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1. Kapitel

„You are the coldest Love of my life“, wallte der aktuelle Nummer Eins Hit Amerikas aus dem Radio des kleinen Cafés, in dem Holly gern ihre freien Stunden verbrachte. Sie war in erster Linie Musikerin, jobbte aber hin und wieder in der Wäscherei gleich gegenüber, um über die Runden zu kommen. Klar war es nie ihr Traumjob gewesen Hemden zu bügeln oder Bettwäsche zu bleichen, aber Gelegenheitsjobs wie diese hielten sie über Wasser und irgendwann würde schon noch der Durchbruch als anerkannte Musikerin an die Tür ihres maroden Hauses mit Tonstudio klopfen. Wobei man in einer Kleinstadt wie Darling selten auf große Karriere hoffen durfte. Doch träumen war stets erlaubt. Vor allem, wenn man Holly Silver hieß. Schon seit ihrer Kindheit eilte ihr der Ruf als Träumerin voraus. Holly liebte es, sich mit hoffnungsvollen Gedanken, an die schönen Seiten des Lebens zu umgeben. Auch wenn sie derzeit kaum Grund zum Träumen hatte … 

Doch plötzlich fühlte sie sich in ebendieser Sekunde, in dem kleinen Café in Darling Arizona wie in einem Traum. Die Realität konnte manchmal absurde Ausmaße annehmen und einem gewaltige Streiche spielen. 

Das Glöckchen ertönte und signalisierte, dass ein weiterer Kunde den Laden betrat. Holly sah von ihrer Tasse auf und zwinkerte, denn sie wollte ihren Augen nicht trauen. Es musste sich um einen absurden Tagtraum handeln. Höchstwahrscheinlich um einen Albtraum, wenn man bedachte, wer da gerade den Laden betrat.

Nur einen Meter entfernt stand die mehr als berühmte Musikerin Kristen Moore, deren Lied zeitgleich aus den winzigen Boxen des Ladens röhrte. Holly musste theoretisch nur die Hand ausstrecken und könnte diesen absurden Tagtraum in Gestalt einer Rocklegende berühren. Einfach so. Doch das war das Allerletzte was sie wollte.

Denn schon seit Monaten führte Holly mit Kristens brillanten Anwälten hitzige Gespräche darüber, ob Holly  es gewagt hatte einen Songtext der berühmten Musikerin zu stehlen, oder nicht. Holly war bloß eine kleine Nummer in der Musikszene, vor allem im Vergleich zu dieser berühmten Diva in Lederjacke, deren Duft ihr greifbar nah in die Nase stieg. 

Holly hatte sich vom ersten Moment an gewundert, dass eine mehr als bekannte Musikerin ausgerechnet sie, die kleine unbedeutende Gitarristin und Songwriterin aus Darling Arizona verklagt. Zuerst ging Holly von einem schlechten Scherz ihrer Freunde aus. Doch als die Anwälte sie sogar persönlich aufsuchten, wurde ihr erschreckend greifbar bewusst, dass sie tatsächlich von einer weltbekannten Musikerin, die Geld wie Heu hatte, verklagt wurde.

Dieser Rockröhre eines Tages persönlich, auch noch ohne ihre Schar von überteuerten Anwälten gegenüber zu stehen, hatte Holly wirklich nicht erwartet. 

Aber da stand sie nun: Kristen Moore. Live und in Farbe. 

 

Wut ließ sie schneller Atmen, sogar ihre Nasenspitze schien zu zittern. Gefühle wie Wut, gar Verachtung oder Hass zählten absolut nicht zu Hollys Reportoir. 

Doch diese Person war dabei ihr Leben zu zerstören. Kristen Moore war der einfältigste und von sich selbst überzeugteste Mensch, dem Holly je begegnet war. Diese Frau dachte wirklich, ihr gehöre die gesamte Musikwelt. Wie sie kaugummikauend am Tresen stand, ohne ihr Umfeld auch nur im geringsten wahrzunehmen, auf ihre superteure Uhr starrte und sich dabei kokett ihre schwarzen Locken in das perfekt gemeißelte Gesicht fallen ließ. 

Holly konnte sich nicht mehr zurückhalten. Die Worte des Zorns überkamen sie wie ein tosender Wasserfall der ohne Vorwarnung auf Darling niederprasselte. 

„Wenn du genauer hinhörst, meine Liebe, dann erkennst du, dass mein Songtext nicht die geringste Ähnlichkeit mit deinem stumpfsinnigen Geplapper hat, das du in deinen Liedern zelebrierst.“ Sie deutete hinauf zu den Lautsprecherboxen. „Hör genau hin, das ist ein mehr als dämlicher Text, den würde ich doch niemals klauen. Wozu auch? Ich schreibe echt bessere. Du kannst also ruhig wieder aus Darling verschwinden. Ich diskutiere das auch gerne weiterhin mit deinen Anzugträgern aus. Dazu musstest du nicht extra persönlich nach Darling kommen.“

Kristen zog ihre wohlgeformten Augenbrauen zusammen. ihr Mund stand offen. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass jemals irgendein anderer Mensch so mit ihr sprechen würde. Da hatte sie ihre Rechnung jedoch ohne Holly Silver gemacht. Zwar zählte Holly zu den Menschen, die stets gutgelaunt und mit einem Lächeln durchs Leben gingen, doch manchmal platzte sogar ihr der Kragen. Dies geschah zwar nur alle heiligen Zeiten, meist wenn ihre Mutter zu Besuch kam - also im Normalfall nicht öfter als einmal im Jahr - doch nun war es wieder einmal so weit. Holly wurde ausfällig.

Jedenfalls für ihre Verhältnisse. Denn Holly fluchte nicht. Ebenso wenig lag es in ihrer Natur, mit anderen zu streiten. Sie war ein stets positiv eingestellter Mensch, der versuchte, immer und jederzeit mit einem Lächeln durch die Welt zu gehen und Vorurteile aus dem Weg zu räumen, bevor sie überhaupt entstehen konnten. 

Kristen legte ihren Kopf schräg und lächelte sie an. Holly verstand nicht, warum sie das tat. Sie hatte ihr doch gerade klipp und klar gesagt, dass ihre Anwesenheit unerwünscht war. 

„Dein strohblondes Haar fängt in diesem Licht perfekt die Wärme dieses herrlichen Wintertages ein.“

Wie bitte? Was hatte diese arrogante Person gerade zu ihr gesagt? 

„Mein … Haar? Wir sprechen jetzt aber nicht ernsthaft über meine Frisur, oder?“ Sie stemmte ihre Hände provokant in die Hüfte.

Kristen deutete aus dem Fenster des winzigen Cafés in dem sie sich zufällig über den Weg gelaufen waren.

„Sieh nur, die Kälte zaubert Eisblumen auf das Fensterglas.“

„Ja, richtig. Es ist kalt draußen.“ Holly dachte darüber nach, ihren Pappbecher mit dem Sojalatte zu schnappen und aus dem Café zu stürmen, bevor diese Tussi mit ihrem leeren und mehr als gestörten Geplapper fortfahren konnte. Doch sie bewegte sich keinen Millimeter, sah Kristen Moore nur verlegen an. 

Kristen legte erneut ein Lächeln auf ihre makellosen Lippen und strahlte Holly an. Sie musste absurderweise an den Vergleich mit ihren Haaren denken.

„Es ist nicht nur kalt. Es herrscht eine eisige Atmosphäre. Und dennoch scheint die Sonne, wärmt unsere Haut mit ihrem hellen Gemüt. Unersättliche Schönheit, findest du nicht?“

Neigte diese Frau wirklich ständig dazu, in diesem viel zu kitschigen Slang zu sprechen? Holly würde sich im Normalfall für genau so einen Typ Frau begeistern können, der die Welt stets in philosophische Ansichten verpackte. Doch in diesem Fall handelte es sich um ihre Erzfeindin, die ihr die letzte Hoffnung auf ein Leben als Musikerin aus den Augen kratzen wollte. Auch wenn sie eine wirklich hübsche, sehr nett anzusehende Feindin war. Dennoch, ihre Gegnerin in einem Gerichtsprozess, die sie auf eine horrende Summe verklagt hatte. Falls Kristen Moore diese Streitigkeit gewinnen sollte, dann würde Holly nicht nur ihr Aufnahmestudio, sondern auch ihr Zuhause verlieren. 

Diese Wut, die bei dem Gedanken in ihr aufstieg, ließ Kristen urplötzlich zu der hässlichsten Frau auf dem gesamten Planeten mutieren. 

„Du hast einen Knall“, entkam es Holly, die sich sofort die Hand vor ihren Mund hielt. Auch wenn dieser Mensch sie in den Ruin treiben konnte, hatte sie trotzdem eine höfliche und respektvolle Ansprache verdient. Freundlichkeit ihren Mitmenschen gegenüber zelebrierte Holly mit Leidenschaft. 

Ihr Lebensmotto besagte: Sei freundlich zu der Welt, dann ist die Welt freundlich zu dir. 

Holly lebte strikt vegan, trug wiederverwertete Kleidung, besaß kein Auto, lediglich einen kleinen Elektroroller und unterstützte das ortsansässige Tierheim, indem sie mit den dort einquartierten Hunden spazieren ging. Holly war stets freundlich zu der Welt, die sie umgab. Und auch zu der Welt, die nicht direkt vor ihrer Haustür auf sie wartete. Jedenfalls hatte sie das bis vor einem kurzen Moment tatsächlich geglaubt. Doch zu dieser Musikfritzin aus der Stadt, die weltweit als Rockstar gefeiert wurde, konnte sie nicht freundlich sein. 

Egal wie sehr sie sich wünschte mit jedem Individuum respektvoll umzugehen, bei Kristen Moore versagte ihr gutdurchdachtes Lebensmotto leider beinhart. Sie konnte nichts dagegen tun.

„Ein Knall spricht doch nur für eine nicht standardmäßige Denkweise, nicht wahr?“ Und wieder lächelte sie. 

Bestand denn dieses hochnäsige ItGirl nur aus einem Dauergrinsen in Endlosschleife? Ein viel zu hübsches und durchaus nerviges Perpetuum Mobile.

Holly räusperte sich, griff nach ihrem Kaffeebecher und wandte sich ohne ein weiteres Wort von Kristen ab. Diese Frau war es einfach nicht wert, noch ein einziges Wort an sie zu verschwenden. Geschweige denn einen weiteren Gedanken.

„Möge die Sonne dein Haar küssen und die Vögel Lieder für dich singen, an diesem schönen Wintertag!“

Das war doch die Höhe! Rockstar hin oder her, frecher ging es wohl kaum. Hollys Wut bescherte ihr einen knallroten Kopf. Hastig band sie ihren kuscheligen Schal fester und trat aus dem Café. 

Ein kühler Wind umspielte ihre Nasenspitze. Die Sonne schien direkt in ihr Gesicht … und auf ihr Haar. Dämliche Kristen Moore …

 

Holly fischte ihre senfgelbe Wollmütze mit dem Riesenbommel aus ihrer Manteltasche und zog sie über ihren hellblonden Schopf. Sie dankte ihrer Freundin Rebecca im Geiste, dass sie diese Monsterhaube für sie gestrickt hatte. Die Wolle dazu hatte Holly im Sommer auf dem Flohmarkt gefunden. Holly hatte die Wolle entdeckt und war sofort begeistert. Ihr Problem war nur, dass sie handwerklich gar nichts drauf hatte. Sie konnte singen und komponieren. Darin war sie unschlagbar. Aber wenn es darum ging, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen, dann versagte sie kläglich. Ganz zu ihrem Leidwesen, denn es hätte wunderbar in ihr Lebenskonzept gepasst, wenn sie ihre Kleider selbst nähen könnte. Doch leider war sie von der Massenindustrie abhängig, deren Kleidung sie zwar Second Hand kaufte, gegen die sie durch ihre Unfähigkeit Dinge selbst zu nähen oder zu stricken, nicht ganz herumkam.

Holly konnte kochen, backen, singen, tanzen, jammen, positiv denken, alles Essbare in sich hineinstopfen wie ein Scheunendrescher, der die gesamte Ernte von ganz Darling auf einmal mähte. Darin lagen ihre Talente. Doch ihr größtes Talent lag darin, Songtexte zu schreiben. Nie und nimmer hätte sie sich vorstellen können, dass sie eines Tages verklagt wurde, weil sie einen Songtext gestohlen haben soll. Holly Silver und eine Diebin. Das passte einfach nicht zusammen. Schon gar nicht, weil sie den Diebstahl von Worten tatsächlich nicht nötig hatte. Ihr Talent war sogar außergewöhnlich. Sie hatte schon Texte für Weltstars verfasst (aber natürlich nicht für Kristen Moore) und sogar den Text für die neue Hymne von Darling geschrieben. Ihre Band sang ebenso ausnahmslos ihre eigens komponierten Lieder. Sie bedienten sich nicht einmal an der großen Auswahl an Fremdmaterial, das rechtlich gesehen sogar zur Verfügung stand, weil das Urheberrecht bereits erloschen war.

Holly überquerte die Straße und lief zu der kleinen Bäckerei, in der ihre Freundin Megan ihre Hochzeitstorte bestellt hatte. Holly fehlten momentan Auftritte und somit auch das nötige Kleingeld, um ihre Lebenskosten bezahlen zu können. Deshalb mimte sie für Megan die Hochzeitsplanerin und griff ihr beim Umsetzen des schönsten Tages in ihrem Leben tatkräftig unter die Arme. Megan und Teddy hatten sich das erste Mal, umgeben von einem Meer aus Schneeflocken geküsst. 

Deshalb sollte das Motto ihrer Hochzeit auch „Schneeflockenküsse“ sein. Aus ebendiesem Grund wollte die Wetterfrau ihre Biologin auch unbedingt im Winter bei Eiseskälte heiraten. Die meisten Menschen träumten von einer Hochzeit im Freien, bei sonnigem Wetter und lauer Luft. Doch nicht diese beiden. Je kälter der Tag werden sollte, desto besser, hatte Megan neulich zu Holly gesagt. Und Holly hatte freudig genickt. Sie verstand die Leidenschaft, die Megan dabei empfand, wenn sie von dem Tag ihrer Hochzeit sprach. Besser gesagt, Holly konnte sich vorstellen, wie Megan sich fühlen musste. Denn die immer glückliche Holly war noch nie so glücklich mit einer Frau gewesen, dass sie das Bedürfnis verspürt hätte, sie zu heiraten und ihr Leben mit ihr zu verbringen. Sie war eine selbständige Frau, zwar sehr gesellig, doch interessanterweise auch gerne für sich. Holly liebte es, zu tun was sie wollte, was ihr gerade in den Sinn kam, ohne sich mit einem Partner absprechen zu müssen. Ganz anders als zum Beispiel Sandra und ihre Andrea. Ihre Freundin war mit ihrer Frau zu einer im Gleichklang existierenden Einheit verwachsen. Holly konnte sich nicht vorstellen, dass Sandra noch ohne Andrea existieren konnte. Diese Art von Liebe mochte zwar bestimmt sehr schön sein, aber dermaßen abhängig von einem anderen Menschen zu sein, das konnte Holly sich für ihr eigenes Leben nicht vorstellen. 

Sie nahm einen Schluck aus ihrem Pappbecher und zog den Mantel enger. Zwar schien die Sonne, doch die eisige Luft brachte sie zum frösteln. 

„Warte!“, hörte sie plötzlich Kristens Stimme hinter sich. Die Musikerin rannte ihr hinterher und klimperte mit einem Bund Schlüsseln in ihrer Hand.

„Verdammt …“, murmelte Holly. Sie war nicht nur optimistisch und freiheitsliebend, sondern auch wahnsinnig vergesslich. Wenn ihr Kopf nicht an ihrem Hals festgewachsen wäre, würde sie wahrscheinlich sogar den irgendwo liegen lassen. Sie wandte sich zu dem herannahenden Rockstar um und wartete.

Kristen ließ die Schlüssel vor ihrem Gesicht auf und ab tanzen. 

„Du machst dir nicht einmal die Mühe, mir entgegen zu kommen, obwohl ich eindeutig etwas an mir habe, das du begehrst?“

„Du wirst wohl kaum etwas mit meinen Schlüsseln anfangen können, oder?“ Sie streckte ihr die leere Handfläche entgegen und tippte mit dem Zeigefinger darauf.

Kristen schüttelte den Kopf und grinste breit. „Falls du die Klage verlierst, werden es bald meine Schlüssel sein.“ Dann legte sie den Bund auf Hollys Handfläche.

Holly zuckte bei ihren Worten zusammen. Hatte diese blasierte Musikerin gerade tatsächlich gesagt, dass ihr Zuhause demnächst ihr gehören würde?

„War das eine Drohung?“

Kristen schüttelte sofort den Kopf. 

„Nein, natürlich nicht. Entschuldige, falls es sich so angehört hat. Ich wollte dir doch nur klar machen, was es für dich bedeutet, wenn du dich tatsächlich auf den Rechtsstreit einlässt.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Mit dem Urheberrecht ist nicht zu spaßen.“

„Danke, das ist mir bewusst.“ 

Holly schloss ihre mittlerweile zu Eiszapfen gefrorenen  Finger um das Metall.

„Du verstehst nicht, worauf ich hinaus will.“ 

Kristen legte ihr eine Hand auf die Schulter. Holly wollte sich von ihr abwenden, doch sie drückte zu und beschwor sie auf diese Art, ihr direkt in

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: May Sparkle
Bildmaterialien: Adobe Stock
Cover: Bookcoverdesign Michaela Feitsch
Lektorat: Ataxis Literatur
Tag der Veröffentlichung: 21.10.2021
ISBN: 978-3-7487-9746-3

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