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Es war dereinst ein Land, in dem ein gerechter Kalif lebte. Er hatte ein zufriedenes Volk, fruchtbare Weiden, einen stattlichen Palast und eine Tochter, die schöner war als der Mond. Doch sein Nachbarland, das karg und trocken war, wurde von einem Sultan beherrscht, der schon oft mit neidischen Augen auf die Güter des Kalifen hinübergeschaut hatte. Und schließlich plante er, sich all das, was seinem Reich nach seinem Dafürhalten fehlte, mit Gewalt zu nehmen.
Der Kalif aber war ein kluger und vorsichtiger Mann; daher hatte er schon lange einige Spione im Reich des Sultans, welche die Lage beobachten sollten. Als da nun die Armee zusammentrat, die Waffenschmiede volle Auftragslisten hatten und allerlei Kampfübungen stattfanden, vermeldete einer der Späher die Sache seinem Auftraggeber.
Der Kalif wußte, daß er in einem Krieg wahrscheinlich unterliegen würde, denn seine Soldaten waren zahlenmäßig unterlegen und auch bei weitem nicht so grimmig wie diejenigen aus dem kargen Lande.
In seiner Not wandte er sich an Allah und bat um ein Wunder, das sein Reich retten möge. Und da man auch für Wunder selbst etwas tun muß, machte er bekannt, daß derjenige, der das Land vor dem Zugriff fremder Mächte bewahrte, das halbe Reich erhalten sollte und die Hand seiner Tochter obendrein. Der Tochter war's zwar nicht ganz recht, daß sie einen Fremden ehelichen sollte, und das auch noch in Kürze, aber es sollte sich ja immerhin um einen Helden handeln, der in der Lage war, einen Krieg zu gewinnen oder abzuwehren, was ja keine kleine Tat sein mochte.
Eine nicht geringe Zahl an Recken, Rittern und Rivalen machte ihre Aufwartung am Hofe des Kalifen. Doch alle verlangten von ihm auch umfangreiche Mittel, mit deren Hilfe sie sein Ansinnen verwirklichen wollten. Aber hätte der gute Kalif eine gewaltige Armee, furchtbare Waffen oder dienstbare Derwische gehabt, so hätte er sich ja leicht selbst vor der Gefahr verteidigen können, anstatt seine Ausrufer ins Land zu schicken und seine Tochter als Lohn einzusetzen. Das sahen die Angereisten schließlich auch ein und zogen unverrichteter Dinge auch wieder ab. Derweil meldeten die Spione immer mehr Anzeichen eines drohenden Überfalls. Dem Kalif wurde angst und bange, und er sandte seine Ausrufer nochmals aus.
Doch niemand meldete sich mehr, da die Sache allen undurchführbar anmutete.
Schließlich erschien ein Bettler an der Schwelle des Palastes und begehrte Einlaß. Zumindest hielten die Wachen ihn für einen Bettler, denn er war nicht reich gekleidet wie die Recken zuvor, sondern in einen schäbigen Burnus gehüllt. Doch sie hatten Befehl, jeden einzulassen, der sich auf die Bekanntmachung berief, und so gelangte er vor den Kalifen und dessen Tochter, deren Name Asmeena lautete.
"Ich bin ein einfacher Geschichtenerzähler," stellte er sich vor, "doch Eure Bekanntmachung, Behüter des Glaubens, drückte mögliche Not aus, und wer wäre ich, wenn ich Euch in der Not meine Hilfe versagte? Nicht mehr wäre ich wert als jene, die den schwarzen Fluß befahren und in der Unterwelt enden."
Dem Kalifen gefielen die Worte, denn der Mann hatte weder von Bedingungen noch Lohn gesprochen, was bei den anderen meist das erste Anliegen gewesen war.
So sprach er also: "Deine Hilfe nähme ich gerne an, denn das Land ist in Gefahr. Doch da ich sehe, daß Du weder ein Schwert trägst noch über den Reichtum verfügst, um über Männer und Pferde verfügen zu können, frage ich mich, von welcher Art Deine Hilfe wohl sein mag."
"Um nichts weniger wird es gehen, als den Krieg von Eurem Reiche abzuwenden, mächtiger Kalif," gab der Fremde zurück, "und über meine Mittel muß ich schweigen, doch seid versichert, sie gründen sich nicht auf dunkle Magie oder andere Dinge, die Allah nicht gefällig wären. Wenn Ihr es wünscht, werde ich sie Euch hernach kundtun. Doch was soll ich mich jetzt ungetaner Dinge rühmen? Gelingt es mir nicht, gehe ich zugrunde; gelingt es mir aber, so sehen wir uns hier wieder, und ich werde Euch berichten."
Der Kalif strich sich anerkennend über seinen Bart und wollte gerade zustimmen, da erhob die Tochter ihr Wort.
"Fremder Reisender! Ihr macht große Behauptungen. Erst heißt es, Ihr wärt ein Geschichtenerzähler, nun wollt Ihr gar das ganze Reich retten? Beweist mir doch zuerst, daß Ihr ein Geschichtenerzähler seid, dann will ich Euch die andere Sache wohl auch glauben."
Der Mann lächelte und verneigte sich. "So will ich Euch, die das Auge des Himmels überstrahlt, von Kadeemar erzählen, welche die Hüterin der 37 Brunnen ist, die nicht weit von Lahore im Garten des Palastes der unfaßbaren Pracht stehen, nahezu ebenbürtig den legendären Shalimar-Gärten.
Dort dient ihr Wasser dem alljährlichen Ritual der Erneuerung des Gleichgewichts zwischen dem Himmel und der Unterwelt. Aus jedem Brunnen wird ein Eimer geschöpft und nach einem komplizierten, traditionell überlieferten Schlüssel, welcher die Gewichtung stets ändert, auf die Pflanzen und Gräben verteilt, welche die beiden Sphären symbolisch trennen. Es ist Kadeemar, welche sich am Schluß dafür entscheiden muß, wohin das Wasser des letzten Brunnens gegeben wird, und dieser Wahl spricht man prophetische Wirkung für das kommende Jahr zu.
Es begab sich nun, daß der Ring, den die Hüterin einst von ihrem Liebsten, dem Wassergeist Gorrhan erhielt, in den achtzehnten Brunnen fiel. Kadeemar weinte bitterlich, denn es war verboten, in die heiligen Gewässer hinabzusteigen, und wer wußte dies besser als die Hüterin selbst? Alles schien verloren.
Doch als drei Nächte vergangen waren und ihre Not immer noch so groß war wie zuvor, kam ein Wanderer vorbei, gekleidet wie ein Bettler. Ihm schilderte sie ihre traurige Lage, und er sprach ihr Mut zu: "Trocknet Eure Tränen, huldvolle Hüterin! Ich habe hier einen Stein, an dem alle Dinge aus Metall auf verblüffende Weise haften bleiben. Ihn werde ich an ein Seil binden und in den Brunnen hinablassen. So Allah will, werden sich Stein und Ring sodann finden, und ich kann beide wieder heraufziehen."
Er tat, wie er es angekündigt hatte. Bevor noch die Sonne am höchsten stand, klebte der Ring an dem wunderbaren Stein, und der Wanderer konnte ihn der glücklichen Hüterin zurückgeben. Sie wollte ihm danken und ihn mit Geschenken überhäufen, doch er schlug alles ab und zog weiter. Kadeemar jedoch bewahrte den Ring seitdem gut auf und versieht noch heute vortrefflich ihren heiligen Dienst bei den 37 Brunnen im Garten des Palastes der unfaßbaren Pracht."
"Unfaßbar, Bettler, ist vielmehr die Geschichte," merkte Asmeena an, doch sie mußte zugeben, daß es immerhin eine Geschichte gewesen war.
Der Kalif als praktischer Mann entließ nunmehr den Fremden, und obgleich er keine sonderliche Hoffnung aus den Andeutungen des Wanderers schöpfte, war er zumindest froh, ohne weitere Ausgaben davongekommen zu sein.
Seine Tochter aber machte ihm Vorhaltungen.
"Dieser Mann ist ein Bettler, und stattlich ist er auch nicht. Meine Hand hast Du ihm versprochen? Eher würde ich mir die Hand abhacken, als seine Frau zu werden!"
"Sollte er das Land wirklich vor dem Krieg bewahren können, mache ich ihn zu meinem Wesir," überlegte der Kalif, "und der Rang eines Wesirs ist wohl erhaben genug, um Dich zufriedenzustellen."
"Ein Bettler im Gewand eines Wesirs ist immer noch ein Bettler," gab Asmeena voll Verachtung zurück, "weder Titel noch gute Gewänder machen aus einem Dahergelaufenen wie ihm einen Edlen, genau wie ein Schakal mit einem Bart dennoch kein Weiser ist."
"Wir werden sehen," meinte der kluge Kalif nur, "wir werden sehen."
Der Fremde war derweil durch die Stadt gegangen, in welcher der Palast des Kalifen lag. Von seinen letzten Münzen erwarb er zwei leere Säcke und so viele Räucherstäbchen, daß sie einen der Säcke ausfüllten. Danach ging er zu dem Sumpf, der zwischen den Viehweiden und dem gemiedenen Wald lag. Dort fing er so viele Frösche, daß sie den anderen Sack ausfüllten.
So ausgerüstet, begab er sich ins Land des Sultans, heimlich den Wachen ausweichend, die sich zunehmend an der Grenze versammelten. Als die Hauptstadt in Sicht kam, verbarg er die beiden Säcke in den Hügeln vor der Stadt und betrat sie schließlich ganz unbeladen. Dort fing er an, mit den Leuten auf der Straße zu reden, Andeutungen zu machen und von Omen zu flüstern. Als man ihn schließlich fragte, welche Zeichen das denn seien und wer er selbst überhaupt sei, erklärte er auf dem Marktplatz: "Ich bin ein Prophet, und ich sage euch, es liegt etwas in der Luft. Hört ihr es, spürt ihr es, riecht ihr es?" Die Anwesenden verneinten und sagten, alles wäre wie immer.
"Wie immer?" rief der Prophet offensichtlich fassungslos. "Wie könnt ihr glauben, die Welt sei wie immer, wenn selbst der Sultan seine Gedanken von profaner Kleinlichkeit abwendet und plant, in der Wüste etwas Unfaßbares zu erschaffen? Sind nicht die Musen der Künste selbst herabgestiegen, um ihn zu inspirieren? Will er nicht vielen von euch, vor allem den Handwerkern, zu guter Arbeit verhelfen? Die Veränderung ist nah, ich spüre sie kommen, sie liegt schon in der Luft!"
Mit diesen Worten ließ er das Volk verwirrt, doch mit freudiger Erwartung zurück. Propheten waren selten in jener Zeit, und Propheten, die gute Dinge ankündigten, noch seltener. Danach lief er mit Kreide in den Gassen umher, erzählte weiteren Einheimischen von den Dingen, die da kommen sollten, und prüfte die Windrichtung.
Kurz vor Toresschluß schlüpfte er hinaus und nächtigte in den Hügeln bis kurz vor Sonnenaufgang. Da er nun wußte, aus welcher Richtung der Wind in die Stadt wehte, ging er zu einem Ort in den Hügeln, über welchen die Brise auf ihrem Weg dorthin streifen würde, und entzündete im Schutz von einigen Steinen alles Rauchwerk, das im ersten Sack enthalten war. Als dies zur Hälfte abgebrannt war, machte er sich abermals zur Stadt des Sultans auf und betrat sie durch ein seitliches Tor.
Als die Menschen seiner nun angesichtig wurden, kamen sie zu ihm und sprachen ihn an. "Oh großer Prophet," hieß es, "die ganze Stadt ist erfüllt von einem Wohlgeruch, den wir sonst nur aus Moscheen und Tempeln kennen. Ist dies das Zeichen, von dem Du sprachst?"
"Kein anderes," bestätigte der Wanderer, "ich nahm das Zeichen schon gestern wahr, nun aber ist es so stark geworden, daß es sich jedem offenbart. Welche Omen mag es noch geben? Ich weiß nur, daß der Sultan schließlich auf den rechten Weg kommen wird."
In dessen Palast war der Geruch natürlich auch festzustellen, und der oberste Berater des Sultans war bereits beauftragt, der Sache nachzugehen. Schon auf dem Marktplatz vor dem Palast fand er eine Ansammlung von Menschen, die um den Fremden geschart waren. Er hörte für einige Zeit zu und beschloß dann, ihn dem Sultan vorzuführen. So fand sich der Prophet (der eigentlich ein Geschichtenerzähler war) kurz darauf, von Wachen umringt, vor dem Herrscher wieder, wie es sein Plan gewesen war.
"Elender, was hast Du zu diesem Aufruhr zu sagen?" donnerte der Sultan los.
Der Wanderer verneigte sich tief. "Oh weisester der Weisen! Ich bin nur der geringste der Propheten, die gekommen sind, Euch zu preisen. Schätzt Euch glücklich, daß endlich der Tag der Erfüllung angebrochen ist! Es sind Zeichen erschienen im Lande, die von einer Ära der Kultur und des Friedens künden. Omen an den Hauswänden bestätigen es, das Volk weiß es, man kann es im Flug der Vögel und im Lauf der Sterne sehen: Ihr werdet etwas bauen lassen, das kein Sultan, kein König und kein Kalif all dieser Ländereien vor euch je hatte, und dies wird das Zeichen Eurer Macht und Eures Ansehens sein. Aus fernen Ländern wird man zu Euch pilgern, um das Wunder zu sehen, und Euer Name wird auch in Jahrhunderten unvergessen sein."
Der Sultan aber, dessen Neid und Kriegstreiberei zu seinen geringeren Unarten gehörte, war mißtrauisch. "Wer sagt mir, daß Deine Worte nicht nur süße Phrasen sind, um mich mit Illusionen zu umgarnen und von meinen Amtsgeschäften abzubringen?"
"Euer oberster Berater," erwiderte der Prophet rasch, "kann Euch sicherlich bestätigen, daß man im Volke von nichts anderem redet, und daß auch die Omen nachweisbare Substanz haben. Was aber den Flug der Vögel und den Lauf der Sterne angeht, da habt Ihr in Eurer Weisheit bestimmt schon eigene Einsichten gehabt."
"Gewiß, gewiß..." brummte der Sultan, der sein Lebtag noch nicht über den Flug der Vögel sinniert oder den Lauf der Sterne nachgemessen hatte, und wandte sich an seinen Berater: "Wie steht es denn in der Stadt mit diesen Dingen?"
"Nun," meinte dieser, "man hat mir berichtet, daß die Leute gemeinhin davon sprechen, es läge etwas in der Luft, und es heißt, Ihr würdet auf den rechten Weg geraten. Was aber die Omen angeht, so wurden mysteriöse Zeichen auf zahlreichen Türen, Hauswänden und Mauern gefunden."
"Das Volk glaubt, ich sei noch nicht auf dem rechten Wege? Kritzeleien auf Mauern?" rief der Sultan erbost. "Lächerlich. Vorgeblicher Prophet, ich kann deine Deutung nicht anerkennen. Verlasse den Palast, bevor ich Deine Fußsohlen auspeitschen lasse!"
"Alles wird sich richten, wie es Allahs Wille ist. Ihr werdet mich, Euren unwürdigsten Diener, bald wiedersehen, oh Befehlshaber der Befehlshaber, denn Ihr seid zu klug, um einen Rat in den Wind zu schlagen," gab der Wanderer zurück und entfernte sich.
Nun galt es den schwierigsten Teil seines Planes umzusetzen, denn daß der kriegerische Sultan sich nicht von einigen Zeichen und einem Lufthauch von seinem Angriffsvorhaben abbringen lassen würde, war dem Fremden von vornherein klar gewesen. Aber diese Maßnahmen waren notwendige Vorbereitungen für den nächsten Schritt.
So ging er durch die Stadt und sprach wiederum mit den Leuten. Manche wollten sich mit dem Propheten gut stellen und boten ihm Wein, Früchte, ihre Gastfreundschaft und andere Dinge an, aber er lehnte alles höflich dankend ab. Nur zwei Wanderstäbe für die Reise nahm er an, doch selbst sie versprach er zurückzugeben.
Danach spazierte er gemächlich zu den Hügeln, in denen seine restlichen Habseligkeiten lagen. Das Räucherwerk war längst heruntergebrannt, und er bestreute die Asche mit Sand. In den Sack, in dem die Kräuter und Stäbchen gewesen waren, füllte er Steine. Dann wandte er sich dem zweiten Sack zu. Die Frösche waren inzwischen überwiegend eingegangen. Er musterte sie mit Bedauern, denn jede Kreatur hat ihre Bewandtnis innerhalb der Schöpfung. Ihr Zustand ging ihm nahe, und doch benötigte er sie so, um die Ernsthaftigkeit des Ablaufs zu unterstreichen.
"Meine Freunde, euer Schicksal dauert mich," sprach er zu ihnen, "aber ich brauche euch, um ein größeres, schlimmeres Schicksal zu verhindern. Ich hoffe, euer Opfer wird gerechtfertigt sein."
Dann betete er zu Allah, damit der Sultan den rechten Weg finden möge, damit der Kalif und sein Land in Sicherheit leben mochten, damit Unrecht verziehen werden mochte, und am Schluß betete er für die Frösche.
So war es Abend geworden, und der Fremde zog mit seinen zwei Stäben und zwei Säcken abermals in die Hauptstadt. Als er durch die Gassen nahe des Marktplatzes ging, erkannte ihn ein einheimischer Gerber, mit dem er am Nachmittage gesprochen hatte.
"Was schleppst Du so schwer an diesen Säcken? Hast Du sie gar vom Sultan erhalten?" fragte der Handwerker neugierig.
Der Wanderer seufzte.
"Der Sultan mag ein mächtiger Mann sein, aber sein Herz ist hart, und die Wege der Kultur und des Friedens zu beschreiten, scheint er noch nicht bereit. Ich sagte ihm, daß all sein Reichtum und selbst der Wohlstand seiner Untertanen nichtig sein wird, wenn er sein Reich durch Kriegszüge ins Chaos stürzt, aber er lachte nur. Um zu beweisen, daß ich unrecht hatte, versprach er mir zwei Säcke voll Gold, die ich nun abgeholt habe."
Der Gerber machte große Augen, und in ihnen blitzte ein tausendstel des Neides auf, welcher dem Sultan innewohnte.
Der Wanderer seufzte abermals. "Wenn Du Zweifel an meinen Worten hast, dann überzeuge dich selbst. Doch hast Du nicht heute morgen auch die Zeichen gesehen, die neue Luft gespürt?"
"Ja, schon," murmelte der Gerber, hin- und hergerissen zwischen Glaube und Gier.
"So erzähle den anderen, was ich gesehen habe. Aber ich sage Dir, wenn sich der Sultan nicht anders besinnt, wird Reichtum schon bald keinen Wert mehr haben," prophezeite der Fremde, "hier, nimm diesen Sack und teile den Inhalt mit den anderen, bevor es zu spät ist."
Mit diesen Worten hielt er den ersten Sack dem Gerber hin, der ihn nur allzu gern nahm und damit verschwand.
Da huschte der Wanderer hurtig durch die nächtlichen Gassen und kletterte in der Nähe des Palastes auf ein Hausdach, das man von den Fenstern anderer Häuser nicht einsehen konnte, so hoch war es gelegen. Dort verband er die beiden mehr als mannshohen Stäbe mit seinem Turban so, daß dieser in der Breite einer Hand zwischen ihnen gespannt war. Dann wartete er, bis die Mitte der Nacht überschritten war. In der Stadt war es ruhig geworden, selbst im Palast brannte kaum noch ein Licht.
Endlich schnürte er den zweiten Sack auf und legte einen toten Frosch in die Stoffmulde zwischen den Stäben, und dann schleuderte er ihn, unterstützt von deren sinnreicher Hebelwirkung, weit über die Palastmauern bis in die inneren Bereiche wie die Gärten, die Balkone und die Treppen zu den Gemächern. Genauso verfuhr er auch mit den anderen Fröschen, bis der Sack leer war. Schließlich zerlegte er die Schleudergabel wieder und wickelte den Turban neu. Danach stieg er vom Dach herab, begab sich in einen anderen Teil der Stadt und schlief dort in einem Hauseingang ein.
Am nächsten Morgen erfrischte er sich am Brunnen und ging dann zum Marktplatz, wo schon die Wachen des Sultans nach ihm Ausschau hielten. Ohne auf das Gemurmel des Volkes zu achten, das erbost einige Steine vorzeigte, ergriffen sie den Fremden und zerrten ihn zum Herrscher.
Der Sultan ging nervös auf und ab, als der Prophet in den Audienzsaal geschleift wurde.
"Was weißt Du über die Omen?"
"Omen, mein Fürst?" fragte der Wanderer. "Zunächst gestattet mir, Euch abermals zu begrüßen, so wie ich dies gestern angekündigt hatte. Was die Omen angeht, so können sie vielfältig sein: ein Flüstern im Wind, ein Gesicht im Wasser, ein Zeichen an der Wand, aber auch Heuschreckenschwärme, ein blutiger Himmel oder Frösche, die von selbigem stürzen. Des weiteren..."
"Frösche!" schrie der Sultan auf. "Bleiben wir bei den Fröschen! Was hat es mit ihnen auf sich?"
"Sind sie lebendig, verheißen sie fruchtbare Ernte und Kindersegen. Sind sie aber tot, entsprechen sie einer Warnung, daß Ihr bei gewaltigen Mächten in Ungnade gefallen seid."
Der Sultan wandte sich an seinen Berater. "Eure Meinung?"
Dieser wand sich. "Nun, es heißt tatsächlich in alten Texten, daß es großes Unheil bedeutet, wenn es tote Frösche regnet."
Der Herrscher trank hastig etwas Wein. "Und eine andere Erklärung gibt es nicht?"
Nach einer langen Pause schüttelte der Berater den Kopf. "Im ganzen Land gibt es keine Tümpel mit Fröschen, so trocken ist es. Und selbst der stärkste Mann kann ein derartiges Tier nicht so weit werfen, daß es von außen bis an die Stellen gelangen könnte, wo wir sie gefunden haben. Ich habe das schon von einigen Soldaten prüfen lassen. Ich bedaure, Euch keine bessere Erklärung anbieten zu können. Aber sie kamen wohl von weit oben."
Der Sultan wurde bleich. Er war sich seines Neides, seiner Gier und seiner Hartherzigkeit wohl bewußt. Er rang mit sich, aber die Last der Omen schien erdrückend.
"So sagt mir also, Prophet," krächzte er schließlich, "welches soll das Wunder sein, dem ich mich widmen werde, auf daß ich wieder die Gnade des Allmächtigen erfahre?"
"Licht der Weisheit! Es wird ein Schiff sein, welches in der Wüste jenseits der Stadtmauern entstehen soll; ein stattliches Segelschiff mit Platz für zweihundert Männer. Baumeister und Handwerker ferner Länder als auch Eures eigenen Reiches werden zusammenkommen, um sich am Bau zu beteiligen. Euer Ruhm wird in aller Munde sein!"
"Ein Schiff in der Wüste?" fragte der Sultan verwirrt.
"Vorbild der Könige! Gedenket der Pyramiden, die uralt sind und von denen man selbst heute mit Staunen und Achtung kündet," führte der Prophet aus, "und dabei sind es Grabmale. Wollt Ihr durch ein Grab in die Geschichte eingehen - oder durch eine kühne Idee?"
"Aber warum ein Schiff?"
Der Fremde strahlte ihn an. "Weil es noch niemand zuvor gewagt hat. Weil die Idee zu groß ist für die kleineren Geister, die nicht an Euch heranreichen. Von keinem anderen als Euch selbst hätte die Idee kommen können, ist es nicht so?"
Der Sultan blickte zu seinem Berater, der sprachlos dastand, und nickte nachdenklich. "Ein Schiff..."
Der Prophet nickte ebenfalls, feierlich. "Unvergänglichkeit."
"So soll es sein!" entschied der Herrscher, und seinem Berater erstarben die Bedenken noch im Halse.
Der Wanderer verbeugte sich. "Ich freue mich, daß Ihr den Weg des Weisen gewählt habt, so wie es vorherbestimmt war. Seid gewiß, daß das Glück Euch hold sein wird, solange Ihr Euch ernsthaft auf jenem Weg befindet. Driften Eure Gedanken jedoch ab zu den Dingen, welche Euch die bösen Omen eingebracht haben, wird es mit Euch und Eurem Reich bergab gehen."
"Ich danke dir für den Beistand in meiner Lage, Prophet. Nimm als Zeichen der Versöhnung diesen Beutel entgegen." Mit diesen Worten warf der Sultan ihm einen kleinen Beutel mit Münzen zu und beendete die Audienz mit einer Geste.
Der Fremde hob den Beutel auf, verneigte sich lächelnd und zog sich zurück.
Als er den Palast hinter verlassen hatte und wieder auf dem Marktplatz stand, wurde er von Menschen umringt, die Näheres über die Vorgänge zu wissen begehrten. Viele hatten inzwischen die Geschichte des Gerbers über die Steine gehört und waren besorgt über die weitere Entwicklung.
Der Wanderer aber lächelte. "Sorgt euch nicht mehr, ihr guten Leute. Der Sultan ist nun auf dem rechten Weg. Und falls euch die Omen der letzten Tage geängstigt haben, so kann ich euch versichern, daß Gold weiterhin Gold sein wird. Dies ist für euch." Er verteilte die Münzen unter dem Volk und zog seines Weges, nicht ohne die guten Wünsche und Gebete etlicher, die sein Prophetentum und seine Großzügigkeit priesen.
Auf Umwegen kehrte er schließlich in das Land des Kalifen zurück. Dieser hatte schon mit wachsender Spannung auf seine Ankunft gewartet, nachdem seine Spione ihm Unglaubliches über die Vorgänge im Reich des Sultans berichtet hatten.
Er empfing den Wanderer in allen Ehren und wollte genau erfahren, wie dieser den kriegerischen Herrscher hatte umstimmen können. Doch der Fremde gab nur an, er habe die Sehnsucht des Sultans nach Ruhm erkannt und ihm lediglich vor Augen geführt, welche Alternativen es zum Krieg gäbe.
"Es war, als ob der sprichwörtliche Prophet zum Berg gekommen wäre, und so findet mancher doch zur Weisheit," schloß der Wanderer seine Erzählung.
Da trat Asmeena vor. "Zur Weisheit? Zum Narren hat er sich gemacht! Gibt es einen größeren Irrsinn, als mitten in der Wüste ein Segelschiff zu bauen?"
"Den gibt es," gab der Geschichtenerzähler ruhig zurück, "und zwar das Leben von Menschen für mehr Land und Reichtum zu opfern. Ich habe einen großen Irrsinn durch einen kleineren ersetzt. Doch wird dieser ebensoviel Aufmerksamkeit fordern, denn niemand hat dort Ahnung, wie man ein solches Schiff baut. Nur im friedlichen Austausch und im Handel kann das Werk gelingen. Ich würde sagen, Euer Land wird zukünftig einen annehmbaren Nachbarn haben."
"Das ist ein Wort!" meinte der Kalif. "Und so ist es nun an mir, Euch das Versprochene zu gewähren."
"Bevor Ihr Euer großzügiges Wort einlöst und damit alles, was Euch etwas bedeutet, in die Hände eines Fremden legt, gewährt mir die Bitte um ein vertrauliches Gespräch mit Eurer Tochter, denn es gibt nun einiges von Belang zu bereden."
Asmeena erschrak, doch der Blick ihres Vaters ließ keine Widerrede zu.
"So folgt mir in das Ankleidezimmer, Bettler," versetzte sie schnippisch und ging hochmütig davon.
Der Wanderer nahm noch einen Tee, verneigte sich vor dem Kalifen und betrat schließlich das bezeichnete Zimmer. Die Vertraulichkeit war dort gewährleistet, denn es waren außer ihr nur ein Dutzend ihrer Sklavinnen und ihr Lieblingseunuch anwesend.
"Wollt Ihr Euch jetzt schon Euren Preis abholen?" fragte die Kalifentochter verächtlich.
"Ich habe keinen Preis verlangt," erwiderte der Wanderer, "und erst recht verlangt es mich nicht nach Euch. Mit Eurem Stolz und Eurem Hochmut beschämt ihr Euren Vater, der alles, was ihm lieb ist, für den Erhalt seines Landes und seiner Bevölkerung hergeben würde. Ich bezweifle, daß Ihr auch nur eine halb so gute Herrscherin nach ihm wärt, wie er es als Kalif schon jetzt ist. Und weder bringe ich es fertig, von ihm die Hälfte seines Landes zu nehmen, noch mit Euch mein Leben zu verbringen."
"Das wagst Du mir ins Gesicht zu sagen, Bettler?" zischte sie.
"Und überdies seid Ihr oberflächlich, wenn ihr alle Leute nach ihrem äußeren Schein betrachtet. Was ich kann, habe ich bereits im Reich des Sultans bewiesen, und wer ich bin, werdet Ihr nie erfahren, denn Ihr habt nicht einmal den Einfallsreichtum besessen, mich nach meinem Namen zu fragen."
Damit wendete er sich um und schickte sich an zu gehen.
"So frage ich jetzt - wer bist Du?" Ihre Stimme überschlug sich fast vor hilflosem Zorn, und es war schon eine Spur Angst darin zu hören.
Aber der Fremde ging weiter. "Zu spät, Asmeena, zu spät."
Beim Kalif entschuldigte er sich mit den Worten, er habe andere Verpflichtungen, die einen Aufenthalt in diesem Lande ganz unmöglich machen würden. Außerdem wäre es dem Kalifen sicher daran gelegen, weiterhin persönlich und in vollem Umfange für sein Volk und sein Land sorgen zu können. Das mochte dieser nicht abstreiten.
Aber als geringsten Beitrag des Dankes gab er dem Geschichtenerzähler ein gutes Pferd, eine achtbare Klinge und einen Beutel mit Edelsteinen mit. Der Wanderer verabschiedete sich höflich und verließ die Stadt des Kalifen noch in derselben Nacht.
Jahre später gelangte Asmeena auf den Thron, und was sie im Lande anstellte, ja wie sie es fast zugrunderichtete, ist weithin bekannt.
Noch bekannter aber, schier unvergessen allerdings ist die unfaßbare Legende vom närrischen Sultan, der inmitten der Wüste ein Schiff bauen ließ. Man lacht noch heute über ihn, und kaum noch einer weiß, wie sich alles in Wahrheit zugetragen hat.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dies ist die siebte Geschichte aus den "Tausendundvierundzwanzig Dämmerungen" des Ibn Azir Turais. Obwohl darin der Fremde nicht namentlich genannt wird, liegt es doch nahe, daß es sich um Faradin den Wanderer handelt, dessen Wirken sich wie ein roter Faden durch die Sammlung zieht.

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