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1. Kapitel

 

 

 

„You are the coldest Love of my life“, wallte die Musik aus dem Radio in dem kleinen Café. Hope konnte ihren Augen nicht trauen. Vor ihr stand tatsächlich der berühmte Musiker Tudor Blaine. Schon seit Monaten führte sie mit seinen Anwälten hitzige Gespräche darüber, ob sie seinen Songtext gestohlen hat, oder nicht. Doch eines Tages ihm selbst gegenüber zu stehen hatte sie wirklich nicht erwartet.

Und da stand er nun. Der einfältigste und von sich selbst überzeugteste Mensch, dem Hope je begegnet war. Dieser Mann dachte wirklich, ihm gehöre die gesamte Musikwelt.

Hope konnte sich nicht mehr zurückhalten. Die Worte des Zorns überkamen sie wie ein tosender Wasserfall, der auf Freedom Falls niederprasselt. 

„Wenn du genauer hinsiehst, mein Lieber, dann erkennst du, dass dieser Songtext keineswegs Ähnlichkeit mit deinem stumpfsinnigen Geplapper hat, das du in deinen Liedern zelebrierst. Du kannst also ruhig wieder aus Freedom Falls verschwinden. Ich diskutiere das auch gerne mit deinen Anzugträgern aus. Dazu musstest du nicht extra persönlich hierher gekommen.“

Tudor zog seine wohlgeformten Augenbrauen zusammen. Sein Mund stand offen. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass jemals irgendein anderer Mensch so mit ihm sprechen würde. Da hatte er seine Rechnung jedoch ohne Hope Keller gemacht. Zwar zählte Hope zu den Menschen, die stets gutgelaunt und mit einem Lächeln durchs Leben gingen, doch manchmal platzte sogar ihr der Kragen. Dies geschah zwar nur alle heiligen Zeiten, meist wenn ihre Mutter zu Besuch kam - also im Normalfall nicht öfter als einmal im Jahr - doch nun war es wieder einmal so weit. Hope wurde ausfällig. Jedenfalls für ihre Verhältnisse. Denn Hope fluchte nicht. Ebenso wenig lag es in ihrer Natur, mit anderen zu streiten. Sie war ein stets positiv eingestellter Mensch, der versuchte, immer und jederzeit mit einem Lächeln durch die Welt zu gehen und Vorurteile aus dem Weg zu räumen, bevor sie überhaupt entstehen konnten. 

Tudor legte seinen Kopf schräg und lächelte sie an. Sie verstand nicht, warum er das tat. Sie hatte ihm gerade klipp und klar gesagt, dass seine Anwesenheit unerwünscht war. 

„Dein strohblondes Haar fängt in diesem Licht perfekt die Wärme dieses Wintertages ein.“

Wie bitte? Was hatte dieser arrogante Typ gerade zu ihr gesagt? 

„Mein … Haar? Wir sprechen jetzt aber nicht ernsthaft über meine Frisur, oder?“ Sie stemmte ihre Hände provokant auf die Hüfte.

Er deutete aus dem Fenster des winzigen Cafés in dem sie sich zufällig über den Weg gelaufen waren. „Sieh nur, die Kälte zaubert Eisblumen auf das Fensterglas.“

„Ja, richtig. Es ist kalt draußen.“ Hope dachte darüber nach, ihren Pappbecher mit dem Sojalatte zu schnappen und aus dem Café zu stürmen, bevor dieser Typ mit seinem leeren Geplapper fortfahren konnte. Doch sie bewegte sich keinen Millimeter, sah ihn nur verlegen an. 

Tudor legte erneut ein Lächeln auf seine makellosen Lippen und strahlte Hope an. Sie musste absurderweise an den Vergleich mit ihren Haaren denken.

„Es ist nicht nur kalt. Es herrscht eine eisige Atmosphäre. Und dennoch scheint die Sonne, wärmt unsere Haut mit ihrem hellen Gemüt. Unersättliche Schönheit, findest du nicht?“

Neigte dieser Mann wirklich ständig dazu, in diesem viel zu kitschigen Slang zu sprechen? Hope würde sich im Normalfall für genau so einen Mann begeistern können, der die Welt stets in philosophische Ansichten verpackte. Doch in diesem Fall handelte es sich um ihren Erzfeind. Auch wenn er ein wirklich hübscher, sehr nett anzusehender Feind war. Dennoch, ihr Gegner in einem Gerichtsprozess, der sie auf eine horende Summe verklagt hatte. Falls Tudor Blain diese Streitigkeit gewinnen sollte, dann würde Hope nicht nur ihr Aufnahmestudio, sondern auch ihr Zuhause verlieren. Diese Wut, die bei dem Gedanken in ihr aufstieg, ließ Tudor urplötzlich zu dem hässlichsten Mann auf dem gesamten Planeten mutieren. 

„Du hast einen Knall“, entkam es Hope, die sich sofort die Hand vor ihren Mund hielt. Auch wenn dieser Mensch sie in den Ruin treiben konnte, hatte er trotzdem eine höfliche und respektvolle Ansprache verdient. Freundlichkeit ihren Mitmenschen gegenüber zelebrierte Hope mit Leidenschaft. Ihr Lebensmotto besagte: Sei freundlich zu der Welt, dann ist die Welt freundlich zu dir. Hope lebte strikt vegan, trug wiederverwertete Kleidung, besaß kein Auto und unterstützte das ortsansässige Tierheim, indem sie mit den dort einquartierten Hunden spazieren ging. Hope war stets freundlich zu der Welt, die sie umgab. Und auch zu der Welt, die nicht direkt vor ihrer Haustür auf sie wartete. Jedenfalls hatte sie das bis vor einem kurzen Moment tatsächlich geglaubt. Doch zu diesem Musikfritzen aus der Stadt, der von der Welt wie ein Rockstar gefeiert wurde, konnte sie nicht freundlich sein. Egal wie sehr sie sich wünschte mit jedem Individuum respektvoll umzugehen, bei Tudor Blain versagte ihr gutdurchdachtes Lebensmotto jedoch.

„Ein Knall spricht doch nur für eine nicht standardmäßige Denkweise, nicht wahr?“ Und wieder lächelte er. 

Bestand denn dieser hochnäsige Typ nur aus einem Dauergrinsen in Endlosschleife?

Hope räusperte sich, griff nach ihrem Kaffeebecher und wandte sich ohne ein weiteres Wort von Tudor ab. Dieser Kerl war es einfach nicht wert, noch ein einziges Wort an ihn zu verschwenden. Geschweige denn einen weiteren Gedanken.

„Möge die Sonne dein Haar küssen und die Vögel Lieder für dich singen, an diesem schönen Wintertag!“

Das war doch die Höhe! Rockstar hin oder her, frecher ging es wohl kaum. Hopes Wut bescherte ihr einen knallroten Kopf. Sie band ihren kuscheligen Schal fester und trat aus dem Café. Ein kühler Wind spielte um ihre Nase. Die Sonne schien direkt in ihr Gesicht … und auf ihr Haar. Hope fischte ihre blauweiß gestreifte Mütze mit dem Riesenbommel aus ihrer Manteltasche und zog sie über ihren blonden Schopf. Sie dankte ihrer Freundin Natascha im Geiste, dass sie diese Monsterhaube für sie gestrickt hatte. Die Wolle dazu hatte Hope im Sommer auf dem Flohmarkt gefunden. Ihre Freundin Sara, die Zwillinge zuhause hatte und kaum zum Luft holen kam, hatte sie aus Zeitmangel verkauft. Eigentlich wollte sie daraus etwas für ihre Zwillinge häkeln, doch nun war seit ihrer Geburt bereits über ein Jahr vergangen und sie hatte es immer noch nicht geschafft, die Wolle in ein Kleidungsstück zu verwandeln. Hope hatte die Wolle entdeckt und war sofort begeistert. Ihr Problem war nur, dass sie handwerklich gar nichts drauf hatte. Hope konnte singen und komponieren. Darin war sie unschlagbar. Aber wenn es darum ging, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen, dann versagte sie kläglich. Ganz zu ihrem Leidwesen, denn es hätte wunderbar in ihr Lebenskonzept gepasst, wenn sie ihre Kleider selbst nähen könnte (so wie Sara, die Modedesignerin war), oder Mützen stricken und häkeln könnte (so wie Natascha, die extrem flinke Finger besaß). Doch leider war sie von der Massenindustrie abhängig, deren Kleidung sie zwar Second Hand kaufte, gegen die sie durch ihre Unfähigkeit Dinge selbst zu nähen, nicht ganz herumkam.

Hope konnte kochen, backen, singen, tanzen, jammen, positiv denken, herzensgut sein und alles Essbare in sich hineinstopfen wie ein Scheunendrescher, der die gesamte Ernte von ganz Freedom Falls auf einmal mähte. Darin lagen ihre Talente. Doch ihr größtes Talent lag darin, Songtexte zu schreiben. Nie und nimmer hätte sie sich vorstellen können, dass sie eines Tages verklagt wurde, weil sie einen Songtext gestohlen haben soll. Hope Keller und eine Diebin. Das passte einfach nicht zusammen. Schon gar nicht, weil sie den Diebstahl von Worten tatsächlich nicht nötig hatte. Ihr Talent war sogar außergewöhnlich. Sie hatte schon Texte für Weltstars verfasst (aber natürlich nicht für Tudor Blain) und sogar den Text für die neue Hymne von Freedom Falls geschrieben. Ihre Band sang ebenso ausnahmslos ihre eigenen Lieder. Sie bedienten sich nicht einmal an der großen Auswahl an Fremdmaterial, das rechtlich gesehen sogar zur Verfügung stand, weil das Urheberrecht erloschen war.

Sie überquerte die Straße und lief zu der kleinen Bäckerei, in der ihre Freundin Melody ihre Hochzeitstorte bestellt hatte. Hope fehlten momentan Auftritte und somit auch das nötige Kleingeld, um ihre Lebenskosten bezahlen zu können. Deshalb mimte sie für Melody die Hochzeitsplanerin und griff ihr beim Umsetzen des schönsten Tages in ihrem Leben tatkräftig unter die Arme. Melody und Ted hatten sich das erste Mal, umgeben von einem Meer aus Schneeflocken geküsst. Deshalb sollte das Motto ihrer Hochzeit auch „Schneeflockenküsse“ sein. Aus ebendiesem Grund wollte der Wettermann seine Biologin auch unbedingt im Winter bei Eiseskälte heiraten. Die meisten Menschen träumten von einer Hochzeit im Freien, bei sonnigem Wetter und lauer Luft. Doch nicht diese beiden. Je kälter der Tag werden sollte, desto besser, hatte Melody neulich zu Hope gesagt.  Und Hope hatte freudig genickt. Sie verstand die Leidenschaft, die Melody dabei empfand, wenn sie von dem Tag ihrer Hochzeit sprach. Besser gesagt, Hope konnte sich vorstellen, wie Melody sich fühlen musste. Denn die immer glückliche Hope war noch nie so glücklich mit einem Mann gewesen, dass sie das Bedürfnis verspürt hätte, ihn zu heiraten und ihr Leben mit ihm zu verbringen. Sie war eine selbständige Frau, zwar sehr gesellig, doch interessanterweise auch gerne für sich. Sie liebte es, zu tun was sie wollte, was ihr gerade in den Sinn kam, ohne sich mit einem Partner absprechen zu müssen. Ganz anders als zum Beispiel Sara mit ihrem Andreas. Ihre Freundin war mit ihrem Mann zu einer im Gleichklang existierenden Einheit verwachsen. Hope konnte sich nicht vorstellen, dass Sara noch ohne Andreas existieren konnte. Diese Art von Liebe mochte zwar schön sein, aber dermaßen abhängig von einem anderen Menschen zu sein, das konnte Hope sich für ihr eigenes Leben nicht vorstellen. 

Sie nahm einen Schluck aus ihrem Pappbecher und zog den Mantel enger. Zwar schien die Sonne, doch die eisige Luft brachte sie zum Frösteln. 

„Warte!“, hörte sie plötzlich Tudors Stimme hinter sich. Der Musiker rannte ihr hinterher und klimperte mit einem Bund Schlüsseln in seiner Hand.

„Verdammt …“, murmelte Hope. Sie war nicht nur optimistisch und freiheitsliebend, sondern auch wahnsinnig vergesslich. Wenn ihr Kopf nicht an ihrem Hals festgewachsen wäre, würde sie wahrscheinlich sogar den vergessen. Sie wandte sich zu dem herannahenden Rockstar um und wartete.

Er ließ die Schlüssel vor ihrem Gesicht auf und ab tanzen. „Du machst dir nicht einmal die Mühe, mir entgegen zu kommen, obwohl ich eindeutig etwas an mir habe, das du begehrst?“

„Du wirst wohl kaum etwas mit meinen Schlüsseln anfangen können, oder?“ Sie streckte ihm ihre leere Handfläche entgegen und tippte mit dem Zeigefinger darauf.

Tudor schüttelte den Kopf und grinste breit. „Falls du die Klage verlierst, werden es bald meine Schlüssel sein.“ Er legte sie auf Hopes Handfläche.

Sie zuckte bei seinen Worten zusammen. Hatte dieser blasierte Musiker gerade tatsächlich gesagt, dass ihr Zuhause demnächst ihm gehören würde?

„War das eine Drohung?“

Tudor schüttelte sofort den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Entschuldige, falls es sich so angehört hat. Ich wollte dir doch nur klar machen, was es für dich bedeutet, wenn du dich tatsächlich auf den Rechtsstreit einlässt.“ Er kaute auf seiner Unterlippe. „Mit dem Urheberrecht ist nicht zu spaßen.“

„Danke, das ist mir bewusst.“ Hope schloss ihre mittlerweile zu Eiszapfen gefrorenen  Finger um das Metall.

„Du verstehst nicht, worauf ich hinaus will.“ Tudor legte ihr eine Hand auf die Schulter. Hope wollte sich von ihm abwenden, doch er drückte zu und beschwor sie auf diese Art, ihm direkt in seine tiefblauen Augen zu sehen. Hope hatte sich immer gefragt, ob seine Regenbogenhaut auf den Fotos in den Magazinen von den Grafikern nachbearbeitet wurde, weil seine Augen dermaßen strahlten und man in ihnen ertrinken wollte. Und es war ein klares Nein. Keine Nachbearbeitung nötig. Definitiv nicht. 

„Ich habe keinen Einfluss auf die Klage. Wenn es nach mir ginge, könntest du den Text einfach haben. Ich bin mir sowieso nicht sicher, ob es nicht vielleicht anders herum ist, und ich den Text sogar von dir geklaut habe.“

„Wie bitte?“ Hope stockte der Atem und gefror in ihrer Lunge.

 

 

 

2. Kapitel

 

Hope starrte Tudor Blain direkt an. Sie blickte in seine ozeanblauen Augen und brachte kein einziges Wort heraus. 

Das Gute im Menschen. Darum war es Hope stets gegangen. An den festen Glauben daran, dass jeder, tatsächlich jeder einzelne Mensch der auf diesem Erdball existiert, etwas Gutes in sich trägt (auch wenn es nur die Gene für gesellschaftsfähige Nachkommen sein sollten).

Sie hatte Tudor dieses Gute, dieses essenziell Wichtige, das jeden Menschen ausmachte, nicht zugestanden. Hope fühlte, wie sich ihr Magen langsam drehte. 

„Es tut mir leid“, murmelte sie in ihren Schal.

„Wie bitte? Was hast du gesagt? Was tut dir denn leid?“ Er kratzte sich an seinem markanten Kinn. „Ich habe mit wirklich jeder Antwort gerechnet, aber ganz bestimmt nicht mit einer Entschuldigung.“ Tudor strahlte sie mit verwundertem Blick an. Seine Augenbrauen hoben sich und untermalten die Überraschung in seinem wirklich freundlich aussehenden Gesicht. 

Hope hob die Schultern. „Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war.“

„Du hast gedacht, dass ich dein Leben zerstören will. Da ist es doch nur verständlich, dass du dich mir gegenüber bissig verhältst.“ Er zwinkerte ihr zu. „Übrigens sehr sexy, dein Auftreten.“

„Deine Auftritte sind aber auch nicht ohne“, rutschte es hier heraus. Sie hielt sich hastig ihre Hand vor den Mund. „Tut mir leid.“

„Bitte hör auf, dich bei mir zu entschuldigen. Das ist wirklich nicht nötig. Und du hast völlig recht, meine Auftritte haben es wirklich in sich.“ Er wurde rot. „Wie ich mich auf der Bühne verhalte, das plant alles mein Marketingteam für mich. Jede einzelne Bewegung… Sie sagen mir  sogar, wann ich mir das Shirt vom Körper reißen muss.“

„Tatsächlich?“ Hope sah ihn ungläubig an. Sie machte ein paar Schritte zur Seite und ließ sich auf die Parkbank niedersinken, die in der Nähe des Cafés stand.

Tudor nahm neben ihr Platz

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: www.bookcoverdesign.at
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2394-3

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