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Prolog

Wie Nebel taucht die Dunkelheit plötzlich auf und umhüllt mich wie ein Mantel. Sie scheint nach mir zu rufen, ganz deutlich höre ich meinen Namen.

„Athena!“

Ich kann nicht zuordnen, aus welcher Richtung die Stimme ertönt.

„Athena!“

Vorsichtig, wie ein Kleinkind bei seinen ersten Gehversuchen, setze ich einen Fuß vor den anderen.

„Athena!“

Die Stimme klingt jetzt ungeduldig, doch ich weiß nicht, ob ich den richtigen Weg eingeschlagen habe.

„Wer bist du? Wo bist du?“, frage ich zaghaft nach; plötzlich habe ich einen Frosch im Hals und muss mich räuspern.

„Athena!“

„Wo bist du?“, schreie ich, meinen ganzen Mut zusammennehmend.

„Folge dem Schmetterling!“, antwortet die Stimme, die ich eindeutig einer Frau zuordnen kann.

Das lässt mich auflachen. Wie soll ich in dieser Dunkelheit einen Schmetterling erkennen?

„Nimm die Fackel, damit du etwas siehst!“, gibt sie mir weiter Anweisungen.

„Welche Fackel?“, will ich wissen, als ich merke, dass ich etwas in der Hand habe.

Verwundert blicke ich dorthin und merke, dass ich tatsächlich eine Fackel in der Hand halte, die kurz darauf wie von Zauberhand entzündet wird.

„Athena, schnell! Folge dem Schmetterling!“

Blinzelnd sehe ich mich nach einem Falter um, kann jedoch keinen entdecken. Leicht genervt will ich der unsichtbaren Frau mitteilen, dass ich keine Lust mehr auf ihr merkwürdiges Spiel habe, als sich ein Schmetterling auf meiner Nase niederlässt.

„Zeig mir den Weg, kleiner Falter!“, wispere ich und der Schmetterling fliegt los.

Hastig eile ich ihm hinterher. Wie lange wir inzwischen unterwegs sind, kann ich nicht sagen; ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.

Plötzlich erscheint ein Schild vor meinen Augen; darauf steht nur ein Wort – ein Land, um genau zu sein: PORTUGAL!

Es scheint mich magisch anzuziehen, und ich will danach greifen, als es wie eine Seifenblase zerplatzt.

Meine Füße fühlen sich kalt und nass an. Da registriere ich das Meeresrauschen. Bin ich etwa am Meer? Das kann überhaupt nicht sein, das Meer ist viel zu weit von unserem Zuhause entfernt. Niemals könnte ich die Strecke zu Fuß laufen. Andererseits ist die ganze Situation unwirklich.

Während ich mir darüber noch Gedanken mache, ertönt ein Lachen. Es ist kein fröhliches Lachen, sondern es klingt gehässig. Der Schmetterling ist verschwunden; jedenfalls kann ich ihn nicht mehr sehen, da die Fackel erloschen ist.

Blitze zucken immer wieder vom Himmel und erhellen für einen Moment die pechschwarze Nacht, so kann ich erkennen, dass ich tatsächlich am Meer bin – oder besser gesagt bis zu den Knien im Meer.

Der Donnerschlag vermischt sich mit dem Tosen der Wellen, die immer gewaltiger werden.

„Du entkommst mir nicht, Athena! Du gehörst mir!“ Dieses Mal gehört die Stimme einem Mann, der erneut laut loslacht.

Verzweifelt halte ich mir die Ohren zu. Ich will dieses Lachen nicht hören, stattdessen will ich nach Hause. Doch ich kann mich nicht bewegen; wie festgefroren bleibe ich stehen – unfähig, auch nur einen Schritt zu gehen.

„Du brauchst nicht versuchen, zu fliehen, Athena.“ Jedes Mal, wenn er meinen Namen sagt, ist es wie Folter für mich; die Schmerzen sind unerträglich. 

Es wird allmählich heller und ich schaue mich ängstlich um. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen; ich bin ganz alleine – keiner wird mir helfen können.

„Was willst du von mir?“, frage ich mit tränenerstickter Stimme.

Als Antwort erfolgt nur das grausige Grinsen, während eine riesige Welle über mich rollt.

Das salzige Meerwasser dringt in meinen Mund und meine Nase; ich habe das Gefühl zu ersticken. Als die kalte Luft gegen mein Gesicht peitscht, nehme ich einen tiefen Atemzug.

„Sag mir endlich, was du von mir willst!“, brülle ich.

„Dich!“, dröhnt die Stimme. „Dich! Dich! Dich!“

Monoton wird immer wieder dieses Wort wiederholt, das ich höre, obwohl ich meine Hände fest auf meine Ohren presse.

„Lass mich in Ruhe!“, schreie ich.

„Du gehörst mir, Athena!“

Erneut rollt eine gigantische Welle auf mich zu, doch dieses Mal werde ich von ihr unter Wasser gedrückt.

Die eiskalten Finger der Panik greifen nach mir, während ich versuche, mich an die Wasseroberfläche zu kämpfen.

„Du entkommst mir nicht! Du gehörst mir!“ Die Stimme hallt in meinem Kopf und der Spott, der darin mitschwingt, schlägt mit Peitschen nach mir.

Plötzlich bemerke ich, dass etwas meine Füße umklammert hat, und mich nach unten zieht.

Voller Angst schaue ich zu meinen Füßen – und schreie…

Impressum

Texte: Tina Waldt
Bildmaterialien: Tina Waldt
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2015

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