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29.2.1678 11.23 Uhr in Silbertal (Lilith)

Liebes Tagebuch,
Tagelang musste ich warten, um dir alles zu sagen.
Ich weiß, das mag jetzt etwas traurig klingen, aber das ist es ja auch.
Heute ist es passiert. Das, worauf wir Jahre gewartet haben.
Es ist zwar nicht fair, aber es ist nun mal so: Apharos Vater hat das Dorf verlassen. Das ganze Dorf war wie ausgewechselt. Wo die Menschen gestern noch verängstigt in ihren Hütten auf das sichere Ende gewartet haben, da sind plötzlich alle fröhlicher. Auch wenn die Lage für viele immer noch aussichtslos ist, weil sie kaum Nahrung haben und ihre Hütten zerfallen, haben sie eine wichtige Sache zurückerlangt: nämlich Hoffnung. Etwas, das ihnen Monatelang gefehlt hatte.
Ich muss zugeben, Ampharos Vater war ein Tyrann, hat Dörfer zerstört und viele hungern lassen. Nur einer tut mir Leid. Sein Sohn muss leiden, nur wegen dem was sein Vater, der einste Herrscher, dem Volk angetan hatte. Ampharo kann doch nichts dafür.
Ich habe versucht ihn zu trösten, aber es war ihm egal. Er sagte, ich wäre doch an allem Schuld und Ampharo liefen das erste Mal, seit ich ihn kenne, Tränen über die Wangen. Ich dachte wir wären Freunde, aber nun hasst er mich. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann.
Wenn du doch nur antworten könntest. Ampharo meint, ich wäre gemein und mein Name wäre nur passend. Denn Lilith ist der Name einer Dämonin. Tagebuch, was soll ich nur tun? Ich habe ihm doch nichts getan, ich war die Einzige, die ihn nie im Stich gelassen hat, ihn nie verletzt hat. Er bedeutet für mich Frieden, denn er ist für mich wie eine Familie. Ich weiß nicht einmal, warum er mich für alles verantwortlich macht. Ich wüsste gerne was in ihm vorgeht. Wirklich. Warum bist du bloß ein Buch? Ich brauche doch eine Antwort.....

Lilith

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Ich lag in meinem harten Bett, die Bettdecke war dünn und zerschlissen.
Ich zitterte vor Kälte. Die Uhr der alten Kirche von Silbertal schlug 12 Mal.
Vorsichtig kroch ich aus dem quietschenden Bett. Ich konnte nicht schlafen. Leise, um meine Tante Beatrice nicht aufzuwecken, schlich ich zu der morschen Holzkommode, das einzige Objekt was noch von meiner Mutter stammte.
Ein Griff der Kommode war bereits abgerissen, weshalb ich beim Öffnen vorsichtig sein musste. Ich zog behutsam mein vergilbtes Tagebuch heraus und griff nach der Feder und dem Tintenglass. Ich huschte schnell wieder zu meinem Bett. Als ich mich wieder, in die Decke eingewickelt hatte, nahm ich ein Streichholz von dem schmuddeligen Nachttisch, der neben meinem Bett stand.
Mit dem Streichholz, das zittrig in meiner Hand lag, endzündete ich die verrußte Petroleumlampe. Ich weiß nicht warum, aber immer wenn ich mein Tagebuch hervorhole, überkommt mich dieses Gefühl etwas Verbotenes zu tun. Nicht nur weil meine Tante es verboten hat, sondern auch aus einem Grund, den ich mir nicht erklären kann.
Ich blätterte mein Buch auf, das im schummrigen Licht noch vergilbter wirkte als sonst. Plötzlich hielt ich die Luft an. Neben meinem Eintrag, den ich verzeichnet hatte, stand in roter Tinte ein Text, den ich nie selber geschrieben habe.
Erstens stimmte der Ort nicht und zweitens war das Jahr, in dem der Text geschrieben wurde ein anderes. Verwirrt blickte ich auf den mir fremden Text.

Tagebucheintrag 2
14.2.2034 (Lawrence) 21.34 Uhr Manhattan
Liebe Lilith,
Ich kann deine Sorge verstehen. Es ist schön, dass du mir alles anvertraust, aber nun brauchst du Unterstützung. Solltest du nicht eigentlich glücklich sein, dass der Tyrann weg ist? Ich versichere dir, wir wären das. Aber bei dir scheint vieles anders zu sein. Du wolltest eine Antwort. Ich hoffe, du wirst verstehen was ich dir raten will. Dieser Ampharo scheint dir wichtig zu sein also, du hast ihn gleich angesprochen, nachdem sein Vater weggegangen ist. Ich für meinen Teil finde, du musst ihn etwas allein lassen. Ich bin mir sicher, es ist nicht leicht für ihn. Wenn du ihn wirklich magst, halte zu ihm und helfe ihm. Ampharo wird es dir einmal danken. Da bin ich mir sicher. Und eine Dämonin bist du nicht, glaub mir, denn Dämonen, würden sich nie für ihre Freunde einsetzen.
Ich hoffe, ich konnte dir helfen. Nun hast du eine Antwort, ich hoffe du wünschst dir nicht immer so sinnlose Sachen, wie eine Antwort wenn man in so schlechten Bedingungen lebt. Sei nett zu Ampharo und hilf ihm. Und denk daran, wünsche nicht, sondern hoffe. Denn Hoffnung ist viel stärker als jeder Wunsch.

Dein Lawrence

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Erschrocken ließ ich das Buch sinken. Diese unerwartete Antwort von diesem Lawrence fand ich ziemlich verwirrend. Und diese Jahreszahl! Sollte nicht vorher die Welt untergehen? Ich kniff die Augen zu. Ich konnte einfach nicht fassen, was plötzlich in meinem Tagebuch stand. Hatte Ampharo sich vielleicht einen Scherz mit mir erlaubt? Aber sobald ich meine Augen wieder öffnete, war der Text wieder da. Unglaublich, dachte ich. Ich beschloss, das Ganze nochmal zu versuchen, um mir zu versichern, dass ich noch ganz bei Verstand bin.
Ich tauchte die Feder in das Glas und begann zu schreiben.

Tagebuch (Lilith) 30.2.1678 Silbertal
Sei gegrüßt Lawrence,
Danke, dass du mir eine Antwort geben konntest.
Ich kann einfach nicht glauben, dass alles, was du schreibst, echt sein soll.
Sollte die Welt nicht längst untergegangen sein?
Außerdem redest du so anders. Spricht man so im 21. Jahrhundert?
Falls es dich wirklich gibt, melde dich.

Gruß Lilith

Ich wartete eine Weile zitternd auf meinem durchgelegenen Bett.
Mir war kalt, doch ich wagte nicht, mich zu bewegen. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen und so langsam glaubte ich wirklich nicht mehr, dass eine Antwort kommen würde. Ich schloss die Augen, atmete ein Mal tief durch und öffnete sie wieder. Als ich nun auf mein Buch blickte, war dort ein Neuer Eintrag von Lawrence. Mit zitternden Händen nahm ich das Buch, um seine Antwort, und damit den Beweis, dass ich nicht träumte, zu lesen.

Tagebuch (Lawrence) 24.2.2034 Manhattan
Liebe Lilith,
Ich weiß, du wirst es vielleicht nicht fassen können,
aber mich gibt es wirklich. Um deine Frage mit dem Weltuntergang zu beantworten: fast jedes Jahr behauptet jemand zu wissen, die Welt würde untergehen, aber es ist bis jetzt noch nie passiert.
Was willst du denn sonst noch wissen?
Ich kann dir vieles sagen, falls du wieder Ärger mit irgendwem hast.
Oder falls du dich für die Zukunft interessierst.
Du kannst mich immer fragen.
Vielleicht willst du ja auch wissen wer ich bin, oder woher ich dein Buch habe.
Du musst nur fragen, Lilith. Ich will dir ja nichts erzählen, was dich kränken würde. Ich würde mich über eine Antwort von dir freuen.

Dein Lawrence

Noch immer zitternd nahm ich die Notizen von ihm hoch.
Ich wusste nicht warum, aber ein eiskalter Schauder lief meinen Rücken hinab. Dieser Lawrence war so seltsam. Er schrieb, als wäre es das Alltäglichste der Welt, mit jemanden über ein Tagebuch zu kommunizieren.
Es war ein Fehler mit ihm zu schreiben, schoss es mir durch den Kopf.
Aber ich war immer noch neugierig. Ich wollte einfach mehr über ihn wissen.
Und dennoch, trotz seiner ziemlich freundlichen Worte, spürte ich wie Furcht in kleinen Wogen in mir aufstieg.

4


Es war inzwischen schon mehr als eine Stunde vergangen. Ich hatte mich in meine schäbige Decke gehüllt, aber ich konnte einfach nicht einschlafen.
Das Tagebuch, und vor allem Lawrence, kamen mir öfter in den Sinn als mir lieb war.
Immer wieder schloss ich die Augen, um sie dann doch wieder zu öffnen.
Ich wollte unbedingt Antworten. Vorsichtig setze ich mich wieder auf.
Behutsam schob ich den grünen Vorhang, der das Fenster bedeckte, zur Seite.
Draußen am wolkenverhangenen Himmel stand der Mond den man kaum erkennen konnte. Selbst der Mond würde mich diesmal kaum beruhigen.
Auch wenn ich immer noch ein schlechtes Gefühl dabei hatte, wollte ich wieder mit diesem seltsamen Lawrence kommunizieren. Langsam zog ich das Tagebuch aus meiner Schublade wobei der Griff mal wieder fast abriss.
Ich tauchte die Feder in das satte Blau der Tinte und begann zu schreiben.

Tagebuch (Lilith) 30.2.1678

Lieber Lawrence,
Ich weiß nicht ob du noch da bist,
aber bitte schreibe zurück, wenn du da bist.
Ich brauche eine Antwort.
Wer bist du?

Gruß Lilith

Ich legte meine Feder auf die morsche Fensterbank.
Unruhig wippte ich auf meinem Bett hin und her.
Hätte Tante Beatrice das gesehen, wäre sie glatt rot vor Wut geworden und hätte mir einen Vortrag über das Benehmen einer jungen Dame gehalten. Nur hatte sie dabei vergessen, dass man ohne schöne Kleider sowieso nie eine wirkliche Dame sein würde. Ich machte mich schon auf eine lange Wartezeit gefasst, als die Antwort kam. Diesmal war seine Antwort noch komplizierter geschrieben und seine Schrift war ungleichmäßiger, so als hätte er den Eintrag in großer Eile geschrieben.

Tagebuch Lawrence 24.2.2034

Ja, ich bin noch da, aber ich bin in ziemlicher Eile.
Ich und meine Familie fahren nach Brooklyn,
das ist ganz in der Nähe von Manhattan.
Dort werde ich meine Tante Jenna besuchen.
Wir fahren mit dem Auto hin, damit sind wir ziemlich schnell da,
aber das Tagebuch nehme ich nicht mit. Sonst schleppen mich meine Eltern noch zum Psychiater, wenn sie lesen, dass ich Antworten aus dem 17. Jahrhundert in dem Tagebuch habe. Mein Vater tickt bei sowas total aus, er denkt dann ich würde mir selber Antworten, er war sowieso schon immer dagegen, dass ich ein Tagebuch besitze. Ich weiß nicht Mal wieso er dagegen ist. Ich nehme an ich habe dich Total verwirrt. Psychiater und Autos, gibt es in deiner Zeit sicherlich noch nicht. Oder? Nun zu deiner Frage.
Ich bin ein ganz normaler Junge, ich bin 16 Jahre alt und heiße Lawrence Dewey. Nicht sehr spannend, aber jetzt hast du deine Antwort.
Ich werde dir bald wieder schreiben, und dir deine weiteren Fragen beantworten.

Dein Lawrence

Verwirrt runzelte ich die Stirn, was um alles in der Welt sollten Autos sein, oder was meinte er mit einem Psychiater. War das was zum Essen, oder eine
hohe Persönlichkeit? Ich konnte es mir nicht erklären. Es würde nichts bringen, ich musste auf Lawrence nächsten Eintrag warten. Ich legte mein Tagebuch zurück und kuschelte mich ins Bett wo ich diesmal endlich einschlief. Obwohl ich mir tausend Fragen stellte, die nur Lawrence beantworten konnte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.12.2012

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