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Prolog - 10 Jahre zuvor


"Mason! Mason!" Meine sonst so piepsig hohe Stimme, klingt nun voll und laut, ist jedoch sehr bald nur noch ein raues Flüstern, dass der kühle Herbstwind davon trägt. Ich laufe der vermummten Gestalt hinterher, die beinahe einen ganzen Kopf größer ist als ich und laut lachend mit meiner Puppe hinter einem Gebüsch verschwindet. "Gib sie mir zurück, Mason Hawkes!", schreie ich lauthals, bin mir schon bald jedoch nicht sicher ob ich die Wort wirklich ausgesprochen oder nur gedacht habe, denn es kommt keine Antwort seinerseits. Ich habe ihn aus den Augen verloren. Und mit ihm auch meine heißgeliebte Puppe, Eliza. So ein Mist aber auch.
Meine Kehle brennt und meine kurzen Beine treiben sich automatisch an. Der Boden hier ist sehr uneben, völlig verwildert, mit einigen Schlaglöchern darin, weshalb ich aufpassen muss wo ich hintrete und ziemlich durchgeschüttelt werde. Unsere Eltern erlauben es uns eigentlich nicht so tief zwischen die Hecken zu laufen, da der steinige Pfad dort direkt in den Wald mündet und es dort nur so von Moor und Tod trieft. Migton, der Ort in dem wir leben, ist für seine unberührte Natur bekannt, die sich sogar in der Innenstadt zeigt und mit seinen schaurigen Geschichten, die man sich über die Stadt erzählt, viele Touristen anlockt. Doch hier, am Rande wo wir unsere kleine Siedlung haben, ist es nicht nur ausgesprochen schön. Nein. Es ist auch gefährlich. "Besonders für zwei Sechsjährige", wie meine Mutter immer betonte, wenn sie ahnte, dass wir uns dem Wald genähert haben. Ich kann es ganz und gar nicht ausstehen, wenn meine Mutter mich wie ein kleines Kind behandelt. Denn das bin ich nicht. Die Leiterin meines Kindergartens meinte einmal sogar, ich wäre für mein Alter ausgesprochen ... im ... impulitiv, oder so.
Äste peitschen mir achtlos ins Gesicht und ich muss mich mit ausgestreckten Armen orientieren, um nicht gegen irgendwelche morschen Baumstämme zu laufen. Wenn er ihr nur ein einziges Haar krümmt, würde ich in Zukunft den ganzen Butterkuchen alleine aufessen, ohne ihm dabei ein Stück abzugeben. Jeden Sonntag backt meine Mutter Butterkuchen, den besten in ganz Migton, wie es heißt. Und das stimmt wirklich. Wir leben von unserer kleinen Bäckerei, die sich allerdings in der Innenstadt befindet, denn dort kommen mehr Touristen vorbei als hier in unserer kleinen Siedlung, die bei den meisten Bewohner nur "Shelf" genannt wird. Immer wenn Mutter den Butterkuchen serviert schiebe ich ganz unauffällig ein Stück zur Seite, dass ich für Mason aufhebe. Seine Eltern sind sehr arm, hat mir meine Mutter einmal erzählt, und können sich solch feines Gebäck wie Kuchen gar nicht leisten. So habe ich ihn übrigens auch kennen gelernt, als er eines Tages versucht hat ein Laib Brot aus unseren Vorräten zu entwenden und ich ihn auf frischer Tat ertappt habe. "Das ist nicht deins!", habe ich trotzig wie ich bin gerufen und er zuckte sofort zusammen und sah mich mit seinen großen grell grünen Augen an, denen ich manchmal einfach nicht widerstehen kann. "Ich verklopp dich, wenn du das nicht zurück legst", drohte ich ihm und er schluckte schwer. Und danach - und dafür schäme ich mich im Nachhinein ein wenig - habe ich ihm auf seine dreckigen Schuhe gespuckt und breit gegrinst. Wir fanden ein gerissenes Abkommen: Ich habe ich nicht verraten, dafür musste er mein bester Freund werden. Doch wenn er mit dem Quatsch nicht aufhört, würde ich nie mehr seine beste Freundin sein. Gar gar gar gar gar nie mehr!
In dem Moment springt eine flinke Silhouette hervor und ruft laut "Buh!" Ich war darauf nicht gefasst. Das ist der einzige Grund warum ich laut aufschreie und Mason mir seine dumme Hand vor den Mund legen muss, damit ich ruhig bin. Ich beiße ihm verärgert in seine dürren Finger und ohne, dass ich es will sammeln sich Tränen in meinen Augen. Ich bin keine Heulsuse. Ich bin keine Heulsuse. Ich. Bin. Keine. Heulsuse. Doch ich bringe es nicht fertig mich zu beherrschen. Ich will Eliza in den Händen halt und meine kleine Stupsnase in ihrem weichen Stoff vergraben! Das tue ich immer, wenn es mir schlecht geht. Aber jetzt ist sie weg und ... und ... "Dawn? Warum weinst du denn jetzt?", fragt Mason besorgt und als er in meine Tränen gefüllten braunen Augen blickt, kennt er die Antwort. Er saust schnell hinter einen Busch und verschwindet dort für kurze Zeit. Erst begreife ich nicht was das soll, doch dann hat er die Puppe mit dem blau-grün gestreiften Kleidchen in den Händen und wirft sie mir zu. Eliza! Ich fange sie direkt auf und muss lächeln. Nein, ich will gar nicht Lächeln, denn es zeigt ihm, dass alles wieder gut ist und ich ihm vergebe. Aber das tue ich gar nicht! Ich will böse auf ihn sein und ihm auf die Schuhe spucken, wie ich es einst getan habe. Aber ich kann nicht. Als ich aufsehe und dabei so beleidigt, wie nur möglich drein schauen möchte, blicke ich direkt in sein frech grinsendes Gesicht und muss es gegen meinen Willen erwidern.

In dem Moment hören wir ein tiefes Grollen. Es geht schnell. Zu schnell, als dass ich es detaillierter mitbekommen hätte. Wie aus dem puren Nichts stürmt eine pelzige Gestalt hinter dem gelblichen Gestrüpp hervor, die Zähne angriffslustig gefletscht und es fährt mir kalt den Rücken hinunter. Vor uns bäumt sich eine abgemagerte Hyäne auf. An dem einen Ohr fehlt ein kleiner Fetzen. Möglicherweise eine Kampfverletzung? Ich drücke Eliza fest an mich und noch ehe ich kreischen, oder irgendetwas erwidern kann stürmt das Tier direkt auf uns zu. Ich bemerke noch, wie sich Mason schützend vor mich stellt. Dann schließe ich die Augen. Und öffne sie erst wieder als ein gellender Schrei ertönt, der mein Herz um einige Frequenzen lauter schlagen lässt.
Nicht mein Schrei. Mason's Schrei.
Sein schmaler Körper wird wie eine schlaffe Puppe, beinahe so leblos wie Eliza, durch die Luft geschleudert. Ich kann den Anblick kaum ertragen. Die Zähne des Untiers vergraben sich tief in dem Fleisch seiner Schulter und der brennende Geruch von frischen Blut steigt mir in die Nase. Das gesamte Bild vor mir, wird in ein schimmerndes Rot getaucht. Überall rot. An den Blättern. Aus dem tropfenden Maul der Hyäne. Mein Herz pocht so laut, dass ich es wie ein Klopfen an die Tür vernehme, immer lauter, immer ungeduldiger. Ein Zucken. Ein Zittern. Ein starkes Brennen in den Augen, als hätte mir Jemand Sand ins Gesicht gestreut. Und dann erneut ein Schrei, der das Untier hochfahren lässt; das Ganze und das halbe Ohr aufmerksam aufgestellt. Dieses mal war es nicht Mason's Schrei. Es war meiner.

Ich weiß nicht was danach geschieht. Alles was ich sehe, alles was ich schmecke und fühle ist benebelt wie in einem verschleierten Traum, schwerelos und nicht real. Als ich schließlich wieder einiger Maßen zu mir komme liege ich am harten Boden, ich sabbere. Jedenfalls fühlt es sich so an, als würde ich es tun. Mein ganzer Mund ich nass und dann dieser eine Blick. Diese grünen Augen, die mich voller Entsetzen und Furcht anstarren. Mason hält sich mit seiner kläglichen Hand die blutende Schulter fest. Am vertrockneten Waldboden liegen tote Amseln. Ganz viele, überall quer verstreut. Und sie singen mit ihren wehleidigen Stimmen ein Schlaflied, dass ich von meiner Mutter kenne. Ihre Stimmen klingen so verlassen und gequält, dass sich all meine Nackenhaare aufstellen. Mein Kopf pocht wie verrückt. Die toten, singenden Amseln tragen rote Schleifen auf ihren Köpfen, die das Ganze nur noch schauriger aussehen lassen. Eine Zeit lang sehe ich rot. Ehe sich langsam, aber sicher, alles wieder in ursprüngliche Form verwandelt. Selbst die Amseln mit den schönen Schleifen vergehen. Vor mir liegen nun nur noch die Überreste eine Hyäne. Keine Spur von roten Schleifen. Nur gespaltene Eingeweide und auseinander genommene Gliedmaßen. Ein seltsamer Geschmack macht sich meinem Mund breit. Frisches Blut. Tropf. Tropf. In meinem Kopf erklingt noch immer die Melodie, des Wiegenliedes; und mir wird bewusst, dass ich es bin die singt. Oder wohl eher wimmert. Ich vernehme ein unangenehmes Würgen. Mein eigenes. Der gesamte Butterkuchen kommt wieder heraus und mit ihm jede Menge Blut. Ich blicke auf meine zitternden Hände, auch sie sind Blut verschmiert. Zwischen meinen Fingernägeln klebt das feuchte Fleisch der Wildkatze. Tropf. Tropf. Ich blicke orientierungslos um mich. Neben mir liegt Elizas Kopf, völlig ramponiert und komischer Weise ohne Augen, was ihren Gesichtsausdruck wehleidig wie nie erscheinen lässt. Ihre Stimme schreit in meinem Kopf: "Was hast du nur getan?"
Und die unzähligen Tropfen, die von meinem dürren Finger rinnen, landen mit zwei leisen "Plopp" an exakt den Stellen, wo einst ihre Augen gewesen sind. Rot wie das Feuer in mir.

Kapitel 1 - Folgt Demnächst




Danke fürs Lesen! Demnächst gehts bald weiter.
Ich bitte in der Zwischenzeit um euer Feedback. :-)

Impressum

Texte: Parveen
Bildmaterialien: Fotograf
Lektorat: Noch nicht ueberarbeitet! Moegliche Fehler enthalten!
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2012

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