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Medusas Story


Oh,war ihr mal wieder langweilig! Im Fernsehen kam auch nichts Gutes. Nur irgendwelche Liebesfilme. Und Medusa hasste Liebesfilme. Das war so albern! Immer wurden die Leute miteinander glücklich. Egal welche Hürden und Probleme sie überwinden mussten.
Medusa war noch nie verliebt gewesen. Sie hatte nicht einmal Freunde. Was wohl daran lag, dass jeder, der sie ansah zur Handtasche wurde. Nicht etwa weil sie hässlich war, oh nein, sie war sogar sehr hübsch. Bis auf die Schlangen auf ihrem Kopf. Aber es lag an ihren Augen. Jeder der hineinsah,verwandelte sich in eine Handtasche.
Medusa wünschte sich so sehr, normal zu sein, mit Freunden ins Kino oder Eisessen gehen zu können. Oder shoppen. Medusa musste immer alles beim Onlineshop bestellen. Der Postbote ließ es dann vor der Tür stehen und sie holte es in der Nacht.
Immerhin hatte sie viel Geld und ihr Haus war groß und stilvoll eingerichtet. Sie hatte viel schöne Kleidung und mindestens 200 Handtaschen. Manche davon waren schon über 100 Jahre alt. Medusa hasste Handtaschen.
Während sie so auf dem Sofa saß und sich über sich selbst ärgerte, hörte sie plötzlich ein Klirren aus ihrer Küche und einen unterdrückten Fluch. Leise schlich sie auf ihren bloßen Sohlen in Richtung der Geräusche.

Verdammt, jetzt hatte er sich an einer der Glasscherben geschnitten, die hier herum lagen seit er die Terrassentür eingeschlagen hatte. Er hatte das Haus jetzt zwei Tage lang beobachtet und nie war jemand vor die Tür oder in den Garten gegangen.Wahrscheinlich war der Besitzer im Urlaub. Das war seine Gelegenheit. Das Haus schien auch keine Alarmanlage zu haben. Gut für ihn. Er bewegte sich gerade auf eine Tür zu, die aus der Küche führte, als er ein Räuspern hörte. Durch einen orangen Vorhang, der eine andere Tür ersetzte, sah er den schattenhaften Umriss einer Person.
„Verzeihung, aber dürfte ich mich erkundigen, was Sie in meinem Haus zu suchen haben?“
Er sollte flüchten. Sein Gegenüber konnte ihn später sicher nicht der Polizei beschreiben, denn er trug eine Sonnenbrille und ein Tuch vor dem Mund. Aber er blieb. Diese fremde Stimme faszinierte ihn.
Aber er musste irgendetwas antworten. Die Stimme war eindeutig weiblich. Er grinste.
„Ich habe gehört, dass in diesem Haus eine einzigartige Schönheit leben soll und deswegen konnte ich einfach nicht anders, als mich selbst davon zu überzeugen, ob das wahr ist“
„Und deswegen schlagen Sie mir meine Terrassentür ein?“
„Entschuldigung Frau … Wie war doch gleich Ihr Name?“
„Sagen Sie mir zuerst denn Ihren“
Er überlegte. Wie sollte er sich nennen? Seinen richtige Namen konnte er ja schließlich schlecht benutzen. Er mochte griechische Sagen. Wie wär' s zum Beispiel mit …
„Perseus“
Das rief bei der Frau hinter dem Vorhang einen Lachanfall hervor.
„Ein hübscher Name. Ich kannte auch mal einen Perseus. Er hat versucht mir den Kopf abzuschlagen.“
Der junge Mann antwortete: „Oh, dann weiß ich Ihren Namen. Sie heißen Medusa. Aber sagen Sie mir, wie Sie das damals überlebt haben. Ich dachte immer, Perseus hätte Sie getötet.“
Nein, er hat es nicht geschafft. Ich habe ihn in eine Statue verwandelt. Nur die griechischen Schreiber wollten mir den Sieg nicht gönnen und haben deswegen alles falsch aufgeschrieben“
„Werden Sie mich jetzt auch in Stein verwandeln?“
„Nein. Inzwischen werden die Leute, die mir in die Augen sehen zu Handtaschen. Zwischendurch hatte ich auch schon mal Zimmerpflanzen und, besonders unangenehm, Wackelpudding.“
Der Mann lachte. „Und ist ihr Aussehen wert, dieses Risiko einzugehen?“

Medusa lächelte. Der Mann war ihr sympathisch. Er durfte ihr nur nicht ins Gesicht sehen. Wenn sie darauf achtete, dass der Vorhang zwischen ihnen blieb, konnte sie sich weiter mit ihm unterhalten. Es wäre wirklich schade, wenn sie ihn zu ihrer Handtaschensammlung hinzufügen müsste. Medusa war bemüht, solche Unfälle zu vermeiden. Aber leider gelang ihr das nicht immer. Manchmal musste auch sie kurz das Haus verlassen. Es ließ sich nicht alles von Innen regeln.Während sie nachdachte, merkte sie nicht, wie der junge Einbrecher sich an den Vorhang heran schlich. Als er ihn plötzlich aufriss, starrte sie ihn entsetzt an. Nein! Bitte nicht! Keine neue Handtasche!
„Oh“ Der junge Mann starrte sie nun seinerseits an.
Warum verwandelte er sich nicht? Er konnte sich auch noch bewegen, denn sein nächste Wort war „Scheiße!“ Dann streckte er die Hand aus und berührte vorsichtig eine der Schlangen, die sich daraufhin um seinen Arm wand. Hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille … Aber natürlich! Das hätte sie auch eher merken können! Sie konnte ihm nicht direkt in die Augen sehen, weil er dieses Ding trug. Und das bedeutete nämlich auch, dass sie mit einer verspiegelten Sonnenbrille jeden anschauen konnte ohne ihn zu verwandeln. Das wiederum hieß, dass sie nach draußen gehen konnte wann immer sie wollte. Sie musste nur eventuell ihre Schlangen verbergen, aber das war nicht so schwer. Ein Kopftuch oder Hut würde helfen.
Dieser Mann war ihr Held! Er hatte sie auf diese Idee gebracht. Medusa konnte ihre Begeisterung nicht zügeln. Dank ihm konnte sie jetzt endlich ein relativ normales Leben führen. Voller Freude umarmte sie den jungen Mann, der nicht wusste wie ihm geschah. Als sie sich wieder von ihm löste, schenkte sie ihm ein übermütiges Lächeln und meinte: „Kann ich Ihnen irgendetwas zu trinken oder zu essen anbieten? Ich hatte noch nie Gäste. Kommen Sie!“ Sie zog ihn an der Hand mit sich in die Küche.

Drei Jahre später heiratet im Passauer Standesamt eine Frau mit verspiegelter Sonnenbrille und einem Schleier auf dem Kopf einen gut aussehenden jungen Mann, den sie immer mit Perseus anredet. Das Wetter ist schlecht, aber das Paar scheint glücklich und einen kurzen Moment sieht man eine (auch sehr glückliche) Schlange unter dem Schleier hervorlugen. Aber alle halten das für eine Halluzination. Nur das Brautpaar weiß es besser.

Ende

(Für alle, die sich jetzt überlegen, wie das weitergeht, weil Medusa ja anscheinend unsterblich ist: Überlegt euch selbst was Gutes!)

Impressum

Texte: verval
Bildmaterialien: verval
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2012

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