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Manchmal träumte er.
Wenn er träumte, dann von ihr.
Er saß aufrecht am Kopfende des riesigen Himmelbettes dessen Breite grade lang genug für sie war um am anderen Ende ausgestreckt liegen zu können. Die Knie hatte sie sich dennnoch an die Brust gezogen und so lag sie zusammengerollt da, wie eine Katze.
Der Zeigefinger ihrer rechten Hand berührte grade eben ihre Wange und ihr, sich bis über die Kante ausbreitendes, Haar schien nicht mehr länger einfach schwarz. Nein. Wie flüssig schwarze Seide umfloss es ihr Gesicht, etwas Unbeschreibliches zwischen Elfenbein und einem Schimmer von rosa Kirschblüten.
Dann und wann drehte sie sich um oder blinzelte ihn kurz aus kornblumenblauen Augen an, ohne aus ihrem Schlummer zu erwachen und ihr sanfter Atem blieb das einzige, was die Stille des Raumes erfüllte.
Durch hohe Fenster flutete die Abendsonne das Zimmer, schob die Schatten den Wänden entgegen und verabschiedete den Tag mit ihrer letzen Wärme in die Dämmerung.
Sie erreichte ihn nicht.
Sie erreichte ihn nie und ihm war nie kalt, aber immerzu sehnte er sich nach der Wärme, konnte nur allzu deutlich erahnen, wie ihr nach Licht duftendes Haar sich zwischen seinen Finger anfühlen würde.
Doch verweilte er dort, fern von ihr im Schatten, denn dies war sein Weg und der Übergang von Schatten zu Licht seine Grenze, überschritt er diese, so würde er fallen.
Wehmütig beobachtete er wie die Staubkörner die goldenen Strahlen reflektierten, die zäh durch die Scheiben sickerten und nun langsam die Wände hochkrochen.
Die Zeit um sie und ihre Gestalt herum schien sich zu verlangsamen, bis die Staubkörner in der Luft erstarrten und sie still stand.
Dann erwachte er und sie begann zu rasen.


Er schleppte schwer an seiner Tasche, schwerer als er es noch vor einem Jahr getan hatte.
Schnaufend ging er voran und trug sie mal mit der einen Hand mal mit der anderen oder vor der Brust in beiden Armen. Er erlaubte mir nicht einmal ihm die Last für kurze Zeit abzunehmen, damit er verschnaufen konnte. Mit dem Auto wären wir hier nicht weit gekommen, war es auch so klein, die Straßen, eng und von hohen, glatt verputzen und fensterarmen Hauswänden gesäumt, schlängelten sich in einem endlos scheinenden Wirrwarr und boten mit immer währendem Schatten unter blauem Himmel wenigstens geringe Abkühlung in der Nachmittagshitze, nur stolperte ich immer wieder über das unebene Kopfsteinpflaster.
Er war der von uns beiden der das Wirrwarr zu entwirren wusste und ich vermochte nicht zu sagen wie er es tat, denn in seinem Leben war er nie zuvor hier gewesen und von so etwas wie Stadtplänen machte er nie Gebrauch. Diese Eigenschaft immer das Ziel zu finden ohne den Weg zu kennen war eine seiner Gaben, wie er es nannte.
Wieder schnaufte er, stellte die Tasche ab und kramte aus einer Jackentasche ein Taschentuch, mit dem er sich über Stirn und Nase fuhr.
>Ihr solltet euch ein wenig ausruhen Pater. < sagte ich bestimmt, seine Tasche würde er mich ohnehin nicht tragen lassen.
>Nein nein, wir sind doch bald da. < schüttelte er den Kopf und schloss seine Finger wie zur Unterstreichung seiner Erwiderung wieder um den Henkel der Tasche.
Tatsächlich drang wenige Schritte später ein beißender Geruch in meine Nase und je weiter wir gingen, desto penetranter wurde er.
Ich griff in meine eigene Jackentasche und zog ein kleines Döschen heraus, darin war eine Creme, die so stark nach Lavendel duftete, dass man meinen könnte, sie veätzte einem die Schleimhäute mit Lavendelöl, wenn man einmal daran roch. Dennoch war es eine angenehmere Möglichkeit sich etwas davon zwischen Nase und Lippen zu tupfen um sich ein wenig von dem Gestank abzulenken.
Er war schlimmer als sonst.
Eine Mischung aus verbranntem Fleisch und Verwesung.
Ungehalten rümpfte ich die Nase, als der Gestank von dem mindestens genauso intensiven Lavendelgeruch verdrängt wurde.
>Kannst du etwas sichten? Die Sonne blendet mich so. < schnauzte er in sein Taschentuch und schimpfte dann: >Der stinkt ja bestialisch! <. Nickend pflichtete ich ihm bei.
Ich sah gen Himmel und versuchte dabei die Kontrolle über meine Schritte zu behalten, er wollte nur nicht zugeben, dass seine Sehkraft langsam aber sicher nachließ.
Für das normalmenschliche Auge unsichtbar, zogen sich dort seltsam schwärmende Asche-Wölkchen zusammen und trübten das strahlende Blau und hätte ich es nicht besser gewusst, dann hätte ich dort oben ein verirrtes Bienenvolk vermutet.
>Er atmet ein. Wir müssen uns beeilen, er wird sonst noch stärker werden. < stellte ich bitter fest.
>Adiam! In der Tat, nun sehe ich es auch. Wir sind spät dran. < rief er aus und eilte nun noch schneller voran, sodass ich doch ernsthaft an meiner Fitness zu zweifeln begann, weil es mir schwer fiel mitzuhalten.
Plötzlich bog er in eine seitliche, enge, dunkle Gasse ein, die nach wenigen Metern den Weg in einen Sonnengefluteten Innenhof freigab. Über uns vernahm ich das Summen des Schwarms der sich mit pulsierenddem Schwirren zu verdichten drohte, während er noch immer von heran schwirrendem Staub genährt wurde.
Alles an dem Gebäude das den Hof umgab ließ auf eine Art von Krankeneinrichtung schließen, der einzige Teil der mit der ersten Etage über das Erdgeschoss hinaus ging war der in unserem Rücken. Die überdachten Eingänge zu den Zimmern, die rund um den Hof verliefen, zweigten typischer Weise direkt vom Hof ab ohne erst durch einen Flur verbunden zu werden. Aus vielen der halboffenen Fenster flatterten dünne, vergilbte Vorhänge.
Unter anderen Umstanden wäre dies wahrscheinlich ein relativ angenehm erscheinender und vor allem ruhiger Ort, doch die spannungsgeladene, ja unheilschwangere Atmosphäre, die das Haus umgab, verwandelte es in etwas, dass jedes Lebewesen, welches seinem natürlichen Instinkt noch folgte, von hier verstrieb.
Für die Ohren normaler Leute herrschte hier Totenstille und an meine Ohren drang kein Laut, der das Summen zu übertönen vermochte, doch selbst sie hätten befunden, dass dem Gestank nach das Gebäude in Flammen hätte stehen müssen.
Die Luft zu atmen war wie seine Lungen mit stickigem, beißenden Rauch zu füllen, mit dem einzigen Unterschied, dass diese noch klar war.
Zielstrebig, ohne uns vorher orientiert zu haben, steuerten wir auf die rechte Ecke des Hofes zu, wir betraten grade durch die Tür eine schmalen Raum, als uns eine kleine, rundliche Frau entgegengeeilt kam, dicht gefolgt von einem ebenso kleinem Mann, der an seiner Kleidung und der Bibel in der Hand unschwer als Priester zu erkennen war.
>Lo malo! Demonio! Lo malo! < rief sie uns zu und winkte uns wild mit einem Rosenkranz fuchtelnd ihr zu folgen, als sie auf dem Absatz kehrt machte und wieder in den das Hinterzimmer des Raumes hetzte.
Noch bevor wir den Raum betraten wirbelte sie erneut herum und starrte mich an, während sie mir den Weg versperrte.
>Chamaca! < schimpfte sie den Pater an, dieser schüttelte den Kopf und zeigte mit den Worten >Adiam. El Don! Alumna.

>Adiam. Ich kann es spüren, du bist gesegnet.

hatte er gesagt und ich wollte mich grade wundern wer sich dort so unverhohlen zu mir an den Mittagstisch in der Mensa gesetzt hatte um mich mit merkwürdigen Sprüchen anzubaggern, als ich sah, dass er ein alter Mann war. Weder Groß noch schmächtig. Mit wissenden, klaren, blauen Augen hatte er mich aus seinem hageren Gesicht angeblitzt.

>Bitte was? Sie müssen mich verwechseln, ich heiße nicht Adiam.

hatte ich erwidert, gefesselt von der Bestimmtheit die in seinem Blick und seinen Worten lag.

>Natürlich nicht.

hatte er mir beigepflichtet,

>Dein Name ist Scua. Du bist eine Adiam, eine Begabte. Du kannst Dinge sehen nicht wahr? Hast du schon einmal einen Engel gesehen? Kannst du ihre Anwesenheit spüren?

hatte er mich verschmitzt angegrinst und wusste die Antwort eigentlich schon.
Ja das hatte ich und ja das konnte ich. Genauso wie die von anderen, bösen, schrecklichen Wesen.

>Ich brauche dich als meine Gehilfin. Möchtest du meine Schülerin werden? Ich kann dir Zeigen wie du mit den unschönen Seiten deiner Gaben fertig wirst.


Und ich hatte ohne noch weiter darüber nachzudenken mit einem Nicken geantwortet.
>Scua?! Was ist in dem Raum? < rief Vadim nach mir. Mit einer Handbewegung bedeutete ich der Frau gänzlich von der geschlossenen Tür weg zu treten, lehnte mich dann, beide Hände auf das Holz der Tür gelegt, dagegen und fühlte mit geschlossenen Augen in den Raum hinein.
Hinter der Tür pulsierte eine Macht.
In unregelmäßigen Schüben schwappte sie gegen die Grenzen meines Geistes.
Vorsichtig tastete ich mich vor, was immer darin war sollte noch nicht wissen, dass wir hier waren.
Eines war gewiss: Es war böse.
Die Komplette Energie die den der Raum beinhaltete war böser Natur. Sollte darin noch ein letzter Rest gute Seele existieren, war es fraglich ob dieser überleben würde.
>Es ist mächtig. Wir müssen verhindern, dass es einatmet. Wenn es noch mächtiger wird ist die Seele endgültig verloren und wir vielleicht auch. < so kühl mein Kopf bis eben noch gewesen war, denn in den letzten zwei Jahren hatte ich viel gesehen und viel gelernt, nun war ich mir nicht mehr sicher, dass wir noch Herr der Lage sein würden, wenn wir den Raum erst betraten. Ich hörte wie der Priester mit der Frau sprach und sie kurz darauf schimpfend und laut rufend davon lief.
>Was ist mit der Seele? < hakte Vadim nach, es war wichtig, dass wir die Lage einschätzen konnten bevor wir das Zimmer betraten. Traurig schüttelte ich den Kopf.
Hinter mir vernahm ich ein verzweifeltes Seufzen aus Vadims Munde.
Je länger ich mich konzentrierte, desto mehr konnte ich wahrnehmen; die Seele die es zu retten galt, für die jedoch nur noch wenig Hoffnung bestand, war noch jung und sie saß in einem ebenso jungen Körper, draußen über dem Haus zog sich Verstärkung für das Wesen in diesem Zimmer zusammen und wenn es erst bereit war sie aufzunehmen, würde es zu spät für uns sein.
Am Rande meines Bewusstseins trat eine weitere Seele in unsere Gegenwart und sie stand in einem Kontrast zum Bösen wie er hätte grösser nicht sein können. Das seltsamste war das Gefühl der Vartrautheit.


Dies war kein Traum. Da stand sie, wahrhaftig.
Die Stirn an die Tür gelehnt, hatte sie ihren Geist die Grenzen ihres Körpers überschreiten lassen und versuchte zu erfassen, was hier vor sich ging.
Der alte Mann hinter ihr spürte seine Anwesenheit genauso wie sie und starrte dabei mitten durch ihn hindurch.
Durch den Hof hörte man nun Fußgetrappel und Rufe hallen, bald darauf stieß eine kleine Frau zu der Gruppe, dicht gefolgt von drei großen, kräftigen Männer im Alter von 20 bis 50, der alte Mann, Pater Vadim drehte sich um und sah sich erleichtert seiner Verstärkung gegenüber stehen.
Noch bevor sie, Scua es bemerken konnte, spürte er wie sich eine zweite Seele seiner Art zu ihm gesellte und neben ihm zu landen schien.
>Joel, was tust du hier? < formte sich die Frage bevor sich der Körper des zweiten Engels geformt hatte. Der Engel Joel starrte weiterhin das Mädchen an.
Sie war eine Adiam, eine Begabte. Sie konnte ihn sehen. Sie würde ihn sehen, wenn sie nur die Augen öffnete.
>Joel!? <
>Ich bin hier, weil sie vielleicht meine Hilfe braucht. < antwortete er, zugleich wissend dass es der Teil der Wahrheit war an dem der anderen kein Interesse hatte.
>Vielleicht schaffen die beiden es nicht allein den Dämon zu bannen, dann werde ich ihnen helfen. < flüsterte er in sich hinein. Der Engel neben ihn streifte seine Lichtgestalt ab und stand nun, wie Joel, völlig regungslos da und beobachtete wie Scua ihren Geist ausstreckte.
>Sie ist eine Adiam. < bemerkte er verblüfft, >Eine sehr begabte noch dazu. <.
>Sie kann uns sehen. Sie könnte uns wahrscheinlich hören, wenn sie aufhört sich auf den Dämon zu konzentrieren. < Joel sah zu wie Vadim Scua eine Hand auf die Schulter legte und sie daran erinnerte, dass sie wieder vollständig in ihren Körper zurückkehren musste, bevor sie dem Dämon gegenüber traten.
>Joel, deine Hilfsbereitschaft in allen Ehren, du würdest dich anderen Dingen zuwenden, wenn sie nicht diejenige währe die in Gefahr schwebt. < ertappt blinzelte Joel den anderen an.
>Ich beobachte es seit langem Joel. < sprach er nun leiser und eindringlich.
>Du veränderst dich. Ich spüre es an deiner Aura und nicht nur ich bin dazu in der Lage. <
Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und suchte zum Nachdruck Augenkontakt, Joel schluckte trocken. Er kannte das Risiko und wusste wohl um die Willkür, mit der seinesgleichen gehandhabt wurden.
>Es ist nichts. Ich werde eingreifen, falls sie die Kontrolle verlieren. Ich werde die Grenze nicht überschreiten. <
>Du bist bereits dabei die Grenze zu überschreiten! Wenn du erst stürzt, dann gibt es keinen Weg zurück mehr! < Joel schluckte erneut aber es half nicht über seine heisere Stimme hinweg,
>Elias < krächzte er, in seiner Stimme klang der Selbstzweifel >ich träume von ihr. Wir reden nie, ich sehe ihr nur zu wie sie schläft. Im Traum ist sie bei mir, aber ich kann sie nicht erreichen. <
Elias war wie vom Donner gerührt.
Engel waren keine Menschen.
Engel schliefen nicht, sie ruhten nur und dazu sehr selten.
Träumen taten sie niemals.
>Scua, komm zurück. < hörte er den alten Mann zu dem Mädchen sagen. Erschrocken wurde er sich wieder der Tatsache bewusst, dass sie ihn sehen und vielleicht sogar hören konnte. Elias wandte sich ihr zu, sowie Joel, abwartend.
Langsam löste sie sich von der Tür und brauchte einen Moment um den Weg aus ihrer Trance zurück zur Besinnung zu finden.
Fast schon wirkte sie, als sei sie grade aus den Tiefen eines langen Schlummers aufgetaucht.
>Joel, sei dir dessen bewusst was mit dir geschieht, wenn du seinen Pfad verlässt. < zischte er ihm noch zu, dann verschwand er in einem Lichtschleier, der noch einen kurzen Moment von seiner Anwesenheit zeugte, grade als sie den Blick in die Richtung wandte in der sie eben diese und die Joels gespürt hatte.
Elias wollte sich dem Mädchen nicht zu erkennen geben.
Ein Unbehagen, hervorgerufen von einer düsteren Gewissheit, begleitet von einem wohlig warmen Schauer, fuhr Joel durch den Körper.
Er sah sie, Scua nicht zum ersten Mal.
Doch beinahe so fühlte es sich an, als sie mit ihren kornblumenblauen Augen den seinen begegnete.
Sie war real.


Gänzlich sicher war ich mir nicht, aber ich glaubte ihn schon einmal gesehen zu haben.
Er war ein Engel.
Ohne gefederte Flügel oder einen Heiligenschein oder etwas anderes, dass man hätte mit den Augen hätte sehen können.
Doch vor meinem Geistigen Auge erschien das Bild seiner Aura, die sich in zwei Bögen über seinem Kopf um seinen Körper schwang.
Ein weiß-silbernes Schimmern, seine Flügel.
Mein Blick traf den seinen, seine Augen eine Mischung aus dem silbernen Strahlen seiner Aura und Sommergrün, aus Verwirrung und einem Ausdruck zwischen Entschlossen- und Befangenheit.
Vadim versuchte unterdessen unserer neuen, aus drei Männern bestehenden Verstärkung mit Händen und Füssen Anweisungen zu geben, was sie zu tun hatten, während diese mich nur blöde anglotzen und sich unbehaglich windend schmal machten. Erneut spürte ich Vadims Hand auf meiner Schulter,
>Es ist ein Kind nicht wahr? < ich nickte bedauernd, >Wir können nicht mehr tun als es zu versuchen. < sprach er unnötiger Weise aus, was uns beiden durch den Kopf ging.
>Okay, öffne die Tür wenn du bereit bist. < forderte er mich auf, er atmete ruhig und kontrolliert, doch auch er wurde zu nehmend nervös.
Draußen schwoll das Summen des Schwarms zu einem gefährlichen Dröhnen an.
Ein paar Mal atmete ich tief durch, dann drehte ich den Schlüssel im Schlüssellloch der Tür um und stieß sie auf. Vadim sprang, dicht gefolgt von mir, in den Raum.
Eine Welle der Übelkeit schlug über mir zusammen, ich hätte mich am liebsten übergeben; der Gestank nach verschmorten Fleisch und Verwesung schien mir durch die Nase in den Kopf zu steigen um dort sein unwesen zu treiben. Hiergegen kam selbst der Lavendegeruch nicht an.
Der Raum war dunkel, bis auf das spärliche Licht das durch die Tür in das Zimmer drang, das einzige Fenster war von draußen mit Brettern vernagelt worden.
Das iinzige Möbelstück war ein altes Metallbett mit einer dünnen Matratze.
Drauf, in Mitten des zerwühlten Bettlakens und einer zerfetzten Decke saß ein kleines Mädchen, nicht älter als zehn.
Sie dünnen Beinchen vor sich angewinkelt hielt es seine Fußsohlen aneinander gehalten und das Gesicht, unter einer Wirren Mähne aus schwarzem Haar gesenkt, während es unter einem unmelodischen Summen vor und zurück wippte.
Angst, Panik und Grauen packten mich gleichzeitig mit den Männern, die hinter uns in den Raum gestürmt kamen und das Mädchen zögerlich an Händen und Füssen packten.
Unter Schreien und Kreischen gab sich nun das zu erkennen, was diesem Körper nun anstatt einer Kinderseele inne wohnte.
Das zierliche, verhungerte Gesicht zu einer monsterhaften Grimmasse verzogen wehrte es sich unter Kräften, die ein geschwächter Körper wie dieser nie hätte hervorbringen können, gleich den Stimmen die aus seinem Hals drangen.
Tief und verzerrt, mir unbekannte Sprachen unterbrochen von langegezogenen, spitzen Schreien.
Vadim baute sich am Fußende des Bettes auf und zog ein hölzernes Kruzifix aus seinem Gewand hervor, dass er empor hielt. Langsam begann er ein Gebet auf Latein, auf das der Dämon in der Kindergestalt mit äußerstem Missfallen reagierte.
Er schrie lauter als er es aus Leibeskräften vermocht hätte und begann sich unter den Händen der Männer zu winden uns zu biegen.
Vadim war alt geworden, dass merkte ich ihm an. Seine Stimme war nicht mehr so durchdringend wie sie einmal gewesen war und das merkte auch der Dämon.
Er begann sich mit wilden Beschimpfungen gegen ihn aufzulehnen, hob den zietternden Kopf, die Augen nach hinten verdreht, dass sie weiss schienen.
Meiner Aufgabe gemäß stellte ich mich neben ihn an das Bettende, zog an der Kette um meinen Hals, brachte einen Rosenkranz mit einem silbernem Kreuz daran zum Vorschein und stimmte in das Gebet mit ein.
Der Körper des Mädchens wurde beim erklingen meiner Stimme erneut zurück geworfen und begann tief aus der Lunge zu keuchen.
Das Gebet endete, doch noch bevor wir in das nächste anstimmen konnten, fuhr sie mit einem solchen Ruck nach oben, dass der jüngste der Männer, er war nicht älter als ich, nach hinten geschleudert wurde.
In einem irren Lachen warf sie den Kopf nach hinten und riss denn Mund auf, als das neue Gebet begann sackte sie nach vorn und ließ den Kopf wieder sinken, plötzlich saß sie ganz still.
Mit wachsendem Gräuel beobachtete ich wie sie ihren Kopf wieder hob, das Gesicht zu einer hässlich grinsenden Grimasse verzogen.
>Du< flüsterte sie, mit einer Stimme die zu der zierlichen Mädchengestalt des Körpers passte, kicherte und hob den Blick zu mir, ihre Augen schwarz.
>DUUUUU< kreischte sie mit unmenschlicher Stimme, warf den Kopf vor und zurück und begann von Neuem sich unter den Händen der Männer zu winden.
Dessen dritter im Bunde hatte sich wieder aufgerappelt und packte sie bei den Schultern um sie in die Matratze zu drücken.
>Setze das Gebet fort. < befahl Vadim und löste sich von der Bettkante, das Kreuz noch immer über seinem Kopf erhoben schritt er um das Bett herum und begann einen Psalm zu wispern, wohl wissend, dass wenn auch ich ihn nicht hören oder gar verstehen konnte es der Dämon sehr wohl tat. Dem entsprechen fiel auch die Reaktion aus.
Erneut feuerte er oder sie, ich wusste nicht mehr wie ich denken sollte, eine Schimpfkanone ab.
Doch als er, der Körper des Mädchens, wieder zu Keuchen begann und sich in zuckenden Verrenkungen auf dem Laken wand, begann etwas anderes mich zu beunruhigen.
Draußen vor dem Haus schwoll das Dröhnen des Schwarms zu einem ohrenbetäubenden Tosen an.
Wenn wir es nicht bald zu Ende brachten würden wir keine Chance mehr dazu bekommen. Unheilvoll begann der Dämon unter Röcheln Luft ein zu ziehen und sich, soweit das unter den Händen der Männer überhaupt möglich war, hin und her zu werfen. Das war es was wir unter "atmen" bei einem Dämon verstanden, er sog Luft in seinen Körper und das Böse damit zu sich.
Den Blick nicht von ihr lösend beobachtete ich aus dem Blickwinkel wie Vadim weiter um sie herum schritt und sich am Kopfende auf Knien auf dem Bett niederließ und ihren Kopf mit seinen Händen packte, währen er immer noch das Kreuz in der Hand hielt.
Dort wo das Kruzifix ihr Gesicht berührte begann sich die Haut wie unter einer gerade entstehenden Verbrennung zu kräuseln.
Der Dämon heulte auf.
Ich wusste was Vadim tat.
Wenn der Schwarm in sie fuhr bevor wir es geschafft hatten den Dämon zu vertreiben, würde Vadim dem Mädchen, das Genick brechen.
Er würde den Wirt des Dämons töten bevor der Dämon mit Hilfe des Körpers alle anwesenden umbringen konnte.
Das Heulen wurde zu einen Wimmern und das Wimmern erneut zu einem Lachen.
>DUUUU! < schrie er wieder und schielte diesmal zur Seite.
Dort stand völlig ungerührt der Engel und sah auf das Schauspiel, das sich ihm bot.


Scua.
Sie war so wirklich.
Warum hatte er sich nicht früher dazu entschieden sie wieder zu sehen?
Der Dämon schrie und hielt sich verzweifelt an der fremden Hülle fest, in dessen armes Geschöpf er sich eingenistet hatte.
Die Gebete und Psalmen die das Mädchen und der alte Mann sprachen zerrten an ihm und an seinen Kräften, vielleicht würde er bald zu schwach sein sich zu wehren, zu schwach um zu atmen.
Dann konnte Joel ihn packen und ihn gradewegs in das Loch befördern, aus dem er vor wenigen Wochen gekrochen kam um sich auf Erden einen Wirt zu suchen, eine reine Seele.
Die eines Kindes.
Joel ballte seine Hände zu Fäusten. Das Beten schwächte nicht nur den Dämon denn es waren nicht nur die Worte die ihm die Kräfte raubten.
Es war vielmehr die Kraft die in diesen Worten lag und der größte Teil dieser Kraft ging von dem Mädchen mit den kornblumenblauen Augen aus und langsam schwanden ihre Ressourcen.
Ohne nachzudenken umrundete Joel das Bett, gefolgt von den schwarz funkelnden Augen des Dämons und gesellte sich zu Scua. Wie um ihr den Rücken zu stärken legte er seine Hände auf ihre Schultern und schenkte ihr etwas von seiner Kraft.
Engelsmagie.
Gleichzeitig erhob sie ihre Stimme, die aufeinmal das Kreischen des Dämons zu übertönen vermochte.
Joel sah nicht wie sie die Augen schloss, doch als sie sich nach vorn beugte (den Rosenkranz ums Handgelenk gelegt) und den Körper des Dämons bei den Füssen packte, hielt er den Körperkontakt zu ihr und ließ seine Hände ihren Rücken hinunter zur Taille gleiten.
Scuas erhobene Stimme verwandelte sich in ein Schreien.
Den Dämon schüttelte es unter der Berührung ihrer Hände.
Mit dem nächsten Aufkreischen des Dämons zersprang seine Stimme wie Glas. Fast schien der Körper des kleinen Mädchens in sich zusammen zu fallen und zu erschlaffen.
Aus Mund, Nase, Ohren und Augen quoll der Dämon und stahl ihm den Atem.
Joel stieß sich vom Boden ab, stürzte sich auf ihn und packte das schwarze Etwas.
Er zog es mit einem Ruck heraus und löste sich dann, die Finger in den Schatten gekrallt, wörtlich in Licht auf.
Scua keuchte auf.
Sie hatten es geschafft.
Sie sah zu Vadim der sich erschöpft an die Wand hinter ihm sinken ließ und ihr anerkennend zunickte.
Die Männer hielten verwirrt noch an den Gliedmaßen des Mädchens fest, das sich jedoch nicht mehr regte.
Scua richtete sich auf, schubste die Männer aus dem Weg und beugte sich über sie.
Der Gestank den der Dämon mit sich gebracht hatte war mit ihm wieder gegangen, aber der der den Raum nun erfüllte war für humane Begriffe nicht viel besser.
Das Mädchen atmete nicht.


>Sie hat keinen Puls. < sagte ich an Vadim gewandt und versuchte dabei verzweifelt doch einen zu finden.
>Ruft doch einen Krankenwagen um Himmels willen! Ambulancia!<

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Sarah für Malene und für meine Schwester Bjørg

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