Rebecca gähnt ihrem Spiegelbild entgegen. Erblickt die Fratze ihrer wahren Natur. Dann stülpt sie das zarte Persönchen mit perfektem Lächeln erneut über ihr wahres Gesicht. Bekannte Langeweile der Alltäglichkeit drängt aus etlichen Poren. Muss sich verstecken und behüten, was nicht an die Oberfläche durchdringen darf.
Denn: Rebecca trägt ein Engelsgesicht. In Dauerschleife. Domestiziert und behütet, perfektioniert und eingeübt seit Kindheitstagen. Der Engelsschein, tief eingewoben in die hübsche Fratze. Vergraben, in butterblumige Ausstrahlung gebettet, schläft das Monster auf teigigen Kissen.
Ein weiterer Blick in den Spiegel: Engelslächeln, omnipresent in seiner Existenzsberechtigung. Schützenswert permanent. Schon als Kleinkind aufgesetzt, erfolgreich über den leeren Blick gestülpt. Den Blick des perfiden Monsters.
Engelsgleiches Antlitz, einzig entworfen und erschaffen, um es konsequent in ihrem Inneren wegzusperren. Einzupferchen im, von Rost zerfressenem, in Verdrängnis vergrabenem Käfig.
In ihrem Inneren: Fauliger Geruch untermalt abscheulichen Atemzug. Abgestandener Gestank ständiger Korpulation, geronnenem Blutes. Fäkalverseuchtem, über ein trübes Leben angesammeltem Dreck. Rebecca wagt nicht einen Schritt in die Nähe des Geheges der Bestie. An manchen Tagen reckt es den Hals. Hin und wieder erklingt ein unterschwelliges Knurren. Und manchmal, ganz selten, meist an verregneten Tagen, leckt es über die Lefzen. So als hätte das Monster Appetitt.
Das Engelsgesicht bringt ihre leeren Augen zum Strahlen. Rebecca drückt Schultern durch, verlässt grinsend das Badezimmer. Aus dem unteren Stock: schallendes Gelächter. Ihre Eltern amüsieren sich. Das aufgesetzte Geplänkel der Möchtegernreichen kotzt Rebecca an. Uninteressante Persönlichkeiten, die über belanglosen Müll schwafeln. Wenn die Leute wüssten, dass sie das Monster füttern…
Fuß berührt Treppe. Erneutes Gelächter. Heute serviert der Koch frisch zubereiteten Kalbskopf, vernimmt sie die Stimme vom Gastgeber. Übertrieben geschwollener Jargon der Neureichen kotzt Rebecca an.
Ihre Eltern sind dazu geschaffen Teil der weit entfernt anerkannten Spezies "Neureich" zu sein. Vor kurzem zu unerwartetem Reichtum gekommen, felsenfest der Meinung, ab sofort zu den auserwählten fünf Prozent zu zählen, fressen sie sich seit Wochen durch Vorratskammern der Cremedelacreme.
Letzte Stufe. Den Kopf erneut aufrecht. Schultern zurück. Klimpern mit den Wimpern. Der gespielt lebendige Blick wandert über die Anwesenden. Die Wampe ihres Vaters: raumfüllend. Kaum zu ignorieren. Das bekleckterte Hemd hängt aus der Hose, schwarze Härchen seines, von Haut überzogenem Fett, drängen aus der gespannten Knopfleiste. Ein Klumpen Cocktailsoße trieft aus Mundwinkeln.
Ihre Mutter, Frau Etepetete, darauf konzentriert dem anwesenden Abschaum zu gefallen, entgeht die Kleinigkeit ihres verschmierten Lippenstifts. Das brachliegende Rot betont das spitzzulaufende Kinn, auf dem filigran weißblond ein Haar sein Unwesen treibt. Fest überzeugt, niemand ahnt Existenz des Auswuchses, lässt sie das Hexenmal gedeihen und sprießen. Rebecca kotzt das Gesicht ihrer Mutter an.
Kalt lächelnd wartet sie, bis der Stuhl zurückgezogen wird. Das Plastiklächeln nimmt auf dem roten Samt Platz. Die nächste Flasche Sekt tanzt durch die Reihen. Rebecca lehnt ab. Zaghaft schüttelt sie den Kopf, wie es einer netten jungen Dame geziehmt. Der Ausdünstungsgestank der angeheiterten Gesellschaft kotzt Rebecca an. Saufen und Fressen. Über Geld wetteifern. Pralerei der eigenen Person dominiert den Raum. Einer besser als der andere. Der nächste noch großartiger als der letzte.
Tete de veau. Delikatesse. Koch präsentiert geköpfte Babykuh. Augen grotesk verdreht. Weiche Zunge ergießt aus sperrangelschreiendem Maul. Kahlweiß, glatter Babypopo. Dreckiges Fell, kochendes Wasser hinfortgebrüht. Weiße tote Haut obsiegt.
Ein Anblick der Rebeccas Monster seufzen lässt. Frauen wenden mentale Aufmerksamkeit ab. Legen die Stirn in die Armbeuge, bedecken Mund und Augen mit Handflächen. Männer bewahren Contenance. Der Atem reglos, das Herz hämmert gegen die Brust. Kaum ein Anwesender in Bewegung.
Rebecca inhaliert die aufkeimende Bedrückung. Gibt ihrem Monster Auftrieb. Krallen wetzen an rostigem Eisen.
Tete de veau. Delikatesse. Französischer Koch. Abgewandte Gesichter. Heißes Wasser. Kahle Haut. Leblose Augen erwidern ihren Blick. Rebeccas Leere erkundet unbekannte Gefühlsstränge. Neuronales Paukenkonzert. Angewiderte Blicke. Umgeben von gepeinigter Scham. Grinsender Franzose. Knochensäge. Rebeccas Körper verlässt das rote Samt. Unsichtbare Fäden, die Flügel verleihen. Die Knochensäge schneidet Haut. Rotiert. Schreiende Knochen. Gefühlschaos. Rebeccas Kotzdrang reduziert dank brechenden Knochen. Faszination entfesselt. Frauen blicken starr nach vorn. Spielen Gesellschaft. Rebecca grinst. Kein Plastiklächeln. Erkennt ihr alltägliches Leid in den Gesichtern anderer. Sie grinst aus einer morbiden Befriedigung heraus. Und fühlt sich zum ersten Mal in ihrem Leben befreit. Monster leckt zarte Mädchenlippen. Blitzblanke Zähne jubeln.
Jähe Stille überschwemmt den Raum. Stille, die Rebecca nicht erreicht. Rebecca schnauft, ächzt, jubelt. Triumphiert. Reibt ihren Busen, spreizt die Beine. Unermässlich. Obszönes Reiben über feuchte Haut. Der Raum gewinnt an Tiefe. Starrende Gesichter mit offenen Klappen beobachten. Jegliche Regung, noch so klein. Rebeccas Schenkel beben. Dann: bizarre Stille.
Monster entfesselt.
"Ich hab´ mich nicht gefickt." Vaters Fingerkuppen graben in Rebeccas Oberarm.
"Hurerei." Mutter knetet Handrücken. "Obszöne Abartigkeit."
"Hallo? Hört ihr mir überhaupt zu? Ich. Hab. Mich. Nicht. Gefickt."
"Sechzehn Jahre alt und schon ein perverses Miststück der Extraklasse."
"Eure Erziehung." Breites Grinsen. "Hatte gute Vorbilder."
"Selbstbefriedigung in der Öffentlichkeit."
"Wo sonst?"
"Unmöglich."
"Hystärisch nenn ich das."
"Wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Oder habt ihr vor, mich einzuweisen? Leide ich unter unheilbarer Hystärie, oder was? Dämliches Elternpack."
"In die Kirche sollten wir dich schleppen, dir das freche Maul stopfen."
"Mit einem harten Schwanz?"
"Rebacca. Bitte. Treib deinen Vater nicht zur Weißglut."
Glut. Ein Synonym für Geilheit. Man erhitze Wasser und schütte es über einen leblosen Körper. Leblos?
"Seit wann besitzt unsere Tochter ein dermaßen dreckiges Mundwerk? Sie war ja sonst nie so frech."
"Und pietätlos." Mutter reibt über Augenlider. "Vergiss nicht, was sie uns damit antut."
"Verstoßen werden sie uns."
"Die reichen Säcke? Ich hab´ euch davor bewahrt, behaarte Ärsche zu lecken, an denen nichts weiter als eingetrocknete Scheiße klebt."
Liebes braves Kind war sie gewesen. Geboren, aufgewachsen, vor sich hingelebt. Und jetzt? Rebecca verliert die Kontrolle über ihren Sprechapparat. Spricht fremde Gedanken, die ehrlicher Inuition entsprechen. Ist sie in ihrem Leben jemals so abartig geil gewesen? Es war ihr völlig entgangen, dass sie es sich vor versammeltem Puppentheater selbst besorgt hatte.
Die angewiderten Gesichter der Frauen. Die bedeckt neugierigen Blicke der Männer. Rebecca verstand keineswegs was jenem Abend abging. Erreichte zur Abwechslung, der starren Fressen zu dank verpflichtet, den Höhepunkt ihres Lebens. Ein Stillleben, das seelenruhig beobachtete, jede Bewegung Rebeccas inhalierte. Sie verschaffte nicht nur einen Höhepunkt. Ergötzendes Erwachen. Traumartiger Affekt. Gerissen aus dem Dauerzustand immerholden Engelsspiels.
"Ich hab mir nur geholt, was mir zusteht."
"Du redest unfug, Becki. Warst du vielleicht betrunken, Liebes?"
"Rebecca." Becki ist tot.
Mutter atmet in Handflächen. "Was sollen wir bloß mit dir machen?"
"Seit Jahren sag ich schon mit dem Kind stimmt was nicht."
"Ergo: Doch wegsperren. Kein Wunder, dass ich gestört bin. Bei meiner scheiß Kindheit gibt mir jeder Therapeut recht."
Mutter senkt Kopf. "Wir haben immer versucht, dir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen."
Das Monster kratzt an der Lunge. Rebecca hüstelt Worte ins Nichts. Mit Mutter sprechen, pure Zeitverschwendung. Abgang. Aber wohin? Konfuse Ideenkonstrukte schlängeln durch Straßen. Gedanken hängen dem stillen Raum hinterher. Rebecca schließt Augen, kann Entsetzen schmecken. Wichtig wie Nahrung, diese inneren Bilder. Das Monster will mehr. Wann hatte sie beschlossen, ihre innere Bestie vor dem Leben wegzusperren? Ach ja, Mutters schuld.
Rebecca, gerade vier Jahre alt, spielt Ball. Wirft das runde Ding über den Zaun der Nachbarn. Trifft den kleinen nervigen Köter, der im Einheitsbrei bellt. Stille. Das Mistvieh erstarrte mit offenem Maul. Will keifen, kann nicht. Der Ball dient als Maulsperre. Und Rebecca? Lacht. Genießt. Beobachtet. Mutter kommt herbeigelaufen. Entsetzte Ausrufe. Gejammer. Armer Hund, armes Kind, schlimmes Erlebnis. Dem Hund hat es den Kiefer zerfetzt. Der Basketball hat dem kleinen Wauwau den Gar ausgemacht. Einfach. Effizient. Schmerzvoll.
Mutters Geheule. Vaters Selbstvorwürfe. Rebecca spielte in der Auffahrt Ball, tastete über Struktur, fragte, welche Stelle zartes Kiefer aus fester Verankerung gerissen. Mutter sieht aus offenem Fenster und ahnt es. Rebecca wirft Ball auf Straße. Gift ist er, klebt an kleinen Mädchenhänden. Mutter erträgt Schmerz nicht. Rebeccas Bestie kriecht unter Hautschichten. Wartet. Schläft. Rebecca verdrängt das innere Tier. Entscheidet spontan: Ein Leben als Engel. Mutter glücklich. Vater glücklich. Keine Diskussionen. Keine seltsamen Blicke. Keine Signale, es wäre nicht okay.
Ein ruhiges Leben in der ruhigen Vorstadt. Bellende Hunde, maunzende Katzen. Rebecca und ihr Ball. Am Tag des Kieferbruchs hatte sie beschlossen, allem Bösen Aushalt zu gebieten, eine Mauer aus Freundlichkeit errichten. Anfangs schwerfällig, mit der Zeit perfektioniert. Das Plastiklächeln. Ebendieses, das sie an dem Abend als die Knochensäge sang, eingebüßt hatte. Rebecca grinst. Übt das alte Spiel. Ist stolz. Der Engel kehrt zurück. Ihre Sorgen, das brave Kind sei verloren: Falsch. Unbegründet. War es nicht immer schon so? Das aufgesetzte Gesicht, für Außen. Das tiefschwarze Innere für Drin. Monster im Laufstall, Monster im Vorschulklo, Monster in Garderobe der Cheerleader. Monster im Badezimmer. Standardmäßig Monster im Dunkeln. Zugezogene Vorhänge, verschlossene Türen. Sichere Einsamkeit, freie Gedankenspiele. Verdrehte Welt der Bestie erkunden. Spiele manifestiert in Tagträumen, in Kinderhänden mitgetragen, zu Experimenten ausgeuftert, in Lebensziele einer Pubertierenden verwandelt.
Abartigkeit. Grauen. Ein wucherndes Geheimnis. Der Lebensbaum verlangt nach Blut. Aber nein. Das Engelsgesicht stets voran, den Wimpel der Normalität schwingend, die Bestie zurück in den Käfig gedrängt. Sechzehn Jahre lang. Ein kurzer Ausflug an die Frische Luft im Alter von vier.
Danach: Bunker. Einzelhaft. Vergessensdrang drängt in erste Reihe.
Dann: Anpassung.
Gier verdrängt hinter bekannt geschlossene Vorhänge. Bis auch ihr makaberer Hilfeschrei nach Existenzberechtigung verstummte. Doch das Lied der Knochensäge hatte es berührt. Einem anderen mag das Geräusch sauer aufstoßen, doch Rebecca durchlebte Widergeburt. Atmete zum ersten Mal das Monster aus, ließ es die Führung übernehmen. Ein Tanz zum Klang brechender Knochen, umgeben von geschmeicheltem Entsetzen. Sehnsucht erklomm unruhige Beine. Klänge verstummen, doch das Verlangen bleibt. Endloses Verlangen durchbohrte Gedärme und legte frei, was jeher frei sein sollte.
Ein atmendes, selbständig denkendes Monster.
Danke, Knochensäge.
"Deine Zeichnungen werden immer abgedrehter."
Rebecca sitzt am Pult. Neben ihr, Cheerleaderfresse von Nancy. Quatscht in einer Tour.
"Was genau soll das denn überhaupt darstellen?"
Nancy verzieht Mundwinkel. War „immer schon angeekelt von Rebecca.
„Ihhh, sind das Kuhköpfe? Becki, du bist ja echt krank. Ich hab dich ja immer schon für abgedreht gehalten, aber das ..."
Rebecca nickt. Kuhkopfe. Ja. "Warum um alles in der Welt zeichnest du geschlachtete Kühe?" Gedanken triften ab. Nancys aufdringliche Tonleiter verdrängt. "Oder hast du deine Perversität perfektioniert und zeichnest da echt süße kleine Kälber die man geköpft hat? Das ist ja noch gestörter." Babykuh. Glatt. Unberührt. Erinnerungen pochen an geheimen Orten, zehren am Anblick der erinnerten Delikatesse. Delikat. Delfin. Katze. Tesse. Essen. Gedanken verwandelt zu Wortspielen. Kahle Katze. Babykatze. Blutdurchzogene Schnitte an Hälsern. Rinnen über nackte Haut. Aalglatt und weich. Die Schenkel beben. Rebecca drückt Beine zusammen. Erfreut. Erregt von abstrusen Bildern. Blut rinnt über nackte Haut. Rebecca hebt Kopf. Restliche Klasse blickt in Bücher. Schule kotzt Rebecca an. Aber das Monster nicht. Ganz im Gegenteil. Achtet auf rasierte Beine, kahle Männerwangen, enthaarte Arme, Sidecuts, Undercuts, weggescherte Augenbrauen. Bloß kein Haar lassen, wo es hingehört. Das Prinzip der Jugend. Wollen alle Babies sein, zurück in den Uterus kriechen, tiefer graben, Plazenta fressen, aus Hälsern bluten. Unmündig bleiben. Rebecca kotzen Menschen an. Lebewesen generell. Alles lebende. Glauben, sie wären auserkoren, das Hier und Jetzt anzuführen. Mit ihren bunt lackierten Fingernägeln, kombiniert mit dämlicher Musik, von der sie denken Genialität zu erlangen.
Schulkollegen sitzen mit durchschnittener Halsschlagader. Monster grinst.
Herrliche Fantasie, die bestraft, wer bestraft gehört.
Dann die Lehrerin. Durchbricht den Traum. „‚Becki, lies uns bitte den nächsten Abschnitt vor.“
Rebecca räuspert. Hat keine Ahnung, von welcher beschissenen Stelle das stupide Stück Fleisch spricht.
Permanentes Anstarren. Rebeccas Augen fixieren nackte Beine. Autoritätsperson und Schlampe - zeitgleich. Und will ihr sagen, was sie zu tun hat? Becki tot. Monster lebt. Atmet in die schlechte Luft des Klassenraums. Ergötzt sich am Fleisch.
Lehrerin verdreht Augen. Deutet auf Nancy. Cheerleaderschlampe liest Rebeccas Absatz. Alles was Kommunikation verdrängt kommt Rechtens.
Rebeccas Hass auf Gesellschaft, Menschen, soziale Strukturen, summt im Kopf ein monotones Lied. Drängt sich auf. Frisst andere Gedanken. Klirrt und schreit. Lautstärke wächst, Gedanken fliegen, Hasshymne katapultiert sie in fremde Sphären. Umfeld löst sich auf. Schulkollegen hängen an Haken von den Decken. Geschlachtete Kälber, blutleer. Offene Hälser klaffen lachend. Wundersame Fantasie. Faszination. Rebecca sieht auf Geschichtsbuch. Vollgekrakelt. Hat sich mit roter Farbe ausgetobt. Babykuhköpfe bluten jetzt. Rebecca hebt Kopf. Schulkollegen bluten jetzt. Einsetzender Blutrausch, Vorstellung des perfekten Szenarios. Alle bluten, alle leblos. Nur das Monster steht aufrecht. Mit der Knochensäge in der Hand.
Freitag. Schulglocke läutet. Ab sofort: Freiraum. Monster jubelt. Wochenende bedeutet geheime Experimente. Zeit für Zweisamkeit. Rebecca und Monster, reichende Hände. Achtundvierzig Stunden vereint. Innige Umarmung. Die Zeit ist reif. Monster wächst. Rebecca sinniert, wie sie so lange ohne es leben konnte. Mutter glücklich. Vater glücklich. Keine Diskussionen. Aber mächtiger Käfig, übersäht mit Kratzspuren. Das Monster war permanent anwesend …
Rebecca erinnert: Sechs Jahre alt. Einschulung. Andere Kinder singen Lieder, klatschen im Takt. Rebecca sitzt stumm am Platz, lässt Blicke über neue Freunde gleiten. Empfindet: nichts. Wartet ab. Riecht jungen süßlichen Schweiß, hört helle Stimmen, sieht glatte Haut, schmeckt Blut. Rebecca hat auf Lippen gebissen. So fest, bis metallischer Geschmack Zunge berührt. Kleine Becki fragt sich, ob Verhalten zu absonderlich. Denkt an Wauwau. Fühlt Ball. Niemand beobachtet sie. Niemand bemerkt Blutsee im Mund. Rebecca schluckt.
Fragt sich, jetzt, zehn Jahre später: Hat Monster gegen sechsjährige Schädeldecke geklopft? Monster sabbert. Antwort lautet: Ja. Es begleitete sie stets, omnipräsent, exzeptionell, pochte das Herz im Gleichklang mit Baby, Kleinkind, Kind. Und jetzt: Jugendliche. Bis in die Adoleszenz fließt heißer Monsteratem durch jungen Körper. Und Rebecca? Akzeptiert ihr zweites Gesicht.
Betritt Haus, Mutter sieht fern. Nickt Rebecca zu. Hebt Kinn, grüßt Mutter mit kurzer Geste, läuft über Treppen. Fliegt beinahe. Zeit ist reif, Monster will spielen.
Rebecca duscht. Wäscht Alltag ab. Bereitet auf Freiheit vor.
Kühles Wasser berührt nackte Haut. Klingen gleiten über behaarte Stellen. Schaben dunklen Flaum ab. Legen planke Haut frei.
Rebecca denkt an Klassenkollegen. Allesamt kahl geschoren. Kein Haar im Gesicht, unter Achseln, oder auf Beinen. Manche auch haarlose Kopfhaut. Wie Neugeborenes. Sie grinst.
Monster macht Vorschlag: Rasiere Kopf. Einfach so.
Warum nicht? Eindringliche Idee. Glüht hinter Stirn. Klopft an, Rebecca öffnet. Sie ist nicht mehr vier. Nicht mehr sechs. Es darf Vorschläge unterbreiten. Süße Sechzehn.
Rebecca gehorcht. Klinge wetzt, ritzt empfindliche Haut, bringt Haarbüschel zu Fall. Lange Kastaniensträhnen. Schmerzhafter als erwartet. Nicht wegen verlorener Haarpracht. Sondern: Echter Schmerz. Körperlicher Schmerz.
Wasser läuft rosa an nacktem Körper entlang. Blutende Wunden, brennende Schnitte. In gewisser Weise … angenehm. Leichte Geilheit pocht wo sie soll. Bilder blitzen auf. Erneut Erinnerungen an Delikatesse: Blutleerer Kopf. Tete de vous. Aufgeschlitzte Hälser der Schüler, die um Delikatesse sitzen. Klaffende Wunden, geronnenes Blut, klebt an Händen, Stirn und Tellern. Hand schabt weiter Haare von Kopfhaut. Andere tastet nach dem Punkt, der Befriedigung bringt. Zerfetztes weiches Fleisch. Aalglatt. Wasser läuft heiß. Bilder rasen. Verbrüht beinahe zarte Haut. Rebecca fleht dem Höhepunkt entgegen. Bilder lösen sich im Geschrei von Mutter auf.
„Was um Himmels willen hast du getan?“ Mutters Stimme durchdringt Türblatt.
„Der Himmel hat damit nichts zu tun.“
„Bist du denn völlig des Wahnsinns, Kind?“
„Kinder gibts hier keine.“
„Egal, was man dir sagt, du weißt wohl immer eine Antwort darauf, hm?“
Rebecca schweigt.
„Na, warte, bis du aus dem Badezimmer kommst.“
Rebecca verwirrt. Monster neugierig. Duscht fertig, wirft rauen Stoff über glatte Haut. Sieht Haarpracht hinterher. Wandern in Ausfluss, schlängelnde Aale auf Emaille.
Rebecca öffnet Tür. Mutter verschwunden. Senkt Blick. Monster grinst. Mutter hat Geschenk gefunden. Katzenkadaver. Reglos. Zu jung für Fell. Nacktes Würmchen, zusammengekrümmt, erstarrt. Der Ewigkeit subsumiert, zu leblosem Fleisch.
Rebeccas Heimweg führt an Gärten vorbei. Hunde bellen. Katzen überqueren Straßen. Manche trächtig, andere kurz vorm Gebären. Glückstreffer. Rotgetigerte Katze verkroch sich in Gebüsch und warf drei Nachkommen in die Welt. Eines ganz ruhig. Ohne Leben geboren. Totes Stück Fleisch, keinen Gedanken wert. Doch für Monster? Gedankenblitz: Spielzeug. Rebecca neugierig. Beugt sich nach winzigem Leichnam, streicht über nackten, schmierigen Leib. Reibt Blut mit Tuch ab. Verpackt Delikatesse liebevoll in Tuch, verstaut in Rucksack. Trägt heim. Dann: Küche. Wohin sonst mit Nahrungsmittel? Kühlschrank, schlägt Monster vor. Klingt einleuchtend. Monster klug.
Danach ins Wohnzimmer, Mutter sieht fern. Winkt Rebecca zu. Läuft Stufen hoch, verschwindet im Bad. Rest ist Geschichte.
Rebecca steigt über totes Kätzchen, läuft barfuß, nackt, über den Hochflorteppich im Vorzimmer. Schwebt über Stufen und kommt vor Mutter zum Stehen.
„Was…?“ Mutter verwirrt. Starrt auf kahlen Schädel. „Deine schönen Haare … oh, mein Kind … was stimmt mit bloß nicht mit dir? Ich meine, du warst schon immer etwas eigen, aber so extrem kenne ich dich gar nicht.“
Rebecca lässt Hand über Kopf gleiten. Stoppel untermalen mit feinem Ton. Grinst Mutter an. „Stellt sich eher die Frage, ob ich nicht immer schon so extrem war und du es einfach nicht kapiert hast.“
Mutter reglos. Rebecca klatscht. „Gib’s zu, ich war dir immer schon unheimlich, oder?“
„Du bist doch kein Monster, Becki.“
Schon wieder Becki. Kindername. Braves Mädchen: Becki.
„Ich helfe dir dabei dir Hilfe zu suchen, was meinst du?“ Mutters Augen glasig.
„Wobei brauche ich deiner Meinung nach Hilfe, Mutter?“
„Ich fürchte, du hast eine psychische Störung, Liebes. Vielleicht ist dir irgendetwas Schlimmes zugestoßen, dass du alleine nicht verarbeiten kannst und deshalb verhältst du dich so …“
„So abnorm?“
Mutter nickt. „Das ist alles so untypisch für dich. Du bringst eine tote Katze in unser Haus und legst sie verpackt in unseren Kühlschrank, als wärst du Nachtmahl einkaufen gewesen. Und dann gehst du seelenruhig unter die Dusche. Dort machst du dann … das.“ Mutter deutet auf Kopf. „Deine schönen Haare. Sie waren doch schon so lang. Als kleines Mädchen hast du immer davon geträumt, deinen Zopf über dem Po baumelnd zu tragen.“
Kleines liebes Mädchen. Becki? Nicht mehr da. Hat nie existiert. War Muße und auferlegte Maske. Aber Mutter hält Fake für Real.
„Mutter, mir gehts bestens. Echt. Ich suche nur nach Möglichkeiten der Selbstentfaltung.“
„Und was haben deine Haare und ein Katzenkadaver damit zu tun?“
„Die Haare mussten einfach ab.“
Mutter schnieft. „Dann erklär mir zumindest die Katze im Kühlschrank.“
Sechzehn sein kotzt Rebecca an. Eltern haben: Megaanstrengend.
„Soll ich mich jetzt für jede Kleinigkeit die ich mache, bei dir rechtfertigen?“
Mutter schnappt Luft. „Kleinigkeit? Siehst du, deshalb glaube ich, dass dir ein bisschen Hilfe von Außen sicher nicht schaden würde. Du hältst eine mitgebrachte Leiche für eine Kleinigkeit.“
„Die Katze ist doch klein.“ Rebecca grinst. Zeigt Zunge.
„Sag jetztnicht, du findest das auch noch witzig? Ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich, Becki.“
„Rebecca.“
„Ja, entschuldige. Rebecca.“
„Ich zieh mir dann mal was an.“
„Wird gut sein“, ruft Mutter hinterher.
Rebecca hopst Stufen aufwärts. Teils vergnügt. Hat Mutter dazu gebracht, unnötiges Maul zu halten. Oben angekommen: stupst Babykatze mit großem Zeh. Nocheinmal. Vergnügen wächst. Monster überlegt, Katze mitzunehmen. Einzusperren an geheimen Orten. Experimente. Blut. Alles ist möglich.
Aber: Rebecca will nicht. Grinst. Schüttelt Kopf. Nimmt Babyleiche. Und Zack, schmeißt den Fleischsack aus dem Fenster. Sieht beim Aufschlag zu. Monster jubelt, Rebecca reißt Augen auf. Eine Win-Win Situation für Alle.
Tag der Veröffentlichung: 18.03.2020
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