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Prolog

 Engel sind gut und Teufel sind böse. Kennt ihr diesen Spruch auch? Denkt ihr genauso? Dann würde ich euch gerne meine Geschichte erzählen. Vielleicht ändert ihr ja anschließend eure Meinung. Ich habe so etwas noch nie vorher getan. Ihr solltet deshalb bitte etwas Nachsicht mit mir haben. Wer also ein gehobenes Sprachniveau erwartet, den muss ich enttäuschen. Ich werde euch von meinem Leben so berichten, wie ich auch normalerweise rede, also in der Umgangssprache.

Wie ich heiße? Oh ja, wie unhöflich von mir. Ich heiße Flama.

Wie alt ich bin? Ist das nicht eigentlich egal? Ich bin sowieso unsterblich.

Aber wenn ihr es genau wissen wollt, vor achtzehn Jahren wurde ich geboren.

Ehrgeizig wie ich bin, bereite ich mich schon jetzt umfassend auf meine Abschlussprüfung vor, auch wenn diese erst in zwei Jahren stattfinden wird.

Dass ich die bestehe, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Schließlich ist das mein Traumjob. Mein Traumjob in der Hölle.

Wie das zusammenpasst? Ganz einfach, ich arbeite in der Hölle, also wirklich in der Hölle. Mein Vater ist nämlich der Teufel höchstpersönlich und der Chef der Hölle.

Ich befinde mich noch in der Ausbildung, soll das „Geschäft“ meines Vaters aber eines Tages übernehmen.

Bis es soweit ist, muss ich die typischen Azubitätigkeiten erledigen. Ich koche meinem Vater einen starken Feuerkaffee und kümmere mich um die Aktenablage. Am interessantesten sind die Botengänge. Dafür darf ich auf die Erde. Ich warne die Menschen vor, dass sie bald in die Hölle kommen. Die meisten glauben mir zwar nicht, aber sie werden schon merken, dass ich sie nicht angeflunkert habe, sobald sie hier eintreffen.

Vielleicht werdet ihr euch jetzt fragen, warum ich genau darin einen Traumjob sehe.

Ganz einfach, sobald ich die Ausbildung beendet habe, stehen mir hier alle Türen offen.

Außerdem gilt auch in der Hölle: Lehrjahre sind keine Herrenjahre.

Kapitel 1

 

Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Das Lachen war einfach unerträglich. Ich hatte mal wieder einen Botengang und sollte einem Mann, der mehrere Banken überfallen hatte, mitteilen, dass er in einem Monat in die Hölle käme.

Er sah mich an, als müsste man mich dringend in eine Zwangsjacke stecken. Jedenfalls glaubte auch er mir nicht.

„So, ich bin also ein ganz böser Bube und deshalb sterbe ich bald“, grinste er.

„Nein, Sie sterben nicht, weil sie ein böser Mensch sind, sondern einfach weil es an der Zeit ist. Das Schicksal hat entschieden“, erwiderte ich.

„Das Schicksal?“ Der Mann lachte noch lauter. Tränen liefen ihm die Wangen herunter und er hielt sich den Bauch.

„Oh bitte, hör auf damit! Ich kann nicht mehr“, meinte er.

„In Ordnung. Ich werde jetzt gehen. Aber sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt“, murmelte ich und drehte mich um.

„Eine Frage hätte ich noch“, gluckste der Mann.

Ich schaute ihn erneut an und nickte.

„Wie sterbe ich denn? Also, wenn ich fragen darf“, wollte er wissen.

Ich schüttelte den Kopf. „Das darf ich leider nicht verraten. Man darf dem Schicksal nicht ins Handwerk pfuschen.“

„Okay. Aber noch eine Frage.“

„Na gut, aber wirklich nur noch eine“, entgegnete ich.

„Also du bist die Tochter des Teufels? Wenn ich - nur mal angenommen - lieb wäre, dann würde mich ein Engel abholen?“

Unwissend zuckte ich mit den Schultern. „Diese Frage kann ich leider nicht beantworten. Mit den Engeln haben wir nichts am Hut. Was die da oben machen, geht uns nichts an. Ich weiß nicht, welche Methoden sie haben.“

Ich verabschiedete mich und ging.

Bald würde er unser Treffen wieder vergessen haben. Alle vergaßen es. Wenn sie schließlich in die Hölle kamen, beschwerten sie sich erst einmal. Dann konnten wir sagen, dass wir sie vorgewarnt hätten.

Dass wir die bösen Menschen vorher aufsuchen mussten, stand direkt im ersten Paragraphen unseres Höllengesetzes. Ja, so ganz ohne Bürokratie ging es auch in der Hölle nicht.

 

„Gut gemacht, Flama“, lobte mich mein Vater.

„Danke. Gibt es sonst noch etwas, das ich tun könnte?“, fragte ich.

„Bitte mach mir noch einen Feuerkaffee und dann reicht es für heute.“

Sofort kam ich seiner Bitte nach.

„Dankeschön, Flama“, bedankte sich mein Vater, der mit vollem Namen übrigens Cattivo Diable hieß, was so viel wie „Böser Teufel“ bedeutet.

 

Nach der Arbeit saß ich zuhause und kämmte mein feuerrotes Haar. Ich hatte es von meiner Mutter geerbt, während das Haar von meinem Vater so schwarz wie Pech war. Von ihm hatte ich aber die rabenschwarzen Augen.

Ich beschloss, mich mit Melody zu treffen. Melody war meine beste Freundin. Ihre haselnussbraunen Haare fielen ihr in sanften Wellen auf die Schultern. Ihre Augen waren grau wie eine Maus. Sie war mit neunzehn Jahren durch einen Autounfall gestorben. Warum sie nach ihrem Tod in die Hölle geschickt worden war, war mir unklar. Sie hatte einmal einen Kerl verprügelt. Aber das war Notwehr gewesen. Er hatte ihren kleinen Bruder geärgert, der schielte. Dem Himmel war das aber schon zu böse und so war sie zu uns gekommen. Ja, manchmal verstand ich nicht, was in den Köpfen dieser Engelswesen vorging.

 

Kapitel 2

Melody freute sich sehr mich zu sehen.

„Flama, endlich! Es war so langweilig ohne dich“, begrüßte sie mich.

Jeder hier hatte ein kleines Zimmer für sich, durfte sich in der Hölle allerdings frei bewegen.

„Tut mir leid. Ich hatte mal wieder einen Botengang“, erklärte ich.

„Schwierige Person?“, fragte Melody.

Ich nickte und erzählte ihr von meinem Arbeitstag.

Anschließend gingen wir ein wenig spazieren.

„Ich bin wirklich froh, dass du hier bist“, meinte ich.

Dann sah ich ihren Blick und entschuldigte mich sofort. „So war das nicht gemeint. Natürlich bin ich nicht glücklich, dass du gestorben bist. Ich meine nur, es gibt hier sonst niemanden in meinem Alter.“

Melody legte eine Hand auf meine Schulter. „Ich weiß, wie du es gemeint hast. Ich vermisse nur Oliver.“

Oliver war ihr kleiner Bruder. Wenn dieser Typ, der ihn geärgert hatte, hier eines Tages in der Hölle auftauchte, würde ich ihm mal ordentlich die Meinung geigen.

„Hast du Lust, noch mit zu mir zu kommen? Meine Mutter hat bestimmt was Leckeres gekocht.“

„Gerne, ich habe einen Riesenhunger“, lachte Melody.

Ich hakte mich bei ihr unter und zusammen schlenderten wir zu mir nach Hause.

„Melody, schön, dass du da bist. Du isst doch bestimmt mit uns?“, fragte meine Mutter Aurelia.

Die Geschichte, wie meine Eltern sich gefunden hatten, hatte mir meine Mutter schon sehr oft erzählt. Trotzdem konnte ich sie nicht oft genug hören.

 

Aurelia war damals noch ein junges Erdenmädchen und Cattivo absolvierte gerade seine Ausbildung. Er hatte einen Botengang bei einem Nachbarn von Aurelia. Gerade wollte er zurück in die Hölle, als er sie sah – das schönste Mädchen, das ihm je begegnet war. Ihre langen, lockigen und feuerroten Haare wehten ihr ins Gesicht und sie versuchte sie zu bändigen. Ihre grünen Augen strahlten und um Cattivo war es sofort geschehen. Immer wieder schlich er auf die Erde und beobachtete sie. Eines Tages traute er sich endlich, sie anzusprechen. Aurelia war der junge Mann mit den rabenschwarzen Haaren und den gleichfarbigen Augen sympathisch. Er war so ganz anders als andere Männer, die sie kannte. Sie trafen sich oft und bald merkte Aurelia, dass sie sich in Cattivo verliebt hatte. Es gab nur ein Problem: Er war der zukünftige Herrscher der Hölle und Aurelia das liebste Geschöpf auf Erden. Der junge Teufel zog sich zurück. Seine Eltern merkten, wie unglücklich er war. Schließlich machte sein Vater eine Ausnahme: Cattivo durfte Aurelia heiraten und in die Hölle mitbringen. Das durften die Engel natürlich nie erfahren. Aurelia dachte Cattivo wäre verrückt, als er ihr erzählte, wer er wirklich war. Sie wand sich von ihm ab, konnte ihn aber nicht vergessen. Die beiden fanden wieder zueinander und als Aurelia zum ersten Mal die Hölle betrat, da wusste sie, dass er nicht gelogen hatte. Sie war jetzt unsterblich. Aurelia und Cattivo heirateten und einige Jahre später bekamen sie ein kleines Mädchen mit feuerrotem Haar. Sie nannten es Flama,  Flamme.

 

„Flama, morgen hast du wieder einen Botengang“, erzählte mein Vater.

„Schatz, das muss jetzt nicht beim Essen sein. Ihr könnt das morgen immer noch besprechen“, entschied meine Mutter.

„Ist schon in Ordnung, Mama“, meinte ich und wollte dann von Papa wissen, wen ich besuchen sollte.

„Sein Name ist Benjamin. Er ist zwanzig Jahre alt.“

„Was hat er denn verbrochen?“, fragte ich.

„Eine Bank überfallen“, antwortete mein Vater.

„Wie wird er denn sterben?“, mischte sich Melody ein.

„Ich denke, wir sollten das Thema wechseln“, erwiderte Mama.

Melody sah enttäuscht aus. Sie war manchmal schrecklich neugierig.

„Ich erzähle dir morgen alles“, flüsterte ich meiner besten Freundin zu, die mich freundlich anlächelte.

„Danke. Du bist die Beste“, wisperte sie mir zu.

Ich hatte schon einige Botengänge hinter mir. Es war inzwischen Routine für mich. Ich sah dem morgigen Tag also entspannt entgegen.

 

Kapitel 3

 

„Okay, Benjamin Wieser. Zwanzig Jahre alt. Bank überfallen. Wird vom Blitz erschlagen“, las ich laut vor.

„Kein schöner Tod“, bemerkte Lucy, eine nette Angestellte.

Ich stimmte ihr zu. „Ja, und dann wieder so jung, nur ein Jahr älter als Melody.“

„Aber dieser Benjamin scheint ja nicht ganz ohne zu sein. Mit zwanzig schon eine Bank überfallen“, murmelte sie.

„Das schon. Trotzdem ist es traurig, dass er so früh sterben muss“, erwiderte ich.

„Leider kannst du das nicht verhindern. Es ist Schicksal. Er würde auch so früh sterben, wenn er die Bank nicht überfallen hätte“, meinte Lucy.

Ich nickte. Sie hatte ja recht.

„Also dann, bis später“, verabschiedete ich mich.

Durch den Geheimgang gelangte ich zur Erdoberfläche. Wir brauchten keine Angst zu haben, dass sich jemand in die Hölle verirrte, der es nicht sollte oder dass ein Höllenbewohner fliehen konnte. Nur die Teufelsfamilien konnten diesen Gang benutzen. Für alle anderen war er schlicht unsichtbar. Künftige Bewohner erschienen automatisch in der Hölle.

Ich musste blinzeln. Die Sonne stand tief und blendete mich. Ich nahm den Zettel mit der Adresse von diesem Benjamin. Es war ganz in der Nähe. Das war ein Vorteil des Geheimgangs. Er spuckte einen dort aus, wo man auch wirklich hinwollte, sodass man keine weiten Strecken laufen musste.

Ich marschierte zu seiner Wohnung. Vor der Haustür strich ich mein grünes Kleid glatt. Ja, ihr habt ganz richtig gelesen. Mein Kleid war grün. Nur weil ich eine Teufelin war, hieß das nicht automatisch, dass ich nur schwarz und rot trug. Schließlich passte grün am besten zu meinen roten Haaren.

Ich drückte auf die Klingel und sofort hörte ich einen Hund bellen. Jetzt wurde ich doch etwas nervös. Okay, ich muss jetzt etwas gestehen: Vor Hunden hatte ich doch ein klein wenig Angst - Teufel hin oder her.

„Ruhig, Kleiner“, ertönte die Stimme eines jungen Typs - höchstwahrscheinlich Benjamin.

Gut, gut, wenigstens war es nur ein kleiner Hund.

Die Tür ging auf und vor mir stand eine getigerte Deutsche Dogge. So viel zu ‚Kleiner Hund‘.

Ich musste schlucken.

„Oh, hallo. Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte der Typ.

„Benjamin Wieser?“

„Ja, der bin ich.“

„Könnte ich kurz reinkommen?“, wollte ich wissen.

„Sollte ich dich kennen?“, stellte Benjamin als Gegenfrage.

„Noch nicht. Aber ich muss dringend mit dir sprechen. Es ist wirklich sehr wichtig“, betonte ich.

Er nickte. „Na gut, jetzt hast du mich aber neugierig gemacht. Komm rein! Ich bin ja echt gespannt, was du mir Wichtiges zu sagen hast.“

Nervös blickte ich auf den riesigen Hund.

„Äh, könntest du vielleicht…?“, begann ich.

„Oh, da hat wohl einer Angst? Okay, komm, Kleiner!“

„Du nennst eine Deutsche Dogge Kleiner?“, fragte ich ungläubig.

Benjamin grinste. „Ja, das ist sein Name. Ich fand das irgendwie witzig.“

„Ja, irre witzig“, meinte ich sarkastisch.

Nachdem der kleine Riesenhund endlich eingesperrt war, betrat ich die Wohnung.

Benjamin führte mich in ein kleines Wohnzimmer und ich ließ mich auf einem Sessel nieder.

„Möchtest du vielleicht etwas trinken?“

Ich nickte zustimmend. „Gerne, ein Glas Wasser.“

„Kommt sofort… Du weißt zwar meinen Namen. Deinen hast du mir aber noch nicht verraten“, warf er ein.

„Flama“, antwortete ich. „Flama Diable.“

„Flama Diablo?“, wiederholte er.

Lachend schüttelte ich den Kopf. „Flama Diable. Sag doch einfach Flama zu mir!“

„Okay, Flama. Ich bring dir dann mal ein Wasser.“

Er verschwand und kehrte mit zwei Gläsern Wasser zurück.

„Bitte.“ Er reichte mir ein Glas und nahm dann selbst einen Schluck.

„So, jetzt will ich aber endlich wissen, was du unbedingt loswerden musst.“

„Ja, also. Ich weiß, dass du eine Bank überfallen hast“, fing ich an zu erzählen.

Benjamin riss erschrocken die Augen weit auf. „Wie… Was… Woher?“

„Ich hab da so meine Quellen.“

Mein Gegenüber wurde blass. 

Kapitel 4

 

„Was willst du für dein Schweigen haben?“, fragte mich Benjamin.

Ich lachte auf. „Ich will gar nichts.“

„Warum bist du dann hier?“ Er wurde richtig wütend.

„Ich bin nur eine Botin, die dir etwas ausrichten soll“, erwiderte ich.

„Und was?“, grummelte er.

„Ich muss dir mitteilen, dass du aufgrund deiner Tat in die Hölle musst.“

Jetzt musste Benjamin lachen. „Ja, klar. In die Hölle, weil ich ja so ein böser Mensch bin. Von welchem Irrenhaus bist du denn geflohen?“

„Ich mache keine Scherze. Ich bin die Tochter des Teufels.“

„Das wird ja immer schöner“, entgegnete er. „Die Tochter des Teufels. Dann bin ich Zeus und wenn du nicht sofort verschwindest, schick ich dir einen Blitz.“

Ich verschluckte mich an meinem Wasser. Von einem Blitz würde Benjamin getroffen werden – und sterben.

„Benjamin, du kannst mir glauben oder es lassen. Aber du wirst bald sterben und in die Hölle kommen. Ich bestimme so etwas nicht. Das ist Schicksal.“

„Benjamin?“, hörte ich plötzlich die Stimme eines jungen Mädchens.

„Ich bin sofort bei dir, Jenna“, rief Benjamin zurück.

Dann wand er sich wieder mir zu. „Wenn du jetzt bitte gehen würdest.“

„Benjamin, schnell!“ Wieder die Stimme des Mädchens, das wohl Jenna hieß.

Er stand auf und eilte aus dem Wohnzimmer. Ich folgte ihm zu einem Zimmer, in dem ein kleines Mädchen von vielleicht zehn Jahren im Bett lag.

Sie schien nicht gerade bester Gesundheit zu sein.

„Benjamin, wer ist das?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

Benjamin drehte sich zu mir. „Du bist ja immer noch da.“

„Entschuldige.“ Danach sprach ich das Mädchen an. „Hallo, ich heiße Flama.“

„Ich bin Jenna, Benjamins Schwester. Flama, den Namen finde ich schön“, sagte Jenna.

Ich lächelte. „Dein Name ist aber auch sehr schön.“

„Geh jetzt!“, knurrte Benjamin.

„Nein, bitte. Flama soll hierbleiben“, bat Jenna.

„Ich bleibe gerne noch ein bisschen. Was fehlt dir denn, wenn ich fragen darf?“

„Sie ist schwer herzkrank und braucht dringend eine OP. Aber die ist ziemlich teuer. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht“, erklärte er.

„Ja, aber Ben hat Geld bekommen und jetzt kann er die OP bezahlen“, fügte Jenna glücklich hinzu.

Mir wurde so einiges klar. „Deshalb hast du die Bank überfallen“, flüsterte ich zu Benjamin, der nickend zustimmte.

„Ja, aber bitte sag das Jenna nicht! Sie soll sich nicht aufregen“, wisperte er zurück.

„Ich verstehe. Wo sind denn eure Eltern?“, wollte ich wissen.

„Sie sind beide bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen“, antwortete er leise.

Ich wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte. „Das… das tut mir leid.“

„Spar dir dein Mitleid! Eben hast du noch behauptet, dass ich auch bald sterbe“, meinte Benjamin sauer.

Ich bekam ein ganz schlechtes Gewissen. „Ihr habt sonst keine anderen Verwandten, oder?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich kümmere mich so gut es geht um Jenna. Sie hat außer mir niemanden. Unsere Nachbarin Frau Kreis hilft mir zwar manchmal. Sie ist aber nicht mehr die Jüngste. Da wirst du sicher verstehen, dass ich es nicht lustig finde, wenn du mir so einen Schwachsinn erzählst, von wegen, dass ich bald sterbe.“

Ich konnte ihn nur zu gut verstehen. Traurig verabschiedete ich mich. Benjamin gehörte definitiv nicht in die Hölle. Schon gar nicht verdiente er es zu sterben - nicht so jung. Die Bank hatte er nur aus Liebe zu seiner kleinen Schwester überfallen.

Auf meinem Weg zurück zur Hölle war meine Stimmung betrübt. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, das Schicksal auszutricksen. Ich musste dringend mit Melody sprechen.

 

Kapitel 5

 

Das ist ja mal verzwickt“, murmelte meine beste Freundin.

Ich stimmte ihr nickend zu. „Dieser Benjamin ist wirklich nett. Er kümmert sich um seine kleine Schwester. Wenn er stirbt, hat sie niemanden mehr.“

„Gibt es da denn keine Möglichkeit? Ihr könntet doch einfach sagen, dass ihr ihn hier nicht wollt“, meinte Melody.

Heftig schüttelte ich den Kopf. „Das geht nicht so einfach. Der Himmel kann abweisen, die Hölle nicht. Wir müssen jeden nehmen. Außerdem, was denkst du, was mit ihm passieren würde, wenn weder Himmel noch Hölle ihn wollen? Er würde sich in Nichts auflösen.“

„Hm“, überlegte sie. „Und was wäre, wenn er gar nicht stirbt?“

„Das geht nicht, Melody. Das ist so vom Schicksal festgelegt“, erwiderte ich.

„Blödes Schicksal. Wenn das Schicksal gerecht wäre, würde so manches nicht passieren. Kann man das Schicksal nicht irgendwie austricksen?“

„Ich weiß nicht. Glaube nicht. Was soll ich ihm sagen? Geh am 25. Juli nicht im Waldsee schwimmen!  Ein Gewitter wird dich überraschen und du wirst vom Blitz erschlagen. Ja, klar, das wird er mir auch mit Sicherheit glauben“, entgegnete ich sarkastisch.

Doch Melody schien das für eine gute Idee zu halten. „Moment mal. Wäre das denn möglich? Könntest du ihn an dem Tag an einen anderen Ort lotsen?“

„Theoretisch schon. Praktisch wurde das noch nie umgesetzt. Dem Schicksal pfuscht man nicht ins Handwerk.“

„Ach Flama, das ist doch überhaupt die Idee. Du verabredest dich mit Benjamin an dem Tag ins Kino. Und voilà, er überlebt. Die Sache ist geritzt“, sagte meine beste Freundin.

„Denkst du wirklich, er würde mit mir ins Kino gehen? Ich hab ihm erzählt, dass er bald sterben wird. Er muss mich doch für komplett irre halten“, erwiderte ich.

„Du hast einen Monat Zeit, dich mit ihm anzufreunden. Das wirst du doch wohl hinbekommen. Er ist bestimmt echt süß“, lachte Melody.

„Ist er nicht“, protestierte ich.

„Welche Augenfarbe hat er denn?“, wollte sie wissen.

„Grün“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.

„Schön, ich mag grüne Augen“, meinte sie.

„Dann triff du dich doch mit ihm!“, konterte ich.

„Würde ich gerne, wenn ich die Hölle verlassen könnte. Es bleibt dir wohl nichts anderes übrig. Wenn du ihn wirklich retten willst, musst du dich mit ihm anfreunden“, entschied Melody.

Zerknirscht stimmte ich zu. Es war wirklich die einzige Möglichkeit. Ich dachte an Jenna und was wäre, wenn Benjamin nicht mehr bei ihr wäre. Nein, das konnte ich nicht zulassen.

„Aber wie mache ich das wegen der Arbeit?“, fragte ich.

„Ich springe für dich ein. Sonst ist mir eh wieder langweilig. Vertrau mir. Es wird alles gut gehen.“

Hoffentlich hatte meine beste Freundin da recht.

 

„Bitte, Papa“, flehte ich.

„Flama, nein! Das geht nicht. Melody kann nicht einfach deine Aufgaben übernehmen“, erwiderte mein Vater.

Ich versuchte ihn gerade zu überreden, dass ich die nächsten Tage freibekam. Doch er lenkte einfach nicht ein. Sturer Teufel!

„Melody ist es immer so langweilig. Sie würde sich freuen, wenn sie auch mal Aufgaben zu erledigen hätte“, probierte ich es weiter.

„Wie stellst du dir das vor? Wer soll denn dann die Botengänge übernehmen? Du weißt ganz genau, dass es nur Mitgliedern der Teufelsfamilie möglich ist, zwischen Hölle und Erde zu reisen.“

Mist, an die Botengänge hatten wir gar nicht gedacht. Es stimmte. Melody durfte die Erde nicht wieder betreten. Folglich konnte sie auch nicht zu den Menschen, um sie wegen ihres baldigen Todes zu informieren. Da hatten wir wohl nicht zu Ende gedacht. Theoretisch hatte es so gut geklungen. Wenn ich in nächster Zeit keine Aufgaben in der Hölle zu erledigen hätte, könnte ich auf die Erde und mich mit Benjamin anfreunden. Falsch gedacht. Da hatte ich eine andere Idee.

„Könnte sie nicht trotzdem irgendwie aushelfen? Dann wäre ich auch nicht so alleine bei der Arbeit. Sie kann mir mit der Ablage helfen und die Botengänge erledige ich dann halt alleine“, schlug ich vor.

Mein Vater legte den Kopf schief. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er überlegte, mir nachzugeben.

„In Ordnung, Flama. Melody kann ab morgen aushelfen. Aber du wirst trotzdem nicht deine Pflichten vernachlässigen“, meinte er schließlich.

Ich bedankte mich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, was er gar nicht leiden konnte. Er war nun mal der Teufel!

 

„Du fängst morgen an. Allerdings soll ich auch arbeiten“, erzählte ich meiner besten Freundin.

„Okay, das ist doch mal was. Du schleichst dich dann einfach weg. Das fällt gar keinem auf“, entgegnete sie.

„Das kann ich nicht machen. Außerdem haben wir die Botengänge vergessen. Die kannst du nicht übernehmen“, sagte ich.

„Ja ja. Aber es sind ja nicht ständig Botengänge. Morgen wirst du gleich mal Benjamin besuchen. Ich decke dich. Also, keine Angst.“

„Was soll ich denn mit ihm reden? Er denkt, ich wäre bekloppt.“

Melody lachte. „Sag ihm einfach, dass ihr einen schlechten Start hattet. Du hast ihn in der Stadt gesehen und ihn so toll gefunden, aber du hast dich nicht getraut, ihn anzusprechen. Du wolltest alleine mit ihm reden und bist ihm deshalb auch nach Hause gefolgt.“

„Was? Wie ein Stalker?“, unterbrach ich sie entsetzt.

„Erzähl ihm einfach, dass du nur wissen wolltest, wo er wohnt, damit ihr mal in Ruhe reden könnt. Du kannst ihm auch sagen, dass du seine Adresse aus dem Telefonbuch hast. Was dir halt lieber ist“, plapperte sie munter weiter.

„Und warum hab ich ihm erzählt, dass er bald stirbt? Sollte das eine Anmache sein?“, murmelte ich.

„Ja, eine ziemlich schlechte. Du wolltest witzig und originell sein. Leider bist du keins von beiden“, fand Melody.

„Wie nett. Ich bin so froh, dass ich so eine tolle beste Freundin habe“, erwiderte ich sarkastisch.

„Reg dich nicht gleich auf! Es ist ja schon irre, was du ihm da erzählt hast.“

„Weil es der Wahrheit entspricht. Benjamin wird sterben, wenn ich ihn nicht daran hindere, am 25. Juli zum Waldsee zu fahren.“

„Du schaffst das! Entschuldige dich bei ihm, dass du so einen Quatsch geredet hast und lade ihn als Entschädigung auf ein Eis ein. Seine kleine Schwester auch, damit wirst du gleich punkten“, gab mir meine beste Freundin weiterhin Tipps.

„Okay, okay. Wagen wir es!“ 

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

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