Ich sparzierte barfuß durch das feuchte Geäst, es musste geregnet haben. Mutter sagte ich sollte das nicht machen, aber wie man uns Kinder nun mal kannte - Verbote machten uns nur erst neugierig. Mir entwich ein leises Niesen, welches aber nicht weiter störend war. Mein treuer Fuchs an meiner Seite schnurrte nur und putzte im trippelnden Gang sein goldiges, rotes Fell. „Do, du wirst spätestens zum Sonnenuntergang der schönste Fuchs sein, den die Welt je gesehen hat! Hab ja keine Hast!“, beichtete ich ihm, auch wenn ich mir immer noch nicht bewusst war ob er meine Sprache verstand. Ich hob einen langen, schmalen Stock vom Boden auf, er musste wohl von einem Baum gefallen sein. Er war schon alt und nicht mehr von der frischen Schicht umgeben die die anderen zu Hause hatten. Do und ich, wir liefen von Zuhause weg. Weil Papa sagte ich hätte ein hässliches Kleid an, dieses Kleid nähte ich gestern selbst! Mit meinen eigenen Händen und wenn Papa schon so leichtsinnig seine Meinung äußern musste dann hätte er sich auch etwas zusammenreißen können. Finn, mein großer Bruder suchte noch nicht einmal nach mir! Obwohl er das sonst immer tat. Wie verantwortungslos er doch wurde, jetzt mit seinen vierundzwanzig Jahren. Auch war er nur noch damit beschäftig vorzubereiten. Für ein Fest, niemand wollte mir aber sagen warum wir feierten. Schon wieder fand ich einen Stock. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie gleichmäßig abgetrennt waren, vielleicht mit einem Messer. Einem kleinen Messer, wie es meine Mutter auch zum Fisch - oder Fleischschneiden benutzte. Papa ließ ihr nämlich keine anderen Werkzeuge in die Hände fallen, er achtete sehr darauf sie nicht zu verletzen. „Stimmt‘s Do?“, fragte ich ihn und seine großen schwarzen Knopfaugen musterten mich aufmerksam. Sanft fuhr ich über seine flauschigen Ohren und sein allgewohntes Schnurren ertönte erneut. Ich konnte aber auch etwas anderes wahrnehmen, in meiner unmittelbaren Umgebung. Wie dumpfe Schritte neben mir oder vor mir es könnte aber auch hinter mir sein. Nein, sie waren überall, man verfolgte mich. Doch da war jemand, ein paar Meter vor mir. Eine Frau, ich erkannte das an den langen schwarzen Haaren. Schnell rannte ich auf sie zu, ihr fielen doch die ganzen Stöcke aus ihrem Korb! Und es schien so als hätte sie ein Baby auf dem Arm, welches ihr die Arbeit nur noch schwerer machte. „Verzeihen Sie, ich möchte Sie nicht belästigen, aber ich habe die Stöcke für Sie eingesammelt welche Sie verloren haben.“ Sie drehte sich um und ich erschrak, ihre Augen schimmerten rot. In der nächsten Sekunde war der Glanz aber aus ihnen gewichen und sie lächelte freundlich. „Das ist lieb mein Kind. Ich heiße Venus, was ist dein Name? Ich möchte mich doch bedanken.“ „Ich... bin Florentina. Und das ist Do, mein Fuchs.“, erklärte ich stolz und sie wollte mir durchs Haar fahren, bloß hinderte sie jemand. „Flora!“, rief mein Bruder wütend und er rannte auf uns zu. Voller Hass musterte er die junge Frau vor mir, sie war höchstens in seinem Alter, allerhöchstens. Und schön war sie, wirklich. Warum war er so unhöflich? Warum nicht gutmütig? Anstatt sie anzusehen als wollte er sie töten. Außerdem war sie ganz alleine mit einem Kind unterwegs, so etwas würde ein Mann ihr nie antun wenn sie noch einen hätte. „Fass meine Schwester nicht an, wag es nicht einmal daran zu denken.“ „Aber Venus ist doch nett zu mir und ich wollte nur helfen die Stöcke...“, begann ich, weiter kam ich nicht, er packte mich grob am Arm und schliff mich mit nach Hause. „Nein, Finn! Du tust mir weh!“, schrie ich trotzig, er hielt seinen Griff immer fester. „Du willst ja einfach nicht folgen!“ „Aber ich wollte nur sparzieren und der netten jungen Dame helfen. Warum wirst du in ihrer Gegenwart so böse?“, fragte ich und er blieb ruckartig stehen. Dann hockte er sich zu mir hinab und blickte in meine Augen. „Sie ist eine Hexe und du hast nicht einfach so zu verschwinden, ich machte mir solche Sorgen, dass sie dir etwas antut.“, sagte er mit bebender Stimme und nahm mich in den Arm. „Versprich, dass du nie wieder alleine in den Wald gehst!“ Ich nickte nur, ehe wir nach Hause gingen.
Am überübernächsten Tag hielt ich es aber nicht mehr aus, Do wollte auch sparzieren. Uns blieb nichts anderes übrig als in den Wald zu gehen. Ich glaubte nicht an Hexen. Dieses leise Babyweinen ließ mich zusammenzucken. Es tauchte plötzlich ganz nah auf. Ich drehte mich um und kniete mich hinab zu Do um nicht so schnell gesichtete zu werden. „Ich habe auch Angst.“, wisperte ich zu meinem Gefährten und er winselte aufgeregt. „Sei still!“, befahl ich, doch schon standen zwei dürre Beine vor mir. „Kann ich euch Zweien helfen? Wie du mir geholfen hast. Habt ihr euch verlaufen oder soll ich dir einen meiner Kräutertees machen?“, fragte sie freundlich und ich nickte schluckend. Sie war hübsch, aber in gewisser Maßen machte mir ihr Erscheinungsbild Angst. Die tiefschwarzen Schatten unter ihren Augen kamen wahrscheinlich von Schlafmangel wegen dem Kind, doch sahen sie beängstigend aus. Trotzdem wollte ich mit ihr gehen. Ihre Hand welche meine schützend umfasste drückte aufmunternd fester zu und sie öffnete ein winziges Gartenzauntor. Es bestand nur aus Ästen und Zweigen die im Boden steckten. Dahinter lag ihre Hütte. Sie war alt, mit Moos bewachsen und unheimlich. Leider strahlte sie nicht mehr so viel Gemütlichkeit und Wärme aus welche sie vielleicht früher einmal hatte, doch war genug da um mich willkommen zu heißen. „Nimm bitte Platz mein Engel.“, summte sie liebevoll und deutete mit ihren mageren Knochenfingern auf einen Stuhl, auf welchem Tierfelle lagen um sie warm zu halten. Ich tat was sie von mir verlangte und sah zu wie sie ihren Sohn in das kleine Gitterbettchen legte. Ihre Hand ruhte so behutsam auf seinem Kopf, dass ich lächeln musste. Hexe? Ganz bestimmt nicht. „Nach was ist dir zumute? Vielleicht Pfefferminze? Oder Hagebutte, es könnte doch auch Brennnessel sein nicht wahr?“, fragte sie höflich und ich legte den Kopf schief. „Ich weiß nicht, suchen Sie aus was ich trinken soll.“ Sie blickte mich schmunzelnd an und kniff die Augen leicht zusammen vor Kichern. „Ich liebe Kinder.“, stellte sie fest und wagte einen Blick auf ihres. „Wie du möchtest, für dein Vertrauen... schenke ich dir meinen letzten Vanilletee.“ „So etwas kenne ich gar nicht.“, gestand ich und blickte neugierig auf die getrockneten Blätter. Do kam zu ihr und schnupperte an ihrem Rock. Sofort schmiegte er sich daran und stieß einen schnurrenden Laut aus. „Er mag Sie.“, bemerkte ich und beobachtete wie sie ihm über den Kopf fuhr. „Sehr weiches Fell hat dein Freund.“, flüsterte sie beruhigend und überreichte mir den Tee. „Ich hoffe er schmeckt dir.“ Großzügige Schlucke tat ich ehe ich den Nachgeschmack genoss. „Sie sind eine wundervolle Köchin.“, gab ich zu und hielt mir den Kopf. Mir wurde ganz schwindelig. Sie blickte mich besorgt an und legte mir eine Hand auf die Stirn. „Nicht doch, du hast Fieber bekommen. Ich bringe dich in mein Bett zum Auskurieren. Das kann nicht sein, ich kann es mir nicht erklären, ganz plötzlich. Armes Mädchen, Flora.“
Ich fand mich in einem Bett aus Moos wieder. Do lag neben mir auf ein großes Blatt gebettet. Die Hütte war verschwunden, weit und breit keine einzige Menschenseele. Verwirrt richtete ich mich auf, schließlich sah ich die Tasse neben mir, mit dem glühwarmen Tee. Aber wo war Venus? Plötzlich erkannte ich, dass Finn auf mich zu rannte. Er sah fröhlich aus. „Da bist du also, wir haben dich gesucht. Das Fest ist in bereits in vollem Gange!“ „Wo ist Venus?“, fragte ich vorsichtig, aber er wurde gar nicht böse. „Sie ist wieder da wo sie hingehört. Flora, sie ist eine Kräuterhexe und weiht nur alle vier Jahre für zwei Wochen hier. In dieser Zeit ist sie sehr gefährlich. Doch dann erscheint sie nur mehr als Kraut, welches in diesem Wald wachst.“
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2011
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