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Silgartha



Vom hohen Schwarztann herabgestiegen
zum Tale, durch klaffende Schluchten
vorbei an der Alm mit den toten Ziegen
und in Sichtweite der schillernden Buchten,
war Silgartha, die Hexe,
in ihrem Beutel die Echse,
und der Sommer kam zum Erliegen.

Ob es dabei einen Zusammenhang gab?
"Kaum," sagen eilig die meisten,
"Vielleicht," die ganz Dreisten
und bestellen vorbeugend ein Grab.

Denn solche Bitterkeit Silgartha umflorte,
daß unten im Tal alles Porzellan zerbrach.
Und was nun folgt - dies waren die Worte,
die sie nach Westen am alten Grabhügel sprach:

"Herbst, alter Feind, ich fühlte Dich nahen,
schon in so manchen vergangenen Wochen,
in denen die Nebel über die Hügel krochen.
Wer würde wohl Nässe und Kälte bejahen,
nach der Blüte des Sommers, wer ein Ende
begrüßen, das Du den warmen Tagen setzest?

Ich spür's in der Tiefe meiner Knochen:
dies ist der Jahreszeiten düst're Wende.
Ich weiß noch, daß Du Deine Klinge wetztest
am schneidenden Nordwind, am kalten Paß
und alles Land mit Deinem Naß benetztest,
in rauhem Sturm, der hastig über Dächer trieb.

Dies ist die Zeit, der meine Erinn'rung gilt,
in der Silcasta, meine Schwester, die mir lieb,
verstarb, und was mir blieb, war nur ihr Bild.
Und während sie allein im kalten Grabe ruht,
so kehrst Du, Herbstzeit, höhnisch, jährlich wieder,
gemahnest mich an ihre bleichen Lippen, starren Glieder
und füllest mich mit nichts als eiseskalter Wut.
Was kümmern mich all Deine bunten Blätter,
Verkünder des Verfalls, der Deine Domäne ist?
Hier stehe ich, trotzend dem wilden Wetter,
und sorge dafür, daß Du Silcasta nicht vergißt!"


Und mit dieser Drohung hob sie den knorrigen Stab,
einst geschnitzt von der jüngeren der beiden,
und zwar aus dem biegsamen Holz frischer Weiden,
als die Herbstzeit noch golden,
voller Blüten und Dolden
und so manchen Kobolden
war - doch nun zählte nur noch Silcastas Grab.

Und schon krochen die Kräfte, die magischen Linien
über den furchtbaren Stab, der im Schatten von Pinien
und schrecklichen Gewächsen,
nur bekannt unter Hexen,
seine schier unermeßliche Macht einst erhielt;
so gewaltig, daß selbst der Herbst davor zitterte,
denn Silgartha, die verständlicherweise Verbitterte,
war eine, die nicht leichtfertig damit spielt.

Doch nach einer ewig erscheinenden Sekunde -
vielleicht war es auch vielmehr eine Stunde -
senkte sie das Werkzeug des Herbsttodes wieder
und legte es ganz sacht auf das Grab darnieder.

"Mir fiel ein," sprach sie zum Herbst, noch einmal,
"was meine Schwester vormals über Dich sagte,
als ein Kind uns über die Jahreszeiten befragte,
und dies rettet Deine Existenz in diesem Tal:
Du, Herbst, seiest nur ein Übergang, sagte sie.
Dies sei alles; mehr sei überhaupt nicht dahinter.
Solch' Armseligkeit rechtfertigt keine Magie.
Silcasta wußte: Du bist nur ein Vorbote - vom Winter."

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Tag der Veröffentlichung: 14.10.2009

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