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Zwischen den Fronten

Wo war ihre Freundschaft hin? Manuel verengte die Augen zu Schlitzen, so grell schien die Sonne, aber er wandte den Blick nicht ab. Um keinen Preis würde er sich vom Fenster abwenden, egal wie heiß ihm die Maisonne auch ins Gesicht scheinen würde. Die Szenerie hinter ihm kannte er mittlerweile zu genüge. Seine beste Freundin versunken in den Anblick des Handydisplays. Er? Er war Luft. Luft, das war das Stichwort, er beugte sich über den Schreibtisch. Durch die geöffneten Flügelfenster strömte Licht und Wärme ins Zimmer. Wie lange die Scheiben wohl nicht mehr geputzt worden waren?
„Mach die Fenster zu, es blendet!“, grummelte es vom Bett herüber. Manuel dachte gar nicht daran, ihm gefiel es so. Wenn Larissa es anders wollte, dann sollte sie es selber tun. „Dann zieh wenigstens die Vorhänge vor!“, auch dem Wunsch kam er nicht nach.
Entnervt legte sie ihr Handy neben sich. „Du lässt auch nichts unversucht, oder?“, hätte er es nicht gewusst, er hätte den schroffen Tonfall keinem Mädchen zugeschrieben. Neugierig sah er über die Schulter und zuckte innerlich zusammen. Die Augen, die ihn anfunkelten, kannte er schon lange, doch jetzt…Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Ihre Augen waren fast schon schwarz, aber kein Nachthimmel mit Sternen oder ähnlich Romantisches, sondern ein Blick ins Nichts.
„Stimmt“, lächelte er dennoch bemüht. Sie spüren zu lassen, dass er Angst vor ihr hatte, war nicht schlau. Ein Kaninchen vor der Schlange. „Ich bin hier, um mit dir für Mathe zu pauken, nicht, um ignoriert zu werden“
Sie verzog spöttisch die Mundwinkel „Deswegen darf ich jetzt keine Nachrichten mehr senden und empfangen?“
„Larissa“, Manuel setzte sich seufzend neben sie. „Ich bin dir dankbar dafür, dass du dir bei dem wunderschönen Wetter da draußen Zeit und Geduld für mich Mathelegastheniker genommen hast, aber dann steh auch zu deinem Wort!“, wie um seine kleine Rede noch weiter zu unterstreichen, legte er ihr Handy außerhalb ihrer Reichweite. Erstaunlich einfach ging das. 
Larissa blinzelte, als würde sie ihr Zimmer zum ersten Mal sehen. „Entschuldige bitte, soll ich dir zugunsten meine Privatsphäre aufgeben? Sorry, nein!“, sie streckte und reckte sich nach ihrem Handy, doch Manu packte sie sanft am Arm.
„Larissa! Es reicht! Warum bin ich hier? So wie es aussieht ja nicht, damit du mir Formeln ins Hirn hämmerst!“, nachdrücklich machte er eine ausladende Handbewegung. Er deutete auf den Schreibtisch mit all den Heften und Büchern.
Larissa setzte sich wieder hin. „Ich denke, du hast inzwischen das Recht, zu wissen, warum ich so geworden bin wie ich jetzt bin“, der kühle Tonfall bescherte Manuel eine zweite Gänsehaut.
„Oh, wie nett, erfahr ich jetzt, welcher Macho dich mir streitig macht?“, der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Ach, jetzt komm“, Larissa rückte ein Stück ab und ließ sich auf die Ellbogen nieder, die Bettdecke raschelte. „Wir kennen uns jetzt seit wann?“
„Lang genug. Ich dachte, du vertraust mir nach all den Jahren“, versöhnlich streckte er ihr beide Hände hin. 
„Draußen ist so tolles Wetter! Das Freibad hat sicher offen!“
Jetzt war es Larissa, die die Augenbrauen hochzog: „Was ist mit Mathe?“
Manu ging nicht auf die Frage ein, nahm sie nicht mal ernst. Stattdessen raffte er seine Unterlagen vom Schreibtisch und verstaute sie aufreizend langsam in seinen Rucksack zu den Schwimmsachen, die er in aller Vorsicht schon einmal eingepackt hatte. Er spürte Larissas Blick auf ihm, doch ohne eine Aktion ihrerseits würde er sich nicht aufrichten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er das Bett rascheln. „Ich pack dann mal“, grummelte Larissa.
Manu brauchte die 14 Jahre Freundschaft nicht, um den versöhnlichen Unterton herauszuhören.
„Na also“, grinste er siegessicher, hegte im Stillen jedoch noch immer Zweifel.


Das Bad war trotz des Wetters angenehm leer, sodass sie freie Platzwahl hatten. Manu schielte zu Larissa, die sich auf der Sonnenseite der Decke ausgestreckt hatte, die sie behelfsweise von der Wohnzimmercouch geklaut hatten. Das Gespräch war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Für einen Moment überlegte er, sie nach dem Grund ihres Sinneswandels zu fragen. Genauer gesagt nach dem Verbleib ihres Handys. Aber er wollte die friedliche Stimmung nicht gefährden, deshalb schwieg er.
„Es tut mir leid“, brach sie eine Weile später die Stille. „Aber Joshua hat mit all dem nichts zu tun...“, sie sprach nicht weiter, das musste sie auch gar nicht, er wusste auch so, worauf sie anspielte. Unwillig schüttelte er den Kopf: „Nicht jetzt, Larry. Jetzt wird geplantscht“, übermütig zog er sie auf die Beine. Ehe sie sich versah, hatte er sie bereits ins Wasser befördert.
„He!“, mit einer Armbewegung brachte sie sich aus der Rückenlage in den Stand und schob eine Welle auf Manu zu, die an ihm zerbrach.
„Was?“, erkundigte er sich gespielt unschuldig. Er revanchierte sich seinerseits mit einer Wasserwelle. Anstatt einer Antwort bekam er einen weiteren Schwall Wasser ins Gesicht. Prustend setzte er sich zur Wehr. Es dauerte nur Sekunden bis sie in eine handfeste Rangelei unter Sandkastenfreunden verstrickt waren. Als Larissa dabei war, sich aus seinem Schwitzkasten zu befreien, trat wie aus dem Nichts ein junger Mann auf sie zu. Genau in diesem Moment trat Larissa Manu das Standbein weg und drückte ihn unter Wasser.
„Larissa“, der junge Mann strahlte. Wassertropfen flogen durch die Luft, als er sich die Haare aus der Stirn pustete.
„Josh!“, Larissa nahm ihre Hand von Manus Kopf, der sofort wie ein Flummi an die Oberfläche schoss und nach Atem rang. Im doppelten Sinn, denn das erste, was er sah, war Larissa in den Armen eines Athleten, der das zweite Jahrzehnt bestimmt schon überschritten hatte.
Der geheimnisvolle SMS-Schreiber.
Manu hoffte inständig für Larissa, dass das Äußere trog.
Blond, blau, blöd - das hatte sie wirklich nicht verdient.
Dass der Typ blond war konnte er der Nässe wegen nur erahnen und blau war so klischeehaft, dass es einfach stimmen musste.
Andererseits schien sie ihm schon total verfallen zu sein, so wie sie ihn abknutschte. Und er sie. Manu wandte sich ab, bevor ihn die sprichwörtliche Übelkeit überkommen konnte. 
Dieser Schönling war es also, der ihm Larissa seit einiger Zeit entfremdete. Unauffällig sah er sich um, ohne zu wissen, was ihn dazu bewog. Eine Horde blonder Models starrte in ihre Richtung, es hätte Manu nicht gewundert, wären aus ihren Mündern Speichelfäden getropft oder hätten ihre Augen Giftpfeile abgeschossen. Sogar die Bademeisterin stierte unverhohlen von ihrem Hochsitz hinab. Von dem braungebrannten Körper perlte Wasser. Bei genauerem Hinsehen wünschten sich wohl auch ein paar Jungs an Larissas Stelle.
Manu schien der Einzige im näheren Umkreis zu sein, der mit Joshua tauschen wollte. Larissa hatte ihn anscheinend vergessen, also stapfte er, so würdevoll es das Wasser zuließ, von dannen.

Während Manu im Becken nebenan seine Bahnen zog, standen Joshua und Larissa turtelnd unter dem Wasserpilz, abgeschirmt jeglicher Blicke. Das Rauschen des herab prasselnden Wasser spülte jedes Gefühl für die Realität aus Larissas Bewusstsein, das einzige, was noch zu ihr durchdrang, waren Joshuas Arme um ihre Taille.
Langsam hob sie ihren Kopf von seiner Brust. „Schön, dich zu sehen“, lächelte sie, obwohl er sie nicht verstehen konnte. Er küsste sie aufs Haar, Larissa fragte sich, wie Manu auf die Idee gekommen war, sie wäre einem Macho aufgesessen.
Manu! Wie elektrisiert sprang sie zurück, Stirn runzelnd sah Joshua auf sie hinab. Dieses Mal musste er sie verstehen, sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihm ins Ohr zu schreien: „Manu! Ich hab ihn völlig vergessen! Er war vorhin sehr empfindlich! Ich sollte ihn wohl besser suchen gehen!“
Alles, was Joshua verstand, war, dass sie jetzt weg musste. Bestimmt schob er sie rückwärts, aus dem Lärm des Pilz hinaus, in das Geplapper der anderen Badegäste hinein. „Soll ich mitkommen?“, erkundigte er sich, während er den Kopf schief legte, auf und ab hüpfte, um das Wasser aus den Ohren zu bekommen.
„Lieber nicht!“, kopfschüttelnd wandte sie sich ab, warf ihm aber über die Schulter noch ein „Ich liebe dich!“ zu, ehe sie in der Menge verschwand.
Nach längerem Suchen fand sie Manu ausgestreckt auf dem Rücken neben den Sprungtürmen. „Hier bist du!“, sie bückte sich, reichte ihm beide Hände. „Komm hoch, sonst verbrennst du mir noch!“, tatsächlich wies der Rasen unter ihm braune Stellen auf.
Manu drehte ihr den Kopf zu. „Die Frage gebe ich zurück“, in gespielter Überraschung zog er eine Augenbraue hoch.
„Ja, ich hier“, verstohlen sah Larissa sich um. Wenn sie etwas gerade gar nicht gebrauchen konnten, waren es Zuhörer.
„Hat dein Lover keine Zeit mehr für dich? Haben ihm die anderen Mädchen schöne Augen gemacht?“, spottete er und drehte sich auf die Seite.
Larissa überging die Sticheleien. „Ich habe meinen besten Freund gesucht“, sie ließ sich auf die Fersen nieder. „Ich bin verliebt, Manu. Du kannst mir also nichts verübeln.“ In dem Moment, in dem sie es sagte, bereute sie ihre Worte wieder. Eigentlich hatte sie sich immer für sehr taktvoll gehalten, aber anscheinend hatte ihre Beziehung zu Joshua sie wirklich verändert. Gerade so, wie Manu es ihr vorhin vorgeworfen hatte. „Hör zu“, kam sie ihm zuvor, doch Manu war schon aufgestanden. „Lass gut sein, Larissa. Ich hab schon verstanden.“, damit ging er.
Als Larissa wenig später bei ihrer Decke ankam, waren Manus Sachen verschwunden. Wütend hieb sie auf das Gras ein, ihre Fingerknöchel knackten. Sie hatte es vermasselt. Jetzt stand sie da – zwischen ihrem besten Freund, den sie seit klein auf kannte und ihrem Freund, der erst vor einem halben Jahr in ihr Leben getreten war. Manu und sie hatten sich schon im Sandkasten geschworen, dass sie nichts und niemand würde trennen können. 14 Jahre waren sie durch dick und dünn gegangen, hatten jede Schwierigkeit zusammen gemeistert und dann… Larissa rieb sich die Fingerknöchel … dann wurde sowohl sein als auch ihr Leben auf den Kopf gestellt und nichts war mehr wie vorher.
Larissa rubbelte sich über das Gesicht als sei sie aus einem tiefen Schlaf erwacht, pustete durch und machte sich dann auf den Weg, Joshua zu suchen.

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Tag der Veröffentlichung: 04.06.2016

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