Donnerstag, mal wieder keinen Plan welches Datum. Auf jeden Fall haben wir September.
Verehrte Frau Tagebüchin,
ich habe schon so lange nichts mehr hier reingeschrieben, dass ich mich ernsthaft frage, was mein letzter Eintrag: „Nie wieder ein Mammut jagen, wenn die Ringeltauben tief fliegen!!!“, bedeuten soll. Auch noch mit drei Ausrufezeichen. Merkwürdig … egal, heute kann ich endlich mal ein richtig klassisches Tagebuchthema liefern.
Ich glaube, ich liebe Herrn Agathe.
Ich liebe es, wenn er mich ansieht, als sei ich ein unwürdiges Subjekt, das seine intellektuelle Atmosphäre mit seiner Dummheit vergiftet; das schwarze Haar, das ihm manchmal in die Augen fällt; und dass er niemals bei Hollister und Abercrombie einkauft, sondern sich wie ein Streber kleidet; und dass er so furchtbar arrogant ist, dass selbst mir manchmal die Kinnlade herunterklappt, wenn er etwas sagt. Und vor allem liebe ich an ihm, dass ihm nie die Kinnlade herunterklappt, wenn ich etwas sage! Seit einem Monat gibt mir Samuel Agathe, der darauf besteht, nicht Sammy, Sam, Sami, sondern Samuel genannt zu werden, Nachhilfe in Latein. Bis vor einem Monat lag mir nicht das Geringste an meinem Latinum, und heute bin ich froh, dass meine Eltern mich gezwungen haben, mich bei meinem Lehrer nach einem älteren Schüler zu erkundigen, der mir für billig weiterhilft. Von mir aus hätte ich meine null Punkte bis zum Ende der Elf mitgenommen. Zählt ja eh nicht wirklich, die Elf, weshalb sie abgeschafft wird.
Ich habe Herrn Agathe schon vorher bemerkt. Er sitzt ja immer wie eine Statue des Dünkels mit einem Buch in der Hand alleine im Pausenzentrum oder in der Mensa und seziert die anderen mit seinem missmutigen Blick. Er hat grüne Augen, grün wie ein Laubfrosch. Also, so ein Grün von Herbstblättern mit kleinen goldenen Sprenkeln um die Pupille. Und seine Nase ist gerade und schmal, fast wie Origami.
Wenn wir uns in den Pausen zufällig über den Weg laufen, hebt er muffig die Hand und ich fühle mich hervorragend, weil er mich überhaupt beachtet. Er scheint sich Leute vom Leib zu halten, meistens hängt er alleine ab.
Herr Agathe kann alles – nur Kunst nicht. Letztes Mal bei der Nachhilfe hat er ein Bild dabei gehabt, das so mies war, dass er es zu Hause verbessern musste, weil die Unterrichtszeit dafür nicht gereicht hat. Ich habe ihn gefragt, warum er Kunst nicht einfach abgewählt habe. Er hat geantwortet, es ginge mich nichts an, aber ich glaube, er kann nicht ertragen, in irgendetwas schlecht zu sein. Wobei eine Vier schon schlecht ist, in seiner Welt. Ich finde ja, versetzt zu werden, reicht als gelungenes Ergebnis eines Schuljahres. Für mich ist es eine eigene Kunstform, mich feiern zu lassen, mit einer Fünf, einer Eins und dem Rest Vieren auf dem Zeugnis. Meine Eltern sind immer wahnsinnig erleichtert, wenn ich nicht schon wieder sitzenbleibe oder eine Nachprüfung machen muss.
Beliebt ist Herr Agathe nicht besonders, das haben wir gemein. Ich hab's auch nie geschafft, dass andere mich spitze finden. Leider. Ich wäre gern nur ein einziges Mal beliebt, aber irgendwie sage ich Dinge, die andere nicht sympathisch finden. Ich glaube, Herr Agathe findet mich auch nicht sympathisch, jedenfalls hat er meine Freundschaftsanfrage bei Facebook abgelehnt.
So bleibt mir nichts übrig, als ihn über die Tischkante und den Cursus N hinweg anzubeten. Oder ich muss mir was anderes einfallen lassen.
So, jetzt habe ich eine Viertelstunde intensiv nachgedacht und mir ist keine brauchbare Idee zur Verführung des Herrn A. gekommen, aber ich habe festgestellt, dass mit mir etwas Elementares nicht zu stimmen scheint: Meine Gedanken haben sich wieder einmal verselbstständigt und ich fand die Vorstellung sexy, ihn zum Heulen zu bringen. Oh Mann!
Ich möchte, dass er sich auszieht, komplett, und ich ihn anschauen kann und dann möchte ich einen roten Streifen hinterlassen, wenn ich mit meinem Fingernagel über seine Haut fahre, ich möchte, dass er zittert vor Lust und Angst … Warum muss ich mir ständig solche Dinge ausdenken? Das ist doch nicht normal.
Schluss für heute, ich sollte daran arbeiten, mein soziales Standing zu verbessern und nicht, es noch weiter zu verschlechtern.
Ich frage mich, wie sein Schwanz aussieht.
Bestimmt hübsch.
Muss ich mit Mona besprechen. Am besten jetzt gleich.
Ich ruf sie mal an.
Später am Abend, aber immer noch September (hoffe ich wenigstens, ich traue dem Raum-Zeit-Kontinuum nur unter Vorbehalt) …
Ich bin froh, dass Mona meine beste Freundin ist. Anstatt mich doof zu finden, hat sie sofort wissen wollen, ob Samuel wohl auf Lateinisch um Gnade winseln könne … Aber sie meinte auch, ich solle meine Fantasien besser für mich behalten. Und als wir uns dann ganz normal über Schwänze unterhalten haben, hat sie etwas gesagt, was sie vorhin im Internet gelesen hat und was sich für Ewigkeiten in meinen Kopf einbrennen wird, nämlich: Penislänge = Abstand von Zeigefingerspitze bis Daumenkuppe im gespreizten Zustand.
Wenn das stimmt (und ich werde es herausfinden!), werde ich nie wieder mit einem Mann reden können, ohne auf seine Finger zu glotzen. Das wird mein Fluch sein! Das spüre ich.
Herr Agathe hat schöne Hände. Und eine schöne Stimme und ganz bestimmt einen niedlichen Arsch … Aaaaaah! Aufhören Finni, denk was Anständiges!
Warum kann ich nicht einfach jemand anders sein? Jemand, auf den er steht, zum Beispiel.
Finni Kirschbaum ist die Pest, dachte Samuel und sah aus dem Klassenfenster. Sie war rotzig, beratungsresistent, zappelig und kindisch. Sie interessierte sich nicht im Mindesten für die Unterschiede zwischen Konjunktiv eins und zwei und schaffte es kaum, einen simplen Gedanken zu Ende zu denken. Es war entwürdigend, jemandem Nachhilfe zu geben, der sich für die Optimierung seiner Leistungen nicht interessierte. Ob sie wohl dachte, ihr hübsches Gesicht genüge, um etwas zu erreichen? Finni war hübsch, trotz der albernen Schminke und des merkwürdigen, schrillen Kleidungsstils, den man wohl nur verstand, wenn man ebenfalls ein Mädchen war. Wieso dachte er überhaupt an Finni, während er eine wertvolle Doppelstunde Chemie hatte? Genau: weil sie einfach unglaublich nervtötend war. Zugegeben, sie brachte ihn zum Lachen und es war interessant zu spekulieren, was für ein Unsinn wohl als Nächstes aus ihrem Mund kommen würde, aber allein, dass sie ihn konsequent „Herr Agathe“ nannte, als wäre er zwanzig Jahre älter als sie und nicht zwei, war schlicht respektlos. Sie wirkte immer, als verspotte sie ihn, dabei bestand nicht der geringste Anlass dazu. Schließlich war sie diejenige mit dem Strauß von Fünfen und Sechsen in der Hand. Faul, nachlässig und mit der Konzentrationsspanne eines Goldfischs ausgestattet. Nur dass ihr Haar, im Gegensatz zu einem Cyprinidae nach apfeliger Chemie duftete, wie er feststellen musste, als sie ihre Nasen gemeinsam in das Lateinbuch Cursus N gesteckt hatten.
Josefine war unmöglich, das genaue Gegenteil von Diana Polke, der Göttlichen (der Göttin der Jagd, wie ein gebildeter Mensch wissen sollte). Diana war der Inbegriff der Idee des Schönen, des Guten. Sie war für Samuel das lebende Beispiel für die philosophische Disziplin der Ästhetik, wobei es sich, auf sie bezogen, um die Ästhetik des Verstandes handelte, der ihren klaren Zügen eine edle Tiefe verlieh.
Ihm stockte der Atem, wenn sie mit ihrer würdevollen, leisen Stimme den Philosophie-Unterricht bestimmte und dabei ihr feines blondes Haar mit einer einzigen eleganten Bewegung über ihre Schultern strich. Samuel wollte den Boden weihen, über den sie schritt. Warum nur konnte anstatt Finni nicht Diana auf Nachhilfe angewiesen sein? Blöde Frage, weil sie einfach zu gut dafür war!
In ihrer Freizeit schrieb sie Gedichte, die sie auf ihrem Blog veröffentlichte, und Samuel war hingerissen von der Poesie ihrer Worte, der perfekten Metrik. Auch wenn ihre lyrischen Ergüsse mitunter ein wenig kitschig anmuteten ...
Mit ihr konnte man bestimmt wahrhaftige Gespräche führen, denn sie dachte gründlich nach und hörte noch gründlicher zu.
Sie war perfekt.
Der Gong ertönte. Seine gedankliche Abwesenheit war unbemerkt geblieben, die Lehrer setzten seine Aufmerksamkeit einfach voraus und registrierten nicht, wenn er abschweifte.
Samuel nahm sein Mittagessen in der Mensa ein. Er las dabei in einem Buch über die Chaostheorie. Er war gewohnt, sich nur selten in Gemeinschaft anderer wiederzufinden. Das war ihm recht so. Er galt als langweilig und unfreundlich. Seine Zunge war ein Skalpell, deshalb traute sich niemand, ihm direkt ans Bein zu pinkeln, wie sie es bei anderen Strebern taten.
Er sah auf die Uhr. Zeit sich in den Bus zu setzen, um Finni Kirschbaum eine tote Sprache beizubringen, die sie langweilte, für immerhin neun Euro pro Stunde.
Finnis Mutter öffnete ihm die Tür. Sie wirkte unfassbar dankbar für seinen Einsatz und verwickelte ihn immer in freundliche Gespräche. Fast schien es, als wolle sie sich für ihre Tochter entschuldigen. Und irgendwie missfiel Samuel das.
Sicher, Finni war sitzengeblieben und auch ein wenig komisch, aber das hieß doch nicht, dass man sich für sie schämen musste. Immerhin zog sie ihr Ding durch – auf ihre verquere Weise. Und wie viele Menschen konnten das schon von sich behaupten?
Da saß sie und grinste. „Tach, Herr Agathe!“
Er stöhnte entnervt. „Guten Tag, Josefine.“
„Nenn mich nicht so, bitte.“
„Du sagst ja auch Herr Agathe zu mir.“
„Ja, weil du so heißt!“
Logik bedeutete ihr scheinbar nicht viel. „Und du heißt Josefine!“
„Kannst mich ja auch Frau Kirschbaum nennen.“ Sie zuckte mit den Achseln und lächelte ihn schließlich zaghaft an. Dann drehte sie ihr strubbeliges Haar mit einem Kugelschreiber zu einem Knäuel auf und ihr BH-Träger blitzte zwischen zwei Schichten gestreifter Klamotten hervor. Neonfarbene Metallschleifen schwangen an ihren Ohren.
Na gut. Dann eben nicht Josefine, wenn ihr das nicht passte. Ganz sicher ließe er sich nicht auf einen Namenskrieg mit ihr ein. Und dieses Mal würde er sich auch nicht in lernfremde Unterhaltungen mit ihr verstricken lassen, wie sonst. Sie hatte ein echtes Talent, ihn auf interessante Themengebiete zu locken.
„Ich hoffe, du hast die Vokabeln gelernt, Finni“, leitete er die Nachhilfestunde streng ein.
„Absolut.“ Finni nickte enthusiastisch.
„Das ist gut.“ Ein Wunder, ergänzte er gedanklich.
„Nur hab ich sie leider nicht behalten.“ Sie kräuselte ihre Nase mit schuldbewusstem Blick.
„Mein Gott. Selbst du wirst doch stupide auswendig lernen können, wenn du schon die Grammatik nicht verstehst! Ohne Vokabeln bringt das alles nichts, herrje. Ich sollte einfach gehen, wenn du dich benimmst wie ein Kindergartenkind.“
„Nicht böse sein.“ Ihre Armreifen klimperten, als sich ihre Finger um sein Handgelenk schlossen, um ihn vom Gehen abzuhalten. Sie starrte auf seine Hand.
„Hab ich da irgendwas?“, wollte Samuel irritiert wissen.
Finni wurde rot, warum auch immer. „Nein, nein. Ich interessiere mich nur für Hände. Aus künstlerischer Sicht.“
Richtig, die einzig gute Zeugnisnote, mit der sie aufwarten konnte. Samuel zog seine Finger aus ihrem Klammergriff und schlug das Buch auf. Er würde es mit einer Lektion für Zehntklässler versuchen. Ihre Lücken waren enorm.
Stockend begann sie, den Satz zusammenzubauen.
„Was ist das für eine Zeitform?“, intervenierte er.
„Perfekt?“, riet sie.
„Warum übersetzt du es dann im Plusquamperfekt?“
Sie setzte ihr bockiges Gesicht auf, das ihm inzwischen sehr vertraut war. „Hauptsache ich verstehe den Sinn! Und Vergangenheit ist Vergangenheit.“
„Nein! Hauptsache, du kennst die Vokabeln und die Tempi und Modi!“
„Das ist doch kleinlich! Latein und Mathe sind einfach kleinkarierte Korinthenkackerfächer, wo immer ein mordsmäßiges Trara um jedes kleine Zeichen gemacht wird!“
Samuel wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er entschied sich für die Vernunft. „Wir können nicht jedes Mal darüber diskutieren, dass du Bruchrechnung für eine Erfindung fantasieloser Beamter hältst, und dass es egal ist, was ludere genau bedeutet, weil du findest, es sei lustiger, es mit herumludern zu übersetzen. Bitte konzentrier dich!“
Finni fischte den Stift aus ihrem Haar und kaute an seinem Ende. Sie schüttelte unwillig den Kopf. „Ich hab mir was überlegt, Herr Agathe.“
„Und was?“ Samuel verschränkte die Arme vor der Brust, als könne er sich Finnis Kribbeligkeit damit vom Hals halten.
Sie lächelte ihn fast ein wenig verführerisch an, scheinbar wollte sie ihm etwas verkaufen. „Weißt du, mir ist Latein furchtbar gleichgültig. Es ist völlig unbedeutend, ob ich das Latinum habe oder nicht, weil ich bestimmt beruflich nichts tun werde, das ein Latinum voraussetzt. Deshalb mache ich dir einen Vorschlag: Du kommst weiterhin hierher, wir labern meiner Mutter zuliebe ein bisschen und als Entschädigung für dein gekränktes Nachhilfelehrer-Ego verschaffe ich dir deine Kunst-Eins.“
Samuel dachte, sich verhört zu haben. „Wie bitte?“
Seelenruhig erklärte sie ihm: „Ich zeichne deine Bilder und du verschonst mich für neun Euro die Stunde mit Latein. Eingetütet?“
Sie sah ihn mit dieser Mischung aus Selbstbewusstsein und Verlegenheit an, die er nur deshalb nicht ablehnte, weil sie zumindest irgendwie echt war.
Ihre Idee überraschte ihn nicht sonderlich. Jemand, der Punkt-vor-Strichrechnung für eine überbewertete Autisten-Regel hielt, beugte sich der schnöden Realität nicht ohne Weiteres. Er versuchte, sich in sie hineinzudenken und ihr den Plan auszureden. „Du hast nicht bedacht, dass der Deal unfair ist. Deine Eltern bezahlen Geld für nichts, du hast am Ende des Schuljahrs kein Latinum und musst für mich stundenlang zeichnen. Der einzig ehrlose Gewinner dieser Abmachung wäre ich.“
Finni lächelte wieder. „Nicht ganz, ich bin ja nicht die Caritas. Ich hab 'ne Bedingung. Aber erst zeig ich dir meine Bilder.“
Sie überreichte ihm einen Stapel Zeichnungen. Sie waren grauenhaft schrill, plakativ, unsubtil, das Gegenteil von Dianas Poesie – aber technisch einwandfrei. Es war eine verlockende Idee, seinen dunklen Schulfleck mit Josefines Tintenkiller-Werken auszulöschen. Mit seinem Klassenerster-Status würde der Kunstlehrer keine Fragen stellen. Und wenn, würde er ihm erzählen, dass er sich sehr tief in die Materie gekniet habe, um sich zu verbessern. Finni sollte ihm bloß keine dreizehn Punkte herbei zeichnen, besser wären elf oder vielleicht zehn? So ein Unsinn. Hatte er das soeben wirklich in Erwägung gezogen? Er schob die unmoralische Vorstellung beiseite und erkundigte sich aus reiner Neugier: „Was willst du dafür?“
Finni sah ihn ernst an und schwieg bedeutungsschwanger, bevor sie leichthin erwiderte: „Ich will deinen Arsch sehen. Keine Sorge, ich will ihn nicht anfassen oder ein Foto von ihm machen und auf Facebook stellen. Ich will einfach nur, dass du aufstehst, dich zur Wand drehst, die Hosen herunterlässt und mir deinen Hintern zeigst.“
Sämtliche Ansätze von Vernunft zerbrachen in Samuels geordnetem Kopf. Er sah sich einen Moment halb bekleidet vor Finni stehen, dann schaute er in ihr offenes, ruhiges Gesicht; ihm wurde kalt, er verspürte den Drang ihre Lippe zu berühren, dann stieg Wut in ihm auf und schließlich bekam er Angst.
Er schluckte gegen die Trockenheit in seiner Mundhöhle an und formulierte langsam, aber sehr deutlich die Worte: „Du bist nicht ganz dicht. Das ist pervers! Ich gehe jetzt. Bei dir sind Hopfen und Malz verloren. Du … du solltest dich schämen.“
Samuel hielt das Lateinbuch vor seine unerwünschte, höchst unangemessene Erektion und griff nach seinem Mantel. Er musste sich in Sicherheit bringen und Dianas Blog lesen. Das würde wirken.
Finni legte den Kopf schräg. Er schluckte eine weitere wütende Bemerkung, als sie ihn senkte, die Hände ineinander faltete und leise sagte: „Es tut mir leid. Ich glaube nur, dass er verdammt sehenswert ist, weißt du.“
Was für ein schräges Kompliment. Fing man nicht erst einmal mit Schmeicheleien über die Augen an? Ah! Ihm ging ein Licht auf: Das war nicht ernst gemeint. Sie wollte sich nur über ihn lustig machen, ihn, den uncoolen Einserschüler vorführen. Einen Moment lang wäre er fast auf sie hereingefallen. „Viel Erfolg für deine Zukunft als verrückte Hartz-Vier-Empfängerin“, wünschte er ihr sarkastisch und drängte sich aus der Tür.
„Schon fertig?“, fragte Frau Kirschbaum verwundert.
„Ja. Wir sind sehr gut durchgekommen.“
„Wie schön!“
Er nickte freundlich, schüttelte ihr die Hand, wie ein anständiger Mann und keiner, der vor einer Sekunde wahrhaftig in Betracht gezogen hatte, seine Hosen vor einer Wahnsinnigen herunterzulassen, damit sie ihn auslachen konnte.
Auf dem Weg nach Hause starrte er aus dem Busfenster, ohne die Landschaft wahrzunehmen. Mit welcher Treffsicherheit sie seinen wunden Punkt getroffen hatte, war furchteinflößend. Wahrscheinlich war ihr Vorschlag nur ein weiterer spontan entstandener Finni-Unsinn. Und wie stand er nun da, nach seiner Überreaktion? Jetzt wusste sie definitiv, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Hoffentlich hatte sie seinen Ständer nicht bemerkt!
Am meisten schämte er sich für den Augenblick der Hoffnung, der bei ihm zwischen Hoden und Herzkammer aufgeflammt war, als er geglaubt hatte, sie könne es tatsächlich so meinen.
In seinem Zimmer saß er ein paar Minuten verwirrt auf seinem Schreibtischstuhl, auf dem Tisch lag sein Kunst-Bild, lächerlich ungelenk gezeichnet. Ganz anders als die von Josefine.
Samuel war scharf. Er holte sich auf Finni Kirschbaum einen herunter und dachte dabei: Ausgerechnet Finni!
Das war krank, sehr krank.
Der Mut der Verzweiflung brachte ihn dazu, Diana Polke eine Privatnachricht auf ihrem Blog zu hinterlassen. Flucht nach vorn – weg von Josefine.
Dann lernte er für Geschichte, bis Diana tatsächlich zurückschrieb und sie schließlich angeregt skypten.
Dass er am Ende des Tages eine Verabredung mit Diana ausmachte, verdankte er also ironischerweise Josefine Kirschbaum, die er über Dianas wachen Verstand vergessen hatte. Jedenfalls beinahe.
Finni saß der Schreck über Samuels verärgerten Ausbruch in den Knochen. Wenigstens hatte er sie nicht bei ihrer Mutter angeschwärzt, was für seinen Anstand sprach. Aber warum hatte er sie nicht ein bisschen weniger brachial abweisen können?
Zum Glück hatte Mona sich auf den Weg gemacht, um ihr in ihrem Dachgeschosszimmer Beistand zu leisten. Zuvor hatte Finni überlegt, sich an ihren Bruder zu wenden. Till war schließlich so etwas Ähnliches wie ein Mann und drei Jahre älter als sie. Sie hatte an seine Tür geklopft, und er hatte die Kopfhörer abgenommen und hastig seinen Monitor ausgeschaltet, als sie im Türrahmen stand. „Was ist?“
Finni wurde sich bewusst, dass er noch nie eine Freundin gehabt hatte, während sie schon auf sexuelle Erfahrungen zurückgreifen konnte, und spürte, es war vollkommen unmöglich mit Till über das Herzeigen fremder Gesäße zu sprechen. Sie hatte ihn wirklich gern, er hatte Finni nie verpetzt, nicht ein einziges Mal, egal was sie angestellt hatte, aber sie brachte es nicht fertig.
„Du siehst irgendwie nach Problemen aus“, stellte er fest.
„Ach was!“ Finni winkte ab. „Ich wollte dir nur sagen … du bist ein guter Bruder.“
Er sah sie erstaunt an.
„Danke.“
„Was soll ich denn nur machen, Mona?“
Mona war sprachlos, nachdem sie ihren Bericht der letzten Nachhilfestunde detailgenau zum Besten gegeben hatte. „Du hast ihm gesagt, er soll die Hosen runterlassen?“ Sie tippte sich fassungslos an die Stirn. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Stammst du etwa von einem fernen Planeten und bist noch nie mit der Spezies Mann in Berührung gekommen? Hallo?! Wir gehen nicht da raus, und sagen: Ey, ich will deinen Arsch sehen! Das kommt schlechter an, als … Beinbehaarung! Wir warten, bis die Jungs unseren Arsch sehen wollen!“
„Jaaa“, stoppte Finni sie gequält, „ich weiß doch, dass ich kapitale Scheiße gebaut habe! Hilf mir lieber, anstatt es noch schlimmer zu machen!“
Mona schwieg und ließ ihren Blick ratlos durch den Raum schweifen. Zögernd wollte sie wissen: „Glaubst du, er erzählt es rum?“
Das hatte sie ja noch gar nicht bedacht. „Ich weiß nicht!“
„Vielleicht bittest du ihn besser, das nicht zu machen?“
Alles in Finni sträubte sich gegen den Gedanken. „Nein. Ich werde mich nicht in dieser Form demütigen. Dann bin ich lieber das Gespött der Schule! Von mir aus kann er mich dafür Scheiße finden, aber so eine Aktion zu starten und dann nicht dazu zu stehen, ist würdelos! Überhaupt: was ist schon dabei? Ich will seinen Arsch sehen und dann sag ich das halt! Ich habe ihn ja nicht gezwungen, ihn mir zu zeigen!“ Sie ließ sich neben Mona auf ihre Matratze unter der Dachschräge plumpsen, und zog ein Modemagazin unter ihrem Hintern hervor, um es frustriert durch den Raum zu schleudern. „Und wenn ich ihn darum bitte, denkt er, ich hätte keine Eier!“
Mona nickte abwägend. „Was hättest du dann eigentlich gemacht?“
„Wann?“
„Wenn er seine Hosen tatsächlich runtergelassen hätte?“
„Nix. Geguckt halt.“
„Ach komm ...“
„Ich weiß es wirklich nicht, ich wäre wahrscheinlich explodiert vor Geilheit.“
„Und wenn sein Arsch nichts taugt? Wie bei Tom, wegen seiner Popo-Locken auch bekannt als Das Rosettenmeerschweinchen?“
„Darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass er es macht.“ Wie sollte sie bloß den Reiz dieser Situation erklären? Das Kribbeln, das die Vorstellung in ihr auslöste?
Mona legte ihren Arm um Finni. „Ist das jetzt was Ernstes oder nur ein temporärer Spleen?“
„Meinst du Agathe oder meine komischen Sexideen?“
„Na, die Sexideen.“
Es fiel ihr schwer, die Frage zu beantworten. Je konkreter ihre Fantasien wurden, umso komplizierter gestaltete sich die Angelegenheit. „Glaubst du, das ist was Psychisches? Weil mein Vater ein Warmduscher ist? Oder meine Mutter mich nicht gestillt hat?“
Mona schüttelte den Kopf. „Ich habe mich informiert, als du damit angefangen hast, mir davon zu erzählen, und ich glaube, es ist einfach nur … eine Facette des Lebens. Wusstest du, dass es Leute gibt, die sich zu Gummipuppen umgestalten lassen wollen? Und andere ficken Autos! Autos! Es gibt auch welche, die lieben es, wenn man ihnen in die Eier tritt. Und andere können nur, wenn sie ihre Freundin Mama nennen ...“
„Ach, und dieses Panoptikum soll mich jetzt beruhigen, oder wie?“
„Eigentlich schon“, erwiderte Mona geknickt.
Finni griff nach einer kleinen geblümten Tasche und entnahm ihr Wattepads und Nagellackentferner. Während sie den beruhigenden Duft von Benzin und Cocos einatmete, dachte sie an ihre eigenen Erkundungen des Territoriums. Es war ja nicht so, als hätte sie sich nicht selbst informiert. Ungefähr fünftausend Websites von dominanten Frauen hatte sie durchstöbert, mehrere Gigabyte Lektüre mit Titeln wie „Abgerichtet von meiner gnadenlosen Herrin“ gelesen und festgestellt, dass diese Damen niemals Pastellfarben trugen oder Jeans. Scheinbar war Finnis Modegeschmack absolut nicht in bei den Sklaven von heute. Sie würde Samuel auch nicht sagen, nein, gebieterisch verkünden können: „Du brauchst eine Spezialbehandlung, wertloses Stück Scheiße, trink meine Pisse!“, und dabei mit ihrem Zwölf-Zentimeter-Stiletto zielsicher seine Hoden am Boden festpinnen können, ohne sie zu zerstören oder sich selbst dabei auf die Fresse zu legen! Zumal sie überhaupt keinen Bock auf Fußverformungen und Hammerzehen durch High Heels hatte! Der andere sollte leiden, nicht sie. Und vor allem machte sie das überhaupt nicht an, so komisch zu sprechen und einen totalen Schleimer zu dominieren, der sie als Göttin verehrte. Sie wollte keinen willenlosen Menschen zum Quälen, sondern einen willensstarken Herrn Agathe zum Liebhaben und Quälen. Aber scheinbar ging es nicht anders, wenn man all den Regeln in Chatrooms und Kontaktbörsen glaubte.
„Ich muss meine eigene Gruppe gründen, fürchte ich ...“
„Und wie heißt die?“
„Dominante Frauen mit Ballerinas und ohne Plan.“
Mona lachte.
„Sie wirken immer, als hassten sie den Mann ...“, sagte Finni in Gedanken. „Ich glaub, das gefällt mir nicht. Ich hasse Agathe ja nicht. Im Gegenteil.“
„Ich weiß zwar nicht, wen du mit „sie“ meinst, aber vielleicht solltest du Samuel einfach ad acta legen. Du hast gepokert und verloren. So kann's gehen. Und beim nächsten Mal bist du vorsichtiger oder besorgst dir einen von deiner Sorte.“
„Nee“, widersprach Finni und trug türkisfarbenen Lack gegen das Grau ihrer Niedergeschlagenheit auf. „Ich will Samuel, selbst wenn er nicht von meiner Sorte ist.“
Mona seufzte leise. „Du machst ja eh, was du willst … coole Farbe. Gib mal her.“
„Hier.“ Sie wünschte, alles wäre so einfach, wie Nägel lackieren.
Herr Agathe hatte ihr lediglich einen vernichtenden Blick geschenkt, als sie ihn ein paar Tage später in der Mensa mit ihrem Esstablett in der Hand begrüßte. Sie hatte drei Mal versucht, mit ihm zu sprechen.
„Lass uns das ganze doch einfach vergessen und wieder Latein lernen!“
„Von mir aus, lass dir Latein beibringen, von wem du willst, aber nicht von mir.“
Beim letzten Mal hatte er sie wortlos zur Seite gedrückt und war entschlossen an ihr vorbeigestapft. Mit einer Mischung aus Wut und Verletztheit rief sie hinter ihm her: „Trau dich doch einfach, du Memme! Ich weiß doch, dass du darauf stehst.“
Natürlich stand er nicht darauf, wusste sie, aber manchmal war Angriff die beste Verteidigung.
Sie setzte sich zu ein paar Chaoten aus ihrer Stufe und beobachtete ihn. Immer wenn er zu ihr herüber sah, lächelte sie unverdrossen, um ihm zu signalisieren, dass sie nur halb so schlimm war, wie er das nun zu glauben schien.
Finni registrierte genau, wie er aß. Nichts war schlimmer, als wenn jemand auf eine schreckliche Weise Nahrung zu sich nahm. Er aß zwar geistesabwesend und lesend, aber keineswegs widerlich.
In einem Anfall von Schwäche ließ sie ihre eigene Gabel sinken, als Samuel den Blick hob und strahlte, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte. Vor dem Tisch stand Diana Polke, ihr galt sein kostbares Lächeln. Sie setzte sich ihm gegenüber und schob sich einen winzigen Happen des vegetarischen Alternativgerichts in den Mund.
Diana Polke gehörte für Finni zu den Menschen, die schon erwachsen auf die Welt gekommen sein mussten. Sie interessierte sich für Politik und ihre ökologischen Fußspuren, mischte ihre Kleidung aus Flohmarktsachen und schicker Neuware zusammen und schaffte es dabei auch noch, nicht wie ein Arschloch zu wirken. Sie galt als tiefsinnig und attraktiv zugleich.
Jetzt nahm Diana Samuels Buch zur Hand, sagte etwas (vermutlich Kluges) und lachte.
„Da haben sich zwei gefunden“, hörte Josefine Christoph Klein das Geschehen kommentieren.
„Ich dachte, die ist mit David zusammen.“
„Ist vorbei.“
Finni hatte keinen Hunger mehr. Als Herr Agathe zu ihr schaute, blähte sie die Wangen und zeigte ihm einen Vogel. Er lächelte boshaft und widmete sich wieder Diana.
Finnis Herz tat weh. Nicht, dass sie überrascht war. Nicht, dass sie etwas anderes erwartet hätte, aber es zu sehen, war unfassbar schmerzhaft.
Sie prägte sich Dianas Outfit ein, ihre Gesten, ihre Frisur.
„Die ganze Zeit reden sie über Dianas Gedichte, meine Fresse. Eine Unterhaltung zwischen den beiden ist für mich die erste Wahl für den Gold-Pokal der Langeweile ...“, kommentierte Christoph das Geschehen. Alle lachten. Nur Finni nicht.
„Herr Agathe ist nicht langweilig“, hielt Finni dagegen und begutachtete mürrisch ein verkochtes Spätzle auf ihrer Gabel. Es sah aus wie ein toter Wurm. Sie erdolchte einen Brocken Geschnetzeltes auf ihrem Teller und steckte ihn sich in den Mund.
Nach diesem Tiefschlag beschloss Finni, Sport zu schwänzen und tigerte so lange durch den H&M, bis sie eine Art Diana-Hose und -Hemd gefunden hatte. Sie rundete die Zusammenstellung mit einem neckischen kleinen Diana-Halstuch ab, stöhnte über die grellen Umkleidekabinenlampen, die ihre Oberschenkel aussehen ließen, wie die einer 108-jährigen Wasserleiche und betrachtete sich eingehend im Look der Konkurrenz. Irgendwas stimmte nicht. Ach ja … sie steckte den Finger in den Mund, rieb über die verschmierten Mascaraschatten unter ihrem Lid, bis nur noch ein paar Krümelchen von der Farbe zeugten, und strich ihr zauseliges, braunes Haar glatt. Eine fremde Frau blickte ihr entgegen. Sie öffnete den Mund und deklamierte bedeutungsschwer, in der Hoffnung, den Diana-Stil glaubhaft zu imitieren: „Fliederfarbene Analogien am Rande meiner Dunkelheit, Seelensplitter zerbersten, erfrorene Tränen ...“ Oh Scheiße, Lyrik war echt ekelhaft. So ein Gesülze konnte sie nicht einmal ihrem Spiegel-Ich zumuten.
Finni ließ sich auf dem kleinen Hocker sinken, auf dem ihr zusammengeknüllter Minirock lag, und musste zugeben: So funktionierte es nicht. Das war sie einfach nicht. Das, was sie war, würde Samuel Agathe nicht diesen Zauberblick ins Gesicht malen. Was Diana ihm gab, besaß sie nicht. Nicht mal einer dieser undifferenzierten Sklaven aus dem Internet fand sie toll. Sie hatte es probiert, aber alle erwarteten, dass sie sofort in die Vollen ging. Außerdem war sie den meisten zu jung. Ja, sie wollte einem Typen wehtun, aber sie wollte dabei Finni Kirschbaum bleiben. Ohne bescheuertes Halstuch oder Lederkorsett.
Was konnte sie tun? Hmm … scheinbar mochte Herr Agathe Worte, vielleicht sollte sie ihm eine SMS schreiben? Oder es auch mal mit Poesie versuchen. Sie zog sich wieder um und hängte die Klamotten an den Ständer vor den Kabinen.
Im Café Lenz dachte sie über ein Gedicht nach, aber mehr als Stripp, Strapp, Strull, bald ist der Eimer voll, fiel ihr nicht ein.
Sie knabberte an einer Strähne.
Ein Brief.
Genau. Sie würde ihm einen Brief schreiben. Finni riss eine Seite aus ihrem Collegeblock, griff zu ihrem Bleistift und fühlte sich mit einem Mal gehemmt, ihrer Rechtschreibung, ihrer Wortwahl und Gedanken wegen. Aber aufgeben galt nicht. Gut, vielleicht musste sie das Projekt Romanze ein wenig verschieben, aber sie wollte Samuel nicht als Gesprächspartner verlieren, denn er war, im Gegensatz zu Christophs Meinung, nicht langweilig. Sie hatten oft mehr geredet als gelernt, weil Finni ihn in Unterhaltungen verwickelt hatte, und was er sagte, hatte ihr so gut gefallen, dass sie richtiggehend in seine Gedanken verknallt war. Es machte sie wahnsinnig, dass er sie nun nicht mehr mit ihr teilte. Himmel, sie musste einfach nur poetisch genug schreiben und schon wäre sie wieder im Rennen!
„Lieber Herr Agathe,
Findest du es nicht ziemlich albern, mich derartig abzustrafen, nur weil ich dein geheimes Geheim-Popöchen sehen wollte? In welchem Jahrtausend leben wir denn, dass man deshalb nicht mehr grüßt?
Ich hab's versucht – du hast Nein gesagt – Problem gelöst! Mach doch nicht so eine Riesennummer daraus, Prinzessin!
Ich würde gerne weiter mit dir reden oder von mir aus auch Latein lernen und gelobe, mir auch Mühe zu geben, das Plusquamperfekt nicht als Futur zwei zu übersetzen und das Wort „Hintern“ und alle seine Synonyme aus meinem Vokabular zu streichen.
Ich nehme an, du hast die Vorstellung, dass ich verrückt bin, und auch nicht auf deinem Niveau.“
Sie strich das Wort und ein hinterhältiges Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie es durch Nivoh ersetzte. Entweder verstand er den Witz oder nicht.
„Aber das ist Quatsch. Ich glaube ganz fest, dass du und ich uns eine ganze Menge zu erzählen hätten, wenn du mir eine winzige Chance geben würdest. Ich höre dir unheimlich gern zu. Ich weiß, ich bin aufdringlich, aber wenn ich etwas will, dann will ich es halt. Du bist wirklich besonders. Nicht wegen der Sachen, die du kannst, sondern wegen deiner Defizite.“
Sie las die Zeilen, dann zerknüllte sie den Zettel. Er würde es nicht lesen, garantiert nicht.
Gut, hatte sie halt verschissen bei ihm, wie Mona prophezeit hatte.
Aber sie würde nicht den Schwanz einziehen, sondern ihn so lange grüßen und ihm ein Gespräch aufdrängen, bis er sie nicht mehr einfach aus dem Weg schubste, sondern sich geschlagen gab.
Viertel nach sieben am Morgen. Samuel putzte sich die Zähne und wischte dabei mit seinem Handrücken über den beschlagenen Spiegel, bis er sich sehen konnte. Oh ja. Auch sein Leben konnte also zufriedenstellende Entwicklungen durchmachen. Jetzt skypte, knutschte und redete er schon drei Wochen mit Diana und immer noch hatte er nichts an ihr gefunden, das seine Verehrung trüben könnte. Wie es aussah, ging es ihr mit ihm genauso. Der einzige Punkt, der bisweilen zart an die Wände seines Nervenkostüms klopfte, war ihr mehr als korrektes Verhältnis zur Welt, das sich sogar in ihrem Musikgeschmack äußerte. Sein aufwallender Missmut, wenn sie sich damit quälte, den Aufstieg vom vegetarischen zum veganen Leben nicht zu packen, war nicht ihr Fehler. Wahrscheinlich erinnerte ihre moralische Vorbildrolle ihn unbewusst an seine Versäumnisse in dieser Hinsicht. Und es gab wahrlich Schlimmeres als ein Mädchen, dessen einziger Makel darin bestand, sich für ihre Ideale einzusetzen.
Außerdem sah er sie gerne an. Diana besaß eine Attraktivität, die die Zeit überdauern würde. Nicht zu schön, aber auch nicht auf Jugend angewiesen. Sie war die Art Frau, für die du den respektvollen Blick deiner Freunde erntest, aber keine Angst haben musst, sie mit ihr vögelnd auf der nächsten Damentoilette wiederzufinden.
Nun, seine Freunde würden so etwas nicht tun, hoffte er.
Abgesehen von ein paar halbherzigen Kontakten in der Schule, bestand sein Freundeskreis aus drei Jungs und zwei Mädchen, die er in einem schulübergreifenden Wissenschaftsprojekt für Achtklässler kennengelernt hatte. Mit ihnen pokerte er regelmäßig im Realleben oder spielte skypend online. Der wichtigste Freund seit der Grundschule war Aaron, der leider in der sechsten Klasse den Sitzplatz im Klassenraum neben ihm dauerhaft räumen musste, weil er mitten im Jahr auf die Realschule wechselte. Samuel war mit den neuen Herausforderungen des Gymnasiums aufgeblüht, aber Aaron hatte sie nicht verkraftet. Er war sehr klug, aber das ständige Lernen machte aus ihm ein unglückliches Kind. Ihre Freundschaft überlebte die Trennung.
Aaron wollte sogar mit ihm zusammenziehen, wenn Samuel sein Abitur gemacht hatte – aus Kostengründen. Er hatte seine Ausbildung als Fremdsprachenassistent vor kurzem abgeschlossen und lebte nun in einer Art Wohnklo, weil er als Berufsanfänger nicht besonders gut verdiente, aber auch nicht auf sein Auto verzichten wollte.
Zusammenziehen kam für Samuel nicht in Frage. Er sehnte sich schon seit dem Kindergarten nach einer eigenen Wohnung und uneingeschränkter Privatsphäre. Wahrscheinlich, weil er schon immer das Gefühl hatte, etwas verbergen zu müssen. Dafür, dass er das nur ja nicht vergaß, sorgte seit Neuestem täglich diese unsägliche Josefine.
Sie war die einzige kleine Wolke, die seinen strahlend blauen Himmel trübte.
Es schien ihr neues Hobby geworden zu sein, ihm sein peinliches Verhalten vor Augen zu führen. Bestünde die Möglichkeit, sein Leben zurückzuspulen, hätte er auf ihr unmoralisches Angebot mit einem souveränen Lachen reagiert und ihr bei nächster Gelegenheit aufs Auge gedrückt, wie beknackt sie war.
Er verscheuchte die Gedanken an sie konsequent. Aber irgendwie verhielt es sich mit ihnen wie mit einer Luftmatratze, die man nach Benutzung wieder versuchte in die Verpackung zurück zu quetschen: Immer lugte irgendwo ein Zipfel hervor.
Wenn Samuel nicht beschäftigt war oder bereits so lange über Diana nachgesonnen hatte, dass ihm wahrlich nichts mehr Neues über sie einfiel, stieg Finni aus der Gruft seiner Seele auf und führte das Heer seiner abstrusen Gedanken an.
Als er, lange vor Josefine, die Regelmäßigkeit seiner sich stets ähnelnden sexuellen Fantasien bemerkt hatte, reagierte er zunächst mit Verunsicherung, dann verbot er sie sich, und als ihm aufging, dass selbst ein intellektuell hoch entwickeltes Wesen wie er, seinen Trieb nicht vollumfänglich zu kontrollieren vermochte, schloss er eine Art Vertrag mit sich selbst:
Erstens: Sein Endziel war die Verwirklichung eines normalen Sexuallebens, in dem er seiner Rolle als Mann entsprach, wie er sie auffasste (worüber man natürlich diskutieren konnte).
Zweitens: Er würde die Bilder in seinem Kopf so lange ignorieren, bis sein Körper seinen Tribut forderte, um sich ihnen dann
Drittens: so selten wie möglich hinzugeben.
Wenn er es niemals tun könnte, würde er platzen.
Es war nicht einmal so, dass er Menschen, die abweichende Tendenzen im Sexualverhalten aufwiesen, nicht akzeptierte. Er sprach sich ausdrücklich gegen jede Art von Diskriminierung aus, aber ausgerechnet die lächerlichste Perversion aus der Lostrommel des Lebens gezogen zu haben, war doch recht unerfreulich.
Warum konnte er nicht schwul sein? Alle Welt liebte Schwule. Nun ja, nicht alle Welt … genau genommen konnte man nur sehr wenige Fähnchen in den Globus stecken, die anzeigten, wo man als Homo wirklich gut aufgehoben war, aber hatte jemals eine Frau mit dem Stolz der Jägerin verkündet: „Ins Kino gehe ich am liebsten mit meinem masochistischen besten Freund, weißt du, Devote sind viel klüger und sensibler als normale Männer. Und außerdem haben sie einen viel besseren Geschmack!“
Samuel seufzte. Mit seiner sexuellen Neigung konnte man auch beim Pokern schlecht angeben. Wer würde wohl die neidischen Blicke im Alphamännchen-Wettbewerb auf sich ziehen? Derjenige, der behauptete: „Boah, meine Alte hat mir neulich in der Umkleidekabine vom Fitnessraum einen geblasen. Die macht echt alles.“ Oder derjenige, der sagte: „Boah, meine Alte hat mich letzte Nacht so verprügelt, dass ich kaum sitzen kann.“?
Nicht, dass er überhaupt Lust hatte, mit seinem Sexleben anzugeben, was wiederum nicht bedeutete, dass er ein Weichei war.
Sicher, er würde niemals zu Edgar mutieren, oder wie dieser komische Vampirdarsteller hieß, aber es gab ja auch noch etwas zwischen Schießbudenfigur und Glitzervampir.
Er verstand sich einfach nicht. Er war kein Schwächling, warum nur wollte er sich im Bett wie einer aufführen?
Der Blick auf sein Smartphone verriet ihm sowohl, dass Diana gedachte, nachmittags im Café Lenz Zeit mit ihm zu verbringen, als auch, viel zu spät dran zu sein. Mist, seine Grübeleien hatten ihn über die Maßen eingenommen. Er schlüpfte in seine Klamotten, eilte aus dem Bad und griff nach seinem Rucksack.
„Bis heute Abend!“ Er winkte seiner Mutter durch die offene Küchentür zu.
„Viel Spaß in der Schule!“
Der Bus fuhr ihm vor der Nase weg.
Zwanzig Minuten nach Unterrichtsbeginn trudelte er in der Schule ein. Wenn er schon zu spät war, sprach nichts dagegen, noch zwei Minuten in einen Kaffee zu investieren, den er mit zu Mathe nehmen konnte. Die Mensa hatte erst ab zehn Uhr geöffnet, und so bewegte er sich zügig zum sogenannten Alles-Automaten, der nicht nur alle Arten von Kaffee, sondern auch Hühnersuppe und Kakao produzierte. Deshalb wiesen alle Heißgetränke den Hauch von Brühe-Aroma auf, was zwar dem Kakao eine widerliche, aber dem Kaffee eine durchaus würzige Note verlieh.
Dass er Finni nicht schnell genug bemerkte, war der Konzentration beim Zusammensuchen der passenden Münzen gezollt. Er zuckte zusammen, als sie sich gegen den Alles-Automaten lehnte und ihn fixierte. Ohne sie zu beachten, steckte er zwanzig Cent in den Schlitz.
„Hallo, Herr Agathe“, begrüßte sie ihn freundlich. „Ist das nicht ein furchtbares Wetter?“
„Regen ist für den Herbst nicht unüblich“, erwiderte er spitz.
„Wie lautet eigentlich der Fachausdruck für die meteorologische Lage zurzeit?“
Samuel verfluchte die Tatsache, dass sich nur Zehner und Fünfer in seiner Börse befanden; nun dauerte der Vorgang des Kaffee-Holens noch länger.
Er beantwortete ihre Frage abweisend: „Es handelt sich um ein astronomisches Phänomen: Gute-Laune-Finsternis, bedingt durch den Planeten Kirschbaum.“
Sie grinste breit. „Ich hab dir einen Brief geschrieben. Schon vor drei Wochen.“
„Zum Glück habe ich ihn nicht erhalten.“
„Nee, wie auch? Ich hab ihn gar nicht abgeschickt, weil du ihn sicher nicht lesen würdest.“
„Würde ich auch nicht.“
Sie schüttelte verärgert den Kopf. „Findest du es nicht ein bisschen übertrieben, mich so zu behandeln, nur weil ich … wenn ich gewusst hätte wie verklemmt du bist, dann hätte ich nicht gefragt.“
„Es geht nicht um Verklemmung, sondern darum, dass ...“ Er hielt inne. Eigentlich wollte er den Satz mit den Worten „ich dich nicht mag“ beenden, aber sie kamen ihm nicht über die Lippen. Er mochte sie wirklich nicht, aber irgendetwas war an ihr, das es ihm verunmöglichte, es auszusprechen. „Warum schreibst du mir überhaupt einen Brief, Josefine?“, fragte er stattdessen verzweifelt.
„Weil ich deine E-Mail nicht habe und du nicht mein Facebook-Freund sein willst.“
Die Begründung war nicht nur knapp, sondern vollkommen daneben.
„Sagt das nicht alles?“, fertigte er sie ab.
Finni sah ernsthaft geknickt aus.
Quälend langsam tröpfelte der Kaffee unter disharmonischem Gebrumm in den Plastikbecher.
Sie schien sich wieder gefasst zu haben. „Ich habe in der letzten Latein-Klausur übrigens ganze vier Punkte gehabt. Super, was? Willst du es dir nicht doch nochmal überlegen? Du scheinst wirklich ein guter Lehrer zu sein.“
„Neben der Tatsache, dass wir nicht dieselbe Sprache sprechen, habe ich momentan keine Zeit für Nachhilfe.“
„Wegen Diana Polke?“
„Unter anderem.“ Hatte da etwa Missmut in ihrer Stimme geschwungen?
„Wenn es dir tatsächlich um die Verbesserung deiner Note geht, könnte ich jemanden fragen.“
„Ah.“ Ihr Gesicht spiegelte grenzenlose Enttäuschung. Sie war wirklich verwirrend. Mal machte sie sich über ihn lustig, dann wieder vermittelte sie ihm das Gefühl, ihn ernsthaft zu mögen.
„Und wen würdest du fragen? Nur bitte nicht Andreas oder den Kumpel von Andreas.“
Wollte sie wirklich etwas lernen? Unglaublich. Sie verblüffte ihn einmal mehr.
„Nein, keinen aus meiner Stufe. Ein Freund von mir ist Fremdsprachenassistent. Er hat's mit Sprachen. Er liest sogar Unterhaltungslektüre auf Latein. Zum reinen Vergnügen. Auf seinem Klo hängen Kanji, die er beim Urinieren lernt … er ist wirklich gut.“
„Kein Schüler?“
„Nein.“
Er wartete auf ihre Antwort. Finni kaute auf ihrer Wange und hob schließlich die Schultern. Was wohl in ihrem Kopf vor sich gehen mochte?
„Okay.“
„Gut, dann frage ich Aaron, ob er Lust hat und wie viel er dafür nimmt.“
„Soll ich dich deswegen anrufen, heute Abend?“ Sie kam einen Schritt auf ihn zu und lächelte. Das Bild, wie sie ihre Hände nach ihm ausstreckte und seinen Kopf an sich zog, um ihn zu küssen, zuckte durch seinen Kopf.
„Nein, ich melde mich bei dir“, wehrte er ab. Er verschüttete ein wenig Kaffee, als er sich zu schnell umdrehte, um vor Finni zu fliehen. Scheißerektion!
Samuel brauchte Mathe und Sport und einen Marsch durch den Nieselregen ins Café Lenz, um die Begegnung mit Finni zu verdauen.
Dort saß Diana mit ein paar Freunden am begehrten Sofatisch und winkte ihm zu, als sie ihn entdeckte.
Warum war sie nicht alleine? Die Stunden zogen sich zäh wie Kaugummi, wenn die anderen dabei waren. Er suchte schließlich keine Wiederbelebung von Kontakten, die ihn bereits vor Jahren nicht interessiert hatten. Andererseits demonstrierte die soziale Zusammenführung ihr Bestreben, ihn in ihren Freundeskreis zu integrieren und das wiederum bedeutete, es war ihr genauso ernst wie ihm.
Er musste endlich Sex mit Diana haben. Sie knutschten zwar, sobald sie alleine waren, aber scheinbar war das nicht sein Ding. Jedenfalls war es nicht das, was seinen Schwanz zur Perfektionierung seiner Transformationsfähigkeiten animierte. Vielleicht war er ja noch verrückter als er dachte, und einzig seine eigene Gedankenkraft konnte ihn stimulieren, wenn schon ein kurzes Synapsenspektakel, das ihn Finni gedanklich küssen ließ, reichte, um einen hochzubekommen, aber die Perfektion in Form von Dianas Rhönrad-Körper ihn nur zu einer schwach halbmastigen Performance bewegte. Rhönrad – die Exklusivität ihres Hobbys machte sie noch unwiderstehlicher ...
„Sollen wir noch zu mir gehen?“, fragte Diana ihn, als die Runde sich auflöste.
„Gern.“ Er lächelte.
Das Grau des Septemberabends hüllte Dianas Zimmers in ein schummeriges Zwielicht. Er wollte die Deckenleuchte anknipsen, aber Dianas Hand legte sich auf seine. „Nicht ...“
Sie schloss die Tür und sah zu ihm auf. Samuel küsste sie, weil es das war, warum sie hier waren.
„Licht aus“ deutete er als die Einleitung des nächsten Schrittes ihrer intimen Beziehung. Wie vorhersehbar. Bei seiner vorherigen Freundin hatte es sich ebenso abgespielt, sodass er nun wenigstens ahnte, wie er weitermachen musste, was ihm damals nicht recht klar gewesen war.
Er arbeitete sich durch die relevanten Punkte der romantischen Annäherung, und je mehr er versuchte, sich vor Augen zu führen, dass er die göttlichen Brüste der Diana küsste – was gefälligst den Höhepunkt seiner bedeutungslosen Existenz darstellen sollte – desto weniger tat sich zwischen seinen Beinen.
Er wusste, so etwas war ein Teufelskreis. Je angestrengter man versuchte geil zu sein, desto ungeiler wurde man. Es war nicht Dianas Schuld, denn zu seiner zusätzlichen Bedrückung gab sie sich viel Mühe.
„Geht es nicht?“, flüsterte sie mitfühlend.
Am liebsten hätte er geantwortet: „Das ist doch wohl evident, du dumme Nuss!“, aber er schwieg verlegen.
Dianas zarte Lippen legten sich auf seine. Samuel drehte den Kopf zur Seite.
„Ist doch nicht so schlimm, das kann doch ...“
Bitte sag es nicht, flehte er innerlich.
„… jedem mal passieren.“
„Danke für dein Verständnis“, erwiderte er frustriert. Er fühlte sich, als stecke sein Brustkorb in einer Schraubzwinge. Was für eine furchtbare Situation!
„Aber es liegt nicht an mir, oder?“
„Nein. Im Gegenteil, du bist so vollkommen, dass ich anscheinend zu nervös bin ...“ Oh Gott, warum wurde Frauen beim Aufklärungsunterricht nicht beigebracht, mit Männern keine Gespräche über ihre nicht vorhandene Erektion zu führen?
Der Tag war gelaufen. Er hatte so lichtvoll begonnen, sich ab der Begegnung am Alles-Automaten stetig verschlechtert und endete nun in einem Desaster.
Sein Handy tönte. Samuel beugte sich über Diana, fischte es aus seiner Hose, die vor dem Bett lag, und schnappte sich zugleich seine Boxershorts, um den körperlichen Beweis seines Versagens zu verhüllen.
Das Display blendete ihn, dann las er: „Hast du deinen Fremdsprachendingsbumsfreund schon gefragt? Ich hab Böcke auf Latein! F“
Verfluchte Finni Kirschbaum!
Oktober oder so. Jedenfalls nicht Dezember, der Weihnachtsmarkt in der City deprimiert mich nämlich noch nicht.
Es ist unfassbar. Herr Agathe ist wirklich mit D. Polke zusammen!!! Nicht, dass ich das nicht verstehe. Sie ist natürlich süß und klug und blablabla, aber ich hätte ihm wirklich mehr zugetraut!
Ein neues Hobby hat sie jetzt auch: Fotografieren. Das habe ich der neu aufgetauchten Sparte in ihrem Blog entnommen. Absichtlich unscharfe Schwarz-Weiß-Landschaften, Eisenbahnschienen, entlaubte Bäume als untrügliches Zeichen ihrer Tiefsinnigkeit. Kotz. Das macht mich rasend! Jetzt will sie mir auch noch im Bereich der bildenden Kunst auf den Sack gehen! Sie fotografiert ja nur, weil sie nicht zeichnen kann. Und wahrscheinlich versteht sie gar nicht, wie viel harte Arbeit hinter einem guten Foto steckt. Mittlerweile vermute ich fast, dass sie faul ist. Gedichte schreibt sie wahrscheinlich weil's schnell geht, und Fotos macht sie ,weil sie denkt, man muss dafür nur auf ein Knöpfchen drücken.
Erst gestern habe ich die beiden im Lenz gesehen. Ich war mit Mona und Christoph da, weil wir keinen Bock auf Erdkunde hatten. Ist schon komisch, eigentlich sollte Erdkunde das interessanteste Fach von allen sein, weil die Welt nun mal verdammt interessant ist, aber bis jetzt haben es alle Lehrer versaut und zu den langweiligsten Stunden überhaupt gemacht (neben Chemie und allen anderen Fächern). Ich hatte auf den neuen Referendar gehofft, weil motivierte Jungpädagogen zumindest mal was ausprobieren, bevor sie ihre Illusionen verlieren, aber es war genauso öde wie sonst. Vielleicht gibt es ja eine geheime Klausel im Beamten-Vertrag, die angehende Studienräte dazu zwingt, Geografie so trocken und einschläfernd wie möglich zu vermitteln. Also habe ich statt aufzupassen eine kleine Zeichnung angefertigt, wie ich mit einer Peitsche hinter dem Junglehrer stehe und ihn dazu antreibe, interessanten Unterricht zu gestalten. Hehe, wenn er das sehen würde, bekäme er bestimmt Angst. Mona fand's lustig und hat sich das Bild unter den Nagel gerissen. Christoph hat die Augen verdreht, und dann kommt Team Agathe ins Café ...
Diana hat natürlich einen Chai latte, aber „bitte mit Sojamilch“ bestellt, was sonst? Damit ist sie in
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Vio Carpone
Bildmaterialien: Thinkstock
Lektorat: Karin Struckmann/Laurenz Widmann
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2014
ISBN: 978-3-7368-3001-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Sohn
(Der das Buch erst lesen sollte, wenn wir nicht mehr unter einem Dach leben. Lange nicht mehr unter einem Dach leben. Mindestens zwanzig Jahre. Oder dreißig.)