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No. 8

 

Es war einmal.

 

Vor drei Tagen dachte ich mir noch, ich habe den tollsten Ehemann der Welt und nun hat für mich der Begriff WECHSELJAHRE eine ganz andere Bedeutung: Ich wurde gegen eine Jüngere ausgewechselt. Tja, so unverhofft kann es kommen. Erst noch DAS TRAUMPAAR schlechthin und nun folgt wohl der unvermeidliche Rosenkrieg. Er, der Herr Professor und seine ehemalige Studentin haben bereits begonnen mich herauszufordern und ich stehe kampfbereit an der Front, vielmehr an der Türschwelle MEINES HAUSES! Soweit kommt es noch, dass sich diese dreiste Tussi und mein- der jungen Fleischeslust verfallener und mitten in den männlichen Wechseljahren befindlicher- Noch-Ehemann an meinen Antiquitäten bereichern! Nix da! Ihm, Kurt-Edelbert, war es nicht zu blöde, nicht einmal ansatzweise, unser gemeinsames Ehebett samt Matratzen aus dem Hause zu schleppen. Klar war ich damit einverstanden, als er mich fragte: „Liebes, ich habe da immer so gut drauf geschlafen! Du weißt doch, mein Rücken!"

„Natürlich, nimm ruhig mit." War ich doch insgeheim froh, nicht mehr länger auf diesem Seelenballast schlummern zu müssen. Ich wunderte mich nur darüber, dass seine Neue kräftig beim Abtransport mit anpackte. Ich an ihrer Stelle hätte auf ein neues Bett mit neuen Federkernmatratzen ohne Gebrauchsspuren bestanden. Aber wem das egal zu sein scheint, der macht womöglich auch keinerlei Gewissens-Anstalten, sich auch noch an anderen Erinnerungstücken aus unserer gemeinsamen Vergangenheit zu bedienen. Nun stehe ich hier und warte auf den Schlüsseldienst. Soll Kurt-Edelbert nur Einlass fordern, hier kommt er nur noch mit meiner Genehmigung rein! Wenn überhaupt. Seitdem ich die Briefe entdeckt habe, hat sich so einiges verändert. Gestern entdeckte ich beim Entrümpeln, ganz hinten im monströsen Eichenschrank- ein Erbstück seiner Mutter- eine ganze Kiste voller Liebesbekundungen. Wie in einer schlechten Schmonzette. Und da wurde mir klar, dass ich mit einem Mann (noch) verheiratet bin, den ich so gut wie gar nicht kenne und wiedererkenne. War ich die ganze Zeit wirklich so blind? Ich hatte mich für intelligenter gehalten. Seit Jahren schien er schon ein Techtelmechtel mit verschiedenen Studentinnen zu haben, die Krönung war aber der Briefwechsel der letzten zwei Jahre. So alt ist übrigens auch das Kind seiner Neuen. Ja, wenn ich dann mal eins und eins zusammenzähle, auf welches naheliegende Ergebnis komme ich da? Wie war das noch? Düfte können vitalisieren, euphorisieren, aber auch beruhigen. Letzteres brauchte ich jetzt. Irgendwo hatte ich noch ein Lavendelsäckchen gegen Mottenbefall hingelegt. Ah ja, genau hier, zwischen seinen- ich bügele ja so gerne für Dich- Baumwollhemden. Wenn mich jemand sieht, der meint, ich bin nicht ganz sauber. Da stehe ich im Schlafzimmer und haue mir links und rechts abwechselnd die Lavendel-Duftkissen in meine Fresse, „OOOMMmmmm!" und schön dabei tief ein- und wieder ausatmen. Herr Doktor, ich glaube, es wirkt schon. Deutlich entspannter, weniger wegen des beruhigenden Odeurs von „Lavandula angustifolia" als mehr wegen des Hin- und Herschleuderns mit dem Duft-Kisslein, sinke ich ermattet auf mein neues Bett. Ein selbst montiertes Einzelbett eines schwedischen Möbelhauses. Nun sitze ich hier und dieser dämliche Herr vom Schlüsseldienst ist immer noch nicht da. Wie lautete der Werbeslogan gleich noch? „Wir schützen Sie vor ungebetenem Besuch binnen Sekunden!" Pah! Ganze fünf Minuten warte ich nun schon. Es klingelt. Na endlich. Ich hopse von meinem frisch bezogenen weißen Kuschelbett, renne die weiß lackierten Holztreppen hinab zur großen, weißen Eingangstür. Wie man vielleicht unschwer erraten kann, stehe ich auf die Farbe Weiß, denn Weiß steht für Klarheit, Reinheit und vor allem für Neubeginn! Ich reiße die Türe auf und will schon- wie ein altes Waschweib- anfangen zu zetern, da sehe ich ihn! Ein göttliches Abbild eines Mannes, welcher in einer etwas zu eng sitzenden, blauen Jeans-Latzhose mit einem wunderschönen Lächeln vor mir steht. Zwischen seinen Schenkeln erspähen meine Augen sogleich eine viel versprechende Wölbung, die ganz sicherlich nicht vom Zollstock herrührt. Ja, so eine Arbeitshose steht nicht jedem, meinem dümmlichen Ex-Mann zum Beispiel nicht, doch diesem Prachtburschen hier vor mir, dem steht – ganz ohne Frage – so einiges. Hi, hi.

„Hallo, Dominik Sammer", er streckt mir seine Hand entgegen. Das hochgekrempelte, blau-rot-karierte Arbeitshemd legt die Sicht frei auf seinen sehnigen, muskulösen und knusprig braun gebrannten Unterarm.

„Hallo, ich bin Annabell Singer." Ich reiche ihm beherzt meine Hand und bekomme einen kräftigen Händedruck zu spüren.

„Kommen Sie doch erstmal herein“, flöte ich ihm zu, während ich mein gequetschtes Händchen sanft streichle und während er an mir vorbeigeht, mustere ich neugierig seine Pobacken. Knackig, knackig.

„Was kann ich für Sie tun?"

Hallöchen Popöchen, da würde mir jetzt aber so einiges einfallen. „Ähm, wie ich Ihnen ja bereits am Telefon mitgeteilt habe, müsste das Schloss hier dringend ausgewechselt werden."

„Okay. Also nur das Schloss. Ich nehme an, es darf ein hochwertiger Schließzylinder sein?"

„Aber ja, natürlich hochwertig und zylindrisch, hüstele", und dabei denke ich in diesem Moment an seinen Zylinder und wie er diesen in mein schon leicht verrostetes Schloss schiebt und wieder raus und wieder rein und wieder raus und wieder rein.

„Summa summarum dürfen Sie so mit circa 230 Euro rechnen, inklusive Anfahrt, Einbau und Material. Falls nicht noch etwas anderes, etwas Unvorhergesehenes passiert." Dabei zwinkert mir dieser Kerl in seiner engen blauen Jeans auch noch so frech zu. Unvorhergesehenes? Darf ich das als Anspielung auf etwaige andere Dienste verstehen? Soll ich nachfragen? Ich mache es einfach. „Ähm. Was könnte denn da noch so passieren, so unvorhergesehen?" Dabei blinzle ich so ganz unschuldig kokett zurück und komme mir vor, als wäre ich erst 13 Jahre alt und stünde auf dem Schulhof und himmle die älteren Jungs der Oberstufen an. Ha! Und dabei ist das hier mit dem Alter genau anders herum. Nicht ich bin hier die Kleine, sondern die erfahrene Alte. Oh Mann, vielmehr oh Frau! Ich muss mich echt zusammenreißen. So ein Blödsinn. Ich bin jetzt 46 Lenze und könnte glatt seine Mutter sein. Was könnte er schon von mir wollen? Naja, wenn er einen Ödipus-Komplex mit sich schleppt, dann könnte es vielleicht klappen?

„Man weiß nie. Manchmal passieren die verrücktesten Dinge. Gerade wenn es um Zylinderschlösser geht. Und mit der einfachen Schloss-Schlüssel-Austausch-Nummer verdiene ich ja nicht mein Geld, also nicht viel. Ich decke mit meinem Knowhow am liebsten den Gesamtbereich in Sachen persönlicher Security, also ganz nach den individuellen Bedürfnissen ab. Das kostet natürlich mehr." Räuspert er sich und grient mich frech dabei an.

Hä? Was? Was redet er da von Abdeckung? Höre ich da richtig? Also, das ist doch jetzt ein definitives „Lass-mich-meinen-Schlüssel-in-dein-Schloss-stecken-Angebot“? Ich fasse es nicht! Dafür begreift mein Körper aber ziemlich schnell, speziell der Teil zwischen meinen Beinen, welcher schon eine halbe Ewigkeit vor sich hin darbt und mir das eindeutige Signal gibt: „Sei nicht so begriffsstutzig, Mensch, und lass Dich endlich mal wieder so richtig durchrammeln, durchficken, durchstoßen, durchhämmern!“ Oh Gott, welch‘ sauische Gedanken! Pfui! Hätte ich jetzt das Lavendelsäckchen noch zur Hand, ich würde es mir jetzt links und rechts um die Ohren schlagen. Dominik mustert mich immer noch und lächelt verführerisch dabei. Mir läuft die rote Scham ins Gesicht. Wenn jetzt mein Mann reinkommt. Mein Mann? Spinne ich! Ich habe keinen Mann mehr, keine Verpflichtungen.

„Ja, wollen Sie nicht erstmal die Zarge in die Fassung setzen und sich dann auf mich, ähm…" Was quassle ich da für einen Kokolores?

Er schmunzelt, kommt näher und stellt sich direkt vor mir in Position, stemmt seine großen Arbeiterhände – die übrigens sehr gepflegt sind – in seine Hüften und legt nach: „Damit wir uns nicht missverstehen, Sie bezahlen meine Arbeit erst, wenn Sie auch wirklich zu 100 Prozent zufrieden damit sind. Zarge hin und Fassung her. Das ist meine Philosophie."

Wie wird mir? Sabbere ich etwa schon? Ich wische schnell mit den Ärmeln meiner weißen Bluse – das dürfte meine alte Mutter jetzt aber nicht sehen, die habe ich damit als Kind schon zur Verzweiflung gebracht- über meine Lippen und schließe die Augen, kneife mich zwei-, dreimal in den Hintern, welcher sich übrigens auch noch sehen lassen kann, und öffne langsam meine Augen. Er steht – jetzt noch etwas dichter – vor mir, also kein Traum und aus mir kommt nur der Anflug eines Wortes: „Oooh ää…" und dann berühren seine heißen, weichen Knutschlippen die meinen. Himmel, wie duftet er nur und wie er schmeckt. Lecker. Ist das etwa Kokos? Ich liebe Kokos!

Kurze Zeit darauf finden wir uns eine Etage weiter oben in meinem neuen Bett wieder. „Etwas klein, dafür noch rein…" säusle ich und dann erlebe ich sagenhafte 20 Minuten, die mich einmal zum Mond und wieder zurückfliegen lassen. Wie wunderschön! Langsam komme ich zu mir und bestaune die doch sehr lange Haltbarkeit meines IKEA-Bettes. Umgeben von eingekrachten Holzlatten, aus den Löchern heraus gekrachten Dübeln und Schrauben, und halb auf der Matratze, halb auf dem Teppich liegend, finde ich mich wieder. „IKEA ist auch nicht mehr das, was es noch nie war", murmle ich, halb wach und noch halb im Sextraumland vor mich hin.

„Was meinst Du?“ fragt mich mein Held in runtergelassener Hose und ich küsse ihn laut schmatzend auf die Stirn. Was für eine „orgasmus-hyperorgastorische" Reise ins Paradies und wieder zurück. Wow! Ich bin überglücklich, denn endlich, endlich, endlich fühle ich mich wieder so ganz und gar als Frau. Gott, wo hat er mich überall geküsst, gestreichelt und mich dann hart und zärtlich zugleich genommen. „Ich bin sehr zufrieden mit Dir, das meine ich." Flüstere ich ihm ins Ohr und frage ihn: „Wie viel macht das?“´ Und hoffe auf eine Antwort in etwa dieser: „Nichts, mein Schatz. Ich bin für Dich jederzeit bereit, unentgeltlich versteht sich."  Stattdessen bekomme ich zu hören: „Die anvisierten 230 Euro werden jedenfalls nicht ausreichen." Ich will mich unter ihm wegrollen und versuche dieses Kraftpaket von mir zu stoßen, doch er hält mich fest. „Es kostet Dich mindestens noch 100 weitere Nächte mit mir." Ich blicke ihn fragend an, er küsst mich und sagt: Es kostet Dich natürlich nichts! Für wen hältst Du mich?"

„Aber Du hast doch selber damit angefangen, dass Du so wenig verdienst." antworte ich irritiert.

„Ja, denn nach Abzug von dem ganzen Steuermist bleibt nicht mehr viel übrig."

„Steuern? Ich dachte, Du bist angestellt?"

„Nein, mir gehört die 'Schlüssel-Security-Bude ‘. Habe ich eigentlich irgendwo im Lauf unseres Gespräches und mit irgendeiner Silbe erwähnt, dass ich für Sex etwa Geld nehme? "

„Nein, aber…"

„Pssst. Das war alles in Deinem Kopf. Ich bin kein normaler Schlüsseldienstler, mein Spezialgebiet ist die Sicherheit und allen voran Deine. Annabell, Du bist eine wundervolle Frau und Du hast mir sofort auf den ersten Blick gefallen."

Ich blicke ihn verwundert an, er lächelt und küsst mich auf die Nasenspitze, dann auf meine noch rot leuchtenden Wangen und auf meine noch heiß glühenden Lippen. Ein Traum!

„RUNTER VON MEINER FRAU!!!!" Mit einem Mal steht mein unter 200.000 Volt stehender Noch-Ehemann im Türrahmen und brüllt das ganze Haus zusammen. „Ich soll Dir wohl die Fressäää polieren, WAS? Hau bloß schnell ab, bevor...", dabei lässt er seine linke Faust drohend durch die Luft sausen, vergisst allerdings dabei, dass mein junger Sex-Held, der sich nun langsam unter leichtem Stöhnen von mir erhebt, dreimal so groß und doppelt so breit ist wie er. Im Vergleich zu Dominiks Handwerker-Faust sieht die geballte Hand meines Noch-Ehemannes wie eine verschrumpelte Aprikose aus. Dominik schaut mich fragend an und ich liege immer noch so da, als wäre nichts, ganz entspannt in der klassischen Sex-Position, das heißt: nackt und breitbeinig. „Ähm. Ja, der kann weg!" Und mit einer Handbewegung, wie der einer Königin gleich, gebe ich meinem Bodyguard zu verstehen, dass er diesen schreienden Wicht bitte ganz schnell entfernen solle. Am Kragen seiner dunkelbraunen Cordjacke packend – ein Weihnachtsgeschenk von mir, mittlerweile auch schon über 12 Jahre alt – hievt er Kurt-Edelbert hoch, der böse und ganz garstige Worte von sich gibt: „Lass mich los, Du Sacksau! Du Wichser! Du Blödian! Hilfe! ANNABELLLL…", und dabei strampelt das Edelbert-Männchen wie wild mit seinen kurzen Beinchen über dem Boden und wird zur Ausgangstür getragen. RUMS! Da fällt auch schon die Türe ins Schloss.

Einige Sekunden später steht mein nackter Adonis wieder mit den Worten im Schlafzimmer: „So, wo waren wir stehengeblieben?"

 „Ich glaube, es wäre ratsam, das Schloss als allererstes auszutauschen, bevor wir…"

„Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich glaube, es ist viel ratsamer, mich jetzt erstmal ausgiebig um Deinen Schoß zu kümmern."

„Okay, überredet", quieke ich wie ein junges Mädchen und gebe mich bereitwillig und breitbeinig seinen Liebkosungen hin und schwebe in Richtung Trance, aus der ich jäh wieder geweckt werde.

„DAS DARF JA WOHL NICHT WAHR SEIN! WIE DIE KARNICKEL!" Und schon wieder steht Kurt-Edelbert, mein wildgewordenes Noch-Männlein in der Türe und droht diesmal nicht mit seiner Faust, sondern mit einer Laubsäge, die er sich aus der Garage geangelt haben muss, vor uns. „Spinnst Du!", schreie ich ihn wütend an, „Du bist doch wohl völlig bescheuert! Willst Du mich etwa wie der Zauberer die Jungfrau mit dem verrosteten Ding vierteilen, oder was?

„Ich will, ich will…" fängt er an zu stottern und noch ehe er seinen Stammelsatz zu Ende führen kann, bekommt er einen saftigen Schlag direkt auf seine dicke Professoren-Nase. WUMS! Hach, Dominik, mein Held. „Ich werde das Schloss jetzt doch als allererstes austauschen und den hier…", dabei drückt er seinen perfekt pedikürten Fuß gegen das Gesicht des ohnmächtigen Darniederliegenden- „…nehme ich huckepack gleich mit vor die Türe.“

„Ist recht", antworte ich, „in der Zeit werde ich für uns mal etwas Leckeres kochen. Einen besonderen Wunsch?"

„Irgendetwas Saftiges, Fruchtiges wäre genau richtig.", bekomme ich keck zur Antwort. Und als ich sehe, wie Kurt-Edelbert mal wieder am Kragen gepackt und weggetragen wird, da überkommt mich etwas Mitleid. „Warte!" Und auf mein Kommando lässt Dominik, den wieder zu sich gekommenen Edelbert abrupt los, der nun mit dem Kopf zuerst an die acht Stufen hinunterrutscht und in der leichten, rechten Krümmung unsanft zum „Stehen" kommt.

„Nix passiert", ruft Dominik zu mir hoch und gibt mir ein Daumen-Hoch-Zeichen.

Oh Mann! Ich hatte ja schon immer gesagt, dass die Treppenstufen viel zu glatt sind, aber der Herr wollte ja unbedingt die blank gebohnerten Holzabsätze so belassen. Jetzt muss ich mir das Lachen verkneifen, während sich Kurt-Edelbert die Rübe reibt. Dominik läuft – immer noch komplett nackt – an ihm vorbei, schnappt sich unten im Flur seinen Werkzeugkoffer und macht sich – endlich – an dem Türschloss zu schaffen. Ich beobachte ihn durch die gläserne Seitenwand und mich drängt es kurz ihm zuzurufen, ob er sich nicht besser etwas anziehen wölle, der Nachbarn wegen. Doch dann besinne ich mich des Spruchs: Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert. Ganz genau so handhabe ich das jetzt auch. All die Jahre habe ich immer viel zu viel Rücksicht auf andere genommen, auf meinen Mann, auf die Nachbarschaft, auf meine Familie, doch damit ist jetzt Schluss! SCHLUSS, AUS und VORBEI! Gerade hat sich Kurt-Edelbert unter Ächzen aufgerichtet und erklimmt unter Mühen die Treppe nach oben zu mir. „AAhhh, Liebes, lass uns doch vernünftig sein. Schau, ich habe einen Fehler gemacht. Auaaa. Annabell, das war alles ein Missverständnis. Lass uns nochmal gemeinsam neu anfangen. Hilf mir doch mal! Aua!"

Vorn über gebeugt kriecht er die Stufen zu mir hoch und reibt sich dabei mit Schmerz verzerrtem Gesicht sein krummes Rückgrat. Was? Was faselt er da?  

AHA! Jetzt kommt es mir erstmal. Daher seine Koffer. Ich dachte, die seien leer, weil er noch irgendwelche Kostbarkeiten aus dem Hause schleppen will, Kostbarkeiten, die ich auf unseren Auslandsreisen ausgesucht, bezahlt und mitgebracht habe. Aber nö. Volle Koffer sind es. Der Vollidiot will doch nicht etwa wieder hier einziehen und sich ins vertraute Nest setzen! Jetzt reicht es und ich brülle ihn wie ein hanseatisches Marktweib an: „Ich sage dazu nur ein Wort: VERSCHWINDE!" 

„Aber, aber Liebes…", wimmert er mich an und krabbelt weiter auf allen Vieren die Stufen hoch.

Und ich stelle mich, noch ehe er die letzte Stufe erreicht hat, wutschnaubend wie ein wilder Börsenstier, die Arme fest in die Hüfte gestemmt, die Beine durchgedrückt und breit von mir gestreckt auf den oberen Treppenabsatz und blicke zu ihm hinab. Sehe ich da etwa Angst in seinen Augen? Er klammert sich am Metallgriff des Geländers fest und leise winselnd schaut er mich mit seinen großen, blauen Augen furchtsam fixierend an: „Liebes, Du …"

Ich winke ab und mit ruhiger, fester Stimme antworte ich ihm: „Du machst jetzt ganz schnell auf Deinen Professoren-Latschen kehrt, ansonsten verleihe ich Dir Flügel!" und dabei mache ich eine gekonnte Bewegung wie ein Judo-Kämpfer, drehe meine Hüfte dabei ein, halte mich mit den Händen ebenfalls am Geländer fest und stecke mein linkes Bein in die Höh‘ und deute einen Kick in Richtung seiner Halbglatze an. Seine Augen werden groß und größer, diesmal allerdings nicht vor Angst, sondern etwas anderes spiegelt sich darin: Geilheit. Er starrt mich mit offenem Mund an, und ich starre dahin, wo sein Blick mich trifft. Und zu meiner eigenen Überraschung merke ich, ich habe ja immer noch so rein gar nichts an. Ich lasse das Bein langsam, sehr langsam wieder zu Boden gleiten. Tja, das konnte er alles die ganzen Jahre haben, wollte er nur nicht und nun will ich nicht mehr. Ich klatsche kräftig in die Hände: „Los, hau ab. Genug gesehen. Husch, husch zurück in Dein Körbchen."

Auf allen Vieren robbt er rücklings die Stufen in Richtung Erdgeschoss hinab. Seine blöden Koffer, solche beschissenen Achtzigerjahre-Teile, werfe ich ihm mit einem lauten Schrei noch hinterher, und Dominik rufe ich zu: „Sorge bitte dafür, dass DER - sobald er bei Dir unten angekommen ist- jetzt gefälligst auch draußen bleibt! Danke."

Puh! Durchatmen. Ich gehe ins Badezimmer und begrüße mein Spiegelbild: „Hello Sweetheart." Ja, ich staune selber über mich und lächle mich an. Tja, da kam er also wieder angekrochen. Mir war es klar, dass seine Midlife-Crisis nur ein kleiner Ausbruch aus dem gewohnten Umfeld war. Gewusst habe ich es nicht, es war eher eine Ahnung oder gar Hoffnung? Nein, letzteres definitiv nicht. Denn diese Episode, unsere sogenannte Traumbeziehung, ist nun Geschichte. War das doch eher eine Beziehung bis hin zur Selbstaufgabe, zu mindestens für mich. All die Jahre habe ich Herrn Professor schön den Rücken freigehalten und auf so Vieles verzichtet auch auf mein Studium. Kurt-Edelbert war mir einige Jahre voraus und hatte seinen Abschluss bereits in der Tasche und eine Stellung an einer Uni in Aussicht. Da hieß es Umzug. Und so schmiss ich mein Kunstgeschichte-Studium hin. Musste ich nicht, habe ich aber. Und warum? Aus Liebe? Nein, wohl eher aus Angst, dass ich ihn ansonsten verlieren und dann alleine da stehen würde. Und so gesehen hatte ich die ganze Zeit keinerlei Vertrauen, weder in uns noch in mich. Ich glaube, ich bin gerade erwacht und dieses Vertrauen in mich und in das Leben hole ich mir jetzt und hier zurück! Jawohl! Mein Leben besteht nicht länger aus Verzicht und Selbstmitleid, ich bin wunderbar und ich lebe, um Freude zu erleben!

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: GAB, Romy van Mader
Bildmaterialien: GAB, Romy van Mader, CC0 Creative Commons
Cover: GAB, Romy van Mader, CC0 Creative Commons
Lektorat: K. Armenti
Tag der Veröffentlichung: 03.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7410-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Träumer, Liebenden und Optimisten dieser wunderschönen Welt.

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