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Hunde-Horror


Leise tapse ich um die Ecke. Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Mit ihm fliegen lauter Gerüche auf mich zu, die ich zusammen mit der Herbstluft tief durch die Schnauze einatme. Interessante Duftnoten sortiere ich auseinander, die einen kenne ich schon, aber es sind auch Neue dabei. Ein weiteres Mal bemerke ich einen mir unbekannten Duft, einen, der nach Gefahr riecht. Ich kenne ihn nicht, ich kann ihn nicht zuordnen, ich habe Angst, denn dieser Geruch kommt bedrohlich näher. Ich schaue mich panisch um. Ist da jemand, der in der Dunkelheit auf mich lauert, mich verfolgt, mir etwas antun will? Ich verkrieche mich in einem Laubhaufen. Ich sehe nichts, alles um mich herum ist schwarz. So schwarz wie der Tod, der naht. Der Mensch kommt mit einer bösen Absicht, er will mich umbringen. Ich weiß es, ich kann es riechen. Er freut sich sogar schon darauf, mich zu quälen. Ich zittere bei dem Gedanken, was er alles mit mir anstellen könnte. Ich spüre ihn, den Menschen, ganz nah. Die Blätter über mir rascheln. Wenn ich schwitzen könnte vor Angst, dann würde ich es jetzt tun. Etwas ist über mir im Laub, bahnt sich einen Weg durch die braunen, roten und orangenen Blätter. Ich fange an, verschreckt zu Winseln – ein Fehler. Er bemerkt mich. Jetzt gibt es kein Versteckspiel mehr, ich habe nur noch eine kleine, fast unmögliche Chance zu entkommen. Eine Hand packt mich grob, ich fange an, mich loszureißen, ein paar Haare bleiben dabei an den Fingern hängen, die wie die dürren Äste der fast kahlen Bäume nach mir greifen, wie Klauen, die kurz davor sind, einen in den bitteren Untergang ziehen. Vor Schmerz jaule ich auf, aber dieser Schmerz gibt mir Energie. Vor Todesangst biege ich um die nächste Ecke. Ein Schatten taucht in meinem Blickfeld auf, er wird größer und größer. Ich kann ihn sehen, denn Mann mit dem langen, scharfen Messer. In meiner Vorstellung schärft er es und summt dabei eine fröhliche Melodie, als würde er Vorfreude verspüren, armen kleinen Streunern wie mir in der Nacht aufzulauern, oder vielleicht auch noch auf etwas Schlimmeres. Diese albtraumhaften Vorstellungen lassen mich schneller und schneller werden, der Mann ist mir trotzdem dicht auf den Fersen. Sein Mantel weht im Wind, ich meine für einen kurzen Augenblick, dass er seine Miene zu einem Lächeln verzieht. Wahrscheinlich denkt er wieder daran, wie schön es wäre, mich aufzuschlitzen, mir den Schwanz ab zu hacken, mir eine Pfote nach der anderen abzuschneiden, mir das Fell bei lebendigem Leibe abzuziehen. Während ich darüber überlege, merke ich gar nicht mehr, wohin ich laufe, so passiert es, dass ich auf einmal vor einer Schlucht stehe. Unten eisiges Wasser, dort geht es nicht hin – vor mir – mein Verfolger. Er richtet sich in voller Größe auf, grinst vor Glück und Schadenfreude und streckt mir sein Messer entgegen. Ich sträube meine Nackenhaare und ziehe den Schwanz ein – es gibt keinen Ausweg. Der Mann lacht. Doch dann fasse ich einen Entschluss: Ich werde kämpfen. Ich verliere die Beherrschung. Ich muss mich retten. Mein Instinkt siegt über mein Gewissen, ich beginne, mich zu verwandeln. Meine Krallen werden länger, ich werde größer und größer, bekomme mehr Fell, meine kleinen Zähnchen werden länger und schärfer, bis sie wie Reißzähne aus meinem Maul ragen. Ich sehe die Angst in seinen Augen aufblitzen, als ich zum Sprung ansetze … und mich auf ihn stürze. Der Werwolf in mir hat gesiegt. Ich habe solche Angst gehabt, noch jemandem etwas antun zu müssen - bis zur letzten Sekunde habe ich gehofft, es vermeiden zu können.Ich ramme meine Zähne in den Brustkorb vor mir, zerreiße seinen Körper in der Luft, Blut spritzt aus den Wunden. Die Angst vor dem Töten, die Angst vor dem Tod - verschwunden. Ich stürze den blutenden Mann danach die Klippe hinunter – der schreckliche, grausame Augenblick ist vorüber – und ich bin wieder das kleine, süße, Hündchen, das unschuldig durch die Gegend streunt.

Über einen Kommentar, ein Herz und vielleicht auch einen Pokal - sofern Euch die Geschichte gefallen hat - würde ich mich sehr freuen :D
Danke!


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Tag der Veröffentlichung: 27.10.2011

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