn beruhigen.

„Ich geh ihn jetzt suchen“ sagte Chris mit grimmiger Miene.

Er wusste wo sich sein Vater gerne aufhielt, wenn er in seiner Freizeit mal nicht zuhause gewesen war.

Er war meist in einer Kneipe und trank mit alten Freunden ein paar Biere.

Die Kneipe war nicht weit weg. Er ging also dorthin.

Sein Vater war nicht dort. Ein paar seine Freunde schon. Chris fragte ob sie ihn gesehen hätten, aber keiner konnte ihm sagen, wo er sich aufhielt.

Er war wütend. Wenn der Geist sein ganzes Umfeld auf dem Gewissen haben wollte, dann sollte er sich auf etwas gefasst machen.

Chris dachte nach, was er tun könnte um der ganzen Sache auf die Spur zu kommen.

Er hatte mal von sogenannten Geisterjägern gelesen und sich dabei nichts gedacht, als dass es Schwachsinn wäre, nach etwas zu jagen, das nicht existiert. Jetzt war er anderer Meinung.

Er brauchte offensichtlich einen von diesen Geisterjägern um den Spuk zu beenden.

Wieder suchte er sich ein Internet Cafe um nach einem solchen zu suchen.

Er wurde schnell fündig und rief denjenigen sofort an.

„Hallo, was kann ich für sie tun?“ fragte ein vernünftig und sympathisch klingender Mensch.

„Guten Tag, ich brauche ihre Hilfe. Sie können doch Geister vertreiben oder?“

„Alles klar, wo befinden sie sich gerade? Ich komme zu Ihnen. Bleiben sie bitte wo sie sind und sprechen sie mit niemandem.“

Chris sagte ihm seinen Standort und wartete anschließend auf den freundlichen Mann am Telefon.

Die Minuten vergingen, kamen Chris aber vor wie Stunden. Er saß in dem Internet Cafe und fixierte den Bildschirm vor sich.

In seinem Kopf spielten sich Szenarien ab, was mit seinem Vater wohl passiert sein konnte.

Er hoffte, dass es ihm gut ging und er am Leben war. Bei Joe war die Hoffnung schnell vergangen.

Außer dem Mitarbeiter befand sich niemand im Internet Cafe, doch Chris nahm ein rauschendes Flüstern wahr.

Es klang für ihn wie „Tod, Tod, Tod, Blut, Blut, Blut, trink, Blut, Tod“.

Ihm stellten sich die Nackenhaare auf. Er blickte um sich, sah aber niemanden, bis auf den Mitarbeiter.

Der Mann am Telefon sagte, er sollte mit niemandem sprechen. Daran hielt sich Chris.

Er blieb stur sitzen und wartete.

Dann betrat ein junger Mann das Internet Cafe, ging geradewegs auf Chris zu und bat ihn, mit ihm zu kommen.

Chris bezahlte den Mitarbeiter und beide verließen das Internet Cafe.

Auf der Straße fragte der Mann nur, wo der Geist sich aufhält.

Chris konnte es ihm nicht genau sagen, denn er wusste es nicht. Doch seine Vermutung war, seine Wohnung.

Also machten sie sich auf den Weg zur Wohnung.

Auf dem Weg da hin, erzählte Chris dem Mann alles so detailliert wie es nur ging.

Angekommen an der Wohnungstür, deutete der Mann auf die Türnummer 13.

„Kein gutes Zeichen.“

Chris nickte nur und öffnete die Tür.

Sie betraten die Wohnung und Chris zeigte ihm, wo sich die Geschehnisse abgespielt hatten.

„Dein Freund wurde nicht ermordet. Er wurde geholt, von ihm.“ sagte der Mann mit zitternder Stimme.

„Von ihm? Wer ist er?“

„Er ist ein Dämon, der auch schon den Vormieter deiner Wohnung aus seiner lebenden Hülle geholt hat.“

Chris schüttelte den Kopf.

„Ein Dämon? Woher wissen sie…?“

Der Mann unterbrach ihn „Ich habe den Fall untersucht und die Mietervertretung gebeten, die Wohnung erst mal nicht zu vergeben. Der Dämon hat sich hier eingenistet und holt sich jeden, der die Wohnung betritt und keine Ahnung von Geisterbekämpfung hat. Zum Glück kenne ich mich damit aus, sonst würde ich nicht schon wieder hier stehen.“

„Das heißt Joe, ich und meine Eltern werden von ihm geholt…“

„Wenn wir nichts dagegen unternehmen, ja.“ der Mann lächelte, was Chris irgendwie ein gutes Gefühl gab. Es gab ihm Hoffnung.

„Dein Vater… er wurde schon geholt.“ gab der Mann ihm zu wissen.

„Du elendes Dreckschwein, ich hol dich auch, wenn ich dich erwische!“ schrie Chris aus voller Lunge.

„Er kann dich nicht hören. Er hört nur, was er hören will. Bemüh dich gar nicht.“

Dann packte der Mann aus seinem Rucksack ein paar fremdartig aussehende Dinge aus.

Eins davon sah aus wie ein futuristischer Staubsauger, ein anderes war ein kleines Fläschchen mit einer schwarzen Flüssigkeit.

Der Mann bat Chris, die Flüssigkeit auf einen Schluck zu trinken.

„Es schmeckt nicht sehr gut, aber du bist dadurch geschützt.“

Chris zögerte kurz, trank dann aber von dem Fläschchen. Als er die Flüssigkeit runtergeschluckt hatte, verzog er sein Gesicht.

„Das schmeckt wie … Keine Ahnung, Kotze?“

„Schon mal Kotze probiert?“ scherzte der Mann.

Chris war nicht zum scherzen zu Mute.

„Jetzt bin ich geschützt?“ Chris zitterte und misstraute dem Mann.

„Ja, du bist ab jetzt geschützt. Am Besten du rufst sofort deine Mutter an und sagst ihr, sie soll hier her kommen. Keine Erklärungen, sie soll einfach nur kommen.“

Chris tat, was der Mann ihm befahl und seine Mutter machte sich auf den Weg.

Der Mann versprühte in der Zwischenzeit mit seinem „Staubsauger“ grauenhaft stinkenden Rauch in der ganzen Wohnung.

„Er ist fürs Erste im Tiefschlaf. Sieh zu, dass du den Mietvertrag für die Wohnung so schnell wie möglich kündigst und komm dann nie wieder hier her.“

Chris packte seine wichtigsten Sachen zusammen und verließ mit dem Mann die Wohnung.

Sie warteten im Hof auf der Parkbank auf seine Mutter.

Der Geisterjäger versuchte ihr alles zu erklären. Sie war unbeeindruckt, bis er auf das Problem des Vaters kam. Ab da fing sie an den Mann zu beschimpfen und wurde hysterisch.

Chris versuchte sie zu besänftigen und bat sie darum, die schwarze Flüssigkeit zu trinken.

Sie trank den schwarzen Saft und schüttelte den Kopf. „Chris was machst du für Sachen?“

„Vertrau mir einfach, bitte!“

Jetzt kam Chris ein Gedanke.

Der Makler, Herr Kobold, hatte die Wohnung auch betreten. Ob er wohl noch lebt?

Der Geisterjäger verabschiedete sich und bat noch einmal darum, nie wieder die Wohnung zu betreten.

So schnell er da war, war er auch wieder verschwunden.

Chris’ Mutter und er blieben auf der Parkbank sitzen.

Er griff zum Handy und rief das Immobilienbüro an.

„Immobilien-Juwel, was kann ich für sie tun?“

„Guten Tag, ist Herr Kobold zu sprechen?“

„Nein, er ist seit 2 Tagen nicht mehr zur Arbeit gekommen und wir konnten ihn auch nicht ausfindig machen.“

Chris war sofort klar, Herr Kobold wurde ebenfalls geholt. Er war tot.

Als er seiner Mutter erzählte, dass bereits 2 Menschen die seine Wohnung betreten haben tot sind und wahrscheinlich auch sein Vater nie wieder kommen wird, ließ sie den Kopf fallen und fing an ihrem Sohn zu glauben.

Sie standen auf und fuhren zur Wohnung der Eltern.

 

 

- 10 -

 

Der Vater war noch immer nicht aufgetaucht.

Chris und seine Mutter riefen die Polizei und fragten nach, ob es vielleicht eine Spur gab.

Der Polizist wollte keine Auskunft geben.

„Schalt mal den Fernseher ein und geh zum Nachrichtensender“ rief Chris seiner Mutter zu.

Sie griff zur Fernbedienung und schaltete zum Nachrichtensender.

Es liefen gerade die stündlichen Nachrichten.

Der Sprecher berichtete von mysteriösen Todesfällen in den letzten Tagen.

„Gestern wurde die Leiche eines Mannes in der Donau schwimmend gefunden. Sein Körper war entstellt, ihm fehlten beide Füße und seine Augen, sowie Ohren wurden entfernt.“

Chris blickte seine Mutter an. Er hoffte darauf, dass es nicht sein Vater war. Natürlich, wollte er auch nicht, dass der Makler Herr Kobold ein solch grausames Ende gefunden hatte, doch es war ihm bei weitem lieber als wenn es seinen Vater getroffen hatte.

Der Sprecher sprach weiter

„Außerdem fand man heute Morgen eine weitere Leiche. Ein Mann mittleren Alters wurde tot gefunden. Sein Körper wurde ebenfalls misshandelt und entstellt, indem man ihm die Geschlechtsteile abtrennte, seinen Mund zunähte und die Hände zusammenklebte. Weitere Details dürfen leider nicht der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.“

Jetzt war Chris bewusst, dass sein Vater ebenfalls tot war. Es passte alles zusammen.

- 11 -

 

Es vergingen 3 Tage ohne Lebenszeichen des Vaters. Chris und seine Mutter hatten schon die Hoffnung aufgegeben, ihn jemals wieder zu sehen.

Das Handy der Mutter klingelte.

Die Polizei rief an um ihr mitzuteilen, dass eine der beiden gefundenen Leichen, ihr Mann und Chris’ Vater war.

Beide brachen in Tränen aus und fielen sich in die Arme.

 

Nach dem Begräbnis des Vaters, eine Woche später, setzten sich Chris, seine Mutter und Joes’ Mutter zusammen und redeten über vergangene Zeiten.

Die beiden Mütter hatten sich bisher nicht gekannt und haben jetzt eine gute Verbindung miteinander bekommen.

 

Chris schaltete den Fernseher ein, wechselte auf den Nachrichtensender.

„Die 4 Todesfälle in den letzten Wochen konnten bisher nicht aufgeklärt werden. Es wurde bei keinem der Opfer fremde DNA gefunden, die auf einen Mord hindeuten würden. Die Polizei tappt daher weiter im Dunkeln. Bei Hinweisen wenden sie sich bitte an die Bundespolizeidirektion Wien“.

 

Chris wusste Bescheid, es war ein Dämon, der diese Morde beging. Er holte einen alten Mann, seinen besten Freund, seinen Vater und seinen Immobilienmakler, Herr Kobold.

Nie wieder hatte Chris übernatürliche Phänomene beobachten können. Sein Leben verlief, bis auf die traumatisierende Tatsache, dass er geliebte Menschen verloren hatte normal weiter.

Er, seine Mutter und Joes’ Mutter lebten von nun an in Frieden weiter und wurden nie wieder von einem Dämon belästigt.

Wie es mit der Wohnung und dem unwillkommenen Gast darin weiter geht, wird die Zukunft zeigen.

Impressum

Texte: Michl Schendi
Bildmaterialien: Johannes Zach
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meine zweite Kurzgeschichte, die ich 2012 bereits geschrieben hab. Danke an Hannes für das Cover!

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