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Die Lückenfüllerei des Kerosinjungen
Kerosinjungen essen nicht viel, aber wenn sie essen sorgen sie dafür, dass nicht mehr als ein paar Federn oder ein Regenbogenfarbenschimmernder Fleck übrigbleiben. Sie tasten sich beim Essen langsam vor, denn sie essen mit den Fingern was vom Himmel fällt. Es sind meist Vögel oder Schnee oder Hagelkörner. Manchmal kommt aber worauf sie warten, was sie zu Kerosinjungen macht: Ein Stück von einem Flugzeug gefunden in weiten Feldern oder gelegentlichen Städten. Oder noch seltener ein Satellitenfetzen gepflückt aus sternenverhangenen Mitternächten.
Unser Kerosinjunge hatte seit Jahren sein erstes Stück Weltraumschrott gefunden und es sofort mit nach Hause genommen. Seinen täglichen halben Liter Kerosin und die Tageszeitung dazu, stellte er das Stück Metall auf den Tisch und schlang, schlang und soff alles hinunter. Sein Herz begann langsam zu schlagen wie eine Reaktion auf ein Zahnrad dass lange nicht in Gang gesetzt wurde. Bamm Bamm Bamm ( mit Hall ).
Augen geschlossen lächelnd ATMEND.
Dann von draußen Bamm Bamm Bamm ( ohne Hall ) so ganz anders so anders. Ununterhaltsamer Besuch. Befreiungstaktik:
Augen geöffnet, Atem angehalten Anlauf nehmen.
Er rannte durch die offene Balkontür und breitete die Arme aus. Dann 150 Kilometer nur Flug. Auf einmal konnte er wieder alles sehen so wie es war. Dächerleuchten, Lichterwälder, Wäldergeschrappe, Städteidyllen, Laternenzüge. Er war dicker als Wasser und würde fortan von Luft leben. So wie Ikarus nur ohne Fall.
Landung bei 3-200 auf einer Lichtung in südlicheren Teilen. Hier ist es ok, alles so dermaßen ok. OK wurde erfunden für jetzt. Ganz ohne Mondschein geht es aber auch nicht, ging es noch. Schimmern, Danksagung, das erste Mal wieder ausatmen. Stahlgedankenträger mit pseudo-Raketenwerferworten waren jetzt mehr als nur eine geschlossene Tür entfernt. Dann Schlaf, der erste Schlaf seit Jahren. Am Morgen sah der Kerosinjunge den Wald neu erblühen, so regenbogenhaft gefächert und überall Bewegung in den alten Stümpfen. Es sproß. Sprießüberflutung im Mikrokosmos der Lichtung, während alles andere nur noch Schatten an Wurmgeputzten Wänden war. Die Kronen der Bäume trugen Blätter und Blätter größer, formhafter und mächtiger als jemals zuvor. Neu Neu Neu war es dem Kerosinjungen. Die Bäume erlaubten es den Vögeln zwar Nester zu bauen, aber gegen einen Stamm zu pissen traute sich niemand mehr. Es war auch niemand da. Dem Kerosinjungen wurden neue Augen, neue Ohren und eine neue Nase geschenkt und es war etwas, was einfach nicht mehr wegzudenken war. Die große Lücke war gefüllt mit ganz ganz großem und der Gewissheit nie wieder Hunger haben zu müssen.
Der Flug wurde nicht fortgeführt denn der Kerosinjunge hatte alles gefunden was ihm die Notwendigkeit nahm ein Kerosinjunge zu sein

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Tag der Veröffentlichung: 09.03.2011

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