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Prolog

 

Mit schmerzendem Kopf, so als wäre gerade ein Panzer darüber gerollt, wache ich auf. Moment, wo bin ich? Alles um mich herum ist weiß. Bin ich im Krankenhaus? Nein, das kann nicht sein. Hier sind überhaupt keine Betten. Ich bin an der frischen Luft, aber warum liege ich so flauschig, fast wie auf Wolken? Schwerfällig setze ich mich auf, nur um mich sofort wieder zurückfallen zu lassen. Mein Kopf! Ich habe solche Schmerzen, und noch immer ist mir nicht klar, wo ich hier eigentlich bin. Vielleicht träume ich ja. Das wäre die einzige logische Erklärung. Mühsam durchforste ich mein Gedächtnis nach Informationen. Da war dieser böse Mann, der eine Pistole auf mich gerichtet hatte. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Hatte er mich erschossen? Hektisch untersuche ich meinen Körper nach Verletzungen. Nein, da ist weder eine Schusswunde noch irgendein Kratzer. Ich starte einen erneuten Versuch, aufzustehen, wobei ich äußerst langsam und vorsichtig vorgehe. Immerhin ist der Schwindel fort, und die Kopfschmerzen sind inzwischen erträglich. Nachdem ich endlich auf beiden Beinen stehe, wenn auch noch ein wenig wackelig, blicke ich mich genauer um. Der Himmel ist blassblau, ansonsten ist hier tatsächlich alles weiß. Für mich ist das eine Katastrophe, denn ich habe es gerne farbenfroh. Der Boden sieht ziemlich merkwürdig aus, genauso fühlt es sich auch an, so als würde ich auf Wolken gehen. Einen Moment überlege ich, dann kann ich mich nicht mehr beherrschen und greife nach unten. Meine Hand streift über die Wolkenlandschaft, die mir weich wie Watte vorkommt. Damit steht wohl eindeutig fest, dass ich träume. Halt! Da ist doch irgendjemand.

„Hallo“, rufe ich zaghaft, was ein weiterer Beweis ist, dass ich mich nicht in der Realität befinde.

Normalerweise rede ich nämlich ohne Punkt und Komma und gehe meinen Mitmenschen, insbesondere meiner großen Schwester, gehörig auf die Nerven. Sie meint immer, bei der Vergabe für eine schöne, melodische Stimme wäre ich damals gerade auf der Toilette gewesen. Ich gebe zu, ich klinge wie eine Hyäne, erst recht, wenn ich lache. Dafür kann ich allerdings nichts.

Wovor habe ich eigentlich Angst? Wenn es sowieso nur ein Traum ist, kann mir nichts geschehen. Also werde ich mutiger.

„HALLO! Wer bist du? Komm schon heraus!“

Blitzschnell fliegt etwas auf mich zu. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Stimme nicht so sehr erheben würden. Wir sind hier im Himmel, und Sie dürfen nicht lauter sprechen als ein sanft plätschernder Bach“, ermahnt mich dieses merkwürdige Geschöpf, das in reinem Weiß gekleidet ist, ansonsten einem normalen Menschen sehr ähnelt.

„Moment, Moment! Wo bin ich hier?“ Ich habe mich garantiert verhört.

„Im Himmel.“

Ja, jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Entweder träume ich wirklich, oder ich werde verrückt und demnächst in einer Zwangsjacke abgeführt, wovon mir die erste Option eindeutig lieber ist.

 

 

 

Kapitel 1

 

„Wie lautet Ihr Name?“, fragte mich eine Frau, die ein weißes Gewand trug und sich dadurch kaum von der gleichfarbigen Umgebung abhob.

„Athena Sommer.“

„In Ordnung, Frau Sommer. Haben Sie irgendwelche Fragen?“

„Sie können ruhig Athena zu mir sagen und mich duzen. Ganz so alt bin ich noch nicht“, erklärte ich ihr, worauf sie allerdings nicht einging.

„Ist Ihnen irgendetwas unklar?“

„Ja, so ziemlich alles. Deshalb habe ich auch mehrere Fragen. Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Warum laufen alle im Krankenhauslook herum?“

Sie hob die Hände, um mich am Weiterreden zu hindern. Also wirklich, erst erkundigte sie sich, ob ich irgendwelche Fragen hatte, und dann durfte ich sie nicht alle stellen.

„Sie sind im Himmel, Frau Sommer. Sie wurden erschossen. Da Sie ein guter Mensch zu Lebzeiten waren, dürfen Sie hierhin. Ich weiß nicht, was Sie mit Krankenhauslook meinen.“

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Diese Frau wollte mir tatsächlich weismachen, dass ich gestorben und in den Himmel gekommen war. So ein Blödsinn! Die Gute sollte dringend aufhören, sich irgendwelche Medikamente einzuwerfen.

„Was gibt es denn da zu grinsen?“, keifte sie und brachte mich erst recht zum Lachen, während sie sich ihre Ohren zuhielt. „Der Himmel sollte Menschen mit einer grauenhaften Stimme abweisen. Das ist ja unerträglich.“

Mein Bauch tat mir schon weh, während ich von Lachanfällen geschüttelt wurde. „Oh ja, das wäre es doch. Zu ein paar Jahren Haft verurteilt, wegen einer Stimme, die andere Menschen foltert. Das fiele dann wohl unter Körperverletzung.“

„VERWARNUNG!“, schrie die Frau, deren Namen ich immer noch nicht wusste, weswegen ich einfach nachhakte.

„Javana“, lautete die Antwort.

„Und ich dachte schon, ich hätte einen seltsamen Namen“, murmelte ich, wofür sie mich wütend ansah.

Zum Glück konnten Blicke nicht töten. Halt, ich sollte ja schon tot sein.

„Hör mal, Javana!“

„Ich wüsste nicht, dass ich Ihnen das Du angeboten hätte.“

Du meine Güte, war diese Person schlecht gelaunt. Kein Wunder, wenn man die ganze Zeit in einem tristen Raum saß.

„Sie sollten die Wände bunt streichen. Dann geht es Ihnen gleich viel besser. Vielleicht nicht gerade rot, das macht leicht aggressiv.“

„Na, Javana. Probleme mit einer neuen Himmelsbewohnerin?“

Überrascht drehte ich mich um und entdeckte einen Jungen, nicht viel älter als ich. Wenn ich schätzen müsste, würde ich auf vielleicht zwanzig oder einundzwanzig Jahre tippen.

Ich selbst war vor Kurzem volljährig geworden, fühlte mich jedoch nicht ein kleines bisschen anders als mit siebzehn. Warum machten alle nur immer solch einen Aufstand deswegen?

„Diese Frau Sommer raubt mir noch den letzten Nerv. Rahmiel, bitte sorge dafür, dass sie mir in nächster Zeit nicht mehr unter die Augen tritt!“

„Rahmiel heißt du? Da muss ich an Margarine denken.“

„Anscheinend weiß Frau Sommer nicht, mit wem sie es zu tun hat. Das ist Rahmiel, der Sohn des höchsten Custos.“

„Custos? Auch das erinnert mich an Essen, das klingt ja fast wie Couscous.“

„Siehst du, was ich meine, Rahmiel? Dieses ungezogene Mädchen beleidigt dich“, meinte Javana, doch Rahmiel schien amüsiert.

„Wie lautet dein Vorname?“, wollte er von mir wissen.

„Athena.“

„Schöner Name. Na, dann folge mir, Athena! Ich bringe dich zu deiner Unterkunft.“

Mit großen Schritten eilte er voraus, und ich hatte Schwierigkeiten, ihm zu folgen.

Javana war weiterhin wütend, so schnell schien sie sich nicht zu beruhigen. „Unverständlich, dass so jemand in den Himmel darf“, sagte sie so laut, dass ich es gut und deutlich verstand.

 

„Was ist denn jetzt eigentlich ein Custos, wenn es kein Gericht aus Griechenland ist?“, hakte ich nach.

„Der höchste Custos ist der Wächter der Engel. Ich bin sein Sohn“, erzählte mir Rahmiel.

„So, also seid ihr alle Engel?“

„Ja.“

„Bin ich jetzt auch ein Engel oder kann ich einer werden?“

„Nein, man kann nicht einfach Engel werden. Man muss dazu geboren sein. Du bist ein menschlicher Himmelsbewohner.“

„He, das ist ja wohl mein Traum, da kann ich doch entscheiden, wer oder was ich sein will.“

Er blieb stehen, und seine Mundwinkel zuckten verdächtig. Im Gegensatz zu Javana schien der schlaksige Engel mit den haselnussbraunen Haaren und Augen sympathisch zu sein.

„Sind deine Haare gefärbt?“, wollte ich wissen.

Rahmiel hob eine Augenbraue. „Nein.“

Dabei hatte ich immer gedacht, Engel hätten lockiges, goldenes Haar und eine Figur wie Adonis. Meine Fantasie hatte da anscheinend eine andere Vorstellung, was vermutlich daran lag, dass ich selbst eine Bohnenstange war. Essen konnte ich, was ich wollte, und nahm trotzdem nicht zu. Dabei hätte ich wirklich nichts gegen ein paar Kilo mehr auf den Rippen. Man merkte mir nicht an, dass ich tagtäglich schwamm, denn Muskeln hatte ich keine. Dafür könnte ich mit meiner großen Nase problemlos unter der Dusche rauchen – wenn ich Raucher wäre.

Mir kam plötzlich ein Gedanke, den ich nicht mehr loswurde. Was sollte auch schon großartig passieren? Es war schließlich nur ein Traum.

„Rahmiel, ich finde dich irgendwie süß. Was würdest du jetzt sagen, wenn ich dich gerne küssen würde?“

Rahmiel verschluckte sich und musste kräftig husten. „Du bist ganz schön direkt.“

„Ja, so bin ich eben.“

„Leider muss ich dich enttäuschen. Es ist strengstens untersagt, dass sich Engel mit menschlichen Himmelsbewohnern einlassen.“

Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. „In welchen schrägen Traum bin ich da nur hineingeraten? Da darf ich noch nicht einmal einen Engel küssen, weil es angeblich verboten ist.“

„Ich verstehe schon; du glaubst immer noch, dass das alles hier ein Traum ist. Das geht eigentlich allen neuen Bewohnern so. Schon bald wirst du merken, dass es Wirklichkeit ist.“

„Spätestens, wenn ich aufwache, ist alles vorbei. Aber darf ich dich etwas fragen? Es geht auch nicht um körperlichen Kontakt.“

Zustimmend nickte er, sodass ich meine Frage stellte. „Wenn also die guten Menschen tatsächlich in den Himmel kommen, bedeutet das doch, dass es eine Hölle gibt, die für böse Menschen gedacht ist.“

Rahmiel klatschte in die Hände. „Richtig, du kluges Mädchen. Es gibt auch die Hölle und Teufel. Dort ist Cattivo Diable der Herrscher.“

„Hat er vielleicht auch einen Sohn? Dann könnte ich ihn mir doch einmal anschauen. Vielleicht ist er ja heiß, wenn er schon in der Hölle wohnt“, scherzte ich.

„Athena, da muss ich dich leider enttäuschen. Cattivo hat nur eine Tochter, Flama, die die Hölle eines Tages übernehmen soll. Außerdem darfst du sowieso den Himmel nicht mehr verlassen. Nur Engeln ist das gestattet, genauso wie nur Teufel zwischen Hölle und Erde wandern können.“

„Okay, ich glaube, das ist genug. Weißt du, wie das alles für mich klingt? Wie ein schlechter Fantasyroman.“ Ich fasste mir an meine Stirn, hinter der es heftig pochte.

„Das ist vermutlich alles zu viel für dich im Moment. Hier ist dein Zimmer. Am besten ruhst du dich ein wenig aus. Morgen siehst du es vielleicht anders. Es wird dir hier gefallen.“ Er öffnete eine Tür und führte mich in einen Raum, der wie ein Krankenhauszimmer eingerichtet war.

„Da kann ich dir mit Sicherheit sagen, dass es mir nicht gefallen wird. Ich brauche dringend Farbe.“

Meine Müdigkeit klopfte an und erinnerte mich, dass ich dringend eine Runde schlafen sollte. Nur allzu gerne kam ich dieser Bitte nach; ich ließ mich auf das Bett fallen und war im selben Augenblick weggetreten.

 

 

 

Kapitel 2

 

Völlig orientierungslos wachte ich in einem sehr bequemen Bett auf. Um mich herum war alles weiß. Moment, Déjà-vu-Erlebnis! Das hatten wir doch schon einmal. War ich etwa immer noch im Traum gefangen? So fest ich konnte, petzte ich mich selbst in meinen Unterarm. Autsch, das hatte ziemlich wehgetan. Doch wach war ich immer noch nicht. Musste ich womöglich erst eine Aufgabe erfüllen, damit ich mich aus diesem Albtraum in Weiß befreien konnte?

Vielleicht war es das Beste, wenn ich mich einmal hier gründlich umsah. Also schlug ich die Decke, die wirklich kuschelig war, beiseite, und schwang meine Beine aus dem Bett. Als Frühaufsteher war ich es gewohnt, vor allen anderen aus den Federn zu hüpfen. Vermutlich war es noch früh am Morgen, sodass ich in Ruhe ein wenig herumschnüffeln konnte, ohne Gefahr zu laufen, von jemand entdeckt zu werden. Auf Zehenspitzen, fast wie eine Primaballerina, schlich ich mich aus dem Zimmer. Ja, ich hatte richtig vermutet. Niemand außer mir war unterwegs. Ich war überzeugt davon, herauszufinden, was hier eigentlich los war.

„Guten Morgen, Athena. So früh schon auf den Beinen?“

Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte diesen schlaksigen Jungen von gestern. Wenn ich mich recht erinnerte, nannte er sich Rahmiel und war angeblich der Sohn des höchsten… Mir fiel dieses Wort nicht mehr ein. Es klang so ähnlich wie Couscous, und plötzlich bekam ich Hunger.

„Oh ja, der frühe Vogel fängt den Wurm. Und was machst du um diese Uhrzeit hier?“

„Ich stehe immer so zeitig auf. Hast du dich inzwischen damit abgefunden, dass du tot bist?“, fragte er mich, worüber ich nur den Kopf schütteln konnte.

„Also, ich bitte dich. Wer findet sich schon gerne damit ab, tot zu sein? Du hast ja verrückte Ideen. Soll ich dir verraten, was ich seltsam finde?“

Rahmiel nickte lächelnd. „Ich glaube kaum, dass ich dich davon abhalten kann, es mir zu sagen.“

„Du willst ein Engel sein? Aber wo sind denn deine Flügel?“

Er starrte mich nur entgeistert an. Ha, darauf hatte er keine Antwort.

„Die brauche ich nicht“, erwiderte er nach einer Weile.

„Da hast du aber lange überlegt. Warum brauchst du sie denn nicht?“

„Wir Engel können ohne Flügel fliegen.“

„Beweis es!“, forderte ich ihn heraus.

„Ich muss niemanden etwas beweisen.“

„Weil du nicht fliegen kannst.“

„Doch ich kann fliegen. Ich will nur gerade nicht.“

„Aber sicher doch. Du willst im Moment nicht. Das sagt man so.“

„Na schön, du hast gewonnen“, gab Rahmiel schließlich nach, um sich im selben Augenblick zu erheben und einen Moment zu schweben.

Mir blieb zunächst die Luft weg, so erstaunt war ich, bevor ich grinsend den Kopf schüttelte. „Wenn das so ist, müssen wir uns unbedingt anfreunden. Jemand, der fliegen kann, gehört noch nicht zu meinem Freundeskreis.“

 

 

„Aber du musst mir versprechen, niemanden auch nur ein Wort zu sagen. Was ich dir jetzt zeigen werde, ist streng geheim“, erinnerte mich Rahmiel zum bereits vierten Mal.

„Ja, ich kann auch schweigen, wenn ich das will“, entgegnete ich schmunzelnd.

Nur wollte ich selten schweigen. Wozu hatte ich denn einen Mund, wenn nicht zum Reden?

Javana keifte, dass sie meine Nähe nicht ertrug. Sie hielt mich für die nervigste Person, die ihr jemals begegnet war. Daraufhin erklärte sich Rahmiel bereit, heute etwas mit mir zu unternehmen. Javana war mit diesem Vorschlag einverstanden. Sie schubste mich ihm regelrecht in die Arme und dampfte davon.

Momentan war Rahmiel für das Archiv aller Himmelsbewohner zuständig. Ich hatte ihm nicht glauben wollen, dass es sämtliche Informationen über mich gab. Deshalb hatte er entschieden, mich einzuweihen.

Natürlich war es streng verboten. Möglich war es nur, weil diese Aufgabe für die höchste Custosfamilie bestimmt war. Niemand sonst durfte das Archiv betreten. Da Gabriel zu beschäftigt war, übernahm sein Sohn diesen Tätigkeitsbereich.

Damit uns trotzdem kein Engel entdeckte, hatte mich Rahmiel auf Umwegen ins Archiv geführt.

„Hier ist deine Akte.“ Er überreichte mir eine weiße Mappe mit silbernen Flügeln, auf der mein Name stand.

„Uh, sehr ordentlich geführt. Lass mich sehen!“

Neugierig las ich meine Akte genauestens durch und merkte, dass dort mein gesamtes Leben aufgezeichnet war. So stand darin auch mein angebliches Todesdatum, an dem ich von der Kugel tödlich verletzt worden war. Da hatte sich doch eindeutig ein Logikfehler versteckt.

„So, ich soll also erschossen worden sein? Warum habe ich dann kein Einschussloch?“, hakte ich nach, um ihn zu irritieren.

„Jegliche Wunden, die man hatte, werden von selbst beim Eintritt in den Himmel geheilt. Es bleiben nicht einmal Narben zurück“, wollte mir Rahmiel weismachen.

„Oh, seht ihr Menschen mit Narben als unvollkommen an?“, fragte ich.

„Nein, es verschwinden auch nur die Wunden, die den Tod herbeigeführt haben. Frühere Narben bleiben.“

Es war seltsam, dass die Engel hier schon das ganze Leben der Menschen wissen sollten. Das würde ja bedeuten, dass alles bis zum Tod bereits feststand. Das fand ich doch reichlich weit hergeholt und wäre mir auch bei einem Fantasyroman zu viel Fantasy. So am Rande, ich war nämlich eine richtige Leseratte und verschlang gerne ein ganzes Buch zum Frühstück. Das meinte ich natürlich nur im übertragenden Sinne, denn Bücher wollte ich wirklich nicht essen. Gut, mit vielleicht vier oder fünf Jahren hatte ich einmal eine Seite aus einem Schmöker herausgerissen und in den Mund gesteckt. Es hatte mir überhaupt nicht geschmeckt.

„Könnte ich vielleicht auch einen kurzen Blick in die Akte meiner Schwester werfen?“

Er schüttelte sofort den Kopf. „Das ist verboten.“

„Wir haben sowieso schon etwas Verbotenes getan, da kommt es auf ein Verbrechen mehr oder weniger nicht mehr an. Oh, bedeutet das jetzt etwa, dass wir aus dem Himmel geworfen werden?“

„Nur, wenn wir ertappt werden.“ Er schien einen Moment zu überlegen, bevor er mir gestattete, nach Chayennes Akte zu suchen.

„Und wenn wir sie nicht finden?“, fragte ich.

„Dann kommt sie nach ihrem Tod in die Hölle.“

„Das kann ich ausschließen. Chayenne ist ein netter Mensch, sie wird niemals in der Hölle landen.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich tatsächlich eine Mappe, auf der Chayenne Winter, geb. Sommer stand. He, das hieß ja, dass meine Schwester ihren Freund Robin Winter geheiratet hatte oder heiraten würde. Aufgeregt wie ein kleines Kind am ersten Schultag überflog ich Chayennes weiteren Lebenslauf. Sie würde ein Mädchen zur Welt bringen, das Athena Isabell heißen sollte. Eine kleine Träne der Entzückung fand ihren Weg an die Oberfläche und lief meine Wange herunter.

„Athena, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Rahmiel, und seine Stimme hatte einen besorgten Klang angenommen.

Lächelnd nickte ich. „Ja, ich bin nur so glücklich. Chayenne wird bald ein kleines Mädchen zur Welt bringen und es Athena Isabell nennen. Ich dachte immer, sie mag mich nicht besonders. Aber sie will sogar ihre Tochter nach mir benennen. Isabell ist mein Lieblingsname, den habe ich ihr damals vorgeschlagen. Sie hat gesagt, dass er ihr nicht gefiele. Oder meinst du, sie macht das nur aus Schuldgefühlen, weil ich tot bin?“

Halt, was redete ich denn da? Ich tat ja gerade so, als glaubte ich diese Himmel-und-Hölle-Geschichte. Aber dieser Kerl, der meine Schwester verfolgt hatte, hatte eine Pistole auf mich gerichtet. Ob es doch der Wahrheit entsprach? War ich tatsächlich tot und im Himmel gelandet? Das erklärte auch, warum hier alles weiß war. Würde das meine Fantasie sein, hätte ich schon längst für Farbe gesorgt. Ohne großartig darüber nachzudenken, nahm ich Zettel und Stift aus meiner Umhängetasche und notierte Chayennes Adresse. Vielleicht würde ich sie eines Tages wiedersehen.

„Ich bin überzeugt, dass deine Schwester dich immer geliebt hat. Vielleicht konnte sie es nie zeigen. Ich kann dich schon einmal gut leiden. Du trägst dein Herz auf der Zunge und kümmerst dich nicht darum, was andere über dich denken. Das gefällt mir.“

„Das ist lieb von dir, Rahmiel. Wenn es nicht verboten wäre, würde ich dich jetzt küssen.“

 

 

 

Kapitel 3

 

So ganz war ich noch nicht überzeugt, dass all das wirklich passierte, allerdings konnte ich mir inzwischen vorstellen, dass es möglich wäre. Rahmiel führte mich in seinem Zuhause, das er Himmel nannte, herum.

Gelangweilt folgte ich ihm. Seinetwegen war ich nicht so unmotiviert, sondern aufgrund der Tatsache, dass alles hier so eintönig aussah. Während unseres Rundgangs wurden wir von Harfenmusik begleitet. Normalerweise machte mir so etwas nichts aus, aber es lief ohne Unterbrechung den ganzen Tag, sodass es mir langsam, aber sicher auf die Nerven ging. Da konnte man sich überhaupt nicht konzentrieren.

„Rahmiel, darf ich dich etwas fragen?“, unterbrach ich seine Erzählungen.

Rahmiel nickte. „Ja, frag mich ruhig!“

„Gibt es hier im Himmel die Möglichkeit zu schwimmen?“

„Oh, stimmt ja, du liebst das nasse Element.“

„Woher weißt du das?“, hakte ich nach, als ich mir plötzlich denken konnte, woher er diese Information hatte. „Du hast einen Blick in meine Akte geworfen.“

Dann wusste er bestimmt auch, dass uns mein Freund Raphael verraten hatte.

„Nur auf dein Sterbedatum. Das muss ich bei allen künftigen Neuankömmlingen. Das mit dem Schwimmen hast du mir selbst anvertraut.“ Seine Stimme klang gefestigt, jedoch konnte er keinen Blickkontakt halten.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich dir das erzählt habe. Aber vergessen wir das. Gibt es hier jetzt ein Schwimmbad?“

„Es gibt im Himmel einen See. Allerdings ist es nur Engeln gestattet, dort ein Bad zu nehmen.“

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ihr habt ganz schön viele Regeln. Was darf ich hier denn überhaupt?“

„Du darfst dich frei bewegen“, antwortete Rahmiel.

„Frei bewegen? Das heißt also, ich darf überall hin, wohin ich möchte.“

„Nicht ganz.“

„Wo ist der Haken?“

„Es gibt bestimmte Bereiche, die ausschließlich Engeln vorbehalten sind.“

„Und da soll noch einer sagen, er will unbedingt in den Himmel kommen. Ich glaube kaum, dass die Hölle schlimmer sein könnte.“

„Du würdest dich noch wundern.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Wie meinst du das? Warst du schon einmal in der Hölle?“

Er wirkte regelrecht entsetzt, dass ich es in Erwägung gezogen hatte, er könnte dort gewesen sein. „Nein, ich war nicht in der Hölle. Engeln ist es untersagt, sie zu betreten. Abgesehen davon, will ich sowieso niemals dorthin. Aber ich habe Flama schon einige Male auf der Erde getroffen. Sie ist sehr merkwürdig.“

„Merkwürdig?“

„Wie stellst du dir Teufel vor?“, stellte Rahmiel mir eine Gegenfrage, worauf ich nicht lange überlegen musste.

„Rote Haut, schwarzes Gewand, Hörner.“

„Das habe ich mir bereits gedacht. Du wärest erstaunt, wenn du Flama sähest.“

„Warum? Wie sieht sie denn aus?“

Er winkte nur ab. „Deine Lieblingsfarbe ist Orange?“

„He, versuch nicht, vom Thema abzulenken!“

„Eigentlich nehmen wir hier das Wort Teufel nicht in den Mund. Mit ihnen haben wir so gut wie nichts am Hut. Ab und zu treffen wir uns zufällig auf der Erde. Dann begrüßen wir uns kurz, und jeder geht wieder seines Weges“, erklärte er mir.

„Du siehst auch nicht aus, wie man sich einen Engel vorstellt“, meinte ich schließlich. „Engel habe ich mir immer als wunderschöne Wesen mit zarten Flügeln vorgestellt.“

„Du findest mich also hässlich? Dabei wolltest du mich schon küssen“, entgegnete Rahmiel schmunzelnd.

„Adonis könntest du keine Konkurrenz machen“, sagte ich ehrlich.

Er schluckte und grinste mich schief an.

So war ich nun einmal. Ich sprach aus, was ich wirklich dachte, auch wenn manche Menschen das gar nicht hören wollten.

 

„Rahmiel!“

Verwundert drehten wir uns in die Richtung, aus der wir die Stimme vermuteten.

„Rahmiel!“ Erneut ertönte die Stimme, und ich fragte Rahmiel, ob er wusste, wer ihn rief.

„Ja, das ist mein Vater. Ich sollte besser gehen. Es ist nicht so gerne gesehen, wenn wir Engeln zu viel mit Himmelsbewohnern unternehmen.“

„Gibt es denn wenigstens die Möglichkeit, mit den anderen Himmelsbewohnern Kontakt aufzunehmen? Sonst wird es mir schrecklich langweilig. Ich bin gerne unter Menschen. Allein gehe ich wie eine Blume ohne Wasser und Licht ein.“

„Natürlich wirst du noch die anderen Himmelsbewohner kennenlernen. Nur schlafen die meisten um diese Uhrzeit noch.“

„RAHMIEL!“ Sein Vater war inzwischen wohl ziemlich wütend, denn seine Stimme war eindeutig lauter als ein sanft plätschernder Bach.

„Ähm, du solltest wirklich gehen, bevor dein Vater noch komplett ausflippt“, murmelte ich.

„Ja, das sollte ich. Schließlich will ich nicht dafür verantwortlich sein, dass die Menschen auf der Erde gleich ein Gewitter erleben.“ Rahmiel setzte sich in Bewegung.

„Was meinst du damit?“, rief ich ihm hinterher.

„Na, dann gäbe es wirklich ein Gewitter auf der Erde. Das ist immer so, wenn mein Vater jemanden zurechtweist. Athena, wir sehen uns später. Dann kann ich dir alles in Ruhe erklären.“

„Bis dann“, verabschiedete ich mich.

Vielleicht lernte ich in der Zwischenzeit andere Himmelsbewohner kennen. Von dem Gebrüll seines Vaters müssten doch einige geweckt worden sein. Ob ich hier auch Freunde finden konnte? Jedenfalls mussten im Himmel alle Menschen nett sein, sonst wären sie schließlich in der Hölle gelandet.

 

 

 

Kapitel 4

 

Mit meiner Begrüßungsmethode konnten sich die anderen Himmelsbewohner anscheinend nicht so recht anfreunden. Dabei wollte ich nur nett sein, wenn ich sofort jeden umarmte. Auch meine Schwester konnte es nicht leiden und meinte immer, ich sollte das unterlassen, weil es nicht normal wäre. Sie hatte sich nie mit meinem Naturell angefreundet und mich kindisch genannt.

Obwohl ich nur zuvorkommend sein wollte, konnte ich nicht viele Freunde finden. Immer hieß es, da käme Athena, der nervige Freak mit der ätzenden Stimme. Wer mich bereits kannte und nicht mit meiner Art umgehen konnte oder wollte, suchte schnell das Weite, sobald ich auf der Bildfläche erschien. Doch ich hatte lieber wenige Freunde, auf die man sich immer verlassen konnte, als hundert, die nur bei Sonnenschein zu mir hielten.

Auch im Himmel war ich auf der Beliebtheitsskala, wenn es hier so etwas überhaupt gab, auf den hinteren Plätzen zu finden.

Der Einzige, der mit mir redete, war Rahmiel. Wenn er später einmal der höchste Custos war, musste ich ihn unbedingt überreden, dass er ein paar Regeln lockerte. So konnte ich jedenfalls nicht auf Dauer leben. Diese Harfenmusik wäre das Allererste, das ich abstellen würde, wenn ich hier das Sagen hätte. Oh, und ich würde für ein wenig Farbe sorgen.

Wenn mir Rahmiel noch einmal begegnete, wollte ich ihn nach Ohrenschützern fragen, damit ich die Zeit, bis meine Wünsche umgesetzt wurden, einigermaßen heil überstand.

 

Als ich am Morgen einen Blick in meinen Kleiderschrank warf, stellte ich fest, dass ich mir wenigstens nicht mehr Sorgen bei der Zusammenstellung meines Outfits machen musste. Alle Kleidungsstücke waren genau identisch: lange, weiße Kleider, die man schon fast als Gewänder bezeichnen konnte. Hastig schlüpfte ich in eins davon, nur um festzustellen, dass es an mir wie ein Sack aussah. Außerdem war es mir zu lang, sodass ich ständig darüber stolperte. Deshalb nahm ich kurzerhand eine Schere, die ich in meinem Nachttischschränkchen gefunden hatte, und kürzte das Kleid zunächst auf Knöchellänge. Leider hatte ich es ganz schief geschnitten, also musste noch ein Stück ab. Tja, was soll ich sagen, am Ende reichte es mir nur noch bis knapp über mein Knie. Richtig gerade war es immer noch nicht, aber ich gab es inzwischen auf. Ich glaubte kaum, dass die Engel es gerne sahen, wenn man zu kurze Kleidung trug. Das Band, mit dem ich mir eigentlich die Haare zusammenbinden sollte, wurde kurzerhand zweckentfremdet und diente mir als Gürtel, damit man erkennen konnte, dass ich eine Taille hatte. Die Haare ließ ich einfach offen, da würde sich wohl kaum jemand beschweren.

Bester Laune hüpfte ich pfeifend wie ein kleines Kind aus meinem Zimmer, als mir Rahmiel begegnete und riesengroße Augen bekam.

Ja, da bleibt dir die Spucke weg, dachte ich und sprach es im selben Augenblick auch aus.

Er nickte nur und zerrte mich in mein Zimmer.

„He, also wirklich, das geht mir zu schnell. Lass deine Engelspatscher bei dir!“, keifte ich ihn an und riss mich los.

Wenn dieser Engel glaubte, er könnte seine Zunge in meinen Hals stecken, sollte er danach dringend einen Termin bei einem plastischen Chirurgen vereinbaren, der ihm wieder seine Nase richtete.

Nicht umsonst hatte ich Ju-Jutsu erlernt. Ja, ich wusste mich selbst zu verteidigen. Obwohl ich die Menschen gerne umarmte, bedeutete das noch lange nicht, dass ich sie auch küsste.

„Was hast du da an?“, fragte mich Rahmiel entsetzt.

Lachend drehte ich mich im Kreis. „Gefällt es dir?“

„Bist du verrückt? Wenn das einer der Engelswächter sieht, gibt es ein Gewitter.“

„Du meinst wohl Donnerwetter“, korrigierte ich ihn grinsend.

Er schüttelte den Kopf und betonte noch einmal: „Ich meine Gewitter.“

„Na schön, dann eben Gewitter. Kann ich jetzt gehen?“

„So verlässt du nicht dieses Zimmer!“

„Ach herrje, du klingst wie ein überbesorgter Vater, dessen Tochter auf eine Party möchte.“

„In Ordnung, Athena. Wenn du unbedingt willst, dass es auf der Erde gewittert, nur zu. Aber wirf mir später nicht vor, ich hätte dich nicht gewarnt!“

 

Als ich an den anderen Himmelsbewohnern vorbeischlenderte, wurde ich mit abschätzenden Blicken bedacht, während sie eifrig tuschelten. Mir war es egal, was andere von mir dachten. Wenn ich nicht ich selbst sein konnte, glaubte ich zu ersticken.

„Athena Sommer“, hörte ich plötzlich Javanas Stimme, die alles andere als erfreut klang.

Schwungvoll drehte ich mich zu ihr um und lächelte sie freundlich an. „Javana, schön, dich, nein Sie, zu sehen.“

„Der höchste Custos möchte Sie sprechen. Deswegen bitte ich Sie, mir unverzüglich zu folgen“, meinte sie mürrisch und überhaupt nicht engelhaft.

„Schön, gehen wir. Dürfte ich Sie nur etwas fragen?“

Javana schaute mich wütend an, womit sie mir anscheinend mitteilen wollte, dass Fragen nicht gestattet waren.

Als waschechte Nervensäge hielt mich das natürlich nicht ab. „Wenn ich nicht mitkäme, würde ich dann Prügel bekommen? Oder lehnt ihr so etwas hier ab? Ich meine, wir sind immerhin im Himmel. Da dürfte man von Gewalt nichts halten.“

„Bitte seien Sie wenigstens fünf Minuten still!“ Es klang eher nach einer Drohung als nach einer Bitte.

„Fünf Minuten still sein? Das wird mir sehr schwerfallen, aber ich versuche es.“ Schließlich wollte ich nicht so sein und schwieg, auch wenn es mir nicht gerade leichtfiel.

Ohne Sprechen kam mir der Weg zum höchsten Custos wie Stunden vor. Bevor ich noch platzte, hielt ich deshalb einen inneren Monolog. Wenigstens darüber konnte sich Javana nicht beschweren.

Wir passierten ein goldenes Tor mit prachtvollen Verzierungen. Leider konnte ich nicht stehen bleiben, um es näher zu betrachten.

Vor einer goldenen Tür - dem einzigen Farbtupfer neben dem Tor in dieser tristen Landschaft - blieb Javana stehen und klopfte zaghaft an.

„Da muss der Custos aber gute Ohren haben, um das zu hören. Vielleicht sollten Sie etwas kräftiger klopfen“, meinte ich, als sich die Tür wie von Zauberhand öffnete.

Ach nein, da stand ein Engel, der diese Aufgabe erledigt hatte, also doch keine Magie. Schade.

Na gut, bringen wir es hinter uns, dachte ich und marschierte los, wurde allerdings sofort von Javana zurückgerufen.

„Warten Sie, bis der höchste Custos Ihnen den Zugang gestattet!“, zischte sie mir zu, und ich konnte nur die Augen rollen.

„Hat er das nicht bereits, als er die Tür geöffnet hat?“, hakte ich nach, worüber sie den Kopf schüttelte.

„Zunächst einmal ist dies nicht Gabriel, der höchste Custos. Wir müssen auf das Zeichen warten.“

Auf das Zeichen warten? Wurde gleich eine Rakete gezündet, damit wir wussten, dass wir eintreten durften? Obwohl, nein, ein Feuerwerk wäre doch zu bunt für diese Welt, oder besser gesagt, den Himmel.

„Athena Sommer, es ist Ihnen gestattet, vorzutreten“, ertönte eine angenehm melodische Stimme.

„War das jetzt der höchste Custos?“, fragte ich Javana leise, die mich hastig in den Raum schob.

„Beeilen Sie sich! Gabriel wartet nicht gerne.“

Erst musste man Geduld haben und durfte bloß nicht einfach so hereinstürmen, und dann wurde man plötzlich regelrecht gehetzt, weil der Engelwächter keine Zeit zu warten hatte.

Da folgte ein Widerspruch dem nächsten.

„Huhu, Herr Custos“, begrüßte ich ihn lachend und streckte ihm meine Hand entgegen.

„Ich muss mich aufrichtig für ihr Verhalten entschuldigen. Diese Person hat keinerlei Anstand, von Respekt vor dem höchsten Custos, ganz zu schweigen.“ Javana wirkte nervös, so als rechnete sie damit, bestraft zu werden.

„Javana, du kannst gehen. Ich würde mich gerne mit Athena unterhalten“, entgegnete Rahmiels Vater und zeigte ihr dezent den Weg nach draußen.

Sein goldfarbenes Gewand blendete mich ebenso wie der Heiligenschein, der auf seinem Kopf thronte.

Ich kniff meine Augen zu und biss auf meine Lippe, um mir Kommentare darüber zu verkneifen.

Die Tür fiel ins Schloss. Es donnerte, und ich zuckte erschrocken zusammen.

„So, und nun zu Ihnen. Was erlauben Sie sich, unsere himmlischen Gewänder dermaßen zu verunstalten?“

Erneut ein Donnerschlag, und die weißen Bodenwolken verfärbten sich in ein dunkles Grau – genauso wie die vormals himmelblauen Augen des Himmelswächters.

Jetzt verstand ich auch, was Rahmiel damit gemeint hatte, als er davon sprach, es gäbe ein Gewitter.

 

 

 

 

Kapitel 5

 

Der höchste Custos konnte jemanden wirklich sehr einschüchtern – so auch mich. Mit hängenden Schultern schlurfte ich in mein Zimmer zurück, als mir Rahmiel begegnete und mich abfing.

„Na, mein Vater schien richtig sauer auf dich zu sein“, wisperte er mir zu.

„Ja, das Gewitter hat hier wohl jeder mitbekommen“, flüsterte ich und seufzte.

„Nicht nur hier, auch auf der Erde.“

„Vor deinem Vater kann man richtig Angst bekommen; dabei bin ich nicht gerade jemand, der sich einschüchtern lässt“, erzählte ich ihm.

„Wenn ich dir ein Geheimnis verraten darf; manchmal ist er mir auch ein wenig unheimlich“, gestand Rahmiel und zauberte mir damit ein Lächeln auf die Lippen.

„Darf ich dich etwas fragen? Warum hat dein Vater als einziger Engel ein goldenes Gewand? Und diesen Heiligenschein? Weil er der höchste Custos ist?“ Ohne einmal Luft zu nehmen, feuerte ich die Fragen, die in meinem Kopf herumschwirrten, auf ihn ein.

Er nickte. „Nur ihm steht es zu. Dieser Heiligenschein, den du meinst, ist der sogenannte Lux-Lumen.“

„Ist das wieder Latein?“, hakte ich nach.

„Ja, das ist es.“

„Du musst mir weiterhelfen. Diese Sprache gehört nicht zu den Fächern, die ich in der Schule gelernt habe“, entgegnete ich.

„Sowohl lux als auch lumen bedeuten auf Deutsch Licht“, erklärte er mir.

„Licht?“, wiederholte ich kopfschüttelnd. „Das heißt, dein Vater hat auf seinem Kopf Licht-Licht? Wer hat sich das nur ausgedacht?“

„Ich gebe zu, es ist seltsam. Die Bezeichnung dafür ist fast so alt wie die Erde. Vielleicht hat es ein winziger Engel erfunden, der mit der doppelten Bedeutung seine Größe kompensieren wollte“, sagte er trocken.

Das brachte mich zum Lachen. Schade, dass es nicht gerne gesehen war, dass sich Engel und menschliche Himmelsbewohner gut verstanden; ich konnte mir vorstellen, mit Rahmiel befreundet zu sein.

Wie aufs Stichwort erschien Javana und erinnerte uns daran, dass ich mich als Hiwo – das war wohl die Abkürzung für Himmelsbewohner – vom Sohn des höchsten Custos fernhalten sollte.

„Oder möchten Sie ein weiteres Mal zum Custos gerufen werden, Frau Sommer?“ Ihre Stimme klang vielleicht freundlich, doch ihr Gesicht war zu einer gehässigen Grimasse verzogen.

Damit stand für mich endgültig fest, dass ich sie nicht leiden konnte, und meine Meinung später auch nicht wieder revidieren würde.

„Moment, ich dachte, er soll mich herumführen“, meinte ich.

Sie kniff ihre Augen zusammen. „Er hat Ihnen genug gezeigt. Jetzt sollten Sie sich allein zurechtfinden. Der Sohn des höchsten Custos sollte nicht mehr als nötig mit Ihnen verkehren.“

„Ihr Engel seid voller Widersprüche“, murmelte ich.

„Rahmiel, würdest du mich bitte begleiten?“, säuselte Javana Rahmiel zu und lächelte ihn zuckersüß an.

Entweder war sie in ihn verliebt oder sie wollte mich wütend machen – vermutlich sogar beides. Die Ärmste wusste leider nicht, dass es bei mir wie bei Panzerglas abprallte.

„Geh nur, Rahmiel! Die Menschen auf der Erde brauchen nicht noch ein weiteres Gewitter“, erwiderte ich und verabschiedete mich freundlich von beiden.

Javana blickte mich düster an; sie wäre die Idealbesetzung für eine böse Hexe. Dazu müsste sie nur etwas anderes anziehen; dieses unschuldige Weiß passte nicht zu ihr.

 

Die nächsten Tage sah ich Rahmiel nicht. Da niemand der anderen Himmelsbewohner etwas mit mir zu tun haben wollte, langweilte ich mich sehr.

Wie üblich machte ich auch an diesem Morgen einen Spaziergang, als mir ein verängstigtes Mädchen auffiel, das zusammengekauert auf einer Bank saß. Wahrscheinlich war sie gerade neu im Himmel eingetroffen und realisierte die ganze Situation noch nicht. Das war meine Chance; vielleicht konnte ich mich mit ihr anfreunden.

„Guten Morgen“, begrüßte ich sie mit sanfter Stimme.

Erschrocken hob sie ihren Kopf und schaute mich mit Tränen in den Augen an. Da ich ihr nicht weiter Angst einjagen wollte, unterließ ich es, sie zu umarmen; stattdessen fragte ich sie nach ihrem Namen.

„Paula“, war die knappe Antwort.

„Paula, das ist ein schöner Name. Ich bin Athena.“

Paula zeigte keine weitere Reaktion, also hakte ich nach, ob sie schon länger hier war.

Sie zuckte nur mit den Schultern.

„Du bist also neu hier. Das ist bestimmt alles verwirrend für dich. Glaub mir! Für mich war es das am Anfang auch“, redete ich weiter und hoffte, sie aus der Reserve zu locken.

Paula wandte den Kopf von mir ab; ihre langen, braunen Locken fielen ihr ins Gesicht, während sie erneut anfing zu schluchzen.

Tröstend legte ich meinen Arm um ihre Schulter; sie zuckte panisch zusammen und rückte ein Stück zur Seite, sodass sie nicht mehr direkt neben mir saß.

Sie tat mir leid, doch ich wusste nicht, ob es Sinn machte, sie weiter in ein Gespräch verwickeln zu wollen.

„Ich gehe dann. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich gerne für dich da.“ Mit einem aufmunternden Lächeln erhob ich mich und setzte meinen Spaziergang fort.

 

„Hallo Athena.“ Plötzlich stand Rahmiel neben mir und zog mich etwas abseits.

„Rahmiel, wo warst du denn die letzten Tage?“, hakte ich neugierig nach.

„Mein Vater hat mich ziemlich eingespannt. Er will mich auf meine Aufgabe als höchsten Custos vorbereiten“, erklärte er mir und sah sich suchend um.

„Suchst du deine Freundin?“, zog ich ihn grinsend auf.

„Nein, ich prüfe nur, ob uns niemand von den Engeln beobachtet.“

„Bekommst du Ärger, wenn du mit mir gesehen wirst?“

Rahmiel schüttelte den Kopf. „Das nicht. Wir dürfen miteinander sprechen. Mein Vater möchte allerdings nicht, dass unser Kontakt zu eng wird. Er meint, dass du einen schlechten Einfluss auf mich haben könntest.“

„Wird man hier nicht videoüberwacht?“ Das würde ich diesen Engel zutrauen, damit sich auch jeder brav an die Regeln hielt.

„Sag das bloß nicht laut!“, ermahnte mich Rahmiel. „Du bringst sonst meinen Vater oder Javana noch auf Ideen.“

„Rahmiel, ich halte es hier nicht mehr aus; es ist so langweilig, und ich habe keine Freunde.“

„Aber es gibt hier doch genug Himmelsbewohner, mit denen du sprechen kannst.“

Heftig schüttelte ich den Kopf. „Nein, ich bin allen zu ausgeflippt.“

Da fiel mir Paula, das traurige Mädchen, wieder ein, und ich fragte Rahmiel nach ihr.

„Paula, ja, sie ist neu hier. Traurige Geschichte; die Ärmste…“ Sofort hielt er sich die Hand vor den Mund, um nicht weiterzusprechen.

„Wie meinst du das?“, versuchte ich, ihm Paulas Geschichte zu entlocken.

„Athena, sieh mich nicht so an! Ich werde dir nicht verraten, was mit ihr geschehen ist.“

„Bitte, Rahmiel! Vielleicht kann ich mich ja mit ihr anfreunden; dann wäre ich nicht so einsam.“

„Nein!“

„Bitte!“

„Nein, Athena, vergiss es!“

„Bitte, bitte, bitte!“

Beim Betteln und Nerven hatte ich eine Kondition wie ein Marathonläufer; das hatte meine Schwester Chayenne oft genug zu spüren bekommen. Ich würde jedenfalls nicht lockerlassen, bis ich wusste, was mit Paula los war.

Schließlich schien Rahmiel zu merken, dass er seinen Widerstand nicht länger halten konnte.

„Na schön, du kleiner Quälgeist.“ Er nahm einen tiefen Atemzug und blickte sich hektisch um; außer uns war niemand in der Gegend. „Paula hatte keine leichte Kindheit; die meiste Zeit war sie eingesperrt und durfte nicht mit anderen spielen. Aufgewachsen ist sie bei ihrer gewalttätigen Mutter, die Paula und ihren Vater verprügelt hat.“

„Moment, die Frau hat sogar ihren Mann verprügelt?“

„Ja, so etwas gibt es auch. Paulas Mutter ist eine wahnsinnige Person, die ihren Mann mit einem Messer töten wollte. Paula ist dazwischen gegangen, hat versucht, ihrem Vater zu helfen; dabei hat ihre Mutter sie niedergestochen.“

Daraufhin musste ich heftig schlucken. Jetzt wunderte mich Paulas Verhalten nicht mehr. Die Arme tat mir leid.

Meine Mission stand fest: Ich wollte sie aus ihrem Schneckenhaus locken und mich mit ihr anfreunden. Dann wäre ich auch nicht mehr so allein.

 

 

 

Kapitel 6

 

Ich wollte mich mit Paula anfreunden, doch da musste ich behutsam vorgehen, was mir ziemlich schwerfiel. Von Natur aus war ich eben extrovertiert und sprach gerne mit anderen Menschen – für manche sogar eine Spur zu viel.

Paula würde ich damit allerdings richtig verschrecken, also hatte ich einen Plan geschmiedet, mich ihr Stück für Stück zu nähern.

Nach wie vor saß sie jeden Tag auf der Bank, den Kopf gesenkt, und das Mitleid, das ich für sie empfand, ließ mein Herz schwer wie Blei werden. Am liebsten wäre ich auf sie zugestürmt und hätte sie gefragt, ob wir nicht etwas zusammen unternehmen wollten. Da ich jedoch genau wusste, dass ich damit nur das Gegenteil erreichte, riss ich mich zusammen; stattdessen grüßte ich sie – jeden Tag.

„Hallo Paula“, waren meine einzigen Worte; die ersten Tage erhielt ich nicht einmal eine Antwort.

Die Ungeduld in mir erwachte und stachelte mich dazu an, es endlich aufzugeben; allerdings ließ ich sie nicht die Oberhand gewinnen.

„Hallo Paula“, grüßte ich deswegen weiter und setzte meinen Spaziergang fort, als ich ein leises „Hallo“ vernahm.

Verwundert blickte ich mich um und entdeckte Paula, die mich anschaute. Aufmunternd lächelte ich sie an, da senkte sie bereits wieder schnell den Kopf; doch ich wusste, dass das Eis langsam anfing zu schmelzen.

Am nächsten Tag nickte ich ihr zu. „Hallo Paula.“

„Hallo Athena.“ Sie hatte sich also meinen Namen gemerkt, und sie suchte zum ersten Mal Blickkontakt.

Erleichtert atmete ich auf; bis hierhin war es ein gutes Stück Arbeit gewesen. In Gedanken klopfte ich mir selbst auf die Schultern, dass ich so geduldig und konsequent geblieben war. Vielleicht würde es sogar nicht mehr lange dauern, und wir konnten ein richtiges Gespräch führen.

Diese und die darauffolgende Woche lief allerdings immer nach dem gleichen Schema ab: Ich grüßte Paula; sie grüßte zurück; ich schlenderte weiter.

Ab und zu traf ich mich mit Rahmiel in einem abgelegenen Winkel. Dort redeten wir über den Himmel, die Erde, das Wetter und das Leben an sich. So überstand ich die Tage in dieser Gegend.

Den Hin- und Rückweg gingen wir getrennt, um unnötigen Stress zu vermeiden. Besonders Javana – die Himmelshexe, wie ich sie heimlich nannte – durfte uns unter keinen Umständen sehen. Sie würde die Situation falsch interpretieren und sofort zum höchsten Custos rennen. Das gäbe nicht nur ein Gewitter, sondern der Weltuntergang wäre nicht mehr aufzuhalten.

 

Wie viele Wochen ich inzwischen tot war, konnte ich nicht sagen; ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das lag höchstwahrscheinlich daran, dass ich bis in alle Ewigkeit im Himmel bleiben würde. Es gab keine Endlichkeit, sodass die Zeit sowieso keine Rolle mehr spielte.

Ich schlüpfte in das wallende Gewand und band mir eine Schnur um die Hüften, was wenigstens nicht verboten war. Kürzen würde ich es jedoch nicht; der Ärger beim ersten Mal hatte mir vollkommen gereicht.

Auf meinem morgendlichen Spaziergang kam ich wie immer an Paulas Bank vorbei.

„Hallo Paula“, grüßte ich sie freundlich.

„Hallo Athena, setz dich doch zu mir!“, erwiderte Paula, was mich ein wenig aus der Fassung brachte.

Hatte sie mich eben wirklich gebeten, mich zu ihr zu setzen, oder hatten mir meine Ohren einen Streich gespielt? Vermutlich Letzteres, ich hätte damals, als ich noch gelebt hatte, auf meine Mutter hören und die Musik nicht so laut stellen sollen.

„Also nur, wenn du möchtest“, meinte Paula schüchtern.

„Entschuldige, ich habe dich nicht richtig verstanden. Was hast du eben gesagt?“

„Wenn du möchtest, kannst du dich gerne neben mich setzen“, wiederholte sie und zauberte mir damit ein Lächeln auf die Lippen; das Eis war also endlich gebrochen.

„Das würde ich sehr gerne“, entgegnete ich und ließ mich neben ihr nieder.

„Wo kommst du her, also ursprünglich?“, wollte Paula wissen, und ein Glücksgefühl machte sich in mir breit; endlich war sie zu einer Unterhaltung mit mir bereit.

„Willental und du?“

„Schwarzenfels.“

„Kenne ich leider nicht. Was waren deine Lieblingshobbys auf der Erde?“

„Lesen; das Eintauchen in fremde Welten hat mir geholfen, für einen Moment der schrecklichen Realität zu entgeh…“ Sie stockte mitten im Wort und blickte zu Boden. „Lesen macht mir einfach Spaß.“

„Ich liebe ebenfalls Bücher.“

Da ich mir nicht sicher war, ob sie überhaupt über ihr trauriges Leben sprechen wollte, erzählte ich ihr, dass ich außerdem gerne schwamm.

„Ich… ich kann nicht schwimmen“, gab Paula zu.

„Du kannst das nicht?“ Entsetzt sah ich sie an; für mich war es unvorstellbar, dass jemand nicht schwimmen konnte.

Im gleichen Moment rügte ich mich selbst in Gedanken; ich sollte nicht so unverschämt sein. Außer im Wasser und beim Ju-Jutsu war ich unsportlich.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte nie die Gelegenheit dazu gehabt.“

„Hat deine Mutter dich nicht gelassen?“, rutschte mir heraus, und ich hielt mir sofort die Hand vor den Mund.

Warum hatte ich das nur gesagt? Sie sollte doch nicht erfahren, dass ich über ihre Vergangenheit Bescheid wusste; ich wollte, dass sie es mir irgendwann einmal selbst erzählte.

„Wie kommst du darauf? Was weißt du?“ Mit Tränen in den Augen schaute sie mich an.

„Das war bloß eine Vermutung; ich weiß überhaupt nichts aus deinem früheren Leben“, log ich und wurde sofort von meinem schlechten Gewissen heimgesucht.

„Gut, ich hatte nämlich ein tolles Leben; meine Mutter war einfach großartig; ich hätte mir keine bessere vorstellen können.“

Okay, anscheinend war ich nicht die einzige Person, die hier nicht die Wahrheit sagte. Auf der einen Seite konnte ich Paula verstehen, dass sie mir nicht erzählte, dass ihre Mutter sie und ihren Vater verprügelt hatte. Wahrscheinlich liebte Paula ihre Mutter immer noch, auch wenn sie so gemein zu ihr gewesen war. Wir waren keine Freundinnen; ich war mir nicht einmal sicher, ob wir uns schon Bekannte nennen konnten. Ich redete gerne und viel, doch würde ich Menschen, die ich gerade erst kennengelernt hatte, auch nicht direkt berichten, wenn mein Leben die Hölle gewesen wäre. Außerdem hatte ich selbst ein kleines Geheimnis, das ich nach dem Vorfall mit Raphael für mich behalten wollte. Schließlich war das der Grund dafür, dass ich jetzt hier war. Ich wusste nicht, wie Paula darauf reagieren würde. Irgendwann würde sie es erfahren – vielleicht, wenn sie mir die Wahrheit über ihre Mutter erzählte.

„Das klingt doch gut“, murmelte ich nur und suchte nach einem neuen Thema. „Hättest du vielleicht Lust, mich ab sofort auf den Spaziergängen zu begleiten? Allein macht es nicht so richtig Spaß.“

Die Befürchtung, dass sie den Vorschlag nicht gut fand, schwebte über meinem Kopf.

Paula nickte, wenn auch zaghaft. „Gerne.“

Meine Sorge, dass sie absagte, zerplatzte wie eine Seifenblase und machte dafür einem anderen Gefühl Platz: Freude.

 

 

Kapitel 7

 

Endlich hatte ich eine Freundin im Himmel; zumindest waren wir auf dem besten Weg, Freundinnen zu werden. Mit jedem Tag, den ich mit Paula verbrachte, taute sie mehr auf. Die Einsamkeit, die mich bisher wie ein Mantel umhüllt hatte, verschwand.

Paula störte es nicht, dass ich viel redete; nicht einmal mein Lachen, das an eine Hyäne erinnerte, machte ihr etwas aus. Wir waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, was vermutlich der Grund war, warum wir uns so gut verstanden.

Nur die Sache, dass Paula nicht schwimmen konnte, ließ mir keine Ruhe. Rahmiel hatte doch irgendetwas von einem See erzählt, der allerdings nur den Engeln vorbehalten war. Ob es ein großes Risiko war, dort Paula heimlich das Schwimmen beizubringen? Zunächst musste ich Rahmiel nach dem Standort fragen und ob es uns überhaupt möglich war, dorthin zu gelangen. Paula sollte meinetwegen keine Schwierigkeiten bekommen.

Als er pfeifend an mir vorbeischlenderte, griff ich nach ihm, und zerrte ihn ein Stück beiseite.

„Rahmiel, wo ist eigentlich dieser Engels-See?“, wisperte ich ihm zu, was mir einen verwunderten, vielleicht auch geschockten, Blick von ihm einbrachte.

„Warum willst du das wissen?“

„Nur so“, wich ich ihm aus.

„Athena, ich kenne dich. Du fragst nicht einfach so nach; für dich muss es immer einen Grund geben“, erwiderte Rahmiel schmunzelnd.

„So gut kennst du mich jetzt auch wieder nicht“, meinte ich und pustete mir eine Strähne aus dem Gesicht, die mich kurz darauf wieder störte.

„So geht das nicht“, fand er schließlich und strich mir die Strähne hinters Ohr, als mich ein Geistesblitz traf.

Ja, ich musste Rahmiel schöne Augen machen, damit er das tat, was ich wollte.

„Du bist so intelligent; du merkst wirklich alles“, säuselte ich und klimperte mit meinen Wimpern.

Leider schien das nichts zu bringen; dafür war ich nicht subtil vorgegangen. Rahmiel hatte durchschaut, dass ich etwas vorhatte. Dabei hatte ich geglaubt, dass es seinem Ego schmeichelte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.06.2015
ISBN: 978-3-7438-1759-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Fabian, meinen treuen Testleser

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