Viele junge Mädchen träumen von einem Leben als Prinzessin mit einer Krone und vielen prachtvollen Kleidern.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das Leben als Prinzessin nicht so wunderschön ist, wie sich das manche vorstellen.
Woher ich das weiß? Ich bin eine Prinzessin, eine echte Prinzessin. Mein vollständiger Name lautet Prinzessin Antonia Felicitas Franziska Penelope von Rosalien. Ich bin aber nicht irgendeine Prinzessin, sondern Kronprinzessin und damit die nächste Königin von Rosalien.
„Wo ist jetzt das Problem? Stell dich doch nicht so an! Anderen geht es wirklich schlecht“, werdet ihr jetzt vermutlich sagen.
Ja, es stimmt. Ich könnte es viel schlimmer getroffen haben. Ich könnte ja auch eine Bettlerin sein und täglich ums Überleben kämpfen.
Stattdessen brauche ich nie Furcht zu haben, dass ich mit knurrendem Magen ins Bett gehen muss.
Traurig blicke ich aus dem Fenster meines Käfigs. Er ist zwar golden, aber trotzdem ein Käfig.
Ja, ich bin trotz des ganzen Reichtums unglücklich mit meinem Leben. Jetzt nicht so, dass ich mein Leben am liebsten beenden würde. Nein, so schlecht geht es mir dann doch nicht.
Es ist nur so, dass ich einfach nur gerne ein normales Mädchen wäre. Ich würde gerne in eine normale Schule gehen und nicht dauernd zum Privatunterricht von Frau Heftler müssen.
Dort sitze ich immer alleine und lausche meiner Lehrerin.
Ich kann zwar Frau Heftler gut leiden, aber trotzdem hätte ich gerne Mitschüler, mit denen ich heimlich Spickzettel austausche, auch auf die Gefahr hin erwischt zu werden und wegen Täuschungsversuchs eine 6 zu bekommen.
Aber ich weiß genau, dass das nie geschehen wird.
Ich bin das einzige Kind des Königs und der Königin und damit die einzige Rettung unserer Monarchie. Aus diesem Grund werde ich mit Argusaugen bewacht. Ich darf keinen einzigen Schritt alleine machen.
Obwohl immer jemand in meiner Nähe ist, fühle ich mich trotzdem einsam.
Wie jeden Morgen saß ich wieder einmal am Fenster und schaute gedankenverloren auf den prächtigen Garten, als es plötzlich an meiner Zimmertür klopfte.
„Ja, bitte“, seufzte ich und drehte mich um.
Alysia, meine Zofe, steckte vorsichtig ihren Kopf herein.
„Darf ich eintreten, Hoheit?“, fragte sie zaghaft.
Ich nickte und lächelte sie an. „Natürlich darfst du das, Alysia.“
Zögerlich betrat Alysia mein Zimmer.
„Möchtet Ihr, dass ich Euch ein Bad einlasse?“
„Sehr gerne“, erwiderte ich.
Ich ging in mein Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf.
Anschließend half sie mir aus den Kleidern und ich stieg in das dampfende Wasser, das so herrlich nach Vanille duftete.
„Darf ich Euch beim Ankleiden helfen?“, wollte sie nach meinem Bad wissen.
„Ja, das wäre sehr nett von dir. Ich würde gerne das gelbe Kleid mit der grünen Schleppe anziehen.“
„Oh, ein wirklich wundervolles Kleid. Es steht Euch ausgezeichnet“, schwärmte sie und eilte sofort los, um es zu holen.
Nachdem sie mir geholfen hatte, das Kleid anzuziehen, kämmte sie mein langes Haar, das meine Mutter immer mit Karamell verglich. Es hatte die gleiche Farbe wie meine Augen. Damit war ich äußerlich ganz genau wie mein Vater, während die Königin rotgoldenes Haar und graue Augen hatte.
Alysia drehte meine Locken zu einer eleganten Hochsteckfrisur.
Ich betrachtete mich im Spiegel und war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
„Alysia, das hast du wirklich hervorragend hinbekommen. Vielen Dank.“
Meine Zofe errötete leicht. „Nicht doch, Hoheit. Das gehört doch zu meinen Aufgaben.“
Wir schwiegen uns eine Weile an.
„Eure Eltern erwarten Euch bestimmt schon zum Frühstück“, meinte Alysia schließlich.
„Du hast recht.“
Im Speisesaal angekommen, zeigte ich einen tiefen Knicks vor meinen Eltern.
Wenn ihr jetzt denkt, ich würde sie mit „Mutter“ und „Vater“ oder ihren Vornamen ansprechen, dann irrt ihr euch allerdings.
„Guten Morgen, Antonia“, begrüßte mich meine Mutter, Königin Paulina.
„Guten Morgen, Majestät“, grüßte ich zurück.
„Steh auf und iss mit uns, Antonia“, sagte schließlich mein Vater, König Maximilian.
So war das bei uns Sitte. Jeden Morgen musste ich knicksen und in dieser Position verharren, bis der König mir die Erlaubnis gab, aufzustehen.
Der König war in diesen Angelegenheiten sehr streng und handelte stets nach Protokoll. Er kannte es auch nicht anders. Meine Großeltern mütterlicherseits hatten meine Mutter weitestgehend normal aufwachsen lassen. Das bedeutete, dass es ihr auch erlaubt war, mit bürgerlichen Kindern zu spielen. Deswegen versuchte mich die Königin nach Möglichkeit ebenfalls so zu erziehen. Wenn mein Vater früher auf Reisen unterwegs war, unternahmen meine Mutter und ich des Öfteren Spaziergänge in das nahegelegene Dorf. Dort hatte ich die Erlaubnis, auch mit nicht adligen Menschen und vor allen Dingen Kindern zu sprechen. Der König schien davon zwar nie etwas bemerkt zu haben, er bemängelte jedoch manchmal meine Ausdrucksweise. Er fand sie einer Kronprinzessin nicht angemessen. Es war niemals meine Absicht, ihn zu verärgern. Aber ich hatte mich nun einmal ein wenig der Sprache der Dorfkinder angepasst.
Ich stand auf und begab mich an meinen Platz.
„Es gibt Neuigkeiten“, erzählte Königin Paulina.
Ich blickte zu ihr und wartete, dass sie weitersprach.
„Prinz Aaron trifft übermorgen ein und wird einige Zeit bei uns im Palast wohnen.“
„Oh, ich denke nicht, dass ich schon einmal von ihm gehört habe“, entgegnete ich und grübelte nach, ob mir der Name doch etwas sagte.
Nein, ich wusste nicht, wer dieser Prinz Aaron war.
„Er ist der dritte Sohn von König Alexander und Königin Sophie und ein halbes Jahr älter als du, Antonia“, erklärte mein Vater.
Ich war jetzt siebzehn Jahre alt und niemand im Palast war auch nur annähernd in meinem Alter. Die Jüngste war Alysia und sie war auch bereits neunundzwanzig Jahre alt. Deshalb freute ich mich, dass wir hier bald jemanden in meinem Alter zu Gast haben würden.
Die Tage zogen vorbei wie die Wolken am Himmel und der Tag von Prinz Aarons Ankunft näherte sich.
Heute sollte ich ihm zum ersten Mal begegnen. Zu dieser Zeit ahnte ich noch nicht einmal annähernd, welche Vereinbarung meine Eltern mit König Alexander und Königin Sophie ausgehandelt hatten.
Prinz Aaron wirkte etwas furchteinflößend auf mich. Er war groß, um nicht zu sagen riesig, und er hatte einen finsteren Gesichtsausdruck.
Er verbeugte sich vor meinen Eltern und mir.
„Euer Majestät, Euer Hoheit. Gestatten, Prinz Aaron“, begrüßte er uns.
Dann hauchte er Königin Paulina und mir einen Kuss auf unsere Hände.
Am liebsten hätte ich meine Hand sofort gewaschen. Normalerweise war ich es gewohnt, dass ich einen Handkuss bekam. Aber bei Prinz Aaron war es mir unangenehm – sehr unangenehm.
Ich hätte misstrauisch werden sollen, als mich mein Vater bat, unserem Besucher den Garten zu zeigen. Warum hatte ich nicht schon damals gemerkt, dass der König das nicht ohne Hintergedanken getan hatte?
Jedenfalls schlenderten Prinz Aaron und ich an den Orangenbäumen vorbei. Mit etwas Abstand folgten uns zwei Leibwächter. Es war wirklich unnötig, denn der Garten war von hohen Mauern umgeben. Wer sollte hier denn eindringen?
„Es ist schön hier“, meinte Prinz Aaron plötzlich.
Ich nickte. „Ich bin gerne im Garten.“
„Ihr solltet erst einmal unseren Garten sehen. Er ist noch prachtvoller als Eurer.“
War das jetzt ein kleiner Angriff? Wollte er damit andeuten, dass unsere Gärtner den Garten nicht genügend pflegten?
Ein Kompliment war es jedenfalls nicht. Ich ärgerte mich über seine Arroganz.
„Wollt ihr vielleicht unsere Stallungen sehen?“, schlug ich vor.
Prinz Aaron war einverstanden und so machten wir uns auf den Weg zu den Stallungen. Dort war auch mein Lieblingspferd untergebracht. Es hatte den klangvollen Namen Excuse my Beauty, wurde von mir aber immer nur Beauty gerufen. Wir waren stolz auf unsere Zucht. Wir hatten uns auf Friesen spezialisiert.
„Prinz Aaron, darf ich vorstellen? Das ist Beauty, mein Pferd“, stellte ich vor.
Der Prinz sah Beauty verächtlich an. „Euer Pferd? Das ist aber nicht einer Prinzessin würdig.“
Ich schnappte empört nach Luft. „Wie meint Ihr das?“
„Es sieht aus wie ein Ackergaul. Verzeiht meine Ausdrucksweise!“
Dann schaute er sich genauer um. „Oh, ihr habt ja nur solche.“
„Ich wüsste zwar nicht, was Euch das angeht, aber es sind erstklassige Pferde.“
„Vielleicht für Bürgerliche“, steigerte er sich weiter hinein. „Wir haben Vollblüter.“
Da eilte Alysia auf uns zu. Ich war ihr noch nie so dankbar, dass sie in meiner Nähe war.
„Euer Hoheit, Eure Eltern möchten mit Prinz Aaron sprechen“, keuchte sie außer Atem. Ihre Kondition war wahrlich nicht die beste.
„Selbstverständlich, Alysia. Den Wunsch des Königs sollte man nicht ignorieren.“
Ich hielt Prinz Aaron meine Hand hin, sodass er erneut einen Kuss darauf hauchen konnte.
Er deutete eine kleine Verbeugung an und verschwand.
Ich atmete erleichtert auf. Endlich war ich ihn los – zumindest für eine Weile.
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2014
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