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Tot, am Leben - Alle Kapitel

 

 

Tot, am Leben

Eine Kurzgeschichte von
Michl Schendi

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

Freitag, 13. September 2013

Als er an diesem Morgen aufwachte, war etwas im Leben von Jo verändert. Er war sich noch nicht darüber im Klaren, doch in einigen Stunden würde er es merken. Der Verlauf der nächsten Tage, stellte sein Dasein so sehr auf den Kopf, dass er beinahe seinen eigenen Namen vergaß.
Seine Freundin und er waren gerade umgezogen, in eine kleine Wohnung am östlichen Stadtrand.
Die beiden freuten sich so sehr darauf, dass sie auf Fernseher und Kühlschrank verzichteten, als die Wohnung endlich möbliert war. Jo behielt aber den Mietvertrag der alten Wohnung, da er eine Ausweichmöglichkeit nicht ausschließen wollte. Diese war am anderen Rand der Stadt im Westen und es lag eine Stunde Weg mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dazwischen. Zufälligerweise war der Umzugstag, der 13. September 2013 und dieser Tag fiel auf einen Freitag.
Jo war nicht abergläubisch und dachte sich nichts weiter dabei.
Ein paar Tage später, änderte sich jedoch Jos‘ Ansicht dazu drastisch. Im Lauf der nächsten Wochen, passierten seltsame Dinge, die ihn, seine Freundin Jana und ihre kleine Katze Grey mehr als nur verängstigten.

 

 

1

Die beiden hatten an diesem Freitag ihren freien Umzugstag und ein langes Wochenende geplant um die wichtigsten Sachen noch aus der alten Wohnung in die neue zu transportieren. Jo war beruflich als Netzwerkadministrator aktiv und Jana arbeitete in einem Büro für Marktforschung.
Grey war gerade 15 Wochen alt und noch sehr verspielt.
Die 3 hatten sich schnell aneinander gewöhnt. Jo und Jana lernten sich ein paar Monate zuvor kennen und verliebten sich sofort ineinander. Jana zog vorübergehend bei Jo ein, solang die neue Wohnung nicht bezugsfertig war.
Dann war es endlich soweit und sie verbrachten die erste Nacht von Donnerstag auf Freitag in ihrem neuen Heim.
Donnerstagabend aßen sie noch gemütlich eine Pizza, die sie sich liefern haben lassen und fielen dann in einen tiefen Schlaf.
Grey war nervös, da sie die Umgebung noch nicht kannte. Sie schlief offenbar nicht viel und tobte umher, um das neue Revier zu erkunden. Zumindest dachten die beiden das.
Jo träumte in dieser Nacht nicht, doch Jana erzählte ihm am nächsten Morgen von ihrem seltsamen Traum.

„Die Katze veränderte sich in diesem. Sie war nicht mehr dieselbe. Ihre Fellfarbe veränderte sich von Grau zu Schwarz und ihre orangenen Augen leuchteten plötzlich rot im Dunkeln. Sie pfauchte und kratzte bei jeder Gelegenheit. War aggressiv gegenüber allem und jedem. Scheinbar fühlte sie sich in der neuen Wohnung gar nicht wohl. Dann blieb sie plötzlich stur an einer Stelle auf dem Bett sitzen und starrte etwas im Raum an. Sie fixierte es mit ihren Augen und stellte ihre Haare auf. Jana sah nichts im Raum. Grey fing an die Luft anzufauchen und sprang vom Bett auf. Als sie am Boden aufkam, winselte sie erbärmlich und lief so schnell sie konnte in die Dunkelheit unter das Bett um sich zu verstecken. Jana wusste nicht, was sie davon halten sollte. Dann war sie wach.“

Jo meinte, es wäre nur die ungewohnte Umgebung und die Katze bräuchte eine Weile um sich einzuleben.
Die beiden ließen Grey in dieser Situation nur ungern alleine,
doch geplant war es, noch einige wichtige Sachen aus der alten Wohnung zu holen. Jana schlug vor, bei der Katze zu bleiben und Jo sollte die letzten paar Dinge alleine holen.
Sie frühstückten noch, tranken gemeinsam einen Tee um wach zu werden, unterhielten sich und Jo machte sich anschließend auf den Weg ans andere Ende der Stadt. Unterwegs, als er gerade auf den Autobus wartete, klingelte sein Smartphone.
Ein unbekannter Anrufer erschien am Display. Keine Nummer wurde mitgesendet. Normalerweise wollte Jo nie abheben, wenn er nicht wusste, wer am anderen Ende ist, doch dieses Mal tat er es, da es sein konnte, dass ein Anruf seiner Bank kam. Er drückte den grünen Knopf am Touchscreen und fragte „Hallo?“
Am anderen Ende hörte er zunächst nichts, ausser einem leisen rauschen. Er wollte gerade noch einmal ins Telefon sprechen, als die Verbindung unterbrach. „Hat sich wohl einer verwählt“ dachte Jo.
Der Bus kam, Jo stieg ein und fuhr also Richtung Bahnstation.
Dort musste er umsteigen in den Zug Richtung Westen.
Am Bahnhof war es leer und ruhig. Ein Obdachloser saß neben den Toiletten auf dem Fußboden und schaute Jo an.
Sonst war kein Mensch zu sehen. Der Mann war offensichtlich arm und krank. Vor ihm lag eine Mütze in der er die Münzen sammelte, die vorbeigehende Menschen ihm spendeten.
Als Jo an ihm vorbeiging, rief der Mann „Hey, du, kannst du mir helfen?“.
Jo blickte zur Seite, es war ihm unangenehm. Der Mann stank nach abgestandenem Bier und Urin, so als hätte er seit Wochen keine Dusche mehr gesehen.
„Ja, bitte?“ fragte Jo. Der Mann antwortete „Ich brauch nur was zu essen.“
Er sah wirklich abgemagert, krank und unterkühlt aus. Es hatte an diesem Tag nicht mehr als 13 Grad draußen und in der Bahnstation war es nicht viel wärmer. Also beschloss Jo, da er ein gutes Herz hatte, ihm im Laden gegenüber eine Kleinigkeit zu kaufen. Er brachte ihm ein Stück Pizzabrot und einen warmen Kaffee. Der Mann stand auf um sich zu bedanken.
Zumindest hatte Jo das erwartet. Doch der Mann riss Jo das Essen und den Kaffee aus den Händen und sagte kein Wort.
Jos‘ Gemüt veränderte sich von Gutmütig zu Wütend.
„Keine Ursache, Arschloch!“ rutschte ihm aus dem Mund.
Der Mann setzte sich wieder und verschlang sein kostenloses Essen, den billigen Automatenkaffee und würdigte Jo keinen Blick mehr.
Er ging also weiter Richtung Bahnsteig, wo der Zug schon bereit zum Einsteigen stand. Auch der Zug war fast leer, bis auf eine alte Dame mit ihrem Hund und einen jungen Mann im Anzug, der scheinbar auf dem Weg zu einem Geschäftstermin war. Jo nahm die Zeitung, die er sich gerade gekauft hat zur Hand um die neuesten Schlagzeilen zu lesen, als sein Telefon wieder läutete. Diesmal erschien am Display der Name Jana.
Er freute sich und nahm natürlich den Anruf sofort an.
„Hey, mein Schatz“ sagte er, mit zärtlicher Stimme.
Zuerst dachte er, sein Handy wäre defekt, da er wieder nichts hören konnte, als leises Rauschen und das Rumpeln des Zuges während der Fahrt.
„Hallo, Schatz? Hörst du mich?“
„Nein! Sie kann dich nicht hören und du kannst nichts dagegen tun!“ sagte eine finstere und verzerrte Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Wie bitte? Wo ist Jana? Lassen sie mich sofort mit ihr sprechen!“ drückte Jo laut aus seiner Kehle heraus.
„Sie ist nicht da, wo du bist! Dein Fehler, Bastard!“ sprach die Gestalt und die Verbindung unterbrach.
Jo stand unter Schock und wusste in dem Moment nicht, ob er wirklich gerade telefoniert hat.
Er drückte die Wahlwiederholungstaste und rief auf Janas‘ Handy an. Es ertönte nur die Sprachboxansage.
Jo fing an sich Sorgen zu machen und stieg bei der nächsten Gelegenheit aus dem Zug um umzukehren und nach seiner Freundin zu sehen. Er war besorgt und zitterte stark. Ihm war kalt und er schwitzte stark. Ein kalter Wind peitschte ihm in der Bahnstation ins Gesicht, sodass er die Augen kaum offen halten konnte, doch er kämpfte dagegen an um schnell wieder bei Jana zu sein

2

Jo stand schon vor der Tür mit dem Schlüssel in der Hand als Jana die Tür aufriss und ihm mit verweinten Augen entgegen kam. Es musste etwas Schlimmes passiert sein, denn Jana weinte nicht oft. Der Anruf im Zug hatte Jo schon sehr beunruhigt und er fragte sofort was passiert war.
„Ich fühl mich ganz schlecht. Ich weiß es auch nicht. Grey dreht vollkommen durch und fängt an mich zu Beißen und zu Kratzen. Sie pfaucht mich nur an, wenn ich sie beruhigen möchte. Und ich hab seltsame Geräusche und eine Stimme aus dem Badezimmer gehört. Ich hab Angst.“ erzählte Jana mit verweinter Stimme und völlig aufgelöst, als hätte sie jemand bedroht.
„Verdammt, was ist mit Grey los? Fehlt dir was Schatz? Was für eine Stimme hast du gehört?“
„Es klang, wie ein verzerrtes Flüstern, ich hab nicht verstanden was gesagt wurde, aber es klang eindeutig so, als wäre ein Mann in unserem Badezimmer. Ich hab es von außen abgeschlossen und dann haben die Geräusche aufgehört.“
Jana beruhigte sich langsam wieder, weil Jo endlich da war und sie in die Arme nahm. Grey war wieder unterm Bett verschwunden, nachdem Jana die Badezimmertür abgeschlossen hatte. Jo ging also zum Badezimmer und öffnete langsam die Tür. Er schaltete das Licht ein und niemand war zu sehen. Auch keine Geräusche oder Stimmen. Er dachte sofort an den seltsamen Anruf von Janas‘ Nummer und erzählte ihr was ihm geschah. Auch die Sache mit dem Obdachlosen erzählte er ihr und sie hörte aufmerksam zu.
Beide konnten nicht verstehen, was heute passierte und sie beschlossen es erst mal zu verdrängen. Grey kam unter dem Bett hervor und blickte unschuldig und verängstigt in Richtung Jo. So wie sie immer schaut, wenn sie etwas angestellt hat und sich entschuldigen möchte. Also nahm Jo sie nach oben und streichelte mit seiner Nase ihren Kopf. Die Katze liebte das und fing sofort zu schnurren an. Was vorhin vorgefallen war, hatten sie jetzt fast wieder vergessen. Es war so seltsam, dass Jo und Jana völlig verwirrt waren und nicht darüber nachdenken wollten. Jo beschloss heute zu Hause bei seinen zwei Mädels zu bleiben und sich erst am Wochenende um die wichtigen Dinge zu kümmern. Es war nun bereits mittags und der Hunger kam langsam zum Vorschein. Leider war die neue Wohnung noch, außer den Möbeln, leer. Um nicht vor die Tür gehen zu müssen, bestellten sie sich beim Chinesen ihr Mittagessen. Nachdem sie gegessen hatten, machten sie es sich auf dem Bett gemütlich. Sie nahmen beide ihr Buch zur Hand und fingen an zu lesen. Grey rollte sich zwischen Jo und Jana ein und schlief. Jana schlief beim Lesen ebenfalls ein. Jo fing in der Zwischenzeit an ein wenig die Schränke und Kästen einzuräumen. Er versuchte so leise wie möglich zu sein um die zwei nicht zu wecken. Doch als er merkte, dass Jana im Schlaf zuckte und unverständliche Worte sprach, wurde er wieder nervös. Im fiel sofort der Vorfall von heute Morgen ein. Schließlich ging er zum Bett und weckte Jana mit einem Kuss auf die Stirn. „Schatz wach auf, träumst du wieder?“
Jana öffnete die Augen und war im ersten Moment orientierungslos. Sie war es noch nicht gewohnt in einem anderen Bett aufzuwachen als die Wochen zuvor in Jos‘ Wohnung.
„Nein, ich hab nicht geträumt, aber ich fühle mich noch immer nicht gut“ sagte sie leise und verschlafen.
Ihr Gesicht war blass und sie hatte Augenringe, die auf ihre Müdigkeit hindeuteten. Grey erwachte ebenfalls in diesem Moment und streckte sich kräftig in alle Richtung, bevor sie vom Bett sprang und auf die Katzentoilette stolzierte.
Die Katzentoilette stand im Vorzimmer, direkt neben der Eingangstür der Wohnung und der Tür zum Badezimmer.
Jo und Jana unterhielten sich eine Weile.
„Du solltest dich die nächsten Tage schonen, Schatz. Der Stress in letzter Zeit hat uns beiden nicht gut getan.“ sagte er mit ruhiger Stimme zu seiner Freundin.
„Du hast wohl Recht, ich bleib im Bett. Habe auch keine Lust zu nichts.“ beantwortete Jana.
„Nicht, dass du krank wirst. Wäre ja bei dem Scheißwetter kein Wunder. Nur nass und kalt seit zwei Wochen.“
Janas‘ Augen fielen wieder zu und Jo deckte sie mit der neuen großen Decke zu. Sie drehte sich zur Seite und schlief wieder ein. Als Grey zurück ins Wohnzimmer kam, blickte sie Jo wieder tief in die Augen. Ihr Verhalten war nicht normal, seit sie hier waren. Jo konnte sich das nur durch die neue Umgebung erklären, aber was es mit der Stimme am Telefon und im Badezimmer auf sich hat, wusste er nicht. Um zu testen, was passiert, rief er nochmal auf Janas‘ Handy an. Diesmal klingelte es. Als er sie zuvor fragte warum er nur in die Sprachbox kam, konnte sie es nicht erklären. Der Empfang war scheinbar plötzlich weg. Am späteren Nachmittag, als die Sonne langsam unterging und die letzten Strahlen ins Zimmer fielen, schaltete Jo das Licht ein. Er fühlte sich ebenso unbehaglich und konnte keine Erklärung dafür finden. Als hätte er ein Gewicht auf der Brust, das ihn nach unten drückt. Als stände jemand auf seinen Schultern. Er fühlte sich schwach und schlapp. Dann wurde im übel und er ging ins Badezimmer zur Toilette um sich zu übergeben. Wie ferngesteuert stand er auf und betrachtete sich im Spiegel der an der Wand über dem Waschbecken hing. Sein Gesicht war ebenfalls bleich und seine Augen gerötet, als hätte er eben einen großen Joint geraucht.
Das war nicht der Fall. Dass ihm so übel war, konnte nur am Essen liegen. Scheinbar war der örtliche Chinese nicht gut, obwohl im Internet gute Bewertungen der Kunden waren.
Er ging in die Küche am anderen Ende der Wohnung um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Die Trockenheit in seinem Mund machte ihm zu schaffen. Er fühlte sich ausgetrocknet und seine Hände waren rau, als hätte er sie in eine chemische Flüssigkeit gehalten, die leicht ätzend ist.
Plötzlich, als er sich umdrehte um wieder ins Wohnzimmer zu gehen, stand Jana vor ihm im Türrahmen.
Sie sah ihn teilnahmslos und abwesend an. Ihr Gesicht war noch blasser geworden und ihre Augen waren feucht. Ihre Pupillen waren zur Gänze gewachsen und das Weiße ihrer Augen war rötlich verfärbt.
„Schatz? Was ist nur los? Willst du zum Arzt, dich kontrollieren lassen?“ fragte Jo beunruhigt.
„Nein“ entgegnete Jana, drehte sich um und brach plötzlich zusammen. Jo versuchte sie aufzufangen, doch sie war einen Schritt zu weit entfernt. Er hob sie vom Boden auf und legte sie aufs Bett. Ihre Haut war brütend heiß. Ihre Augen geöffnet und nach hinten gerollt. Sie war bewusstlos, aber atmete noch. Ihr Puls war schnell. Jo griff sofort zum Telefon und wählte den Notruf. In ein paar Minuten sollte ein Notarzt da sein. Die Minuten kamen ihm aber vor wie Stunden und er ging nervös auf und ab, legte ihr noch ein kaltes Tuch auf die Stirn und wartete.
Dann, nach scheinbar einer Ewigkeit läutete die Klingel an der Tür und der Notarzt war mit 2 Sanitätern da. Jo erklärte was passiert war und merkte wie einer der Sanitäter zitterte und unruhig um sich blickte. So als würde er beobachtet werden von jemand den er nicht sehen kann.
Der Notarzt gab Jana ein Mittel gegen das starke Fieber und beschloss sie mit ins Krankenhaus zu nehmen.
Jo beeilte sich und half den Sanitätern, Jana auf die Trage zu befördern. Grey musste nun alleine zu Hause bleiben. Jo wollte Jana in einer solchen Situation auf keinen Fall alleine lassen, er machte sich Sorgen um seine Freundin und war völlig verstört wegen der heutigen Vorkommnisse.

 

 

 

 

 

3

Im Krankenhaus wurde Jana untersucht. Nachdem sie das Mittel bekam, verlor sie an Körpertemperatur und wurde langsam wach. Die Ärzte ließen sich Zeit bei der Untersuchung, während Jo draußen auf Nadeln saß und wartete. Schließlich kam ein Arzt heraus und sagte, dass alles soweit in Ordnung wäre. Ein Schwächeanfall und möglicherweise eine Infektion. Das würde sich nach einem Bluttest herausstellen. Jo war ein wenig beruhigt, darüber, dass Jana nicht in Lebensgefahr war. Er ging in das Krankenzimmer zu seiner Freundin und nahm sie sofort in die Arme. Sie hatte bereits wieder etwas Farbe im Gesicht bekommen und ihre Augen sahen auch wieder lebendig aus. Jo jedoch war körperlich und psychisch in einem miserablen Zustand. Sein Rücken, sein Nacken, sein Kopf schmerzten, seine Augen brannten und er war erschöpft. So sehr, dass er fast eingeschlafen wäre, als er neben ihr saß.
Die Ärzte meinten, Jana müsste diese Nacht im Krankenhaus verbringen, zur Sicherheit. Jo musste aber nach Hause fahren, da nach 22 Uhr keine Besucher mehr im Krankenhaus erlaubt waren. Er tat sich schwer, das Zimmer zu verlassen, nachdem er ihr zum Abschied einen Kuss gab und ihr sagte, dass er sie liebt.

Schließlich machte Jo sich auf den Weg nach Hause. Mit einem miesen Gefühl im Bauch, stieg er in den Bus. Er dachte über die Dinge nach, die heute passiert waren. Es war bereits spät abends und die Sonne war bereits untergegangen, als er aus dem Bus ausstieg und nach Hause schlenderte.

Er ging die Treppen hoch, zu Tür 5, und steckte seinen Schlüssel in das Schloss. Dann zögerte er, weil ihm ein ungutes Gefühl zu Kopf stieg. Er nahm einen Geruch wahr, den er zuvor nur ein einziges Mal gerochen hat. Ein Geruch nach verwestem Fleisch. Das einzige Mal, als er das gerochen hat war, als ein ehemaliger Nachbar der alten Wohnung starb und drei Wochen tot in seiner Wohnung lag. Als die Feuerwehr die Tür aufbrach, drang dieser Gestank heraus und verbreitete sich im ganzen Haus, bis in die anderen Wohnungen hinein.
Jo zögerte weiter und lauschte, ob irgendein verdächtiges Geräusch zu hören war. Doch er hörte nichts. Also drehte er den Schlüssel um und öffnete die Tür.
Vor der Tür saß Grey. Sie startete los und an Jos‘ Beinen vorbei ins Stiegenhaus. Jo reagierte schnell und fing Grey am Fuß der Treppen ein. In der Wohnung war es dunkel. Er schaltete das Licht ein und fragte „Wo wolltest du denn hin?“
Die Katze machte einen verwirrten Laut und drehte sich zur Wand. Sie stand absolut still da und starrte die Wand an. Nicht einmal ihr Schwanz bewegte sich mehr.
Jo schüttelte den Kopf. „What the fuck?“ dachte er sich nur und wandte sich ebenfalls ab. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und zu viele hämmerten auf sein Hirn ein. Ohne Plan, was an dem Tag eigentlich los war, setzte er sich auf das Bett und versuchte mit Atemübungen, die er in einer Psychotherapie gelernt hat, von diesem Wahnsinnstrip runter zu kommen.
Plötzlich riss ihn etwas aus seiner Meditation. Die Glühbirne, die an der Decke hang und ein orangenes Licht in den Raum warf, zersprang. Es machte einen dumpfen Knall und man hörte wie die Glasscherben auf den Boden fielen, während das Licht ausging und der Raum in absolute Dunkelheit getaucht wurde. Jo erschrak, ihm stand Schweiß auf der Stirn. Er wollte schreien vor Schreck, doch seine Kehle war so trocken, dass er kaum einen Laut herausbrachte. Ein Geräusch aus dem Badezimmer war zu hören. Seit dem Knall als die Glühbirne platzte, kam aus dem Badezimmer das leise Rauschen, dass er auch am Telefon schon gehört hat. Die Panik durchdrang ihn nun. Er fühlte sich wie in einem Horrorfilm, in genau der Szene, bevor etwas Schreckliches geschieht und der Zuschauer sich erschrecken soll. Sein Herz raste und ihm war kalt, sein Körper im Schweiß gebadet. Im nächsten Augenblick sprang ihn auch schon die Katze mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht. Sie kratze ihn viermal heftig übers Gesicht, bevor er sie wegstoßen konnte. Als er spürte, dass Blut über sein Gesicht in seinen Mund rinnt, stand er auf, lief Blind durch die Dunkelheit Richtung Tür, wo er gegen den Türrahmen stieß und seine Unterlippe aufplatzte. Er tastete sich vor, zur Wohnungstür, hinter ihm die Tür zum Badezimmer aus dem das Rauschen kam und immer lauter zu werden schien. Er hatte die Türklinke ertastet und wollte öffnen. Doch die Tür blieb verschlossen. Er konnte sich nicht erinnern die Tür abgesperrt zu haben und griff zum Lichtschalter, das Licht im Vorzimmer ging an. Das Rauschen hörte kurz auf, doch als es wieder begann, hörte er die Stimme die ihn am Morgen angerufen hatte, aus dem Badezimmer. Sie war wieder verzerrt und düster. Sie sprach in einem aggressiven aber doch ruhigen Ton.
„Jo, ….“, er konnte nicht ganz verstehen, was aus dem Bad kam. Aber es wiederholte sich immer wieder.
„Jo, du…“, er versucht es ein weiteres Mal zu verstehen bevor er ein zweites Mal versuchte die Tür zu öffnen um raus zu rennen.
„Jo, du stirbst“, nun hat er es klar und deutlich verstanden.
Er zog an der Türklinke und rannte hinaus ins Stiegenhaus, als ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde und er zusammenbrach. Er verlor das Bewusstsein und fiel mit starker Wucht ein Stockwerk tiefer die Treppen hinunter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4

Samstag, 14. September 2013

Eine Nachbarin aus dem Haus fand Jo einige Stunden später blutverschmiert auf dem Fußboden neben den Treppen.
Sie fühlte seinen Puls und hörte, dass er atmet. Er ließ sich aber nicht wecken. Die Dame lief sofort in ihre Wohnung und rief einen Krankenwagen, welcher zehn Minuten später am Unfallort eintraf. Einer der beiden Sanitäter, war der, der schon zuvor dabei war, als Jana abgeholt wurde. Er zitterte wieder und wusste, dass mit dieser Wohnung etwas nicht stimmen kann. Es war drei Uhr morgens. Die Straßen waren leer und die Stille unheimlich. Als sie im Krankenhaus eintrafen, machte der Sanitäter klar, dass Jo in das Zimmer seiner Freundin kommt.
Jana erschrak, als sie wach wurde und sah wie Joe bewusstlos und mit heftigen, blutigen Narben ins Zimmer geführt wurde.
Die Ärzte waren sich nicht darüber im Klaren, was mit Jo passierte. Eine Mutmaßung war, dass er einfach die Treppen heruntergestürzt sei. Aber die Kratzer in seinem Gesicht sahen aus, wie nach einem Messerkampf, während die aufgeplatzte Lippe nach einem Faustschlag aussah. Bevor er bei Bewusstsein war, konnte man aber nur mutmaßen.
Jana wurde befragt, doch sie konnte es sich nicht erklären. „Anscheinend ist die Katze durchgedreht, wo sollen die Kratzer sonst her sein?“ meinte sie zum Arzt. „Aber ich verstehe nicht, warum das alles heute passiert.“ Jana sah den Arzt verzweifelt, mit Tränen in den Augen an.
Der Arzt bat sie, weiter zu schlafen und Jo blieb unter Beobachtung. Sie konnte jedoch trotz ihrer Erschöpfung in dieser Nacht nicht mehr schlafen.
Als Jo die Augen öffnete, war es bereits 6 Uhr und die Sonne erschien am Horizont. Ein dünner Lichtstrahl fiel durch die Krankenhausfenster herein und blendete Jana, sodass sie nicht gut zu Jo rüber sehen konnte.
Jo setzte sich auf und fasste sich an den Kopf.
„Was ist denn los? Wo bin ich?“ fragte er mit trockener Stimme. „Schatz, du bist hier bei mir im Krankenhaus. Was ist gestern Nacht denn noch passiert? Ich habe wirklich Angst“ erwiderte Jana. Er musste kurz nachdenken, bevor er sich wieder erinnerte und machte sich nun große Sorgen um Grey. Beide machten sich Sorgen, auch um ihre eigene Existenz.
Was am Tag zuvor alles geschah, war nicht im Bereich des logischen und der Realität sehr fern. Ein surrealer Tag, der real war. Jo erzählte auch den Ärzten alles und meinte, dass er schon wieder auf die Beine kann. Ihm fehlte zu seinem Glück nichts, bis auf ein bisschen Blut. Er hatte Glück, dass ihn bei seinem Sturz nicht das Genick brach. Jana meinte ebenfalls, dass es ihr bereits viel besser ging und beide wurden am selben Morgen noch entlassen.

Das Paar stand geistig gänzlich neben sich und sie redeten kaum, auf dem Weg nach Hause. Sie waren beide nur besorgt um Grey. Über alles andere, konnten sie sich ja später noch sorgen. Jos‘ Gefühl, sagte ihm, dass etwas übernatürliches sich in der Wohnung abspielte, obwohl er nicht an solche Dinge glaubte. Er verdrängte jeden Gedanken an paranormales, da ihm dieses Thema Angst machte. Er litt seit Jahren an einer psychischen Störung und war meist labil. Seine Stimmungsschwankungen machten ihm selbst zu schaffen. Depressiv verstimmt oder manisch aufgedreht. Er konnte sich nicht aussuchen, in welchen Zustand er sich befand. Deshalb nahm er auch täglich Medikamente.
Es war nun Samstag und der erste Tag des langen Wochenendes war bereits vorbei und hatte schrecklich geendet. Beide waren in der Hoffnung, dass es ein Ende hat und ab diesem Tag wieder alles wie gewöhnlich sein würde.
Grey saß immer noch in derselben Position als die beiden in der Wohnung ankamen. Die Katze reagierte auch nicht auf die Rufe von Jana. Sie und Jo schauten sich wortlos an. Ihre Hände zitterten und es war wie zuvor eiskalt in der Wohnung. Geräusche oder Stimmen waren jetzt keine mehr zu hören. „Was, wenn wir hier einen bösen Geist oder Dämon oder so haben?“ warf Jo in den Raum. Jana antwortete nicht, sie blieb still stehen und war wie festgewurzelt, paralysiert von diesem Ort. Jo ging ins Wohnzimmer, schnappte nach Grey, packte sich vorsichtig in die Katzentransportbox, nahm Jana bei der Hand und sie verließen sofort die Wohnung.
„Was sollen wir tun?“ fragte Jana. „Wir fahren jetzt mal zu mir“ antwortete Jo in aggressivem Ton.

 

 

 

5

Jo war leidenschaftlicher Netzwerktechniker bzw. Administrator und lebte bis vor einigen Monaten alleine in seiner Einzimmerwohnung am westlichen Rand der Stadt. Seine Arbeitsstelle war ebenfalls in der Gegend, in der sich auch die neue gemeinsame Wohnung befindet. Er war aber meist auswärts unterwegs, bei Kunden. Sein Verdienst war gut, überdurchschnittlich und er konnte sehr gut davon leben, da seine Wohnung keine hohen Mietkosten hatte. Auch sonst hatte er immer darauf geachtet, sich Geld zur Seite zu legen für harte Zeiten.
Als er Jana kennen lernte, war er sofort verliebt und die beiden kamen zusammen. Kurz darauf erfüllte Jo sich einen alten Wunsch, indem er sich eine Katze besorgte. Jana war von der Idee begeistert und seither waren die drei wie eine kleine Familie. Als Jana das Wohnungsangebot der Stadtverwaltung bekam, waren beide hin und weg, da auch das Büro in dem sie arbeitete nicht weit entfernt war.

Jos‘ alte Wohnung war nicht besonders groß, ein Vorzimmer mit Küche, ein kleines Badezimmer mit WC und das Wohnzimmer, das bereits möbliert war als er einzog.
Das einzige, was ihn an diesem Ort störte waren seine Nachbarn und die Tatsache, dass sein Weg zur Arbeit oft lang war. Jana lernte er kennen, als er den Auftrag bekam, in dem Büro, in dem sie arbeitete das Firmennetzwerk zu administrieren.

Grey war eine Britisch-Kurzhaar-Katze, die sie im Alter von zwölf Wochen von einem Züchter bekamen. Sie war immer verspielt, verschmust oder hatte „Raketen im Hintern“, wie die beiden es nannten, wenn die Katze wie verrückt durch die Wohnung zischte. Erst seit diesem Freitag entdeckten Jo und Jana ein seltsames Verhalten an ihrem Tier. Erst seit sie in der neuen Wohnung eingezogen sind, merkten sie, dass scheinbar etwas mit ihrem geliebten Kätzchen nicht mehr war, wie vorher. Janas‘ Wohnung war auch nicht größer als die alte von Jo. Sogar etwas kleiner, wenn man von den Quadratmetern aus geht. Die Anordnung der Räume gefiel Jo jedoch besser und er fühlte sich sofort angesprochen. Wenn man durch die Eingangstür kam, war man im Vorzimmer, gegenüber gleich die Badezimmertür. Wenn man nach links ging, kam man in das Wohnzimmer, welches eine weitere Tür zur Küche hatte. Einen Balkon gab es leider nicht, dafür aber große Fenster, die viel Licht in das Zimmer warfen. Die Küche war nur eine kleine Kammer, aber ausreichend um kochen zu können. Im Wohnzimmer standen ein Doppelbett, ein Kleiderschrank und eine Kommode, sowie ein Esstisch ohne Stühle. Auf der Kommode sollte bald ein Fernseher stehen, sobald der erste Umzugsstress erledigt war. Der Kühlschrank fehlte ebenfalls in der Küche, doch davon ließen sich die beiden nicht stören. Das Badezimmer war ebenfalls ein Raum in derselben Größe, wie die Küche. Darin befand sich links eine Duschkabine, in der Mitte ein Waschbecken und rechts die Toilette. Als Jo das erste Mal das Badezimmer betrat, fühlte er sich schon unbehaglich, doch er ließ sich davon am Tag der Besichtigung nicht beeindrucken. Er war in zu großer Vorfreude auf ein neues Heim, um seine Vergangenheit und die letzten Jahre, die er in einem anderen Bezirk verbrachte hinter sich zu lassen.
Jo war ein intelligenter junger Mann. Sein einziges Problem war seine psychische Labilität. Er hatte in der Vergangenheit mit seinen Freunden zu viele Jugendsünden begangen und bereute es nun. Alkohol und Drogen machten ihm zu dem, was er heute ist. Er war ein leidenschaftlicher Musiker. Anfangs hörte er jegliche Art von Punkrock, was sich später zum Metal weiterentwickeln sollte. Auch er selbst war im Besitz von zwei Gitarren und er spielte bereits in zwei Bands mit. Sein Traum war immer gewesen, erfolgreich Musik zu machen, doch dieser Traum platzte wie eine Seifenblase, als seine Freunde und er getrennte Wege gingen. Sein bester Freund Ralph war der einzige der ihm wirklich treu blieb und umgekehrt ebenso. Doch die Zeit ließ selten zu, dass die beiden etwas gemeinsam unternahmen. Jos‘ Eltern waren bereits beide verstorben. Außer seinem Bruder Stefan hatte er keine Familie mehr.
Stefan war vor Jahren ins Ausland ausgewandert, da ihn die Arbeit fast dazu zwang. Deshalb hatten die beiden Brüder kaum Kontakt in den letzten Jahren. Jo war der ältere Bruder und war immer für Stefan da, wenn er ihn brauchte. Umgekehrt konnte man das für Jo nicht behaupten. Jo wurde nie wirklich so wahrgenommen von seinen Eltern wie sein kleiner Bruder. Er fühlte sich immer vernachlässigt und seine Haut wurde dadurch dick und sein Charakter abgestumpft. Als Jana in sein Leben kam, spürte er nach langer Leidenszeit endlich wieder ein Glücksgefühl in sich.


6

Angekommen in Jos‘ Wohnung umarmten sich die beiden zärtlich, während eine Träne Janas‘ Augen verließ. Sie war verzweifelt und hätte sich am Liebsten in Luft aufgelöst und nicht existiert oder einfach nur die Zeit zurückgedreht zu dem Zeitpunkt, als die Wohnung noch nicht da war. Sie war sich fast sicher, dass es nur an dieser Wohnung liegen konnte. Jo ebenfalls, auch wenn er nicht an solche Dinge glaubte oder daran glauben wollte. Er hatte noch nie etwas so intensives und erschreckendes erlebt wie am Tag zuvor. Grey krabbelte langsam und vorsichtig aus seinem Käfig und schien darüber glücklich zu sein wieder im alten Revier zu sein. Sie bekam gleich eine Schüssel mit Futter und Katzenmilch dazu.
„Wir sollten erst mal hier bleiben und die Sache vergessen“ sagte Jo, ohne Jana anzusehen. „Wir können das nicht einfach vergessen, du bist verletzt und ich hatte einen Kollaps.“, regte sich Jana auf. „Ich muss das aber erst verdauen, was da war. Verdammt, ich weiß nicht mal, was das war.“, Jo zitterte noch immer und seine Gedanken nahmen noch lange keine Ordnung an. „Was wollen wir jetzt tun? Wir müssen etwas tun.“, sagte Jana. „Ich bin planlos, aber was dort abgeht kann nicht gut sein für Niemanden.“, panisch fuchtelte Jo mit den Händen in der Luft. Jana setzte sich hin und öffnete ihr Notebook um im Internet zu suchen, ob es etwas Ähnliches schon gab oder ob jemand darüber schrieb. Jo legte sich hin und schloss die Augen um zur richtigen Gesinnung zu kommen und seine Atemübungen zu machen. Diese Methode half ihm nicht immer, aber sie war ihm schon oft hilfreich um seine wiederkehrenden Panikattacken zu verdrängen. Grey war gerade mit dem Fressen fertig, als sie sich neben Jo auf dem Bett einrollte und anfing zu schnurren. Sie war wieder die Alte, wie es schien.

Eine halbe Stunde später weckte Jana ihn um zu berichten, was sie im Internet fand. Ein „Geisterjäger“ schrieb auf seiner Webseite Berichte über seine erlebten Abenteuer mit übernatürlichen Wesen und Geistern. Unter anderem stellte er das Angebot, Hausbesuche zu machen um einen Ort zu untersuchen. Ob dort irgendwelche Kräfte am Werk waren, konnte er nicht immer herausfinden, doch er hat es angeblich schon mehrmals geschafft böse Geister zu vertreiben. Das klang für Jana sehr ansprechend und sie hätte den Mann am liebsten sofort angerufen, ohne zu zögern.
„Jo, der könnte uns doch helfen, wenn es sich wirklich um etwas in der Art handelt.“ Sagte sie aufgeregt.
„So was gibt es wirklich?“ fragte Jo verschlafen.
„Offensichtlich, im Internet findet man so gut wie alles, aber ich hab bisher auch nicht an Geister oder so geglaubt.“, fast schon freute sich Jana über den Fund im Netz. Als wäre der Zustand Normalität. Doch eigentlich lag die Realität eher fern in diesem Moment. Es ging über die Grenzen des Denkbaren und Vorstellbaren eines Menschen weit hinaus, was die beiden zuletzt erlebten. Jana dachte an den Traum den sie in der ersten Nacht dort hatte. Als die Katze sich so sehr veränderte und ihre Augen bedrohlich rot in der Dunkelheit leuchteten.
Vielleicht hatte auch dieser Traum schon damit zu tun gehabt.
Er war vielleicht eine Art Vorwarnung auf das Kommende Leiden. Sie hoffte, sie könnte diesem wahr gewordenen Albtraum so schnell wie möglich ein Ende setzen.
Sie nahm ihr Handy zur Hand und wählte die Nummer des Geisterjägers. Sein Name war Albert, er wohnte außerhalb der Stadt, war aber bereit in Notfällen sofort in die Stadt zu kommen. Zumindest hat er es so auf seiner Webseite angegeben.

„Hallo, Albert, was kann ich für sie tun?“, begrüßte der Mann sie höflich. „Guten Tag, mein Name ist Jana. Hab ich das richtig verstanden, dass sie Geister jagen?“ fragte Jana voller Neugier.
„Ja, ich befasse mich mit paranormalen Aktivitäten. Ich bin derzeit auch an einem Fall dran, der mir ziemlich zu schaffen macht.“, der Mann klang von sich selbst überzeugt.
„Okay, dann hoffe ich wirklich, dass sie mir helfen können. Ich glaube, einen Geist in meiner neuen Wohnung zu haben. Einen mit schlechten Absichten wie es aussieht. Ich weiß, das klingt alles verrückt, aber ich weiß auch nicht, was ich tun soll. Mein Freund und ich haben die Nacht im Krankenhaus verbracht.“
Albert zögerte mit einer Antwort. „Was genau ist ihnen denn zugestoßen? Wollen sie sich vielleicht mit mir treffen und persönlich sprechen?“ fragte er mit beruhigender Stimme.
„Das wäre mir sehr recht, wir sind verzweifelt und brauchen Hilfe.“
„Treffen wir uns heute Nachmittag gegen drei im Gasthaus zur Winterlandschaft?“, er machte sofort eine Einladung und Jana sagte natürlich zu. Jo stand vom Bett auf und umarmte seine Freundin ein weiteres Mal zärtlich, flüsterte ihr „Danke“ ins Ohr. Die beiden aßen noch ein paar Reste aus dem Kühlschrank. Sie waren beide erschöpft und hungrig, fühlten sich aber auch besser als am Abend zuvor. Grey lag auf ihrer Decke unter dem Heizkörper und schlief in Ruhe. Hier hatte Jo kein schlechtes Gewissen, wenn er das Kätzchen alleine lassen musste. Hier hatte er auch kein ungutes Gefühl in sich, so als würde etwas in ihn eindringen und von innen zerstören wollen.

 

 

 

 

 

 








7

Im Gasthaus zur Winterlandschaft

Jo und Jana setzten sich auf einen Tisch für vier Personen. Der Kellner hatte sie dorthin geleitet, da der Tisch von Albert reserviert wurde. Albert war noch nicht da. Sie bestellten sich beide ein Glas Wasser und hofften auf sein baldiges Eintreffen.
Jo biss nervös an seinen Fingernägeln während Jana ihren Blick stur zur Tür richtete. Dann kam ein etwas älterer Herr mit grauen, lockigen Haaren ins Lokal, fragte eine Kellnerin nach dem reservierten Tisch und setzte sich dann zu den beiden.
„Guten Tag, Jana?“
„Hallo, Albert! Schön, dass sie gekommen sind“, er reichte ihr die Hand zum Gruß. „Jo, Hallo“, kam vom Sitz daneben.
„Also, was ist ihnen passiert? Ich sehe, Jo, sie haben frische Narben im Gesicht?“, interessiert beugte sich Albert vor und blickte Jo tief in die Augen. „Die stammen von unserer Katze, die gestern Nacht aus unerklärlichen Gründen vollkommen durchgedreht hat.“, unterbrach Jana Jo, als er antworten wollte. „Es sind einige wahnsinnige Dinge gestern passiert.“ Jo, fing an die ganze Geschichte von Anfang an zu erzählen. Angefangen bei Janas‘ Traum, über den Anruf von Janas‘ Handynummer bis hin zur zerplatzten Glühbirne und der Stimme die aus dem Badezimmer dröhnte. Über eine Stunde saßen sie beisammen, Albert bestellte sich zum Schluss einen Whiskey. Das tat er immer, nach einem solchen Gespräch, indem er erfuhr, mit wem oder mit was er bald zu tun haben würde. Ein Schluck Whiskey half ihm dabei, eine Art Schockstarre zu bekommen. Er war seit einigen Jahren unterwegs, auf der Suche nach dem Undenkbaren. Vor einigen Monaten hat er es, laut seiner Aussage sogar geschafft, einen Dämon aus einem Haus zu vertreiben, der dort sein Unwesen trieb und mehrere Menschen in den Wahnsinn trieb, so weit, dass einer von ihnen sich die Augen mit einer Gabel ausstach und sie anschließend aß. Ein anderer rieb sich so lange mit den Händen an den Augen bis er erblindete und eine Mischung aus Blut und Eiter aus seinen Augenhöhlen tropfte.
Albert entschuldigte sich, so sehr ins Detail gegangen zu sein, doch er wollte die beiden davor warnen, was alles möglich war. Schockiert von den Erzählungen stand Jo auf und ging vor die Tür um frische Luft zu schnappen. Er genoss jeden frischen Atemzug und spürte wie der Sauerstoff in seine Lungen eindrang. Nach einer halben Minute fühlte er sich bereits besser. Er blieb aber noch eine Weile vor der Tür stehen.
Jana und Albert unterhielten sich in der Zwischenzeit. Er erklärte „Es wäre möglich, dass ein Dämon oder Geist in ihr Haustier eindringt. Ein Mensch lässt sich nicht leicht als Wirt einnehmen. Bei einem jungen Kätzchen ist die Sache für das Wesen einfacher und kann innerhalb weniger Stunden passieren.“
Jana dachte sofort an den Traum und an die Tatsache, dass ihr süßes Kätzchen so aggressiv und verstört war.
Jo kam zurück, blieb aber vor den Stühlen stehen.
„Albert, was haben sie nun vor?“ fragte er.
„Ich werde die Wohnung besichtigen und mir ein Bild machen. Dazu muss ich in den meisten Fällen eine Nacht an den Orten verbringen, die ich untersuche. Ist das für sie in Ordnung?“,
Er wirkte seriös und professionell, also beschlossen sie, ihm die Wohnungsschlüssel zu überlassen. „Ich verlange nicht, dass sie mich bezahlen. Sie können gerne spenden, aber ich arbeite für die Wissenschaft und das Wohl der Menschen.“
Jana bedankte sich und fing fast zu weinen an, als Albert betonte, dass alles wieder Gut werden würde und die beiden ihr normales Leben bald wieder haben werden. Jo war geistig noch immer abwesend und bekam von den letzten Gesprächsfetzen nicht viel mit. Er wollte nur nach Hause und ins Bett. Eine Depression schien zu beginnen, wie so oft, nachdem der Sommer zu Ende war und es draußen dunkler und die Tage kürzer wurden. Jana machte sich jetzt bereits Sorgen um Albert, weil sie selbst Angst vor der Wohnung hatte zu diesem Zeitpunkt. „Ich werde auf mich aufpassen, keine Sorge. Wenn es Neuigkeiten gibt, werde ich sie sofort kontaktieren. Sie dürfen sich nicht selbst verrückt machen, denn nur ein Mensch der bei Verstand ist, schafft es einen ungebetenen Gast zu bekämpfen.“, belehrte Albert die beiden zum Schluss und verabschiedete sich schließlich Richtung Wohnung. Seinen aktuellen Fall, legte er für dieses Wochenende auf Eis, da es kein dringender Fall war, in dem möglicherweise Menschen gefährdet waren. In Notfällen war Albert sofort zur Stelle und gab sein Bestes um den Menschen zu helfen. Das junge Pärchen begab sich zurück in Jos‘ Wohnung, wo sie nervös warteten.
„Was denkst du? Kann es wirklich sein, dass es so etwas wie böse Geister gibt?“, fragte Jo seine Freundin im Vertrauen.
„Ja, mittlerweile kann ich es mir vorstellen. Entweder das, oder wir haben beide Halluzinationen.“, antwortete sie.
„Unglaublich. Ich dachte so was gibt es nur im Horrorfilm. Aber diese Stimme gestern, ich bekomm sie nicht mehr aus dem Kopf.“, Jo blickte auf seine zitternde Hand und wieder in Janas‘ Augen. „Schatz, ich weiß nicht warum, aber Albert hat mein Vertrauen gewonnen. Er will nicht mal bezahlt werden für seine Dienste und scheint Ahnung von dem zu haben was er da tut.“, beruhigend legte sie ihre Hand auf seine Schoß.
„Okay, dann lass uns warten. Aber ich habe das Gefühl, langsam den Verstand zu verlieren“, äußerte Jo. Er konnte Jana dabei nicht in die Augen sehen, da er sich für seine psychische Krankheit schämte und nicht darüber sprechen wollte.
„Schatz, ich liebe dich, egal was kommt. Und wir stehen das gemeinsam durch. Wir schaffen das, okay?“, sie küsste seine Wange und strich ihm durchs Haar.
„Ja, wenn du das sagst, muss es wahr sein. Danke, Schatz!“, Jo nahm sie in den Arm und sie küssten sich, was die beiden endlich auf andere Gedanken brachte. Grey kam angeschlichen und blickte von unten auf das Bett. „Hallo, du Verrückte, bist du wieder normal?“, richtete Jo an die Katze.
Sie sprang auf das Bett und fing an sich an die beiden anzuschmiegen, während sie fröhlich vor sich hin schnurrte und glücklich wirkte.

 

 

 

 

8

Beide waren so erschöpft, dass sie schnell einschliefen.
Jo träumte in der kurzen Zeit, in der er schlafen konnte.

Er befand sich im Traum an einem Ort, den er nicht kannte, an dem er zuvor nie gewesen war. Er wusste nicht, wo er sich befand. Es war kalt, ein starker Wind peitschte ihm um die Ohren, während Schneeflocken vom Himmel fielen und der Nebel seine Sicht trübte. Er ging eine Straße entlang, sah aber weder links noch rechts wo genau er war, da ein dichter Nebel ihm die Sicht versperrte. Es war wie ein flüssiger Schleier in der Luft, der undurchdringlich aus allen Richtungen näher auf ihn zukam. Je mehr er versuchte, sich zu orientieren, desto schwerer tat er sich. Es war still. Dann hörte er eine Katze einige Meter vor ihm, wie sie winselnde und jammernde Laute von sich gab. Er bewegte sich auf das Geräusch zu, bis er im Nebel zwei rot leuchtende Augen erkannte. Je näher er kam, desto mehr blendeten ihn die zwei roten Punkte im Nebel und langsam erkannte er die Silhouette einer Katze. Es war Grey. Doch sie war nicht dieselbe. Ihr Fell war dunkel und ausgefranst, sie fletschte ihre Zähne aggressiv, als sie Jo erblickte. Mit einem Pfauchen, sprang sie auf ihn zu. Er trat erschrocken einen Schritt zurück. „Hey Süße, was treibst du denn hier auf der Straße?“, fragte er. Aus dem Mund der Katze kamen als Antwort pfeifende, keuchende Laute und ihre spitzen Zähne schimmerten im Licht der Straßenlaternen. Es tropfte Blut von ihrer Schnauze. Jo blieb abrupt stehen und blickte um sich, verlor aber die Katze nicht aus den Augen. Grey blieb still vor ihm stehen und hörte nicht auf diese seltsamen Laute von sich zu geben. Dann hörte er ein Rascheln ein paar Meter hinter Grey, so als würde jemand über den Boden kriechen. Er bewegte sich vorsichtig dem Geraschel zu. In ihm machte sich Angst breit, seine Atmung wurde schneller und sein Herz raste, so schnell, dass er wusste, er stand kurz vor einer Panikattacke. Der beunruhigende Klang näherte sich, als er am Boden eine Gestalt kriechen sah. Er versuchte genauer zu erkennen, ob er die Person kannte, die sich da qualvoll am Straßenrand fortbewegte. Dann bemerkte er, eine Blutspur, die hinter dem Menschen eine lange Strecke zog. Als er direkt davor stand, blickte Albert ihn von unten an. Der Geisterjäger verzog sein Gesicht zu einer grauenhaft, entstellten Grimasse. Seine Ohren waren abgeschnitten, sodass es rot aus ihren Öffnungen strömte. Ein Auge war zugenäht, das zweite blutunterlaufen. Aus seinem Mund hing eine ausgetrocknete, grüne Zunge die eine schleimige weiße Flüssigkeit absonderte. Albert rührte sich auf einmal nicht mehr und aus seinem Mund kamen fast unverständliche Worte „Er… tot… Gewalt… „
Jo wollte sprechen, bis er merkte, dass sein Mund sich nicht öffnete. Seine Lippen waren schlagartig versiegelt, durch eine unsichtbare Macht, die ihn zu überwältigen schien. Dann ließ Albert den Kopf nach unten fallen und alles Leben machte den Eindruck, aus ihm zu entweichen. Er betrachtete panisch den toten Körper, der vor ihm zu Boden lag. Seine Beine waren abgetrennt, woher die Blutspur stammte. Seine Finger waren an den Spitzen abgeschürft, da er sich scheinbar mit den Fingern kriechend fortbewegte. Jo beugte sich nach unten, um zu fühlen, ob Albert noch lebte. Als er sich nach unten richtete, öffneten sich Alberts Augen und er schrie erbärmlich um sein Leben.“

Mit einem Schrei wachte Jo auf. Er konnte immer den jämmerlichen Hilfeschrei von Albert hören, stand unter Schock. Um ihn herum war es finster, er konnte nichts erkennen, spürte nur unter sich die Matratze des Bettes. Als er um sich griff, auf der Suche nach Jana und Grey, konnte er nichts ertasten. „Hallo? Schatz?“, verwirrt und im Halbschlaf fragte er sich was denn als nächstes Geschehen würde und ob der Wahnsinn kein Ende nehmen wollte. Keine Antwort ertönte aus dem Raum. Er stand vorsichtig auf und suchte im Dunkeln nach einem Lichtschalter. Als er ihn fand und das Licht anging, war weit und breit im Raum kein Mensch zu sehen. Wo war Jana hin verschwunden? Gerade lag sie doch noch neben ihm. Die Katze war auch nicht zu sehen. Er ging langsam durch die Wohnung und durchsuchte jeden Winkel, doch kein Lebenszeichen der beiden war zu entdecken. Dann klingelte sein Handy. Es war Alberts Nummer die am Display erschien. Er nahm den Anruf nervös entgegen „Hallo, Albert! Gut, dass sie anrufen!“ schrie er unbewusst ins Telefon.
„Jo… du stirbst…“ sagte die altbekannte Stimme, die er nun schon mehrmals hörte. „Was zum… Wer bist du und was willst du von uns? Wo sind Jana und Grey?“, reagierte er angsterfüllt. „Wir warten auf dich, Jo.“´, das Gespräch endete mit dieser Antwort. Jo stürzte ins Vorzimmer um seine Schuhe anzuziehen und lief wie ferngesteuert nach draußen, mit dem Ziel, seine Lieben so schnell wie möglich zu finden. Sie konnten nur an einem Ort sein. Als er versuchte Jana auf dem Handy zu kontaktieren, war wieder nur ihre Sprachbox erreichbar. Es war spät, die Sonne war untergegangen. Er hatte scheinbar einige Stunden geschlafen. Als er vor die Tür ging, merkte er, dass vom Himmel Schnee fiel und ein starker Nebel seine Sicht trübte, wie es zuvor in seinem Traum war. Er steuerte geradewegs auf Janas‘ Wohnung zu, in der Hoffnung, dass sie und Grey dort mit Albert auf ihn warteten. Doch aus welchem Grund sollte Jana einfach verschwinden ohne etwas zu sagen und warum sollte sie Grey mitnehmen? Er war verstört und seine psychische Verfassung war aufs tiefste gesunken. Am ganzen Leib zitterte er, ihm wurde kalt und heiß zugleich, seine Augen brannten als hätte man ihm Essig hineingegossen. Er bekam kaum Luft und ihm war schwindelig. Sein Magen knurrte und ihm war Übel. Als er kurz stehen blieb, musste er sich übergeben. Aus ihm quoll das halbverdaute Essen von vorhin auf den Asphalt. Er lief weiter, versuchte sich zu orientieren, doch konnte kaum etwas erkennen. Ohne Orientierung lief Jo weiter, auf der Suche nach der Bushaltestelle, die ihm zum Bahnhof bringen sollte. Als er zwei rot leuchtende Punkte im Nebel erkennen konnte, erschrak er und ein Schrei blieb in seinem Halse stecken. Ohne es zu wollen, schritt er auf die leuchtenden Augen der Katze zu. Ihm war sofort bewusst, dass der Traum sich bewahrheiten wird, als er Grey mit dunklem, ausgefranstem Fell und Blut an der Schnauze sah. Er hörte das raschelnde Geräusch von weiter hinten und rannte los, bis vor ihm Albert lag. Er sah genau dasselbe Bild, wie in seinem Traum. Doch dieses Mal bückte er sich nicht nach unten. Er wusste, dass nichts Gutes geschehen würde. Jo drehte sich wieder um, doch Grey war nicht mehr zu sehen. Er griff zum Handy, wählte den Notruf.
„Jo… du stirbst“ ertönte aus dem Lautsprecher.
„Du verblödetes Arschloch, ich reiß dir deine Eier aus, wenn ich dich in die Finger bekomme.“, wütend und voller Zorn richtete er diese Worte an die verzerrte, böse Stimme im Telefon. „Wo ist Jana? Sag mir, wo sie ist oder ich schwöre dir, bei allem was mir heilig ist, ich komme und …“, die Verbindung war wieder unterbrochen, bevor er den Satz beenden konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9

Sonntag, 15. September 2013

Jo begab sich sofort in Richtung der Wohnung. Der Nebel wurde immer dichter und die Temperaturen sanken auf unerträgliche Weise. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich, doch Jo ließ sich nicht aufhalten und kämpfte sich durch den dichten Schleier der ihn umgab. Die Straßen waren Menschenleer und ihm erschien alles, wie in einem Film, in dem er die Hauptrolle spielte. Es war bereits zwei Uhr früh, als er zuletzt auf sein Handy blickte. Er sah auf dem Display, dass eine Textnachricht in seinem Posteingang war, öffnete sie und las „Ein qualvoller Tod ist, was euch erwartet.“
Als Absender war die Nummer 666 zu sehen. Jo wusste, woher die Nachricht kam. Kein Mensch hatte sie ihm geschickt, sondern die Gestalt, die scheinbar gerade sein und das Leben seiner Lieben auf den Kopf stellte. Er war nun am Bahnhof angekommen, wo er die Treppen nach unten ging und fröstelte. Die Monitore die die Abfahrtszeiten der Züge anzeigen sollten, waren defekt. Oder verflucht. Auf den Monitoren sah er etwas nicht Identifizierbares. Er versuchte zu erkennen, worum es sich handelte. Es sah aus wie eine Masse aus Fleisch, Blut und Knochen die ineinander herum wirbelten und Gesichter die nach Hilfe riefen, man aber nicht hören konnte. Er ging weiter, ein Zug stand bereits auf Gleis 1. Die Anzeige über dem Bahnsteig, die anzeigen sollte in welche Richtung der Zug fährt zeigte ebenfalls etwas anderes an. „Leidensexpress, Hölle“ war die Aufschrift. Er wusste, dass er nicht träumte. Er war wach und bei vollem Bewusstsein und er wusste, dass nur dieser eine Zug den Bahnhof verlassen würde. Der Zug selbst war an der Außenseite mit verwesten Hautfetzen und Knochenstücken verziert. Er fragte sich wie wohl der Chauffeur aussehen würde und drückte auf den Knopf der die Türen des Zuges öffnete. Mit einem quietschenden, kratzenden Laut öffneten sich die Türen und er betrat den Leidensexpress, der direkt zur Hölle fahren sollte. Innen waren die Wände mit blutigen Schriftzügen verkleidet, Fenster gab es keine. Das orangene Licht, dass zumindest ein wenig Sicht ermöglichte, kam von Kerzen die im ganzen Waggon auf dem Boden schimmerten. Er wollte sich setzen, doch die Sitze des Zuges bestanden aus ekelhafter brauner Materie, welche zu pulsieren schien. Er beschloss also an Ort und Stelle stehen zu bleiben und zu warten, dass der Zug sich in Bewegung setzte. Dann öffnete sich die Tür am anderen Ende des Waggons, die zum nächsten führte. Jo bemühte sich zu erkennen, was sich dahinter verbarg. Auf leisen Füßen kam ein Schaffner langsam auf ihn zu. Der Schaffner trug eine militärische Uniform. Die Uniform eines SS-Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg. Auf seiner Mütze war ein Totenkopf aus Eisen und auf seiner Schulter das Hakenkreuz Logo. Sein Gesicht war kaum erkennbar. Als er näher schritt, wurde Jo immer ängstlicher und er versuchte krampfhaft eine weitere Panikattacke abzuwürgen. Als das Gesicht des Soldatenschaffners nah genug war um zu sehen, was sich unter seiner Mütze verbarg, sah Jo nur ein völlig leeres Gesicht, keine Augen, keine Emotionen, nur hängende Haut. Der Schaffner blieb einen Meter vor ihm stehen und sah ihn mit seinen nicht vorhandenen leeren Augen, welche nur Augenhöhlen waren an. Jo blieb verstört stehen und erwiderte seinen Blick ohne auch nur ein Wort sagen zu können. Der Zug setzte sich in Bewegung und es ertönte die Durchsage „Willkommen im Leidensexpress, Nächster und letzter Halt, Hölle, sie werden gebeten, Fahrgäste die einen Sitzplatz benötigen, zu töten.“
Die Stimme, die er bereits am Telefon und aus dem Badezimmer kannte, sprach aus Lautsprechern, die in den Winkeln des Zuges hin und her wackelten und gegen die Wände schlugen, aufgehängt auf Gedärmen, von welchen schleimige, weiße Flüssigkeit tropfte. Der Gestank im Waggon war unbeschreiblich. Es roch zum Teil nach Kerzenwachs, doch der Verwesungsgeruch war am stärksten. Jo musste sich die Nase und den Mund mit seiner Jacke zu halten um sich nicht sofort ein weiteres Mal zu übergeben. Der Schaffner stand immer noch direkt vor ihm. Als sich sein Mund öffnete, erklang eine grauenhaft klingende Stimme. Es klang, als würde jemand versuchen unter Wasser zu sprechen, während er ertrank und nach Luft rang. „Die Fahrkarte bitte“
Jo fasste in die Innentasche seiner Jacke und fand etwas, dass sich anfühlte wie ein Stück vertrocknete Haut. Er nahm es heraus und ließ es erschrocken fallen. „Ticket für eine Person, Ziel: Hölle, Preis: Leben“ stand auf einem Hautfetzen eingeritzt. Das musste wohl seine Fahrkarte sein. Der Schaffner blickte nach unten auf das Stück Haut und wieder in Jos‘ Gesicht. Jo hob seine Fahrkarte auf und reichte sie dem Schaffner, der sie mit knochigen Händen entgegennahm. Er zerriss das Ticket, drehte sich um und verschwand wieder, dorthin wo er hergekommen war. Jo blieb wie angewachsen an Ort und Stelle stehen, er traute sich nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Schließlich befand er sich in einem Höllenexpresszug. Die Sekunden erschienen ihm wie Stunden, doch als der Zug endlich langsamer wurde und mit kreischenden Geräuschen bremste um stehen zu bleiben, bewegte Jo sich Richtung Ausgang. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde, wenn die Tür sich öffnet. Nun bereute er, sich nicht bewaffnet zu haben. Er hätte von zu Hause ein Messer oder einen Hammer einstecken können um nicht vollkommen wehrlos zu sein. Die Tür öffnete sich ruckartig und Jo blickte nach draußen in die absolute Finsternis. Er zögerte einen kurzen Moment, doch dann packte ihn die Wut, als er an Jana und Grey dachte und er stieg schließlich aus. Es war bereits ein Mensch gestorben, ein unschuldiger Mann, der ihnen helfen wollte, war von seiner Katze verstümmelt und gefressen worden. Am Bahnsteig sah er nicht viel, da das Licht hier ebenfalls von einigen Kerzen kam, die nur leicht in der Dunkelheit schimmerten. Als er sich umdrehte, war der Zug bereits verschwunden. Er holte sein Handy aus der Hosentasche um die Taschenlampe einzuschalten. Als er sich umblickte, sah er rundherum aufgestapelte, tote Körper um die Fliegen kreisten. Das erklärte den Verwesungsgeruch, der in der Luft lag. Jo versuchte sich zusammen zu reißen um sich nicht zu übergeben. Weiterhin verschloss er seine Atemwege mit dem Kragen seiner Jacke. Die Wände dieses Bahnhofs waren rostig, überall waren getrocknete Blutflecke zu sehen und die gesamte Umgebung vibrierte unter seinen Füßen. Hier war es nicht kalt, im Gegenteil. Die Luft bewegte sich, so heiß war es hier. Es war still, er hörte nur das Summen der Fliegen die um die leblosen Körper schwirrten. Er überwand seine Angst und ging los in Richtung einer Treppe, die nach unten führte. Dort angekommen, sah er nach unten. Ewige Dunkelheit machte sich am Fuß der Treppen breit. Die Treppen und Wände machten den Anschein zu leben. Er betrachtete die Umgebung genauer und konnte feststellen, dass alles aus zusammengenähten menschlichen Körperteilen bestand aus denen Knochen herausragten. Von oben tropfte Blut auf ihn herab. Er bekam kaum noch Luft und seine Sicht trübte sich immer mehr. Ihm schwindelte stark, doch er ließ sich nicht beeindrucken und betrat die Stufen nach unten. Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Unten angekommen stand er vor einer Tür. Es war die Tür zu Janas‘ Wohnung, sonst war hier nichts zu sehen.

 









10

Die Tür war nicht abgeschlossen, er konnte sie mit leichtem Druck dagegen öffnen, blieb aber noch vor der Tür stehen, als sie sich mit einem knirschen öffnete. Was Jo dahinter sah, war die Badezimmertür. Ihr Türrahmen bestand aus Unterarmknochen, die teilweise noch mit blutigem Fleisch bedeckt waren. Das Blut und die Fleischstücke, auf den braunen Knochen schienen im rostfarbenen Kerzenschein zu wabern. Der Gestank in der Wohnung, strömte durch die Tür heraus in Jos‘ Nase. Es roch nach medizinischem Abfall, Fäkalien, Rauch der von verbranntem Fleisch herrührt und dem Prozess der Verderbnis. Ein schwarzer Rauchnebel schwirrte durch den Vorraum. Er konnte links nur die Tür zum Wohnzimmer erkennen. Dahinter sah er nichts, es war dunkel. Die eigentlichen Wände, waren keine mehr. Überall aus dem Boden und der Decke ragten rostige Gitterstäbe in alle Richtungen, die sich miteinander in der Mitte trafen. Der Fußboden, welcher eigentlich Parkett sein sollte, sah aus wie abgestorbene Erde. in einer Ecke lagen Spritzen mit schwarzer dicker Flüssigkeit im Inneren. Die Türen selbst waren feste, aber verrostete Stahlplatten mit Griffen aus menschlichen Handknochen, die nach Jo zu greifen schienen.

Er lauschte in die Räume und wieder war dieses leise Rauschen wie aus einem uralten Radio, welcher keinen Empfang hatte. Hin und wieder vernahm er ein Klopfen und Kratzen aus dem Badezimmer. Etwas das sich wie Schritte auf knickendem Geäst anhörte, war auch zu hören. Er fasste all seinen Mut und betrat das Vorzimmer. Eine andere Wahl hatte er nicht mehr, da die Treppen hinter ihm bereits verschwunden waren und er eingesperrt war. Hinter ihm flog die Eingangstür mit einem lauten Krach zu. Er brauchte nicht lange zu überlegen um zu wissen, dass es kein Entkommen mehr gab. Mit seinem Handy als Taschenlampe bewaffnet stand er da.
„Jana? Bist du hier?“, rief er.
Es kam keine Reaktion auf seine Frage. Er ging auf die Badezimmertür zu, verdrängte all seinen Ekel davor den Türgriff anzufassen und öffnete sie. Was er sah, überstieg all sein Vorstellungsvermögen. Der Obdachlose Mann, der auf dem Bahnhof so unfreundlich zu ihm gewesen war, obwohl Jo ihm half, stand direkt vor ihm. Er hatte bereits auf ihn gewartet. Seine Kleidung hatte sich nicht verändert. Was sich unter der Kleidung befand allerdings schon. Der Mann hatte kein Gesicht mehr. Seine Nase hing aus seinem Gesicht, darüber waren eingefallene Augen aus denen schwarzer Rauch aufstieg erkennbar. Der Kiefer des Mannes hing ebenfalls herunter und in seinem offenen Mund vermehrten sich Maden und Würmer. Ein paar wenige Graue, verblasste Haare auf seiner zerrissenen, grauen Kopfhaut unter der teilweise der Schädel hervortrat waren noch da. Seine Ohren waren nicht mehr vorhanden, statt ihnen Öffnungen aus denen Kakerlaken und anderes Ungeziefer krabbelten und ebenfalls schwarzer Rauch aufstieg. Im ganzen Raum schwirrten Fliegen herum. Die Hände des Mannes, nur noch Knochen hielten etwas fest. Es sah aus wie ein Buch. Ein dickes Buch mit ledernem Einband und mindestens sechshundert Seiten Inhalt.
Was eigentlich ein Badezimmer sein sollte, war nun eher ein Versuchslabor oder etwas Ähnliches. Es roch hier nach Chemie vermischt mit den Gerüchen von draußen. Überall auf dem Boden, verbrauchte Spritzen, die auf altem, blutverschmiertem Zeitungspapier lagen. Fäkalien in jeder Ecke und ein Behandlungstisch mit Werkzeugen aus rostigem Metall, die er nicht zuordnen konnte.
„Was willst du von mir? Wer bist du? Wo ist Jana?“, schrie Jo plötzlich mit aller Kraft aus seiner Brust.
Der Mann sprach kein Wort, streckte Jo nur das Buch entgegen. Jo griff danach. Als er es festhielt und der Mann es losließ, zerbröselten seine knochigen Finger und die Überreste landeten auf dem Boden. „Jo… du stirbst.“, sagte der Mann in würgender, fast nicht verständlicher Sprache, während Ungeziefer aus seiner Mundhöhle fiel. Dann brach der ganze Körper des Mannes in sich zusammen und übrig blieben eine Staubwolke und die Kleidung, die auf dem Fußboden lag. Jo war fast erfreut darüber. Als er sich umdrehte, weil etwas ihn von hinten auf der rechten Schulter berührte, rollten sich auch schon seine Augen nach hinten und er stürzte zu Boden.

 





11

Jo lag bewusstlos, zuckend, mit Schaum vor dem Mund im grauenvoll veränderten Badezimmer von Janas‘ Wohnung. Er war mit dem Zug zur Hölle gefahren, weil er keine andere Option hatte, als diesem Weg zu folgen.
Er war in einer anderen Welt gefangen und wurde von einer mächtigen Kraft in eine unterbewusste Hölle gezerrt.

Er saß auf einem Stuhl, angekettet an den Beinen, rund um ihn nur Dunkelheit, eine kleine Glühbirne hing von der Decke über ihm. Er betrachtete das Buch in seinen Händen. Es stand kein Titel auf der rauen ledernen Oberfläche. Er konnte nicht hören, nicht riechen, nicht schmecken, nur sehen. Sein Blick war auf das Buch gerichtet und er konnte außer seinen Händen und Augen nichts rühren. Also öffnete er das Buch. Die Seiten des Buches waren aus menschlicher Haut. Beschrieben mit längst vertrocknetem Blut. Auf der ersten Seite stand geschrieben:







Donnerstag, 12. September 1933

Ich habe heute meinen Arbeitsplatz verloren. Die Fabrik kann sich nur mehr wenige Mitarbeiter finanziell leisten. Deshalb wurden mit mir noch 9 andere Mitarbeiter fristlos entlassen. Die letzte Auszahlung ist ungewiss. Ich habe kein Geld mehr, nichts Essbares und kein Wasser. Meine Wohnungsmiete ist längst fällig und demnächst wird man mich hier rauswerfen.
Ich muss versuchen, anders an Geld zu kommen um mir mein Leben zu sichern. Werde nach draußen gehen und die Nächste Möglichkeit nutzen.

Freitag, 13. September 1933

Gestern habe ich beschlossen, mich in den Bahnhof zu setzen und zu betteln. Die Menschen sind mit verachtenden Blicken an mir vorbei marschiert und haben mir keine einzige Münze gespendet. Das liegt wohl daran, dass die Menschen alle kein Geld haben, das sie entbehren können.
Ich hab das Gefühl langsam zu verhungern. Meine Kräfte schwinden und mir ist kalt. Draußen ist es neblig und es schneit seit Stunden. Mir fehlt die nötige Kleidung um weiter bei dieser Kälte nach Hilfe zu betteln. Ich fühle mich miserabel.
Mir ist schwindlig, ich schwitze und mir ist kalt. Aus meinem Radio höre ich ein Rauschen, aber ich bekomme hier keinen Empfang.

Jo blätterte weiter, doch die nächsten Seiten waren allesamt leer. Auf der allerletzten Seite, fand er noch etwas. Ein Zeitungsausschnitt.

Sonntag, 15. September 1933

Gestern fand man in der Nähe des örtlichen Bahnhofes einen verhungerten Mann in seinem Badezimmer. Die Nachbarn konnten nicht mehr helfen, da der Mann bereits seit Stunden tot war. Man fand in seiner Wohnung nur ein Radio und ein Tagebuch, woraus die Todesursache herausgefunden werden konnte. Der Verstorbene lebte unter ärmsten Umständen und verendete schließlich im Alter von 36.

Jos‘ Augen fielen langsam zu, ihm war nun klar, wer der obdachlose Mann war. „Jana…“, war sein letztes Wort bevor sein Herz stehen blieb und er starb.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog

Jo, Jana und Grey wurden nie wieder gesehen. Die Wohnung stand ab diesem Tag leer. Zwischen dem Verschwinden der drei und dem Tod des Geisterjägers Albert konnte nie eine Verbindung gefunden werden. Die Behörden konnten nie ermitteln, was mit Albert geschah und der Fall wurde auf Eis gelegt. Es konnte außerdem nie ein Hinweis über das Verschwinden des jungen Pärchens gefunden werden. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Oder von dieser Wohnung hinter Tür 5…

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Impressum

Texte: Michl Schendi
Bildmaterialien: Michl Schendi
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

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