Reden wir über den Naga Kisame, einen Besonderen seiner Art.
Ein leidenschaftlicher Tüftler, durch seine Herkunft an Land zum Schweigen verdammt, jedoch gutherzig und lebensfroh durch und durch, trotz allem, was ihm bisher widerfahren ist.
Von den Seinen verstoßen und verlacht ob seines liebsten Zeitvertreibs, hat er trotz aller Widrigkeiten gefunden, wonach sich jeder sehnt: Einen Platz in der Welt.
Freunde, die ihn so akzeptieren wie er ist, ein Zuhause, welches er sich mit ihnen teilt und hat sein Hobby zum Beruf gemacht.
Sein Leben hat sich definitiv zum Besseren gewandt und er könnte kaum glücklicher sein.
Doch auch er ist nicht vor den Qualen der Einsamkeit und der Sehnsucht nach seiner Seelengefährtin gefeit, die ihn von Zeit zu Zeit befallen.
So fiebert er dem Tag entgegen, an welchem er sie endlich in seine Arme wird schließen können.
Manchmal spielt das Leben nicht so, wie man es gerne hätte. Davon können die vier Freunde Ator, Ben, Kisame und Rhiom wahrlich mehr als nur eines der sprichwörtlichen Liedchen singen. Ausgestoßen und verlacht von ihren eigenen Artgenossen, jeder von ihnen verzweifelt auf der Suche nach seinem eigenen perfekten Gegenstück.
Sie könnten kaum unterschiedlicher sein und doch haben sie sich zusammengeschlossen und machen das Beste aus der ihnen gegebenen Situation. Und dabei mag man kaum glauben, dass es sich bei ihnen um Außenseiter ihrer eigenen Arten handeln soll, wenn man sie sieht.
Ator, der Größte von ihnen, über zwei Meter hoch und breit wie ein Schrank, ein Drachenwandler, der sich seinen Unterhalt als Security verdient. Ein wahrer Brocken von Kerl, mit leicht gebräunter Haut, schwarzen zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und unpassend sanft wirkenden grünen Augen, der trotz seiner Masse und der unleugbaren Möglichkeit einen Arm wie ein Streichholz brechen zu lassen doch eine gewisse ruhige Selbstsicherheit ausstrahlt.
Der Zweite in der Runde, Ben, der Wolfswandler, misst nur zwei Zentimeter weniger als sein Freund und könnte sich gerade noch so hinter dessen massigem Kreuz verstecken, was die beiden mitunter gerne ausnutzen, wenn sie gemeinsam eine Schicht belegen. Optisch hat er seinen ganz eigenen Charme. Die Haut wesentlich heller als Ators, dafür aber mit unzähligen Narben ob seines geliebten Hobbies verziert, die hellbraunen Haare kurzgehalten und der Blick der fast schwarz wirkenden Augen zeugt von einer fast schon einschüchternden Disziplin.
Auch Rhiom, der Dritte im Bunde, ein Satyr, muss sich nicht verstecken, auch wenn er im Gegensatz zu seinen Freunden drahtiger gebaut ist. Nicht ganz so groß, aber doch ordentlich etwas hermachend, Brust, Rücken und Arme mit Tribal-Tattoos verziert. Die definitiv schwarz gefärbten Haare präsentieren sich in einem stolzen Undercut, dessen langes Haupthaar die meiste Zeit in einem eher zerzausten Pferdeschwanz gehalten wird, während braungrüne Augen vor Schalk nur so zu sprühen scheinen.
Kisame, der Vierte und Letzte, ein Naga. Definitiv der Jüngste in der beachtlichen Runde und neben seinen drei Freunden am schmächtigsten wirkend. Über zehn Zentimeter kleiner als der Brocken und definitiv schmal genug, um sich hinter jedem der drei anderen verborgen halten zu können, aber eindeutig nicht schmächtig. Bei ihm mag man am ehesten erkennen können woher er stammt, weist er doch asiatisch anmutende Züge auf. Braune Augen blitzen freundlich in die Welt und passen gut zum chaotischen fast gänzlich weißblondierten Strubbelkopf mit der eher hellen Haut.
Auch diese beiden haben sich zusammengeschlossen und frönen einer gemeinsamen Arbeit, um Kost und Logis bewerkstelligen zu können. Leder und Stahl hat es den beiden angetan, sodass der gemeinsame Laden – das „Slice’n’Dice“ – in der Stadt für jeden etwas passendes parat hält. Mäntel, Stiefel, Klingen, Dekorationen, man bekommt bei ihnen alles – sei es nun für die einfache Wohnungsdekoration, die Küche oder gar für das geliebte Cosplay- oder LARP-Kostüm.
Gemeinsam hat sich dieser bunte Haufen in einem eher ruhigen Gebiet in Amerika niedergelassen und sich in einem ordentlich großen Anwesen einquartiert. Unterteilt in vier Flügel und in der Mitte mit gemeinschaftlichen Räumen versehen, hat so jeder seinen Platz, um den teilweise doch sehr unterschiedlichen Gelüsten zu frönen und nachzukommen, die die eigene Art manchmal hervorkitzelt.
Krafträume und Werkstätten sind dort ebenso zu finden, wie die individuell gestalteten Flügel, welche von eher düster anmutend bis hin zu luftig und offen einmal alles bieten, was man sich nur vorstellen kann. Und wenn doch einmal der Drang nach Freiheit zu groß wird, bietet das umliegende zum Anwesen gehörende Land samt eigenem großen See ihnen genügend Möglichkeiten sich auszutoben.
Aber so schön es auch ist trotz der vielen Unterschiede eine Gemeinschaft zu bilden, sich zu unterstützen, miteinander zu lachen und zu leben, leidet jeder von ihnen unter dem Fehlen seines Gegenstücks. Zumindest bis der Erste von ihnen, Ator, seine sie fand. Eira, eine Fuchswandlerin, welche für reichlich Trubel in ihrer aller Leben gesorgt hat.
Jeder von ihnen gönnt es ihm dennoch, allen voran der gutherzige, wenn auch etwas schusselige, Kisame. Aufgewachsen in einer großen Familie freut sich der Naga über jeden Zuwachs, den ihre kleine Wohngemeinschaft bekommen kann. Zugegeben, ein bisschen neidisch auf seinen entfernten Artgenossen ist er schon, aber… unverhofft kommt oft, nicht wahr?
Kisame konnte noch immer nicht fassen, wie ihm das hatte passieren können. Nicht, dass er der Inbegriff eines Pechvogels wäre, aber ihn einen Glückspilz zu nennen wäre ebenso falsch gewesen.
Die besten Beispiele für sein eher wankelmütiges Glück waren da definitiv sein Rauswurf aus seiner eigenen Sippe, nur um kurz darauf von seinen Freunden aufgenommen zu werden. Die damals ja noch gar nicht seine Freunde gewesen waren und ihn dennoch nicht einfach zurückgelassen hatten.
Nein, das würde er ihnen definitiv niemals vergessen! Ebenso wenig wie den Moment als es Ator erwischt hatte.
Der sonst so abgeklärte Drache, der Patriarch des ungewöhnlichen Haufens, wie der Naga es nennen würde, hatte endlich gefunden, wonach er sich so lange gesehnt hatte: seine ihm vom Schicksal bestimmte Gefährtin.
Aber finden hieß nicht zwangsläufig auch bekommen, wie sich nur allzu bald herausgestellt hatte.
Eira, die Füchsin, hatte jeden einzelnen von ihnen ordentlich auf Trab gehalten. Erst, indem sie unauffindbar gewesen war, dann, indem sie keinerlei Interesse am liebestollen Drachen zeigte, als sie sie endlich aufgespürt hatten.
Armer Ator, der da einen Korb nach dem anderen kassierte, bis er gedemütigt Reißaus nahm und seine Freunde sich selbst überließ.
Gut, Kisame musste zugeben, dass er eventuell nicht ganz unglücklich über die freien Wochen ohne unter der drachischen Aufsicht zu stehen gewesen war. So hatte er wenigstens an einigen Gerätschaften werken können, die der sicherheitsbewusste Ator ihm sonst strikt verboten hätte.
Trotzdem war der Naga froh gewesen als Ator mit Eira wieder nach Hause gekommen war – wenn auch nur dank des sehr gemeinen Tricks von Rhiom.
Um die beiden zur Rückkehr zu motivieren hatte der Satyr den beiden nämlich via Telefon vorgegaukelt, dass Kisame kurz davor war das gemeinsame Anwesen bis auf die Grundmauernd niederzubrennen.
Was war der Drache böse auf ihn, also Kisame, gewesen! Und die Füchsin erst!
Da war der Naga ehrlich: Sie machte ihm wesentlich mehr Angst als der qualmende und böse schauende Drache. Kein Wunder also, dass er Fersengeld gegeben und mit wehenden Fahnen losgezogen war, um ihr zurückgelassenes Motorrad einzusammeln.
Auch, wenn er erst nach drei Stunden Fahrt merkte: Er hatte keinen blassen Schimmer, wo genau er an der Grenze suchen sollte. Na, das war ja mal wieder typisch für sein Glück!
Pflichtergeben war er dennoch weitergefahren, denn ihm blieben ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder er fuhr an die mexikanische Grenze und suchte, bis er die Maschine fand oder er fuhr nach Hause zurück und endete als dekorativer Wandbehang – eventuell auch als Bratfisch – weil er die Herzdame des Drachen verärgerte.
Vor allem letzteres war keine allzu ansprechende Option gewesen, weswegen er dann auch schön brav weiter in Richtung der Grenze gefahren war.
Oder eher getuckert, da der Land Rover von der weiten Reise keineswegs angetan war. So kam es auch, wie es kommen musste: Nicht einmal nach der Hälfte des Wegs streikte der Wagen und soff ihm ab. Einziger Trost dabei: Er soff ihm an einer Tankstelle in einer Stadt ab und nicht irgendwo im Nirgendwo, sodass er noch mehrere Meilen hätte laufen müssen, um Hilfe holen zu können.
Mit mehr Glück als Verstand konnte er dem ansässigen Mechaniker klar machen, dass er seinen Wagen gerne wieder in funktionierend haben würde. Denn Rhiom – oder Himmel bewahre! – Ben zu texten war so gar keine Option für ihn gewesen. Auf den Spott der beiden über seine missliche Lage konnte er gut und gerne verzichten, wenn es sich vermeiden ließ und das war ja dankenswerterweise möglich.
Nachdem er sich also dabei zum Kasper gemacht hatte und an ein Motel verwiesen worden war, weil die Reparatur laut dem älteren Mann „Bisschen Zeit wird’s schon dauern“ lang dauern würde, war guter Rat für den Naga teuer. Was sollte er mit dieser ungeplanten Unterbrechung anfangen?
Außer sich langweilen erst einmal nicht viel anderes. Viel zu sehen gab es in der Stadt, wenn er sie nett als solche bezeichnen wollte, nicht. Die Tankstelle, das Motel, ein paar kleinere Läden und einige Wohnhäuser aus welchen heraus er von den ortsansässigen Bewohnern kritisch beäugt wurde.
Schon am ersten Abend tobte er daher stumm über sein Unglück vor sich hin und raufte sich die strubbeligen Haare. Das konnten ja noch heitere Tage werden, wenn er jetzt schon angesehen wurde als würde man ihn am liebsten aufknüpfen wollen!
Insgesamt musste er drei verdammt lange Tage warten, bis er nicht mehr von jedem so angesehen wurde als wäre er der Teufel höchstpersönlich und überhaupt die Schlechtigkeit in Person und auf zwei Beinen, die sich erdreistete in ihrer kleinen Stadt herumzuschleichen.
Nicht, dass der Naga absichtlich geschlichen wäre. Vielmehr hielt er den Ball dezent flach, damit er nicht doch noch für irgendetwas verantwortlich gemacht wurde, woran er gar nicht beteiligt gewesen war. Er ließ sogar seine geliebten Experimente ruhen, damit niemand auf die Idee kommen konnte, dass er plante alles in die Luft zu sprengen.
Wie froh er dann doch war, als der Mechaniker ihm eine Nachricht zukommen ließ, dass er fertig geworden sei. So schnell hatte niemand von den misstrauischen Leuten schauen können, da war Kisame zur Werkstatt gerast, hatte die Reparatur bezahlt und war davongebraust.
Endlich aus diesem verfluchten Ort fort!
Erst als er die Grenze zwischen Amerika und Mexiko erreichte wurde er vor ein neues Problem gestellt: Wo nur hatte die Füchsin ihr Motorrad versteckt? Und wie zum Teufel sollte er das finden?!
Dem armen Naga blieb also nichts anderes übrig als artig an der gesamten Grenze entlang zu fahren und jeden einzelnen Quadratmeter akribisch abzusuchen.
Das Unterfangen zog sich in die Länge, schlimmer als es ein Kaugummi hätte tun können! So viele Möglichkeiten, Grenzwachen, misstrauische Wanderer, ihm wurde seine Suche echt nicht leicht gemacht. Man konnte sich also vorstellen wie erleichtert er war als er dann doch endlich über Eiras Versteck stolperte – und das im wahrsten Sinne des Wortes!
Ein Stolperdraht, den sie zum Schutz gespannt hatte, war die Ursache für seinen unfreiwilligen Flug, der mit einem Mund voll Staub und Dreck und einer intensiven Nahansicht eines breiten Stollenreifens endete. Gefunden! Hui, da wurden seine Augen aber gewaltig groß als er nach einer genaueren Inspektion wusste, was ihm da anvertraut worden war.
Eine sehr hübsche Maschine, die er der Füchsin nicht zugetraut hätte. Blieb nur noch herauszufinden, wie er das Prachtstück unbeschadet zum einen aus dem Versteck zerren und zum anderen zurück nach Hause transportieren sollte.
Mit viel Hängen, Würgen und stummem Fluchen schaffte er die gefühlt unlösbare Aufgabe und führte stumm einen Jubeltanz auf, sobald er den letzten Gurt festgezogen hatte. Der vermeintlich schwierige Teil war gelöst, jetzt blieb nur noch die direkte Heimfahrt und dann…
Tja, aber aus einfach nach Hause fahren wurde zu Kisames Leidwesen nichts. Da er auf einer gänzlich anderen Route als vorher unterwegs war. Baustelle… Und nicht nur eine, sondern gleich vier Stück, die zu einem unübersichtlichen Chaos an Umleitungen und Staus führten. Schönen Dank auch!
Zähneknirschend war der Naga also gezwungen den Umgehungen zu folgen – was direkt zum nächsten Problem führte. Denn in dem ganzen Wald aus Schildern, anderen Autos und Zeitdruck verfuhr er sich grandios und landete irgendwo im Nirgendwo. Gut, alles nicht so schlimm, er würde einfach zum nächstbesten Highway…
Nicht nur der arme Drache hatte unter Fortunas Späßen zu leiden, auch der Naga bekam diese mit hämischem Gelächter zu spüren. Dieses Mal in Form eines zu qualmen anfangenden Motors als er gerade durch eine Ortschaft zuckelte, von der er sich erhoffte von dort aus wieder auf einen ihm bekannten Weg zu kommen. Pustekuchen!
Also ein weiteres Mal zu einer Werkstatt mit einem ähnlich alten und maulfaulen Mechaniker, der ihm mitteilte, dass er den Motor zwar wieder fit bekommen könnte, es aber eine geraume Zeit dauern würde. Und der Grund für die lange Wartezeit? Das vermaledeite Ersatzteil für genau seine Karre war nicht auf Lager!
Oh, wie gerne hätte Kisame da einmal lautstark seine Gedanken kundgetan, aber mangels Möglichkeit blieb es beim stummen Haare raufen und Grimassen ziehen. Blieb ihm nur zu hoffen, dass er dieses Mal wenigstens nicht angesehen werden würde, als wäre er der Leibhaftige und gerade eben vor aller Augen der Hölle entsprungen.
Darauf hoffte er jedoch vergebens. Das konnte doch einfach nicht mehr wahr sein!
Was genau dem armen Kerl bei dieser Wiederholung seiner Verteufelung aber die Haut rettete war ein großer Jahrmarkt, der für reichlich Zulauf an Fremden sorgte. Damit fiel er nicht mehr so sehr auf, wie bei seiner eigentlichen Ankunft und konnte sich auch wesentlich freier bewegen als zuvor.
Doch noch einmal Glück gehabt… Plus, brachte ihm das zumindest für eine Weile reichlich Abwechslung in die sonst eher öde Wartezeit.
Sobald also alles aufgebaut und der Jahrmarkt offiziell eröffnet war, strolchte der Naga über das Gelände und vertrieb sich die Zeit mit dem Betrachten der unterschiedlichen Buden. Ein paar bekannte Gesichter waren dabei, sodass er sich auch würde unterhalten können, wie er erfreut festgestellt hatte. Ja, damit ließ sich die Wartezeit definitiv überbrücken.
Tagsüber nutzte er also seine Zeit, um sich mit Bekannten zu treffen, um sich auszutauschen und nicht mehr in seinem Zimmer zu versauern, abends wiederum genoss er die aufgebauten bunten Attraktionen, bevor er sich eine Mütze Schlaf gönnte. Soweit alles für ihn noch im normalen Rahmen.
Denn auch das ‚Slice’n’Dice‘, der gemeinsam mit Rhiom geführte Laden für alles Mögliche (und manchmal auch Unmögliche) aus Stahl und beziehungsweise oder Leder, war mitunter auf den verschiedenen Märkten und Festen vertreten, wenn es sich einrichten ließ. Für diesen Markt war es wohl nicht möglich gewesen. Was nicht weiter verwunderlich war, da Rhiom derzeit allein herumsprang und alles managte, während er selbst eigentlich ja nach dem versteckten Motorrad suchen sollte.
Welches er inzwischen zwar gefunden hatte und eigentlich nur noch abliefern musste. Konnte er aber erst, wenn der verdammte Wagen wieder funktionierte!
Zähneknirschend schluckte Kisame seine Verärgerung herunter und ließ sich stattdessen mit dem abendlichen Zustrom an Besuchern treiben. Spielbuden, Essstände, unterschiedliche Warenangebote, eine kleine bunte in sich geschlossene Welt, die fröhlich schillernd umherzog und Freude verbreitete, wo auch immer sie ihre Zelte aufschlug. Irgendwann fand er sich vor einem Stand wieder, dessen Auslage der seines eigenen recht ähnlich war.
Man kannte sich untereinander, auch im Handel mit Replika und Kostümen, sodass er kein schlechtes Gewissen dabei verspürte sich die Sachen der vermeintlichen Konkurrenz anzusehen. Mitunter kamen Rhiom und er so auf neue Ideen – so wie es anderen halt auch passierte, wenn diese wiederum das Angebot des ‚Slice’n’Dice‘ betrachteten.
Eine als elfisch angepriesen werdende Klinge fesselte für einen Moment seine Aufmerksamkeit. Sehr hübsch, aber weiter von der eigentlichen Wahrheit entfernt als die Macher wohl gehofft hatten.
Der Schwung war nicht filigran genug, der Klinge fehlte es an den versteckten Runen, aber für ein von Menschen geschaffenes Werk doch recht hübsch, wie er mit einem schiefen Grinsen feststellte.
Kisame spielte definitiv mit dem Gedanken die Klinge zu erstehen und sie Rhiom zu zeigen, der innigere Kontakte zu den Waldverbundenen Wesen pflegte, aber da wurde sie ihm schon vorsichtig aus den Fingern gepflückt und durch eine andere ersetzt.
Huch?
Sein ohnehin stummer Protest hatte allerdings keine Chance von ihm gefuchtelt zu werden, kam ihm doch eine fröhliche Stimme zuvor: „Die hier ist besser. Feinerer Schliff, ausgewogeneres Gewicht und der Griff sollte besser in deine Hand passen.“
Mit ärgerlich zusammengezogenen Augenbrauen richtete er seinen Blick in die entsprechende Richtung, um zumindest mithilfe seiner Miene seinen Unmut deutlich zu machen. Nein, Kisame mochte es nicht, wenn ihm jemand ins Handwerk pfuschte, der vermutlich nichts davon verstand. Und noch weniger mochte er es, wenn man sich an ihn anschlich.
Aber sein Ärger verflüchtigte sich abrupt als das zur Stimme gehörende Gesicht in sein Blickfeld geriet. Kupferne Locken flammten in dem bunten Treiben als wilder Kranz und bildeten einen herrlichen Rahmen um das ihm entgegenstrahlende Gesicht.
Und dann fiel sein Blick auf die ihn gerichteten Augen.
Grau. Reines und unverfälschtes Grau.
Fröhlich glitzernd und durch die bunten blinkenden Lichter des Jahrmarktes schöner funkelnd und schimmernd als alles, was er jemals gesehen hatte. Vor Leben nur so sprühend und ihn immer amüsierter betrachtend, während er nichts anderes tun konnte als mit offenem Mund zu starren.
Dieser Moment auf dem Jahrmarkt, umzingelt von hunderten fremder Menschen und vor dem Stand der – mehr oder weniger so nennbaren – Konkurrenz würde sich auf ewig in seine Erinnerung einbrennen. Und das aus zweierlei Gründen.
Zum einen, weil diese herrlich lebensfrohen grauen Augen zu dem stürmischen Wirbelwind gehörten, welcher sein Leben gerade vollständig auf den Kopf stellte, zum anderen, weil Kisame erst glotzte wie ein Fisch auf dem Trockenen und dann selten dämlich zu grinsen anfing. Ja, jetzt konnte er definitiv nachvollziehen wie der Drache sich fühlen musste.
Denn wo Kisame normalerweise wenig Scheu besaß und sich mit Händen und Füßen verständlich machte, fiel ihm einfach nichts ein, um sein Starren zu beenden. Der Rotschopf nahm es jedoch offenbar mit Humor, packte sie doch einfach seine freie Hand, schüttelte diese kräftig und zog ihn dann ungefragt mit sich. „Weiter hinten gibt es noch einen Stand, den musst du dir auch unbedingt ansehen!“
Als hätte er eine unisolierte Leitung angepackt schoss ihm bei dem beherzten Griff nach seiner Hand ein Schlag durch den Körper, sodass er mehr aus Reflex als aus freiem Willen die ihm zuvor in die Hand gedrückte Klinge gerade noch rechtzeitig zurück auf die Auslage fallen ließ. Gerade noch rechtzeitig, bevor er hinter dem rotgelockten Wirbelwind her stolperte und sich von ihr quer über den Markt schleifen ließ.
Wie perfekt doch die warme Hand in seine kalt gewordene passte! Und wie herrlich die Berührung noch immer kribbelte und ihn weiterhin grinsen ließ. Er musste aussehen als hätte er einen Zuckerschock oder etwas Vergleichbares, wie er da artig hinter der ihm fremden Frau, von welcher er noch nicht einmal den Namen kannte, her trabte!
Ator würde darüber vermutlich nachsichtig lächeln und den Kopf schütteln, wenn er denn momentan im Vollbesitz seiner geistigen Kapazitäten wäre. Ben würde hingegen nur abfällig brummen und Rhiom?
Der Satyr würde johlen und pfeifen, ihm kräftig auf die Schulter klopfen und versuchen diese rotgelockte Naturgewalt später auf sich selbst aufmerksam zu machen. Denn diese entsprach eindeutig dem Geschmack seines Freundes.
Ein Gedanke, der Kisames Grinsen zu einem säuerlichen Ausdruck umwandelte. Nein, das schmeckte dem Naga so gar nicht sich vorzustellen wie sich der Satyr diesem wundervollen Wesen vor seiner Nase nähern würde! Soweit würde er es nicht kommen lassen, das stand für ihn definitiv fest.
Wenigstens bekam sie von seinem kurzen Brodeln nichts mit, sondern hielt erst an als sie den von ihr erwähnten Stand erreicht hatten und sie ihm stolz grinsend die ausgelegten Waren präsentieren konnte. Eindeutig von besserer Qualität als die vermeintliche Elfenklinge, da musste er ihr recht geben.
„Hier bekommst du die besten Replika, wenn du nach schmalen Klingen suchst“, sprudelte es ihm auch direkt entgegen, dicht gefolgt von mehreren hochgehalten werdenden Schaustücken, zu welchen sie auch einen schier unerschöpflichen Vortrag über die Vor- und Nachteile hielt.
Ob sie merkte, dass Kisame ihr nicht antwortete, sondern sie einfach nur mit immer größer werdenden Augen anstarrte? Eventuell ja, hielt sie doch in ihrem Wasserfallartigen Vortrag inne sobald sie ihm eine neue Klinge präsentieren wollte. „Plappere ich wieder zu viel? Das tut mir leid, ich kann dafür nichts“, wechselte sie prompt das Thema und strahlte ihm entschuldigend entgegen.
Die auf ihre Wangen ziehende Röte, ihr entschuldigendes Lächeln, die glitzernden Augen… Wild konnte er bei diesem Anblick sein Herz hämmern und den Wunsch dieses wuselige Wesen vor allem Schlechten der Welt zu beschützen aufkommen spüren.
Oh je,… Er würde definitiv mit Ator sprechen müssen, sobald er wieder Zuhause wäre und Eiras Maschine bei ihr abgeliefert hätte. Fühlte der Drache sich auch so innerlich zerrissen und doch irgendwie vollständig?
Unbewusst rieb Kisame sich mit der freien Hand über die Brust und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Er mochte von Natur aus zerstreut sein, aber so seltsam flatterig hatte er sich noch nie gefühlt. Und das verunsicherte ihn sichtlich.
Von seinem inneren Kampf bekam seine Begleiterin offenbar nichts mit, ratterte diese doch bereits fröhlich wieder alle möglichen Informationen herunter, bis dem Naga die Ohren zu klingeln begannen. Woher wusste diese Frau nur so viel über solche Dinge?!
Leicht, bedacht darauf ihr nicht wehzutun, stieß er sie daher mit dem Oberarm an und hob, als sie zu ihm blickte, fragend die Augenbraue an. Die unausgesprochene Frage nach dem Woher beantwortete sie ihm prompt und leise kichernd: „Eine sehr gute Freundin von mir ist verrückt nach diesem Zeug und schleift mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die verschiedenen Stände. Oh, der hier könnte ihr gefallen…“
Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Auslage umlenkte, zerbröckelte die schiere Freude in ihm. Sie war mit einer Freundin hier?! Und wo eine Freundin war, waren die zweite, dritte und vierte vermutlich auch nicht weit entfernt! Denn so viel hatte der Naga bereits verstanden: Frauen waren meist in Gruppen unterwegs, weil Aktionen mit Freundinnen einfach mehr Spaß machten als allein.
Er würde sie also mit sehr viel Pech teilen und im allerschlimmsten Fall davonziehen lassen müssen!
Der Gedanke versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. Er wollte sie nicht ziehen lassen… Viel lieber wollte er noch etwas mehr Zeit mit diesem sprudelnden Wesen verbringen, welches ihm da abrupt zwei Fundstücke vor die Nase hielt und ihm einen ordentlichen Schreck versetzte. „Was meinst du? Welches davon ist besser?“ Was?
Überrumpelt sah er vom einen zum anderen Teil und schielte dann verzweifelt zwischen ihnen hindurch in das sehr nachdenkliche Gesicht der Rothaarigen, welche da auf seine Antwort wartete. Nur, wie sollte er ihr die geben, wenn er ja nicht sprechen konnte?
Zum allerersten Mal verfluchte er seine Herkunft , die es ihm unmöglich machte sich in seiner menschlichen Gestalt anderen mitzuteilen, inbrünstig. Außer scharfem Röcheln und Zischen verstanden die menschlichen Ohren nichts von dem, was er von sich gab und führten es auf den Grund seiner Stummheit zurück.
Andere Naga hingegen verstanden ihn ausgezeichnet, mit sehr viel Glück auch andere Schlangenwandler – zumindest, wenn sie aus einer ähnlichen Gegend stammten und daher mit seinem ‚Akzent‘ vertraut waren, versteht sich. Nur, dass dieses hübsche Wesen vor seiner Nase mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nicht zu diesen wenigen Ausnahmen gehörte. Das wäre ja auch viel zu einfach, nicht wahr?
Verzweifelt betrachtete er noch einmal die beiden Fundstücke, die sie ihm so dicht vor die Nase hielt, dass er schielen musste, um überhaupt etwas erkennen zu können. Ein Lederetui und ein Armband. Beides recht hübsche Stücke, aber woher sollte der arme Naga wissen, was ihre ominöse Freundin für einen Geschmack hatte?!
Hilflos hob Kisame seine Schultern an und lächelte entschuldigend. Er konnte nur darauf hoffen, dass sie ihm nicht böse über seine mangelnde Hilfe sein würde. Denn weder konnte er verbalisieren, was ihm durch den Kopf ging, noch kannte er ihre Freundin oder deren Geschmack – es würde also ohnehin gründlich in die Hose gehen!
Stattdessen fiel ihre Antwort anders als von ihm erwartet aus: „Recht hast du… Beide sehr hübsch, aber sie würde mich köpfen, wenn ich es ihr andrehen wollen würde. Ich erzähle ihr lieber davon und beim nächsten Markt soll sie selbst schauen, ob es ihr gefällt. Schade, dass ihr Lieblingsstand nicht da ist, da hätte ich mit Sicherheit etwas für sie gefunden.“
Da legte sie die beiden Stücke auch schon wieder ab, verabschiedete sich von der zu ihnen getretenen Verkäuferin und zerrte Kisame kurzerhand und ohne zu fragen einfach weiter. Und Kisame? Der ließ sich das gefallen, sorgte es doch dafür, dass sie wieder seine Hand hielt.
Was auch immer dieses Wunderwerk an Locken und grauen Augen als Nächstes vor hatte, er würde mitmachen, wie er mit einem seligen Grinsen beschloss. Hoffentlich ergab sich dabei auch eine Möglichkeit sie nach ihrem Namen zu fragen und ihr seinen irgendwie verständlich zu machen.
Darauf wetten würde er allerdings nicht…
Zu Kisames Leidwesen endete ihr enthusiastisches Stürmen an einem Süßwarenstand, an welchem sie sich aufgeregt umsah und sich nicht entscheiden konnte.
Der zuckersüße Geruch, der ihm da in die Nase stieg war zu viel des Guten für ihn und hätte ihn im Normalfall in die hektische Flucht getrieben. Die er dieses Mal ausfallen ließ, weil sein Körper sich weigerte ihm zu gehorchen.
Gut, mit dem angenehmen Prickeln, welches da von seiner Hand aus in seinen gesamten Körper ausstrahlte, und den ihm immer wieder zugeworfen werdenden Blicken aus funkelnden Augen konnte er auch diesen ekelhaft süßen Gestank ertragen. Fürs Erste zumindest.
Letztlich hatte sie sich entschieden und bekam eine Zuckertüte plus eine Zuckerwatte in die Hand gedrückt, was ihr ein freudiges Quietschen entlockte.
Kisame konnte das sanfte Lächeln nicht unterdrücken, welches sich bei ihrer Freude und dem fröhlichen Ton auf sein Gesicht stahl. Und ihm prompt ein „Süße Freundin!“ vom Zuckerverkäufer einbrachte.
Freundin? Sehr gerne und sofort!
Das war zumindest die erste Reaktion des Nagas, bevor der besitzergreifende Teil seiner Natur ihn einen mahnenden Blick gen dem Mann werfen ließ. Sie mochte nicht wirklich seine Freundin sein – noch nicht zumindest! –, aber das hieß noch lange nicht, dass dieser fremde Kerl die Möglichkeit dazu bekommen würde.
Meinsss!
Aber die grummelige Miene währte nicht lang, als etwas Süßes auf seine Zunge traf.
Dass sie vor ihn getreten war und ihm kurzerhand ein Stück Zuckerwatte in den grimmig verzogenen Mund gestopft hatte, hatte er gar nicht gemerkt bis es zu spät gewesen war. Aus grimmig wurde überrascht, dann irritiert, bevor er zu den ihn hoffnungsvoll anfunkelnden grauen Augen schielte.
Sie sah so fröhlich und erwartungsvoll aus… Wie hätte er ihr da die Freude nehmen und das eklig süße Zeug wieder ausspucken können, hm?
Ihr zuliebe löste er den zu Fäden gezogenen Zucker in seinem Mund auf und schluckte die viel zu klebrig süße Flüssigkeit mit einem schiefen Lächeln herunter, was definitiv die richtige Wahl gewesen war. „Super lecker, oder? Die Blaue mag ich am liebsten! Meine Tante kann dir eine blaue Zuckerwatte machen, da glaubst du, du würdest auf ein Stück Meer starren!“
Ein weiteres Stück von dem pappigen Zeug wurde ihm in den Mund gestopft, nur dass er dieses Mal vorgewarnt war und vorsichtig zuschnappte. Mit Lippen und Zähnen hielt er so ihre Finger fest und schaffte es die Mundwinkel zu einem frechen Grinsen anzuheben, sowie neckend mit den Augenbrauen zu wackeln.
Oh Scheiße, er benahm sich schon wie Ator und Rhiom! Der eine machte sich zum Affen für eine Frau, die gar nichts von ihm zu wollen schien, der andere… Vergessen wir das lieber direkt wieder…
Zu seinem Glück bestand ihre Antwort aus einem hellen Lachen, bei dem sie den Kopf in den Nacken warf und ihn an ihrer Freude teilhaben ließ.
„Aber nicht zu viel dran naschen. Die brauch ich noch, sonst muss ich mir einen neuen Job suchen“, gluckste sie amüsiert aus und wackelte verspielt mit den gefangenen Fingern. Süßes schmeckte doch gar nicht mal so ekelhaft, wie er bisher gedacht hatte…
Aber wenigstens rannte sie gerade nicht wieder wie von Sinnen quer über den Markt, sodass er die Gelegenheit bekam sie nach ihrem Namen zu fragen. So mehr oder weniger zumindest. Mit der ihm verbliebenen freien Hand versuchte er unterschiedliche Zeichen zu machen, probierend, ob seine hübsche Begleitung diese erkennen würde.
Nope, tat sie zu seinem Leidwesen leider nicht, sodass er auf die einfachste Methode zurückgreifen musste: Einfach auf sie zeigen und fragend die Augenbrauen anheben. Das verstanden die meisten Wesen, egal ob aus der versteckten oder aus der menschlichen Welt, wie er schnell gelernt hatte.
Und auch in den grauen Augen blitzte Verstehen auf als er die Geste noch einmal wiederholte – da war ihre Aufmerksamkeit kurzzeitig weggeflattert gewesen und musste erst wieder von ihm eingefangen werden. „Achso, wie ich heiße meinst du?“
Gerne hätte er eifrig genickt, aber da er noch immer ihre langsam in seinem Speichel einweichenden Finger im Mund hatte, beschränkte er sich auf ein fröhliches Grinsen und ein leichteres Bewegen des Kopfes. Lachend setzte sie zum Sprechen an und betrachtete ihn weiter aus diesen herrlichen grauen Augen: „Ich heiße…“
Ators triumphierendes Brüllen riss den armen Kisame aus seiner liebsten Erinnerung und ließ ihn unwillig das Gesicht verziehen. Warum musste der Drache auch gerade jetzt diesen für ihn so magischen Moment unterbrechen?!
Denn zu Kisames Leidwesen konnte er gerade nicht einfach zu seinem Rotschopf fliehen. Sie war für einige Tage verreist, um an einer Fortbildung teilzunehmen und außer den süßen Nachrichten mit welchen sie ihm die Wartezeit verkürzte hatte er nichts von ihr.
Oder, um es anders zu sagen: Der arme Naga litt unter ihrer Abwesenheit und Ators Freude, so sehr er seinem Freund diese auch gönnte, über seine endlich geschlossene Verbindung mit Eira machte seine Sehnsucht nach seiner eigenen, wenn auch erst zukünftigen, Gefährtin nur noch schlimmer.
Unwillig wühlte der weißgefärbte und langsam herauswachsende Wischmop sich also tiefer in seine Kissen und gurgelte frustriert in die Dunkelheit hinein.
An weiteren Schlaf war für ihn leider nicht mehr zu denken und ein sehnsüchtiges Schielen auf sein Handy zauberte ihm auch kein Lächeln auf die Lippen. Keine neue Nachricht, die auf ihn wartete, also musste sie gerade in einem Seminar sein – oder wie jeder vernünftige Mensch zu so später Stunde schlafen. Wobei er sich gerade nicht sicher war, wie spät genau es eigentlich war.
Die Erinnerung daran, wie sie ihm per Nachricht gestanden hatte, dass sie sich einfach sein Handy geschnappt und auf ihrem eigenen angerufen hatte, um an seine Nummer zu kommen, schaffte es dann doch ihn zum Lächeln zu bringen.
Zumal sie es sich auch nicht hatte nehmen lassen ihn zu überraschen. Bis sein Wagen repariert war hatte er jeden freien Augenblick mit dem Rotschopf verbracht und sich nur schweren Herzens wieder auf den Weg machen können.
Im Nachhinein war ihm dann erst aufgefallen, dass er gar nicht wusste, wie er wieder mit ihr in Verbindung treten sollte. Aber da war es bereits zu spät und er schon zu weit gefahren gewesen als das er einfach noch einmal hätte umdrehen können.
Oh, was hatte er da geflucht, getobt und gewütet! Er war dermaßen in Rage geraten, dass ihm für einen kurzen Moment sogar die Kontrolle über seine Fähigkeiten entglitten war. Und dementsprechend hatte er eine heillose Überschwemmung in dem Ort angerichtet, in welchem er eigentlich hatte Rast machen wollen.
Als Wasserschlange war es ihm nun einmal möglich besagtes Element zu kontrollieren – entweder zum Guten oder zum Schlechten, wie er eindrucksvoll demonstriert hatte.
Dementsprechend zügig war er dann auch weiter gefahren und hatte sich ungesehen für seinen Wutausbruch geschämt. Wenigstens hatte es niemand mitbekommen, dass er Schuld an dem gewaltigen Chaos trug.
Was blieb ihm also anderes übrig als das augenscheinlich Unvermeidliche zu akzeptieren und sich wieder dem Heimtransport von Eiras Maschine zu widmen?
Das nächste Brüllen des Drachen trieb den langsam verzweifelnden Kisame aber endgültig aus dem Bett und der nur kurz darauf folgende helle Schrei Eiras zauberte eine brennende Röte auf seine sonst eher blassen Wangen.
Da hatte er schon den am weitesten vom Hort entfernten Flügel und hörte trotzdem alles so laut und deutlich als würde er im verdammten Nebenzimmer liegen! Nicht auszudenken wie sich dann erst Ben oder Rhiom fühlen mussten…
Wobei der Satyr am Anfang noch seinen Spaß daran gehabt hatte darauf zu wetten wieviel Zeit wohl bis zum nächsten Mal verstreichen würde. Inzwischen hatte aber auch er die Schnauze gestrichen voll und zog es vor auswärts zu schlafen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
Was Ben machte wusste Kisame wiederum nicht, aber der Wolf hatte morgens auch schon mal frischer und weniger grimmig gelaunt aus der Wäsche geschaut.
Tja und wäre sein Rotschopf derzeit nicht unterwegs wäre auch Kisame mit wehenden Fahnen geflohen, wie er es am ersten Abend dieses zermürbenden Marathons getan hatte.
Unwillig schüttelte er sich bei der Erinnerung daran, wie Ator auf das Haus zugestürmt gekommen war und dabei mehr einer Dampflok als dem altbekannten Freund glich. Über seiner Schulter hatte er sich die Füchsin geworfen, welche dem verdatterten Kisame noch fröhlich zugewunken und an der herunterbaumelnden Hand einen doch recht beachtlichen Ring getragen hatte.
Da war ihm schon klar gewesen, dass er besser das Weite suchen und erst einmal nicht wieder zurückkommen sollte. Und beinahe hätte das ja auch geklappt, wenn da nicht diese verdammte Fortbildung dazwischen gekommen wäre!
Aber alles Schimpfen und Mosern brachte ihm nichts, er konnte nichts daran ändern, dass sie fortgefahren war und ihn nicht mitgenommen hatte.
Gurgelnd, dieses Mal sollte es ein genervtes Stöhnen ersetzen, tappte er unter die Dusche und versuchte sich mit kaltem Wasser etwas wacher zu bekommen. Der Erfolg war als eher mäßig zu bezeichnen. Jetzt war er nass, sauber, aber sah noch immer so fertig aus, dass man ihn bei einer Zombieapokalypse für den Anführer hätte halten können.
Besser würde es nicht mehr werden und vielleicht war die Küche bereits belebt.
Kaffee klang nach den letzten Tagen und Nächten doch sehr verlockend, schön stark und schwarz, damit man zumindest so tun konnte als wäre man nicht kurz davor wegen Schlafmangel zu kollabieren.
Glück im Unglück! Ihm wehte, sobald er seinen Flügel verließ und auf den gemeinschaftlichen Flur trat, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase. Das hieß, dass mindestens Ben ebenfalls wach war und eine Laune zum Fortlaufen haben dürfte.
Solange man den knurrigen Wolf in diesem Zustand nicht ansprach, erwies er sich noch immer als recht angenehmer Zeitgenosse. Gut, man sollte ihn weder ansprechen noch ansehen, ganz zu schweigen davon ihn anzufassen, aber wenn man sich einfach nur still hinsetzte und möglichst leise atmete hatte man auch nichts von ihm zu befürchten und bekam dennoch ein wenig Gesellschaft.
Prüfend linste Kisame dennoch erst um die Ecke, um die aktuelle Stimmung seines Freundes ausloten zu können.
Zu seiner nicht allzu großen Überraschung hockte da nicht nur ein mit den Zähnen knirschender Ben, sondern auch ein noch halb schlafender Rhiom, dem jedoch zwei dicke Wattebäusche aus den Ohren quollen. Ob die aber gegen das immer wieder erschallende Brüllen des Drachen etwas ausrichten konnten bezweifelte Kisame allerdings sehr.
Die morgendliche Begrüßung fiel der allgemein herrschenden Stimmung entsprechend auch eher kühl und genervt aus. Zwar bekam er seine dampfende Tasse hingeschoben, danach wurde ihm allerdings mit mörderischen Blicken suggeriert, dass er nicht einmal daran denken sollte kommunizieren zu wollen. Wie überaus nett…
„Können die nicht endlich fertig werden?!“, platzte dem durch Schlafmangel noch dünnhäutiger gewordenen Ben schließlich der Kragen, während er scheppernd seine geballte Faust auf die Tischplatte krachen ließ.
„Hoffentlich…“, steuerte Rhiom dazu bei und riskierte einen schiefen Blick in seine leere Tasse.
Nur Kisame, der schwieg und hielt sich an die nonverbale Drohung ihn um einige Köpfe kürzer zu machen, wenn er es wagen sollte herumzufuchteln.
Wahrscheinlicher war allerdings, dass der Naga mit seinen Gedanken ohnehin schon meilenweit weg war und sich lieber an schöne Dinge erinnerte als seine Aufmerksamkeit auf die aktuelle Situation zu richten.
Wenn es bei ihm drohenden Wahnsinn verhinderte, klinkte er sich lieber geistig aus. Und erst ein eher zufälliger Blick auf die von Ben zerknüllt werdende Tageszeitung beförderte ihn zurück ins Hier und Jetzt.
Bevor sein Freund endgültig Konfetti aus dieser machen konnte, riss der Naga sich wenigstens die ihm wichtige eine Ecke ab und betrachtete diese eingehend.
Sonntag! Es war Sonntag! Zwar noch sehr früh am Morgen, aber hatte sie ihm nicht geschrieben, dass sie an diesem Tag zurückkommen würde?
Sein untypisches Verhalten, dem Wolf etwas wegzunehmen und es dann auch zu überleben, fand zum Glück keine weitere Beachtung als der viel zu zufrieden wirkende Ator in die Küche flaniert kam und so tat als wäre er nicht der Grund für die allgemein miesepetrige Stimmung.
Eira folgte ihm nur kurze Zeit später, wenn auch mit erkennbaren Schwierigkeiten beim Laufen und Sitzen. Arme Füchsin, aber das war wohl das Los, wenn man vom Schicksal einen Drachen als Gefährten geschenkt bekam.
Blöd nur für den armen Kisame, dass er nun vier Leuten gegenüber saß und eigentlich schleunigst das Weite suchen wollte. Und mindestens Eira wollte er dabei nicht in die Augen sehen.
Zum einen, weil er – so wie Ben und Rhiom auch – unfreiwilliger Zuhörer der Feier ihrer Verbindung gewesen war und sehr genau wusste, was der vermaledeite Drache einer Frau alles Gutes antun konnte. Zum anderen, weil es verdammt nochmal Sonntag war und seine eigene Liebste mit den herrlich grauen Augen bald nach Hause kommen würde!
Nicht gerade verstohlen stierte er daher immer wieder auf seine Uhr, während er sich zum Frühstücken zwingen musste.
Wieso krochen die Minuten nur so langsam voran, wenn man auf etwas warten musste und rasten wiederum, wenn man etwas Schönes erlebte, hm? Zu ändern war es für ihn nicht – definitiv nicht sein Metier – aber gefallen musste es ihm deswegen noch lange nicht.
So leicht der Naga auch abzulenken sein mochte, wenn er sich einmal auf etwas fixierte, dann war er nicht mehr davon wegzubekommen.
Als der Zeiger dann endlich erlösend über den kleinen Strich tickte, stopfte er sich die Reste seines Frühstücks in den Mund, verfrachtete sein Geschirr an die Spüle und verschwand fahrig winkend aus der Küche.
Sollten sich doch Wolf und Satyr weiter mit dem glücklichen Drachen und seiner leidenden Füchsin herumschlagen, er hatte etwas anderes vor!
Ators Frage, ob sie etwas verpasst hätten, folgte ihm noch auf den Flur, die Antwort hörte er aber nicht mehr.
So schnell ihn seine Beine tragen konnten flitzte Kisame nämlich aus dem Haus, sprang in den Land Rover und sah zu, dass er auf dem kürzesten Weg zu ihrer Wohnung fuhr.
Der kürzeste Weg dauerte dennoch gut eine Stunde, bevor er das Vehikel endlich auf dem für sie reservierten Parkplatz abstellen und die Treppe in den ersten Stock hochjagen konnte.
Insgesamt drei Stockwerke hoch und wie ein eckiges U gebaut, war der Komplex, in welchem sie wohnte, wohl einst als Motel konzipiert gewesen. Aber dann hatte der Betreiber Insolvenz anmelden müssen, der Komplex war verkauft worden und der neue Besitzer hatte daraus kurzerhand Mietwohnungen gemacht.
Sehr zur Freude einiger Anwohner, die dadurch günstigen Wohnraum hatten beziehen können. Und sein grauäugiger Wirbelwind hatte zusammen mit einer ihrer Freundinnen zu den Ersten gehört, welche diese günstige Gelegenheit genutzt und sich eine Wohnung gesichert hatten.
Schief musste Kisame grinsen als er sich an seinen ersten Besuch bei ihr erinnerte, der noch gar nicht so lange zurück lag. Wenige Tage nachdem er Eira ihre Scrambler übergeben und die Füchsin damit mehr als nur glücklich gemacht hatte, war eine Nachricht bei ihm eingetrudelt.
Eine Adresse samt Einladung doch mal vorbeizuschauen, wenn er Lust hätte. Und wie er die gehabt hatte!
Sowie Rhiom ihn aus seinen Klauen entließ, war der Naga mit wehenden Fahnen losgefahren. Seine Überraschung über den Wohnkomplex wich jedoch schnell als sie nach ihm rief und ihm winkend den Weg zu ihrer Wohnung zeigte.
Alle anderen Gedanken waren beim Anblick der lachenden und winkenden Rothaarigen wie weggeblasen gewesen und Kisame konnte nur noch selig vor sich hin grinsen. Wie sie da am Geländer ihres Stockwerks stand, ihm winkte und dabei heller strahlte als die Sonne es jemals könnte – einfach nur bezaubernd!
Im Eilschritt war er die Stufen nach oben gejoggt, hatte sich stumm lachend von ihr anspringen und drücken lassen, bevor er ihr artig in die Wohnung gefolgt war. Exakt dieselbe Wohnung vor welcher er nun wieder stand und an deren Tür er anklopfte.
„Da bist du ja endlich!“, wehte es ihm fröhlich entgegen als ihm geöffnet wurde und sein Blick auf die ihn anstrahlende Reul fiel. Als hätte sie nur auf seine Ankunft gewartet.
Der Gedanke, dass es so gewesen sein könnte, ließ sein Herz drastisch schneller schlagen und ihn nicht minder strahlend lächeln. Ohne zu zögern trat er daher auch ein, als sie einen Schritt zur Seite machte und hinter ihm die Tür wieder schloss.
Herrliche Wärme begrüßte ihn, den Duft nach frisch gebrühtem Kaffee und Keksen dabei überall verteilt habend. Ein Ort zum Wohlfühlen, wie er fand, während er seine Jacke ablegte und die Schuhe abstreifte, bevor er ungeniert mit in die Küche gezogen wurde.
Von ihrer Mitbewohnerin hatte der Naga noch kein einziges Härchen gesehen, geschweige denn ein Bild. Diese machte sich nämlich erkennbar rar und auf Reuls Warnung hin, sich bloß nicht in das Zimmer besagter Mitbewohnerin zu wagen, hielt er sich auch von diesem fern.
Zum Glück, wohlgemerkt, denn sonst hätte er seine Schuppen alle einzeln vom Boden aufsammeln müssen, wie ihm nur allzu bewusst war.
Auch wenn er weder Bens feine Nase noch Ators Aufmerksamkeit besaß oder Rhioms… Gut, da fiel ihm nichts Nettes ein… Zudem war er ohnehin nicht allzu aufmerksam und zuhören gestaltete sich teilweise auch sehr schwierig – je nach Situation, wohlgemerkt.
Aber trotz allem wusste der Naga doch sehr genau, wem er da gerade einen liebevollen Begrüßungskuss gab. Nämlich niemand anderem als ausgerechnet Eiras bester Freundin!
Bei Reul sah das vermutlich gänzlich anders aus. Weder war sie dem strubbeligen Naga schon vorher begegnet, noch hatte Eira es für notwendig befunden ihrer Freundin alle Namen der bekloppten Bande mitzuteilen.
Primär hatte diese einfach nur über Ator und Rhiom gemosert, die ihr reichlich auf die Nerven gegangen waren.
Zwar war die kleine Furie ja einmal persönlich bei ihm Zuhause aufgeschlagen, um ihre Freundin abzuholen und sie vor dem bösen großen Kerl zu retten, der ihr so zusetzte. Aber da er sich zu dieser Zeit in der Küche getummelt und sich gar nicht erst hatte blicken lassen, um einer drastischen Verkleinerung seiner Pobacken zu entgehen, kannte sie ihn nicht.
Zumindest küsste er sie, bis sich ihm der rothaarige Wirbelwind entzog und ihn kurzerhand auf einen der Küchenstühle verfrachtete, eine Tasse Kaffee und Kekse vor seine Nase schob und sich ihm grinsend gegenüber setzte.
Hach ja, herrlich!
Endlich jemand, der ebenso chaotisch und wirbelig war, wie er selbst. Und jemand, der seine mangelnde Fähigkeit zur Kommunikation herrlich ausglich.
Denn wo der Naga zum Schweigen verdammt war, plapperte sein Rotschopf für zwei vor sich hin. Wie das Seminar gewesen war, was sie alles gelernt hatte, was sie gegessen hatte und so weiter und so fort.
Ein sprudelnder Quell an Informationen, die er begierig aufsog und mit eifrigem Nicken begleitete. Oder seinen Kopf ebenso eifrig schüttelte, wenn es eine passende Antwort darstellte.
Reul schien es nicht zu stören, dass Kisame sie einfach nur lächelnd anstarrte, gelegentlich nickte oder den Kopf schüttelte. Sie genoss seine Aufmerksamkeit, während sie ihn mit Kaffee und leckeren Keksen, die sie für ihn – und nur für ihn, wie sie eindeutig klarstellte – gebacken hatte, vollstopfte, nicht ahnend, dass er Süßes eigentlich gar nicht mochte.
Aber ihr zuliebe hätte der Naga sich vermutlich auch einmal quer durchs Schlaraffenland gefuttert, wenn es sie glücklich machen würde!
Den Naga so handzahm und glücklich zu sehen würde seine Freunde wohl an ihrem Verstand zweifeln lassen. Aber die waren, im Gegensatz zu ihm, nicht hier und bekamen sein Verhalten dementsprechend auch nicht zu sehen.
Und so schnell würden sie es auch ihn nicht zu sehen bekommen, denn der rote Lockenkopf hatte definitiv eigene Pläne, wie sie den Rest dieses ach so herrlichen Sonntages mit dem noch immer selig grinsenden Kisame zu verbringen gedachte.
Mochte die Auswahl an Aktivitäten durch besagten Wochentag auch arg begrenzt sein, kannte sie doch noch genug Dinge, die man durchaus unternehmen konnte! Und dazu gehörte den glücklichen Naga wieder ausgehfertig zu machen und mit ihm einen ausgedehnten Spaziergang zum nächstbesten Park zu unternehmen!
Nach seinem reichhaltiger als erwartet gewordenem Frühstück wurde er daher kurzerhand von Reul wieder in seine Schuhe und seine Jacke gescheucht, während sie ebenfalls in die notwendigen Klamotten schlüpfte.
Die wilde Mähne verschwand unter einer Mütze – da war ohnehin nicht viel zu bändigen – und dann wurde Kisame schon an der Hand gegriffen und mit ins Freie gezerrt.
Wieso er sich das gefallen ließ? Weil ihm ein wohliger Schlag durch den Arm in den ganzen Körper schoss, sobald sich Reuls Finger mit seinen verwoben!
Er wäre ihr sogar bis ans Ende der Welt gefolgt, solange sie dabei weiter seine Hand hielt.
Das Ende der Welt stellte sich dann als der von ihr angepeilte Park heraus, in welchem sich trotz der eher niedrigen Temperaturen und des schmuddeligen Wetters genügend Menschen herumdrückten. Jogger, Pärchen, ein paar Hundeausführer und ein paar Familien mit Kindern bevölkerten das noch auf sich warten lassende Grün, in welches sein Wirbelwind ihn da hineinzog.
Was für ein Glück für Reul, dass sie Kisame an der Patschhand hatte und nicht Ben…
Den hätte sie nicht einmal für alle Küsschen der Welt dazu bewegen können sich mit ihr quer über die Wiese zu wälzen oder über den Spielplatz zu tollen.
Kisame hingegen war noch kindisch genug in der Birne, um mit Feuereifer
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Loreletta Nox
Bildmaterialien: https://www.deviantart.com/lynx-catgirl
Cover: Bild: https://www.deviantart.com/lynx-catgirl - Lynx-Catgirl ; Text: https://www.canva.com - Loreletta Nox
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2020
ISBN: 978-3-7487-5066-6
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