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Berlin-Charlottenburg, 22. Dezember 2014

Während es draußen immer kälter wurde, die Schneeflocken dichter wurden und die Menschen mit vielen Tüten und Weihnachtsgeschenken bepackt waren, lief im Gerichtsbäude des Landgerichts Turmstrasse ein ganz anderes Szenario ab. Massen an Reportern drängten sich in den Flur, während die Sicherheitsbeamten versuchten die große Doppeltür vor neugierigen Blicken zu schützen. Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen, weil die letzten Berichterstattungen zu einer regelrechten Hetzjagd gegen Thomas Richter entfacht hatte. Es gab 5 Verhandlungstage – heute kam es zur Urteilsverkündung!

Thomas Richter saß neben seinem Anwalt Dr. Michael Rotwild und er wusste einerseits, dass ihm viele Jahre Gefängnis drohten, aber auch die andere Seite, dass er niemanden verletzt oder gar getötet hatte. Was sollte er nun spüren? Reue? Ein befriedigendes Gefühl, dass er doch nur helfen wollte? Oder fühlte er den selben Schmerz, als er seine Tochter Klara durch einen schweren Verkehrsunfall verlor? Er blickte gedankenverloren durch den Gerichtssaal und seine Augen ruhten auf seiner Frau Veronika und seinen Eltern Marina und Horst Richter. Der Saal füllte sich mit den Angehörigen des Opfers. Man sah ihnen an, wie sehr sie gelitten haben, als ihre Tochter verschwand und wie Nervenzerreißend die letzten Monate waren. Thomas spürte den Hass dieser Menschen; Hass den sie ihm gegenüber hegten, auch wenn das Kind unbeschadet davon kam, aber wie sah es in den nächsten Jahren aus, wenn sie ins Erwachsenenalter kam? Was passiert, wenn sie in die Pubertät kam? Werden seelische Schäden bleiben? Auf diese Fragen hatten selbst die Psychologen keine richtigen Antworten. "Es werde die Zeit zeigen...", hieß es immer... Aber was ist schon Zeit? Thomas spürte insgeheim, dass seine Zeit hier abgelaufen war und er nicht gerade straffrei davon kommen werde.

"Maximal 5 Jahre, wenn Sie Glück haben und sich anständig benehmen, 4 Jahre mit guter Führung", sagte ihm sein Anwalt, als auch klar wurde, dass man seine DNA bei dem Kind gefunden hatte, jedoch keine Einwirkungen von Gewalt. War das vielleicht ein kleines Schlupfloch für ihn? Doch die Presse und auch der Berliner Bezirk Spandau zerriss ihn mit Gesten und Plakaten in tausend Stücke. Auch vor möglichen Sachbeschädigungen am Haus und an den Autos wurden kaum Halt gemacht. Da der Anwalt um die Sicherheit des Ehepaares beunruhigt war, wurde Veronika zu ihren Schwiegereltern gebracht, während Thomas in Untersuchungshaft saß. Denn gerade verschwundene Kinder war für viele ein empflindlicher Punkt, dass man automatisch Selbstjustiz begehen würde, wenn man nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

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Juni 2013

 

Während Veronika das Abendessen für die Familie vorbereitete, tobte Klara noch mit dem Hund Fips im Garten herum. Mit einem Hundespielzeug, was einem dicken Tau ähnelte, zogen sie sich gegenseitig durch den Garten wodurch Klara nur noch am herum kichern und vor Spaß regelrecht außer Atem war. Veronika beobachtete die beiden durch das Küchenfenster und musste hin und wieder mitlachen, wenn Fips an Klara hochsprang und sie beide zu Boden fielen. Veronika war in dieser Beobachtung so vertieft, dass sie nicht mit bekam wie Thomas nach Hause kam und sie von hinten in den Arm nahm.

"Na, wen beobachtest du denn so vertieft?", fragte er liebevoll und schaute dem bunten Treiben im Garten zu und stimmte in das Lachen seiner Frau mit ein. Fips hat sich so auf Klara geschmissen, dass er ihr das Gesicht abschleckte und sie um Gnade bettelte.

"Ich geh mal zu ihr raus und rette sie von der Schlabberattacke", sagte Thomas lachend und ging in den Garten hinaus, um seine Tochter zu begrüßen. Die frische Abendluft ließ schon den ankommenden Sommer erahnen, denn es blühte alles, besonders die Linden versprühten schon langsam ihren süßen, fruchtigen Duft. Er schaute um die Ecke und sah, dass Fips immer noch in der Knuddelattacke verharrte und Klara vor lachen fast keine Luft mehr bekam. Thomas pfiff zwischen den Zähnen, dass Fips ruckartig den Kopf hob und kleffend und schwanzwedelnd auf ihn zu gerannt kam. Während der im vorbeigehen den Hund streichelte, ging er auf Klara zu und hielt ihr die Hand hin um sie hochzuziehen. Nach Luft japsend nahm sie seine Hand und stand nach kurzer Zeit wieder auf den Beinen und musste immer noch lachen.

"Du siehst echt lecker aus, Klara", sagte Thomas mit einem breiten Grinsen, denn die Knuddelattacke vom Hund blieb nicht ohne Spuren und er versuchte das gröbste mit der Hand wegzureiben, doch dies blieb erfolglos. "Ich glaube, bevor du dich an den Esstisch setzt, solltest du auf jeden Fall dein Gesicht noch mal sauber machen." Klara nickte und umarmte ihren Vater. Er hob sie hoch, während sie ihren Kopf auf seine Schulter legte und er mit ihr ins Haus zurück ging. Auch wenn Klara mit ihren 8 Jahren selbständig war, so war sie der ganze Stolz der Familie, mit Fips zusammen, den sie vor 3 Jahren aus dem Tierheim zu sich holten.

Kurze Zeit später saßen sie nun zu Dritt in der Küche und genossen das Abendessen. Sie redeten über den Tag und die Stimmung wirkte ausgelassen. Die ersten großen Sommerferien standen für Klara an und es sollte mit dem Familienhund nach Italien gehen. Die letzten drei Wochen, in der die Schule noch in vollem Gange war, wollten sie mit der Planung voran kommen, damit es keine bösen Überraschungen gab. Denn das Hotel sollte Fips schon akzeptieren, denn die Familie hatte jetzt nicht die richtige Lust auf einem Campingplatz zu hausieren, obwohl dies natürlich eine große Privatsphäre mit sich bringen würde, aber sie wollten so viel wie möglich von der Stadt sehen und auch erleben. Die ersten drei Wochen sollte es dorthin gehen und danach würde man dann in den gemeinsamen Garten nach Spandau fahren. Während Veronika die letzten Stücke von ihren Kartoffeln auf eine Gabel tat, erzählte sie von ihren Telefonaten mit den Hotels in Italien.

"Also zwei würden Fips akzeptieren, sofern es kein Hund einer gefährlichen Rasse ist und er nicht fremde Leute freudig anspringt. Naja und die Leinenpflicht."

Thomas nickte und spülte sein Essen mit etwas Wasser herunter, ehe er darauf einging.

"Nun gut, ich kann die Hotelangestellten schon verstehen. Dafür hört man schon zu viel und wir können ja zu Vorsicht einige Papiere mitbringen und den Hund ja auch vom Tierarzt bestätigen lassen, dass er gesund ist... Du weißt doch, wie kleinlich manche Menschen sind. Wir sollten jedenfalls kein Risiko eingehen und uns dadurch den Urlaub vermiesen lassen." sagte er.

Veronika nickte und schob sich die volle Gabel in den Mund.

"Ich habe übrigens meinem Chef auch schon gesagt, dass ich keinerlei Anrufe haben will. Nur meinen Eltern zuliebe, werde ich das Handy zu bestimmten Zeiten einschalten", fügte er hinzu und blickte zu seiner Tochter, die mit der Gabel einige Stücke versuchte aufzupieksen, die Erbsen jedoch immer wieder weg kullerten.

"Du tust genug für die Firma, Thomas. Das ist das mindeste, dass man dich oder auch uns, das kann man sehen wie man will, mal in Ruhe Urlaub machen lässt", sagte sie in einem leicht scharfen Ton. "Das ist der erste richtige Urlaub seit fünf Jahren."

Thomas verstand Veronika nur allzu gut. Er schob das restliche Essen auf die Gabel und legte danach das Besteck auf den Teller.

"Ich werde auf jeden Fall mit meinen Eltern sprechen und ihnen gegebenenfalls die Nummer vom Hotel geben", sagte er und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. Dankbar lächelte Veronika ihren Mann zu.

"Du Papa, kommen wir denn auch an den Strand ran?", fragte Klara hoffnungsvoll.

"Bestimmt. Was ist denn bitte ein Urlaub ohne Strand und Meer?!, fragte Thomas zurück und zwinkerte seiner Tochter zu. Klara musste lächeln und nickte aufgeregt. Veronika blickte auf ihre Armbanduhr.

"Klara, es wird Zeit, dass du dich langsam für das Bett fertig machst", sagte sie und blickte liebevoll zu ihrer Tochter.

"Och Mama", sagte Klara wehleidig, "kann ich nicht wenigstens noch mit Fips etwas spielen?".

Während Thomas und Veronika das Geschirr in die Küche brachten, drehte sie sich um.

"Na gut, aber nur noch einige Minuten und dann Marsch ins Bad."

Jubelnd sprang Klara vom Stuhl auf und fing gleich an mit Fips zu spielen.

Als sich die Eltern um den Abwasch kümmerten, hörten sie nebenbei Radio und sangen bei einigen Songs mit. Später, als Klara schlafend in ihrem Bett lag, kümmerten sich die beiden weiter um die Planungen des Urlaubes.

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Die Sonne versuchte sich durch die Wolken zu kämpfen. Laut Wetterbericht sollte es warm und angenehm werden, so wie man sich den Juni wünschte. Klara wollte unbedingt ihr neues Fahrrad ausprobieren und hing ihrer Mutter regelrecht in den Ohren, endlich raus zu können. Nach einer gefühlten Ewigkeit saß Klara auf dem Sattel und fuhr die Königsallee rauf und runter. Mal fühlte sie sich als Radprofi und beugte sich mit dem Oberkörper auf das Lenkrad oder sie fuhr ganz normal. Auch wenn sie auf dem Bürgersteig der Königsallee fuhr, war die Versuchung groß, wie die Großen auf der Straße zu fahren. Doch jedesmal wenn sie ihr Vorderrad auf die Straße setzen wollte, hörte sie ihre Eltern immer wieder sagen, sie soll noch auf dem Gehweg fahren; die Straße sei einfach noch zu gefährlich. Denn so lange fuhr Klara noch nicht Fahrrad. Als sie den Blick auf die Straße richtete, presste sie die Lippen zusammen. Immer diese doofen Regeln, dachte sie. Aber um ihre Eltern nicht zu verärgern, ließ sie es bleiben. Sie wusste, wenn sie es versuchen würde die Regel zu umgehen, sind spätestens heute Abend einige Nachbarn bei denen und erzählen es ihren Eltern was Klara gemacht hatte. Sie schob ihr Fahrrad wieder auf den gesamten Bürgersteig und trat in die Pedale. Was sie jedoch nicht mit bekam, dass aus der Delbrückstraße ein Auto angerast kam und geradewegs die Königsallee runter fuhr. Während Klara weiter ihres Weges fuhr, verlor der Autofahrer des Volvo V70 die Kontrolle über das Fahrzeug und geriet ins schleudern. Klara vernahm hinter sich nur das quietschen der Reifen. Als sie sich während der Fahrt umdrehte, sah sie das Auto auf sich zu rasen und riss sie mit. Sie wurde mit voller Wucht gegen die Windschutzscheibe geschleudert, der mit einem ohrenbetäubendem Knall endete. Der Volvo kam erst wenige Meter zum stehen, während der reglose Körper von der Motorhaube rutschte und das Fahrrad unter dem Auto begrub.

Anwohner kamen aus ihren Häusern, da sie den füchterlichen Knall hörten. Als sie sahen, wie das Auto da stand, ein regloser Körper auf der Straße lag, rannten viele schreiend raus. Veronika war gerade dabei die Wäsche zusammen zu legen, als sie den Knall hörte. Sie dachte sich aber nichts dabei. Da sie in der Nähe des Naturschutzgebietes wohnen, gab es den einen oder anderen, der dort mit einem Jagsgewehr herum lief, um die eh schon gefährdeten Tierarten weiter vor dem Aussterben zu schützen. Als sie dann aber die Schreie von den Anwohnern hörte, lief sie aus dem Haus heraus um nachzusehen. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit und sah, wie Katinka auf sie zugerannt kam.

"Geh da jetzt nicht hin, Veronika", sagte sie außer Atem. In diesem Moment wurde ihr schlagartig klar, dass ihre Tochter von dem Auto erfasst wurde. Sie sah, wie schräg das Auto dort halb auf der Straße und mit der anderen Hälfte auf dem Bürgersteig stand. Sie stieß sich von Katinka ab und rannte panisch zu der Unfallstelle. Als sie ihre Tochter auf dem Boden liegen sah, entfuhr ihr ein Schrei. Sie schlug sich die Hände vor dem Mund und bemerkte dabei nicht, wie die Nachbarn sie stützten. Von fern hörten sie das Martinshorn, während einige Nachbarn gleich mit der Ersten Hilfe anfingen. Die Fahrerseite des Volvos stand offen und der Fahrer davon lag in der stabilen Seitenlage neben dem Auto. Veronika wollte auf ihre Tochter zu gehen, doch Berthold hielt sie fest.
"Du kannst jetzt nichts machen. Lass Sven erstmal machen und dann die Sanitäter. Es kommt schon wieder alles in Ordnung", sagte er väterlich und hielt sie weiterhin fest. Erst jetzt begriff Veronika, dass dort, wenige Meter vor ihr, ihre Tochter lag und allem Anschein nach um ihr Leben kämpfte. Veronika konnte den Weinkrampf nicht mehr unterdrücken und weinte. Der Rettungswagen kam hinter ihnen zum stehen und die Rettungskräfte rannten an ihnen vorbei. Der Sanitäter löste Sven ab und machte mit der Herzdruckmassage sofort weiter. Sven drehte sich um, hielt nach Veronika Ausschau und als er sie sah, kam er auf sie zu. Aufgelöst ging sie ihm entgegen.

"Vroni, lass jetzt die Rettungskräfte ihren Job machen", sagte Sven und versuchte sie von der Idee abzubringen, zu ihrer Tochter zu gehen.

"Aber... aber mein Mädchen liegt da... Was ist mit ihr?", fragte sie ängstlich und versuchte dabei, weitere Tränen zu unterdrücken. Sven betrachtete sie und strich ihre eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während er mit der anderen Hand ihre hielt.

"Ich habe nur den Knall gehört und sah sie hier liegen. Sie muss vom Auto erfasst worden sein... Als ich zu ihr lief, war sie schon nicht mehr bei Bewusstsein... Aber die Ärzte kriegen sie wieder hin...", sagte er mit bebender Stimme. Kurze Zeit später traf die Polizei ein, um die Unfallstelle zu sichern. Für Veronika lief das Ganze so unwirklich ab, dass sie nicht mit bekommen hatte wie einer der Beamten vor ihr stand.

"Frau Richter?", hörte sie eine Stimme von weiter weg und wandte ihren Blick zur Stimme hin. Sie wirkte wie erstarrt und war sich nicht sicher, was hier überhaupt geschah. Es wirkte alles wie ein böser Albtraum, wo sie hoffte jeden Augenblick aufzuwachen. Sie spürte, wie Svens Hand auf ihrer Schulter drückte und er dem Polizisten zunickte.

"Frau Richter, die Rettungskräfte bringen jetzt Ihre Tochter ins Krankenhaus. Möchten Sie mitfahren? Sollen wir noch jemanden benachrichtigen?", fragte der Polizist weiter. Veronika sah, wie man ihre Tochter auf die Trage legte und mit Sauerstoff versorgt wurde. Ohne auf die Frage des Beamten zu reagieren, löste sie sich von Sven und rannte auf die Trage zu. Der Notarzt spürte sofort, dass sie die Mutter ist.

"Ihre Tochter ist stabil, wir bringen sie in die Unfallklinik. Sie können selbstverständlich mitfahren", sagte er in einem geschäftigen Ton. Ohne auf die Reaktion zu warten, stieg Veronika mit ein und hielt die Hand ihrer Tochter. Sie streichelte vorsichtig die kleinen Finger und betrachtete ihr Gesicht. Es versetzte einen unbeschreiblichen Schmerz, ihre Tochter dort liegen zu sehen mit geschlossenen Augen, reglos. Bevor sie losfuhren, kam Sven zum Wagen gelaufen und sagte Veronika, er werde Thomas Bescheid geben und ihm die Adresse vom Krankenhaus nennen.

"Wir müssen jetzt los", hörten beide den Sanitäter sagen und Sven ging einige Schritte vom Rettungswagen weg und nickte Veronika zu. Sie nahm dies nur zur Hälfte wahr. Der Wagen fuhr mit Martinshorn und Blaulicht ins Martin-Luther Krankenhaus. Für Veronika kam die Fahrt wie eine Ewigkeit vor, obwohl das Krankenhaus nicht weit entfernt war. Doch für eine Mutter, die um das Leben ihres Kindes bangte zogen sich Minuten wie gefühlte Stunden hin.

Als sie kurze Zeit später eintrafen, wurde Klara in die Notaufnahme geschoben und untersucht. Die Krankenschwester machte ein betrübtes Gesicht und schloss die Tür zum Behandlungsraum. Ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit machte sich bei ihr breit. Sie sah durch das kleine Fenster, wie die Krankenschwester, als auch die beiden behandelnden Ärzte um Klara herumstanden, an den Monitoren herum drückten und hier und da was am Körper machten. Wie lange stand sie da jetzt? 10 Minuten? 20 Minuten? Sie konnte es nicht sagen. Je länger sie dort stand und betete, desto nervöser wurde sie. Sie setzte sich hin und beugte sich nach vorne, die Ellenbogen auf die Knie und stützte mit den Händen ihren Kopf ab. Sie schloß die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Sie hörte schnelle Schritte und ihren Namen rufen.

"Veronika! Veronika, was ist mit Klara?", hörte sie und schaute zu ihrer rechten und sah ihren Mann, der auf sie zulief. Sie stand auf, lief ihm entgegen. Sie standen einige Minuten dar, ehe beide ihre Sprache wiederfanden.

"Sie wurde vom Auto erfasst. Wie es passierte, kann ich nicht sagen. Sven lief gleich raus und leistete Erste Hilfe. Sie wird noch untersucht...", sagte Veronika leise und sie spürte, wie der Kloß im Hals sich wieder breit machte. Als Thomas antworten wollte, wurde die Tür vom Behandlunsgraum aufgemacht und die Krankenschwestern gingen raus, der Arzt hinten dran. Schnellen Schrittes liefen Klaras Eltern auf ihn zu.

"Klaras Milz wurde bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen, dass wir sie entfernen müssen. Im Moment ist sie stabil, aber da sie schwerste innere Verletzungen hat... Frau und Herr Richter, wir wissen nicht, ob Ihre Tochter jemals wieder so gesund wird. Ich muss jetzt in den OP...", sagte er und ging schnellen Schrittes in Richtung OP-Saal. Veronika zitterte am ganzen Körper und wollte schreien, doch es blieb ihr im Halse stecken. Tränen liefen unaufhaltsam über ihr Gesicht und Thomas versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Eine Art Schleier legte sich über sein Kopf, der alles ins Dumpfe hinüber gleiten lässt. Während Veronika weinend in seinen Armen war, begriff Thomas nur langsam was die aktuelle Situation überhaupt bedeutete. Er hörte Schritte und drehte sich um. Der Beamte, der am Unfallort da war, kam ihnen entgegen. Veronika nahm ihn nur bedingt wahr. Viel zu sehr war sie in Gedanken bei ihrer Tochter.

"Herr Richter?", fragte der Beamte vorsichtig. Thomas nickte.

Nach Worten suchend blieb der Polizist vor ihm stehen, unsicher, was er sagen sollte.

"Herr Richter, meine Name ist Brand. Ich war am Unfallort. Haben Sie einen kurzen Moment Zeit? Ich weiß, es ist sehr unpassend aber wir versuchen den Unfall zu rekonstrurieren...", brach der Beamte ab. Thomas nickte erschöpft und zeigte mit einem Kopfnicken auf die Sitzreihe gegenüber.

"Ich kann Ihnen nicht viel dazu sagen, da ich erst vor wenigen Augenblicken hier eingetroffen bin", sagte er leise und sah dabei seine Frau an. Sie holte hörbar tief Luft.

"Ich hörte nur den fürchterlichen Knall und wollte schauen, was da draußen passiert ist. Da... kamen schon Nachbarn von uns auf mich zugelaufen und wollten mir den Anblick ersparen...". Ein nächster Weinkrampf schüttelte Veronika erneut und presste sich das Taschentuch vor den Mund. Der Polizist nickte betroffen. "Nun", er musste sich räuspern, denn jedem geht es nahe, wenn Kinder in Unfälle verwickelt worden waren. Da sind auch Polizisten nicht immer die härtesten.

"Nun, allem Anschein nach erlitt der Autofahrer nach ersten Erkenntnissen der Ärzte, einen Schlaganfall. Die Ärzte können noch nicht mal sagen, ob er durch kommen wird...", sagte Brand leise. Er blickte zu Klaras Eltern und sahen deren Blick.

"Wie geht es Ihrer Tochter?", fragte er vorsichtig, obwohl er sich die Antwort schon denken konnte.

Beide blickten zu Boden. Thomas war jedoch derjenige, der das Wort ergriff.

"Es sieht schlecht aus. Sie ist jetzt im OP... Die Milz muss entfernt werden... Die wollen hier keine Prognose abgeben...", antwortete Thomas und hielt die Hand seiner Frau fest. Sichtlich betroffen richtete der Beamte seinen Blick ebenfalls zu Boden. Sie alle schwiegen einige Minuten, als die Stille von einem klingelndem Handy unterbrochen wurde. "Entschuldigen Sie bitte...", sagte Brand und stand unverzüglich auf, um das Telefonat entgegen zu nehmen.

"Ich hätte sie nicht mit dem Fahrrad fahren lassen dürfen", sagte Veronika weinend. Thomas zog seine Frau sich heran und hielt sie fest.

"Dich trifft keinerlei Schuld. Es war ein Unfall...", sagte er leise und strich seiner Frau am Oberarm.

Brand beendete das Telefonat und ging auf Klaras Eltern wieder zu.

"Ich muss leider zurück ins Kommissariat", sagte er entschuldigend. Er reichte ihnen die Hand. "Ich wünsche Ihnen viel Kraft und alles Gute." Als Brand das Krankenhaus verließ, saßen Veronika und Thomas zusammen. Sie spürten, wie ihre Welt immer weiter in seine Einzelteile zerbrach...

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Die OP dauerte mehrere Stunden, die Verletzungen waren so schwerwiegend, dass man Klara vorerst in ein künstliches Koma versetzte. Dies war vor 5 Tagen. Die Milz wurde entfernt, doch hing ihr Leben am seidenden Faden. An Schläuchen und piependen Geräten lag sie nun reglos auf der Intensivstation. Hilflos mussten ihre Eltern, die in Schutzanzügen, Mundschutz und Handschuhen am Bett ihrer Tochter standen, jeden Tag mit ansehen, wie die ganzen Maschinen diesen kleinen Körper am Leben erhielten. Veronika musste die Tränen unterdrücken und krallte sich an der Stange am Fußende des Krankenhausbettes fest. Hinter ihr stand Thomas, der beide Hände auf ihren Schultern legte und diesen Anblick nur schwer ertragen konnte. Er blickte aus dem Fenster, um was anderes vor Augen zu bekommen und nicht nur sein Kind, was vor ihm lag und um sein Leben kämpfte. Draußen warteten die Großeltern von Klara, Horst und Marina Richter, die alles stehen und liegen gelassen hatten, als sie von dem schrecklichen Unfall hörten. Die Ärzte machten den Eltern kaum Hoffnung. Mit jedem weiteren Tag den Klara im Koma lag, wurden die Chancen auf vollständige Genesung immer geringer. Eines Nachts klingelte das Telefon der Familie Richter. Thomas sprang auf und ging ran. Ihm blieb das Herz stehen, als er hörte, dass es das Krankenhaus ist.

"Herr Richter, hier ist das Martin-Luther-Krankenhaus. Herr Richter, wäre es möglich dass Sie hierher kommen können? Ihrer Tochter geht es sehr schlecht", hörte er die Nachtschwester, die den Auftrag vom Arzt erhalten hatte, die Eltern zu benachrichtigen. Ohne lange zu zögern sagte er zu und ging schnellen Schrittes ins Schlafzimmer zurück und weckte seine Frau. "Liebling, wach auf. Wir müssen ins Krankenhaus. Klara geht es schlechter."

Veronika drehte sich schlaftrunkend um und ihr wurde schlagartig bewusst, was jetzt auf sie zukam. Sie haben darüber gesprochen, aber keiner wollte es wahrhaben: Klara lag im Sterben!

Sie schlug die Decke zurück und zog sich schnell an, um mit Thomas ins Krankenhaus fahren zu können. Von unterwegs aus rief Thomas seine Eltern an, doch bat darum noch Zuhause zu bleiben. Sie würden sich zur gegebenen Zeit melden. Die Straßen von Grunewald waren wie leer gefegt und einerseits war es für Thomas verlockend sämtliche Straßenverkehrsordnungen zu missachten – er wollte nur eins: zu seiner Tochter! Doch rief er sich in Erinnerung, dass sie jetzt nicht noch mehr Streß gebrauchen konnten. Veronika saß still auf dem Beifahrersitz, doch ohne jegliche Vorwarnung sagte sie:

"Thomas, das werden ihre letzten Stunden sein. Eine Mutter spürt so etwas."

Aus Reflex, als sei ihnen ein Tier vor das Auto gelaufen, trat Thomas auf die Bremse. Das Auto blieb ruckartig stehen.

"Was sagst du da?", fragte er seine Frau entsetzt.

"Lass gut sein, Thomas. Wir wissen doch beide, dass es unsere Tochter nicht schaffen wird", antwortete sie gefasst, doch Thomas traute dieser ruhigen Art und Weise nicht, wie sie es sagte. Er befürchtete einen Zusammenbruch, doch konnte er keine Widerworte finden, denn irgendwo hatte sie recht. Der Arzt hatte es angedeutet. Nur schwer fand er seine Stimme wieder.

"Wir fahren erstmal ins Krankenhaus und gucken, was der behandelnde Arzt zu sagen hat, ok?", sagte er mit zitternder Stimme und legte den Gang wieder ein und fuhr weiter in Richtung Krankenhaus.

Als sie sich am Empfang meldeten, blickten zwei Nachtschwester bedrückt hoch. Keiner von ihnen mochte diesen Moment, aber er war unaufhaltsam.

"Warten Sie bitte einen Moment. Ich hole den behandelnden Arzt", sagte die dunkelhaarige mit einer stilvollen Brille und verschwand drei Türen weiter. Thomas und Veronika setzten sich solange hin und warteten ungeduldig auf den Arzt, der kurze Zeit später aus der Tür raus kam, wo die Nachtschwester eben verschwunden war. Sichtlich bedrückt, aber auch erleichtert die Eltern zu sehen, ging er auf sie zu und reichte ihnen die Hand.

"Herr und Frau Richter, trotz diesen Umstandes bin ich dankbar, dass Sie zu dieser späten Stunde kommen konnten. Nun... ich muss Ihnen mitteilen, dass sich der Zustand Ihrer Tochter

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.11.2021
ISBN: 978-3-7487-9916-0

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