Ich fand ihn mitten auf der Brücke, die Briefe getränkt vom Regen... Die Leute gehen einfach daran vorbei, ohne sie zu beachten, so wie sie nie etwas beachten. Ich selbst bin nur stehen geblieben, weil auf dem Umschlag: Dear Night, steht. Night, mein Name. Ich habe das seltsame Gefühl, die Briefe seien an mich gerichtet. Also nehme ich sie mit und fange an zu lesen, Briefe eines Mädchen an die Nacht gerichtet. Es ist eine Geschichte voller Schmerz und Enttäuschung, eine Geschichte voller Trauer und Hass, eine Geschichte voller Liebe, aus den Tiefen der Seele eines Mädchen, das ihren Glaube an das Gute in der Welt verloren hat.
Dear Night
Ich weiss es ist dämlich, Briefe an die Nacht zu schreiben, aber du warst immer für mich da, hast mich immer beschützt, auch wenn niemand mehr da war. Ich will dir danken und dir meine Geschichte erzählen, ich will dass du sie kennst, meine Geschichte. Dass du sie dann dem Mond und den Sternen erzählst, ich hoffe ihr werdet dann zu mir herunter sehen und mich nicht vergessen. Vielleicht kommt irgendein Mensch, der sie, liest, der sich genug um andere kümmert um sie zu finden.
Also hier beginnt sie, meine Geschichte. Es ist eine traurige Geschichte, also leg den Brief weg, wenn du es nicht aushältst. Aber ich sage dir, sie ist wahr, alles was du lesen wirst ist wahr.
Ich mache eine kurze Pause, bin ich bereit für diese Geschichte? Ich atme tief ein und schaue das Datum an: 13.6.13 also nicht so lange her, drei Tage glaube ich...
Noch einmal atme ich tief ein, schliesse die Augen und lese weiter.
In meiner Hoffnung, dass jemand ihn liest, spreche dich mit du an. Also, dies ist meine Geschichte: Alles begann an einem Wintertag. Da kam ich auf die Welt, der Himmel hat geweint. Der Regen prasselte herunter und es war still, nur das leise Klopfen der Tropfen war zu hören und die schmerzerfüllten Schreie meiner Mutter. Sie ist bei meiner Geburt gestorben und man gibt mir die Schuld dafür. Ich weisst nicht, wie es ist zu lieben oder geliebt zu werden, da ich nie die Chance dafür hatte, die Chance zu wissen wie es ist für einen Menschen alles geben zu wollen, für ihn sterben... Wie es sich wohl anfühlt?
Er hat mich von Anfang an gehasst... Er hat gedacht, wenn ich nicht sei, dann würde sie noch leben. Sein Blick war mir gegenüber immer kalt, manchmal wenn er betrunken war, hat er mich so zusammengeschlagen, dass ich nicht nicht mehr klar sehen konnte, weil meine Augen zu sehr geschwollen waren. Aber in der Schule haben sie nichts gemerkt. Sie haben auf mir herumgehackt, weil ich nicht die neusten Klamotten hatte, oder immer schön gelächelt habe. Sie haben mich noch mehr zu Grunde gerichtet. Ich weiss die Schuld liegt bei mich, ich bin es einfach nicht wert, zu leben.
Ich höre kurz auf zu lesen, wie kann ein Mensch nur so was denken?
Wie kaputt muss man sein um so was zu meinen?
Ich meine wäre ich nicht hier, wäre meine Mutter noch am leben und mein Vater glücklich. Weisst du, wenn ich könnte würde ich jeder Zeit ohne zu zögern tauschen, ihr Leben gegen meines.
In der Schule sagen sie, ich sei hässlich und nur im Weg, ich glaube ihnen, egal was sie sagen... So viele Leute sagen, ich solle ihnen nicht zu hören, aber das ist nicht so einfach, wenn man einen Vater hat, der einem sagt, man solle nicht leben.
Ich lächle trotzdem, ich bleibe stark. Sie sollen meine Wunden nicht sehen... Aber weisst du, ich weine in der Nacht nicht, weil ich traurig bin, sondern zu lange stark war. Weil ich nicht leben sollte, weil diese Welt für mich keine Heimat ist, weil mir kalt ist, weil ich Angst habe...
Es gibt so viele Gründe für mich zu weinen, kennst du das Gefühl, wenn man einfach nicht mehr kann und am liebsten sterben würde? Nein, wahrscheinlich nicht, denn nur die wenigsten kennen dieses Gefühl, das mein täglicher Begleiter ist.
Das war meine Geschichte, für den Anfang...
Alice
Ich starre den Brief an, die Geschichte berührt mich. Alice, so heisst sie also... Alice, ein schöner Name.
Ich frage mich oft, ob es das jetzt war, ob ich weiter leben werde und diese Alice auch, ob wir jetzt unsere so verschieden Leben leben und ich sie wieder vergesse. Aber ich weiss, dass ich sie nicht vergessen werde, nicht vergessen kann. Was ich gelesen habe, hat mich geprägt, ich habe gemerkt, wie sehr ich immer die Augen verschlossen habe.
Als ich ein paar Tage später wieder über die Brücke gehe, liegt da der nächste Brief. Dieselbe schon irgendwie vertraue Schrift: Dear Night. Ich lächle, sie hat mich oder die Nacht nicht vergessen. Langsam bücke ich mich und hebe den Brief hoch, was wohl drin steht? Ich hoffe sie sagt, dass sie wieder Mut hat und ihr Leben plötzlich schön sei, auch wenn ich weiss, dass wird nicht passieren.
In der ganzen Schulstunde spiele ich mit dem Zettel, was wohl drin steht, was sie wohl zu erzählen hat? Als es endlich die Pausenglocke verkrieche ich mich in einem Schrank.
Dear Night
Ihre Schrift hat sich verändert, sie ist immer noch wunderschön und krakelig, aber sie ist zittriger geworden, so wie wenn man zittert wenn man nicht mehr aufhören kann zu weinen und keine Kraft mehr hat. Die Tinte ist verschmiert von den Tropfen die darauf fallen. Ich schlucke schwer und lese weiter, auch wenn ich angst davor habe, was ich lesen werde.
Tut mir leid, wenn du es nicht lesen kannst, aber im Moment zittere ich so sehr, dass ich kaum stehen kann, ich schreibe diesen Brief weil ich sonst nicht schlafen kann, weil ich etwas tun muss. Also schreibe ich, es hilft mir, es hilft mich es zu verarbeiten. Ich weiss nicht, ob ich ihn wirklich auf die Brücke legen werde aber wenn, dann habe ich es geschafft, es geschaffte dem Leben ein Stückchen näher zu kommen.
Er ist doch mein Vater! Wie kann er nur so etwas tun? Ich fühle mich irgendwie beschmutzt, er hasst mich, klar, aber das er so weit gehen würde?
All die Schläge und die Schnitte ertrage ich, aber das?
Ich liebe ihn wirklich, auch wenn er mich hasst, liebe ich ihn, meinen Vater. Das ist er und wird es immer bleiben, egal was er tut, egal was er sagt und solange er nicht wütend ist, ist alles gut, ich würde sterben, damit er glücklich ist, ich würde mich umbringen, wenn es ihm hilft. Aber er sagt immer, ich solle leben um meiner Mutter willen. Da sieht man, dass er mich doch liebt, weisst du er tut nur so.
Ich halte kurz inne, wie kann ein Mensch nur so naiv sein? Wie kann man noch an das Gute im Menschen glauben, nachdem man so etwas erlebt hat? Ich schüttle den Kopf, aber vielleicht ist genau das der Grund wieso noch lebt, wieso sie nicht schon lange ihre halbe Schule erschossen hat oder sich selbst. Eigenlicht zeigt das ja wie stark sie ist. Dass sie immer noch nicht den Glauben verloren hat, dass sie immer noch aufsteht wo jeder andere liegen geblieben wäre. Eigenlicht bewundere ich dieses Mädchen.
Ich kann immer noch seine Lippen auf den meinen spüren. Seine Hände... Sein Körper in meinem, ich liebe ihn doch... Ich liebe ihn.
Wenn du meinen Körper sehen würdest, ich glaube du würdest wegsehen und dich ekeln, alles voller Narben, alles voller Schnitte. Ich brauche einfach manchmal den Schmerz, um zu wissen ob ich noch lebe oder nicht. Denn er ist das einzige was noch echt ist, das einzige was sich noch wie etwas Lebendiges in mir anfühlt. Der Rest ist alles abgestorben, alles zerstört worden.
Tja das war er mein zweiter Brief und ich will dir danken wenn du ihn gelesen hast.
Alice
Ich schaue auf. Was ist für Zeit? Ahh, ich habe ja noch fünf Minuten Zeit. Ich stehe auf und schlendere langsam wieder ins Klassenzimmer. Der Brief immer noch in der Hand, sorgfältig zusammengefaltet. Als ich die Zimmertüre auf mache sieht mir meine Klasse mich an. Was haben die denn?
„Wo warst du?“, mein bester Freund Sam kommt lachend auf mich zu.
„Auf der Toilette...“
„Und was hat du dann in der Hand?“, neugierig versucht er ein Blick auf das Papier in meiner Hand und versucht es zu stehlen.
„Lass das!“, ich ziehe das Blatt weg.
„Dear Night... Ein Liebesbrief? Wie süss...“
Ich schreie ihn an, aus irgendeinem Grund ich müsse Alice beschützen. Niemand darf ihren Brief lesen, niemand ausser mir darf ihre Geheimnisse wissen...
Was denke ich da für einen Scheiss zusammen? Das klingt ja so als sein ich von ihr besessen.
Ich finde den dritten Brief an einem strahlenden Wintermorgen, es ist eisig kalt und in der Luft liegt der Duft von Schnee. Es heisst heute Nachmittag solle es schneien, aber wenn die Sonne dann immer noch so scheint und der Himmel immer noch so strahlend blau ist, wird das nichts.
Dieses Wetter passt zu Alice, zu ihrem Herz das wohl auch schon lange eingefroren ist, das wohl auch immer so eiskalt ist.
Ich habe in den letzten Wochen oft an sie gedacht, an ihren letzten Brief und dann überkommt mich immer ein Hass, ein Hass auf ihren Vater, der sie so leiden lässt, der nur an sich denkt, der seine Tochter vergewaltigt.
Ich bin gerade auf dem Nachhauseweg vom Fechten, wie jeden Mittwoch. Da liegt er der dritte Brief. Ich habe ihn hoch und lese ihn noch im Laufen.
Dear Night
Das hier wird mein letzter Brief, das hier ist mein Abschiedsbrief. Das macht man doch so, oder? Leute die sich umbringen schreiben doch so was, an die Menschen die sie zurücklassen. Also schreibe ich ihn an dich, denn nur du könntest mich vermissen. Ich hoffe du wirst mich vermissen.
Ich halte kurz inne. Nein, das kann sie nicht erst meinen, das darf nicht sein, sie ist Alice, klein und naiv, die immer noch an das gute glaubt, sie darf das nicht tun.
Verzweifelt lese ich weiter, in der Hoffnung das ich mich irre und das ganze etwas anderes bedeutet.
Weisst du ich habe zu lange gekämpft, ich weiss nicht einmal für was ich mal gekämpft habe. Ich bin müde so unendlich müde. Aber ich habe auch Angst, angst davor das der Tod nur ein neuer Anfang wird und ich nicht schlafen kann, davor das der Tod tatsächlich das Ende ist, das danach nichts kommt. Aber eine andere Option habe ich nicht, ich gehe kaputt, immer mehr. Wenn ich jetzt nicht sterbe dann bin ich nicht mehr ich selbst, dann bin ich nur noch eine Hülle, abgestumpft, wenn ich schon sterbe dann wenigstens als Mensch. Als Alice und nicht als irgendeine Puppe.
Ich schreibe diesen Brief weil ich auf wiedersehen sagen will, weil ich abschliessen will, mit diesem Brief, mit einem Brief an die Nacht. Vielleicht gibt es ja irgendwann jemanden der ihn findet und meine Geschichte weiter erzählt. Ich hoffe das ich immer in Erinnerung bleibe, das mein tot eine Warnung sein wird. Ich hoffe das ich erst ganz spät richtig sterben werde, das die Leute mich noch ganz lange in Erringung behalten werden, dank diesen Briefen. Deshalb habe ich sie geschrieben, damit ich nie sterben werde, damit ich immer in den Herzen der Menschen der Menschen weiterlebe.
Es gibt noch so viel zu sagen, ich könnte noch Seite um Seite vollschreiben, aber letztendlich weiss ich das es nicht mehr zu sagen gibt, jetzt ist es Zeit zu schweigen, Zeit zum schlafen. Ich will nur noch sagen das ich dich Vater immer noch lieb haben werde, das ich die immer lieben werde egal was wir beide tun. Und an alle Leute die sagten ich solle sterben, ich solle lieber nicht Leben, tja jetzt werde ich sterben, also überlegt euch gut was ihr das nächste mal sagt, denn es geht so schnell bis euch Jemand zu Wort nimmt. Es wird zu spät sein wenn ihr es merkt, viel zu spät.
Also hiermit sage ich auf wiedersehen, hiermit nehme ich für immer Abschied.
Alice
Nein, nein, nein. Sie muss leben! Sie darf nicht sterben, sie darf nicht für die Fehler anderer büssen. Ich bleibe stehen, schaue auf und merke wie eine Träne über die Wange läuft, scheisse, jetzt weine ich wegen der schon. Alice...
Wieso muss sie sterben, ich stehe kurz davor laut zu Schreinen, gegen irgendetwas zu schlagen. Ich fühle mich so hilflos, Alice wird sterben und ich kann rein gar nichts dagegen tun, ich bin machtlos und das ist frustrierend. Die Leute an denen ich vorbeigehe würdigen mich keines Blickes, sie sehen weg, egal das ich schluchze wie ein kleines Mädchen, sie schauen weg.
Am Abend als ich durch das Programm zappe komme ich auf die Tagesschau, da berichten von einem Selbstmord eines sechzehnjähriges Mädchen, sie sei von einem Hochhaus, gar nicht weit von hier gesprungen, Alice. Ich weiss es einfach, dieses Mädchen mit der Narbe quer übers Gesicht, sie sieht so friedlich aus, wie sie wohl bei Lebzeiten nie ausgesehen hat, selbst noch mit unnatürlich verrenkten Gliedern und zertrümmertem Schädel. Eine weitere Träne läuft mir über die Wange, ich fange mich an zu fragen ob der Tod für dieses Mädchen das einzige richtige war. Ich meine die ist so dünn, so verdammt dünn, viel zu dünn. Ich schliesse die Augen und bete für Alice, ich bete für sie an einen Gott an den ich nicht glaube, das er sie wenigstens im Tod beschützen wird.
Das Grab das man für die junge Selbstmörderin aufgestellt hatte, nicht von ihrem Vater. Lange stehe ich davor und betrachte die vielen Kerzen und Blumen die dort aufgestellt wurden, bevor ich mich bücke und die Briefe hinlege. Lange hat es gebraucht bis ich so weit war überhaupt ihr Grab zu besuchen. Ich lächle als ich die vielen Briefe, Kerzen und Blumen sehe, ihr letzter Wunsch ging in Erfüllung sie wird so schnell vergessen.
Alices Geschichte hat mich geprägt, sie hat mich verändert. Obwohl ich sie nie gekannt habe, hat sie doch mich und mein Leben verändert, meine Sichtweise verändert. Ich will mich für solche Sachen einsetzen, ich will solchen Kindern eine Zukunft geben. Ich habe viel von ihr gelernt und genau das ist es was so wunderbar an ihr war, ich habe das Gefühl als hätte ich sie schon jahrelang gekannt und doch habe ich nur einmal ihre Leiche gesehen...
Kleine zerbrechliche Alice...
Ich konnte dich nicht beschützen, verzeih mir...
Hey Leuts
OK das wars und ich will euch mit dieser Geschichte wirklich noch einmal nahe legen wie oft das Mobbing zu selbstmord fürt.
natürlich war das bei Alice jetzt ein Extremfall aber es gibt so zeugs oft genug und ich will nur sagen STOPP!!!
Ach ja und danke an alle leser...
hinterlasst Kommis und Herzchen ^^
Eure Snowmonn :*
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meinen kleinen Bruder, ich wünsche dir gute besserung :*