Prolog
Es war schon über zwei Jahre her das sich meine Eltern getrennt hatten. Und ich bin immer gut damit klar gekommen. Wirklich, es hat mir nie etwas ausgemacht. Natürlich glaubte mir das niemand. Jeder dachte ständig ich wäre schwach und sensibel und würde jeden Moment zusammen brechen. Aber so war es nicht. Es ging mir gut, sehr gut sogar.
Wenn sich die Eltern nur noch streiten und anzicken, nicht mehr miteinander reden und ständig schlechte Stimmung herrscht ist man echt froh, dass diese ständige, belastende Situation endlich mal ein Ende hat. Und so war es auch bei mir. Ich hatte nichts von meinen Eltern, die den ganzen Tag damit verbrachten sich gegenseitig zu verfluchen. In dieser Zeit hat nämlich weder mein Vater noch meine Mutter Zeit gefunden mit mir oder meiner kleinen Schwester, Blair, zu reden.
Dann war plötzlich alles aus und vorbei. Ich hab nie bestritten oder geleugnet, dass es ungewohnt war, als mein Vater nicht mehr bei uns lebte sondern in einer Wohnung mit seiner neuen Freundin Claire, die im Übrigen ein wirklich wundervoller Mensch war. Aber es war aushaltbar, nach kurzem hatte ich mich daran gewöhnt und schon bald kam ich mit der neuen Situation super klar. Es gab weniger Stress und Streit, meine Eltern hatten mehr Zeit für mich und auch für Blair und es war entspannt wie seit Jahren nicht mehr.
Und dann kam was kommen musste. Meine Mutter fand einen neuen Mann. Benjamin. An sich ein netter Kerl, ziemlich groß, mit blonden Haaren und dunklen Augen aus dem Süden Englands. Seine Frau war wenige Monate zuvor gestorben und er hatte nun 3 Kinder am Hals. Ihm machte das freilich nicht viel aus - es waren ja schließlich seine Kinder - aber als wir dann zusammen in ein Haus nach Cannock in Mitten Englands ziehen mussten, auf Wunsch meiner wunderbar blöden Mutter hin natürlich, war für mich der Spaß vorbei.
1. Kapitel
„Mum, das kannst du doch nicht ernst meinen!“, rief ich empört aus und starrte meine Mutter fassungslos an, während meine Laune gegen null sank. Mein Leben schien es mir gerade echt so schwer wie nur möglich machen zu wollen.
„Natürlich meine ich das Ernst, Belle, oder sehe ich so aus als würde ich Scherze machen?“ Meine Mutter ließ genervt ihr Geschirrtuch sinken, mit welchem sie bis eben noch den Abwasch abgetrocknet hatte und sah mich bittend an.
„Aber ich kenne diesen Mann doch kaum. Ganz zu schweigen von seinen Kindern. Und wie kannst du von mir verlangen in so eine seltsame kleine Stadt zu ziehen, so weit weg von meinen Freunden und Bekannten?“ Ich bemerkte, dass meine Tonfall von wütend in quengelig überging, aber das war meiner Meinung nach für diese Situation vollkommen angebracht. Was hier geschah war definitiv und absolut gegen meinen Geschmack.
„Tja, dann ist das doch eine gute Möglichkeit um sich kennen zu lernen. Du wirst Ben’s Kinder mögen; sie sind zuvorkommen und höflich, und die kleine Emmi ist wirklich ein Engel.“ Meine Mutter wandt sich wieder dem Geschirr zu, ließ es sich aber nicht nehmen mich weiter sinnlos zuzulabern - als würden mich ihre dahingesagten Worte auch nur einen Funken interessieren. „Außerdem kannst du den Kontakt mit deinen Freunden doch halten. Wozu gibt es Handys und Internet?“
Zutiefst verärgert und immer noch relativ fassungslos stand ich auf und ging aus dem Raum. „Das ist doch alles nur dummes Gequatsche. Ich habe keine Lust hier wegzuziehen. Kann deine tolle neue Familie nicht hier her kommen?“
Ich hörte wie meine Mutter das Geschirrtuch auf die Ablage schmiss und mir ins angrenzende Wohnzimmer folgte. „Ach Liebling, Ben und ich wollen völlig neu starten. Das geht nicht in einem Haus in dem ich schon mit deinem Vater gelebt habe. Hier hängen zu viele Erinnerungen, genau wie in Ben’s alter Heimat.“
Nervös begann ich an meinen Fingernägeln zu knabbern. Sie schien es tatsächlich ernst zu meinen. Das war absolut scheiße. „Warum kaufen wir dann nicht ein neues Haus in der Gegend?“, startete ich einen letzten, verzweifelten Versuch - wohl wissend, dass ich schon lange verloren hatte. Tragisch aber wahr.
„Belle, ich habe keine Lust mehr auf diese Diskussion. Das Haus in Cannock ist schon längst gekauft, die Möbelwagen gemietet und auch der ganze Rest ist schon vorbereitet. An unserer Entscheidung gibt es nichts mehr zu rütteln - am Freitag geht es los. Nutz die letzten zwei Tage hier um dich von deinen Freunden zu verabschieden.“
Ein wütender als auch klagender Schrei entwich mir. „Verdammt noch mal, ich bin 17 Jahre alt. Warum muss ich mir so was von dir vorschreiben lassen?“
Ich sah meiner Mutter an das sie so langsam die geduld mit mir verlor. Wie lange führten wir diese Diskussion schon? Abend für Abend. Wochen, Monate lang und es hatte nicht das Geringste genutzt.
„Es reicht! Endgültig! Ich bin deine Mutter und du wirst dich meiner Entscheidung fügen. Ich habe wahrlich lang versucht dir alles so schön und angenehm wie möglich zu machen, aber du gibst mir keinerlei Möglichkeiten mehr dazu. Auf dem Tisch liegen seit Wochen die Fotos von Ben’s Kindern und du hast noch nicht mal einen winzigen Blick darauf riskiert. Wie kann man nur so verdammt uneinsichtig und stur sein? Ich will doch nur das Beste für dich, aber nebenbei will ich auch ein wenig an mich denken. In den letzten zwei Jahren war ich nun wirklich genug allein und habe immer alles für euch gegeben. Aber jetzt bin ich auch mal dran, Belle!“ Mit diesen harten Worten ging sie zurück in die Küche und ich hörte wie sie die Teller und Gläser förmlich in die Schränke schmiss.
Ich sank erschöpft und niedergeschlagen auf der Couch zusammen. Das war’s dann wohl mit meinem Widerstand. Mir blieb nichts anderes als mich meinem Schicksal zu fügen.
Das hieß dann wohl Goodbye London, Hello Cannock. Ich konnte es ja kaum erwarten meine ganzen Freunde zu verlassen, genau wie meinen Vater und seine Freundin Claire, mein gewohntes Umfeld und meine geliebten Clubs hier in der Gegend.
Ich vergrub den Kopf in den Händen, fuhr mir durch die langen, dunkelbraunen Haare und schloss die Augen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob ich mich dann doch und steuerte auf den Tisch zu, auf dem besagte Fotos lagen. Ich zögerte einen Moment, nahm sie dann aber doch in die Hand und sah sie mir nacheinander an.
Auf dem ersten Bild war Ben zu sehen. Blonde Haare, dunkle Augen, einige Falten auf der Stirn und um den Mund. Er lachte auf dem Bild und es wirkte so als würde er es das erste Mal seit langer Zeit tun. Vielleicht das erste Mal seit seine Frau gestorben war? Ich seufzte leise und legte das Bild beiseite.
Das nächste Foto zeigte einen Jungen, ich würde ihn auf 17 oder 18 Jahre schätzen. Er hatte ebenso blonde Haare wie Ben, jedoch sehr helle Augen, eine Mischung aus blau und grau. Sein Mund war zu einem frechen Grinsen verzogen und ich war mir sicher, dass er der typische Aufreißertyp war. Na klasse. Ich drehte das Bild um. Lucas
, stand da in einer feinsäuberlichen Schrift geschrieben, die ich nicht kannte. Noch einmal drehte ich das Bild und schaute mir Lukas genau an. Er hatte etwas an sich das es mir schwer machte den Blick abzuwenden.
Trotzdem legte ich das Bild schließlich zur Seite und starrte auf den nächsten Jungen, der auf einem neuen Foto verewigt war. Er sah vom Alter her genau gleich aus wie der erste Junge, seine Ausstrahlung war jedoch eine ganz andere. Man sah auf den ersten Blick, dass er ein Rebell war. Seine Haare waren im Gegensatz zu dem hellen Blond zuvor tiefschwarz. Allerdings nicht so ein seltsam gefärbtes schwarz, wie es einige zur Schau trugen, sondern ein natürlich wirkendes schwarz. Seine Augen hatten jedoch den gleichen grau-blau Ton wie die von Lukas. Neugierig drehte ich das Bild herum. Nate
, stand da.
Ich blickte noch eine Weile auf den Bildrücken und wandt mich dann dem letzten Foto zu. Mir strahlte ein kleines Mädchen entgegen, vielleicht 2 Jahre alt, mit großen blauen Kulleraugen und einer niedlichen Stupsnase. Ich muss gestehen, dass ich schon immer eine kleine Schwäche für Kinder dieses Alters hatte und mit einem Mal kam mir der Umzug ein bisschen weniger schlimm vor. Aber nur ein kleines bisschen! Das war dann wohl Emmi, von der mir meine Mutter eben noch vorgeschwärmt hatte.
Mir auf die Unterlippe beißend platzierte ich die Bilder wieder auf dem Tisch. Das war dann wohl meine neue Familie. Ich unterdrückte ein erneutes seufzen. Vielleicht würde es ja nur halb so schlimm werden wie ich es vermutete. Ich sollte Ben, Lucas, Nate und Emmi eine Chance geben.
Doch jetzt würde ich mich erstmal in mein Zimmer verziehen und schön laut Musik hören. Als ich mich auf den Weg dorthin machen wollte sah ich meine Mutter im Türrahmen zur Küche stehen. Sie lächelte schwach. „Ich bin froh das du ihnen eine Chance gibst, Bellie.“ Sie trat einen Schritt auf mich zu und küsste mich auf den Scheitel.
„Von mir aus, aber hör ja auf mich Bellie zu nennen.“, knurrte ich zurück und machte mich von ihr los.
„Du weiß doch, dass ich mit den französischen Namen nicht so klar komme. Aber euer Vater wollte ja unbedingt.“ Sie verdrehte die Augen.
Ich grinste schief. „Warum du damals einen Franzosen geheiratet hast weißt du wahrscheinlich auch nicht, was?“
Mit einem gespielt empörten Gesichtsausruck warf sie das Geschirrtuch nach mir, das sie nach wie vor in der Hand hielt. „Natürlich, weil ich ihn geliebt habe. Man macht so einige Dinge für die Menschen die man liebt, Belle, und dazu gehören auch schwere Entscheidungen.“
Ich sah sie ergeben an. „Wenn es denn sein muss.“ Und damit verschwand ich in mein Zimmer.
Texte: A l l e R e c h t e l i e g e n b e i m i r ! K o p i e r e n V e r b o t e n !
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese Buch ist ganz einfach für alle besonderen Menschen auf dieser Welt. Und für Julia.