Cover

Einleitung

 

 

Ein fröhliches: »Aufwachen Schlafmütze«, weckt mich aus meiner erholsamen Nacht. Langsam öffne ich die Augen und sehe in das liebevolle Gesicht meines Vaters. »Alles Gute zu deinem siebzehnten Geburtstag mein Engel«, summt er fröhlich und schließt mich fest in seine Arme. Mit einem Lächeln im Gesicht bedanke ich mich bei ihm und bin überglücklich. Nachdem ich mich frisch gemacht habe, laufe ich voller Vorfreude nach unten. Der Tisch ist bereits schön eingedeckt, und ein paar kleine Geschenke stehen auf der Kommode für mich bereit. Nachdem wir alle gemeinsam gefrühstückt haben, überreichen sie mir die ersten Pakete. Als ich neugierig das letzte öffne, das wohl bemerkt von meinem Vater stammt, entdecke ich eine wunderschöne Armbanduhr. Die schwarze Lederoptik verrät mir, dass sie wohl sehr teuer war. Aber so schön sie auch aussieht, es ist nicht das, was ich mir gewünscht habe. Enttäuschung macht sich breit und ich frage: »Ist das alles?«. Er schmunzelt und klärt mich auf, dass er nicht vergessen hat, wie sehr ich mir ein Handy gewünscht habe. Ich sehe ihn erwartungsvoll an. »Leider gab es Lieferschwierigkeiten und ich konnte es nicht mehr rechtzeitig abholen«, erklärt er und tätschelt meine Schulter. »Keine Sorge, heute Nachmittag soll es da sein«, beruhigt er meine grimmige Miene, woraufhin ich ihn in eine innige Umarmung schließe. Wir sitzen noch eine ganze Weile zusammen bis er sich endlich auf den Weg macht. Ich nutze die Zeit um mich in Schale zu werfen, denn nachher werden wir essen gehen.

Am Wochenende bekomme ich dann meine Party und es könnte nicht besser für mich laufen. Jetzt sitze ich eine gefühlte Ewigkeit schon wartend im Wohnzimmer. Seit zwei Stunden ist mein Vater bereits unterwegs, und mit jeder Minute die verstreicht wächst meine Vorfreude auf seine Rückkehr. Bisher galt in diesem Haus die Regel, dass wir keine Handys haben dürfen, doch nun konnte ich ihn endlich überzeugen seine Meinung zu ändern.

Als es dann endlich Schellt, laufe ich aufgeregt zur Tür. Doch ich öffne sie nicht meinem Vater, sondern zwei Polizeibeamten. Sie schauen mich mitfühlend an, und fragen ob meine Mutter zuhause ist. Verwirrt sehe ich ihnen ins Gesicht und rufe Vivien herbei. Der Beamte öffnet den Mund und mir laufen die Tränen über die Wange.

Kapitel 1

 

Ein halbes Jahr später starre ich auf die herabfallenden Regentropfen. Es ist Anfang Oktober und meine einzige Aussicht, ist der Wolkenverhangene Himmel. Ich sitze völlig allein vor der riesigen Fensterfront in meinem Zimmer. Es ist nicht so, dass es mir nicht gefällt, ich liebe diesen Raum, es ist der einzige im ganzen Haus, der seit dem Unfall noch nicht verändert wurde. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen. Wir haben ihn gemeinsam eingerichtet, und unzählige Stunden damit verbracht die passende Farbe auszusuchen. Neben meinem alten Bett befindet sich ein kleiner Kleiderschrank, ein Schreibtisch und ein Bücherregal, alles in unterschiedlichen Holznuancen gehalten. Eine weitere Leidenschaft neben dem Lesen ist die Musik. Ich besitze eine große Sammlung, von Klassik bis Rock ist alles dabei. Unser Haus ist nicht gerade klein. Sechs geräumige Zimmer die sich über zwei Etagen verteilen, bieten genug Platz für unsere Dreiköpfige Familie. Wir haben nicht viel Geld, deshalb stammt das meiste der Einrichtung entweder aus Internetauktionen, oder wir bekamen es geschenkt. Ein wild zusammengewürfelter Einrichtungsstiel ziert unser bescheidenes Heim. Trotzdem ist es sehr gemütlich. Ich denke oft an die Zeit zurück, als ich noch Glücklich war. Ja, vor einem halben Jahr war meine Welt noch in Ordnung. Ich war Lebendig, etwas aufmüpfig und frech vielleicht, aber dennoch ausgeglichen. Leider ist auch die beste Erinnerung nichts wert, wenn man ausgerechnet das verliert, was einem am meisten bedeutet und ohne Zweifel war mein Vater der Liebevollste Mensch den ich kannte. Seine Liebe zu mir war etwas ganz Besonderes. Er war nicht nur der Mittelpunkt in meinem Leben, sondern auch in dem meines Stiefbruders Yannick. Sein Tod ging ihm mindestens genauso nahe wie mir. Eigentlich waren wir das perfekte Geschwisterpaar, haben immer zusammengehalten, und für jedes Problem eine Lösung gefunden. Leider ist das nun vorbei. Auch wenn es erst ein halbes Jahr her ist, fühlt es sich doch so an, als wäre es eine halbe Ewigkeit. Immer wieder schleicht sich dieselbe Frage in meinen Kopf. Wieso fuhr er ungebremst in einen Baum? Bis heute habe ich nicht verstanden wie das passieren konnte. Er war gut drauf, nicht kränklich und er war immer ein vorsichtiger Fahrer. Ich verfluche mich jeden Tag selbst, weil ich mir dieses beschissene Handy gewünscht habe. Hätte ich mich einfach über diese blöde Uhr gefreut, würde er vielleicht noch leben. Zu meinem Bedauern will es das Schicksal wohl anders, und so bin ich gezwungen, mit dem fertig zu werden was mir tagtäglich auferlegt wird.

Ich weiß, man sagt die Zeit heilt alle Wunden, doch wie sollte sie? Seit dem Tod meines Vaters, ist nichts mehr so wie es war. Es vergeht keine Stunde in der ich nicht an ihn denke. Sein herber Geruch, die Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit, und der liebenswerte Umgangston in diesem Haus schwindet mit jedem Tag mehr.

Nun lebe ich mit meiner Stiefmutter Vivien und dessen Sohn Yannick zusammen. Das Verhältnis zwischen uns war nie sonderlich gut, doch wir respektieren einander. Von meiner Leiblichen Erzeugerin weiß ich so gut wie gar nichts. Bedauerlicherweise habe ich sie nie kennen gelernt. Gelegentlich frage ich mich dann, ob sie wohl eine gute Mutter gewesen wäre? Ob sie Ähnlichkeit mit mir hatte.

Nach ihrem Tod war er eine Zeitlang sehr traurig, doch dann lernte er Vivien kennen und heiratete sie, gab mir eine neue Familie und einen zwei Jahre älteren Bruder. Zu keinem Zeitpunkt habe ich an seiner Entscheidung gezweifelt. Bis heute! Um uns über Wasser zu halten, schiebt Vivien ständig Doppelschichten im Krankenhaus. Wenn ich sie überhaupt mal sehe, zieren dicke Augenringe ihre erschöpften Lieder. Eigentlich ist sie eine wunderschöne Frau. Doch der Stressige Alltag hat bereits seine Spuren hinterlassen. Tja, wenn man bedenkt das sie all das nur uns zuliebe tut, könnte man sie fast bedauern. Doch in meinen Augen hat sie das nicht verdient. Denn sie allein trägt die Schuld daran, dass ich so leide.

Während ihrer Abwesenheit muss Yannick die Verantwortung für mich übernehmen, und genau das lässt er mich auch jeden Tag spüren. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu Schikanieren. Die ersten Wochen nach Vaters Tod hatte ich ja noch Verständnis für sein Verhalten. Ich ging davon aus, dass es eine Art der Trauerbewältigung für ihn war.

Wie dem auch sei. Als er Luca kennen gelernt hat, schien es keine Grenzen mehr zu geben. Jeden Tag lässt er mich aufs Neue erfahren, dass ich allein für unser beschissenes Leben verantwortlich bin. Ja, ich weiß, dass ich die Schuld am Unfall unseres Vaters trage, und ich leide jeden Tag unter dieser Gewissheit. Das gibt ihm aber noch lange nicht das Recht, mich so zu behandeln. Ich will endlich ein normales Leben, so wie ich es oft träume. Ich befürchte nur, dass wird niemals geschehen. Rund um die Uhr, bin ich seinen Launen hilflos ausgeliefert. Seine Beschimpfungen sind da noch das kleinere Übel. Am Anfang habe ich noch versucht mich zu wehren, doch mit der Zeit habe ich verstanden das es besser ist, auf seine Wünsche einzugehen. Zuerst waren es nur harmlose hiebe in meinen Magen, doch heute schmerzen seine Schläge weitaus mehr. Ich begreife einfach nicht wie es soweit kommen konnte.

Was hat ihn dazu gebracht mich so zu hassen? Er ist doch mein Bruder! Ja gut, Stiefbruder. Aber für mich macht das keinen Unterschied. Ihn hingegen scheint das sehr zu stören. Mittlerweile habe ich wirklich Angst, vor allem wenn wir alleine sind. Immer wieder bete ich in der Hoffnung das er sich ändert. Doch das geschieht einfach nicht. Ich bin ihm ausgeliefert, und das wahrscheinlich für den Rest meines Lebens. Wie gerne würde ich mal etwas Normales machen, Sachen die siebzehnjährige eigentlich tun sollten. Ins Kino gehen, eine Party besuchen, vielleicht einen Jungen kennenlernen. Doch daran ist für mich beim besten Willen nicht zu denken.

Kapitel 2

 

Ich gähne verschlafen und strecke mich ausgiebig. Die Erinnerung an meinen Traum holt mich ein. Mal wieder! Seit seinem Unfall sind es mehr geworden! Ich schließe die Augen und erinnere mich.

Mein Vater ergreift die Hand einer Frau. Wer ist sie, frage ich mich. Doch ich erkenne nur eine Schemenhafte Gestalt. Sie wirkt verschleiert, und doch ist ihre Statur voller Anmut. Das Sonnenlicht fällt auf seine blonden Haare und lässt sie fast Golden wirken. Mein Blick trifft direkt ins innerste seiner Karamellfarbenden Augen. Zärtlich streichelt er ihr den Rücken, und ich sehe wie Glücklich er ist. Seine Berührung ist voller Liebe. Ich versuche näher heran zu kommen, will ihr unbedingt ins Gesicht blicken, doch sie ist schon weg.

Langsam erlischt der Traum vor meinem inneren Auge und ich stehe auf. Im Bad verrät mir der Blick in den Spiegel, dass ich unbedingt etwas erholsamer Schlafen sollte. Die Gestalt mir gegenüber wirkt fremd. Ein Blasses Gesicht mit rändern unter den Augen. Glanzloses Haar das mir unspektakulär über den Rücken fällt, und die blauen Flecken auf meinem Körper sind das, was von dem einst so Hübschen Mädchen noch übrig ist. Mein Dürrer Körper ist mit siebzehn Jahren nicht schlecht gebaut und auch die Oberweite ist mit Körbchengröße B völlig ausreichend. Die Rundungen sind an den richtigen stellen und dennoch zeigt mir mein Abbild, ein graues Mäuschen. Ungeliebt und langweilig!

Am liebsten trage ich weite Pullover und einfache Jeans. Aber das ist auch gut so, denn Aufmerksamkeit zu erregen, ist einfach nicht mein Ding.

»Medina«, erklingt die forsche Stimme meines Bruders. »Wo bleibt das Frühstück«. Ein Schauder läuft mir über den Rücken. Schnell antworte ich ihm, bevor er noch wütender wird. »Ich bin sofort fertig und schiebe uns ein paar Brötchen in den Ofen«.

Kurze Zeit später steht er auch schon neben mir in der Küche und sein Gesichtsausdruck bedeutet nichts Gutes. »Kann ich etwas für dich tun?«, frage ich in der Hoffnung, dass sich seine Laune etwas hebt, doch er reagiert nicht auf mich. Stattdessen drückt er mich mit seiner Schulter unsanft beiseite. »Mach Platz«, weist er mich an und ich weiche automatisch einen Schritt zurück. Er setzt sich an den Tisch und ich schmiere ihm sein Brötchen. Da er nicht mit mir gemeinsam essen möchte lehne ich mich an den Küchentresen und warte darauf das er satt wird. Währenddessen beobachte ich ihn gedankenverloren und stelle mir vor wie er aus der Sicht eines anderen aussehen muss. Seine muskulöse Brust ist umhüllt von einem schlichten Sweatshirt, und sein Hintern steckt in einer hellen Bootcut Jeans. Das Schwarze Haar liegt ihm wild auf dem Kopf, es sieht nicht ungepflegt aus, eher verspielt und es bildet einen Krassen Kontrast, zu seinen strahlend Grünen Augen. Wenn ich ihn so betrachte, kann ich gut verstehen, wieso er der Mädchenschwarm an unserer Schule ist. Jeder will mit ihm zusammen sein. Doch keiner weiß wie er wirklich ist. Keiner außer mir!

Mit einem deftigen Rülpsen, beendet er seine Mahlzeit und deutet abwertend in meine Richtung. Das Zeichen für mich, seinen Teller abzuwaschen. Manchmal frage ich mich, wie man mit neunzehn schon so ein Paschaverhalten an den Tag legen kann. Da ich keine Lust auf Ärger habe, räume ich den Geschirrspüler ein. Die Türklingel läutet und er öffnet. »Hey Luca, komm rein«, begrüßt er seinen schmierigen Kumpel.

Ich hasse es, wenn er schon so früh auf der Matte steht. Für einen kurzen Moment mustere ich ihn. Er müsste in Yannicks alter sein. Sein braunes Haar, die riesige Statur und sein bohrender Blick wirken einschüchternd auf mich. Schlecht sieht er nicht aus, dennoch ist er ein Typisches Machoarschloch, ich kann ihn einfach nicht ausstehen. Sie pflanzen ihren Allerwertesten aufs Sofa und ich höre Yannicks Stimme: »Medina, zwei Bier aber Pronto«. Mit hochgezogener Augenbraue, betrete ich das Wohnzimmer und stelle die Flaschen auf den Tisch. »Das hat aber lange gedauert«, nörgelt Luca vor sich hin. Ich schaue ihn etwas zu herausfordernd an, denn sogleich fragt er ob ich ein Problem hätte. In mir brodelt es und am liebsten würde ich ihn rauswerfen, doch wer weiß was Yannick dann mit mir machen würde. Also gebe ich nach und entschuldige mich dafür, dass es so lange gedauert hat. Er sieht mich nur abfällig an und legt einen seiner Füße auf den Tisch. Ich gehe ohne ein weiteres Wort direkt auf mein Zimmer.

Nach einiger Zeit, werden die Stimmen der beiden immer lauter. Zu meinem Glück sind sie jedoch beschäftigt und lassen mich in Ruhe. Um mich von dem Lärm abzulenken, höre ich mir ein paar meiner Lieblingssongs über meinen iPod an. Rasch habe ich die Augen geschlossen und versinke in einen meiner Tagträume.

Ich sitze wie so oft mit einer fremden Frau, auf der alten Hollywoodschaukel im Garten. Zwar erscheint Sie in meinen Träumen nur als Schatten, dennoch freue ich mich jedes Mal aufs Neue, wenn sie mir eine Ihrer Geschichten erzählt. So wie jetzt, wo sie einen Arm um mich legt und leise beginnt zu flüstern: »Eines Tages wird sich das Blatt wenden. Ein jeder der sich ungebührend verhält, wird die Konsequenzen seines Handelns tragen. Du musst stark sein, denn er braucht dich!«

Ein lautes Poltern holt mich zurück in die Realität und ich schaue auf die Uhr. Es ist bereits Mittag, und ich frage mich wieso meine Träume nie einen Sinn ergeben. Manchmal stelle ich mir vor, die Frau aus meinen Träumen wäre meine leibliche Mutter. Dieser Glaube hält mich am Leben, und das ist besser als jeder andere Aufmunterungsversuch. Mit einem groben Ruck steht meine Zimmertüre offen. »Befriedigst du dich schon wieder?«, säuselt mein Bruder Stock besoffen, während Luca sich vor Lachen krümmt. Entsetzt starre ich die beiden an. »Was wollt ihr?«, hacke ich nach. »Uns ist Langweilig«, entgegnen sie mit einem vielsagenden Blick in meine Richtung.

»Dann schaut euch doch einen Film an«, schlage ich in der Hoffnung das sie verschwinden vor. Jedoch ernte ich nur ein höhnisches schnauben der beiden. Yannicks Miene wird ausdruckslos und Kalt. Er packt mich am Pulli und zwingt mich auf die Beine. »Was sind denn das für Töne? Ganz schön große Klappe, findest du nicht«, fragt er und ich senke den Blick. »Entschuldige«, wimmere ich, während meine Beine Zittern und ich höllische Angst bekomme. Wenn er so angetrunken ist, weiß man nie was als Nächstes geschieht. »Nun, vielleicht verzeih ich dir. Aber nur wenn du Luca einen Bläst«. Seine Stimme klingt beängstigend gleichgültig, so als ob er das gesagte tatsächlich ernst meint. »Geht's noch«, entfährt es mir entsetzt. Sein Lachen hallt im ganzen Raum wieder. »Da ist doch nichts dabei«, klärt er mich auf und schiebt seinen Kumpel ein Stück weit in meine Richtung. Ich schlucke den aufsteigenden Klumpen in meinem Hals herunter. Ich kann einfach nicht fassen, dass er zu solchen Mitteln greift. Luca steht nun wartend vor mir, und umfasst mit seiner riesigen Hand mein Kinn. Er mustert mich abschätzend und meint dann: »Gar nicht so hässlich, man müsste dich nur mal richtig anziehen«. Panische Angst durchströmt meinen Körper und ich schlinge die arme schützend um mich. Yannick prustet los als er meinen Gesichtsausdruck sieht, und wendet sich an Luca. »Hast recht, erst mal Pimpen wir sie auf. Dann kann sie dir einen Blasen«. Beide klatschen demonstrativ in die Hände und verlassen Torkelnd mein Zimmer. Erleichtert atme ich aus. Ich kann nicht bestreiten, dass die beiden mir eine Haiden Angst eingejagt haben, was wenn sie ihre Idee tatsächlich in die Tat umsetzen geht es mir durch den Kopf. Um einen weiteren Besuch der beiden zu vermeiden, schließe ich die Tür ab. Nach etwa einer Stunde wird es bedeutend ruhiger, und den Rest des Tages lassen sie mich zufrieden. Nachdem ich meine Pflichten im Haushalt erledigt habe und das Abendessen fertig ist kann ich endlich versuchen zu schlafen.

 

Kapitel 3

 

Der laute Ton meines Weckers reist mich unsanft aus dem Schlaf. Nach einer kurzen Dusche, schlüpfe ich in einen frischen Pulli und packe meine Tasche für die Schule. Heute ist Montag und ich freue mich nach diesem frustrierenden Wochenende wieder aus dem Haus zu kommen. Anschließend trinke ich wie immer in der Küche einen Milchkaffee. Dann muss ich auch schon los. Vivien scheint noch zu schlafen, denn ich kann sie nirgends sehen. Aber das ist ja nichts Neues, wir begegnen uns, wenn es hoch kommt zweimal die Woche.

Im Schulbus setze ich mich wie immer neben Dana. Sie ist das, was der Bezeichnung Freundin am nächsten kommt. »Guten Morgen Medina«, sagt sie fröhlich. »Morgen«, gebe ich nur knapp zurück. Wir steigen aus und mein Blick fällt direkt auf Yannick. Er steht an seinem Roten Pick-Up gelehnt, und begafft alles was einen Rock trägt. Widerlich! Zum Glück ist die Kieran von Roman Oberschule so groß, dass er mich ohne Probleme ignorieren kann. Naja auf der einen Seite Kotzt es mich schon an, dass er mich nicht mitnimmt. Andererseits bin ich auch froh darüber, denn wer weiß was ihm alles einfällt, wenn ich noch mehr Zeit mit ihm verbringe. Nach dem Abi würde ich ja gerne Architektur studieren, aber wenn alles so bleibt wie bisher, dann kann ich mir das wohl abschminken. Mein Noten Durchschnitt liegt bei eins Komma fünf, das ist nicht das Problem. Es fällt mir auch leicht mich auf Klausuren vorzubereiten. Aber Yannick ist der Ansicht das mir neben dem Studium nicht genug Zeit bleiben würde um mich um meine Pflichten zu kümmern. Von daher werde ich wohl in einem Supermarkt oder noch schlimmer in einer Pommesbude enden.

Bevor ich mich in die Klasse begebe, laufe ich noch schnell in die Mensa um mir einen Kaffee zu besorgen. Der Saal ist zwar riesig, unterscheidet sich aber kaum merklich von jeder anderen Schulmensa. Lauter Tische und Stühle, eine lange Theke und ein paar Bilder unserer Sportler an den kahlen Wänden. Ich schnappe mir meinen Becher und erinnere mich freudig an die Tatsache, dass Fr. Frerks keinen aufstand macht, wenn wir während ihres Unterrichts etwas Trinken.

Wirtschaftskunde verläuft recht Interessant und ehe ich mich versehe, endet die letzte Stunde auch schon. Ich begebe mich also wieder an die Bushaltestelle und warte auf mein überfülltes Transportmittel. Während der Fahrt schweift mein Blick aus dem Fenster über unsere Schöne Kleinstadt. Man kann sich wirklich nicht beschweren, auch wenn es nur an den Wochenenden das sogenannte Highlife gibt. Ich liebe es hier! Die riesigen Grünflächen und die stille der Natur sind einfach Idylle pur. Als wir meine Haltestelle erreichen, steige ich aus und atme noch einmal kurz die befreiende Luft ein.

Zuhause angekommen stelle ich erleichtert fest das Yannick noch nicht da ist. Somit bleibt mir noch etwas Zeit, bevor ich wieder seinen Launen ausgesetzt bin. Nach einer ausgiebigen Dusche, bereite ich schnell einen Kartoffelauflauf vor und schiebe ihn in den Ofen. Es wundert mich wirklich, dass er sich noch nie über die Wahl meines Essens beschwert hat. Egal ob ich nun Pizza oder Gemüse gekocht habe.

Während ich die Überreste des gestrigen Zockerabends beseitige, öffnet sich wie immer die Wohnungstür mit einem Ruck, und lässt sie durch seinen kräftigen Tritt wieder ins Schloss fallen. »Bin da!«, ertönt seine übellaunige Stimme. »Wieso ist das Essen noch nicht fertig?«, fragt er, während er hinzufügt: »Beeil dich gefälligst, wir bekommen bald Besuch«. Ich schaue ihn reumütig an, bevor ich ihn mit zittriger Stimme frage: »Von wem?«. Ein abfälliger Gesichtsausdruck zeichnet sich auf seiner Miene ab. »Das geht dich einen Scheiß an! Aber wenn du es so genau wissen willst, Luca kommt, und bringt eine Freundin mit. Die wird dir dann beim um Stylen helfen«.

Fassungslos blicke ich zu ihm auf. Mit angespannter Haltung versuche ich meinen Standpunkt zu vertreten. »Das möchte ich aber nicht! Ich gefalle mir so wie ich bin«. Mein Ton klingt vielleicht etwas zu patzig, denn plötzlich steht er vor mir, schlägt meinen Kopf hart gegen die Wand, was mich schmerzhaft aufschreien lässt. »Klappe«, befiehlt er, während ich mir die pochende Stelle am Kopf reibe. »Ich sagte, du wirst heute um gestylt, Kapiert!«. Ich senke den Blick und starre die Maserungen unseres Fußbodens an. »Oder wolltest du noch etwas sagen?«. »Nein!«, flüstere ich ängstlich. »Dachte ich mir schon«.

Eine Stunde Später ist Luca mit dem besagten Mädchen da. Ich kenne sie bereits aus der Schule. Auch wenn sie verdammt Hübsch ist, so ist und bleibt sie doch die größte Schlampe unserer Generation. Es wundert mich nicht, dass ausgerechnet Sie hier ist. Die Art wie sie Yannick anhimmelt, ist etwas zu viel des Guten. Er stellt uns einander vor und schickt uns dann gleich auf mein Zimmer.

»Ich bin Lis. Naja eigentlich Lissy aber du kannst mich Lis nennen.« Ich schaue sie verwirrt an. »Dann wollen wir mal«, sagt sie, und holt eine Packung Haarfärbemittel aus ihrer Tasche. »Willst du dir die Haare färben?«, frage ich mit hochgezogener Augenbraue und wundere mich wieso sie das unbedingt hier machen muss. Sie schaut mich abfällig an und meint: »Natürlich nicht!«. Immer noch ahnungslos frage ich: »Okay, und wem Dann?«. »Boah, Mädel, dir natürlich«. Mein Magen zieht sich krampfhaft zusammen. »Auf keinen Fall?«, protestiere ich sofort, während sie mich missbilligend anstarrt. »Würde aber echt nicht schaden! Außerdem meinte Yannick, ich soll dafür sorgen das du vorzeigbar bist«. Ich zucke die Schultern. »Gut, wenn du keinen Bock draufhast, dann geh ich halt wieder«, schnaubt sie verärgert und schüttelt den Kopf. So ein verdammter Mist! Wenn sie jetzt zu Yannick rennt und ihm mitteilt das ich nicht will, dann gibt es richtig Stress. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie ängstlich ich bin, denn ohne Zweifel habe ich keine Lust die Konsequenzen zu tragen, wenn ich mich weigere. Also stoppe ich sie und bedeute ihr damit einverstanden zu sein.

Ich setze mich hin und sie beginnt mit dem Auftragen der Farbe. Das Zeug brennt höllisch auf meiner Kopfhaut. Wahrscheinlich sind das die Nachwirkungen von Yannicks schlag vorhin. Nach etwa einer halben Stunde, wäscht sie alles wieder aus, und ich folge ihr zurück in mein Zimmer. Sie wirft mir eine sehr eng geschnittene Jeans hin und ein Trägerloses wenn auch schlichtes Tanktop. »Probier's an«, sagt sie und ich folge. Danach dreht sie meine Haare mit einem Lockenstab auf, und holt eine ganze Menge an Makeup hervor. Ich staune nicht schlecht über die Tatsache, wie gut sie ausgerüstet ist. Nach ihrer Schmink-Attacke stellt sie mich direkt vor den Spiegel und ich öffne die Augen. »Oh mein Gott«, entfährt es mir etwas zu laut. Ich erkenne mich nicht wieder. Mein Abbild zeigt mir lang gewelltes Haar in einem feurigem Rot Ton. Ein blasses Gesicht mit Schwarzem Lidstrich bringt meine Türkisen Augen zum Leuchten. Sie stehen im Krassen Kontrast zum Rest meines schüchternen Auftretens. Der gesamte Look ist verrucht und irgendwie fremd, es passt überhaupt nicht zu mir. »Hammer oder? Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich dich so scharf raus putzen kann«, feiert Lis sich eine Spur zu viel für meinen Geschmack. Ich starre sie sprachlos an. »Los komm, Luca wartet schon«. Ihr Ton lässt mich nichts Gutes vermuten. Anscheinend geht sie davon aus, dass ich mich irgendwie für ihn interessiere.

Als wir das Wohnzimmer betreten, sind die beiden schon gut angetrunken. Etliche Bierflaschen stehen auf dem Tisch, sowie eine angefangene Buddel Schnaps. Lucas Blick klebt förmlich auf mir und auch Yannick scheint zufrieden. »Hab ich's nicht gesagt Alter, die ist echt scharf«, wirft Luca an Yannick gerichtet ein. Lis versucht sich derweil mit allen Mitteln an meinen Bruder heran zu schmeißen, doch sein Interesse hält sich in Grenzen. Dann schlägt sie vor eine runde Flaschendrehen zu spielen. Wie kindisch. Doch die Jungs stimmen freudig zu. Luca setzt sich neben mich und Lis gesellt sich zu meinem Bruder. Die Flasche dreht sich und zeigt sogleich auf Luca, der mich Küssen soll. Zuerst weigere ich mich. Doch ein finsterer Blick meines Bruders reicht, um meine Meinung zu überdenken. Ein paar harmlose Sachen werde ich über mich ergehen lassen. Sollten sie jedoch auf die Idee kommen, etwas Intimeres zu verlangen, bin ich raus. Luca presst freudig seine feuchten Lippen auf meine und mir wird schlecht. Als nächstes ist er an der Reihe und die Flasche zeigt auf Lis. Er fordert sie ebenfalls auf jemanden zu küssen. Oh Wunder, ihre Wahl fällt auf Yannick. Nach einigen runden, die genauso beschissen waren wie die erste, ist Lis wieder dran. Sie erteilt mir die Aufgabe meinen Stiefbruder zu Küssen. Sie und Luca sind bereits so betrunken, dass sie völlig angetan sind von dieser Idee. Dabei wundere ich mich nur wieso sie sich solch eine Aufgabe aussucht, wo es doch mehr als offensichtlich ist, dass sie was von Yannick will. Lis und Luca geben Anfeuerungsrufe von sich, während Yannick mich abwartend ansieht. Ich lehne mich zu ihm rüber und lege meine Lippen auf seine Wange. Im selben Moment dreht er jedoch den Kopf und Küsst mich aufdringlich und wild auf den Mund. Sofort löse ich mich von ihm und funkle Ihn Böse an. »Spinnst du!?«. Alle drei lachen laut, und ich stehe da wie der letzte Depp. Als sei es völlig normal seiner Schwester die Zunge in den Hals zu stecken.

Aufgebracht versuche ich den Zirkus zu verlassen, als Lis neckend fragt: »Jo Medina, wie war der Kuss?«. Zunächst Ignoriere ich sie, doch als sie ein zweites Mal provozierend fragt, antworte ich: »Weiß nicht, hab ja nicht mit Hunderten von Kerlen Rum gemacht, so wie du!«. In ihren Augen steht purer Hass. Yannick und Luca hingegen scheinen sich sehr zu Amüsieren. Schließlich entlässt Yannick mich und ich verschwinde endlich. Zur Sicherheit schließe ich wieder meine Türe ab. Langsam komme ich zur Ruhe und kann das erlebte verarbeiten. Zumindest hoffe ich das!

Kurze Zeit später denke ich darüber nach, wieso ich meine Mutter nie kennen lernen durfte? Ich meine, was habe ich dem Herrn da oben getan, dass er sie mir schon kurz nach meiner Geburt genommen hat. Ich weiß rein gar nichts über sie. Hätte ich mich nicht von meinem Vater überzeugen lassen, dass es besser ist keine Fragen über sie zu stellen, müsste ich mich jetzt nicht dauernd damit beschäftigen, ob sie sich auf mich gefreut hat.

 

Kapitel 4

 

Ein lautes poltern an der Tür lässt mich die Augen öffnen. »Komm runter«, brüllt Vivien nicht gerade mütterlich. Da es ohnehin Zeit wird, stehe ich etwas gerädert auf und mache mich auf den Weg zu ihr in die Küche. Wie immer trage ich nur ein Schlafshirt das mir gerade mal bis knapp über die Knie reicht. Sie hat bereits Kaffee gekocht und fürs Frühstück eingedeckt. Na Immerhin! Yannick sitzt ebenfalls schon am Tisch und sieht mich komisch an. Irgendwie ist es seltsam, dass sein Blick einen Moment zu lange auf meinem Körper ruht. Bisher musste ich mir nie Gedanken darüber machen, wenn ich halb nackt im Haus rumgelaufen bin, doch das war bevor er mich geküsst hat. Ich setze mich, während Vivien beiläufig fragt ob alles in Ordnung ist. Ich weiche ihrer Frage aus, und hüpfe nachdem Frühstück kurz unter die Dusche. Auf der Suche nach sauberer Bekleidung, fällt meine Wahl wie immer auf einen lockeren Pulli und eine schlichte Jeans. Nachdem ich mir den Rucksack über die Schulter geworfen habe, verabschiede ich mich von meiner Stiefmutter. In der Zwischenzeit steht Yannick lässig im Flur und beobachtet uns. Zum ersten Mal scheint Vivien zu bemerken, dass wir nicht gemeinsam fahren. Sie sieht uns verwundert an, und richtet das Wort an ihren Sohn. »Wieso nimmst du deine Schwester nicht mit zur Schule?«. Abwehrend hebt er die Hände und sieht sie so unschuldig an, dass mir fast schlecht wird. »Habe es ihr mehr als einmal angeboten. Sie wollte nicht«, rechtfertigt er sich.

Es wundert mich kein Stück das er mir die Schuld zuschiebt. Wieso kann er nie die Wahrheit sagen? Achselzuckend steht er da. Am liebsten würde ich ihn anbrüllen und Vivien sagen, dass ihr Sohn sich schämt mit mir gesehen zu werden, doch das verkneife ich mir lieber. Einen kurzen Moment mustert sie uns bevor sie das Wort erhebt. »Das ist doch Quatsch. Medina ich möchte das du ab sofort bei deinem Bruder mitfährst, Verstanden«. Sein lächeln ist ein fieses grinsen, dass mich nichts Gutes erahnen lässt. Als er seine Mutter mit den Worten: „Wie gesagt, ich habe kein Problem sie mit zu nehmen“, beschwichtigt könnte ich vor Wut platzen, doch da Vivien zufrieden lächelt, setze ich eine fröhliche Miene auf und schweige. Yannick drückt auf den Knopf der Zentralverriegelung und bedeutet mir einzusteigen.

Das ist nicht gut. Gar nicht gut! Wortlos startet er den Motor, doch anstatt den gewohnten Weg zu nehmen, biegt er in ein kleines Waldstück ein, und hält an. »Steig aus!«, befiehlt er, und ich setze mich in Bewegung. Er kommt um den Wagen herum, und stützt die Hände links und rechts neben mir ab. Dann drängt er mich gegen die Scheibe des Wagens. »Du überhebliches Drecksstück, was bildest du dir überhaupt ein, deinen Arsch in meinen Wagen zu setzen?«.

Kurz frage ich mich ob tatsächlich, dass sein Problem ist, doch dann sehe ich ihn nur Verständnislos an. »Du hast Vivian doch gehört«, verteidige ich mich sofort. Doch noch bevor ich es kommen sehe, verpasst er mir einen kräftigen Schlag in die Magengrube. Reflexartig stemme ich meine Hände vor den Oberkörper, um weitere Schläge abzuwehren. »Was habe ich denn getan?«, frage ich vorwurfsvoll. Ungläubig starrt er mich an. Als ob ich genau wissen müsste wo das Problem liegt. »Du hättest ganz einfach nein sagen können«, antwortet er abfällig. »Ja genau«, nuschle ich kaum hörbar vor mich hin. Leider scheint er meine Worte nur allzu genau verstanden zu haben. »Pass auf was du sagst«, droht er und holt erneut aus. Seine Faust trifft mich unterhalb der Brust, was mir einen höllischen Schmerz durch den Körper jagt. Ich ringe nach Luft und flehe: »Bitte hör auf«. Doch das lässt ihn wie immer eiskalt. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt so was wie ein Gewissen hat. »Was habe ich dir getan? Wieso hasst du mich so?«, bringe ich unter Tränen hervor. Er kneift die Lieder zusammen und schubst mich, so dass ich mit dem Hintern unsanft auf dem Boden aufkomme. »Was du mir getan hast?«, zischt er wütend und ich bekomme Angst. »Du hast unseren Vater auf dem Gewissen. Wieso darfst du Leben, während er sterben musste«. Er sieht mich abwartend an. Doch als keine Antwort kommt sagt er: »Du bist nicht mehr wert als ein Stück Dreck«. Alles in mir zieht sich zusammen, denn seine Worte treffen mich vollkommen unvorbereitet. »Es war ein Unfall«, verteidige ich mich und schlinge die arme schützend um meinen Körper. Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich spüre den Schmerz, doch ich darf ihn nicht zulassen. Denn dann hätte er genau das was er will. Je mehr ich offensichtlich leide, umso aggressiver wird er. Er beugt sich zu mir herunter und zieht mich am Hinterkopf in sein Sichtfeld. »Hast du mir noch was zu sagen?«, fragt er provozierend und ich weiß genau was er jetzt hören will. »Es tut mir leid. Bitte, es wird nie wieder vorkommen«, verspreche ich, während sich seine Gesichtszüge entspannen. »Das will ich für dich hoffen«, entgegnet er und steigt in seinen Wagen. Ohne einen weiteren Blick auf mich zu werfen startet er den Motor und fährt los.

Den gesamten Weg zur Schule muss ich nun laufen, daher komme ich prompt zu spät. Hr. Williams mein Englischlehrer sieht mich wütend an. Zum Glück bin ich seine beste Schülerin, weshalb er nochmal ein Auge zudrückt. Schnell setze ich mich und lausche dem Rest des Unterrichts. Doch ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Viel zu sehr, beschäftigt mich das gesagte von Yannick. Ich denke darüber nach, wieso er so ausgetickt ist. Wenn ich doch nur irgendwelche Verwandten hätte. Ich würde sie auf der Stelle bitten mich aufzunehmen. Nur leider gibt es da keinen. Meine Eltern waren beide Einzelkinder, und meine Großeltern sind beide gestorben als ich zwei war. Sobald ich achtzehn bin ziehe ich aus. An diese Hoffnung klammere ich mich jetzt schon so lange, und genau das ist es, was mir halt gibt. Ja man könnte sich durchaus fragen, wieso ich mich niemandem anvertraue.

Da wäre zum einen, das mir keiner glauben würde, man würde vermuten, dass ich unter dem durchgemachten verrückt geworden bin. Am Ende lande ich noch in der Klapse. Und zum zweiten, ich bin ein niemand, ein lästiges Insekt, dass man einfach zertrampelt, wenn es einem zu doll auf die Nerven geht. Ihn hingegen lieben alle! Keiner würde sich freiwillig mit ihm anlegen, oder sich gegen ihn stellen. Ein angesehener Schüler, mit ausgezeichnetem Ruf, und beliebt beim Direktor. Bisher hat er es immer geschafft, jeden um den Finger zu wickeln. Ein Typischer Gewinner! Vor allem bei Vivien steht er ganz oben auf der Liebe-Junge-Liste. So wie die Tatsache, dass er nicht ganz unrecht hat. Denn ich bin wirklich schuld am Tod unseres Vaters.

Ach alles ausreden, flüstert mein Unterbewusstsein. Tja, vielleicht hat es ja ausnahmsweise mal recht. Ich bin einfach zu feige mich dem zu stellen, was dann automatisch folgen würde. Mitleidige Blicke, komische Fragen und ungewolltes Aufsehen. Nein danke! Ich will nicht verhört werden um Tausendmal die gleichen Fragen zu beantworten. Alles in der Hoffnung das ich mich irgendwann verstricke, damit sie ihn dann doch wieder frei lassen können.

In der Pause folge ich wortlos den anderen Schülern auf den Pausenhof. Ich stelle mich zu Dana und ihren Freundinnen, sie Ignorieren mich zwar, aber immer noch besser als allein zu stehen. Lis kommt wie immer perfekt Gestylt zu uns herüber und fragt: »Na Medina, konntest du noch gut schlafen, immerhin hast du ja gestern Abend den heißesten Typen der ganzen Schule geküsst. Deinen eigenen Bruder!«. Alle starren mich entsetzt an. »Medina das ist echt widerlich. Wusste gar nicht das du auf Inzest stehst«, spottet Dana. »Obwohl bei so einem Hotten Bruder, würde ich wahrscheinlich auch schwach werden«, mischt sich Kim ein, die ebenfalls bei uns steht. Die Situation ist mir mehr als Peinlich. Ich verlasse auf der Stelle das Schulgelände, um mich den Rest der Woche krank zu melden.

Zuhause angekommen versuche ich, meinen Kopf frei zu kriegen. Ich hasse es, wie schnell die Gerüchteküche an dieser beschissenen Schule brodelt. Meine Aufsteigenden tränen verwehren mir die weitere Sicht, deshalb schlafe ich schließlich völlig verheult ein.

»Komm zu mir!«, ruft mich die Stimme der mir bekannten Schattenfrau. Ich strecke die Arme nach ihr aus, doch mein Vater hindert mich daran zu ihr zu gehen. »Du musst nach Hause kommen«, bittet sie verzweifelt. Doch ich bin gefangen, kann mich nicht aus seiner Umarmung lösen. »Lass mich endlich gehen Vater«, flehe ich mit Tränen in den Augen. Und zum ersten Mal gibt er nach, und ich bin frei. Der Schatten zieht mich zu sich und ich werde weggetrieben.

Unsanft reißt mich jemand aus dem Traum. »Nein, lass mich in Ruhe«, protestiere ich im Halbschlaf. »Steh sofort auf!«, zischt Yannick neben mir. Blinzelnd öffne ich die Augen und sehe ihm direkt in sein erzürntes Gesicht. »Wie kommst du dazu, jedem zu erzählen das wir uns geküsst haben. Tickst du noch richtig, wie steh ich denn jetzt da?«, brüllt er aufgebracht und ballt seine Hände zu Fäusten. Ängstlich setze ich mich auf, da zieht er mich auch schon so fest am Haar, dass ich unwillkürlich aufschreie. »Beantworte gefälligst meine Frage«, zischt er und schlägt seine Faust neben mir an die Wand. »Das war nicht ich«, rechtfertige ich mich sofort, doch das scheint ihn überhaupt nicht zu interessieren. Seine Hand legt sich um meinen Hals, und er zieht mich auf die Beine. »Hör auf mich zu verarschen. Du warst es, weil du dir durch mich einen besseren Ruf erhoffst, aber das kannst du vergessen«, presst er zwischen den Lippen hervor. Kopfschüttelnd sehe ich ihn flehend an. Er beugt sich gefährlich nahe über mich und drückt meinen Körper mit seinem Knie tiefer in die Matratze. Ich beiße die Zähne zusammen und wimmere: »Yannick Bitte, du tust mir weh!«.

»Na das hoffe ich doch«, sagt er bedrohlich und durchbohrt mich mit seinem Blick. Erschrocken zucke ich zusammen, als er wie gestern Abend seine Lippen auf meine legt. »Lass den Scheiß«, gebe ich wütend von mir und versuche vor ihm zurück zu weichen. Doch diesmal ist er fordernder. Er hebt mein Kinn fest an und meint: »Das wolltest du doch, darauf hast du es doch angelegt mit deiner kleinen Story«. Erschrocken über seine absurden Worte hauche ich nur: »Nein! Du Spinnst ja, lass mich sofort in Ruhe«. Sein Griff ist eisern und ich habe keine Chance mich daraus zu befreien. Seine Faust trifft erbarmungslos auf meinen Kiefer und schon knacktes. »Au!«, entfährt es mir unter Tränen. Reflexartig presse ich meine Hand gegen die schmerzende Stelle. Etwas Kaltes berührt meine Lippen, und läuft mir in den Mund. Es schmeckt nach Schnaps. Widerlich! Ich würge und bin kurz davor mich zu übergeben. Ein weiterer Schlag auf meine Lippe, füllt meinen Mund zusätzlich mit dem metallischen Geschmack von Blut und ich spüre nur noch Schmerz. Dann ergreift ein höllisches Brennen Besitz von mir, und ich schreie trete und versuche mich erneut aus seinem festen Griff zu befreien, doch er ist einfach zu stark. »Halt dein Maul«, faucht er, doch das kann ich nicht. Viel zu stark ist der Drang ihm entkommen zu wollen.

Da ich seiner Aufforderung nicht nachgekommen bin, schnappt er sich eines meiner Kissen und presst es so gewaltig auf mein Gesicht, dass ich augenblicklich keine Luft mehr bekomme. Gleich werde ich ersticken! Meine Schreie sind längst verstummt, als ich mich der Anziehungskraft hingebe die mich in ihr schwarzes Loch zieht. Ich spüre keinerlei Empfindung mehr. Als würde ich weggetrieben, auf eine andere Seite. Mein Körper entgleitet mir, und ich habe das Gefühl eine leere Hülle zu sein. Es läuft wie in Zeitlupe ab. Ich muss träumen. Vielleicht bin ich auch schon Tod. Ich schwebe, während der Nebel den Rest meiner Sicht umhüllt.

Kapitel 5

 

Langsam komme ich zu mir und öffne die Augen. Ich liege auf dem Bett, in meinem Zimmer. Warte! Irgendwas ist hier nicht richtig. Mein Blick schweift im Raum umher und ich erkenne, einen modernen Kleiderschrank mir gegenüber. Ein passendes Siteboard, und eine art Designer Schreibtisch. Erst jetzt bemerke ich, dass auch mein Bett ein völlig anderes ist. Jedes teil in diesem Raum ist absolut Harmonisch aufeinander abgestimmt, und entspricht, so gar nicht meinem Geschmack. Es sieht zwar genauso aus wie mein Zimmer, doch die Einrichtung ist eine völlig andere. Was zum Teufel ist hier los? Krampfhaft versuche ich mir irgendetwas ins Gedächtnis zu rufen, dass diese Situation hier erklären würde, doch ich bin viel zu aufgewühlt. Plötzlich fällt mir wieder ein, was Yannick mir angetan hat. Die Schändlichen Bilder fressen sich in meinen Kopf und ich stelle mir die Frage, wieso ich keinerlei Schmerz verspüre. Denn zu meinem bedauern, erinnere ich mich sehr genau an seine Faust auf meinem Kiefer. Beim Gedanken daran fast erstickt zu sein, erschaudere ich. Diesmal ist er zu weit gegangen! Als ich mich wieder gefangen habe, denke ich darüber nach, wie er es geschafft hat, mein gesamtes Zimmer umzuräumen. Es macht mich rasend vor Wut. Ob er jetzt vollkommen durchgedreht ist. Vermutlich! Wo ist er überhaupt, es ist doch sonst nicht seine Art mich allein zulassen, während ich noch voller Schmerz im Schockzustand bin. Komisch.

Ich versuche meine Gedanken zu ordnen und richte mich auf. Die suche nach Ihm gestaltet sich schwierig, denn schon nach dem ich aus meinem Zimmer gehe, sehe ich das unmögliche. Hier hat sich alles verändert. In jedem Raum vom Bad bis zur Küche ist wie oben, alles aufeinander abgestimmt. Wie zum Teufel kann er sich das leisten? Es ist nichts mehr von unserem alten Kram übrig. Nichts gewohntes tritt in mein Sichtfeld und ich beginne langsam zu verzweifeln. Die neuen Möbel sind zwar voll und ganz im Trend, jedoch viel zu eintönig. Nur wenige Farbakzente mischen sich unter das kühle Anthrazit. Man kommt sich vor wie in einem Ausstellungshaus. Überall riesige Glasfronten, noble Gegenstände und große Grünpflanzen die zur Dekoration beitragen sollen. Dann fällt mein Blick auf die Tageszeitung in der Küche, und ich erstarre. Da steht eindeutig das Datum von Heute. Das kann gar nicht sein, wie hätte er in den paar stunden, als ich Bewusstlos war, alles verändern können? Nein, das ist absolut nicht möglich! In der Hoffnung das ich einfach nur träume, begebe ich mich nach draußen. Doch als mein Blick auf die wunderschöne Kirchbaumblüte fällt, die mein Vater mit mir gepflanzt hat, weiß ich es. Ich bin Zuhause! Nur das während ich Bewusstlos war, irgendjemand das gesamte Haus neu eingerichtet hat. Ich schlage mir die Hände vor's Gesicht und schüttle den Kopf. Ich bin verrückt geworden! Langsamenschrittes begebe ich mich in den Flur und erhasche einen Blick in den Spiegel. Er zeigt mir mein gewohnt blasses Gesicht. Die Rot gewellten Haare, und meinen üblichen Look. Jeans und Pulli. Ich sehe völlig normal aus. Mein Puls beschleunigt sich, denn ich habe ein mulmiges Gefühl. Ich weiß nicht wo ich bin, zumindest erkenne ich nichts vertrautes wieder. Vielleicht bin ich ja im Himmel! Während meines Gedankenlaufs, gehe ich ins Wohnzimmer und erschrecke mich fast zu Tode. Jemand steht mit verschränkten Armen vor der Brust da, und mustert mich kritisch. Ein erstickter laut dringt ihm aus der Kehle. Wütend kommt er direkt auf mich zu, packt mich grob am arm, und fixiert mich mit seinen Händen. »Was hast du hier zu suchen«, hackt er nach. Erschrocken kneife ich die Augen fest zusammen und versuche mich vergebens aus seinem Griff zu winden. »Zappel nicht so rum«, weist er mich an und kramt nach irgendetwas in seiner Hosentasche.

Erschrocken halte ich inne, als ich bemerke das es Yannick ist. Naja, zumindest die Streber Version von ihm. Sein schwarzes Haar ist kürzer und fein säuberlich gegeelt. Er Trägt eine blaue Jeans und ein Weißes Hemd, dazu einfache Sneaker. Seine grünen Augen strahlen wärme und Freundlichkeit aus. Das habe ich, so bei ihm noch nie gesehen. Zugegeben dieser Look steht ihm gar nicht so schlecht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, hier steht ein völlig fremder vor mir. »Ich hoffe du hast eine gute ausrede für die Polizei parat«, unterbricht er meine Gedanken. »Polizei?«, wiederhole ich schockiert und starre ihn an. »Du scheinst nicht ganz bei dir zu sein, was«, antwortet er woraufhin ich wild um mich schlage. »Las mich los du Psycho. Wenn du das tust, werde ich ihnen alles erzählen«, brülle ich verzweifelt und wische mir eine träne aus dem Gesicht. Tatsächlich lockert er seinen Griff etwas und sieht mich angriffslustig an. »Willst du mich verarschen? Du steigst bei mir ein und besitzt allen ernstes die Frechheit mir zu drohen«, fragt er mit hochgezogener Augenbraue. »Eingestiegen«, wiederhole ich ungläubig und bleibe ganz still vor ihm stehen »Ich weiß ja nicht wonach das für dich aussieht, aber für mich bist du hier unerwünscht eingedrungen. Ich kenne dich nicht und soweit ich weiß waren wir nicht verabredet, also was willst du hier«, fragt er eindringlich. Hilflos versuche ich heraus zu finden was mit ihm los ist. »Hast du jetzt den Verstand verloren?«, hacke ich entsetzt nach. »Mädel, du befindest dich in meinem Haus. Wenn hier also jemand den verstand verloren hat, dann ja wohl du«, giftet er zurück. Misstrauisch starre ich ihn an, kann mir einfach nicht erklären was er mit diesem Verhalten bezwecken will. »Hallo, sagst du mir jetzt endlich, was du hier gesucht hast, vielleicht kann ich dir ja helfen«, bietet er an. Natürlich weiß ich das er das nicht ernst meint. »Das ist nicht Lustig. Wie hast du es geschafft so schnell das ganze Haus zu verändern und was hast du mir da vorhin eingeflößt?«, versuche ich etwas Klarheit zu bekommen. »Wovon redest du bitte. Du bist ja völlig Irre. Mir bleibt wohl doch nichts anderes übrig als die Polizei zu rufen«, sagt er sichtlich irritiert über meine Äußerung. »Okay Yannick, Pass' auf, Er wirkt als hätte ich ihn mit einem Geisternamen angesprochen. ich kann mir nicht erklären, was hier gerade passiert. Obwohl, vielleicht war einer deiner Schläge ja zu hart. Vielleicht bin ich deshalb so durcheinander. Immerhin hast du mich diesmal fast umgebracht«, versuche ich mein verhalten zu erklären. Völlig verstört durchbohrt mich sein Blick. »Was erzählst du da für einen Stuss? Ich werde lieber einen Psychiater rufen, anstatt eines Polizisten«, gibt er fassungslos von sich und schüttelt den Kopf. »Was, Nein! Bitte las uns darüber reden, las mich los, bitte«, flehe ich und hoffe das er wenigstens noch einen kleinen funken anstand besitzt. Er schubst mich in Richtung Sofa und befiehlt, mich hinzusetzen. Wie verlangt nehme ich platz. Seine Augen taxieren mich und er fordert eine Erklärung für mein Dasein. »Ich wohne hier verdammt nochmal«, versuche ich mich erneut zu rechtfertigen. Doch meine Worte machen ihn nur noch wütender, deshalb versuche ich erst einmal etwas anderes. »Es tut mir leid das jetzt alle denken wir hätten was miteinander, aber das ist wirklich nicht meine Schuld. Ich verspreche dir, es wieder gut zu machen. Ich erzähle auch niemandem das du versucht hast mich umzubringen. Bitte las mich jetzt in ruhe«, bettle ich mit zittriger stimme. »Wer zum Teufel bist du? Und was meinst du mit, ich habe dich fast umgebracht? Ich kenne dich ja nicht mal«, fährt er mich an. Mein Körper beginnt zu zittern und ich flehe kleinlaut: »Hör auf damit! Bitte du machst mir angst Yannick«. Erneut sieht er mich wie erstarrt an. »Bist du aus der Psychiatrie geflohen?«, fragt er in ernstem Ton. Man sieht ihm deutlich an, dass ihn die Situation überfordert und wenn es nicht so absurd wäre, würde ich ihm glauben das er nicht weiß wovon ich rede. Aber das kann nicht sein, Oder!? »Ich habe weder das Haus umgestellt, noch kenne ich dich. Und im übrigen heiße ich Jayden. Also bitte kläre mich auf!«, sagt er und durchbricht damit meine Gedankengänge. »Was ist das für ein Spiel, das du hier treibst? Wieso tischt du mir diesen Schwachsinn auf, willst du das ich mich für Geisteskrank halte oder was?«. Und dann dämmert es mir. Genau das ist es was er will, mich für bekloppt erklären. Jetzt weiß ich auch was er mir eben gegeben hat. Es muss irgendetwas sein, das Halluzinationen auslöst. Dieses miese Schwein.

»Also, ich für meinen Teil denke du bist total Voll gedröhnt. Du solltest wirklich weniger von dem Zeug nehmen wenn du es nicht verträgst«. Seine Worte bestätigen meinen Verdacht und ich zucke innerlich zusammen. Sein Plan ist gut, denn ich werde keine Chance haben mich heraus zu reden. Keiner wird mir glauben, alle werden mich für verrückt halten und ich werde für den Rest meines Lebens weggesperrt. Am liebsten würde ich ihn beschimpfen, mir eine der Vasen schnappen und sie ihm über den Kopf ziehen, doch dann hätte er genau das was er wollte, also entscheide ich mich dagegen. »Yannick bitte, du kannst jetzt aufhören. Ich habe es begriffen. Du willst mich los werden. Aber das muss nicht auf diese weise geschehen. Ich werde gehen und du wirst mich nie wiedersehen, bitte tu mir das nicht an«. Meine Worte klingen mehr als verzweifelt und ich hasse mich dafür, ihm so viel macht über mich zu geben. »Du tickst doch nicht ganz richtig«, verteidigt er sich. »Man, was habe ich dir nur getan, dass du so geworden bist. Immerhin sind wir Geschwister, es gab mal eine Zeit«. »Stop mal«, unterbricht er meinen Redefluss. »Du glaubst wir sind Geschwister? Das wird ja immer schöner. Ich kenne dich nicht. Du bist ja noch geisteskranker als ich gedacht habe«. War ja klar, dass er darauf besteht das wir nur Stiefgeschwister sind. Er scheint wirklich etwas im Schilde zu führen. Das kann doch alles nicht wahr sein. Mein Puls Rast und meine Atmung geht schneller. Unfähig noch etwas zu sagen, wird mir schwarz vor Augen, und ich verliere das Bewusstsein.

Nur am Rande nehme ich wahr das mich die starken arme meines Bruders noch rechtzeitig auffangen. Wieso er das tut kann ich beim besten willen nicht nachvollziehen. Immerhin hat er dadurch die Chance, dass ich mir durch den Sturz einen Schädelbruch zu ziehe verwirkt.

Kapitel 6

 

Ich komme nur langsam wieder zu Bewusstsein. Neben mir erkenne ich die Gestalt meines Bruders. »Wie geht es dir?«, fragt er und mustert mich besorgt. Ich sehe ihn misstrauisch an, kann nicht verstehen was hier vor sich geht. »Kopfschmerzen«, nuschle ich etwas benommen vor mich hin. Seine Lippen verziehen sich zu einem leichten grinsen. Dann reicht er mir eine Schmerztablette und ein Glas Wasser. Ich kann nicht glauben das er erneut versucht mir etwas zu verabreichen. Wachsam setze ich mich auf und lasse meiner aufgestauten Wut freien lauf. »Vergiss es, ich werde mir ganz bestimmt nicht noch mehr Drogen von dir einflößen lassen«. »Ich habe dir nichts verabreicht. Ich will nur helfen«, schnaubt er und schüttelt den Kopf. »Helfen? Das ich nicht lache«, erwidere ich auf seine dreisten Worte. Entschlossen nimmt er das Glas in die Hand und trinkt einen kräftigen Schluck. »Siehst du, nur Wasser«, verteidigt er sich. Meine kehle ist furchtbar trocken, aber so ganz traue ich ihm trotzdem nicht. Wer weiß schon was in seinem Hirn vor sich geht. Doch der drang nach etwas kühlem das meine Kehle befeuchtet ist stärker, und so nehme ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch das Glas entgegen und trinke. »Wir müssen über das reden was du gesagt hast«, erklärt er ruhig aber bestimmt. Anhand seines Blickes erkenne ich das er ebenfalls verwirrt ist, und für einen kurzen Augenblick bekomme ich das Gefühl das er doch nicht so hinterhältig und Intrigant ist wie ich ihn einschätze. Ich schaue ihn an und nicke zur Bestätigung das er seine Fragen stellen soll. Erneut beginnt er und schwört weiterhin mich nicht zu kennen. Da mir das ganze langsam tierisch auf die nerven geht, ändere ich meine Strategie und gehe auf sein Spielchen ein. Sorgfältig formuliere ich den ersten Satz, doch die Wut packt mich und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Unfähig mich dagegen zu wehren, erzähle ich ihm alles was er mir tagtäglich antut.

Nach einer kurzen Minute des Schweigens überlege ich das es vielleicht ganz gut ist, ihm mal vor Augen zu führen, wie schrecklich sein verhalten mir gegenüber eigentlich ist. In seiner Miene spiegeln sich Abscheu, ekel und Unverständnis wieder. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich glauben das er wirklich nicht weiß worüber ich gerade gesprochen habe. »Du bist ja völlig durchgeknallt, ja vielleicht sogar geistesgestört«. Er schüttelt den Kopf und reibt sich die Schläfen. »Wie kann man sich nur so zudröhnen?«, fragt er jetzt vier ruhiger und wirkt völlig ratlos. Ich beiße mir auf die Unterlippe und atme tief ein, doch bevor ich etwas sagen kann wiederholt er ein paar meiner Sätze. »Du willst mir also sagen: wir wohnen nicht nur gemeinsam in diesem Haus sondern ich bin auch noch dein Stiefbruder? Seid neustem versuche ich dich umzubringen und das nur weil du nicht mit meinem Freund Luca schlafen möchtest? Aber der krönende Abschluss ist, dass ich mit der aktuellen Situation versuche dich in die Klapse einweisen zu lassen, verstehe ich das richtig?!«. Ich nicke stumm damit er nicht das Gefühl hat das ich ihn ignoriere, doch wenn ich über sein gesagtes nachdenke wirkt es tatsächlich etwas abgedreht und verstörend. »Das klingt völlig Absurd, ist dir das eigentlich Klar? Für mich bist du eine verrückte Fremde, die von mir auf ihrem Raubzug entdeckt wurde, und um nicht in den Knast zu müssen tischst du mir jetzt diese Geschichte auf. Das Zeug was du eingenommen hast macht dich ja völlig Irre. Lass um Himmelswillen die Finger davon«, sagt er und ich erkenne tatsächlich so etwas wie Besorgnis in seinem Blick. »Ich werde jetzt einen Krankenwagen rufen und die Polizei informieren«.

Geschockt und ohne darüber nachzudenken springe ich vom Sofa hoch und stelle mich vor ihn. Tränen laufen mir übers Gesicht und ich versuche an sein gewissen zu appellieren: »Bitte tu das nicht! Ich weiß tief in dir ist noch etwas gutes, du musst nicht so sein«. Er wirkt überrascht, scheint nicht so recht zu wissen was er jetzt machen soll. »Ich will dir doch nur helfen«, flüstert er kaum hörbar. »Bitte du kannst mich doch nicht gegen meinen Willen in die Klapse bringen, nur damit du mich los wirst. Ich suche mir eine Wohnung, ich verschwinde aus deinem Leben. Bitte, ich Versprech's, aber tu mir das nicht an. Auch wenn du mich abgrundtief hasst, ich bin noch immer deine Schwester. Bitte Yannick, bitte«, flehe ich mit all meiner kraft, und trommele apathisch gegen seine Brust. In mir ist eine gewaltige leere und ich weiß nicht mehr was ich noch tun soll. Für ihn muss ich in dieser Situation erst recht wie eine verrückte wirken. »Ich habe keine Drogen genommen, und das weißt du auch«, versuche ich es nochmal, wobei sich meine Stimme fast überschlägt. Tränen laufen mir über die Wange und pure Angst macht sich in mir breit. Plötzlich sieht er mir tief in die Augen und ergreift meine Hände. »Beruhige dich«, sagt er, haucht mir aufmunternde laute ins Ohr und küsst die Stelle unter meinem Ohrläppchen. Mit so einer Reaktion habe ich am wenigsten gerechnet, und um ehrlich zu sein bin ich gerade etwas überfordert. Wieso tut er das? Eine solche Geste ist völlig unangebracht, zumindest wenn ich bedenke in welcher Lage wir uns befinden. »Hab keine Angst, auch wenn ich es nicht erklären kann, Ich würde dir niemals etwas tun. Sieh es doch bitte ein, du brauchst Hilfe«, erklärt er sanft, streichelt mir übers Haar und ich habe das Gefühl am Abgrund zu stehen. »Pass auf, Ich werde einen freund anrufen, er ist Arzt, und vielleicht weiß er was wir tun können«, erklärt er, während sich mein Magen zusammenzieht. Ich begreife genau was hier los ist und mit jeder Sekunde die verstreicht weiß ich das ich verloren habe. Ich werde in einer Psychiatrie enden und habe keine Chance mich dagegen zu wehren. Ohne auf eine Reaktion meinerseits zu warten ruft er ihn an und ich stehe wie angewurzelt da. Meine einzige Chance ist so schnell wie möglich hier abzuhauen, also nehme ich meine Füße in die Hand und laufe los. »Tu das nicht«, höre ich ihn noch rufen, da bin ich bereits aus der Haustür. Weit komme ich jedoch nicht, denn mit Leichtigkeit hat er mich eingeholt und hindert mich am weiter gehen. »Was soll das?«, hackt er wütend nach und zieht mich am arm wieder ins Haus hinein. Sein Griff lockert sich keinen Zentimeter und er fordert eine Antwort. Schweigend starre ich vor mich hin, als er plötzlich doch von mir ablässt und meint: »Du siehst ziemlich erschöpft aus. Komm mit, ich mache dir was zu essen«. Ungläubig verziehe ich das Gesicht. Mein Magen rumort und ich wunder mich das er tatsächlich selber etwas zubereiten will. Doch wenn ich schon eingesperrt werde, dann wenigstens mit vollem Magen und der Gewissheit das mein Bruder sich einmal in seinem Leben sorgen um mich macht. Er schiebt mich vor sich hin in die Küche und weist mich an auf einem der vier Stühle platz zu nehmen. Immer noch frustriert über den misslungenen Fluchtversuch schaut Jayden mich an und fragt: »Was hältst du von einer Vegetarischen Lasagne?«. »Mir egal«, antworte ich patzig und kann nicht glauben was hier los ist. Er kann nicht mal ein Ei kochen, wie will er da bitte eine ganze Lasagne zubereiten. Neugierig betrachte ich sein werkeln und bin gespannt was das wird. Mein Blick fängt seine Statur ein und ich bin überrascht von meinen eigenen Gedanken. Denn eigentlich sieht er verdammt gut aus. Ich spüre sogar den Drang ihm nah sein zu wollen. Meine Empfindungen spielen verrückt und für einen kurzen Moment vergesse ich völlig, was er mir angetan hat. Ich sehe nur noch ihn, wie er da steht, und das Gemüse schneidet, dabei kaut er unbewusst auf seiner vollen Unterlippe herum und ich kann an nichts anderes denken als meine Lippen auf seine zu legen. Seine Ausstrahlung zieht mich magisch an, wobei ich einfach nicht begreife woher diese Emotionen plötzlich kommen. Mir wird heiß und kalt zugleich, mein Atem beschleunigt sich und ich kann meinen Blick einfach nicht abwenden. Er war schon immer attraktiv, jedoch löste er bei mir nie diese Art von Gefühl aus. Jetzt stehe ich hier und starre ihn voller verlangen an, den Mann der aussieht wie mein Bruder und doch vorgibt es nicht zu sein. Mein Puls rast und ich wünschte er würde mich ebenso begehren. Dieser Gedanke löst pure Angst in mir aus, ich kann und will nicht akzeptieren das er eine solche Wirkung auf mich hat. »Alles okay mit dir?«, fragt er plötzlich und holt mich aus meiner Trance. Dann reicht er mir ein Messer und bittet mich ihm zu helfen. Langsam beginne ich mechanisch das Gemüse vor mir in streifen zu schneiden. »Also verrätst du mir wie alt du bist?«, hacke ich nach um auf andere Gedanken zu kommen. Überrascht sieht er mich an. »Neunzehn und du?«. Er lächelt mich freundlich an, schichtet die Zutaten der Lasagne und nickt zustimmend auf meine Antwort. Dann fragt er: »Wieso versucht Yannick dich zu Töten?«. Diese frage trifft mich, denn er selbst sollte es doch am besten wissen. Er scheint meinen Blick richtig zu deuten und kommt ein Stück näher. »Hey, ich weiß du glaubst mir nicht, aber ich bin nicht der für den du mich hältst«, sagt er und sieht mir tief in die Augen. Sie strahlen soviel mehr wärme aus, als Yannicks, und genau in diesem Moment möchte ich mir einreden das er wirklich ein fremder ist. Jemand der mir halt geben kann, bei dem ich mich einfach sicher fühle. Also beschließe ich, mich nochmal auf sein Spielchen einzulassen und antworte: »Weißt du, es war nicht immer so zwischen uns«. Er nickt und deutet an weiter zu reden. »Wir hatten ein gutes Verhältnis, erst nachdem Tod meines Vaters, hat er angefangen mich zu bevormunden, und wann immer ihm etwas nicht passt, lässt er es an mir aus. Ich habe mich nie widersetzt, anfangs dachte ich das er irgendwann aufhört und wir wieder zueinander finden, doch ich habe mich geirrt! Die Macht die er mittlerweile über mich hat, lässt mich jeden Tag aufs neue spüren, wie sehr er mich verachtet«. Als mir tränen in die Augen steigen und ich nicht weiter spreche schiebt Jayden die Auflaufform in den Ofen. Es Schmerzt sich an die Realität zu erinnern, die Gewissheit das er mich in der Hand hat.

Er kommt zu mir rüber und zieht mich eigenartig besitzergreifend in seine arme. Ich zucke kurz unter seiner Berührung zusammen, doch dann lasse ich sie zu, denn genau das ist es, wonach ich mich gerade am meisten sehne. Zum ersten mal seit Dad's tot, benimmt er sich wie ein Mensch. Ich schließe die Augen und sauge die nähe zu ihm tief in mir auf. Nach dem sättigenden Essen schellt es und er öffnet die Tür. Erwartungsvoll mustere ich den älteren Herrn, während Jayden ihn ins Wohnzimmer führt. »Hallo, ich bin Professor Doktor Levien«, stellt er sich vor, und reicht mir die Hand. »Medina Sterling«, antworte ich abwesend. Jayden bittet ihn um ein vier Augengespräch und schon sind sie verschwunden. Ich denke kurz darüber nach einen erneuten Fluchtversuch zu starten, aber vermutlich würde Jayden mich auch dieses mal einholen, also erspare ich mir den peinlichen auftritt und versuche mich etwas abzulenken. Als mein Blick im Raum umherschweift bemerke ich das der Raum mir zwar bekannt ist, und doch völlig unvertraut. Etwas mehr Gemütlichkeit könnte nicht schaden, aber vielleicht bin ich auch nur zu sehr an unseren Stiel gewöhnt. Ich stehe auf und laufe im Zimmer auf und ab, als Doktor Levien mit einem lächeln gefolgt von Jayden wieder zurück kommt. Der Doktor setzt sich aufs Sofa und bittet mich ebenfalls platz zu nehmen. »Medina, wir möchten dir nur Helfen«, setzt er an. »Vielleicht erklärst du mir die Situation mal aus deiner Sicht«, sagt er und lächelt mich widerlich fürsorglich an. In mir beginnt alles zu brodeln, und auch wenn seine Worte halbwegs aufrichtig interessiert klingen, so kann ich mein misstrauen ihm gegenüber nicht verbergen. »Wozu«, antworte ich daher und sage patzig: »Mir glaubt hier doch sowieso keiner, für euch bin ich doch nur irgendein dahergelaufener Psycho der sich voll gedröhnt hat«. Die Bedauernden Blicke der beiden machen mich wahnsinnig. Es ist schwer sich vorzustellen das sie es gut mit mir meinen. »Vielleicht lässt du uns kurz allein«, richtet der Doc sich an Jayden und er steht sofort auf.

»So, und nun erzählst du mir was passiert ist, sei einfach ehrlich und lass nichts aus«, sagt er und ich schaue ihn hasserfüllt an. »Das könnte ihnen so passen, was? Ihr steckt doch beide unter einer Decke. Euer Ziel ist doch nur einen triftigen grund zu finden, damit ihr mich für bekloppt erklären lassen könnt«. All meine aufgestaute Wut entlädt sich und es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mir all die Last von der Seele zu reden. »Ich möchte dir helfen, bisher habe ich nicht den Eindruck das du unter Drogen oder Alkoholeinfluss stehst. Das hier ist kein abgekartetes Spiel. Wir versuchen doch nur zu verstehen was hier vor sich geht«. Ein abfälliges schnauben meinerseits signalisiert ihm was ich von seinem Hilfsangebot halte. »Versetzt dich doch mal in Jaydens Lage, meinst du nicht das das für ihn mindestens genau so verwirrend ist? Ich kenne ihn schon viele Jahre, und wenn ich eins weiß, dann das er einem Menschen niemals absichtlich schaden würde«, appelliert er an meinen gesunden Menschenverstand. »Für ihn bin ich ein lästiger Junk, der hier eingestiegen ist um sich seinen nächsten Schuss zu finanzieren. Also ersparen sie mir das Gequatsche«, zische ich und wende den Blick ab. Woher ich den Mut nehme so mit ihm zu reden weiß ich auch nicht. Vielleicht liegt es daran das er mir keine Angst macht, oder weil ich nicht das Gefühl habe aus der Nummer so schnell wieder raus zu kommen. »Wer hat dich nur so wütend gemacht?«, fragt er mit Nachdruck. Mir kommen die tränen und ich spüre wie ich langsam den halt verliere. »Lass uns einen Kompromiss machen. Du erzählst mir deine Geschichte und ich höre einfach nur zu. Ich werde dich nicht einweisen«, verspricht er und ich denke tatsächlich über seinen Vorschlag nach. Gut, auf sein Wort ist wahrscheinlich genauso viel verlass wie auf den Wetterbericht, aber zumindest ist es ein kleiner Hoffnungsschimmer. »Komm schon, vertrau mir. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun um dir zu helfen«, beteuert er, und bricht damit endgültig den Damm.

Ich erzähle ihm alles. Angefangen vom Tod unseres Vaters, bis hin zu seinem Erstickungsversuch. Zum ersten Mal habe ich mich jemandem anvertraut. Auch wenn es sich seltsam an fühlt, bin ich unendlich dankbar, dass er mir zugehört hat und ich mich endlich jemandem anvertrauen konnte. Er überlegt einen Moment und stellt dann seine Diagnose. »Das klingt als würdest du unter Schizophrenie leiden. Wenn du zustimmst werde ich dir Blut abnehmen. Zum einen können wir damit ausschließen das du irgendwelche Substanzen eingenommen hast und zum anderen lässt sich damit feststellen ob meine Diagnose richtig ist«. Er erklärt mir wie Yannick, Jayden und auch die Wahrnehmung meines Zuhauses in dieses Krankheitsbild passen und ich bin geschockt. Ich brauche eine ganze weile um seine Worte zu verdauen. Okay, nehmen sie mir Blut ab«, sage ich schließlich da mir sowieso nichts anderes übrig bleibt. Er holt sein Besteck heraus und füllt einige Röhrchen mit der roten Flüssigkeit aus meiner Vene.

Als er fertig ist geht er mit Jayden aus dem Raum und klärt ihn auf. Vermutlich denken sie das ich sie nicht hören kann, doch ich verstehe jedes Wort. »Also Jay, ich vermute das sie unter Schizophrenie leidet. Aber genau kann ich es erst sagen wenn ich die Ergebnisse habe. Wenn du mich fragst solltest du die Polizei informieren, damit sie heraus finden wo sie zuhause ist. Sollte jedoch etwas an ihrer Geschichte dran sein, schickst du sie damit in ihre persönliche Hölle zurück. Ich kann dir nicht vorschreiben was du tun sollst, aber Sie wirkt nicht gefährlich auf mich. Ich denke nicht das sie dir etwas antun könnte, schon allein weil du viel stärker bist, wahrscheinlich ist sie auf der Suche nach Schutz. Sie wünscht sich jemanden der sich um sie kümmert«. Damit schließt er seine Rede ab und sie kommen gemeinsam zurück zu mir ins Wohnzimmer. Doktor Levien bedenkt mich nochmal mit einem mitleidigen Blick, und verabschiedet sich dann. Nachdem er weg ist merkt man Jayden deutlich an, wie nervös und angespannt er ist. Es scheint als würde er tatsächlich an die Worte des Doktors glauben.

Dabei ist er es doch, der total verrückt geworden ist. Vielleicht hat er ja selbst diese ominöse Krankheit. Das würde zumindest erklären wieso er nicht weiß was er mir angetan hat, oder wer ich bin. Aber wieso hat er dann das Haus umgestaltet, und wieso habe ich nichts davon mitbekommen? Was soll ich nur machen? Wenn er die Polizei informiert bin ich erledigt!

Wie in Trance stehen wir uns gegenüber. Keiner sagt etwas, deshalb beschließe ich das Wort zu ergreifen. »Ich weiß du glaubst mir nicht, und es macht dir angst, aber bitte rufe nicht die Polizei. Ich werde dir nichts tun. Bitte, ich möchte doch selber herausfinden was geschehen ist«. »Und wie genau stellst du dir das vor?«, hackt er nun nach und streichelt mir sanft übers Gesicht. Diese Geste passt überhaupt nicht zu der angespannten Lage in der wir uns gerade befinden, und doch gibt sie mir soviel kraft und Geborgenheit, das ich sie unwillkürlich genieße. »Kann ich nicht einfach hier bleiben. Ich möchte nicht aus meinem gewohnten Umfeld. Wenn du zur Polizei gehst, werden sie mich bis an den Rest meines Lebens wegsperren. Bitte das kannst du doch nicht ernsthaft wollen«, flehe ich ihn an. Sein Blick zeichnet verständnis ab, oder Mitleid, egal, jedenfalls schließt er die Lücke zwischen uns und nimmt mich in die Arme. Sein atemberaubender Duft steigt mir in die Nase, er riecht nach Keksen und Limone. Noch immer fest an seine Brust gedrückt, haucht er mir beruhigende Worte ins Ohr. Nach einer ganzen weile sagt er dann schließlich: »Okay, du kannst bleiben, vorerst zumindest. Es klingt zwar alles vollkommen abgedreht, was du erzählst, aber irgendwie habe ich Mitleid mit dir.« Auch wenn es nicht unbedingt das ist, was ich hören wollte bin ich zufrieden, denn er schickt mich nicht weg. Das ist auf jeden Fall schon mal ein guter Anfang.

Ein komisches Kribbeln macht sich in mir breit, als er mir sanft über den Rücken streichelt. Augenblicklich ist ein unsichtbares Band zwischen uns, dass mich automatisch näher an ihn drückt. Das Verlangen ihn zu küssen wird immer stärker und plötzlich, ohne es selbst steuern zu können, liegen meine Lippen auf seinen. Er scheint sich nicht unwohl zu fühlen, denn er erwidert den Kuss und dringt langsam aber bestimmt mit seiner Zunge in meinen Mund ein.

Wo zur Hölle kommt auf einmal dieses verlangen her? Das kann doch unmöglich normal sein. Eigentlich sollte ich panisch werden, sogar weg laufen, weil er wie Yannick aussieht, doch alles woran ich denken kann, sind seine Lippen auf meinen. Ich streichle ihm über die Brust und gleite mit der freien Hand unter sein Shirt. Der Grad zwischen Vernunft und Anziehung, wird immer schmaler und ich kann mich einfach nicht von ihm lösen. Seine Arme heben mich hoch und ich bin gezwungen meine Beine um ihn zu schlingen. Dadurch intensiviert sich die Lust noch, und mir wird heiß. In dieser Leidenschaft gefangen durchflutet mich das schlechte gewissen und ich frage mich erneut, wieso ich mich nicht genauso vor ihm ekel wie vor Yannick. Optisch gleichen sie sich bis ins kleinste Detail, nur vom Charakter her, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Mein Verstand weiß genau, dass das nicht richtig ist, aber mein Herz weigert sich zuzuhören.

Ehe ich weiter darüber nachdenken kann wird mir Schwindelig, und ich werde in einer art Trance zurück in das schwarze Loch gezogen. Wie vorhin spüre ich auf einmal keinerlei Empfindung mehr, werde einfach weg getrieben. Mein Körper entgleitet mir und ich bin eine leere Hülle. Nebel umhüllt den Rest meiner Sicht.

Kapitel 7

 

Gewaltsam rüttelt jemand an mir. »Mach die Augen auf Miststück. Ich bin noch nicht fertig mit dir!«, faucht mich die Stimme meines Bruders an. Meine Augen sind geschlossen und mir ist übel. Schmerz und Ekel durchströmen meinen Körper. Mein versuch mich zu bewegen scheitert, weil zwei starke Arme mich am aufrichten hindern. Die Empfindungen treffen mich wie ein Schlag. Der ganze Schmerz, die Angst und das abscheuliche Gefühl ungeliebt und wertlos zu sein. Ich spüre wie mir der Mageninhalt die Kehle hoch steigt, und drehe mich Reflexartig auf die Seite um mich zu übergeben. Seine laute stimme die schreit: »Hast du sie noch alle du Drecksstück«, dröhnt mir vernichtend in den Kopf. Anscheinend habe ich ihn getroffen. Es gibt doch noch Gerechtigkeit! Angewidert zieht er sich sein Shirt über den Kopf und verlässt mein Zimmer. Zum Glück! Mein Kiefer Schmerzt höllisch und meine Erinnerungen sind sehr verschwommen. Langsam richte ich mich auf und schaue in den Spiegel. Ich sehe schrecklich aus. Meine Lippe ist geschwollen und aufgeplatzt, dass Haar hängt mir zerzaust in meinem Blassen Gesicht. Ich stöhne, so gerne wäre ich noch etwas auf der anderen Seite in meinem Traum geblieben. An diesen Yannick hätte ich mich gut gewöhnen können. Kraftlos steige ich unter die Dusche, dass warme Wasser tut mir gut, und ich versuche mich etwas zu entspannen. Meine Erinnerungen schweifen ab und ich denke darüber nach, wieso ich so einen Stuss geträumt habe. Ich meine, wieso habe ich mich in meinem Traum so zu Yannick hingezogen gefühlt. Die Worte meines Vaters fallen mir wieder ein. Er war der Überzeugung, jeder Traum der einen Emotional- Romantischen Hintergrund hat, lässt einen erkennen wonach man sich sehnt. Aber das würde ja automatisch bedeuten, ich hätte Gefühle für meinen Bruder. Grauenhaft! Ich öffne die Augen und versuche dieses Bild aus dem Kopf zu bekommen. Die Angst ihm gleich wieder gegenüber zu stehen, beschert mir wackelige Beine. Ich trockne mich vorsichtig ab, denn die Blauen Flecken tun noch immer weh. Ich schlüpfe in eine frische Jeans und einen neuen Pulli. In der Küche angekommen trinke ich einen heißen Tee und stelle erleichtert fest, das Yannick wohl gegangen ist. Also beschließe ich wieder hoch in mein Zimmer zu gehen. Es dauert nicht lange, da versinke ich in einen Traum.

»Mein Engel, manchmal gibt es dinge im Leben, die lassen sich nicht erklären. Neben der Welt wie du sie kennst, gibt es noch soviel mehr. Mal kreuzen sich die Wege und es kommt zum Gau. Ich möchte dich warnen! Lass dich nicht auf die falsche Seite ziehen. Kind vertrau mir und bleib hier«, sagt mein Vater mit besorgter Miene. Ich blicke in die Ferne und erkenne eine fremde Person. Sie ist weiblich und hat Blondes Haar. Ihre grauen Augen sind warm und friedlich. Sie kommt immer näher. Zu ihrer linken steht ein kleiner Junge. Sie Schwebt jetzt direkt über mir, und deutet mit einer auffordernden Handbewegung, dass ich ihr folgen soll. Als sie ihre Hand nach mir ausstreckt, erblicke ich eine art Zeichen, auf dem rechten Handrücken. Ein Kreisförmiges Symbol, welches in der Mitte eine durchgezogene Linie hat. Auf der linken Seite sind Schatten und Finsternis dargestellt, und auf der rechten eine riesige Sonne. Ich ergreife ihre Hand, denn sie zieht mich magisch an. Ich höre die schreie meines Vaters: »Sie gehört nicht zu dir, lass sie in ruhe«.

Dann wache ich auf. Es ist bereits später Nachmittag und ich habe tierische Kopfschmerzen. Die ganzen Schmerzmittel wirken inzwischen nicht mehr, deshalb begebe ich mich auf der suche nach einem Kühlpack in die Küche. Yannicks Blick trifft auf mich und er umfasst mein Kinn, hebt es in sein Sichtfeld. »Scheint dir ja wieder besser zu gehen«, stellt er fest und setzt sich an den Tisch. Was war das denn? Wortlos ist er das Sandwich das ich ihm zubereitet habe, als es Klingelt. Luca und vier weitere Typen sowie zwei Mädchen, kommen herein. »Was wird das?«, frage ich etwas aufgebrachter als ich sollte. »Party!«, erwidern die Jungs gleichzeitig und stürmen ins Wohnzimmer. Das kann ja heiter werden. Sie drehen die Musik bis zum Anschlag auf. Die ersten Flaschen stehen bereits auf dem Tisch als Yannick ruft: »Wir brauchen noch Gläser und Chips, beeil dich«.

Wie immer bringe ich ihm die Sachen und wende mich zum gehen. Mit diesen besoffenen Macho-typen ist nicht zu spaßen. Ich setze mich aufs Bett. In der Hoffnung etwas abschalten zu können, nehme ich mir ein Buch aus dem Regal und beginne zu lesen. Leider kann ich der Geschichte nicht folgen, viel zu sehr geht mir der Gedanke durch den Kopf, was wenn es doch kein Traum war? Ich versuche nicht weiter daran zu denken und greife erneut nach dem Roman. Ein lautes Klopfen reißt mich aus der Erzählung. »Mach auf, aber zackig«, schnauzt Yannick hinter der Tür. »Geh weg! Ich will alleine sein«, sage ich mutig und sehe sein zorniges Gesicht vor mir. Ein paar Kräftige Schläge lassen das schloss aufspringen. Scheiße! Sein Blick ist unheimlich und beschert mir große Panik. »Willst du mich verarschen?«, fährt er mich an. »Nein wieso?«, frage ich unschuldig und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich mich vor dem was jetzt kommt fürchte. Doch anders als erwartet sagt er nur: »Zieh' dir was anständiges an, und komm mit nach unten. Wir brauchen was zum lachen!« Ich nehme meinen Mut zusammen und antworte: »Ihr werdet bestimmt auch ohne mich euren Spaß haben«. Ohne auf mein gesagtes einzugehen durchwühlt er meinen Kleiderschrank und wirft mir ein Rosa Farbendes Netz Top, und eine Schwarze hot pants hin. »Anziehen!«, befiehlt er, woraufhin ich ihn entgeistert anschaue. »Das zieh' ich nicht an«. Er baut sich vor mir auf und ballt die Hände zu Fäusten. Sein drohender Blick reicht völlig aus, um meine Meinung zu überdenken. »Okay«, sage ich mit tränen in den Augen und ziehe mich schnell um. Er hat nicht mal die Güte sich umzudrehen. Ich folge ihm ins Wohnzimmer und setze mich auf einen einzelnen Stuhl, den sie wohl aus der Küche geholt haben müssen. Die Mädchen sehen mich abschätzend an, während die Typen nur lachen. Dann schlagen sie vor Dummkopf zu spielen. Ich schaue Yannick an, er lächelt fies und sagt: »Gute Idee«. Da ich keine Ahnung habe wovon sie reden, lasse ich mir kurz die Regeln erklären. Luca beginnt: »Also, es werden so viele Gläser wie möglich mit hartem Alk gefüllt. Dann vereinbaren wir eine Augenzahl und wenn diese gewürfelt wird, muss jeder sein Glas Exen. Solange bis die Zahl erneut gewürfelt wird«. Ich ziehe angewidert meine Augenbraue hoch. Das klingt mehr nach einem Kotz Spiel als nach Spaß«, gebe ich zu bedenken. Yannick kommt auf mich zu und flüstert mir ins Ohr: »Wenn du nicht mit spielst, werde ich Luca sagen, dass er mit dir machen kann was er will. Überleg's dir«, droht er.

Alle versammeln sich um den Tisch herum und befüllen sämtliche Gläser mit Schnaps. Mir wird jetzt schon schlecht. Nach der dritten Runde ist mir bereits Kotz übel und ich entschuldige mich, um ins Bad zu gehen. Die Stimmung im Raum ist gut und Yannick scheint sich zu amüsieren. Eines der Weiber sitzt mittlerweile auf seinem Schoß und bespaßt ihn mit ihren Reizen. Im Bad angekommen, bemerke ich, dass Luca mir gefolgt ist. Er schiebt mich gewaltsam ins Bad und schließt die Türe hinter uns. »Was soll der Scheiß«, brülle ich ihn an. »Lass mich raus«. Doch sein Blick bleibt unbeeindruckt. Er zwingt mich an die Wand und sagt: »Du brauchst keine Angst vor mir haben. Ich werde dir das geben, was sonst keiner Tut«. Seine Hand wandert meinen Oberschenkel entlang und ich presse die Beine zusammen. »Ich will das aber nicht«, versuche ich ihm deutlich zu machen. »Ach jetzt komm schon. Diesen Fingern, konnte bisher noch keine widerstehen«, gibt er überheblich von sich und drückt mir einen sabbernden Kuss auf die Lippen. Ich begreife so langsam worauf das hinaus läuft, und bekomme Panik. Er schiebt mein Netz Top hoch und begrapscht meinen Busen. Ich winde mich unter seinem Angriff, doch er lacht mich nur aus, und verstärkt seinen Griff noch. Mit einer schallenden Backpfeife, bringt er mein Geschrei um Hilfe zur ruhe. Als er seine Hose öffnet, stehe ich wie im Dämmerzustand da, kann mich nicht rühren. Mein gesamter Körper zittert und die Angst vor dem was mir bevorsteht, lässt mich heulen wie ein kleines Kind. »Luca, tu mir das nicht an. Du kannst mich doch nicht ernsthaft zwingen mit dir zu schlafen«, flehe ich ihn hilflos an. Seine Hände berühren mich überall, und ich spüre wie er mich mit seinem Gewicht zu Boden drückt.

Jetzt ist es aus! Ich fühle seinen erigierten Penis vor meiner unberührten Scharm und habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, als plötzlich die Tür aufgeht. »Geh runter von ihr. Du kannst sie doch nicht vor aller Augen vergewaltigen. Man Alter, ich sagte doch, du wirst deine Chance bekommen. Aber doch nicht so«, mault Yannick sichtlich angepisst. Wie durch einen Schleier hindurch folge ich dem geschehen, und bin zum ersten mal seid Monaten richtig glücklich darüber, einen Bruder zu haben. »Ach, leck mich doch. Die alte hat es quasi drauf angelegt, dass ich es ihr besorge«, flucht Luca vor sich hin und richtet seine Klamotten.

Bevor Yannick sich es noch anders überlegt, ergreife ich so schnell es geht die flucht. Auf meinem Zimmer angekommen, stelle ich fest, das ich meine Türe leider nicht mehr abschließen kann. Um trotzdem etwas Schutz zu haben, stelle ich einen Stuhl davor. Ich setze mich aufs Bett und hoffe das sie mich in ruhe lassen. Mein Kopf dreht sich und ich frage mich, wieso er das getan hat? Und was mein Bruder damit meinte, dass er noch seine Chance bekommen wird. Fuck, ich muss unbedingt hier weg. Ich schließe meine Augen und versuche mich zu beruhigen.

 

Kapitel 8

 

Völlig benommen wache ich auf und sofort holt mein Traum mich wieder ein.

Ich laufe durch unser Haus, es sieht genauso aus wie in dem Traum, als ich bei Jayden war. Eine fremde Frau mit Blondem Haar und grauen Augen steht an der Kommode im Flur gelehnt. Sie erinnert mich irgendwie an die Person, die ich ebenfalls schon oft in meinen Träumen gesehen habe. Jayden sieht mich besorgt an und schließt mich in seine starken arme. Er reicht mir ein dickes Buch und bittet mich darin zu lesen. Ich öffnete die erste Seite und sauge den Text in mich auf. Die Erlösung ist stets der Weg zu mir. Die andere Seite ist ein Ort, an dem man sich flüchten kann wenn man Schutz braucht. Nur wenigen auserwählten, wird diese Ehre zu Teil. Doch bedenkt! Jede Hilfe fordert seinen Tribut. Und auch du wirst ihn zahlen.

An mehr kann ich mich nicht erinnern. Und so schäle ich mich aus der warmen Bettdecke und wasche unter der Dusche, den Schmutz des gestrigen Abends weg. Auf dem Weg in die Küche überlege ich, was mir mein Traum wohl sagen wollte. Ich meine, keiner träumt soviel Unsinn wie ich. Nachdem ich meinen Milchkaffee getrunken habe, schaue ich aus dem Fenster. Es ist so friedlich da draußen. Ich schnappe mir meinen Rucksack, denn mein Bus kommt gleich, und wenn ich ihn noch erwischen will, muss ich mich echt beeilen. Dana sitzt wie immer auf ihrem Platz, doch als sie mich sieht, stellt sie demonstrativ ihr Zeug neben sich. So ein Biest! In der Schule angekommen, haften tausende blicke auf mir, während ich versuche so unauffällig wie möglich ins Gebäude zu kommen. In den ersten beiden Stunden ist alles ruhig. Dann Klingelt es zur Pause und ich begebe mich aus dem Klassenraum. Dana und Lis stehen gemeinsam in der Raucherecke und Tuscheln. Ich beschließe mich auf dem Mädchenklo zu verstecken. Doch als ich dort ankomme, steht bereits Yannick hinter mir, und schiebt mich unsanft hinein. »Ich wollte nur mal wissen, ob du eigentlich schnallst, wie hässlich du bist? Ich denke, du solltest froh sein, dass Luca dich anfassen wollte. Immerhin würde das nicht jeder tun«, wirft er mir stocksauer vor. »Sag mal, hast du sie noch alle? Dein abartiger freund wollte mich vergewaltigen. Dir ist ja wohl der unterschied zwischen freiwillig anfassen, und gegen seinen willen begrapschen bekannt. Also sag ihm er soll seine dreckigen Pfoten von mir lassen«, brülle ich mir den ganzen scheiß von meiner Seele. Erschrocken über mich selbst, schließe ich sofort den Mund, als ich seinen wütenden Augen begegne. »Heute Abend, wirst du dich bei ihm entschuldigen, und ihm die ehre erweisen dich zu entjungfern. Verstanden!«, sagt er als spricht er davon was ich zum Mittag kochen soll. Entsetzt über seine dreiste Ansage antworte ich: »Niemals!«, woraufhin er mich gegen den Spiegel drückt. Seine Hände legen sich um meinen Hals und er drückt zu. Mir stockt der Atem, ich spüre wie ich keine Luft mehr bekomme und muss husten. »Verstanden!, wiederholt er seine frage. Ich schüttle weigernd den Kopf, deshalb verstärkt er seinen Griff und ich schließe die Augen. Nebel umhüllt meine Sicht und mein Körper wird wieder zur leeren Hülle. Ich schwebe und werde von der Dunkelheit in ihr Loch gezogen.

Ich sitze auf dem Boden der Schultoilette, doch es ist keiner bei mir. Sofort rappel ich mich auf und schaue in den Spiegel. Keine Würgemale zu sehen. Ich laufe auf den Gang hinaus und sehe mich suchend um. Mehrere Schüler tummeln sich in den Ecken. Alles völlig normal! Ich laufe raus auf's Schulgelände und erkenne ihn sofort. Jayden steht lässig, mit zwei seiner Kumpels an einer Mauer gelehnt. Ich bin zurück! In der Hoffnung das er noch weiß wer ich bin, gehe ich direkt auf ihn zu.

»Medina«. Er wird kreidebleich. Alle starren uns an, woraufhin er mich in eine unbeobachtete Ecke führt. Ohne ein weiteres Wort zieht er mich fest in seine Arme. Ich bin etwas geschockt über seine Reaktion, muss aber zugeben das es mir gefällt, weshalb ich keine Anstalten mache mich von ihm zu lösen. »Ich dachte, ich sei verrückt, als du während unseres Kusses einfach verschwunden bist«, sagt er unsicher wie er sich am besten ausdrücken kann. »Ich war zuhause, also bei Yannick!«, erkläre ich wahrheitsgemäß, als ein Junge auf uns zukommt und mich neugierig mustert. »Komm schon, was trödelst du denn solange Jay«, ruft der unbekannte. »Geht schon rein«, antwortet Jayden ihm und wendet sich wieder mir zu. »Pass auf, ich habe noch eine Stunde, dann fahren wir zu mir und du erklärst mir alles in ruhe«. Ich nicke. »Was soll ich derweil machen?«. Ein lächeln umspielt sein wunderschönes Gesicht. »Entweder du begleitest mich in den Unterricht, oder du gehst in die Mensa«.

Da mir beim besten willen nicht der Sinn nach Unterricht steht, entscheide ich mich für die Mensa. Als er mich hinführt, sehe ich mich um. Sie gleicht der an meiner Schule ungemein. Alles ist identisch. Nachdem er sich verabschiedet hat, hole ich mir einen Kaffee und setze mich in die hinterste ecke, an einen einsamen Tisch. Eine kleine Gruppe Schüler kommt herein, ich mustere sie unauffällig, während sie sich etwas zu essen bestellen. Als sie auf meinen Tisch zusteuern, dachte ich für einen Moment daran abzuhauen, doch dann stellt sich eines der Mädchen vor. »Hallo, ich bin Joana. Bist du neu hier?«, fragt sie und ich nicke. »Dürfen wir«. Sie deutet auf die freien Plätze neben mir. »Ja klar«, antworte ich gelassen. Die fünf, bestehend aus drei Frauen und zwei Männern, setzen sich. »Ich bin Thomah, und das sind, Keil, Mila, Lorie und Joana kennst du ja bereits«, sagt der Junge mit den knall Blauen Haaren. »Ich bin Medina«, gebe ich knapp zurück und mustere die fünf erst einmal genau. Thomah ist groß und schlank. Mila ist eine zierliche Blondine, mit kurzem Haar. Dann gibt es da noch Joana mit ihrem Arschlangen Schwarzen Seidenhaar, das ihr bis zum Hintern reicht, den Blass blauen Augen und der überaus prächtigen Oberweite, ist die heißeste aus der gesamten Truppe. Zu guter letzt das Pärchen, Keil und Lorie sie wirken beide etwas unscheinbar, haben beide braunes Haar und dunkle Augen. »Seid wann bist du hier?«, fragt Joana, die Schönheit mit dem Schwarzen Haar. »Erst seid heute«, versuche ich mich so unauffällig wie möglich in die Unterhaltung einzubringen. »Gut, also unsere Schule ist soweit ganz in Ordnung. Hier wirst du viel Spaß haben«, erklärt Thomah. Der Gong erklingt, und sie richten sich alle wie von der Tarantel gestochen auf. »Mach's gut Medina. Wir sehen uns dann«, verabschieden sie sich. Es ist komisch nicht gleich als Freak abgestempelt zu werden. Wieder mal eine schmerzliche Erinnerung an das, was ich zuhause niemals haben werde. Jemand reißt mich aus meinen Gedanken, und ich schaue in Jaydens Gesicht. Wortlos ergreift er meine Hand, und ich folge ihm nach draußen auf den Parkplatz. Mit der Zentralverriegelung öffnet er die Türen eines Metallic Blauen Autos. Es ist ein Sportwagen der Marke Ferrari glaube ich. Meine Mutter hat ihn mir zu meinem achtzehnten Geburtstag Geschenkt«, erzählt er während ich mich anschnalle.

 

 

 

 

Kapitel 9

 

»Was genau ist passiert, als du weg warst?«, fragt er neugierig und fädelt den wagen in den verkehr ein. »Ich weiß es nicht, als ich wach wurde, lag ich in meinem Bett, es war die selbe Situation aus der ich zu dir gekommen bin. Aber du glaubst mir ja doch nicht«, werfe ich enttäuscht ein. Er sieht mich geistesabwesend an. Eine ganze weile herrscht totenstille, dann sagt er: »Doch das tue ich!«. Jetzt ist meine Neugier geweckt und ich muss ihn einfach fragen: »Und woher kommt dieser Sinneswandel plötzlich«. »Naja, du bist einfach verschwunden. Hast dich quasi in Nebel aufgelöst. Ich habe mir die ganze Zeit über Gedanken gemacht, was wohl mit dir passiert ist, hab mich für verrückt gehalten, geglaubt das ich nur geträumt habe. Das es dich gar nicht gibt. Aber als Doktor Levien mich anrief um mir mitzuteilen, dass die Blutergebnisse alle negativ waren wusste ich es, du warst hier. Es ist mir egal ob du Schizophren bist, oder einfach nur Schutz suchst, das einzige was für mich zählt ist, dass du wieder da bist«. Seine Worte klingen aufrichtig, auch wenn ich mir nicht erklären kann wieso er sich freut mich wieder zusehen. »Wir sollten herausfinden was den wechsle auslöst«, sagt er plötzlich und lenkt den Wagen in die Garage. Ich denke einen Moment über seine aussage nach. »Er hat versucht mich zu erwürgen und als ich keine Luft mehr bekam, bin ich hier in der Schultoilette aufgewacht. Es ist genauso wie beim letzten mal, nur das er da versucht hat mich zu ersticken«. Er steigt aus und kommt zu mir herum, langsam öffnet er die Tür und reicht mir die Hand zum aussteigen. Als sich unsere Blicke treffen, erkenne ich Sehnsucht ihnen. »Wir müssen etwas dagegen unternehmen, wer weiß ob er es beim nächsten versuch nicht schafft, seine Tat zu beenden«. Ich weiß das er recht hat und doch schmerzt es, sich das einzugestehen. Ich folge ihm ins Haus und er fragt ob es in Ordnung ist, wenn er kurz duscht. »Selbstverständlich«, entgegne ich schnell obwohl ich nicht nachvollziehen kann, das er jetzt an eine Dusche denkt. Naja, vielleicht hatte er ja Sport und ist jetzt völlig verschwitzt ist ja auch egal. Er verschwindet und ich schalte den Fernseher ein. Als er endlich fertig ist beschließen wir etwas zu Kochen.

Er kramt einige Sachen aus dem Kühlschrank und drückt mir zwei Zucchinis in die Hand. Ich stehe an der Arbeitsplatte gelehnt, als mein Blick über seinen Körper schweift. Sein Ärmelloses T-Shirt und die einfache Sporthose, zeichnen jeden seiner Muskeln ab. Ich bin erstaunt, über die schmutzigen Gedanken die sich in meinem Kopf abspielen. Er scheint mein starren bemerkt zu haben, denn sogleich grinst er schelmisch. Um die Situation aufzulockern beginnt er ein unbedeutendes Thema anzuschneiden. Doch dann kommt mir eine Erinnerung in den Sinn. »Darf ich dich mal etwas fragen?«, beginne ich deshalb. »Natürlich«, entgegnet er und ich kaue nervös an meinen Fingernägeln.

»Wieso bist du so Blass geworden, als ich zum ersten mal den Namen Yannick erwähnt habe?«. Einen Moment lang schweigt er. »Ich hatte wohl mal einen Bruder, der hieß auch Yannick«. Mittlerweile sind wir wieder im Wohnzimmer und ich setze mich auf die Coach. »Okay, und was ist mit ihm geschehen, wo ist er jetzt?«. »Er starb wohl bei der Geburt. Ich habe meine Mam belauscht, als sie mit Großmutter über ihn gesprochen hat. Sie war stocksauer und wollte nicht das ich fragen stelle. Ihre Verschlossenheit hat mich neugierig gemacht und ich habe sie solange genervt bis sie mir erzählte das er Yannick hieß und jetzt Tod ist. Wir haben danach nie wieder über ihn geredet. Sein Verlust war wohl sehr hart für sie, auch wenn sie ihn quasi nie richtig kennen gelernt hat. Erstaunlicherweise habe ich wirklich nicht mehr an ihn gedacht, bis du seinen Namen erwähnt hast«. Ich runzle die Stirn. »Ich glaube nicht das dein Yannick irgendetwas mit mir zu tun hat«, versuche ich möglichst einfühlsam zu klingen. Er nickt. »Ich weiß, aber sein Name erinnerte mich halt daran einen Bruder gehabt zu haben«. Die Verletzlichkeit in seinen Augen, bricht mir fast das Herz. Ich glaube der Tod seines Bruders geht ihm näher als er sich eingestehen will. zugeben will. In seinem Blick liegt eine tiefe Traurigkeit, die keiner besser versteht als ich.

Nachdem essen räumen wir alles wieder auf, und komischerweise fühlt es sich so an, als ob wir hier völlig normal zusammenleben. Ich meine, eigentlich sind wir uns ja fremd, trotzdem gibt er mir das Gefühl dazuzugehören. Er unterbricht meine Grübelei und fragt: »Erzählst du mir etwas über dich?«. Überrascht von seinem Interesse, entgegne ich: »Was willst du denn wissen?«. »Na alles«, gibt er locker von sich und lächelt mich abwartend ab.

»Okay, aber eigentlich gibt's da nicht so viel. Ich bin siebzehn. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt, und meinen Vater habe ich vor etwa einem halben Jahr bei einem Autounfall verloren. Yannick tyrannisiert mich seitdem, und macht mir das Leben zur Hölle. Freunde habe ich keine und ansonsten habe ich nur meine Bücher und die Musik. Manchmal stelle ich mir auch vor, wie es wäre ein ganz normales Mädchen zu sein. Jemand der ins Kino geht oder sich mit gleichaltrigen auf Partys amüsiert«. Überrascht schaut er mich an.

»Soll das heißen, dass du noch nie auf einer Party warst?«, fragt er mit ernstem Blick. Ich ziehe die Schulter nach oben und nicke beschämt. Ein verschmitztes lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Dann weiß ich endlich wieso du hier bist«, sagt er ganz ernst, während ich ihn neugierig an funkle. »Na ist doch klar. Du sollst mit mir auf deine erste Party gehen«, sagt er und kriegt sich vor lachen kaum wieder ein. Erst als er meinen traurigen Blick einfängt, beruhigt er sich wieder. »Tut mir leid«, entschuldigt er sich.

Kurz gebe ich mich noch beleidigt, doch dann entspanne ich mich und frage: »Wie soll das nur weitergehen?«. Er schaut mich nachdenklich an und meint dann: »Naja, bis wir heraus gefunden haben, wieso du ausgerechnet bei mir gelandet bist, könnten wir doch tatsächlich mal auf eine Party gehen«, wirft er lachend ein. Ungläubig ziehe ich eine Augenbraue hoch. »Im ernst? Hältst du das für eine gute Idee?«, frage ich und habe angst das er mich nun doch zurückweisen könnte. »Wieso nicht!«, sagt er überzeugt von seinem Vorschlag und meine negativen Gedanken verfliegen wie von selbst. Ich kann nicht anders, ich muss ihn anstrahlen. Er ist so nett. Am liebsten würde ich keinen Tag mehr ohne ihn verbringen. Seine Positive Denkweise geht mit jeder Minute die ich in seiner Nähe bin, auf mich über. Und zum ersten mal seit langen fühle ich mich wie ein vollwertiger Mensch.

»Samstag geht’s los«, sagt er plötzlich und durchbricht meine Grübelei. »Samstag«, wiederhole ich aufgeregt, woraufhin er bestätigend nickt. »Und damit uns nicht langweilig wird, werden wir in die Stadt fahren«. »Wozu?«, frage ich erwartungsvoll. »Na Shoppen, immerhin brauchst du für diesen Anlass ein passendes Outfit.«

Jetzt bin ich völlig überwältigt. Das kann doch unmöglich sein ernst sein? Ich meine, dass er überhaupt an so etwas denkt. Freudig stimme ich zu. »Dann komm«, sagt er und wir begeben uns zu seinem Auto.

Als wir endlich eingestiegen sind, stelle ich die frage, die mir seid seiner Idee schon auf der Zunge brennt. »Was wenn ich bis Samstag wieder weg bin? Es sind immerhin noch zwei Tage. Da ist es doch eher unwahrscheinlich, das ich noch hier sein werde, findest du nicht?«. Betrübt sagt er: »Wir sollten einfach vom besten ausgehen«.

Ich schaue mir die Umgebung an. Wie ich schon vermutet habe, sieht es hier genauso wie bei mir zuhause aus. Somit bin ich auch nicht verwundert über die Tatsache, dass ich genau weiß, in welches Einkaufscenter er fährt. Nachdem er geparkt hat, steigen wir aus, und fahren die Rolltreppe hinauf. Er steuert gleich Olymp & Hades an, mein absoluter Lieblingsladen. Kurz frage ich mich, ob er das weiß, doch dann verwerfe ich den Gedanken schnell wieder. Ich meine woher sollte er.

Wahllos greift er nach irgendwelchen Sachen von den Ständern. Kurz überlege ich ob er wohl weiß was er da tut, doch so schnell wie er mir alles in die Hände drückt, komme ich nicht dazu ihn zu fragen. In der Umkleidekabine probiere ich die erste Kombi an. Er verzieht kopfschüttelnd das Gesicht.

Nach vier weiteren versuchen, verlassen wir schließlich etwas enttäuscht den Laden, und setzen unsere Tour fort. Beim zweiten Anlauf sieht es dann schon besser aus. Er reicht mir ein Anthrazit Farbendes Kleid mit Turtle-Neck Ausschnitt. Es wird von einem Tunnelzug geziert und ist alles in allem ein sehr schlichtes Kleid. Nicht zu kurz oder zu aufdringlich, was mir persönlich sehr gut gefällt. Denn ab meinem fünften Lebensjahr habe ich keine Kleider mehr getragen. Ich erinnere mich wie mein Vater deshalb immer versucht hat mich vom Gegenteil zu überzeugen. Doch gegen meinen Sturkopf kam selbst er nicht an. Am ende hat er es dann einfach akzeptiert. Ich wollte halt keine Puppe in einem Rosa Kleidchen sein.

Prüfend betrachte ich mein Spiegelbild und stelle zufrieden fest, dass es gar nicht so schlimm ist wie ich dachte. Jaydens Blick gibt mir dann den Rest der Bestätigung, die ich brauche um mich endgültig wohl zu fühlen. »Wie für dich gemacht«, sagt er und ich ziehe mich wieder um. Dann fällt mir plötzlich ein, das ich gar kein Geld habe, jedenfalls nicht hier. Er scheint meinen Stimmungswechsel bemerkt zu haben. »Was ist los? Gefällt es dir doch nicht?«, will er sofort wissen. »Doch schon, aber ich habe völlig außer acht gelassen, dass ich kein Geld habe«.

Er seufzt, und streichelt mir über die Schulter. »Mir war das aber bewusst, mach dir keine Sorgen. Ich übernehme das«.

Erleichtert nicke ich und obwohl ich nicht der Typ bin, der sich gerne aushalten lässt, freue ich mich aufrichtig ihn bei mir zu haben. Nachdem er die Rechnung beglichen hat, beschließen wir noch einen Cappuccino trinken zu gehen. Wir unterhalten uns über dies und jenes, bis wir uns schließlich auf den Rückweg machen.

 

Kapitel 10

 

Zurück bei Jayden, überlegen wir gemeinsam was wir noch machen können. Am ende entscheiden wir uns für einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher. Mit einer riesigen Schüssel Popcorn kommt er zurück ins Wohnzimmer, und setzt sich neben mich. So nah wie er ist, kann ich den mir so bekannten Duft nach Keksen und Limone riechen. Der heutige Tag, war mit Abstand der schönste seid dem Tod meines Vaters. Ich würde alles dafür geben für immer hier bleiben zu können, sogar wenn für immer nur eine kurze Weile bedeutet. Jede Sekunde die Jayden an meiner Seite ist, ist soviel wertvoller als mein gesamtes bisheriges Leben.

Ich spüre wie die Anziehungskraft zwischen uns wächst, und in meinem Kopf formen sich schon wieder Bilder von uns zusammen, die einfach nicht sein dürfen. Schnell unterbreche ich den Moment und versuche mich mit einem Gespräch abzulenken. »Darf ich dich mal etwas fragen?«. Er nickt. »Klar«. »Wieso bist du immer allein wenn ich, naja sagen wir mal zu Besuch komme? Ich meine wo sind deine Eltern?«. Meine Worte scheinen etwas in ihm auszulösen, denn er sieht mich traurig an. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach ob ich etwas falsches gesagt habe, doch dann antwortet er.

»Meine Mutter arbeitet sieben-hundertfünfzig Kilometer weit weg von hier, und meinen Vater habe ich nie kennen gelernt. Bis vor einem halben Jahr, haben wir abwechselnd hier und dort gelebt. Doch jetzt habe ich keine Lust mehr hin und her zu wandern, also haben wir beschlossen das ich hier bleibe«. Ich schaue ihn mitfühlend an. »Fehlt sie dir denn gar nicht?«. »Doch, natürlich fehlt sie mir, doch sie liebt ihren Job und ich bin alt genug um für mich allein zu sorgen. Sie wollte bis vor kurzem sogar ihren Job hinschmeißen, nur um bei mir bleiben zu können, doch das wollte ich nicht. Jetzt sehen wir uns etwa alle zwei Monate und ich kann nicht sagen das ich unglücklich damit bin. »Wow, sie kann froh sein dich zum Sohn zu haben«, sage ich immer noch fasziniert von der Tatsache das er auf seine Mutter verzichtet, nur damit sie ihrem Traumberuf nachgehen kann. »Weist du sie ist ein Freigeist, schwer an nur einem Ort zu halten, und ich habe gelernt die Situation so zu akzeptieren wie sie ist«, erklärt er und schenkt mir ein Glas Wasser ein. »Was genau macht sie dort so glücklich?«, frage ich neugierig und nehme einen Schluck. »Sie ist Geschäftsführerin, verantwortlich für alles was diese Firma ausmacht. Was genau sie so spannend daran findet kann ich mir auch nicht erklären«. »Klingt doch interessant. Jeder empfindet das was er tut anders und wenn es sie eben glücklich macht, anderen aufgaben zu erteilen dann ist es doch um so schöner«, antworte ich mit einem lächeln. »Unser zweites Haus ist wirklich traumhaft, du musst unbedingt mal mit mir dorthin fahren«. Meine gute Laune wird vom Schatten der Realität getrübt. Wie gerne würde ich mit ihm reisen, oder einfach nur etwas mehr Zeit verbringen, doch ich weiß nie genau wann dieser Traum hier wieder vor bei ist und ich zurück in die Hölle muss. »Klingt gut, leider bezweifle ich das das jemals geschehen wird«. Er weiß genau das ich recht habe, und dennoch versucht er mich weiter von dieser Idee zu überzeugen. »Was ist mit deinem Vater passiert?«, will ich nun wissen um mich von dem Gedanken ihn vielleicht nie wieder zu sehen ablenken zu können. »Keine Ahnung, meine Mutter sagt er ist nach meiner Geburt und dem Tod meines Bruders einfach abgehauen«. »Das tut mir leid«, entgegne ich einfühlsam und lege meine Hand auf seine. »Das ist nicht schlimm, ich habe meine Mam und das ist alles was ich brauche. Bis jetzt zumindest!«, erklärt er und grinst mich vielsagend an. Ich habe seine versteckte Botschaft verstanden und einmal mehr zerreißt es mir das Herz. Er mag mich! Er mag mich wirklich. »Ihr würdet euch sehr gut verstehen«, sagt er plötzlich mit einem so herzlichen Ton, dass mir ein wohliger Schauder über den Rücken läuft. Er strahlt soviel Geborgenheit auf mich ab, dass ich mich unwillkürlich wohl in seiner nähe fühle, und das obwohl wir uns gerade mal ein paar tage kennen. Nachdenklich betrachte ich ihn und habe bereits die nächste frage im Kopf. »Wie heißt deine Mutter eigentlich?«. »Olivia«, beantwortet er meine Neugier und schaltet den Film ein. Zu meinem bedauern hat er einen Horrorstreifen ausgesucht,

dauernd irgendwelche Gestalten voller Blut und eine Handlung die ich nicht verstehe. Damit kann ich nichts anfangen! Aber das kann ich ihm nicht sagen, denn für ihn scheint der Film sehr Unterhaltsam. Nach einer weiteren Horror-Szene zucke ich zusammen und erreiche damit das er seinen Arm um meine Schulter legt. Behutsam zieht er mich näher an sich, und ganz Plötzlich ist es wieder da, dieses Band. Die Anziehungskraft, die mich zwingt meine Lippen auf seine zu legen. Ich will der Versuchung ja widerstehen, doch ich kann einfach nicht. Als ich meinen Kopf drehe, und ihm in seine funkelnden grünen Augen Blicke, ist es vollkommen um mich geschehen. Wir versinken in einem tiefen Kuss. Schnell zieht er mich auf seinen Schoß und führt seine Hände unter mein Shirt. Seine weichen Finger berühren meine nackte Haut und mir wird schwindelig. Ich fühle schon jetzt, wie weh es tun wird ihn wieder verlassen zu müssen. Sein Becken drückt sich gegen meins und ich spüre seine harte Männlichkeit. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, diese Wirkung auf ihn zu haben. Erneut steigert er die Intensität seiner Zungenbewegung, und ich presse mich enger an ihn. Was macht dieser Kerl bloß mit mir?

Und dann geschieht es! Der Nebel kommt, und zieht mich in sein Schwarzes Loch. Mein versuch mich an ihn zu klammern scheitert, und ich werde weg getrieben. Ich will ja schreien, ihn anflehen mich festzuhalten, doch mein Körper ist nur noch eine leere Hülle.

 

***

 

Seine Hände liegen immer noch um meinen Hals, und ich versuche krampfhaft nach etwas Luft zu ringen. »Ich bring dich um!«, brüllt er. »Yannick bitte«, krächze ich, doch er hört einfach nicht auf. In seinem Ausdruck liegt soviel Wut, und ich gebe schon fast die Hoffnung auf. Doch da ertönen vor dem Mädchenklo zwei laute Stimmen. Sofort löst er sich von mir, und zieht den Reißverschluss meiner Jacke bis ganz nach oben. »Kein Ton«, droht er, und verschwindet. Reflexartig schließe ich mich schnell in einer der Kabinen ein. Mein Husten will einfach nicht abebben, und das scheint die Mädchen aufhorchen zu lassen, denn sie fragen ob alles in Ordnung ist. Ich erzähle ihnen das ich mich verschluckt habe. Total bescheuerte ausrede ich weiß, aber sie verschwinden. Nach etwa fünf Minuten kann ich mich dann aber doch wieder beruhigen, und verlasse die Kabine um in den Spiegel zu schauen. Erschrocken stelle ich fest, dass mein Hals von einem Hämatom mit deutlichen Handabdrücken geziert wird. Lila-Blaue Flecken, die so schnell nicht wieder verschwinden werden. Zum Glück verdeckt meine Jacke diesen Anblick vor den Augen der anderen. Benommen vernehme ich den Gong zum Ende des Unterrichts, und mache mich auf den Weg zur Haltestelle.

Als ich daheim ankomme, bin ich völlig erschöpft. Mir fehlt einfach die Kraft um mich in die Küche zu stellen, und etwas essbares zu fabrizieren. Ich beschließe einfach hoch in mein Zimmer zu gehen um mich ins Bett zu legen.

Meine Kleidung ist zerrissen, und mein Haar steht in alle Himmelsrichtungen. Ich fliehe vor dem, was mir solche Angst macht. Doch weit komme ich nicht. Jemand ergreift meine Hand und zieht mich schützend in seine Arme. Dieses Gefühl ist mir sehr vertraut und ich lausche der beruhigenden Stimme: »Ich hatte dich gewarnt!«. Mein Kopf senkt sich schuldbewusst, und ich beginne zu weinen. »Einst waren zwei Menschen für einander geschaffen worden. Sie liebten einander und bekamen ein Kind, obwohl es ihnen untersagt wurde. Als sie ihren Preis für den Verrat zahlen mussten, gaben sie ihre liebe auf, und entschieden sich für die Vernunft. Wiederholungsgefahr! Wiederholungsgefahr! Wiederholung........, Wiederhol........, Wie......«, und die Stimme verschwindet.

Schweißnass öffne ich die Augen. Was war das denn? Etwas benebelt von meinem Traum stehe ich auf. Ich kneife mich einmal fest in die Wange, um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich wach bin. Denn die Worte hallen noch immer in meinem Kopf. »Du Faules Miststück! Wo treibst du dich rum«, ertönt die wütende Stimme meines Bruders von unten. Schnell laufe ich ihm entgegen. Als sich unsere Blicke treffen, baut er sich wie ein wild gewordener Neandertaler vor mir auf. Er sagt nichts und versetzt mir einen Stoß der mich augenblicklich zurück taumeln lässt. »Wieso ist das mein Essen nicht fertig?«, faucht er und bockst mir mit der Faust gegen die Schulter. Mit gesenktem Blick stehe ich da, unfähig meinen Mund zu öffnen. »Hat es dir die Sprache verschlagen, oder was ist los mit dir?«. Seine Fassungslosigkeit spiegelt sich mit jedem seiner Gesichtszüge wieder. Angst macht sich in mir breit und ich befürchte das es diesmal schmerzhaft enden wird. »Starr mich gefälligst nicht so an! Wenn wir zurück sind werde ich dir erst mal Manieren beibringen«, droht er und schiebt mich gewaltsam vor sich her in mein Zimmer. »Was bedeutet: wenn wir zurück sind?«, frage ich kleinlaut mit zitternder Stimme. Genervt verdreht er die Augen. »Das wir eine Verabredung haben, also Pack dir Badesachen ein, und schwing deinen Arsch runter«, weist er mich nun streng an. Mit tränen in den Augen stehe ich da und bestücke meine Tasche mit einem Handtuch, und dem einzigen Badeanzug, den ich besitze. Er ist dunkelgrün und ziemlich alt. Ein grund mehr, weshalb ich seid Ewigkeiten nicht mehr schwimmen war. Doch so wie er momentan drauf ist, würde ich wohl in der Leichenhalle landen, falls ich mich seiner Anweisung widersetze. Ohne zu wissen, was mich erwartet, oder wo wir hin gehen steige ich in seinen Picup. Die Stelle meiner Schulter, die er getroffen hat, schmerzt ein wenig, also starre ich aus dem Fenster, und freue mich über die Tatsache das er kein Wort sagt. Meine Gedanken schweifen ab und mir wird bewusst das es real war, ich war bei Jayden. Er ist so nett, am liebsten würde ich für immer dort bleiben, dann müsste ich nie wieder etwas tun, wozu ich keine Lust habe. Naja diese Wechsel müssen ja irgendeinen Auslöser haben, wenn ich nur wüsste welchen? Ich würde nie mehr zurück ehren. Auch wenn es völlig absurd ist, wenigstens glaubt er mir, und stempelt mich nicht mehr als verrückte ab. Allein beim Gedanken an Jaydens Gesichtsausdruck, als er mir gesagt hat, dass er fast durchgedreht ist, als ich plötzlich während des Kusses verschwunden bin, könnte ich vor Glück weinen. Es tut so gut jemanden in seinem Leben zu haben, der sich wirklich sorgen um um einem macht. Mein Blick ist weiterhin starr aus dem Fenster gerichtet, während ich mich frage was es mit dieser Anziehungskraft auf sich hat? Ich meine, wir verbringen Zeit miteinander, Kochen, gehen Einkaufen, und schauen Fern. Nichts passiert! Und dann überkommt mich auf einmal dieser Drang, ich muss ihn spüren, will ihm ganz nah sein. Werde von meinem Körper geleitet, unfähig eine eigene Entscheidung zu treffen, tue ich nur noch dass, wonach sich mein Herz sehnt, dass ist doch mehr als seltsam.

Ein kräftiger Ruck gegen meine Schulter, holt mich aus meinen Gedanken. »Aussteigen«, gibt er mir zu verstehen. Ich öffne die Tür und erkenne, dass wir auf der Rückseite unseres Freibades stehen. Allerdings weiß ich nicht was er hier will, denn um diese Uhrzeit ist es garantiert geschlossen. Er führt mich den langen Zaun entlang, und macht vor einer tieferen Stelle halt. Ich schaue ihn fragend an. »Worauf wartest du?«. Mit einer Handbewegung befiehlt er mir, über den Zaun zu klettern. Geschockt sage ich: «Spinnst du! Das mache ich nicht«. Mit einem wütenden Gesichtsausdruck brüllt er: »Willst du dich wirklich mit mir anlegen?«. Ein tritt vor's Schienbein seinerseits, macht mir deutlich das er es ernst meint. Ich klettere durch die Maschen des Zauns nach oben, und springe auf der anderen Seite herunter. Sofort sehe ich, dass Luca und Lis auch mit von der Partie sind. Die haben mir gerade noch gefehlt! Sie begrüßen sich gegenseitig, und beginnen sich auszuziehen. Lis trägt natürlich ein hauch von nichts. Das Bikini Oberteil umschließt nur ebenso ihre Brustwarzen, und das Höschen verdeckt so gut wie nichts. So was von Billig! »Was wollen wir hier?«, frage ich, und alle sehen mich an, als sei ich aus einer Talkshow entsprungen. »Schwimmen«, entgegnet Luca abfällig. »Na dann, viel Spaß euch«, sage ich etwas überheblich. Während Luca und Lis ins Wasser springen, zieht mich Yannick gewaltsam an sich. »Mach keine Faxen. Sei froh das ich dir diesen Spaß erlaube, anstatt dich ins Koma zu prügeln«, gibt er mir zu bedenken. Dann springt er zu den beiden ins Wasser. Ich verstecke mich hinter einem der Bäume, und ziehe mir meinen Badeanzug an. Als ich die Blicke der anderen einfange, höre ich ihnen entrüstet zu, wie sie mich auslachen. Na toll! Ich begebe mich nur langsam hinein, denn das Wasser ist Arsch kalt. Wie kommt man bloß auf die Idee im Oktober schwimmen zu gehen, frage ich mich kurz, als Luca mich unsanft Packt, hoch hebt und voller Wucht ins Wasser schleudert. Ein quiekender Schrei verlässt meinen Mund, und wieder ernte ich ein höhnisches lachen. Nachdem Lis eine ganze Zeit an Yannicks Lippen geklebt hat, verschwinden die beiden. Luca versucht die Situation etwas aufzulockern, indem er mich Nassspritzt. Ich mustere ihn, wobei mir auffällt, dass er Tätowiert ist. Ein riesiges Tribal zieht sich von seiner Schulter über die Brust. Fasziniert von diesem Anblick, denke ich darüber nach, wie schmerzvoll das stechen wohl ist. Er scheint mein starren bemerkt zu haben, denn er zwinkert mir mit einem lüsternen Blick zu. »Hat das Weh getan«, frage ich, und deute auf die wunderschöne Bemalung. Amüsiert schaut er mich an. »Und wie! Willst du auch eins?«, spottet er, nachdem er mich gerade darüber in Kenntnis gesetzt hat, wie Weh das tut. Ich schüttle schnell den Kopf. Er schwimmt zu mir herüber und sagt: »Ich schulde dir ja noch eine runde im Traumland«. Automatisch weiche ich etwas von ihm zurück. Er hält mich jedoch am Stoff meines Badeanzugs fest, und zieht mich ganz nah an sich. Wiedereinmal presst er ohne Vorwarnung, seine schmutzigen Lippen auf meine. Ich unterbreche ihn indem ich frage: »Was willst du eigentlich von mir? Ich bin doch überhaupt nicht dein Typ«. Voller hohn antwortet er: »Da hast du wohl recht. Aber da ich ein hilfsbereiter Mensch bin, stelle ich mich gerne als Retter, der ungefickten Jungfrauen zur Verfügung«. Seine Stimme klingt so, als meinte er das gesagte vollkommen ernst. Ich hingegen kann nicht glauben, wie abfällig er gerade über mich gesprochen hat. Seine Finger erkunden meine Beine, und er schafft es sie um seine Hüfte zu schlingen. Meine Gegenwehr ist zwecklos, da er einfach viel zu stark ist. In Gedanken versuche ich einen Weg zu finden, um irgendwie aus dieser Situation heraus zu kommen. Doch nichts fällt mir ein! Zu meiner Verwunderung kommt Yannick allein zurück, was mich behutsam fragen lässt: »Wo ist Lis?«. »Pizza holen!«, sagt er monoton, und gesellt sich zu uns. Luca führt mich jedoch zum Beckenrand, und positioniert mich mit dem Rücken vor sich. Panik steigt in mir hoch. Meine Hände krallen sich am Ablaufgitter fest, woraufhin er mir von hinten dicht auf die Pelle rückt. Dann flüstert er: »Genieße es! Es wird das einzige mal sein, das es dir jemand besorgt«. Meine Tränen vermischen sich mit dem überschwappenden Wasser, das seine Bewegungen auslöst. »Diesmal entkommst du mir nicht«, haucht er, und ich versuche mich zu winden. Leider vergebens. Ohne groß darüber nachzudenken, drehe ich meinen Kopf herum, und lehne meinen Mund ganz nah an seinen Hals. Er stöhnt auf, während ich die Gelegenheit nutze, um ihn mit aller kraft ins Ohr zu beißen. Abrupt lässt er von mir ab, und gibt einen erstickten Schmerzlaut von sich. Yannick der das ganze fassungslos beobachtet, schwimmt auf mich zu, und drückt meinen Kopf ohne Vorwarnung unter Wasser. Das ganze geschieht so schnell, dass ich keine Chance habe, mich zur wehr zu setzen. Ich spüre starke Hände die mich herunter drücken, was zur Folge hat, dass ich einen ganzen Schwall Wasser verschlucke. Kurz werde ich wieder hoch gezogen. Doch schon einige Sekunden später bin ich wieder unten. So geht das immer Hin und Her, bis ich wie so oft schon, keine Luft mehr bekomme. Mein Körper wehrt sich zwar durch das frei gesetzte Adrenalin, kann aber nichts gegen die bevorstehende Bewusstlosigkeit ausrichten. Meine Lungen füllen sich immer weiter mit Wasser, und ich werde von der Dunkelheit weg getrieben. Verliere meine Sicht durch den aufsteigenden Nebel, und spüre wie mein Körper wieder zur leeren Hülle wird.

 

Kapitel 11

 

Das kühle Wasser lässt mich zittern. Ich steige aus dem Becken hinaus und sehe mich verwirrt um. Sofort kommt mir der Gedanke auf der anderen Seite gelandet zu sein, doch ich kann niemanden erkennen. Orientierungslos suche ich nach meiner Bekleidung. Doch da ist nichts, außer meinen Badelatschen. Scheiße! Kälte durchströmt meinen Körper und ich friere. Was soll ich jetzt tun?

Plötzlich dringen mir stimmen ins Ohr. Unauffällig nähere ich mich der Geräuschquelle. Ich wusste es! Jayden sitzt lässig im Gras, um ihn herum eine Gruppe von Leuten. Ich mustere sie und dann fällt der Groschen. Es ist genau die selbe Clique, die ich bereits in der Mensa kennen gelernt habe. Sie lachen, und der Typ mit den Blauen Haaren, ich glaube er hieß Thoran, Thomah oder so ähnlich, erzählt von einer Party. Kurz überlege ich zu ihnen zu gehen, vielleicht haben sie ja ein T-Shirt für mich. Aber der Anblick meines hässlichen grünen Badeanzugs, hält mich davon ab. Nach weiteren zwei Minuten, die ich einfach nur so da stehe und sie beobachte, steht Joana plötzlich auf. An sie erinnere ich mich noch sehr gut, denn sie war es, die mich angesprochen hat. Auf direktem Weg kommt sie zu mir rüber. Erst jetzt bemerke ich, dass ich in der nähe der Toiletten stehe. Als sie wieder heraus kommt, macht sie ein leises Pssst meinerseits, auf mich aufmerksam. »Hey, Madonna«, sagt sie und ich muss lächeln. »Medina«, berichtige ich sie. »Entschuldige! Was machst du denn hier so ganz allein? Komm und setz dich zu uns«, bietet sie freundlich an. »Das würde ich ja gern, aber jemand hat mir meine Sachen geklaut, und das einzige das ich finden konnte, ist dieser hässliche Badeanzug«, spinne ich meine lüge zusammen. Ja gut, der beste Einfall ist da jetzt nicht, aber es scheint zu wirken. »Ah verstehe, warte kurz«, sagt sie und verschwindet. Nach einer Minute kommt sie zurück, und reicht mir einen schlichten Pulli und eine Leggings. »Perfekt!«, bedanke ich mich, und folge ihr zu den anderen. Als Jayden mich sieht, steht er sofort auf und umarmt mich fest. »Du bist wieder da«, haucht er mir so dicht ans Ohr, dass nur ich es hören kann. Die Truppe beobachtet die Szene aufmerksam, und schmunzelt. Mit einem freundlichen »Hallo!«, begrüßen sie mich. »Wieso hast du uns nicht erzählt, dass wir noch jemanden erwarten«, fragt Mila, an Jay gerichtet. »Weil sie mich überraschen wollte«, sagt er als wäre das tatsächlich so. Ohne die anderen weiter zu beachten, steht Jayden auf und verabschiedet sich. »War schön, aber wir müssen jetzt los«. Komische Blicke folgen, doch sie bleiben höflich und machen keinerlei aufstand. »Viel Spaß euch beiden und bis morgen«. »Ach Medina, kommst du morgen auch auf die Party«, ruft Thomah mir nach. »Denke schon«, antworte ich. »Na dann, bis morgen«, sagt er fröhlich und wir verschwinden. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist«, sagt er, den Blick starr auf die Straße gerichtet. »Ich auch!«. Den Rest der fahrt schweigen wir. Wie auch beim letzten mal, öffnet er mir die Tür, und führt mich hinein. Ein ungewohnt vertrautes Gefühl überkommt mich. Angst spiegelt sich in seinem Gesicht, als er fragt: »Was ist passiert. Erzähl mir alles!«. Und das Tue ich. Angefangen von meiner Rückkehr auf dem Mädchenklo, bis hin zu dem erzwungenen Schwimmbadbesuch. Den Teil mit Luca lasse ich jedoch aus. Irgendwie ist es mir unangenehm ihm davon zu erzählen. Sein besorgter Gesichtsausdruck lässt mich schmunzeln. »Zum Glück bin ich rechtzeitig zurück, um mit dir auf die Party zu gehen«, scherze ich. Er lacht und ich habe mein Ziel erreicht. Sein grinsen ist wirklich eine willkommene Abwechslung, zu meiner deprimierenden Erzählung.

Er parkt den Wagen in der Garage und wir gehen ins Haus. Er holt uns etwas zu trinken und meint dann: »Ich glaube, ich weiß jetzt wie wir es hinbekommen das du hier bleiben kannst«, sagt er und ich bin ganz Ohr. »Ich denke du darfst mir nicht nah sein«. Er wirkt nachdenklich und ich runzle die Stirn. »Ich glaube du landest immer hier wenn Yannick dich versucht zu töten, und genauso gehst du von mir, wenn wir uns zu nah kommen«, erklärt er. »Aber wenn du mit deiner Vermutung richtig liegst, würde das ja bedeuten, dass wir uns nicht mehr Küssen dürfen«, sage ich ernst und kaue nervös auf meiner Unterlippe. Die Erkenntnis trifft mich wie ein schlag. Endlich habe ich etwas für das es sich lohnt zu leben, und doch darf ich es nicht berühren.

Das ist doch nicht fair. Uns ist beiden nur allzu bewusst was das für uns bedeutet. Denn wenn ich tatsächlich die Chance habe hier zu bleiben, dann werde ich sie um nichts in der Welt aufs Spiel setzen. »Hast du schon etwas gegessen«, wechselt er das Thema, worüber ich ihm wirklich dankbar bin. »Nein«. »Gut, dann bestell ich uns eine Pizza, welche möchtest du?«. »Rucola-Tomate«, antworte ich und er greift zum Hörer. Nachdem Essen sitzen wir eine weile gemeinsam nebeneinander auf dem Sofa. Ich bin bereits Hundemüde, und habe auch schon ein paarmal gegähnt. »Wollen wir schlafen gehen?«, fragt er deshalb und ich nicke. »Dann komm!«. Etwas irritiert über diese aussage, runzle ich die Stirn. Doch dann gibt er mir ein schlichtes T-Shirt und sagt: »Wo das Bad ist weißt du ja«. Zu meiner Erleichterung, fügt er noch hinzu, dass ich in meinem Zimmer schlafen kann. »Gute Nacht, Beauty. Wenn was ist, kannst du mich ruhig wecken, ich bin gleich nebenan«, sagt er. »Gute Nacht«, erwidere ich.

Die Nacht verlief ruhig. Als ich geduscht habe, muss ich bedauerlicherweise feststellen, dass ich gar nichts zum anziehen habe. Denn die Bekleidung von Joana, habe ich gegen eine Jacke von Jayden eingetauscht, als wir los sind. Jetzt könnte ich mich dafür Ohrfeigen. Leicht betrübt über diese Tatsache, begebe ich mich in dem alten Schlafshirt in die Küche. Das Frühstück ist bereits fertig, und ein unwiderstehlicher Duft steigt mir in die Nase. »Kaffee?«, fragt er und reicht mir eine Tasse. Als ich den ersten Schluck nehme, stelle ich fest das er genauso ist, wie ich ihn am liebsten trinke, mit viel Milch. Ich bedanke mich und wir frühstücken gemütlich. Es ist so ganz anders als Zuhause. Keine abwertenden Blicke, niemand der mir befehle erteilt und kein barscher Umgangston. Einfach nur Frieden und Harmonie.

»Wir sollten dir vielleicht ein paar Dinge besorgen, nur für den Fall, dass du jetzt öfter bei mir bist«, unterbricht er die stille, und sieht mich Erwartungsvoll an. »Ja das wäre nicht schlecht, aber wie du ja weißt habe ich immer noch kein Geld«. Kurz huscht ein missbilligender Blick in seinen Ausdruck. »Das hatten wir doch schon. Ich dachte das sei geklärt«. »Es ist mir trotzdem Unangenehm, mich von dir aushalten zu lassen«. »Das muss es aber nicht. Hör auf mit dem Quatsch und las uns gehen«. Er lächelt, wahrscheinlich um die Situation nicht ganz so gebieterisch wirken zu lassen. »Ich kann nicht in die Stadt! Ich habe nichts zum anziehen«. Er mustert mich kurz. »Ach ja, zieh doch einfach das Kleid an, dass wir für heute Abend gekauft haben«, schlägt er vor und ich stimme zu. Er holt es aus seinem Zimmer und reicht es mir. Nachdem ich umgezogen bin treffen wir uns unten und fahren los.

Als wir ankommen, erklärt er mir ausdrücklich, dass ich mich nicht zurückhalten soll. Ich schnappe mir etwas zögerlich eine billige Jeans, und einen Pulli. »Das ist zu wenig!«, schnaubt er. Da es mir jedoch sehr unangenehm ist, reagiere ich nicht auf seine ansage. Einen Moment lang beobachtet er mich noch, dann scheint er die Geduld zu verlieren. Er greift nach ähnlichen Jeans und Pullis, wie die, die ich mir ausgesucht habe, und drückt mir den Stapel in die Hand. »Anprobieren«, sagt er, ohne auch nur im entferntesten, auf meinen bösen Blick einzugehen. Am ende verlassen wir das Geschäft mit vier vollen Tüten, vom Slip bis zur Socke ist alles dabei. Im Drogeriemarkt läuft es ähnlich ab, und so bin ich schlussendlich mit allem ausgerüstet, was man für die nächsten sechs Wochen so braucht.

Während Jayden sich für die Party fertig macht, stehe ich etwas Überfordert allein vor dieser Aufgabe. Mich überkommt ein mulmiges Gefühl. Was wenn sie mich nicht mögen? Ein prüfender Blick in den Spiegel zeigt mir, dass es eine gute Entscheidung war, beim einkaufen einen Kajalstift mit zu nehmen. Ich erinnere mich wie Lis ihn bei mir benutzt hat, und im Nachhinein betrachtet gefällt es mir eigentlich ganz gut. Meine rote Mähne habe ich in einem lockeren Zopf zusammengesteckt. Einzelne Strähnen gucken hervor und schmeicheln meinem Gesicht. Meine Karamellfarbenden Augen leuchten, dank dem Schwarzen Lidstrich. Das Kleid ist Wunderschön, Knielang und kaschiert sogar all meine Problemzonen. Denn auch wenn ich spindeldürr bin, heißt das nicht automatisch, dass alles an mir Perfekt ist. Die Schwarzen Hakenschuhe runden meinen Style ganz gut ab. Wenn Jayden mich vorhin nicht daran erinnert hätte, dass ich immer noch in Badelatschen rum laufe, wäre das heute Abend ganz schön in die Hose gegangen. Aber Egal! Als ich wieder runter komme, ist er bereits fertig. Unauffällig mustere ich ihn. Er trägt dunkelblaue Jeans, und dazu ein Bordeauxfarbenes Hemd, wobei die obersten Knöpfe offen stehen. Seine Haare hat er ordentlich nach hinten gegeelt und um seinen Hals trägt er eine Silberne Kette. Aber was meine Aufmerksamkeit am meisten auf sich zieht sind seine Lippen, dieser Symmetrische Einklang ohne den geringsten Makel. Einfach zum anbeißen! »Wunderschön! Absolut hinreißend«, sagt er, als wäre ich aus einem dieser Modemagazine entsprungen. »Danke«, nuschele ich verlegen. »Wollen wir dann?«, fragt er und hält mir seinen arm hin. Ich nicke, und wir steigen in seinen Ferrari.

Als wir das Haus erreichen, wo die Party statt findet, schaut er mich noch einmal aufmunternd an. »Keine Sorge. Das wird super«, versichert er mir«. Arm in Arm, betreten wir das Grundstück. Mehrere Leute tummeln sich im Vorgarten. Laute Musik wird gespielt und alle scheinen in guter Stimmung zu sein. Ein junger Typ, ich schätze ihn auf etwa achtzehn, kommt auf uns zu. »Hey Jay, da bist du ja, und wer ist deine Hübsche Begleitung«, fragt er ohne den geringsten Spott in der Stimme. »Das ist Medina. Medina, das ist Raphael«, stellt er uns gegenseitig vor, ohne den arm von meiner schulter zu nehmen. »Kommt rein, holt euch was zu trinken«, bietet er höflich an. Wir folgen ihm in den Party Keller wie er die Kulisse bezeichnet. In den Ecken des Raums, sind überall Stühle aufgebaut. Wechsel farbige Strahler sorgen für eine bunte Atmosphäre. In der Mitte befindet sich reichlich Platz zum Tanzen, und hinter dem Tresen stehen zwei Frauen, die fleißig irgendwelche Getränke Mixen. Die Musik hallt durch das gesamte Zimmer. Einige stehen in Grüppchen zusammen und andere Tanzen bereits. Weitere besorgen sich an der Bar Nachschub und wieder andere messen ihre Kräfte beim Armdrücken. Jayden zieht mich weiter zu einem der Grüppchen. Erst jetzt entdecke ich, das es Thomah, Joana, Keil, Lorie und Mila sind. »Hallo«, begrüße ich sie mit einer wedelnden Handbewegung. »Hi, schön das du hier bist«, entgegnen sie. Eine ganze weile stehe ich einfach nur so da. Kann mich nicht in die Unterhaltungen der anderen einbringen. Ich habe das Gefühl in der Menge unterzugehen. Jayden hat mir zwar direkt etwas zu trinken besorgt, aber dennoch fühle ich mich irgendwie komisch, denn ich weiß nicht was man auf Partys so tun sollte. Mila Keil und Lorie gehen Tanzen, während ich mit Thomah und Jayden allein zurück bleibe. »Darf ich«, fragt Thomah, und hält mir seine Hand hin. Oh Gott! Verwirrt sehe ich ihn an. »Tanzen«, beantwortet er meine unausgesprochene frage, und Jayden muss sich ein grinsen verkneifen. »Äh, ja klar«, sage ich nur, da hat er mich schon förmlich auf die Tanzfläche gezerrt. Etwas unsicher tippe ich von einem Bein aufs andere. »Was ist los«, fragt er skeptisch. »Ich kann nicht tanzen«, hauche ich ihm dicht ans Ohr, da die Lautstärke der Musik jedes Gespräch zu Nichte macht. Er lächelt und zieht mich näher an sich, sofort wird mir unwohl. »Entspann dich, ich beiße nicht«. »Ist das auch sicher?« Ein beherztes lachen tritt aus seinem Mund. »Ja, ganz sicher, es sei denn du würdest es wollen«. Er grinst schelmisch. »Gut, dann vertraue ich dir einfach mal«. »Sehr gnädig«, sagt er und deutet einen Knicks an. Jaydens Gesicht verzieht sich derweil zu einer amüsierten Grimasse, und ich komme nicht umhin, ihm diese zu erwidern. Nach und nach kopiere ich seine Schritte, bis ich mich endlich völlig unbeschwert zur Musik bewegen kann. Nachdem gefühlt zweihundertsten Lied, kommt Jayden und fragt ob ich etwas trinken will. Dankbar über diese Unterbrechung nicke ich heftig, nehme meinen Becher und folge ihm nach draußen in den Garten. »Hast du Spaß?«, fragt er ehrlich interessiert. »Und wie! Es ist so toll, dass du mich mitgenommen hast. Ich mag deine freunde sehr. Sie sind alle so nett«. »Ja, das sind sie«, bestätigt er meine Worte. »Dann bereust du es also nicht bei mir zu sein« fragt er mit einem komischen Unterton in der Stimme. »Nein, natürlich nicht«, entgegne ich überrascht von seinem Gedanken. Ich senke den Blick und sage: »Weist du, um ehrlich zu sein genieße ich jeden Augenblick mit dir. Allein der Gedanke, dass wir uns eines Tages nicht mehr wiedersehen, bringt mich um den Verstand«. Tiefe Zufriedenheit zeichnet sich in seinem Gesicht ab. »Glaube mir, ich weiß genau wie du dich fühlst, denn ich empfinde ebenso«. Ich lächle verlegen und habe das Bedürfnis ihm nah sein zu wollen, doch das geht nicht. Denn wenn ich nicht aufpasse, lande ich wieder bei Yannick und ich weiß nicht wie lange ich seine Mordversuche noch überleben werde.

»Medina«, sagt er und sieht mir tief in de Augen. Er zieht mich ein Stück an sich heran und beginnt: »Ich möchte das du weißt, egal was passieren wird, ich bin da. Immer«. Seine Worte ´geben mir halt. Es ist h´genau das was ich brauche, die Hoffnung jemanden in meinem Leben zu wissen der auf mich wartet, dem ich etwas bedeute. Sein verlangen spiegelt sich mit jeder Faser seines Körpers und ich spüre was als nächstes geschehen wird. »Das geht nicht«, hauche ich dicht an seine Lippen. »Ich weiß«, sagt er und hat scheinbar sehr mit sich zu kämpfen. Ich trete einen Schritt zurück, doch die Anziehung zwischen uns ist so stark, dass ich mich nicht wehren kann. Plötzlich rebelliert mein Verstand und alles wird Egal. Ich lege meine arme um seinen Hals und drücke ihn fest an mich. Meine Zunge erkundet seinen Mund und mich durchflutet eine so starke Sehnsucht das ich mich vom Storm der Gefühle einfach mitreißen lasse. Seine Hände schieben sich unter den Stoff meines Kleides, unfähig mich dagegen zu wehren, lasse ich seine Berührung zu und spüre das verlangen nach mehr. Er wandert meine Oberschenkel hinauf und ruht schließlich auf meinem Hintern. Er knetet die Rundungen und Hitze steigt in mir hoch. Während all der Empfindungen wird mir nur allzu klar das ich gleich wieder die Seite wechseln werde. Ich versuche mich unter seinen Berührungen zu winden, doch damit befeuere ich die Leidenschaft zwischen uns nur noch mehr. Ich kann es nicht in Worte fassen, es muss dieses Band sein, es ist einfach da, Star und unzerstörbar. Es fällt mir verdammt schwer, mich nicht auf ihn zu schmeißen, um mir das zu nehmen, wonach sich mein Körper die ganze zeit schon sehnt. Und dann geschieht es. Nebel steigt auf und umhüllt meine Sicht. Ich werde fort getragen und bin unfähig ich an dem festzuklammern was mir am meisten bedeutet. Mein Körper ist wiedereinmal nur eine leere Hülle und ich werde fort getragen.

 

Kapitel 12

 

Ich werde aus dem Wasser gezogen. Ein ersticktes Husten, dringt mir aus der Kehle. Mein Körper wird achtlos über die Schulter geworfen. »Bleibt stehen!«, höre ich jemanden brüllen. Ein grelles Licht streift umher, doch ich kann meine Augen einfach nicht öffnen. Schnellen Schrittes bringt mich jemand fort. Lautes Hundegebell, lässt meinen Körper zusammen zucken. Ängstlich kralle ich mich am Shirt meines Retters fest. Durcheinander sprechende Stimmen, hallen in meinem Kopf wieder, doch verstehen kann ich nichts. Dann ertönt laute Musik und ich versuche zu realisieren wo ich bin. Langsam komme ich zu Bewusstsein, und begreife das ich auf dem Rücksitz eines Autos liege. Als ich zum ersten mal meine Augen öffne, sehe ich direkt in Yannicks Gesicht. Ich liege mit dem Kopf auf seinen Beinen, und er sieht mich finster an. »Geht's wieder?«, fragt er, und ich weiche ein Stück aus seinem Schoß zurück. Erst versucht er mich zu ertränken und dann fragt er ob es wieder geht. Der Tickt ja wohl nicht richtig. Wut strömt durch mich hindurch. Der Wagen hält an und ich höre wie Lis und Luca sich verabschieden. Yannick schiebt mich unsanft hinaus, und wir betreten unser Zuhause. Sein unnachgiebiger Griff, hält mich davon ab, sofort in mein Zimmer zu verschwinden. »Was willst du denn noch«, frage ich ihn mit kraftloser Stimme. Er schnaubt verächtlich, und zieht mich am Haar, dreht mich herum sodass ich ihm direkt in die Augen sehen muss. »Du hast mich schon wieder lächerlich gemacht. Sei froh das wir gestört wurden, sonst hätte ich jetzt deine Leiche verscharrt, anstatt dir eine Standpauke zu halten«. Ich schlucke. Immerhin hat er mich gerettet, doch dieser letzte Funke stirbt gerade, denn seine Worte haben mich zu tiefst verletzt. »Ist das dein ernst? Egal was passiert ist, ich bin noch immer deine Schwester«, sage ich bissig. »Das bist du nicht! Für mich bist du an dem Tag gestorben, als auch er uns verlassen hat«, entgegnet er gleichgültig. »Du hast mir das einzige weg genommen, dass mir je etwas bedeutet hat. Dafür wirst du sterben«, antwortet er. »Glaubst du, er fehlt mir nicht !«, frage ich gereizt von seinem Gerede. Für einen kurzen Moment blitzt so etwas wie Traurigkeit in seinen Augen auf, doch seine Worte machen wie immer alles zunichte. »Ach komm, verpiss dich einfach«, faucht er, und schubst mich in Richtung Treppe. Diesen Befehl muss er mir kein zweites mal geben.

Eine heiße dusche wird meinen Schmerz schon lindern, rede ich mir gut zu. Bevor ich mich ins Bett lege, schaue ich noch mal in den Spiegel. Der Handabdruck um meinen Hals verblasst allmählich, und auch sonst habe ich abgesehen von einem starken kratzen im Hals, keine sichtbaren Verletzungen davon getragen. Ich ziehe meine Decke ganz nah an mich heran, und schlafe ein.

Ich befinde mich auf der Spitze eines Turms und schaue hinunter. Der Anblick zieht mich magisch an. »Wunderschön, nicht wahr?«, ertönt die Stimme der Schattenfrau. Ich nicke. Sie ergreift meine Hand und sagt: »Ich möchte dir etwas erzählen. Es ändert sich nur dann etwas, wenn du bereit bist die Last zu tragen. Bist du es nicht, so wirst du das Glück niemals finden. Manche können nicht über ihren Schatten springen, deshalb sind sie zwischen gut und böse gefangen«. Ich runzle die Stirn, begreife nicht was sie mir damit sagen will. Als wüsste sie wie es in mir aussieht, streichelt sie mir aufmunternd über den Rücken. »Hör zu mein Kind. Ursprünglich waren es zwei. Doch das Schicksal entschied sich anders. Wenn Verlust so schmerzhaft wird, dass man die wahren Werte nicht mehr sieht,dann kannst du nicht mehr gerettet werden«.

Ich öffne die Augen, und schüttle verwirrt den Kopf. Nach einem kurzen Besuch im Bad, ziehe ich mich an, und gehe in die Küche. Es wundert mich wirklich, das Yannick mich heute freiwillig mit zur Schule nimmt, obwohl Vivien gar nicht da ist. Ohne auch nur einen einzigen Kommentar, kommen wir an der Schule an, und begeben uns in den Unterricht. In der Pause hole ich mir aus der Mensa einen Milchkaffee und versuche die restliche Zeit im Heizungskeller zu überbrücken. Meine Hoffnung hier unentdeckt zu bleiben, scheint tatsächlich aufzugehen. Denn der ersehnte Gong zum Unterrichtsbeginn ertönt, und ich bin nicht mit abfälligen Sprüchen attackiert worden.

Der Schultag endet und ich fahre wie immer mit dem Bus nach hause, weil Yannick sich nach Schulschluss immer noch auf dem Sportplatz rum treibt. Als erstes genehmige ich mir ein großes Glas Wasser und versuche mir darüber klar zu werden, was es mit meinem Traum heute morgen auf sich hatte. Aus irgendeinem Grund überkommt mich der Drang mir alte Fotos anzusehen. Ich begebe mich ins Wohnzimmer und durchwühle alle schränke und Schubladen, in der Hoffnung auf etwas zu stoßen, dass mir weiter helfen kann. Natürlich ist nichts dabei! Die Haustüre öffnet sich, und mein Stiefbruder kommt herein. »Was wird das wenn es fertig ist«, fragt er, und wirkt zu meiner Überraschung kein bisschen angepisst. Seltsam! »Ich schaue mir Fotos an«, sage ich wahrheitsgemäß. »Aha, und wann gedenkst du dann etwas zu essen zu machen?«. Kleinlaut erkläre ich ihm, dass wir nichts mehr im Haus haben und ich erst einkaufen muss. Sein Kommentar: »Sieh zu das du das erledigst«, lässt mich sofort aufstehen. Ich schnappe mir meinen Geldbeutel, ziehe mich kurz um, und verschwinde. Unser Lebensmittelmarkt, liegt etwa fünfzehn Gehminuten von unserem Haus entfernt.

Wenn ich bedenke, das Yannick in nicht mal zwei Minuten da wäre, und den ganzen Einkauf im Auto verstaut hätte, könnte ich kotzen. Andererseits mache ich diesen Weg auch gerne, denn es ist die einzige Zeit, außerhalb der Schule die ich allein sein kann. Schneller als erwartet habe ich alles zusammen, und verlasse den Supermarkt. Auf dem Weg nach hause, schlendere ich noch ein wenig durch die Straßen und halte abrupt inne, als ich den kleinen Laden auf der gegenüberliegenden Seite sehe.

Morphias wir werden ihnen den Weg weisen, steht in Leuchtschrift über der Tür. Eigentlich habe ich mich noch nie für so etwas interessiert, aber irgendetwas an dem Laden zieht mich magisch an. Als ich durch den Dicken Vorhang hinein trete, erkenne ich eine art Ramsch Geschäft. Lauter alte Gegenstände, Möbel und sogar Bücher, befinden sich hier säuberlich in den Regalen. Eine quirlige Dame in den Fünfzigern, begrüßt mich freundlich. Ihre Schwarze Lockenmähne trägt sie offen, wobei sie ihr Haar mit einem Seidentuch aus dem Gesicht gebunden hat. Das Rote Gewand, strahlt etwas Mystisches aus. Stumm stehe ich einfach nur da, und beobachte sie. » Hallo, ich bin Morphia«, stellt sie sich vor. »Hallo«, erwidere ich nur knapp.

Sie setzt sich an einen kleinen runden Tisch. »Möchtest du dich setzen?«, fragt sie, und deutet auf einen Stuhl ihr gegenüber. Wortlos nehme ich platz. »So mein Kind, du bist also auf der Suche nach dem richtigen Weg«, beginnt sie. Ich versuche mir mein Misstrauen nicht anmerken zu lassen. Dann fällt mir ein, dass ich nur knapp fünfzehn Euro vom Einkauf übrig habe. Deshalb frage ich: »Entschuldigung, aber was kostet der Spaß hier«. Sie lächelt freundlich und lehnt sich ein Stück zu mir herüber. »Keine Sorge, mein erster Rat ist umsonst. Alles weitere besprechen wir dann«, antwortet sie. Ich weiß nicht wieso, aber plötzlich überkommt mich das starke Bedürfnis, den Laden zu verlassen. Ich erhebe mich und setze zum gehen an, als sie ihre Stimme erhebt: »Medina! Ich sagte doch, der erste Rat ist umsonst«. Wie erstarrt setze ich mich wieder.

Woher zum Teufel kennt sie meinen Namen, geht es mir durch den Kopf. Doch ihre Anwesenheit beschert mir ein solch mulmiges Gefühl, dass ich zu dem Entschluss komme, sie lieber nicht zu fragen. Sie ergreift meine Hand und streichelt sanft darüber. Ob sie immer so eine Show abzieht? »Oh eine Reisende«, stellt sie fest und fügt hinzu: »Du musst lernen den Release besser einzusetzen«. Verwirrt entziehe ich ihr meine Hand. »Was soll das sein? Release?!«, frage ich, da sie mich doch etwas neugierig gemacht hat. »Nun, dass kann ich dir nicht sagen, aber du weißt bereits das du etwas ganz besonderes bist, nicht wahr?«. Ich nicke, wenn auch sehr zaghaft. Kann es möglich sein das sie weiß was mit mir los ist? Ist sie vielleicht selbst schon mal auf der anderen Seite gewesen? So viele Fragen die ich ihr gerne stellen möchte, und doch weiß ich nicht wo ich anfangen soll. »Sie müssen mir helfen«, setze ich an, doch sie schüttelt sofort den Kopf. »Das kann ich nicht, dass kann niemand außer dir selbst«, antwortet sie. Ihre Worte versetzen meiner Hoffnung einen herben Schlag. Wut steigt in mir hoch. Wieso macht sie Andeutungen, wenn sie mir dann doch nichts sagen will. »Vielen Dank auch«, zische ich verärgert und stehe auf. Sie hält mich nicht davon ab den laden zu verlassen. Doch ihr starrer Blick jagt mir als ich die Tür schließe einen kalten Schauder über den Rücken.

Was für eine Spinnerin. Release, was soll das bedeuten? Auf dem Weg nach hause, denke ich immer wieder über dieses Wort nach. Da ich es aber noch nie gehört habe, macht es für mich auch keinen Sinn. Wäre ich doch bloß nie in diesen Laden gegangen. Schneller als gehofft erreiche ich unser Haus und betrete die Küche.

Luca und Yannick hängen im Wohnzimmer und Zocken. Ihre Stimmen sind laut, anscheinend läuft das Spiel nicht so gut. Während ich eine Asiatische Reispfanne zubereite, kommen mir immer wieder die Worte dieser Morphia in den Sinn. Ich schwenke den Holzlöffel in der Wokpfanne, als Luca plötzlich herein kommt. »Das riecht gar nicht mal schlecht«, sagt er und tritt einen schritt näher an mich heran. »Was machst du denn heute noch schönes«, fragt er vollkommen gelassen. Ich kann nicht anders und werfe ihm einen verachtenden Blick zu. »Nichts, das dich etwas angeht«, rutscht es mir dann auch noch heraus. Sein Blick spiegelt puren Hass wieder und ich weiß ich bin zu weit gegangen.

»Ich denke es wird Zeit dir dein vorlautes Mundwerk zu stopfen«, sagt er und grinst mich selbstzufrieden an. »Gibt es keinen anderen den du langweilen kannst«, frage ich mit extra viel Spott in der Stimme. »Nö eigentlich nicht«. Seine schmierigen Hände legen sich um meine Hüfte. »Pfoten weg!«, protestiere ich sofort, doch er ignoriert mich. Ich versuche mich aus seinem Griff zu winden, doch er baut sich nur noch mehr vor mir auf. »Mal sehen, ob du nachher immer noch so eine große Fresse hast«, sagt er jetzt bedrohlich und ich bekomme tatsächlich etwas angst. Siegessicher schaut er mich an, lässt mich aber los und verschwindet wieder. Dann schalte ich die Kochplatte ab, und bereite drei Teller zu. Nach dem essen, räume ich alles wieder auf, und begebe mich wortlos in mein Zimmer. Keine Minute später stehen die beiden jedoch in meinem Türrahmen um mir mitzuteilen, dass ich sie begleiten werde. Sofort versuche ich mich zu weigern, irgendwie aus der Nummer heraus zu kommen. Leider Erfolglos. Yannick stellt sich hinter mich, und hält meine Arme auf dem Rücken fest, während Luca mein Gesicht befummelt. Sie machen sich einen Spaß aus meiner Angst, ihre abfälligen Kommentare und die Ohrfeige von Luca ignoriere ich zwar, aber meine Wut steigt ins unermessliche. »Lasst mich in Ruhe, ihr verfluchten«, versuche ich es. Doch ehe ich weiter sprechen kann, bekomme ich einen Tritt in die Kniekehle. Meine Beine knicken ein. Luca steht mit einem Grinsen vor mir und sagt: »Bist du jetzt Brav, oder muss ich dich auf andere Weise Zügeln«. Boah, die haben sie ja nicht mehr alle, denke ich mir, halte zur Abwechslung aber mal die Klappe. Yannick zieht mich am Pulli zurück auf die Beine und befiehlt mir etwas vernünftiges anzuziehen. Da ich keine Lust habe, das er die Wahl meiner Bekleidung übernimmt, stimme ich zu und suche mir selber etwas heraus. Eine enge Jeans und eine weit ausgeschnittene Bluse. Das muss reichen! Ich ziehe mich schnell um, binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz, und umrahme meine Augen mit Kajal, fertig. Diesmal fahren wir jedoch nicht mit Yannicks Wagen, sondern nehmen ein Taxi. Na toll, das kann ja nur bedeuten, das er etwas trinken wird. Scheiße! Wenn er säuft ist er noch unausstehlicher als sonst. Wir kommen vor einem riesigen Gelände zum Stehen. Ich brauche eine ganze Weile um zu erkennen wo wir sind. Paintball Arena, lautet die Aufschrift auf dem Willkommensplakat. Ach du Scheiße! Wir bewegen uns auf eine Gruppe zu, die aus insgesamt zwölf Leuten besteht, uns eingerechnet sogar fünfzehn. Die einzigen die ich kenne sind Lis und Dana, die anderen stellen sich nur ganz kurz vor, und beachten mich dann nicht weiter. Luca ergreift meine Hand und zieht mich neben sich, den anderen hinter her. »Das wird ein Spaß«, sagt er und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Ich hingegen kann nur an die mir bevorstehenden Schmerzen denken, denn mit solch einer Waffe getroffen zu werden, ist nicht gerade angenehm. Vor mir liegt eine riesige Anlage. Hauptsächlich auf einem Freigelände, es sieht aus wie eine verlassene Stadt, überall Ruinen und lauter Hindernisse aus alten Autoreifen aufgebaut. Die Einweiser verteilen Schutzanzüge gegen einen kleinen Bonus. Als mir einer entgegen gehalten wird, meint Yannick dieses miese Schwein, ich bräuchte keinen. Da ich sowieso nicht mit schießen werde. Der Einweiser runzelt zwar die Stirn, zuckt dann aber nur mit den Schultern. Alle anderen hingegen ziehen sich einen über. Er verteilt die Paintball Gewehre und weist uns ein, wie man mit ihnen umzugehen hat. Dann erklärt er noch das wir uns in zwei Gruppen aufteilen sollen. Yannick wirft ihm einen abfälligen Blick zu und macht ihm deutlich, dass wir seine Hilfe nicht brauchen. Nachdem er ein Paar Schritte weg von dem nervigen Typen zum stehen kommt sagt er: »Alle mal zugehört! In diesem Spiel gibt es nur ein Ziel!«. Er schiebt mich in die Mitte, und sofort wird mir klar was er vorhat. Alle Aufmerksamkeit liegt jetzt bei mir, vierzehn Personen, die alle auf mich schießen sollen. So ein verdammter Mistkerl. Wie soll ich das nur aushalten. Alle anderen lachen fies, und dann fällt das Startsignal. Ich renne so schnell ich kann, aber schon nach den ersten zwei Sekunden werde ich am Bein getroffen. Unwillkürlich gehe ich in die Hocke. Mit aller Kraft versuche ich mich wieder aufzurappeln, um in eines der Verstecke zu gelangen. Doch Dana trifft als nächste, und der Schuss erwischt mich mitten auf den rücken. »Aua!«, entfährt es mir, und alle lachen mich aus. »Stell dich nicht so an, ist doch nur Farbe«, ruft mir einer der Jungs zu. Ich verziehe mein Gesicht und dann fallen weitere Schüsse, eins, zwei, drei, Peng Peng Peng. Arme Beine Bauch, ein gewaltiger Schmerz zieht durch meinen Körper. Mit Schutzanzug wäre das bestimmt nicht so schmerzhaft geworden, denke ich mir, und versuche mich irgendwie zu den Hütten vor zu schleichen. Allerdings bin ich so Kraftlos, dass ich in einen Haufen aus Stroh sinke. Luca kommt zu mir und richtet die Waffe genau in mein Gesicht. »Hab ich dich!«, grinst er fies. Ich schließe demonstrativ die Augen und halte meine Hände in die Luft. »Ich ergebe mich«, schluchze ich. Er sieht mich irritiert an. »Du gibst auf? Nein, wie langweilig!«, spottet er und reicht mir seine Hand hin. »Wenn du mir einen Gefallen tust, helfe ich dir ins Versteck«, bietet er an. Ich runzle die Stirn. »Was für einen Gefallen«, presse ich unter schmerzen hervor. »Nichts schlimmes. Nur ein winzig kleines Küsschen«. Ich schau ihn resigniert an. »Niemals!«, fauche ich, doch die nächste Kugel belehrt mich eines besseren. Er steht einfach nur da und lacht. Dann zieht er eine Augenbraue hoch und reicht mir erneut die Hand hin. »Okay, aber bitte bring mich außer Schussweite«, bettle ich. Seine Hände schließen sich um meine Taille und er schleift mich gewissermaßen neben sich her, hinter eines der Häuser. So bleibe ich vor den anderen erst mal verschont. Zumindest solange bis sie mich entdeckt haben. Luca dreht seinen Kopf zu mir herum und umfasst mein Kinn. Wie versprochen lege ich meine Lippen auf seine, und kann nicht fassen, wie tief ich gesunken bin. Er schaut mir bedrohlich in die Augen und sagt: »Da habe ich wohl gewonnen!« Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht, bis er mich wieder aus dem Versteckt zerrt, ins Sichtfeld der anderen. Wie eine Zielscheibe. »Hab sie!«, ruft er siegessicher», und schießt auf mich. Meine Wange schmerzt wie Feuer. »Mieser Verräter!«, fluche ich. Sein lauf richtet sich auf die Stelle zwischen meinen Beinen. Ich versuche sie noch zusammen zu pressen, aber die Kugel hat schon sein Ziel erreicht. Ein erstickter Schmerzschrei dringt mir aus der Kehle. Ich krümme mich zusammen und lasse mich auf den Boden gleiten. Kraftlos liege ich da, bis Yannick kommt und mir ins Ohr flüstert: »Taffer als ich dachte, Schwesterherz. Damit ist die Strafe für dein ungebührendes Benehmen für heute gesühnt«. »Lasst uns etwas Essen!«, ruft er stolz in die Menge. Alle laufen los. Nur Dana bleibt zurück, hilft mir auf die Beine und meint dann: »Dein Bruder ist so was von Geil!«. Ich schnaube verächtlich. »Ja, total geil!«, erwidere ich Sarkastisch.

 

Kapitel 13

 

Die Meute steuert eine kleine Bar an, in der man um diese Zeit auch noch etwas zu essen bekommt. Sie bestellen sich Fritten und Hamburger. Die Bedienung lächelt Yannick an, und stellt ein Tablett mit kurzen Schnapsgläsern auf den Tisch. Nachdem sich jeder eins genommen hat, einschließlich meiner Wenigkeit, Prosten sich alle zu. Mir ist der Appetit mächtig vergangen, denn mein gesamter Körper schmerzt höllisch. Dazu kommt das ich Luca freiwillig geküsst habe, und er seitdem nicht mehr von meiner Seite gewichen ist. Nach dem fünften Tablett, sind die Mädels schon gut angetrunken, während die Typen sich erst mal eine Flasche Whiskey bestellen. Igitt! Sie kippen ein Glas nach dem anderen runter, und die Stimmung wird immer lustiger. Zumindest in ihren Augen! Für mich ist es einfach nur ein weiterer Tag, an dem ich bete, dass sie mich für den Rest der Zeit in ruhe lassen. Eines der Weiber ich erinnere mich schwach, dass sie Nathalie hieß, schlägt vor, dass wir alle noch mit zu ihr gehen können, da ihre Eltern auf einem Seminar sind, und sie somit sturmfrei hat. »Geile Idee!«, erwidert Thorben, einer der Jungs und alle stimmen zu. Sie bestellen drei Taxen und wir fahren los. Bei Nathalie angekommen, führt sie uns alle gemeinsam ins Wohnzimmer, dreht die Musik bis zum Anschlag auf, und stellt uns drei verschiedene Sorten Schnaps auf den Tisch. Wodka, Absinth und etwas mit der Aufschrift Coruba Jamaikanischer Rum, dazu zwei Flaschen Cola. Na das kann ja heiter werden! Nach etwa zwei Stunden, sind die meisten Hacke dicht. Zum Glück ist es mir gelungen, das Zeug irgendwann in den Blumenkübel neben mir zu Kippen, sonst wäre ich womöglich schon an einer Alkoholvergiftung gestorben. Ein paar Tanzen eng umschlungen und die anderen, Knutschen in irgendwelchen ecken. Abartig! Nur Yannick hat nicht wirklich eine Beschäftigung, deshalb wendet er sich schließlich total besoffen mir zu. »Komm mit«, fordert er und ergreift meine Hand. Er schleift mich in den Garten, und versteckt sich mit mir hinter einer großen Birke. »Sag mal, was ist das für ein Gefühl der Loser zu sein«, höhnt er. »Lass uns wieder rein gehen«, versuche ich ihn zu überzeugen, da ich genau weiß das er nichts gutes im Schilde führt. »Nein! Beantworte meine Frage«. Seine stimme klingt jetzt schon etwas wütender. »Wenn du Vater nicht dazu gebracht hättest, an deinem Geburtstag das Haus zu verlassen würde er noch leben«, sagt er mit beißendem Unterton. »Yannick bitte, fang nicht schon wieder damit an. Du weiß genau das ich das nicht wollte. Niemals sollte so etwas geschehen«, verteidige ich mich. »Es ist aber passiert, und du allein trägst die Schuld daran«. Eine ganze weile herrscht stille, doch dann zieht er unter seinem Shirt plötzlich eine kleinkalibrige Waffe hervor. »Was meinst du, würde passieren, wenn ich dir damit in den Kopf schieße?«, lallt er und fuchtelt mit dem Ding vor meiner Nase herum. Mit tränen in den Augen stehe ich vor ihm. »Du würdest mich Töten. Bitte tu das nicht!«, flehe ich, während sich mein ganzer Körper vor Angst zusammen zieht. »Peng, Peng, Peng« scherzt er und kommt sich dabei vor, als sei er unbesiegbar. Egal ob er es ernst meint oder nicht, niemand sollte mit einer Waffe bedroht werden, und die Tatsache das mein eigener Bruder zu so etwas abscheulichem fähig ist, zeigt mir einmal mehr, wie meine Zukunft aussieht. Ich werde Tod sein! Er nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Flasche und beginnt zu Taumeln. Da er sich von mir abgewandt hat, keimt die Hoffnung in mir auf das er endlich geht, und mich in ruhe lässt. Doch dann dreht er sich noch einmal zu mir um, und lallt etwas unverständliches, während er immer noch mit der Knarre rum fuchtelt. Und dann geschieht es. Ein Schuss löst sich und trifft mich in den Oberarm. Scheiße! Mein Körper gleitet erschöpft zu Boden. Ich erkenne noch, dass überall Blut ist und dann zieht mich das Schwarze Loch zu sich. Nebel steigt auf und verwehrt mir die Sicht. Ich schwebe und spüre keinerlei Empfindung mehr. Ich werde weg getrieben und mein Körper, ist wieder einmal diese leere Hülle.

Orientierungslos wach ich neben einer großen Birke auf. Mein Blick schweift umher, und ich erkenne einen Garten. Ich empfinde keinerlei Schmerz und fühle mich ungewohnt gut. Sofort ahne ich was passiert ist. Ich bin zurück! Ein Junge mit Nussbraunem Haar kommt auf mich zu und fragt: »Hey wer bist du, und was machst du hier?«. Ich richte mich auf und schaue ihn einfach nur stumm an. »Also!«, wiederholt er ungeduldig, und mustert mich. »Entschuldige, ich hab mich verlaufen«, lüge ich. Sein Blick lässt mich wissen, dass er mir kein Wort glaubt. Die Terrassentür öffnet sich und ein Mädchen kommt heraus. »Alex, was machst du denn die ganze Zeit hier draußen«, ruft sie, und kommt auf uns zu. Als sie vor mir stehen bleibt, erkenne ich sofort wer das ist. »Mila!«, sage ich und freue mich wirklich sie zu sehen. Sie lächelt. Nachdem Alex festgestellt hat, dass wir uns kennen, bittet er mich auf ein Glas Cola herein. Mila das Mädchen mit dem Kurzen Blonden Haar und den hellblauen Augen steht ruhig an der Ecke gelehnt. »Was machst du denn hier und wo ist Jayden?«, fragt sie schließlich. Ich senke den Blick und erzähle ihr, dass ich mich beim spazieren gehen, verlaufen habe. Sie sieht mich Misstrauisch an. »Wie lange genau wohnst du jetzt hier«, fragt sie. »Einen Monat«, entgegne ich in der Hoffnung das sie mir glaubt. »Weißt du, ich schlendere für mein Leben gerne in unbekannten Umgebungen. Leider besitze ich nicht die beste Orientierung, daher kommt es schon mal vor das ich vom Weg abkomme«, sage ich, in der Zuversicht mein auftauchen etwas besser erklären zu können. Ihr Blick wird weicher und sie sieht mich belustigt an. »Ganz schön durcheinander«, lächelt sie und fügt dann hinzu »Na hoffentlich, landest du irgendwann nicht mal in einem anderen Staat, bei deiner Vergesslichkeit«. Mein Blick richtet sich erneut auf die beiden und ich frage mich ob sie wohl zusammen sind. Als Alex jedoch die Hand von Mila ergreift um sie neben sich zu ziehen, ist meine unausgesprochene Frage auch schon beantwortet. »Sagt mal, würdet ihr mir vielleicht einen Gefallen tun«, frage ich und bekomme probt ein gleichzeitiges »Klar!«, zur Antwort. »Könntet ihr Jayden anrufen und ihn bitten mich bei euch abzuholen?«. Alex runzelt die Stirn. Er tippt etwas auf seinem Handy herum und reicht es mir dann. »Ruf ihn selbst an«, sagt er und ich lächele. »Danke«. Das Freizeichen ertönt und schon nach dem dritten klingeln hebt er ab. »Price!«, erklingt die stimme am anderen Ende und sofort lege ich reflexartig auf. »Was ist los?«, fragt Mila irritiert. Völlig Perplex starre ich sie an. »Ich glaube ihr habt die falsche Nummer eingegeben«, antworte ich und kratze mir verlegen den Kopf. In diesem Moment ertönt eine Melodie und ich höre Alex stimme: »Jay. Hi ich bin's! Deine Freundin ist bei uns. Ja!«. Ein lachen zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. »Sie kennt deinen Nachnamen wohl nicht, das hat sie ziemlich aus der Bahn geworfen«. Wieder prustet er los. »Okay bis gleich«, sagt er schließlich und legt auf. Mila die nicht so recht geschnallt hat was los ist, sieht Alex fragend an. Er grinst breit und meint dann: »Jaydens Familienname ist Price«. »Oh, Okay«, sage ich peinlich berührt von meiner Dummheit. »Er kommt gleich, und holt dich ab«, sagt er und beruhigt meine Nervosität damit ein wenig. Nachdem wir uns dann auf ein anderes Thema konzentriert haben, quatschen wir eine halbe Stunde über alle möglichen Sachen. Es ist ein tolles Gefühl sich einfach zu unterhalten ohne schikaniert zu werden. Dann klingelt es und Jayden steht mit einem so breiten grinsen im Gesicht vor mir, dass Alex und auch Mila mich völlig schockiert anstarren, als er mich in seine Arme zieht und mir einen so intensiven Kuss gibt, dass es schon Filmreif wäre. »Danke, dass ihr auf mein Mädchen aufgepasst habt«, sagt er und mein Herz macht einen Sprung. Mein Mädchen! Wie das Klingt. Seufz! So Leute wir werden dann mal verschwinden«, sagt Jayden und verabschiedet die beiden, während ich mich für alles bedanke. »Nichts zu danken«, erwidern sie und wir verschwinden. Wie schon so oft steige ich in den Blauen Ferrari Modena und muss mir eingestehen, dass ich es liebe in diesem Wagen zu sitzen. »Du weißt gar nicht wie froh ich bin dich zu sehen«, sagt er und ich lege meine Hand auf seine. »Doch, dass weiß ich!«. Meine Hormone spielen verrückt, denn ich habe das Bedürfnis ihm auf der stelle um den Hals zu fallen. Am liebsten würde ich keine Sekunde von Ihm getrennt sein. »Er hat es schon wieder versucht. Hab ich recht?«, fragt er und ich sehe seinen gequälten Blick vor mir. Ich nicke und erzähle ihm was vorgefallen ist. »So ein Mieses Schwein!«, faucht er und reibt sich dabei über die Schläfe. Als der Wagen zum stehen kommt steigen wir aus und begeben uns in die Küche. »Ich würde dich so gerne vor ihm beschützen, aber ich weiß nicht wie«, gibt er traurig zu und schließt mich in seine Arme. »Hey, ist schon in Ordnung. Wir werden eine Lösung finden«. Mein Versuch ihn aufzuheitern, gelingt nicht ganz so wie ich es gerne gehabt hätte. Dann fallen mir plötzlich die Worte von Morphia wieder ein. »Welche Bedeutung hat das Wort Release?«, frage ich überschwänglich. »Release«, wiederholt er mit gerunzelter Stirn. Ich nicke und erkläre: »Ich war bei einer art Wahrsagerin. Sie meinte ich sollte nach dem Release suchen. Denn dies wäre meine Lösung oder so. Ich weiß es nicht mehr genau«, wie ich mir eingestehen muss. »Naja, da gibt es zwei Möglichkeiten«. Überrascht sehe ich ihn fragend an. »Also im Englischen bedeutet es Freisetzung, Loslassen, herausgeben, und im Lateinischen, Veröffentlichung oder aber Auslöser. Hat sie sonst noch was gesagt?«. Ich schüttle den Kopf. »Nein, dass war alles«. Sein Blick ist konzentriert, wahrscheinlich, muss er erst mal darüber nachdenken, was ich gesagt habe. Nachdem er ein paarmal tief die Luft ein gesaugt hat, beginnt er: »Wir müssen unbedingt herausfinden was sie damit gemeint hat. Vielleicht habe dich da auch schon eine Idee«, informiert er mich und freut sich ganz offensichtlich über seinen Einfall. »Und teilst du mir deine Gedanken auch mit?«. Gedankenversunken räuspert er sich. »Ach so, ja klar. Also bei uns ist zur Zeit Jahrmarkt. Wenn wir Glück haben ist da auch eine von diesen Hellsehern. Wir sollten sie aufsuchen und bitten uns zu helfen«, sagt er und streicht mir eine Strähne meines Haars aus dem Gesicht. Als ich zur Bestätigung nicke, zieht er mich in die Arme und hält mich ganz fest. Ich erwidere die Umarmung, und frage ob ich kurz Duschen kann. Ein zaghaftes lächeln umspielt seine Lippen. »Du kannst hier tun was immer du willst. Fühle dich ganz wie Zuhause. Denn irgendwie bist du es ja auch«. Ich lächle dankbar und mache mich auf den Weg nach oben. Der heiße Strahl des Duschkopfes strömt mir ungehemmt über den Körper. Als ich aus der Dusche trete sehe ich zum ersten mal den Bodenlangen Spiegel, der sich ebenfalls in diesem Raum befindet. Ich habe meinen Körper noch nie von oben bis unten betrachtet, dafür schäme ich mich viel zu sehr. Mein Abbild zeigt mir jedoch, nicht wie ich dachte ein dürres Klappergestell, mit unzähligen Hämatomen und verblassten Narben, sondern, eine junge Frau mit Blasser Haut, langen Beinen und einer schmalen Hüfte. Lang gewelltes Haar das in seiner Feuerroten Pracht über meine Schultern tropft. Ich schwelge in der Vorstellung, dass ich vielleicht doch nicht ganz so unattraktiv bin, als es an der Tür Klopft. Sofort spannt sich meine gesamte Muskulatur an, bis ich mich wieder daran erinnere, dass ich bei Jayden bin. »Einen Moment noch«, sage ich und rubble meinen feuchten Körper ab. »Entschuldige, ich wollte nur sicher gehen das alles in Ordnung ist, du bist jetzt schon ziemlich lang hier drinnen«. Sein Ton ist voller sorge. Überrascht schaue ich auf die Uhr. Oh Shit! Über zwei Stunden habe ich hier vertrödelt. Ohne darüber nach zu denken öffne ich die Tür. »Ich habe wohl irgendwie die Zeit vergessen«, versuche ich ihn zu besänftigen, und schaue in das errötete Gesicht von Jayden. Sein Blick lässt mich an mir herunter sehen. Ich stehe nur in einem knappen Handtuch da, die Haare immer noch feucht. Okay, vielleicht sollte ich mir mal etwas anziehen! Unsere Augen scheinen plötzlich miteinander zu verschmelzen. Keiner von uns bringt auch nur ein Wort heraus. Langsam, viel zu langsam für meinen Geschmack kommt er auf mich zu, und berührt mein Schlüsselbein. Zärtlich streichelt er die Haut unter meinem Hals bis hin zum Anfang meiner Brüste, doch berühren tut er sie nicht. In seiner Miene liegt Sehnsucht, verlangen und tiefe Zuneigung. Ohne Zweifel gibt er mir das Gefühl begehrenswert zu sein. Ich schmiege meinen Körper nah an seinen und spüre das er sich anspannt. »Medina, dass sollten wir wirklich lassen«, haucht er und küsst mich sanft. Elektrisierend zieht es durch mich hindurch, und ich vergesse fast zu atmen. Behutsam schiebt er mich ein kleines Stück von sich. »Lass uns etwas unternehmen«, flüstert er um die Situation zu entspannen. Ich kann mir ein schelmisches grinsen nicht verkneifen, viel zu schön ist es, dass ich solche Gefühle in ihm auslösen kann. »Wenn du die Güte hättest mich kurz allein zu lassen, damit ich mich anziehen kann«, sage ich, und schiebe ihn einfach aus der Tür.

Zwanzig Minuten Später, bin ich frisch, und bereit für unsere kleine Mission. Er fädelt den Wagen gekonnt in den Verkehr ein, während ich erstaunt feststelle das unser Musik Geschmack sehr ähnlich ist. Mit einem breiten lächeln schaue ich aus dem Fenster und warte sehnsüchtig auf unser Ziel. Auf einem großflächigen Parkplatz kommt er zum stehen. Wie immer öffnet er mir die Tür und ich steige aus. Mein Blick schweift umher, und ich erkenne Bunte Lichter, gefolgt von zahlreichen Lautsprecher durchsagen. Der Geruch von Karamell, Pizza und einer staubigen Sommernacht, liegt in der Luft. Schrille Fahrgeschäfte, Losbuden und Essensstände soweit das Auge reicht. »Bereit?«, hackt er nach und ergreift meine Hand. Nickend lasse ich mich von ihm führen. Musik dringt durch die Boxen und ich fühle mich irgendwie frei. Das Startsignal eines der Fahrgeschäfte ertönt und mich überkommt der Drang auch eine Fahrt zu machen. Genau in diesem Moment bleibt er stehen und fragt: »Wollen wir?«.Mit ausgestreckter Hand deutet er auf die vor uns liegende Krake. Schnell nicke ich heftig, da steht er auch schon am Kassenhäuschen. Nachdem wir uns einen platz ergattert haben, beginnt die Fahrt zuerst ganz langsam, doch dann dreht es sich immer schneller, so schnell das ich hemmungslos an Jayden gepresst werde. Er lacht und hält mich mit seinem rechten Arm fest. Es ist als würden all meine Probleme in Luft aufgelöst, nichts worüber ich mir noch Gedanken machen müsste. Einzig Jayden und ich sind noch da. Und genau das ist es, was mich glücklich macht.

 

 

Kapitel 14

 

Die fahrt endet, und wir begeben uns wieder auf den steinigen Kiesweg. Unseren nächsten Stop, verbringen wir an einem kleinen Zuckerwattestand. Er reicht mir eine riesige Portion und lächelt mich an. Wir schlendern weiter über den Platz, und erreichen endlich das kleine Zelt mit der Aufschrift: Blick in eure Zukunft. Durch einen Seidenvorhang treten wir hinein. »Willkommen! Setzt euch«, sagt eine Schlanke Frau mit Rotem Haar und eindeutig zu buntem Gewand. Sie deutet in Richtung Stuhl und wir nehmen Platz. »Gib mir deine Hand«, fordert sie, und Jayden streckt sie ihr bereitwillig entgegen. Sie fährt mit ihren Fingerkuppen über seine Haut und murmelt irgendwelche laute vor sich hin. »Du bist ein Gemina!«. Ihre Augen weiten sich und ich bekomme das Gefühl, sie hätte einen Schwerverbrecher vor sich. »Was bedeutet das?«, frage ich sofort, da ich kein Wort verstanden habe. Ihr Ausdruck wird weicher und sie erklärt: »Nun, dass müsst ihr schon selbst herausfinden«. Na toll, dass bringt uns ja wirklich weiter. »Können sie mir dann vielleicht sagen was das Wort Release bedeutet«, hacke ich einfach mal hoffnungsvoll nach«. Misstrauisch weiten sich ihre Pupillen. »Wer hat euch dieses Wort gesagt?«, will sie wissen. Ich wandle die Wahrheit etwas ab und erkläre, dass wir vor einigen Tagen auf einem anderen Rummel waren, und die Frau dort mir etwas von dem Release gesagt hat«. An ihrem Blick erkenne ich deutlich, dass sie mir nicht Glaubt. Plötzlich erhebt sie sich und fordert: »Ihr solltet jetzt Gehen. Sofort!«. Wow, der Ton ihrer Stimme klingt wirklich furchteinflößend Sie hat uns nicht mal Gelegenheit gegeben noch zu bezahlen. »Was war das denn?«, richte ich meine frage an Jayden. »Keine Ahnung«. Sein Kopfschütteln lässt mich wissen das er wohl genauso irritiert ist wie ich. Unser Weg führt uns etwas abseits des Geschehens, auf eine kleine Bank. Sein Blick wirkt nachdenklich, während ich mich frage, was Gemina zu bedeuten hat. Nachdenklich halte ich den Blick gesenkt. Seine Hand hält meine so fest, als würde er befürchten, mich sonst auf der Stelle zu verlieren. »Was wollen wir jetzt machen? »Keine Ahnung! Gehen wir mal unser Wissen mal durch. Sie hat gesagt Suche nach dem Release. Wenn es also um die Englische Bedeutung geht dann heißt es, Suche nach der Freisetzung oder Suche nach dem Loslassen. Macht das irgendeinen Sinn für dich?«, fragt er und sieht mich aus hoffnungsvollen Augen an. Ich zucke ahnungslos die Schultern. »Vielleicht sollen wir irgendwas freisetzen, eine art Energie oder so«. Er schüttelt den Kopf um mir zu verdeutlichen, dass er nicht der selben Meinung ist. »Und Loslassen? Was meinst du könnte das bedeuten?«, fragt er, doch mir fällt beim besten Willen nicht ein, was ich los lassen sollte? Ich habe doch sowieso nichts mehr. Meine Eltern sind ja beide schon Tod. Er atmet tief ein. »Und wenn es nun heißt, dass du mich los lassen sollst?«. Meine Laune sinkt schlagartig auf ihren tiefsten Punkt. »Dann hätten wir ein Problem«, sage ich und grinse ihn frech an. Sein schelmisches lächeln, lässt mich wissen, dass er das genauso sieht. Nach einer Kurzen Zeit der Stille, sagt er schließlich: »Gut, lass uns weiter machen. Was haben wir noch? Im Lateinischen bedeutet Release Veröffentlichung oder Auslöser. Hast du eine Idee?«. Leicht genervt, weil das doch sowieso nichts bringt schüttle ich den Kopf und atme hörbar aus. »Ich hab's«, sagt er plötzlich und ich warte gespannt auf seinen Einfall. »Also, Release bedeutet Auslöser! Sie will uns damit sagen, dass wir herausfinden müssen, was den Wechsel bewirkt. Weißt du was das bedeutet?«. Ich schüttle den Kopf. »Das heißt, dass es einen Weg gibt, wie du für immer hier bleiben kannst. Wir müssen ihn nur finden!«. Er zieht mich nah an sich heran, und küsst mich in der Gewissheit, unserem Rätsel ein Stück näher gekommen zu sein. »Da könnte tatsächlich etwas dran sein«, gebe ich zu. »Und was ist mit Gemina?«, frage ich ihn in der Zuversicht, das ihm auch zu diesem Wort die passende Lösung einfällt. »Nun, wenn wir im Lateinischen bleiben, würde es Zwilling bedeuten. Wir sehen uns beide tief in die Augen und sagen gleichzeitig: »Yannick!«. Wenn sie recht hat, wäre Yannick der Zwilling von Jayden, aber wie ist das möglich? Sie sind beide völlig unterschiedlich. Es gibt keinerlei Verbindung zwischen unseren Eltern. Wobei wenn ich genau darüber nachdenke, hat mir die Schattenfrau aus meinen Träumen, schon mal etwas ähnliches erzählt. Sofort erkläre ich: »Jayden, die Frau von der ich immer träume, hat mal gesagt. Ich zitiere. Ursprünglich waren es zwei. Auch wenn der Verlust schmerzhaft war, so hatte man wenigstens für Ersatz gesorgt. Doch da nun auch dieses Glied fehlt, kannst du ihn nicht mehr Retten«. Er sieht mich leicht verwirrt an, so als hätte ich sie nicht mehr alle. »Da muss es doch einen Zusammenhang geben«. Grübelnd fragt er: »Was meinst du könnte sie damit gemeint haben? Es waren mal zwei und von welchem Verlust redet sie? Mir ist nicht bewusst das mir etwas fehlt. Außer dir natürlich, wenn du wieder zurück gehst«, scherzt er und versucht damit die Stimmung etwas aufzulockern. »Ha ha, sehr witzig«. Ratlos zucke ich mit den Schultern. »Na komm, ich denke wir haben für heute genug Spekuliert. Lass uns nach Hause fahren«, sagt er und setzt sich in Bewegung. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mir tief in die Augen. »Das einzige was mich nicht mehr Retten könnte wäre, wenn du nicht mehr wieder kommst«. Seine Lippen berühren meine, und sofort bin ich in einem Gefühl von Geborgenheit, und vollkommener Herzenswärme verloren. Zum ersten mal seid dem ich hier bin, wird mir bewusst das ich auf eine abgedrehte Weise, endlich jemanden gefunden habe zu dem ich wirklich gehöre, jemand der mich braucht, und der es genießt in meiner nähe zu sein.

Bei Jayden angekommen, lümmeln wir eine Weile schweigend auf dem Sofa, bis mir einfach die Augen zu fallen. Ich bin so müde, dass ich nicht mal den Weg ins Bad schaffe, sondern einfach in seinen armen einschlafe.

Am nächsten morgen erwache ich in einer mir fremden Umgebung. Scheiße bin ich etwa wieder bei Yannick? Langsam schweift mein Blick durch den Raum. Erleichtert atme ich auf, als ich Jayden neben mir bemerke. Er schläft noch und hat einen arm um meine Taille geschlungen. Wie bin ich in sein Zimmer gekommen, frage ich mich, nachdem mir eingefallen ist, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich befreie mich aus seiner Umarmung und schlüpfe unter die Dusche. Nach dem Reinigungsprozess begebe ich mich in die Küche und bereite ein französisches Frühstück zu. Jaydens Blick, als er den Raum betritt ist voller Zufriedenheit. Nach einem guten Morgen Kuss, setzt er sich und wir genießen die Leckereien die ich uns zubereitet habe. Als Jaydens Handy klingelt wischt er sich kurz über die Mundwinkel und nimmt ab. »Price«. Schweigen. »Ja, warte kurz«, sagt er und wendet sich mir zu. »Joana lässt fragen, ob wir Lust auf einen Grillabend mit anschließender Karaoke Nacht haben«, er sieht mich fragend an. Ich nicke, in der Hoffnung das ich bis dahin auch noch hier sein werde. »Bis dann«, sagt er und legt auf. Meine besorgte Miene lässt ihn fragen: »Was ist los?«. »Ach nichts, ich habe nur etwas angst, weil ich nicht weiß wie lange ich noch hier sein werde«. Sein mitfühlender Blick, verrät mir das es ihm genauso geht. Er steht auf und führt mich ins Wohnzimmer. Seine Hand gräbt sich in mein Haar und er küsst mich zärtlich. Seine Zunge wandert meinen Hals entlang und entlockt mir ein leises stöhnen.Währenddessen ziehe ich ihm das T-Shirt über den Kopf, und betrachte seine ausgeprägten Bauchmuskeln. Ich schmiege mich an seine Brust, und er haucht mir ein Kuss aufs Haar. Er schiebt mich sanft in Richtung Sofa, hebt mich hoch und platziert mich auf seinem Schoß. Unsere Blicke Verschmelzen miteinander, und ich spüre seine starken Hände, die mich fordernd an sich drücken. Unsere Zungen bewegen sich im Einklang miteinander, was mir ein kribbeln durch den Körper jagt. Nie in meinem Leben wollte ich etwas mehr als diesen Mann. Am liebsten würde ich ihn auf den Boden werfen, und jede einzelne Stelle seines Körpers in Besitz nehmen. Derweil gleitet seine Hand unter mein Oberteil, und ich spüre wie sie sich zu meiner Brust vorschiebt. Er greift unter den Stoff meines BH's und ertastet sanft die Haut darunter. Ich schlinge meine Beine um seine Hüften, um mich an ihn zu pressen. Die Intensität seiner Zungenbewegung wird schneller, und ich spüre wie er Besitz von mir ergreift. Jede Faser meines Körpers scheint auf ihn zu reagieren, und ich gebe mich dem Gefühl voll und ganz von ihm eingenommen zu werden, einfach hin. Schlagartig steigt mir Nebel vor die Augen, und sofort realisiere ich was passiert. »Nein! Bitte nicht«. Doch es ist schon zu spät. Auch Jayden scheint begriffen zu haben was nun passiert, und hält mich panisch in seinen Armen gefangen. All seine stärke kann jedoch nichts gegen die aufsteigende Macht, die mich umgibt ausrichten, der Nebel kommt und zieht mich in sein Schwarzes Loch. Meine Sicht ist getrübt und ich spüre, wie mein Körper wieder zu dieser leeren Hülle wird. Ich werde weg getrieben und all meine Empfindungen verschwinden. Ich fühle nichts mehr.

 

 

Kapitel 15

 

Schmerzen durchströmen meinen Körper und ich kann nicht anders als laut aufzuschreien. Um mich herum stehen Nathalie, Yannick und ein paar der anderen. Hektisch und nervös laufen sie umher. Mein Oberarm ist Taub. Plötzlich ertönen Signalgeräusche und ich erkenne ein Blaues Licht in der Dunkelheit. Stimmen! »Aus dem Weg, macht platz«, weist ein großer Mann in Sanitäter uniform die Meute auf dem Rasen an. Er hockt sich neben mich und fragt: »Können sie mich hören, haben sie Schmerzen?«. Er legt seine Hand auf meine Stirn, doch ich bin unfähig ihm zu antworten. Die verlockende Finsternis umgibt mich und ich spüre wie sie mich zu sich holen wird. »Hallo, wach bleiben! Mach die Augen auf«. Meine Sicht ist verschwommen und mein Kopf fühlt sich so schwer wie ein Sack Zement an.

Als ich wieder zu mir komme, öffne ich vorsichtig die Augen und erkenne Weiße Wände. Ein paar Monitore und, Moment mal ich liege in einem Krankenbett. Was mache ich denn hier? Langsam setzen sich die Erinnerungen wieder in meinem Kopf zusammen. Ich wurde angeschossen und bin bewusstlos geworden. Mein rechter Oberarm ist verbunden, und im linken steckt eine Braunüle, woran eine Flüssigkeit angeschlossen ist. Mein versuch mich aufzurichten scheitert, weil mir meine Benommenheit einen strich durch die Rechnung macht. Auf der Suche nach der Uhrzeit, schweift mein Blick im Zimmer umher. Es ist früh am morgen, gerade mal acht Uhr, und das Datum darunter zeigt mir, das ich bisher nur die Nacht hier verbracht habe. Ich schaue mich weiter um, und dann sehe ich ihn. Er sitzt auf einem Stuhl neben dem Kopfende, und hat die Augen geschlossen. Panik zieht durch mich hindurch. Mein eigener Bruder hat versucht mich zu Töten, und fast wäre es ihm diesmal gelungen. Verdammt was soll ich jetzt machen? Ich kann und will nicht mehr der Sündenbock sein, nur weil er mir die Schuld am Tod unseres Vaters gibt. Er scheint langsam wach zu werden, mit Argusaugen beobachte ich wie er mich betrachtet. Voller Hass und Abscheu! »Sieh an, da ist wohl einer aufgewacht. Zu schade aber auch«, sagt er und mir laufen die Tränen übers Gesicht. »Kein Wort über das was passiert ist«, droht er und schürt mir mit seiner Hand die Luft ab. Automatisch beginne ich zu Husten und mir geht der Gedanke durch den Kopf, dass er es auch ohne mein Schweigen weiterhin versuchen wird, doch meine Angst lässt mich automatisch ein Stück vor ihm zurück weichen. Seine Augen strahlen etwas derart böses aus, dass es mir eiskalt den rücken herunter läuft. In meiner starre gefangen, erkenne ich jemanden in der Tür. »Ah, sie sind wach! Wie geht es ihnen, tut etwas weh?«, fragt mich eine mollige Frau mit dunkelblondem Haar in Schwesternrobe. Ihr Blick trifft auf Yannick und sofort richtet sie ihr Wort an ihn. »Junger Mann, ich wäre ihnen sehr verbunden wenn sie das Zimmer verlassen, und ihrer Schwester etwas ruhe gönnen würden«. Er sieht sie nur missbilligend an, regt sich aber nicht. Sie schreitet zur Tür, hält sie demonstrativ auf, und macht ihm mit einer eindeutigen Handbewegung klar, dass er sich in Bewegung setzen soll. Zu meinem erstaunen kommt er ihrer Aufforderung ohne einen weiteren Ton nach, und verlässt das Zimmer. »Ich hole kurz den Arzt, bleiben sie bitte solange liegen«, weist sie mich freundlich an. Nach wenigen Minuten schon, steht ein Mann Mitte fünfzig im Raum. Sein Erscheinungsbild ist das eines Typischen Arztes, Weißer Kittel, graues Haar und ein Stethoskop um den Hals. Er stellt sich vor's Bett, und schaut in die Akte. »So! Ah ja, Fr. Sterling, ich bin Dr. Pirot ihr Behandelnder Oberarzt. Wir konnten die Kugel aus ihrem Arm sicher entfernen. Es werden keine Folgeschäden zurück bleiben, und die Narkose haben sie wie ich sehe, auch unbeschadet überstanden. Ich werde dann morgen früh nochmal nach ihnen sehen. Wenn sie Schmerzen haben, geben sie der Schwester Bescheid, die gibt ihnen dann ein Analgetikum. So nun muss ich aber auch weiter. Ach ja, bevor ich es vergesse, die Polizei wird im laufe des Vormittags noch bei ihnen vorbeischauen. Nur das sie sich schon mal darauf einstellen können«. So viele Informationen kann ich gar nicht verarbeiten, doch bevor ich hätte überhaupt etwas sagen können, verschwindet er auch schon wieder. Die Schwester bleibt jedoch da, und stellt sich als Monika vor. Sie misst meinen Blutdruck und checkt noch ein paar andere Vitalfunktionen. Zufrieden mit dem Ergebnis verlässt auch sie das Zimmer, und ich bin vollkommen allein. Als ich die Augen schließe taucht immer wieder das Bild vor mir auf, wie sich der Schuss löst. Blut fließt und alle schreien durcheinander.

Leicht verwirrt fällt mir ein, dass ich ja zwischenzeitlich auch noch bei Jayden war. Er hatte gesagt das ich sein Mädchen bin. Und dann die Sache mit dem Release und dem Gemina. Seltsam, aber wenigstens sind wir einen kleinen Schritt weiter gekommen. Wenn ich wieder Fit bin muss ich dringend noch mal zu Morphia, sie weiß mit Sicherheit noch viel mehr. Ich spüre noch immer seine Lippen auf meinen, und die Geborgenheit die er mir mit jeder seiner Berührungen schenkt. Allein beim Gedanken von seiner Hand auf meiner Haut beginnt alles in mir zu kribbeln. Aber wieso empfinden wir so für einander? Wenn ich bei ihm bin scheint es kein du oder ich mehr zu geben. Nur noch ein wir und das ist so grotesk. Jedes mal wenn ich ihn ansehe, fühle ich mich noch ein Stück mehr zu ihm hingezogen. Ich muss unbedingt heraus finden, wie ich bei ihm bleiben kann. Wenn ich so darüber nach denke, ist das die einzige Chance jemals ein normales Leben führen zu können. Ich könnte ganz normal zur Schule gehen, meinen Abschluss machen, Architektur studieren, eine Familie gründen, und Ja, ich könnte eine Familie gründen! Das ist der Traum den ich mich nie gewagt habe zu träumen. Daran werde ich fest halten, ich muss einfach nur so lange am leben bleiben, bis ich den Auslöser gefunden habe und dann...., ein klopfen reist mich aus meinen Gedanken, und ich öffne die Augen. »Herein!«, sage ich und zwei Männer, beide noch sehr Jung, betreten den Raum. Wie mir scheint sind sie kaum älter als zwanzig. »Guten Tag, Fr. Sterling ich bin Kommissar Virot und das ist mein Kollege Detektiv Lorafk. Wir würden ihnen gerne ein paar fragen zu ihren Verletzungen stellen«, sagt der Jüngere der beiden, ich glaube er hieß Detektiv Lorafk. Ich nicke zur Bestätigung. »Nun, sie wurden angeschossen und wie mir ihr behandelnder Arzt mit geteilt hat, weist ihr Körper etliche Verletzungen älteren Ursprungs auf. Also wollen sie mir nicht sagen was bei ihnen los ist. Wo kommen die Verletzungen her und wieso wurden sie angeschossen?«, fragt er mit eindringlicher Miene und ich glaube mir wird schlecht. Was soll ich ihm denn jetzt sagen. Die Wahrheit? Nein, das geht nicht, Fuck! So ein verdammter Mist. Zum Glück öffnet sich die Tür ein weiteres mal, und zu meiner Rettung eilt Vivien an mein Bett. Sie mustert mich ausgiebig und fragt: »Wie geht es dir?«. Als wenn sie das Interessieren würde. Doch zu meiner Überraschung muss ich mir eingestehen, dass ich noch nie so froh war sie zu sehen, wie in diesem Moment. Mit neugieriger Mine beobachtet Detektiv Lorafk die Frau im Schwesternoutfit und fragt: »Entschuldigung, aber wer sind sie?«. Auf meinem Gesicht formt sich ein kleines lächeln, viel zu genial ist die Tatsache, dass sich meine Ziehmutter vor der Polizei rechtfertigen muss. »Mir geht es gut!«, sage ich und frage mich was sie hier will. Sie lächelt mich zufrieden an, und wendet sich dann dem Beamten zu. »Ich bin Vivien Sterling Medinas Mutter«. »Stiefmutter!«, korrigiere ich sie, und fange mir einen Bösen Blick ein. »Nun gut, wie dem auch sei. Da wir hier gerade eine Befragung durchführen, möchte ich sie Bitten noch einen Moment vor der Türe zu warten bis wir fertig sind«, klärt Kommissar Virot sie auf, während er sie bereits in Richtung Ausgang schiebt. An Viviens Mine erkenne ich, dass es ihr ganz und gar nicht passt, das Zimmer verlassen zu müssen. Nachdem sie weg ist, fragt Kommissar Virot erneut: »Erzählen sie mir jetzt endlich was vorgefallen ist?«. Sein Blick ist unnachgiebig. Mein Kopf senkt sich ein wenig und ich erzähle: »Nun, ich habe mit der Pistole herum gespielt und dabei hat sich ein Schuss gelöst«. Er sieht mich misstrauisch an. »Und woher stammt die Waffe?«, will er wissen. »Ich habe sie gefunden«, lüge ich, doch er scheint mir kein Wort zu glauben, so wie er mich ansieht. »Aha, und wo haben sie sie gefunden?«. Man ist der hartnäckig. »Auf dem Dachboden. Hören sie es war ein Unfall, ich habe nicht nachgedacht. Es tut mir wirklich leid«, versuche ich ihn zu besänftigen. Doch zu meinem bedauern fallen ihm noch mehr fragen ein. »Welche Rolle spielt ihr Stiefbruder bei der ganzen Sache? Die Schwester hat uns erzählt, dass er versucht hat sie einzuschüchtern«. »Wie Bitte? Da muss sie etwas falsch verstanden haben. Yannick und ich verstehen uns hervorragend«. Gut ich gebe zu, dass klang jetzt vielleicht etwas zu Sarkastisch, aber Hey immerhin versucht der Kerl mich umzubringen. »Medina. Darf ich sie Medina nennen?«. Ich nicke. »Gut, also für mich sieht das ganze etwas anders aus. Ich habe die Vermutung das dein Bruder dich unter Druck setzt. Womit auch immer er dich zu dieser Aussage zwingt, wir können dir helfen, und dich beschützen«. Einen Moment lang schweige ich nur. Ich meine, soll ich ihnen wirklich alles erzählen? Vielleicht wäre es tatsächlich das beste. Ohne zweifel wird es Zeit das etwas passiert. Schwer seufzend richte ich mich auf, und beginne: »Sie haben recht! Yannick hat auf mich geschossen«. Kommissar Virot setzt sich neben mich auf den Stuhl und streichelt mir beruhigend über die Schulter. »Erzähl weiter. Wieso hat er das getan?«, fragt er nun aufrichtig interessiert. Eine kleine träne kullert mir über die Wange, und ich erzähle ihm alles was passiert ist, mit Ausnahme von meinen Besuchen bei Jayden. Zum ersten mal in meinem Leben vertraue ich mich jemandem an, und dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Seine Gesichtszüge verhärten sich. »Wir werden eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirken. Das bedeutet, dass er sich dir nicht mehr nähern darf. Des weiteren werden wir ein Verfahren wegen schwerer Körperverletzung und häuslicher Gewalt einleiten, dafür brauchen wir deine Aussage vor Gericht«. Schockiert und etwas überfordert sehe ich ihn an. »Du brauchst keine Angst haben. Sobald du entlassen wirst, werden wir eine geeignete Unterkunft für dich finden. Du musst nie mehr zurück zu diesen Leuten«, versucht er mich zu beruhigen. Mit aufgewühlter Stimme frage ich: »Was passiert wenn ich nicht aussage?«. »Nun, dann wird er davon kommen«. Ich nicke wieder ausdruckslos. »Überlege dir das Gut. Er wird dich nicht in ruhe lassen. Niemals! Er muss für das was er getan hat bestraft werden«, versucht nun auch Detektiv Lorafk an mich zu Appellieren. Unschlüssig senke ich den Blick. »Ich weiß« antworte ich. Doch meine Intuition sagt mir, dass ich die Entscheidung bereuen werde. Denn ich weiß beim besten Willen nicht, ob ich stark genug bin, um das ganz alleine durch zu stehen. »Wir bleiben solange bis unsere Kollegen eintreffen. Sie werden auf dich aufpassen, und dafür sorgen das dein Bruder nicht zu dir gelangt«, unterbrechen sie meine skeptische Miene. Mit einem freundlichen lächeln, verlassen die beiden das Zimmer, aber nur um sich vor der Tür zu Postieren.

Die ganze Sache nimmt mich so mit, dass ich augenblicklich die Augen schließe und in einen meiner Träume falle.

Ich liege auf einer Wiese, voll mit den schönsten Blumen. Es sind die schönsten die ich je gesehen habe. Ein herrlicher Duft steigt mir in die Nase, und ich fühle mich vollkommen frei und Glücklich. Neben mir liegt mein Vater, und ein kleiner Junge, der sich unscheinbar neben der Schattenfrau aufhält. Mein Dad streichelt ihr zärtlich über die Wange und sagt: »Via! Es ist an der Zeit ihr die Wahrheit zu sagen«. Ihr warmes lächeln ist so friedlich, dass ich es mir stundenlang ansehen könnte. Doch meine Neugier ist geweckt. »Via« wiederhole ich, obwohl mich bereits die Erkenntnis trifft, dass es nur Ihr Name sein kann. »Was wollt ihr mir sagen? Woher kennt ihr euch? Helft mir zu verstehen«, flehe ich. Sie nicken sich zu, so als ob sie sich vergewissern müssen, auch der gleichen Meinung zu sein. »Schätzchen, dass was du in letzter Zeit erlebt hast, ist die Frucht einer Geschichte die Ewigkeiten zurückliegt. Dennoch wiederholt sich das Ereignis. Die Schöpfer können rein gar nichts dagegen ausrichten. Wenn du nicht bald heraus findest, welcher Release der, der jetzigen Generation ist, wirst du es nicht mehr Schaffen die Seite zu wechseln. Ein kühles grau umgibt mich, eine laute Stimme und dann sind sie weg. Einfach verschwunden.

»Aufwachen«. Monika steht mit einem Tablett vor mir. »Ich habe dir etwas zu essen mit gebracht«, sagt sie freundlich und lächelt mir zu. »Ich habe keinen Hunger«, erwidere ich. Sie schüttelt den Kopf. »Du musst aber etwas essen, sonst wirst du nicht zu Kräften kommen«, beschwört sie mich, und schleift mich aus dem Bett an den Tisch. Ich atme schwer aus, beuge mich dann aber ihrem Willen. Stück für Stück, löffle ich die schwach gewürzte Hühnersuppe und schlucke sie mechanisch runter. Nachdem Essen, kommt sie zurück und hilft mir zur Toilette. Das Bedürfnis mich etwas frisch zu machen, ist so groß, dass ich fast einen Freudentanz hinlege als sie meint, dass sie mir hilft mich zu waschen. Denn mit dem Verband um den Arm, ist das alles andere als einfach. Das warme Wasser berührt mein Gesicht, und ich fühle mich erheblich sauberer. Zu meinem bedauern habe ich jedoch keine frische Kleidung hier, weshalb ich ein neues von diesen überaus Stylischen Krankenhausanzügen bekomme. Es ist ein Zweiteiler, bestehend aus einer Baumwollhose und einem einfachen Oberteil. Zum Glück ist es keines dieser Flügelhemdchen denke ich mir, und ziehe es über. Dann verpasst sie mir noch einen kleinen Spaziergang auf dem Flur. Sie ist der Meinung, so würde ich schneller wieder auf die Beine kommen. Völlig erschöpft und hundemüde begebe ich mich wieder zurück ins Bett. Ja, man könnte denken: Wieso bin ich schon wieder müde, doch der ganze Stress in der letzten Zeit, hat mich einfach völlig fertig gemacht, deshalb habe ich auch kein Problem damit den Rest des Tages einfach zu verschlafen. Bis auf eine kurze Unterbrechung, als die Nachtschwester mir ein Schmerzmittel verabreicht hat, konnte ich durchgehend schlafen.

Das helle Licht und die laute Stimme von Monika, reist mich aus dem Schlaf. »Guten Morgen«, trällert sie fröhlich. »Morgen«, grummle ich nur. »Wie war die Nacht?«, fragt sie und checkt meine Vitalfunktionen. »Hm«, gebe ich nur knapp von mir und setze mich auf die Bettkannte. Die Tatsache das ich nicht mehr nach hause muss, stimmt mich gleichermaßen fröhlich wie traurig. Immerhin ist es mein Zuhause, all die Erinnerungen an meinen Dad, und unsere gemeinsame Zeit liegen in diesem Haus. »Hey nicht soviel Trübsal blasen«, sagt sie und reißt die Gardine auf. »Schau, dass Wetter ist wundervoll«. Ein kleines lächeln huscht mir über die Lippen. Ihr Aufmunterungsversuch ist einfach zu herrlich. »So, möchtest du dich duschen«, fragt sie und ich sehe sie stirnrunzelnd an. »Dr. Pirot wollte nachher deinen Verband wechseln, dann können wir das auch ausnutzen«, sagt sie und grinst übers ganze Gesicht. Irgendwie mag ich diese Schwester, schade das sie heute nur den halben Tag da sein wird. Ich begebe mich aus dem Bett und laufe ins Badezimmer. Monika wickelt mir den Verband ab, und gibt ein Wasserdichtes Pflaster sowie eine Tüte über die Wunde. »Danke!«, rufe ich ihr nach als sie das Bad verlässt. »Gern geschehen«. Noch nie war jemand so nett und Fürsoglich, mal abgesehen von Jayden. Das warme Wasser reinigt meinen Körper und wirkt erfrischend auf meiner Haut. Nachdem ich fertig bin, begebe ich mich an den Tisch und öffne die Abdeckung meines Tabletts. Hoffentlich bekomme ich nicht wieder eine Suppe, denke ich mir, und sehe erleichtert ein frisches Brötchen mit Marmelade darauf. Zum Glück! Beim essen schweifen meine Gedanken an Jayden ab. Was wenn ich ihn nicht mehr wieder sehe? Es ist merkwürdig aber irgendwie vermisse ich ihn. Wenn ich doch nur seine nähe spüren könnte, oder einfach mit ihm reden oder...., die Tür wird aufgerissen und Vivien kommt herein. Ihr Gesichtsausdruck verrät mir das sie wütend ist. »Wie ich sehe geht es dir besser«, sagt sie mit sarkastischer Stimme. »Mir geht es den Umständen entsprechend«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Na dann kannst du mir sicherlich erklären, wie du auf die absurde Idee kommst, deinen Bruder dieser Lügen zu bezichtigen«, entgegnet sie abfällig. Ich runzle die Stirn. »Woher weißt du das?«. Ein spitzes lachen ertönt aus ihrem Mund. »Was glaubst du denn, gestern Abend waren zwei Beamte da, und haben Yannick verhört. Wen wundert das auch, bei dem Schwachsinn den du erzählt hast«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Was ist denn bloß los mit dir? Wie kannst du solche Sachen behaupten. Weißt du denn nicht in welche Schwierigkeiten du ihn damit bringst?«. Ihre Worte prasseln wie Schläge auf mich ein. »Ich habe nicht erwartet das du mir glaubst«, gebe ich mit gleichgültiger Miene von mir. »Medina, wie kannst du deine Familie so in den Dreck ziehen. Sie werden ihn wegen schwerer Körperverletzung anklagen, und du wirst nie wieder nach hause kommen, ist dir das eigentlich klar? Du musst deine aussage zurück ziehen«, fordert sie. »Aber«, setze ich an. »Nichts aber«, unterbricht sie mich. Zum ersten mal fällt mir auf wie viel Ähnlichkeit sie mit ihrem Sohn hat. »Korrigiere deine Aussage, und ich werde dafür sorgen das alles so wird wie vorher«, sagt sie und fuchtelt mit ihrem Finger vor meiner Nase herum. »Was meinst du mit, wie vorher. Meinst du, wie vorher als er mich ständig gezwungen hat, deine Pflichten im Haushalt zu übernehmen. Oder, wie vorher als er mich zwingen wollte mich von Luca entjungfern zu lassen? Oder doch lieber, wie vorher als er mich jeden Tag auf's neue versucht hat umzubringen? Was meinst du mit wie vorher?«, brülle ich energisch. Erschrocken starrt sie mich einen Moment fassungslos an. Dann macht sie erneut den Mund auf. »Du bist die Brut des Teufels. Wie kannst du es wagen, deinem Bruder solche Sachen zu unterstellen. Er würde etwas derartiges niemals tun. Ich kann ja verstehen das du eifersüchtig auf ihn bist, aber das ist kein Grund für dein Verhalten«, sagt sie und mir klappt die Kinnlade herunter. »Eifersüchtig!«, wiederhole ich entsetzt. »Ganz recht! Du konntest es ja noch nie ertragen, dass dein Vater ihn wie einen eigenen Sohn geliebt hat, und du nicht mehr an erster stelle standest«, wirft sie mir vor. Doch ihre Worte verletzen mich nicht, denn ich kenne die Wahrheit, und mein Dad hat mich genauso geliebt wie ihn. »Vivien, ich möchte das du jetzt gehst«, erkläre ich und versuche mich etwas aufrechter hinzusetzen. Zum Glück kommt sie meinem Wunsch ohne ein weiteres Wort nach, und verschwindet aufgebracht. Wenigstens hat sie mir die kleine Reisetasche mit meiner Bekleidung da gelassen.

Nach dem Auftritt meiner Stiefmutter, ist mir der Appetit reichlich vergangen. Dr. Pirot kam dann am Vormittag um meinen Verband zu wechseln, laut seiner aussage schreitet meine Genesung wunderbar voran. Das Mittagessen hat mir auch nicht sonderlich geschmeckt, und da ich keine Besucher zu erwarten habe, langweile ich mich inzwischen fast zu Tode. Der Abend naht, und ich schlafe schnell ein.

Im etwa gleichen Rhythmus vergehen auch die nächsten Stunden, und das einzige was ich tue ist, Essen, Schlafen und mir zu wünschen, dass ich endlich Jayden wieder sehen kann. Nun beginnt schon wieder ein neuer morgen, und mit jedem Tag der vergeht vermisse ich ihn mehr. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich meine, wenn es hoch kommt kenne ich ihn seid anderthalb Monaten. Da sollte ich gar nicht so für ihn empfinden. Naja, vielleicht fehlt mir auch einfach nur seine ruhige art, und das damit verbundene Glücksgefühl, dass er immer in mir auslöst, wenn wir zusammen sind. Egal was es auch ist, es fehlt mir. Er, fehlt mir! In den letzten Wochen traf mich die Erkenntnis mehr als einmal. Nie war ich so lange von ihm getrennt. Es waren immer nur ein oder zwei Tage vergangen, bis Yannick mich wieder versucht hat umzubringen, und ich bei Jayden gelandet bin. Doch nun sind bereits mehr als vier tage verstrichen, und nicht ein einziges mal war ich bei ihm. Scheiße, ich werde noch verrückt wenn das so weiter geht. Moment mal! Ich reflektiere meine Gedanken, als mir einfällt woran ich mich gerade erinnert habe. Es waren immer nur ein oder zwei Tage vergangen, bis Yannick mich wieder versucht hatte umzubringen. Das ist es! Er muss mich versuchen zu töten, damit ich zu Jayden komme. Wenn ich richtig darüber nachdenke hat er das jedes mal versucht, wenn ich wieder auf die andere Seite gekommen bin. Und jetzt kommt er nicht an mich heran, weil die Polizisten mich vor ihm beschützen. Verdammt! Wenn das der Auslöser ist, dann gibt es nur eine Möglichkeit. Ich muss versuchen mich selbst umzubringen, ohne das ich dabei sterbe. Welch ein Ironischer Gedanke.

Ein Klopfen an der Tür, und die darauffolgenden Leute die ins Zimmer kommen, holen mich aus meiner Überlegung. »Guten morgen, Fr. Sterling wie haben sie geschlafen?«, fragt mich Dr. Pirot. Ich setze mich aufrecht hin und erzähle ihm das es mir soweit gut geht. Ein weiterer Arzt sagt daraufhin: »Gut, dann würde ich mir gerne ihren Arm ansehen. Ich strecke ihm meinen Oberarm entgegen, und er mustert akribisch meine Narbe. »Das sieht doch ganz gut aus«, erklärt er und Dr. Pirot ergreift das Wort. »Da alles soweit in Ordnung ist, können sie theoretisch ende der Woche nach Hause. Beziehungsweise habe ich einen Jugendamtsmitarbeiter gebeten sich um eine geeignete Unterkunft für sie zu kümmern«. Ich nicke und sie verlassen das Zimmer. Nur Schwester Monika bleibt zurück und setzt sich zu mir auf die Bettkante. »Ich weiß du hast Angst vor dem was nun auf dich zukommt, aber schau, dass ist die Chance für dich noch einmal ganz von vorne an zu fangen«. Ich lächle sie zaghaft an. Sie gibt sich solche mühe mich zu trösten, da will ich ihr nicht die Hoffnung nehmen, dass sie mir nicht helfen kann. Denn das kann niemand. Ich bin allein und werde Jayden nie wieder sehen. Sie streichelt mir noch einmal über den Rücken und verlässt das Zimmer mit den Worten: »Ich werde später nochmal nach dir schauen«.

Nach einer ausgiebigen Dusche, die ich ohne verbände oder Pflaster durchführen konnte, ziehe ich mir etwas sauberes an und gehe in der Krankenhausanlage ein wenig spazieren.

Es ist relativ kalt, aber die frische Luft tut mir gut. Ich finde eine kleine Bank die geschützt unter einem Überbau steht. Während ich mir die Landschaft ansehe, überkommt mich die Erinnerung an meine Gedanken heute morgen. Ich würde es niemals schaffen mich umzubringen, ohne dabei zu sterben, allein wie sich das schon anhört. Was soll ich nur tun? Vielleicht sollte ich mich einfach damit abfinden das es keine Lösung gibt. »Es gibt immer eine Lösung!«, hallt mir plötzlich die Stimme von Via durch den Kopf. Was war das denn? überrascht schaue ich mich um. Doch wie erwartet sehe ich natürlich niemanden. Verdammt, mir muss doch irgendetwas einfallen, doch je länger ich hier sitze, je weniger fällt mir ein. Vollkommen in meinen Gedanken versunken bemerke ich nicht wie sich mir jemand nähert. Erst als er vor mir steht, und mir bedrohlich in die Augen sieht, durchläuft mich panische Angst. »Yannick! Du darfst dich mir nicht nähern«. Er verzieht das Gesicht zu einem spöttischen lachen, und setzt sich zu mir auf die Bank. »Was willst du?«, frage ich obwohl mir eher zum schreien zu mute ist. Ohne Umschweife sagt er: »Zieh deine aussage zurück«. »Warum sollte ich das tun?«, huscht es viel zu schnell über meine Lippen. Er legt seinen Arm von hinten um mich und antwortet: »Damit ich dir nicht die Kehle aufschlitze«. Ich spüre die kalte klinge an meinem Hals und wie sich die tränen einen Weg über mein Gesicht bahnen. Sein griff verstärkt sich, wodurch die klinge tiefer in meine Haut gedrückt wird. »Also«, wiederholt er. Wie ein Häufchen elend geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass er es doch einfach beenden soll, und so kommt es zu meiner mutigen aussage. »Wenn du mich töten willst, dann mach es diesmal auch richtig«. Diese Provokation, scheint er nicht auf sich sitzen lassen zu wollen, trotzdem spüre ich wie er zögert, und das Messer sinken lässt. »Das werde ich, aber erst nimmst du die Aussage zurück«. Sprachlos sehe ich ihn an. »Darum geht es also? Du willst nicht bestraft werden«. Ein herzhaftes lachen dringt mir aus der Seele. »Tja, das kannst du vergessen«, sage ich, stehe auf und begebe mich zurück auf meine Station. Yannick ist mir zum Glück nicht gefolgt.

Das Mittagessen steht bereits auf meinem Tisch, und ich beschließe nachdem ich gesehen habe das es ein Gemüseeintopf ist, etwas davon zu essen. Danach lege ich mich zu einem Mittagsschläfchen hin. Ich falle in einen traumlosen Schlaf.

Als ich wach werde, rast mein Herz wie verrückt. Meine Sicht ist verschwommen, und ich fühle mich als ob ich von einem Hochhaus gesprungen wäre. Ich bekomme kaum Luft und mir ist übel. Neben mir steht ein Mann in Jeans. Er ist gerade dabei mir etwas durch die Braunüle zu spritzen. Ich kann mich nicht bewegen, fühle mich wie gelähmt. Und dann spüre ich es. Nebel steigt auf und zieht mich in sein Schwarzes Loch. Mein Körper wird wieder zu dieser leeren hülle und ich spüre keinerlei Empfindung mehr. Ich werde einfach weggetrieben.

 

Kapitel 16

 

Etwas benommen öffne ich meine Augen und erkenne das ich im Bett lie­ge. Es dauert nicht lange bis mir bewusst wird das ich endlich wieder zu­rück bin. Das Zimmer des Krankenhauses ist das gleiche wie das auf der anderen Seite, nur das keinerlei Moni­tore angeschlossen sind und es mir vollkommen gut geht. Mein Blick schweift umher, als ich hektisch durch­einander sprechende Stimmen auf dem Flur wahrnehme. Ruck­artig stehe ich auf, denn ich muss irgendwie telefonieren, damit Jayden mich abholen kommt. Eine Hand auf meiner Schulter bringt mich zum stehen und ich drehe mich langsam um. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt eine der Schwes­tern und mustert mich besorgt. »Ja, ich müsste mal Telefonieren«, erkläre ich ohne Umschweife. Zu meiner Verwunderung stellt sie keinerlei fragen, sondern reicht mir ein Schnurloses Telefon. Dankbar nehme ich es entge­gen und tippe seine Nummer ein. Einmal mehr wird mir bewusst, wie gut die Entscheidung war Jaydens Nummer auswendig zu lernen. Nach dem zweiten klingeln ertönt seine Stimme. »Price«. »Ich bin es«, sage ich nur, da fragt er auch schon: »Wo bist du?«. Ich schaue die Schwester an und frage welches Krankenhaus das ist. Sie sieht mich verwirrt an, antwortet aber freundlich und ich gebe die Information an Jayden weiter. »Bleib wo du bist, ich bin in zehn Minuten da«, weist er mich an und legt auf. Dan­kend verabschiede ich mich vom Personal und lasse mir den Weg zum Ausgang erklären. Die zehn Minuten vergehen wie im Flug, da werde ich auch schon in die mir so vertraute Umarmung geschlossen. »Gott sei dank«, sagt er und führt mich zum Parkplatz. »Womit hat er es diesmal probiert?«, fragt er ernst während ich mich anschnalle. »Ich war im Kran­kenhaus und er hat mir etwas durch die Braunüle gespritzt, ich weiß aber nicht was«, erkläre ich wahrheits­gemäß und beobachte wie sich seine Gesichtszüge anspannen. »Dieses miese Schwein, hört das denn nie auf?«, lässt er seiner Wut freien lauf. Er lenkt den Wagen wie so oft schon in die Garage und öffnet mir aufmerksam die Tür. Wir gehen ins Wohnzimmer und er stellt sich direkt vor mich, berührt mein Gesicht mit seinen Hän­den, so als ob er sich davon überzeugen müsste das ich auch wirklich hier bin. »Alles in Ordnung«, beruhige ich ihn und sehe wie er augenblicklich ent­spannter wird. »Ich hatte wieder einen Traum und diesmal warst du es der zu mir gesprochen hat«, erzähle ich ihm die neusten Erkenntnisse. Er hört aufmerksam zu und versucht einen Zusammenhang in meinen Worten zu finden. »Wenn ich dir im Traum geraten habe zu lesen, dann sollten wir herausfinden ob es tatsächlich solch ein Buch gibt«, sagt er und bringt mich damit auf eine Idee. »Lass uns doch mal Googeln ob es im Netz ir­gendeine alte Geschichte, oder einen Mythos gibt der unsere Situation wi­derspiegelt«, schlage ich vor und sofort schaltet er den Rechner an. Wir durchstöbern alle möglichen Seiten in der Hoffnung irgendetwas brauchba­res zu finden, doch nichts das nur ansatzweise etwas ähnliches beschreibt. Resigniert beenden wir schließlich die Suche und machen uns in der Kü­che einen Kaffee. Während er die Milch hineingibt kann ich meinen Blick kaum von ihm wenden. Er trägt eine dunkle Jeans und ein Beigefarbendes Sweatshirt. Dieses Outfit lässt ihn jung und lässig erscheinen. Seine Haare sind wie immer nach hinten gegeelt und in seinem Blick liegt wärme und Zuneigung. Am liebsten würde ich mich in seine arme kuscheln und ihn nie wieder loslassen. Er reicht mir den Becher und setzt sich neben mich an den Tisch. Schweigend nehme ich einen Schluck und denke darüber nach wie wir weiter vorgehen können. »Ich hab eine Idee«, unterbricht Jayden meine Gedanken und fährt fort: »Lass uns in eine Bibliothek fahren, wenn es überhaupt etwas gibt das unsere Situation beschreibt, dann werden wir es nur dort finden«. »Du hast Recht! Immerhin ging es um ein altes dickes Buch«, reflektiere ich meinen Traum und bitte ihn zu schauen wo die ältesten und verborgensten Geschichten aufbewahrt werden. Nach etwas zehn Minuten haben wir unser Ziel gefunden und machen uns sofort auf den Weg.

Das Gebäude ist riesig und sehr alt, schon im Eingang kann man den Ge­ruch von al­ten Holz wahrnehmen. Die Regale sind bis unter die Decke mit zahlreichen Büchern gefüllt. Die Bibliothekarin kommt direkt auf uns zu und fragt ob sie uns helfen kann. Wir erzählen ihr das wir eine Forschungs­arbeit über Mysterien und alte Geschichten schreiben sollen und deshalb nach Büchern suchen die etwas mit Parallel Welten, Re­lease und Gemini zu tun haben. Einen Moment lang scheint sie zu überlegen ob sie unserer Erzählung glauben schenken soll doch dann entspannen sich ihre Gesichtszüg­e und sie sagt: »Da habe ich genau das richtige für euch«. Sie führt uns in einen Nebenraum der absolut menschenleer ist und drückt uns einen rie­sigen Wälzer in die Hand. »In diesem solltet ihr finden wonach ihr sucht!«, erklärt sie, zeigt in eine gemütliche ruhige Leseecke und verlässt dann den Raum. Wir setzen uns und begin­nen gemeinsam das Inhaltsverzeichnis durchzugehen, doch leider scheint nichts von dem was hier drin beschrie­ben wird auf uns zu passen. Leicht frustriert lesen wir den­noch einige Ka­pitel und merken nicht wie die Zeit davon fliegt, bis die nette Dame von vorhin zurück kommt und uns daraufhin weist das sie gleich schließen wird, also treten wir etwas betrübt den Heimweg an. Zuhause angekom­men schauen wir ge­meinsam noch einen Film an, bis mich die Müdigkeit überwältigt und ich ruhig in seinen armen einschlafe.

Plötzlich erklingt eine wunderschöne Stimme. Ich öffne die Augen doch es ist alles schwarz. »Der richtige Ort, doch das falsche Ziel«, sagt sie und ich will unbedingt wissen wer sie ist. »Was bedeutet das?«, versuche ich mehr Informationen aus ihr herauszulocken, doch sie wiederholt immer nur diesen einen Satz und dann ist es to­tenstill.

Ich werde wach und bin verwirrt, denn es ist das erste mal das ich auf die­ser Seite ge­träumt habe. Der Satz muss etwas zu bedeuten haben. Auch wenn ich sehr nervös bin, so will ich Jayden doch nicht wecken, deshalb schlinge ich meine arme um ihn und schließe die Augen.

Leise beruhigende Musik dringt mir in die Ohren und der Duft nach Kaf­fee steigt mir in die Nase. »Guten morgen Beauty«, begrüßt er mich und reicht mir den Becher hin. Lächelnd nehme ich ihn entgegen und freue mich so geweckt zu werden. Nachdem ich mich aufrecht hingesetzt und einen Schluck genommen habe, erzähle ich ihm so­fort von meinem Traum. »Seltsam«, entgegnet er und meint: »Wir müssen unbedingt nochmal in die Bibliothek«. Ich stimme ihm zu, denn mein Traum war eindeutig. Nach ei­ner kurzen dusche schlüpfe ich in frische Klamotten und wir machen uns auf den Weg. Wie gestern schon empfängt uns die Bibliothekarin mit ei­nem lächeln. Wir bitten sie uns weitere Bücher zu zeigen, was sie auch tut. Nach zwei Stunden in denen wir sinnlos alle möglichen Geschichten durchgeblättert haben kommt eine alte Frau herein. Sie gesellt sich zu uns und stellt sich vor: »Hallo ich bin Zarafina. Madame Clode die Bibliothe­karin hat mir erzählt das ihr auf der suche nach alten Geschichten seit, vielleicht kann ich euch helfen«, sagt sie und ich finde sie auf Anhieb sym­pathisch. Ihre Erscheinung wirkt schon etwas seltsam aber ihre art ist aufgeschlossen und herzlich, weshalb ich uns ebenfalls vorstelle. Dann er­kläre ich ihr wonach wir suchen und sie wirkt überrascht. »Nun es gibt da eine uralte Geschichte, meine Urgroßmutter hat sie mir erzählt als ich noch sehr klein war, wollt ihr sie hören?«. »Gern«, entgegnen wir gleichzeitig und lege das Buch indem wir gerade gelesen haben zur Seite. Nachdem wir uns gemütlich hingesetzt haben beginnt sie und wir hören gespannt zu.

»Nun es hieß, unser Planet war stets ein ruhiger Ort und die Bewohner konn­ten in Frieden und Gemeinschaft zusammen leben. Sie genossen den Schutz, den sie durch die Mächtigen auch Götter genannt bekamen. Doch ir­gendwann begannen die Men­schen sich gegenseitig zu bekriegen, und versuchten durch fehlerhaftes Verhalten, an die Macht zu gelangen. Regeln und Gesetze wurden Missachtet und die Nation spal­tete sich. Jeder wollte der neue Herrscher sein, und so wurde aus dem einst so schö­nem Fleckchen Erde, eine Welt voller Neid, Hass, und Habgier. Deshalb beschlossen die Mächtigen die aktuelle Bevölke­rung zu vernichten. Ihr Ziel war es den Planeten zu säubern und neu zu besie­deln. Dabei mussten sie einen Weg finden den neu ge­wonnen Einklang zu be­schützen und erschufen schließlich eine Parallelwelt. Sie war für all jene ge­dacht, die es wagen würden den neu erbrachten Frieden zu zerstören. Sie ver­schlossen die Pforte mit einem Release, so verhinderten sie, dass unbefugte die Seite wechseln konnten. Einige Zeit war vergangen und ihr Plan schien aufzugeh­en. Nur wenige versuchten sich gegen die Mächtigen aufzubäumen und mussten ver­bannt werden. Alle anderen konnten jedoch endlich wieder in ruhe auf der Ursprungs­seite leben, zumindest dachte man das zu diesem Zeitpunkt noch. Denn was keiner wusste war, das sich Olivia die einzige Tochter der Pri­cences verliebt hatte und zwar in den Sohn der Sterlinas. Jedoch stand ihrer Lie­be eine große Last im Weg, denn Olivia war bereits versprochen, und zwar dem mittleren Sohn der Mächtigen. Ihre Eltern hatten sie schon in jungen Jahren über diese Ehre aufgeklärt, und so erzogen, dass sie einem Göttersohn würdig war. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal arrangiert, doch nun war alles anders. Sie hatte sich verliebt und niemand würde sie von ihm fernhalten können. Zumindest dachte sie das zu diesem Zeitpunkt noch. Ihre Gefühle für den Sterlina Sohn waren so intensiv, dass sie jede freie Sekunde miteinander verbrachten. Aus Angst vor ihren Eltern verbargen sie ihre Liebe zunächst, sie kannten die Konsequenzen nur zu genau und sie würden nicht riskieren getrennt zu werden. Sie erschufen sich ihre eigene kleine Welt und belogen alle um sie herum. Ohne es geplant zu haben, wurde Olivia Schwanger und ihr Glück schien vollkommen. Sie beschlossen gemeinsam abzuhauen und sich für den Rest ihres Lebens zu verstecken. Natürlich kam es anders, denn jemand hatte das glückliche Paar beobachtet und meldete es den Mächtigen. Ihre Verbindung flog auf und sie mussten sich dem stellen, was sie nun erwarten würde. Sie hatte die Vereinbarung, den Sohn der Mächtigen zu heiraten gebrochen. Außerdem war entehrt worden und als ob das nicht schon genug Schmach war, trug sie auch noch das Kind eines anderen im Leib. Für die Mächtigen gab es nur eine Lösung, sie mussten bestraft, aber vor allem getrennt werden, und das für immer. Inzwischen gebar Olivia eine Tochter, die sie jedoch niemals sehen würde. In ihrer Verzweiflung versuchte sie ihrem Leben ein ende zu setzen und landete im Krankenhaus. Dort lernte sie eine Frau kennen, die zuvor Zwillinge auf die Welt gebracht hatte. Sie war die einzige die ihr noch etwas halt geben konnte. Doch dann war es an der Zeit ihre Strafe anzutreten, sie würde verbannt werden und weder ihr Kind noch ihre große liebe jemals wieder sehen. Die Mächtigen öffneten das Portal um Olivia hinüber zu schicken, und ohne über die Konsequenzen nach zu denken, entschied sie aus ihrer Trauer heraus, eines der beiden jungen zu entführen. Sie blickte nicht zurück, sondern ging mit ihrem einzigen Lebensinhalt, durch das Portal in ihr neues leben.

Sie beendete ihre Erzählung und schwieg. »Wow und das ist wirklich passiert?«, ha­cke ich nach weil es sich so unglaubwürdig anhört. »Natürlich gibt es welche die dar­an glauben, aber wie gesagt, es ist nur eine sehr alte Ge­schichte«. Sie lächelt unheim­lich und verabschiedet sich, während wir mit ei­nem mulmigen Gefühl im Bauch zu­rück bleiben. »Sehr Merkwürdig, findest du nicht?«, richtet Jayden seine bedenken an mich. »Ja sehr!«, antworte ich und wir treten den Heimweg an.



 

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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2016

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