Nachts. Es ist stockdunkel. Dies ist ihre Stunde. Ihre Zeit. Ihr Vorteil. Und nur ihrer.
Ihrer …
Enthüllung
Wiedermal stand er abends auf der Veranda vor der spärlich möblierten Hütte und starrte die untergehende Sonne an. Er versuchte sich auf das, was ihm bevorstand seelisch vorzubereiten und atmete einmal tief durch. Dann hörte er ein plötzliches Rascheln. Wo? Im Gebüsch zu seiner rechten. Er sah genauer hin und erschrak. Sofort war er in Verteidigungshaltung.
Nein, nur ein Hase. Er schämte sich für sich selbst. Zum Glück war niemand da.
Es würde schwer werden, ganz normal unter ihnen zu leben, aber er war daran gewöhnt und hatte viel Erfahrung im Umgang mit normalen Menschen. Trotzdem hatte er ein beunruhigendes Gefühl.
Nein! Es würde alles wie immer sein. Er entspannte sich, streckte sich auf dem alten Sofa aus und schlief ruhig ein. Dennoch konnte er das Gefühl, dass bald etwas Schreckliches passieren würde nicht ganz loswerden …
Sie rannte durch die dunkle Gasse. Hörte die Schritte hinter sich. Durfte sich nicht umdrehen. Nicht zögern. Vor sich sah sie das Ende der Gasse und die große Straße. Die einzelnen Autos waren nur Streifen aus Licht, die vorbeizogen. Immer und immer und immer.
Sie hörte die Schritte ihres Verfolgers, näherte sich der Straße. Nicht zögern. Nicht stehenbleiben. Glaub an dich. Und dann rannte sie weiter …
Kat wachte am Montagmorgen früh auf. Früher als sonst. Früher als der Wecker - und konnte nicht wieder einschlafen. Sie hatte sofort ein seltsames Gefühl, was diesen Tag anbelangte, konnte aber nicht sagen, wieso.
Sie stand auf. Sie war noch sehr müde, da sie gestern Nacht erst spät ins Bett gekommen war. Also ging sie ins Bad und wusch ihr Gesicht. Aus dem Spiegel blickten ihr große bernsteinfarbene Augen schläfrig entgegen. Ihre Mutter hatte immer gesagt, weil ihre Augen so besonders waren, wäre auch sie etwas besonderes, denn ihre Iris war grün umrandet. Bis zu ihrem fünften Lebensjahr war sie davon auch felsenfest überzeugt gewesen, aber dann …
Sie schob sich die dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und sah sich ihre Wunde an der Stirn an. Autsch. Sie war nur sehr klein, aber ihre Klasse würde sie sicher bemerken und dann tausend Fragen stellen. Bei solchen Kleinigkeiten waren ihre Mitschüler immer etwas zu aufmerksam.
Also versuchte sie den Kratzer mit Make-up zu verstecken, befand, dass es gut genug war und zog ihre Schuluniform an. Nichts Besonderes. Ein grauer Faltenrock mit einem Karo-Muster, ein weißes Hemd, eine rote Schleife und ein grauer Blazer. Und dazu lange weiße Kniestrümpfe und schwarze Schuhe.
Kat Robins ging in die zehnte Klasse der St.-Mary’s-Senior Highschool und war 16 Jahre alt. Ihre Eltern, ihre kleine Schwester und ihr großer Bruder waren tot und sie lebte allein in einem alten Haus in einem der ärmeren Viertel in Brooklyn. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie mit einem Job in einem Cosplay-Café in Brooklyn. Es gab eine gute Bezahlung und niemand würde sie dort vermuten, sodass sie ihre Ruhe hatte.
Keira McDougal, ihre beste Freundin holte sie jeden Morgen zur Schule ab. Sie lebte in einem besseren Viertel Brooklyns und wohnte mit ihren Eltern in einem schönen großen Haus. Da Kat heute so früh dran war, ging sie Keira entgegen und sie trafen sich bei ihrem Haus. Dann gingen die Mädchen zur Schule.
„Hast du die Matheaufgabe verstanden, Kat?“, fragte Keira.
„Ja, das war leicht. Soll sie es dir erklären?“
„Ja, das wäre toll! Du bist die beste Kat!!!“, rief die Freundin begeistert und so bestand die Unterhaltung der Mädchen aus Mathe. Super Gesprächsstoff, so direkt vor der Schule. Das wir noch ein anstrengender Tag.
Als die Mädchen in die U-Bahn stiegen, beschlich Kat ein seltsam beklemmendes Gefühl. Sie kannte dieses Gefühl und wusste auch, was es bedeutete aber es war noch nie so stark gewesen. Dem würde sie nachgehen müssen. Die beiden stiegen in East Village aus und gingen die 300 Meter zu ihrer Schule. Keira schrieb noch schnell die Mathehausaufgaben ab und dann machten sich die zwei auf den Weg zur Klasse.
Als die zwei – etwas zu spät – in die Klasse kamen schimpfte Mister Falman nur halbherzig mit ihnen. Was er wohl hat? Normalerweise wäre er an die Decke gegangen. Sie setzten sich auf ihre Plätze und Kat bemerkte, dass jemand den Klassenraum betrat, der nicht hierher gehörte. Es war ein Junge. Er sah verdammt gut aus. Als wäre er einer Modezeitschrift entsprungen. Er hatte schwarze, mittellange Haare und einen gelangweilten Gesichtsausdruck. Seine Augen konnte man wegen der Sonnenbrille nicht sehen. Er war schlank, hatte flache Muskeln und eine tolle Figur – soweit Kat das unter den Klamotten ausmachen konnte.
Der Junge ging zu Falmans Tisch und gab ihm einen Zettel. Als alle sich gesetzt hatten, stellte der Lehrer den Jungen als Luke Ross vor und setzte ihn neben Kat. Sie hatte immer noch so ein
ungutes Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Luke sah sie kurz an und musterte sie um sie dann zu ignorieren. Was für ein komischer Typ. Dann sah er sich im Raum um und erblickte unsere selbsternannte Schulqueen. Isabella Martin. War ja klar. Warum interessierten sich Männer nur immer für die aufgetakelten Tussis?
Die ganze Stunde über trug er seine Sonnenbrille, obwohl es draußen bewölkt war. Ist das normal? Als Mister Falman ihn darauf ansprach, sah Luke ihm nur in die Augen, sagte leise etwas zu ihm und der Lehrer gab klein bei. Obwohl Mister Falman normalerweise darauf bestanden hätte, dass er die Sonnenbrille abnimmt. Irgendetwas ist doch seltsam …
Auch in der Pause trug er die ganze Zeit die Sonnenbrille. Hatte er vielleicht empfindliche Augen? Oder irgendeine Krankheit? Oder war er… ? Nein, dumme Idee.
Keira schien hin und weg von diesem Luke zu sein und sagte die ganze Zeit: „Schau mal. Er sieht 'rüber. Ah, nein sieh lieber nicht hin, sonst fällt das auf.“ Soll mal einer aus diesem Mädchen schlau werden. Allerdings scheint es vielen anderen auch so zu gehen, wie Keira.
„Bleib ruhig Keira, sonst fällst du auf“, entgegnete Kat ihr ruhig, woraufhin Keira einen Schmollmund zog.
In der dritten Stunde hatte die Klasse Sport – ausnahmsweise Mal Jungen und Mädchen zusammen, weil der andere Teil der Turnhalle renoviert und die Recks repariert wurden. Normalerweise machten Mädchen und Jungen immer getrennt Sport, das war an dieser Schule Gang und Gebe.
Sie spielten also Fußball und Kat hatte die Ehre Torwart zu sein. Wieso hab ich nur immer so ein Glück? Klar, Fußball. Kein Problem! Ich bin ja so eine Sportskanone..
Die Lehrerin teilte die Schüler in gemischte Mannschaften auf, was für Kat meistens nicht besonders gut endete. Vor allem, wenn Ben Anderson in der gegnerischen Mannschaft war. Er war wohl einer der ehrgeizigsten und brutalsten Spieler an der Schule. Er spielte in der Schulmannschaft und war auch bis vor kurzem der Kapitän gewesen, musste den Posten allerdings verlassen, wegen eines „Vorfalls“. Was da wohl genau vorgefallen ist?
Kat hoffte trotz ihrer vorigen Abneigung gegen Luke, dass er gut spielen konnte. Sonst würde das hier auch für ihn kein Vergnügen werden.
Miss Black teilte der anderen Mannschaft die roten Leibchen aus, damit sie sich nicht auch noch in den Mannschaften die Köpfe einschlugen und pfiff an. Kat beobachtete vom Tor aus das Spiel. Der andere Torwart war Michael Reed. Sie wusste, dass er gut war.
Ist auch eigentlich schlauer jemanden ins Tor zu stellen, der das Spiel beherrscht und auch Bälle halten kann. Und nicht jemanden, wie mich, der sich hinterm Pfosten versteckt, wenn er den Ball nur kommen sieht. Dann wurde es spannend.
Der Ball kam auf Kats Tor zugerast, doch sie versteckte sich nicht hinterm Pfosten, sondern blieb stocksteif stehen und starrte den Ball an.
Sie schloss die Augen und wartete auf den Schmerz, der ihr mittlerweile sehr bekannt war, doch nichts passierte. Luke Ross hatte das lederne Monster im letzten Moment abgefangen und ins gegnerische Tor geschossen – der Ball war so schnell, dass sie ihn kaum gesehen hatte …
„Geht's dir gut, Kat?“
„J-ja, danke für die Rettung …Luke …“
„Keine Ursache“, sagte er noch, bevor er wieder aufs Feld lief. Meine Sorge um ihn war also unberechtigt … aber etwas stimmt da doch nicht, oder?
Es nervte sie am Tag arbeiten zu müssen. Die Sonne blendete und sie war todmüde. Aber sie hatte ihren Job und den musste sie auch machen. Also stand sie nun in einer Nische im Gebäude der St.-Mary’s-Highschool und suchte nach ihm – Julien Valentine. Er war unerlaubterweise aus dem Anwesen der Familie Thorne ausgebrochen. Er sollte dort eigentlich bis zum Verhör bleiben, weil er nun mal der Schüler von James war. Und nur weil er so dickköpfig war und selbst nach seinem alten Meister suchen wollte, durfte sie nun hinter ihm her rennen und ihn zurückbringen, damit er keine Dummheit anstellte.
Der restliche Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle. Allerdings bemerkte sie, wie Luke verschiedene Mädchen und Jungen beobachtete, bei den meisten jedoch kopfschüttelnd wieder wegsah. Manche beobachtete er länger, manche nicht. Meistens beobachtete er die, die besonders gut in Sport waren oder sehr stark aussahen.
Nun, mir soll das egal sein, ich sehe weder stark noch sportlich aus – ich bin ja auch nicht sonderlich stark – aber relativ sportlich. Diesen Umstand kann ich allerdings mit meiner Ungeschicklichkeit mehr als wett machen. Kat Robins war ohnehin keine auffällige Persönlichkeit – manchmal übersahen sie die Leute auch einfach … – und sie legte auch nicht viel Wert darauf, ob sie von anderen beachtet wurde. Manchmal ist es mir sogar lieber, wenn mich die anderen nicht nervten. Nur wenn sie es mal wirklich brauchte nicht beachtet zu werden, beachtete sie natürlich jeder..
Auf dem Flur lief ihr Luke über den Weg. Er sprach gerade mit Sportass Ben Anderson über Nachtwanderungen und – was sollte man auch sonst erwarten? – Mädchen. Obwohl Luke keinen sonderlich interessierten Eindruck machte. Ob er sich wohl nicht zu Frauen hingezogen fühlt?
Sie blieben an der Wand stehen und unterhielten sich weiter, als ob Kat gar nicht anwesend wäre. So konnte sie allerdings einiges von ihrem Gespräch mit anhören.
„ … auf der Party gesehen. Mann, ging die ab“, beendete Ben gerade seine Schilderung der letzten Sauf-Pool-Pyjama-Party, bei der Isabella natürlich nicht gefehlt hatte.
„Ja, aber wie sieht's mit Sportnoten aus?“, versuchte Luke das Gespräch wieder in gewünschte Bahnen zu lenken.
„Oh, also ich hab immer Einsen, wie so ein Drittel der Jungs. Das beste Mädchen ist Reese, danach kommt Keira. Die ist auch nicht von schlechten Eltern, also …“, begann Ben abzuschweifen. Kat konnte sehen, wie er einen Schlafzimmerblick aufsetzte und zu träumen begann. Oh Gott, was für ein Wiederling …
„Ben …!“, versuchte Luke ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen.
„Oh, ja! Also die schlechteste ist mit Abstand Kat Robins, die der du heute das armselige Leben gerettet hast.“ Ben starrte Kat bei diesen Worten direkt an und ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. Wie dumm er ist und sich dabei noch toll fühlt. Luke würdigte sie keines Blickes und die Jungs entfernten sich. Nun stand Kat allein im Flur und wartete auf Keira. Sie würde ihr lieber nichts von dem Gespräch erzählen.
Keira kam grade um die Ecke, als Kat ihre Gedanken beendet hatte und lief winkend auf sie zu: „Hey, Kat! Alles klar?“, fragte sie.
„Ja klar, und bei dir?“, entgegnete Kat ihr. Und so unterhielten sich die beiden Mädchen bis die nächste Stunde begann – und darüber hinaus.
Am nächsten Tag kam Keira zu Kat gelaufen und strahlte sie übers ganze Gesicht an.
„Was ist passiert?“, fragte sie ihre beste Freundin.
„Du kennst doch den Neuen, oder? Luke Ross“, fragte sie ganz hibbelig vor Aufregung.
„J-ja klar …“, antwortete sie verdutzt und ohne Plan. Was ist jetzt passiert?
„Aaaaaalso … er … will … vielleicht … in die … Sport-AG eintreten!!!“, rief sie voller Glück, „Dann könnte ich versuchen ihn kennenzulernen und …“, setzte sie ihre Ansprache fort, doch Kat hörte kaum zu. Naja, es war klar, wenn er sportliche Leute sucht, dass er wohl in der Sport-AG anfangen würde – was mir ja eigentlich egal sein sollte – doch irgendwie macht mir der Umstand, dass Keira ihn dann immer sehen würde, zu schaffen. Kat hatte ein sehr schlechtes Gefühl bei dieser Sache – und das war keine Eifersucht.
Diese Mädchen in seiner Klasse waren wie alle anderen auf diesem Planeten. Alle wollten Aufmerksamkeit! So nervig … aber was sollte er schon machen? Er konnte auch nichts dafür, dass sie sich von Seinesgleichen angezogen fühlten.
Aber sein eigentliches Problem war die Suche. Wieso fand er ihn – oder sie? – nicht? Vielleicht benutzte derjenige einen Trick, um ihn zu täuschen, doch sicher konnte er sich da nicht sein.
Vielleicht war es ja eins der Mädchen, die ihm aus dem Weg gingen und ihn nicht voller Faszination anstarrten – was nur auf ein paar seltene Ausnahmen zutraf – die, die er suchte oder es war schlicht und ergreifend doch ein Junge … schwierig. Nun ja erst mal die Sport-AG …
Luke Ross war nun seit zwei Wochen in der Sport-AG und hatte der Mannschaft in einigen wichtigen Wettkämpfen zu Preisen verholfen, doch nun – in der grade mal dritten Woche – war er schon wieder ausgetreten, was bei Keira zu Traueranfällen der Extraklasse führte. Danke Luke! Also verbrachte Kat ihre freien Nachmittage damit Keira Mut zuzusprechen und ihr zu versichern, dass es noch andere Möglichkeiten gab, ihn zu treffen. Auch wenn sie das vielleicht lieber lassen sollte. Was ging nur in dem Kopf dieses Jungen vor, der sich so seltsam benahm?
Die Sport-AG war ein Reinfall … also musste er sich nun eine andere Möglichkeit suchen. Vielleicht sollte er es bei den schwächeren Schülern versuchen. Alle Einser-Kandidaten hatte er jedenfalls durch. Nun, ab zu den Zweiern. Soweit er wusste waren das die meisten Mädchen, also die einfachste Arbeit. Falls sie – wenn es eine Sie war – dabei war, sollte er sie schnell finden können, das war klar.
Luke beobachtete auch in den folgenden Tagen verschiedene Mädchen und Jungen. Mit vielen der Mädchen war er auch manchmal in einer dunklen Ecke am … reden? Irgendwann sah er dann sehr enttäuscht aus – woraus Kat schloss, dass er das was er gesucht hatte nicht gefunden hatte.
Nun, das soll ja nicht mein Problem sein. Ich werde nicht, wie die anderen Mädchen auf ihn hereinfallen. Ich finde schon noch 'raus, was er vorhat. Na warte Luke Ross! Falls du es wagen solltest das gleiche Spiel mit Keira abzuziehen, mach dich auf was gefasst…!
Die nächsten Tage beobachtete Kat wie er mit fast allen Mädchen und Jungen ihrer Stufe und denen darüber und denen darunter geredet hatte. Von Tag zu Tag konnte sie sehen, wie seine Stimmung abnahm.
Vor zwei Tagen konnte sie beobachten, wie er nach einem „Gespräch“ mit Lisa Smith gegen eine Spindtür schlug und knurrte. Uuuh… Agressionsprobleme? Oder zu große Frustration?
Was sollte das bloß? Wie sollte er sie oder ihn finden …
Sie oder er musste stark sein und wahrscheinlich auch sportlich … aber vielleicht versuchte sie oder er ihn ja auch zu täuschen. Das war eine Möglichkeit, die man nicht außer Acht lassen sollte … na, irgendwann musste ja was dabei 'rauskommen! Argh, es war zum ausrasten!
Es klopfte – schon wieder so ein dummer Bote ohne gescheite Informationen … Alle nutzlos!
Nun, dieser nicht, wie sich herausstellte. Nun wusste er, dass er ein Mädchen suchte und dass sie in seiner Klasse war … obwohl … das hätte er auch allein herausfinden können …
In Sport sah Luke die ganze Zeit zu Kat rüber, was sie sehr nervös machte und konnte so ein Missgeschick à la Kat nach dem anderen beobachten. Was nun wirklich nicht wenige waren. Dem Mädchen fielen Sachen auf den Boden, flogen Bälle an den Kopf und so weiter … Vor allem unter Beobachtung fiel es ihr schwer, sich nicht zu blamieren. Kann er mich nicht ignorieren, wie vorher auch? Sonst beobachtete er alles was sie tat – ob nun über dem Tisch oder darunter, oder ob in der Pause oder nicht … immer eben – und sah dabei von Mal zu Mal skeptischer aus. Keira versuchte währenddessen Lukes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was allerdings ziemlich in die Hose ging. Paradoxerweise hatte Luke heute nur Augen für Kat. Dabei hat er mich vorher die ganze Zeit ignoriert.. Was stimmt mit dem nicht?!
Nein. Nein! Nein!!! Ohhh nein!!! Niemals! Nicht sie! Das konnte nicht sein! Unmöglich sie! Das war einfach zu seltsam … obwohl … wenn es nur ein Trick war um ihn zu täuschen … aber das war zu absurd! Wie konnte jemand der so … so … so sehr wie sie war, die sein die er suchte?
Es war Freitag. Keira blieb noch eine Stunde in der Schule, weil sie ihre Matheaufgaben nicht gemacht hatte – dabei hatte Kat ihr alles noch einmal erklärt und die Klasse hatte in der letzten Stunde Mathe – Keira hätte also in Ruhe alles bei Kat abschreiben können.
So sah sich Kat gezwungen allein nach Hause zu gehen. Allerdings sollte sie nicht sehr lange alleine bleiben. Das Mädchen bemerkte Luke am Ende der Straße. Er stand dort einfach nur herum und machte nichts. Sie ging an ihm vorbei und versuchte ihn zu ignorieren, dann setzte er sich auch in Bewegung und schlenderte neben ihr her.
„Hallo“, sagte er.
„Hallo“, erwiderte sie misstrauisch.
„Kat Robins, richtig?“
„Richtig. Luke Ross, richtig?“
„Richtig“, er lächelte unwiderstehlich – er sah dabei irgendwie sehr belustigt aus – und fuhr leise fort: „Du bist keine Jägerin, oder? Das wäre nämlich äußerst seltsam.“
„Was …?!? Ehhh … Was meinst du mit seltsa … Jägerin?“ Oh Gott, fast hätte ich mich verplappert. Aber woher weiß er von den Jägern? … Ist er etwa ein … nein, bestimmt nicht! Das kann nicht sein … Er wollte jedoch offenbar alle ihre Hoffnungen und Träume zerstören.
„Doch, bin ich.“
Kann er etwa meine Gedanken lesen? Dann lächelte er wieder und fuhr fort: „Du bist die berühmte Black-Rose, oder?“
„W … wer oder was soll das sein?“, fragte sie erschrocken. Er war also doch …
„Mm. Also ich heiße in Wirklichkeit Julien Valentine, den Namen hast du bestimmt schon einmal gehört, aber bitte sag es nicht weiter.“
Wieso habe ich nicht früher gemerkt, dass er ein elender … Ich könnte mich selbst schlagen!
„Also ich denke so langsam sollten wir weitergehen, oder?“, meinte er dann. Weitergehen? Sie hatte nicht mal bemerkt, dass die zwei stehen geblieben waren … Was machte sie jetzt nur? Sie hatte gewusst, dass etwas Schlimmes passieren würde, aber dass sie gleich Julien Valentine, den gefährlichsten von ihnen treffen würde … das hätte sie nicht erwartet.
„So, hier wohnst du also?“, meinte er als sie bei Kats kleiner Wohnung waren.
„Tss“, machte sie und verschwand durch das alte Eisentor.
Alexander Coleman war auf dem Weg zur Arbeit. Er war Vampirjäger im Brooklyner Sanktuarium. Vor fünf Jahren wurde seine Familie von einem Vampir vernichtet. Seine Eltern sind ebenfalls Vampirjäger gewesen und hatten das örtliche Sanktuarium geleitet. Franklin und Martha Coleman waren wohl die geachtetsten und gefährlichsten Jäger in ganz New York gewesen. Der Rat hatte immer große Stücke auf sie gehalten.
Doch dann kam er … der Vampir, der ihm alles genommen hatte. Sein großer Bruder Dylan war damals 19, Alex war 13 und seine kleine Schwester Daria war erst fünf Jahre alt gewesen. Ihre Eltern waren grade erst von einem Auftrag zurückgekehrt und deshalb sehr schwach, weil sie gegen einen Vampirfürsten hatten kämpfen müssen. Das machte es dem Vampir sehr leicht, sie zu erledigen. Dylan hatte nie Jäger werden wollen, weshalb er damals auf eine normale Schule gegangen war und niemals irgendwelche Jagdmethoden erlernt hatte. Daria war selbstverständlich noch zu jung, um gegen einen mächtigen Vampir wie ihn etwas auszurichten.
Alex hatte damals zusehen müssen, wie seine Eltern und sein Bruder starben und hatte versucht wenigstens seine kleine Schwester zu retten, aber Daria wollte nicht von der Seite der toten Eltern weichen, sodass der Vampir auch sie erledigte. Dann wollte er auch Alex töten, doch der war schon weg, hatte den geheimen Ausgang im Haus benutzt und war so dem Tod entkommen.
Nach dieser Nacht war Alexander Coleman nicht mehr der alte. Er wurde depressiv und machte sich selbst Vorwürfe, spielte mit dem Gedanken zu sterben und war auch kurz davor es durchzuziehen. Doch dann traf er Kat Robins, ein kleines elfjähriges Mädchen, dessen komplette Familie, wie seine eigene, in einer einzigen Nacht von einem einzigen Vampir ausgelöscht worden war und Alex schwor sich, nie wieder zuzulassen, dass so etwas passieren konnte. Er wollte unschuldige Menschen, wie die Familie des kleinen Mädchens vor den tödlichen Übergriffen gefährlicher Vampire retten.
Mittlerweile war auch Kat eine Vampirjägerin geworden. Nur dass sie sich nicht dem Sanktuarium verpflichtet hatte. Nach den Gesetzen der Bruderschaft war sie somit eine freie Kopfgeldjägerin. Und die einzigen Gelegenheiten zu denen man sie im Hauptquartier antreffen konnte, waren, wenn sie neue Ausrüstung oder einen Job brauchte.
Während Alex so in Erinnerungen schwelgte hatte er vergessen, dass er zur Arbeit musste. Als er gerade weitergehen wollte, fiel ihm aber etwas auf. Er spürte die Aura eines sehr mächtigen Vampirs in der Nähe. Der Vampir befand sich in Brooklyn und er war stark, das musste er im Sanktuarium melden.
Heute war wieder Montag. Neue Woche.
Kat hörte neuerdings immer öfter Sätze, wie: „Ich war mit Luke aus, aber irgendwie erinnere ich mich nicht an den Rest des Abends …“
Natürlich! Wie konnte sie so dumm sein … War ja klar, dass das passieren würde …
Sie hätte besser aufpassen müssen. Ich Idiotin. Ich muss ihn mir vornehmen…
In der Pause ging Kat zu Julien. Als er die Schülerin sah, blieb er erstaunt stehen, als wäre er ihr noch nie begegnet. Dann sagte sie: „Meinst du nicht es fällt auf, wenn sich kein Mädchen, mit dem du ausgehst an den Abend erinnern kann, Luke?“
„Nein, wieso?“
„Weil es nun mal verdammt auffällt!“
„Dir vielleicht, aber du bist eine Jägerin …“, sagte er während er eine Cola trank.
„Du bist echt …“
„Ja?“
„Seltsam!“
„Findest du?“ Er schob das überraschte Mädchen in eine dunkle Ecke, wo sie niemand sehen konnte. „Du hast gerade sowohl dir als auch mir einen Vorteil verschafft“, sagte sie ruhig – wie sie in sich drin sicher nicht war, immerhin stand der Julien Valentine vor ihr!! – und er antwortete: „Was meinst du?“
„Nun, dir, weil man uns hier nicht sehen kann, aber mir damit auch. Ich habe immer ein Paar Waffen dabei, musst du wissen.“
„Nun, also ich mache mir keine Sorgen um mich.“
„Solltest du lieber, du hast die Black-Rose vor dir!“
„Also bist du wirklich die Black-Rose, die gefährlichste unter den Jägern. Oder sollte ich lieber Jägerinnen sagen?“
„EH!?! Du … nur wegen dir …!“
„ … hast du die Wahrheit gesagt?“
„Ernsthaft! Hör auf mich zu verwirren.“
„Aber es ist mein Hobby, Leute zu verwirren.“
„Eh …?“
Er lachte fies und drückte Kat dann gegen die Wand: „So meine Liebe, wir sind ungestört und ich weiß, wer du bist.“ Kat sah ihm in die Augen. Ja, toll. Ich weiß auch wer du bist.. Was bringt’s dir? Dann erinnerte sie sich daran, dass sie vielleicht etwas sagen sollte: „Wirst du mich umbringen? Wenn ja, lass mich wenigstens noch meine Abmeldung von der Schule und die Umzugspapiere abschicken, sonst fällt es auf“, antwortete sie nüchtern. Julien sah Kat überrascht an. „Du hast keine Angst?“, fragte er und zog dabei eine Augenbraue hoch.
„Ich muss immer darauf gefasst sein, dass ein Vampir wie du mich umbringt …“, antwortete sie beiläufig. „Allerdings könnte das eine Weile dauern … unsere Schule ist in Sachen Papierkram echt lahm …“, ergänzte sie noch.
„Soso. Verstehe. Nun gut, ich lasse dich am Leben, werde dich aber genau im Auge behalten!“
„W-was?! Was soll der Scheiß? Du bist ein Vampir und ich eine Jägerin, also müsstest du mich doch mit Freuden umbringen wollen … oder?“
Doch noch bevor sie fertig war, war er schon wieder weg.
Verdammt, jetzt weiß er, dass ich Black-Rose bin!
Im Sanktuarium angekommen wurde Alex von Zak begrüßt: „Hey, Vampirhasser, was geht?“
„Wieso nennst du mich immer ‚Vampirhasser‘, was hast du denn gegen ‚Alex‘?“
„Ich hab nichts gegen Alex, der is‘ mein Kumpel, aber manchmal kommt der mit einem Gesicht hier rein, als hätte er grade hunderte unlustiger Clowns gesehen … Und das bedeutet nun mal, dass irgendwas mit ‘nem Vampir passiert ist. Also nenne ich dich in solchen Momenten ‚Vampirhasser‘, weil das nun mal der Wahrheit entspricht. Du hasst Vampire, sogar die, die im Rat sitzen und versuchen den Frieden zu bewahren.“
„Das liegt daran, dass man keinem Vampir vertrauen kann.“
„Das ist deine Meinung. Aber du kennst doch sicher Amy, oder? Ihre beste Freundin ist ein Vampir.“
„Na und. Ich hab jedenfalls draußen die Aura eines mächtigen Vampirs gespürt und wollte das melden.“
„Oh, achso na dann. Aber nichts überstürzen, ja? Ich weiß wie leicht du dich in Gefahr begibst … manchmal glaube, du legst es darauf an, zu sterben.“
„Ja, ich pass‘ auf mich auf, o Heiliger“, antwortete Alex seinem besten Freund sarkastisch.
Tag der Veröffentlichung: 28.06.2012
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