Cover

Titel

Barbara Doris Kuhn

 

Lady of Glencoe & Lochaber

 

 

 

 

Das Amulett

der Hoffnung

 

Teil Eins

Prophezeiung 1

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Personen

sowie die Handlung

selbst

sind frei erfunden.

 

 

 

 

Widmung

Für

meine Kinder.

 

 

 

 

 

 

Kapitel I - Einladung

 

Müde und völlig erschöpft schloss ich die Haustüre auf, knipste das Flurlicht an und ging in Gedankenversunken durch den Hausflur. Frau Müller hatte mal wieder kurz vor Ladenschluss den nervigen Einfall, noch ein Regal umzubauen. Und so mussten wir alle länger bleiben, um fertig zu werden. Eigentlich arbeitete ich gerne in der Modeboutique, aber das hier musste wirklich nicht sein.

Ich wollte gerade die Tür zu meiner Zweizimmerwohnung aufschließen, als die Wohnungstür meiner Nachbarin Linda aufging.

„Abby! Abby warte eine Sekunde, du hast ein Päckchen aus England bekommen! Moment, ich hole es dir sofort!“

Verwundert blieb ich stehen und schaute meiner etwas seltsamen Nachbarin Linda Hicken, mit ihren langen blonden Haarmähne und ihrer äußerst knappen Jeansshorts, nach. Linda arbeitet in einem Nagelstudio, nicht weit von dem Hauptbahnhof und dem Einkaufszentrum, in dem ich selbst als Verkäuferin arbeitete.

Für mich nicht gerade der Traumjob und bei Weitem manchmal unterbezahlt, aber ich konnte mir wenigstens eine Wohnung sowie meine Unabhängigkeit davon leisten. Meine Eltern lebten auf dem Land in einem kleinen Dorf und hatten ein äußerst konservatives Denken. In keinster Weise verstanden sie, warum ich ausgerechnet in einer Stadt als Verkäuferin arbeitete, wo ich doch weitaus bessere Jobangebote annehmen könnte.

„So, da ist es. Ich hatte ganz vergessen, wo ich es hingelegt habe. Tom kam vorhin vorbei und hat mich irgendwie abgelenkt. Wenn du verstehst?“ Verschmitzt grinste sie mich an, worauf ich den blauroten Fleck an ihrem Hals bemerkte. Ich wusste, was das für ein Fleck war und schaute verlegen zur Seite.

„Abby, du solltest mal zu uns rüberkommen. Kai wollte heute Abend auch vorbeischauen, und du weißt ja, er steht tierisch auf dich. Es ist nicht gut, wenn du immer allein in deiner Wohnung hockst und ständig lernst. Also was ist, kommst du?“

Verständnislos sah ich sie an und meinte entnervt: „Linda, ich bin hundemüde. Außerdem möchte ich gerne mein Päckchen aufmachen, wenn eure Hoheit mir dieses erlaubt?“

„Oh, aber natürlich. Du weißt ja, wo wir sind, brauchst nur zu klopfen.“

Ich nahm mein Päckchen, verdrehte etwas die Augen und sagte mit einem gestellten Lächeln: „Na gut, vielleicht komme ich kurz vorbei. Sag bitte Kai einen schönen Gruß von mir. Bis dann, Linda.“ Ich drehte mich um, ging hinüber in meine Wohnung und zog die Tür hastig hinter mir zu. Ich hasste es, wenn Linda immer über mich oder meine Zeit bestimmen wollte.

Ich war doch kein kleines Kind mehr, sondern neunzehn Jahre alt. Zwar kamen wir beide aus einfachen Verhältnissen, aber Linda, die einen Freund hatte, war in dieser Hinsicht selbstsicher und weltoffener.

Auch wenn ich an der hiesigen Uni Geschichte studierte und dadurch ständig unter jungen Menschen war, sah ich mich eher als unerfahrenes Mauerblümchen. Aus diesem Grund wollte ich nicht von Linda verkuppelt werden und schon gar nicht mit diesem blondhaarigen Kai.

Verärgert warf ich meine Jacke und Tasche auf den Wohnzimmertisch, zog meine Schuhe aus und setzte mich mit angezogenen Beinen auf das kleine Sofa. Nun ja, viele Möbel hatte ich weiß Gott nicht. Allerdings hatte ich die Wohnung auch nur für kurze Zeit gemietet. So lange jedenfalls, bis ich endlich mein Studium in mittelalterlicher Geschichte abgeschlossen hatte.

Ein Semester noch, dann hatte ich es endlich geschafft. Mit meinem Examen in der Tasche hätte ich bestimmt eine Chance, in einem Museum oder bei einem dieser Ausgrabungsteams. Andere Länder, weit weg von diesem öden Dasein, das wäre mehr als nur super.

Als Verkäuferin zu arbeiten war nicht das größte Übel, jedoch nur Mittel zum Zweck. Meine Eltern besaßen auf dem Land eine kleine Pension und waren von meinen Leben hier nicht sehr begeistert. Sie hätten alles dafür gegeben, wenn ich bei ihnen in der Pension gearbeitet hätte. Doch ich hatte andere Pläne. Aber was machte ich mir jetzt darüber Gedanken?

Ich schüttelte den Kopf und blickte auf das Päckchen in meiner Hand. Jetzt wollte ich doch mal nachsehen, von wem dieses Päckchen kam und noch dazu aus England… Ich kannte niemanden, der in England wohnte und mir ein Päckchen schicken könnte. Allerdings stand dort eindeutig meine Adresse.

 

Abigayl Matluhn, Hermanstr, Freiburg

Absender: Caitlin W. Anselm Leofwyn, Grafschaft Derbyshire, East Midlands, England

 

Das Päckchen war in braunes Packpapier eingepackt und mit Kordel verschnürt. Es sah eigentlich völlig normal aus. Sollte ich es wirklich öffnen? Man hörte so viel von Briefbomben und anderen Sachen, die äußerst gefährlich waren…

Ach was! Ich hatte weder jemanden verärgert noch etwas bestellt oder sonst irgendeinen Blödsinn angestellt. Vielleicht wurde ja aus Versehen meine Adresse auf dieses Päckchen geschrieben? Was soll´s?

Abrupt stand ich auf und holte mir eine Schere, um nachzusehen, was in dem Päckchen wirklich war. Vorsichtig schnitt ich die Kordel durch, nichts geschah! Langsam wickelte ich das Packpapier ab. Zum Vorschein kam eine kleine hölzerne, dunkelbraune Schachtel, vielmehr eine Art Schatulle. Diese hatte an der Vorderseite einen messingfarbenen Verschluss. Wer schickte mir denn bloß so ein altes Ding? Das konnte doch nur ein Scherz sein!

Bestimmt hatte Linda die Finger damit drin. Allerdings aus England - das würde selbst sie nicht fertigbringen. Andererseits was sollte mir schon passieren? Ich öffnete den Verschluss, riss die Holzschachtel mit einem Ruck auf und blickte mehr als erstaunt hinein.

Ein zusammengefalteter Brief sowie ein Flugticket befanden sich in dieser seltsamen Schatulle. Das war eindeutig ein Scherz. Wer sollte mir ein Flugticket und einen Brief in einer alten Schachtel schicken? Das wäre gewiss auch einfacher gegangen. Jetzt wurde ich aber doch ein wenig neugierig und öffnete den Brief.

 

Liebe Abigayl,

Ich hoffe, ich darf Sie so nennen, da Sie mir einen äußerst freundschaftlichen Dienst erwiesen haben. Sie kennen mich nicht, aber Sie haben vor ungefähr zwei Monaten meine Geldbörse gefunden und diese mit vollständigem Inhalt der hiesigen Polizei übergeben. Diesbezüglich möchte ich mich bei Ihnen erkenntlich zeigen und Sie, Abigayl Matluhn zu meinem Landsitz nach England in East Midland / Grafschaft Derbyshire einladen.

Selbstverständlich übernehme ich sämtliche Reisekosten und die des Aufenthaltes. Mein Chauffeur wird Sie am East Midlands Flugplatz in Empfang nehmen und Sie mit dem Wagen auf mein Landgut bringen. Am Freitag, den 15. Mai wird ein Taxi vor Ihrem Haus auf Sie warten und Sie zum Flughafen bringen.

Falls Sie sich eventuell Sorgen um Ihre Arbeit machen: Dies habe ich vorab schon für Sie geklärt. Ich freue mich außerordentlich, einen so ehrlichen Menschen kennenzulernen, und hoffe, mit Ihnen ein schönes Wochenende zu verbringen.

Mit freundlichem Gruß

Ihre Caitlin W. Anselm Leofwyn

 

Jetzt war ich allerdings mehr als nur sprachlos. Das Portemonnaie hatte ich völlig vergessen. Ich hatte es auf der Straße, bei meinem Nachhauseweg, gefunden und bei der Polizei abgegeben. Zwei ganze Stunden hatte ich damals auf der Polizeiwache verbracht und konnte dadurch mein Lernpensum für diesen Tag nicht mehr bewältigen.

Oh ja, ich konnte mich gut daran erinnern, da der Polizist mir äußerst blöde Fragen stellte und sich noch dazu mit mir verabreden wollte. Irgendwie konnte ich es immer noch nicht fassen, dass diese Geldbörse aus England stammte und ich jetzt dadurch eine Einladung in meiner Hand hielt.

Ich überlegte einen Moment, stellte das Päckchen ab und schnappte mir meinen Haustürschlüssel. Kurz darauf klopfte ich an die Wohnungstür von Linda. Diese riss wie immer die Tür auf und sah mich verwundert an.

„Hast du dir es doch anders überlegt? Toll! Komm doch rein, Kai ist auch gleich da.“ Ich schüttelte den Kopf und meinte etwas verlegen: „Linda, ich muss mit dir reden, allein, in meiner Wohnung. Hast du kurz Zeit?“

Verwirrt sah sie mich mit ihren blauen Augen an und sagte: „Ist irgendetwas passiert? Du wirkst ziemlich aufgeregt. - Tom, ich gehe mal rüber zu Abby! Bin gleich wieder zurück!“ Linda sah mich neugierig an, zog die Tür hinter sich zu und folgte mir schweigend in die Wohnung. Dort sah sie sich um und ließ sich mit Schwung auf mein Sofa fallen.

„Also, was ist los? Du kommst doch sonst nicht zu mir und frägst mich um Rat? Hat das mit dem Päckchen zu tun? Ich wusste gar nicht, dass du jemanden in England kennst. - Sag, kann ich die Marken für Toms Vater haben?“

Ich atmete tief aus und schaute sie nachdenklich an. „Linda. … Ja, es hat etwas mit dem Päckchen zu tun. Außerdem wusste ich auch nicht, dass mich jemand in England kennt. Und natürlich kann Toms Vater die Marken haben.“

Ich setzte mich auf die Armlehne meines Sessels und fuhr fort: „Erinnerst du dich an das Portemonnaie, dass ich vor zwei Monaten gefunden habe? Das Päckchen ist die Antwort darauf. Anscheinend hat dieser Jemand recht viel Kohle und lädt mich zum Wochenende nach England ein.“

Ohne auf sie zu achten redete ich einfach weiter: „Stell dir vor, diese… Moment, wie heißt sie… ach ja, Caitlin. Die Besitzerin des Portemonnaies, die sich Caitlin Leofwyn nennt, möchte mich persönlich kennenlernen. Sie zahlt den Flug, das Taxi und sie lässt mich sogar abholen. Das musst du dir mal reinziehen: Diese Caitlin hat angeblich sogar bei meiner Arbeitsstelle angerufen, damit ich das Wochenende freibekomme. - Also, was soll ich jetzt tun? Fahre ich zu einer wildfremden Frau nach England oder schreibe ich ihr einen Brief, bedanke mich und bleibe hier? Was meinst du, Linda?“

Linda sah mich fassungslos an, gleichzeitig ließ sie die Luft durch die Zähne entweichen und drehte an ihren langen Haaren. Das machte sie immer, wenn sie ratlos war. „Wenn ich das richtig verstehe, hast du eine Einladung für ein Wochenende nach England bekommen.“

Ich nickte, worauf Linda fortfuhr: „Du fragst mich ernsthaft, ob du fahren sollst?!“ Ich biss mir auf die Lippe und wartete gespannt auf ihre Antwort. Doch stattdessen fing Linda, schallend an zu lachen. Was mich ehrlich gesagt noch mehr verunsicherte.

Sie schüttelte ungläubig den Kopf und meinte immer noch lachend: „Mädel, wann bekommt man schon so eine Einladung? Höchstens einmal im Leben, wenn du mich fragst. Mensch, fahr hin, mach dir ein schönes Wochenende. - Vielleicht hat sie ja einen Sohn, der dich heiraten will. Man weiß ja nie, jedenfalls müsstest du dich dann nicht ständig so abrackern. Sie hat das doch schon mit deiner Arbeit geklärt, und dein Studium kannst du ruhig mal ein paar Tage vergessen. Hast du einen gültigen Pass?“ Schweigend nickte ich.

„Also, auf was wartest du noch?! Kannst du mir mal einen Aschenbecher geben? Das regt mich alles so sehr auf.“ Linda kramte in ihrer Hosentasche und zog eine Zigarettenschachtel heraus. Eigentlich herrschte bei mir striktes Rauchverbot, doch diesmal wollte ich nicht so kleinlich sein. Ich setzte mich in den Sessel und starrte auf den Boden.

„Ich bin noch nie geflogen, und in England war ich schon gar nicht. Was, wenn ich die Leute dort nicht verstehe oder mir es bei dieser Caitlin nicht gefällt? Dann sitze ich nämlich in England fest und komme nicht mehr zurück.“

Linda verschluckte sich beinahe an dem Rauch: „Quatsch, du hast nur Schiss zu fliegen. Mensch, das wird toll, du wirst sehen. Wenn irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, rufst du mich einfach an. Dann komme ich mit Tom sofort zu dir oder schicke dir das Geld, damit du zurückfliegen kannst.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach anziehen? Diese Caitlin scheint ja nicht gerade arm zu sein. Ich habe wirklich nichts zum Anziehen, nur das Übliche… Ach nein, ich bleib doch besser hier.“

Resigniert stand ich auf, ging zum Fenster und blickte hinaus. Mittlerweile war es stockdunkel, die Scheinwerfer der hiesigen Autos durchstreiften die Landschaft. Sie sahen aus, wie eine Armee krabbelnder Käfer, die niemals stillstand.

„Ich leihe dir meinen Hosenanzug, den habe ich mir für die Beerdigung meiner Tante Tessi gekauft. So was ist immer schick. Komm, lass uns deine Sachen packen. Und morgen früh sehe ich dich in dieses Taxi steigen. Wag es ja nicht, zu kneifen! - Ich möchte ein schönes Souvenir aus England, verstanden? Komm schlag ein, Abby.“ Zögerlich hob ich meine Hand, worauf sie mit Schwung darauf schlug. „Abgemacht!“

 

***

 

Jemand klopfte energisch an die Tür und rief: „Linda, bist du da?! Was macht ihr beide denn da so lange?! Kai ist gerade gekommen und der Film fängt jetzt an! Kommst du?!“ Linda sprang von dem Sofa, riss die Tür auf und gab Tom, bevor er irgendetwas anderes sagen konnte, einen Kuss auf den Mund. Tom vertiefte seinen Kuss immer mehr. Als ich mich jedoch lautstark räusperte, grinste er mich verschmitzt an.

„Hallo Abby, magst du nicht mit rüberkommen? Wie du gehört hast ist Kai auch da. Wir wollten uns einen neuen Actionfilm ansehen. Es gibt auch etwas zu essen. Und, was ist? Hast du Lust?“

Linda ließ ihren Freund los und sah ihn mit verliebtem Blick an. Dann atmete sie laut aus und sagte: „Geh schon mal zu Kai. Ich helfe Abby noch beim Packen. Sie fliegt morgen früh übers Wochenende nach England.“

Erstaunt sah er seine Freundin an. „Abby, fliegt nach England?! Hast du mir überhaupt nicht erzählt. Fliegst du allein oder hast du endlich einen Freund, der dich begleitet?“

Ich wurde bei seinen Worten feuerrot, doch Linda übernahm stattdessen meine Antwort: „Hau ab! Du siehst doch, wie verlegen du Abby machst. Mach dich rüber zu Kai und fangt schon einmal mit dem Film an, ich komme so schnell wie möglich nach. – Los, verschwinde!“

Sie lächelte Tom an, schob ihn energisch aus der Tür und schloss sie hinter ihm. „Männer! Immer einen dummen Spruch auf Lager. Tut mir leid, aber Tom hat recht, es ist ungesund, so lange keinen Freund zu haben. Ich spreche da aus Erfahrung.“

Ich nickte ihr zu, obwohl ich keine Ahnung von alldem hatte. Mich hatte noch kein junger Mann so fasziniert, dass ich gewisse Erfahrungen machen wollte. Allerdings würde ich, dass Linda bestimmt nicht auf die Nase binden. Das wäre ein gefundenes Fressen für Tom. Der würde mich die ganze Zeit damit aufziehen, und ich wusste nicht, was schlimmer war: die ständigen Sticheleien oder diese Reise nach England.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel II - Ankunft

 

Ich hatte mir einen Flughafen viel chaotischer und lauter vorgestellt. Vielleicht lag es auch an dieser frühen Uhrzeit, dass ich es anders empfand: Es war erst sechs Uhr am Morgen. In zwei Stunden ging mein Flieger. Langsam schleppte ich mich zu dem besagten Schalter und wurde immer nervöser.

Eine gut aussehende, freundlich lächelnde Frau begrüßte mich: „Britisch Airways, guten Morgen. - Miss Matluhn, Ihr Ticket ist für die 1. Klasse gebucht. Würden Sie bitte meinen Kollegen in die Räumlichkeiten der 1. Klasse folgen?“

Ich schaute sie etwas erstaunt an: So zuvorkommend hatte mich noch niemand behandelt, aber mit dem nötigen Kleingeld war wohl alles möglich. Ich nickte und folgte schweigsam dem netten uniformierten jungen Mann.

„Miss Matluhn, möchten Sie, ein Glas Sekt oder sonst etwas anderes trinken?“

„Ich nehme ein Glas Sekt. Vielen Dank.“ Vielleicht würde meine innere Unruhe dadurch etwas geringer, dachte ich mir ins Geheim. Wenn mich meine Eltern hier so sehen könnten, würden sie mir bestimmt eine Moralpredigt über Alkohol und fremden Einladungen halten. Aber zu meinem Glück wussten sie nichts von dem Kurzurlaub, und das war auch gut so.

Nach einer Weile füllten sich die Räume mit immer mehr Menschen und plötzlich wurde mein Flug aufgerufen. Jetzt war es so weit: Mein erster Flug in ein fremdes Land, und ich musste mir eingestehen, ich hatte wirklich etwas Angst vor dem Ungewissen.

Als ich meinen Sitzplatz eingenommen hatte und angeschnallt war, startete das Flugzeug kurze Zeit später. Im ersten Moment dachte ich, meine Ohren würden platzen, doch nach ein paar Minuten, hatte ich auch das überwunden.

Nach einem weiteren Glas Sekt und etwas Obst freute ich mich regelrecht auf England. Was würde mich dort erwarten? Würden sie enttäuscht von mir sein oder doch eher arrogant und überheblich? Doch was mutmaßte ich hier herum, ich musste es auf mich zukommen lassen. Vielleicht hatte Linda diesbezüglich recht und es würde ein Märchenprinz auf mich warten. Nachdem mir irgendwann die Augen zugefallen waren, weckte mich plötzlich die Stewardess, um mir mitzuteilen, dass wir in Kürze landen würden.

 

***

 

England! Das erste fremde Land, dass ich mit einem Flugzeug bereist hatte und noch dazu völlig allein. - Eigentlich ein historischer Moment in meinem Leben. Nachdem ich ausgecheckt und mein Gepäck gefunden hatte, war ich endlich in der Ausgangshalle angelangt.

Sofort begannen meine Augen nach einem Schild, mit meinem Namen zu suchen. Und tatsächlich: Dort, an einer der Ausgangstüren, stand ein groß gewachsener Mann. Kurze dunkle Haare, mit schwarzem Anzug und Sonnenbrille. Eigentlich sah er aus, wie ein Bodyguard in diesen Hollywoodfilmen. Er hielt eine Tafel mit meinem Namen vor sich und blickte wortlos in die Menge, der ankommenden Menschen.

Ich atmete tief aus, schritt mutig auf ihn zu und räusperte mich lautstark in seiner Nähe. Mit meinem etwas holprigen Englisch sprach ich ihn dann an: „Guten Morgen, ich bin Abigayl Matluhn aus Deutschland.“

Ein leichtes Grinsen huschte über sein Gesicht, was jedoch sofort wieder verschwand. Erschrocken sah ich ihn an. Hatte ich etwas Falsches gesagt? „Guten Morgen, Miss Matluhn. Sie können sich selbstverständlich mit mir in Deutsch unterhalten oder ziehen Sie die hiesige Landessprache vor?“ Ich war sichtlich erleichtert. Wenigstens einer konnte in diesem Land meine Sprache verstehen, das vereinfachte mir manches.

„Wenn wir uns weiterhin in meiner Landessprache unterhalten könnten, wäre ich Ihnen äußerst dankbar. “

Er nickte und nahm mir meine Reisetasche ohne ein weiteres Wort aus der Hand. Gleichzeitig hielt er mir die Tür des Ausgangs auf, sodass wir kurz danach vor dem Flughafengebäude standen. Vor uns befanden sich eine Anzahl von schwarzen Limousinen, wie auch normaler Wagen.

Dieser Bodyguard, der meine Tasche trug, ging auf eine schwarze Limousine zu, öffnete den Kofferraum und legte meine Reisetasche hinein. Nachdem er den Kofferraum geschlossen hatte, öffnete er die hintere Beifahrertür. Er sah mich an und meinte höflich: „Würden Sie bitte Platz nehmen, Miss Matluhn? Wir werden in etwa einer Stunde auf dem Landgut eintreffen. Wenn Sie etwas zutrinken möchten - die Getränkebar befindet sich direkt vor Ihnen. Sie müssen nur den Knopf betätigen.“

Ich nickte und stieg wortlos in die Limousine. Im Inneren roch es nach Leder, mit dem die Sitze bezogen waren. Der Fahrer stieg schweigend ein, und sogleich setzte sich der Wagen in Bewegung.

„Entschuldigung, würden Sie mir vielleicht Ihren Namen verraten? Das würde vieles erleichtern, finden Sie nicht auch?“, gab ich dem Fahrer lächelnd zu verstehen. Er schwieg jedoch, obwohl er durch den Rückspiegel mich kurz ansah. Super! Das würde eine sehr langweilige Fahrt zum Landgut werden.

Ich beschloss, eine Flasche Wasser zu trinken. Das konnte ja wohl nicht so schwer sein, es war ja nur ein Knopf zu drücken. Allerdings wurde es doch schwieriger, als ich dachte, denn es gab vier Knöpfe, allesamt in der gleichen Farbe.

Ich entschied von oben nach unten zugehen, was sich allerdings als Fehler herausstellte: Der erste Knopf war für die undurchsichtige Trennscheibe zwischen Fahrer und Gast zuständig. Okay, dann blieb die Scheibe eben oben.

Der zweite Knopf war für die Außenscheiben gedacht, was ich schnellstmöglich wieder ändern musste, da es am Regnen war. In diesem Moment überholte uns ein Wagen und das aufkommende Spritzwasser drang durch das offene Fenster. Verzweifelt versuchte ich das Fenster wieder zuschließen, jedoch war ich inzwischen so nass, das selbst meine rotblonden, langen Haare tropften.

Der dritte Knopf öffnete wieder die Trennwand, worauf mich der Fahrer im Spiegel ziemlich erstaunt ansah. Ich konnte jedoch erkennen, dass er ein Schmunzeln unterdrückte.

„Es ist sehr amüsant, wenn ein Fahrgast nicht im Bilde ist, welcher Knopf für die Getränke vorgesehen ist, nicht wahr? Ich gehe wohl richtig in der Annahme, dass sich diese, tatsächlich hinter dem vierten Knopf verbergen?“, äußerte ich ein wenig zickig.

Der Fahrer nickte unmerklich und ich drückte den letzten und somit vierten Knopf. Endlich öffnete sich die Bar und ich entnahm ihr eine kleine Flasche Wasser, schraubte sie auf und trank sie gierig aus. „Es wären auch Gläser vorhanden gewesen, Miss Matluhn“, sagte der Fahrer daraufhin.

„Nein danke, mein Bedarf an Experimenten ist völlig erschöpft, ich bleibe bei der Flasche. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie irgendwo anhalten könnten und mir meine Tasche aus dem Kofferraum holen, damit ich mich kämmen und abtrocknen kann.“

„Miss, es regnet in Strömen, falls Sie das nicht bemerkt haben“, sagte er etwas vorwurfsvoll und verlangsamte die Fahrt.

Ich sah ihn verärgert über den Spiegel an. „Dessen bin ich mir vollkommen bewusst, da ich das kleine Problem mit den Fenstern schon hatte. Bevor ich mich nicht abgetrocknet habe, werde ich nicht aus diesem Wagen steigen.“

Mittlerweile hielten wir und der Regen prasselte geräuschvoll auf das Wagendach. Jedoch machte keiner von uns irgendwelche Versuche, auszusteigen. Der Fahrer wurde unruhig und schaute auf seine Uhr.

„Miss, wir können nicht die ganze Zeit hier stehen bleiben und auf besseres Wetter warten. Ansonsten bekommen wir vielleicht noch Scherereien mit der Polizei. Außerdem werden wir von Ihrer Gastgeberin erwartet. Seien Sie doch bitte vernünftig, es ist nicht mehr weit. Dort können Sie sich im Haus wieder abtrocknen und zurechtmachen.“

Ich atmete tief aus und sah ihn nachdenklich an. „Haben Sie vielleicht einen Kamm, den Sie mir leihen könnten?“ Angriffslustig wartete ich auf seine Antwort. Er stöhnte, griff in seine Seitentasche und reichte mir schweigend einen Kamm nach hinten. Dankbar nahm ich ihn und versuchte, mein zerzaustes Haar damit durchzukämmen.

Allerdings gelang mir das nur einen kurzen Augenblick, da der Kamm plötzlich in der Mitte durchbrach und der Fahrer mich erneut verärgert ansah. Kleinlaut sagte ich: „Sie können eine Seite von Ihrem Kamm wieder in Ihre Jackentasche stecken, mir genügt die andere Hälfte.“

Er drehte sich zu mir um und seine Augen funkelten wütend. Rasch lenkte ich ein: „Tut mir außerordentlich leid um Ihren Kamm, ich werde Ihnen selbstverständlich einen neuen besorgen. Das habe ich wirklich nicht mit Absicht getan. - Nun sein Sie doch nicht sauer. Wenn Sie möchten, können Sie jetzt weiterfahren. Aber schließen Sie bitte für einen Moment die Trennwand?“

Ohne ein weiteres Wort schloss er die undurchsichtige Trennwand und der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Schnell zog ich meine nasse Bluse aus und legte sie auf die Rückbank. Ich strich sie vorsichtig glatt, damit das Wasser aus dem Stoff entweichen konnte und zog sie wieder an. Dann kämmte ich meine Haare mit dem halben Kamm und band sie mit einem Haargummi zusammen, was ich in meiner Tasche fand. Fast zeitgleich kam der Wagen zum Stehen. Die Trennscheibe glitt herunter und der Fahrer blickte mich durch den Rückspiegel an.

„Wir sind angekommen, Miss Matluhn.“

„Was meinen Sie, kann ich so gehen?“ Der Fahrer stieg schmunzelnd aus, worauf er die hintere Beifahrertür öffnete.

Neugierig sah ich in Richtung des Gebäudes. Ich hatte mir dieses Landgut etwas kleiner vorgestellt, eher wie einen Bungalow oder ein größeres Familienhaus mit Garten, aber das hier übertraf all meine Vorstellungen.

Ich glaubte fast, mich vor einer dieser Hollywoodkulissen zu befinden, in der das arme Mädchen auf einen reichen Grafen oder Baron trifft. Das Haus war gigantisch! Mindestens zwanzig Fenster oder mehr konnte ich erkennen, und einen riesigen Garten, den diese Leute garantiert nicht selber bearbeiteten.

Was sollte ich hier? Ich fühlte mich ja jetzt schon völlig fehl am Platz. Wieso hatte ich diese verdammte Einladung nur angenommen?! Die Stimme des Fahrers riss mich in die Gegenwart zurück.

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Miss Matluhn? Fehlt Ihnen etwas?“ Der Fahrer sah mich ein wenig irritiert an und wartete.

Schüchtern sagte ich: „Wenn ich Sie jetzt bitte, mich zurückzufahren, würden Sie das für mich tun?“

Er antwortete amüsiert: „Ohne meinen Kamm? - Mrs. Leofwyn ist ein sehr netter Mensch. Ich glaube, Sie wäre enttäuscht, wenn Sie vor Ihr davonlaufen würden. Nur Mut seinen Sie nur Sie selbst, dann brauchen Sie keine Angst zu haben.“

Ich atmete tief ein und aus und sagte laut: „Wer hat hier Angst? Ich sehe keinen! Verraten Sie mir trotzdem Ihren Namen, falls ich Sie brauche, weil ich schnell von hier verschwinden möchte?“

Der Mann verkniff sich ein Lachen und reichte mir seine Hand, damit ich aussteigen konnte. „Viktor! Nennen Sie mich Viktor.“ Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein großer Mann mit dunkelblonden Haaren neben den Wagen trat.

„Viktor, da sind Sie ja endlich! Wieso hat das so lange gedauert?! Wir warten schon seit einer viertel Stunde?“ Ich sah Viktor etwas verwirrt an. Sofort wurde mir klar, dass es wahrscheinlich Ärger geben würde, und stieg langsam aus der Limousine.

„Ich danke Ihnen, Viktor.“ Ich setzte ein gestelltes Lächeln auf und ging gleichzeitig auf den großen Mann zu. „Guten Tag, ich bin Abigayl Matluhn. Ihren Fahrer trifft keinerlei Schuld. Ich habe ihn gebeten, einen Moment anzuhalten, um mich zurechtzumachen. Allerdings war mir nicht bewusst, dass Sie so dringlich auf mich warten. Wie war noch mal Ihr Name oder darf ich den nicht erfahren?“ Ich räusperte mich und sah umgehend in eine andere Richtung, als ich seinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte.

Er hüstelte ein wenig und meinte fast tonlos: „Mein Name ist Finlay Leofwyn. Caitlin Leofwyn ist meine Mutter. Mir ist es ehrlich gesagt immer noch ein Rätsel, warum sie Sie unbedingt persönlich kennenlernen wollte. Ein Brief hätte dies ebenso getan, aber jetzt sind Sie nun einmal da, dementsprechend also: Willkommen in England.“

Finlay Leofwyn musterte mich von oben bis unten. Schließlich wand er sich an den Fahrer: „Viktor, bringen Sie Miss Matluhns Gepäck sowie Sie selbst auf Ihr Zimmer.“ Er sah mich herablassend, wenn nicht gar äußerst arrogant an.

„Ich hoffe, Sie haben noch standesgemäße Kleidung in Ihrem Koffer, solche armselige mädchenhafte Kleidung trägt man hier keinesfalls. - Haben Sie mit Ihrer Kleidung geduscht oder tragen Sie diese immer so zerknautscht?“

Ich sah ihn mit offenem Mund an. Was bildete sich dieser aufgeblasene Möchtegern eigentlich ein? Aufgebracht zog ich die Luft durch den noch offenen Mund und sagte zickig: „Falls Sie es nicht wissen, Mister Leofwyn, das ist der letzte Schrei aus Paris! Und nun entschuldigen Sie mich bitte, vielleicht finde ich etwas Altmodisches für Ihren Geschmack.“

Er schnappte hörbar nach Luft und drehte sich dem Fahrer zu: „Viktor, bringen Sie sofort Miss Matluhn auf Ihr Zimmer und später in den Salon.“ Entrüstet sah mich Finlay Leofwyn an und ging mit großen Schritten in Richtung Haus.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel III - Caitlin

 

Völlig aufgebracht ließ ich mich auf das Bett fallen. Was für ein arroganter Snob. Verdammt, warum bin ich nicht zu Hause geblieben? Ich war bestimmt nicht hierhergekommen, um mich von einem aufgeblasenen Widerling beleidigen zulassen. Außerdem hatte mich seine Mutter eingeladen und nicht ihr Sohn.

Ich packte erst einmal aus, nahm eine warme Dusche und entschied mich anschließend für Lindas Hosenanzug sowie eine weiße Bluse. Meine rotblonden Haare hatte ich locker hochgesteckt, wobei ich ein paar Strähnen herauszog, noch etwas Lippgloss. Fertig. So, das sollte für Mister: Ach ich bin doch etwas Besseres, vollkommen reichen.

Entschlossen machte ich die Zimmertür auf und sah mich um. Nun ja, Geschmack hatten sie, das musste man ihnen lassen. Der Flur war mit teuren Teppichen ausgelegt und an den Wänden hingen Gemälde von Frauen und Männern. Wahrscheinlich eine sogenannte Ahnenreihe, wie man diese oft in solchen Häusern sah. Eins von diesen Gemälden und ich könnte zu Hause ein Jahr mietfrei wohnen.

Langsam ging ich durch den Korridor. Der Teppichboden schluckte jedes erdenkliche Geräusch und von den Wänden starrten mich fremde Gesichter an. Echt gruselig auf die Dauer. Da bekam man ja eine Gänsehaut.

Endlich hatte ich diesen finstern Flur hinter mir gelassen und erreichte eine verwinkelte Treppe, die nach unten führte. Wieder Bilder mit fremden Gesichtern. Mein Gott, hier wollte ich als Kind auch nicht gewohnt haben. Wenn diese Bilder mich schon als Erwachsene dermaßen erschreckten, wie würde da ein Kind erst reagieren?

Ich sah über das Treppengeländer und war ein wenig verwirrt. Anscheinend war dies ein ganz anderer Weg, als den ich vorher gekommen war. Okay, irgendwo musste dieser Gang ja hinführen. Ich öffnete eine Tür und stand in einem weiteren Flur, doch diesmal ohne jegliche Bilder.

Plötzlich hörte ich Stimmen, aber ich konnte sie nicht im Geringsten zuordnen. Wie auch, ich kannte hier ja niemanden? Also ging ich langsam auf die zwei Holztüren am Ende des Flurs zu. Ich lauschte an einer, von dort kamen also die Stimmen. Vielleicht konnten sie mir ja weiterhelfen? Ich klopfte leise an einer der Türen, worauf augenblicklich das Stimmengewirr verstummte und jemand die Tür öffnete.

Ich schaute in ein erstauntes Gesicht einer älteren Frau, die mich mit wachsamen Augen musterte. „Miss?“

„Oh, Entschuldigung, ich bin Abigayl Matluhn. Ich habe mich ein wenig verlaufen und ich würde…“

„Miss Matluhn? - Jasmin!“ Aufgeregt kam ein junges Mädchen mit Kittelschürze zu ihr. Jedoch mein Englisch war so miserabel, dass ich keine Ahnung hatte, worüber sie eigentlich sprachen. Allerdings vernahm ich das Wort Viktor, worauf ich erleichtert ausatmete.

Sehr gut, der konnte deutsch sprechen und würde mir bestimmt helfen. Das Mädchen verließ eilig den Raum und ich sah mich etwas um. Anscheinend war ich in der Küche gelandet, überall standen dampfende Töpfe und Schüsseln. An dem Tisch in der Mitte des Raumes, saß ein älterer Mann und schälte in aller Seelenruhe Kartoffeln. Die ältere Frau sagte irgendetwas zu ihm, daraufhin lächelte er mir freundlich zu und wies auf einen Stuhl. Ehe ich mich versah, stellte man mir eine Tasse Tee und einen Teller mit Gebäck auf den Tisch.

Mit einem freundlichen „For you, Miss“, ging sie wieder an die dampfenden Töpfe und unterhielt sich ungezwungen mit dem Mann, als wäre ich nicht vorhanden.

Das war ja mehr als blöd; da hockte ich in einer Küche in England und verstand nur die Hälfte von dem, was die Leute so sagten. Ich sollte umgehend mein Englisch etwas auffrischen.

Ich trank vorsichtig an der Tasse. Mh… lecker und die Kekse erst. Die Tür ging auf, worauf ich Viktors erstauntes Gesicht erblickte. Erleichterung machte sich in mir breit, endlich kam jemand, der mich wirklich verstand.

„Miss Matluhn? Wieso haben Sie mich nicht mit dem Haustelefon angerufen? Hier im Haus kann man sich sehr schnell verlaufen. - Sir Leofwyn hat bereits nach Ihnen gefragt. Wir sollten uns unverzüglich in den Blauen Salon begeben.“

Bei diesem Namen verschluckte ich mich beinahe. Schon wieder dieser Mann mit seiner Antipathie gegen mich. Was hatte er eigentlich an mir auszusetzen? - Ich bedankte mich lächelnd bei der älteren Frau und verließ mit Viktor die Küche.

„Sir Leofwyn schätzt es überhaupt nicht, wenn man unpünktlich ist.“

Ich sah ihn verwundert an. „Zu was unpünktlich? Ich wusste nicht das es ein Programm gibt.“ Er grinste und meinte daraufhin: „Mrs. Leofwyn und Ihr Sohn möchten Sie im Blauen Salon willkommen heißen. Das ist hier so Tradition.“

Ich nickte und folgte ihm schweigend. „Miss Matluhn, ich wollte mich noch bei Ihnen bedanken. Ich meine, Ihre Darstellung von unserer Verspätung. “

„Kein Problem, Viktor. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn sich manche Menschen, wie Sir Leofwyn sich derartig aufspielen, als wären Sie etwas Besseres. Aber sagen Sie ihm das bloß nicht. Ich meine, dieser Finlay Leofwyn hat sowieso keine besonders gute Meinung über mich.“

Er nickte wortlos. Urplötzlich blieb Viktor vor einer Tür stehen, klopfte und öffnete diese. „Madam! Miss Matluhn!“

Ich trat ein und befand mich in einem großen Raum mit einer altmodischen, jedoch geschmackvollen Einrichtung. Nun ja, dies war ein altes Haus, obendrein befand ich mich hier in England. Was wusste ich schon von den Gepflogenheiten dieser Leute? Vielleicht sollte ich mich ein wenig mit meinem Sarkasmus zurückhalten?

Sir Leofwyn stand an einem übergroßen Fenster und drehte sich in unsere Richtung. Augenblicklich erhob sich eine adrett gekleidete ältere Frau aus einem Sessel und kam auf mich zu.

„Miss Matluhn. Ich bin Caitlin Leofwyn. Wir freuen uns außerordentlich, Sie hier in England begrüßen zu dürfen. Hatten Sie eine angenehme Reise?“ Ich war sichtlich erstaunt, dass die freundliche Dame mich in Deutsch begrüßte.

„Darf ich Ihnen meinen Sohn Finlay vorstellen? Er hatte allerdings die Vorstellung, ein Brief hätte dies ebenso getan. Dagegen wollte ich die Person persönlich kennenlernen, die so selbstlos war und meine Geldbörse, mit dem gesamten Inhalt, an die Polizei übergab. Waren Sie schon einmal in England? Wie gefällt Ihnen das Land?“

„Mutter, lass Miss Matluhn doch einmal zu Wort kommen. Außerdem beherrscht Sie noch nicht einmal unsere Landessprache richtig.“ Ich sah ihn abschätzend sowie überrascht an. Der hohe Herr konnte also auch deutsch sprechen und ließ sich tatsächlich herab, in dieser Sprache mit seiner Mutter zureden. Wahrscheinlich wollte er mich mit seiner Äußerung noch mehr demütigen.

Wütend schaute ich diesen arroganten Snob an, verbiss mir allerdings einen Kommentar. Höflich wand ich mich an seine Mutter: „Mrs. Leofwyn vielen Dank für Ihre Einladung. Ich war noch nie in England, doch das Land scheint interessant zu sein. Ihren äußerst charmanten Sohn habe ich bereits bei meiner Ankunft kennengelernt.“ Ich grinste ihn mehr als angriffslustig an, worauf mich die Gastgeberin erstaunt ansah.

„Nennen Sie mich doch Caitlin, wir müssen nicht so förmlich sein. Darf ich Sie vielleicht, Abby nennen?“ Ich nickte lächelnd, gleichzeitig reichte sie mir ein Glas Sekt. Nein ich vergaß, bei den Reichen nannte man dieses Champagner. Keinen billigen Sekt, wie ich ihn manchmal zu Hause mit Linda trank.

„Einen Toast auf unseren Gast, Abigayl Matluhn sowie einem interessanten Wochenende.“ Wir prosteten uns zu und tranken den Champagner, der übrigens hervorragend schmeckte.

„Abby, lassen Sie uns dort zum Fenster setzen. Finlay wolltest du nicht nach den Stallungen sehen? Diese Art von Gespräch würden dich sowieso langweilen.“

Er atmete tief aus, leerte sein Glas und stellte es auf den nahestehenden Tisch. „Wie du möchtest Mutter… Miss Matluhn.“

„Sei nicht so steif, Finlay. Abby und ich werden uns sicher prächtig unterhalten.“ Er verdrehte seine blaugrauen Augen und murmelte etwas Unverständliches. Caitlin war sicher nicht bewusst, dass ihr Sohn mich am liebsten wieder in das nächste Flugzeug gesetzt hätte. Jedoch wollte ich ihr dieses nicht im Augenblick mitteilen.

Finlay drehte sich kommentarlos um, gleichzeitig rief er beim Verlassen des Raumes Viktors Namen. Wahrscheinlich musste dieser jetzt seine überaus schlechte Laune ertragen.

Caitlin sah ihrem Sohn kopfschüttelnd nach. „Sie müssen entschuldigen. Finlay war sehr lange auf der Militärakademie und sieht dadurch alles, was nicht aus England stammt, eher etwas skeptisch. Leider kommt er in diesem Punkt ganz nach meinem verstorbenen Mann. Obwohl wir selbst Verwandte in Deutschland, Spanien und anderen Ländern haben. - Nun aber zu Ihnen Abby. Was machen Sie in Deutschland?“

Ich sah sie lächelnd an, worauf ich zu erzählen begann. Die Zeit verging wie im Flug. Wir redeten über meine Arbeit, über mein Studium, das ich in einem halben Jahr beendet hatte und meine weiteren Zukunftspläne. Sie dagegen verriet mir, das Finley bei Frauen äußerst vorsichtig war. Wahrscheinlich, hatte ihn irgendjemand einmal sehr gravierend verletzt und war deshalb so abweisend zu Frauen.

Die Familie Leofwyn hatten verschiedene Firmen in England, Schottland, ja, sogar in Deutschland. Was mich doch ein wenig erstaunte, da ich noch niemals etwas von ihren Firmen gehört hatte. Außerdem besaßen sie zahllose Pferde, die offensichtlich Finlays Leidenschaft waren. Doch diese Art der Leidenschaft teilte ich nicht mit ihm, ich brauchte keine Pferde.

Nach einer Weile sah sie auf die Uhr und meinte erstaunt: „Wie die Zeit vergeht. Wir sollten uns zum Dinner umziehen. Meinen Sie nicht auch meine Liebe?“ Ich schaute sie mehr als nur erschrocken an. Umziehen? Was sollte ich denn anziehen? Gewiss nicht eine meiner Jeans. Verlegen biss ich mir auf die Lippen und sagte kleinlaut: „Ich habe leider nicht so viel Kleidung dabei.“

„Oh, das macht nichts Kindchen. Wir sehen mal, was aus meinem Kleiderschrank dir passt.“ Sie drückte auf die Tastatur ihres Haustelefons, worauf sie entsprechende Anweisungen gab. „Jasmin, würdest du dich bitte umgehend in den Blauen Salon begeben.“ Ich sah sie ein wenig verwirrt an, doch Caitlin lächelte nur.

„Jasmin ist die Tochter eines Freundes. Da ihre Mutter vor sehr langer Zeit verstorben ist, haben wir sie bei uns aufgenommen. Dadurch kann ihr Vater weiterhin seinen Geschäften nachgehen, allerdings besucht er sie nur jedes halbe Jahr.“

Die Tür ging auf und das Mädchen, was ich in der Küche gesehen hatte, stand vor uns. Sie hatte ihre braunen, langen Haare zu einem Zopf geflochten und lächelte mir freundlich zu.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel IV - Dinner

 

„Perfekt! Abby, du siehst hinreißend aus. Finlay wird ganz begeistert sein.“ Caitlin klatschte wie ein übermütiges Kind in die Hände. „Caitlin, ich weiß nicht. Finden Sie es nicht ein wenig zu gewagt? Ich meine, man kann ja fast meinen Busen sehen?“ Verlegen blickte ich in den riesigen Spiegel in Caitlins Ankleidezimmer.

Sie hatte mich in ein langes, taillenbetontes Kleid mit sehr tiefem Dekolleté gesteckt und lachte amüsiert. „Kindchen, ich glaube, du bist dir gar nicht deiner Schönheit bewusst. Das sollten wir schnellstmöglich ändern. Nun komm, Finlay wartet nicht gern, noch so eine Eigenart von ihm.“

Wir gingen langsam die Treppe zum Erdgeschoss hinunter und betraten das Speisezimmer, eher gesagt einen Saal. Der Raum war mit kostbaren Wandteppichen sowie wirklich teuren Möbelstücken überseht. Allerdings dominierend war die riesige Tafel mit allerlei Gläsern sowie Bestecken. Hoffentlich brachte ich die Reihenfolge des Bestecks nicht durcheinander. Das wäre mehr als peinlich, zugleich ein gefundenes Fressen für Caitlins Sohn.

Dieser stand mit dem Rücken uns zugewandt, an einer Bar.

„Mutter, möchtest du ein Glas Sherry vor dem Essen?“ Das erstaunte mich jetzt doch, er konnte sogar höflich fragen. Wahrscheinlich tat er das nur bei seiner Mutter.

Finlay drehte sich um, sah mich und weitete für einen kurzen Moment seine Augen. Augenblicklich ließ er sein Glas fallen, worauf seine Mutter amüsiert lächelte. Finlay schob mit dem Fuß, leicht fluchend, die Scherben beiseite und rief mit dem Haustelefon einen der Bediensteten herbei.

Caitlin meinte daraufhin schmunzelnd: „ Ein Aperitif? Gerne, wenn du die Gläser dabei ganz lässt. Abby, möchte gewiss ebenfalls einen Sherry. - Abby komm, ich möchte dir ein Bild von meinem verstorbenen Mann, Finlays Vater zeigen.“

Finlay blickte seine Mutter verwundert an. „Ich glaube nicht das Abigayl dies wirklich interessiert. Unsere Familienchronik ist bei Weitem nicht so aufregend, wie andere.“

Seine Mutter schaute ihn an und sagte unbeeindruckt von seiner Miene: „Finlay, wieso sollte dies Abby nicht interessieren? Ihr Urahne, war ebenfalls ein Engländer.“

Fast tonlos meinte jedoch Finlay daraufhin: „Ja, das der Trödler und Kaufleute.“

Er kam in unsere Richtung und reichte wortlos uns die kleinen Sherry Gläser. Ich erwiderte kein Wort über seine Bemerkung und nahm mit zittrigen Fingern das kleine Sherry Glas. Lächelnd prostete ich Caitlin zu und nahm einen kleinen Schluck. Der Sherry war äußerst köstlich. Allerdings musste ich jetzt aufpassen, dass ich keinen Schwips bekam.

Anscheinend tranken die Engländer bei jeder noch so kleinen Gelegenheit. Was ich ehrlich nicht ganz nachvollziehen konnte. Nach einer Weile gingen wir zu einem prunkvollen gedeckten Tisch oder in diesem Fall; einer Tafel. Das Abendessen schmeckte hervorragend, nun ja, sie hatten ja auch eine Köchin. Ach ich vergaß, die Engländer sagten ja Dinner dazu.

Zu meinem Glück verlief dieses Dinner reibungslos. Keinerlei Verwechslungen mit dem Besteck oder verschiedenen Gläsern. Jedoch gab es wieder Wein und zum Überfluss auch noch verschiedenen. Jetzt wurde es mir langsam schummerig. Als ich dankend das nächste Glas Wein ablehnte, stattdessen ein Glas Wasser verlangte, sah mich Caitlin besorgt an.

„Kindchen, geht es dir nicht gut? Du bist ja leichenblass. Vielleicht sollten wir den Sherry auf der Terrasse zu uns nehmen? Finlay, könntest du bitte Abby nach draußen begleiten?“

Doch ich winkte trotzig ab. Fast tonlos sagte ich: „Das schaffe ich noch gut allein.“

Daraufhin stand ich auf, jedoch musste ich mich an der Stuhllehne festhalten. Ein leichter Schwindel überfiel mich, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zulassen. Vorsichtig trat ich einen Schritt nach vorn, doch da passierte es.

Mein Kleid verhedderte sich irgendwie in dem Stuhlbein, dadurch kam ins Stolpern und fiel unsanft mit dem Kopf auf den Boden. Doch den Schmerz spürte ich kaum, selbst die Stimmen verschwanden.

 

***

 

Irgendwann hörte ich ein Flüstern: „Mutter, so beruhig dich doch. Es fehlt ihr nichts. Na gut, bis auf die Beule am Kopf. Ich glaube, sie hat einfach zu viel getrunken und zu wenig gegessen, das ist alles. Falls es ihr morgen früh immer noch nicht besser geht, sollten wir Doktor Miller benachrichtigen. Mutter, du kannst beruhigt ins Bett gehen. Ich werde bei ihr bleiben und nach ihr sehen. Falls sich irgendeine Veränderung ergibt, werde ich dich umgehend wecken.“

Stille. Außer dem Ticken einer Uhr und das Knistern des Holzes vernahm ich nichts. Wahrscheinlich war ich wieder eingeschlafen und träumte das alles nur. Wer sollte mir auch schon, einer Unbekannten, eine Reise nach England schenken? Das war doch vollkommen absurd.

Vorsichtig öffnete ich meine Augen und erschrak lautstark. Ich sah in die braunen Augen eines grauhaarigen alten Mannes, worauf dieser mich beruhigend anlächelte. Sofort versuchte ich mich aufzurichten, doch er hielt mich zurück.

„Sachte, Miss Matluhn. Ich bin James Miller der Hausarzt von Mrs. Leofwyn. Sie sollten vorläufig noch liegenbleiben. Sie haben sich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen. Wissen Sie, wo Sie sich befinden und wer Sie sind?“

Ich starrte auf den Stuck der verzierten Decke und atmete tief aus: „Ich heiße Abigayl Matluhn, bin neunzehn Jahre alt und lebe in Deutschland.“

Er nickte wiederum zufrieden, worauf er mir, eine Tablette und ein Glas Wasser reichte. „Wissen Sie noch, was passiert ist?“ Nach kurzem Überlegen sagte ich dann etwas resigniert: „Ich glaube, ich bin gestürzt. Mir wurde auf einmal schwindelig, aber an mehr kann ich mich ehrlich gesagt nicht erinnern.“

Doktor Miller nickte abermals. „So weit, so gut. In ein paar Tagen sind Sie wieder munter.“ Ich schreckte augenblicklich hoch, allerdings ließ ich mich genauso schnell wieder fallen. Dieser Schmerz in Kopf, raubte mir für einen kurzen Moment die Luft zum Atem. „Ich kann hier nicht untätig liegenbleiben, ich muss zurück nach Deutschland. Dort wartet meine Arbeit und mein Studium auf mich.“

Urplötzlich kam eine Stimme aus dem Hintergrund: „Die müssen wohl oder übel auf dich verzichten. In der nächsten Zeit auf jeden Fall. - Kindchen, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Caitlin kam auf das Bett zu und reichte dem Doktor die Hand.

„Vielen Dank James, für deine Mühe.“ Er strahlte über sein ganzes Gesicht.

„Keine Ursache. Ich werde heute Abend noch einmal nach Miss Matluhn sehen. Und keine Ausflüge Miss Matluhn, verstanden?“ Er lächelte mir väterlich zu, worauf ich ihm zunickte.

„Abby, macht dir bitte keine Sorgen. Finlay hat mit deiner Arbeitsstelle bereits gesprochen…

Ich starrte Caitlin fassungslos an. „Was, ohne meine Einwilligung?“ Das war eine Frechheit. Warum mischte sie sich schon wieder in mein Leben? Und dann ruft ihr Sohn auch noch bei meiner Arbeit an.

Caitlin ließ sich allerdings nicht von meinem mürrischen Gesicht beeindrucken und sprach weiter: „Wir dachten es wäre in deinem Sinne, wenn du die nächste Zeit nicht mehr arbeiten müsstest. Übrigens deine Arbeitsstelle wünscht dir noch gute Besserung. - Wir haben uns außerdem die Freiheit genommen, deine Studiums Unterlagen anzufordern. Finlay war sichtlich überrascht, als er erfuhr das du Geschichte studierst.“

Sie zeigte auf einen Stapel mit Büchern und Mappen, die ich nur zu gut kannte. Ich atmete tief aus und sah sie verwundert an.

„Was ist passiert? Ich kann mich nur noch an das Essen erinnern. Mir wurde schwindelig, deshalb wollte ich an die frische Luft. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Bis zu jenem Augenblick, als ich in diesem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7536-4

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Kinder

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