Cover

Was ist Mathematik?

Was ist Mathematik?

 

 

Was ist Mathematik? Wenn Sie diese Frage dem erstbesten Passanten auf der Straße stellen, wird dieser Ihnen höchstwahrscheinlich antworten: »Mathematik ist die Lehre von den Zahlen.« Wenn Sie es etwas genauer wissen wollen, wird man Ihnen vielleicht noch antworten: »Mathematik ist die Wissenschaft von den Zahlen.« Mehr werden Sie nicht herausfinden, und doch ist dies mitnichten eine angemessene Definition von Mathematik. Diese Definition ist nämlich seit 2500 Jahren überholt! Und die Antwort auf die Frage »Was ist Mathematik?« hat sich seitdem mehrmals gewandelt.

Bis etwa 500 v.Chr. war die Mathematik tatsächlich die Lehre von den Zahlen. Die altägyptische, die babylonische und die chinesische Mathematik beschäftigten sich fast ausschließlich mit Arithmetik. Sie waren weitgehend anwendungsorientiert und im wesentlichen eine Art Rezeptsammlung für den Alltagsgebrauch. (»Man nehme eine Zahl und stelle dies und das mit ihr an, und man erhält ein Ergebnis.«)

Zwischen 500 v.Chr. und 300 n.Chr. erweiterten die Mathematiker ihre Forschungen über den Bereich der Zahlen hinaus. Im alten Griechenland befaßten sie sich mehr mit Geometrie. Tatsächlich betrachteten sie die Zahlen auf eine geometrische Art und Weise, als Maßzahlen für Längen, und als sie entdeckten, daß es Längen gab, für die sie keine Zahlen zu finden wußten (die sogenannten irrationalen Längen), kamen ihre Forschungen über die Zahlen weitgehend zum Stillstand. Für die alten Griechen behandelte die Mathematik Zahlen und Formen, mit einem Schwerpunkt auf Geometrie.

Erst mit den Griechen wandelte sich die Mathematik von einer Sammlung von Vorschriften zum Messen, Zählen und für die Buchhaltung in eine akademische Disziplin mit sowohl ästhetischen als auch religiösen Elementen. Zu Beginn der Blütezeit der griechischen Antike führte Thales von Milet den Gedanken ein, daß präzise formulierte mathematische Behauptungen durch formale Argumentationsverfahren logisch bewiesen werden können. Diese Entwicklung führte um 350 v.Chr. schließlich zu der Veröffentlichung von Euklids 13bändigem Mammutwerk Elementa (»Die Elemente«), dem nach der Bibel meistverbreiteten Buch aller Zeiten.

In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich die Mathematik zwar auch in anderen Teilen der Welt weiter – insbesondere in Arabien und China –, doch im Grunde änderte sie sich nicht wesentlich bis Mitte des 17. Jahrhunderts, als Isaac New­ton in England und Gottfried Wilhelm Leibniz in Deutschland unabhängig voneinander die Differentialrechnung entwickelten. Im Kern ist die Differentialrechnung die Lehre von den Bewegungen und Veränderungen. Bis dahin war Mathematik im wesentlichen auf die statischen Probleme des Zählens, Messens und der Beschreibung von Flächen beschränkt geblieben. Mit den neuen Techniken zur Beschreibung von Bewegungen und Veränderungen konnten die Mathematiker nun den Lauf der Planeten ebenso wie das Fallen von Körpern auf der Erde untersuchen, das Funktionieren von Apparaturen, den Fluß von Flüssigkeiten, die Ausdehnung von Gasen, physikalische Kräfte wie Magnetismus und Elektrizität, den Flug von Vögeln und Kanonenkugeln, das Wachstum von Pflanzen und Tieren, die Ausbreitung von Seuchen und die Zu- und Abnahme von Gewinnen in der Wirtschaft. Mathematik wurde zur Lehre von den Zahlen, geometrischen Formen, Bewegungen, Veränderungen und des mehrdimensionalen Raums.

Zunächst fand die Differentialrechnung im wesentlichen ihre Anwendung im Bereich der Physik, und viele große Mathematiker des 17. und 18. Jahrhunderts waren zugleich Physiker. Doch ab 1750 wuchs zugleich das Interesse an der Theorie der Mathematik, nicht nur an ihren Anwendungen, als nämlich die Mathematiker allmählich zu verstehen versuchten, worauf die enorme Macht der Differentialrechnung beruhte. Zum Ende des 19. Jahrhunderts war Mathematik die Lehre von den Zahlen, geometrischen Formen, Bewegungen, Veränderungen, des mehr­dimensionalen Raums und der Methoden, die bei deren Untersuchung eingesetzt wurden, geworden. Und dies war der Beginn der modernen Mathematik.

Das Anwachsen des mathematischen Wissens im Verlauf des 20. Jahrhunderts kann man am ehesten als Explosion beschreiben. Noch um 1900 hätte das gesamte mathematische Wissen der Menschheit in etwa 1000 Büchern Platz gehabt. Heute dürfte man etwa 100 000 Bücher dafür benötigen. Nicht nur bereits bekannte Zweige wie Geometrie und Differentialrechnung wuchsen weiter, sondern eine große Zahl neuer Gebiete wurde erschlossen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert bestand die Mathematik aus zwölf Teilbereichen: Arithmetik, Geometrie, Differentialrechnung usw. Heute unterscheidet man 60 bis 70 solcher Teilgebiete. Einige Bereiche wie Algebra oder Topologie haben sich weiter aufgespalten, während andere wie die Komplexitätstheorie oder die Theo­rie der dynamischen Systeme vollkommen neu entstanden sind.

 

  

Die Wissenschaft von den Mustern

 

 

Wie beantworten also heutige Mathematiker angesichts dieser Ausdifferenzierung die Frage »Was ist Mathematik?« Am häufigsten findet man die Antwort: »Mathematik ist die Wissenschaft von den Mustern.« Das klingt interessant und ist es auch, wenn man einmal verstanden hat, was die Mathematiker mit »Mustern« meinen und wie sie sie untersuchen.

In diesem Buch werden wir uns unterschiedliche Gebiete der Mathematik näher anschauen. Lassen Sie mich daher zunächst nur einmal feststellen, daß es sich bei den in der Mathematik untersuchten Mustern um teils reale, teils nur in der Vorstellung vorhandene handelt, um unbewegliche oder bewegliche (statische oder dynamische), qualitative oder quantitative, anwendungsbezogene oder rein zur Freude des Betrachters erdachte. Sie entstehen in der Welt, die uns umgibt, tauchen auf aus den Tiefen von Raum und Zeit und ergeben sich aus den Aktivitäten des menschlichen Geistes. Unterschiedliche Arten von Mustern führen zu unterschiedlichen Zweigen der Mathematik. So führen Untersuchungen aus dem Bereich der Zahlentheorie (und arithmetischer Anwendungen) zu Mustern der Zahlenwelt und des Zählens, geometrische Forschungen zu Mustern der Formen. Die Differentialrechnung erlaubt uns den Umgang mit Bewegungsmustern, logisches Schlußfolgern führt uns zu den Mustern der formalen Argumentation. Die Wahrscheinlichkeitstheorie beschäftigt sich mit den Mustern des Zufalls, und die Topologie mit den Mustern von räumlicher Nähe und Position.

 

Weil diese Muster in aller Regel hochgradig abstrakt sind, verlangen ihre Beschreibung und Untersuchung eine abstrakte Zeichensprache. So ist zum Beispiel die symbolische Schreibweise der Algebra die geeignetste Form, allgemeine Eigenschaften der Addition und der Multiplikation darzustellen. So könnte etwa das sogenannte »Kommutativgesetz für die Addition« umgangssprachlich so ausgedrückt werden:

 

Wenn man zwei Zahlen zusammenzählt, kommt es auf ihre Reihenfolge nicht an.

 

Es spart jedoch viel Platz, wenn man statt dessen schreibt:

 

m + n = n + m

 

Die Komplexität und Abstraktion der meisten mathematischen Muster verbietet es geradezu, eine weniger ökonomische als die symbolische Darstellungsweise zu wählen. Diese Entwicklung hat im Laufe der Zeit zu einer immer stärkeren Ausweitung der verwendeten Symbolik geführt.

Die erste algebraische Darstellung verdanken wir vermutlich Diophantus von Alexandria, der um 250 n.Chr. lebte. In seiner Abhandlung Arithmetica, die als das erste Lehrbuch der Algebra gilt, verwendete Diophantus spezielle Symbole, um die Unbekannten in einer Gleichung und ihre Potenzen darzustellen. Außerdem erfand er ein Symbol für die Subtraktion und ein Gleichheitszeichen.

In modernen Mathematikbüchern wimmelt es von Symbolen, doch bei der mathematischen Symbolschreibweise handelt es sich ebensowenig bereits um Mathematik, wie es sich bei der Notenschreibweise in einer Partitur bereits um Musik handelt. Zwar wird durch die Symbole auf dem Blatt der Partitur ein Musikstück dargestellt, doch diese schriftliche Codierung und die Musik selbst sind nicht das gleiche: Musik entsteht erst dann, wenn die Noten gesungen oder auf einem Instrument gespielt werden. Das gleiche gilt für die Mathematik: Wenn sie von einer geschulten Person gelesen werden (also jemandem, der sich mit Mathematik auskennt), erwachen die Symbole auf dem Papier zum Leben – die mathematischen Sachverhalte werden lebendig wie eine abstrakte Symphonie im Geist des Lesers.

Natürlich endet die Analogie zur Musik an dieser Stelle. Auch wenn nur ein sehr geübter Notenleser eine Komposition direkt in Musik im Kopf verwandeln kann, so gehört doch kein spezielles Training dazu, an vorgespielter Musik Gefallen zu finden. In der Mathematik dagegen besteht der einzige Weg zum Genuß meist darin, daß man vorher gelernt hat, die Symbole zu lesen. Auch wenn die Strukturen und Muster der Mathematik, im Kopf zum Leben erweckt, ähnliche Resonanzen hervorrufen wie die Strukturen und Muster von Musik, fehlt dem Menschen das mathematische Gegenstück zu den Ohren. Mathematik kann nur mit einem »geistigen Auge« »gesehen« werden. Das ist so, als hätten wir keine andere Möglichkeit, die Schönheit und Harmonien der Musik zu erkennen, als durch Notenlesen.

Viele schreckt die hoch abstrakte Schreibweise der Mathematik sehr erfolgreich von der Beschäftigung mit ihr ab. (So heißt es zum Beispiel, daß jede mathematische Formel in einem Sachbuch seine Verkaufszahlen halbiert.) Doch ohne die algebraischen Symbole würden große Teile der Mathematik einfach nicht existieren. Das Problem hat auf eine sehr tiefgründige ­Weise etwas mit den Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen zu tun. Das Erkennen abstrakter Konzepte und die Entwicklung einer geeigneten Sprache dafür sind zwei Seiten derselben Medaille.

Die Verwendung eines Symbols wie zum Beispiel eines Buchstabens oder eines Bildes, um eine abstrakte Größe darzustellen, geht Hand in Hand mit der Einsicht, die symbolisierte Einheit auch als solche wahrzunehmen. Um mit dem Symbol »7« die Zahl Sieben darzustellen, müssen wir zunächst diese Zahl Sieben als ein Etwas, eine Einheit oder ein Ganzes, wahrnehmen; um mit dem Buchstaben m eine beliebige natürliche Zahl zu symbolisieren, brauchen wir erst ein Konzept dafür, was wir unter einer »natürlichen Zahl« verstehen. Das Symbol erlaubt uns, über unser Konzept nachzudenken und es zugleich zu bearbeiten.

Auf diese Fragestellung werden wir später noch einmal zu sprechen kommen, doch zuvor möchte ich Ihnen erst einmal einen Überblick über unsere bevorstehende Reise durch die Welt der Mathematik präsentieren.

 

 

Definition der Mathematik

 

Mathematik ist eine Wissenschaft, wie Physik oder Astronomie; Es handelt sich um eine Wissenschaft, deren Tatsachen, durch eine zuverlässige Methode bestätigt werden und deren Ergebnisse durch eine gute Praxis überprüfbar sind und die durch einen Konsens von qualifizierten Experten getragen wird. Aber ihre Gegenstände sind nicht sichtbar oder haben kein Gewicht, sie sind nicht empirischen feststellbar. Ihre Gegenstände sind Ideen, Konzepte, die nur in einem gemeinsamen Bewusstsein der Menschen existieren. So ist die Mathematik eine Wissenschaft, die gemeinsam durch die "Menschheit" geschaffen wurde. Es handelt sich hierbei um geistige Objekte mit reproduzierbaren Eigenschaften.

Beispiele für diese Objekte sind zum Beispiel ein "Dreieck" in der euklidischen Geometrie oder das Zählen von 1, 2, 3 und 4. Zahlen sind in einem Teilgebiet der Mathematik, der Arithmetik das vorherrschende Konzepte, welches wir kommunizieren können und die wir überprüfen können und sie haben ihre Eigenschaften, wie wir sie hier formulieren werden. Diese Konzepte sind reproduzierbar, sie besitzen eine gewisse Steifigkeit, Zuverlässigkeit und Konsistenz und wir statten sie mit schlüssigen, unwiderstehlichen Argumenten aus — die wir "Beweis" nennen.

"Beweis" nicht in dem formalen oder formalisierten Sinn, sondern in dem Sinne, in dem Mathematiker Beweise deuten — nämlich als schlüssige Demonstrationen, die Vereinbarungen mit allen erzwingen, die die beteiligten Konzepte verstehen. Abstrakte Konzepte, welche solchen schlüssigen Argumentationen oder Beweise unterliegen, nennt man mathematische Konzept.

Mathematik hat auf jeden Fall zum Thema ein System von Aussagen besitzt, die auf jeden Fall als richtig oder falsch verstanden werden, die entweder in einem Klassenzimmer oder aber auf der Ebene der Forschung existent sein können. Mathematik ist das Thema, wo Anweisungen zum Prinzip des Seins möglich sind, sie zu bewiesen oder zu widerlegen, und die Beweise oder ihre Widerlegung sind einhellig von allen qualifizierten Experten zu erbringen — , die die Konzepte und Methoden verstehen...

Argumentation über geistige Objekte (Konzepte, Ideen), die die Zustimmung (von allen Beteiligten, die die Konzepte versteht) ermöglichen, nennen wir "mathematisch". Dies ist, was mit "mathematischer Sicherheit" gemeint ist. Es impliziert keine Unfehlbarkeit!

Die Geschichte zeigt, dass die Konzepte, welche wir mit solchen Überzeugungen als Argumente zu nutzen wissen, manchmal überraschen sind und uns zwangen unsere Begründungen zu überprüfen und zu verbessern.

Ah, aber, manchmal, wenn man in seiner oder überhaupt einem Bibliotheksregal in der Mathe-Sektion diese Formeln zu finden in der Lage wäre und den Beweis dazu nachlesen könnte, dann ist dies keine Mathematik ? Nein, solange es nur in einem Regal zu finden ist, ist es nur Tinte auf Papier. Es wird zu lebendiger Mathematik, wenn jemand beginnt, es zu lesen. Und natürlich war sie lebendig, als sie gedacht wurde und aufgeschrieben wurde von einigen Mathematikern.

Die alte standard-Wörterbuch-Definition der Mathematik war in etwa so  wie, "die Untersuchung der Eigenschaften von Zahlen und geometrischen Figuren." Dies war so gut genug für eine Zeit im 19.-ten Jahrhundert. Aber Mathematik umfasst heute die abstrakte Algebra, Logik und Wahrscheinlichkeitsrechnung, von der keiner der Mathematiker, die der traditionellen Arithmetik oder Geometrie angehört haben, je gehört haben.

Was unterscheidet die Mathematik von anderen Wissenschaften, ob physikalische, biologische oder sozio-kulturelle? Die anderen Wissenschaften studieren einige konkrete Objekte, die sichtbar, ponderablen oder durch physische Apparat nachweisbar sind. Die Dinge des Mathematik-Studiums sind weder sichtbar noch wägbar, noch nachweisbar durch physikalische Apparate.

Auf der anderen Seite, was unterscheidet Mathematik von Philosophie, Literaturwissenschaft, Jura (Rechtstheorie) oder Wirtschaftstheorie, wo ebenfalls gemeinsame Konzepte zum Gegenstand der Studie gehören? In diesen Bereichen finden wir Argument und Argumentation über abstrakte Gebilde, aber in der Regel sind sie nicht schlüssig. In der Regel lassen sie Platz für anhaltende ungelöste Probleme und Uneinigkeiten. Wenn in einigen Bereich des abstrakten Denkens, wie Linguistik beispielsweise Konzepte, die sich in schlüssigen und entscheidenden Überlegungen zu eignen verstehen, dann kann man dieses Gebiet dann als "mathematisch" bezeichnen, und wir haben "mathematische Linguistik" vor uns.

Mathematik selbst ist sicherlich nicht der einzige Ort an dem schlüssige Argumentationen auftreten! Rigorose Argumentation kann überall--im Recht, in textuelle Analyse der Literatur und im normalen Alltag neben Akademikern auftreten. Historiker können mit unbestechlicher Logik eine Abfolge von Ereignissen herstellen oder anachronistische Behauptungen widerlegen. Aber auch historische Daten unterliegen einer strengen Argumentation, aber sie sind keine mathematischen Objekte, da sie an bestimmte Orte und Personen gebunden sind. Informationen über solche Personen bekommt man letztlich als visuelle oder auditive Wahrnehmung.

 Mathematische Schlussfolgerungen sind entscheidend für die Existenz der Mathematik. Genauso wie physisches oder chemisches Wissen unabhängig von jedem zuständigen Experimentator überprüft werden kann, kann ein algebraischer oder geometrischer Beweis überprüft werden und als Beweis anerkannt werden und zwar von allen zuständigen Algebraikern oder Geometern. Es gab eine berühmte Uneinigkeit über gültige mathematische Beweise, Luitjens Brouwer und Errett Bishop lehnen "Beweis durch Widerspruch" grundsätzlich ab. Diese Uneinigkeit führte zu der Entwicklung einer Variante der Mathematik, die als "Intuitionistische" oder "konstruktivistische" Mathematik bezeichnet wurde. Intuitionistische oder konstruktivistische Mathematik macht eine strengere Anforderungen an das, was  ein "rigorosen Beweis" ist. Sie akzeptieren nur Wissen, das  auf einen "strengen Beweis" beruht  und sie akzeptieren nur diese Bedingung für die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft von Mathematikern, wenn sie sich an diese Bedingung halten. Mathematiker könne somit nur diejenigen sein, die die üblichen "klassischen" Methoden akzeptieren oder sie stellen die Minderheit der "konstruktivistischen" Fraktion dar.

 Andere, bisher ungeahnte Arten von mathematischen Verhalten können noch entstehen. Eine Definition der Mathematik sollten die noch zu erstellenden neuen mathematischen Themen akzeptieren, die sicher zu erwarten sind, ob sie in den nächsten Jahrzehnten entstehen oder nicht, kann man nicht vorhersagen. Ob wir dann solches bisher ungesehene Verhalten als mathematisch identifiziert werden? Wie kann man aber erreichen, dass die Gebiete der Mathematik, die in der Vergangenheit als zur Mathematik gehörend akzeptiert wurden, auch weiterhin zur Mathematik gerechnet werden. Aber andererseits muß auch sichergestellt werden,  dass einige neue Zweig der Mathematik nicht nur einfach "mathematisch" sind (d.h. mit einigen mathematischen Funktionen ausgestattet sind), sondern das wir es hier auch mit richtiger Mathematik zu tun haben — wie kann man nun erreichen, dass diese Gebiete doch zur Mathematik selbst dazu gerechnet wird?

Ein berühmtes Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit – von Glücksspielen oder Wetten. Fermat und Pascal demonstrierten "strenge" (unwiderlegbar, überzeugende) Rückschlüsse auf einige Glücksspiele. Daher war ihre Arbeit mathematische, obwohl es außerhalb der Grenzen der Mathematik lag wie man sie damals verstanden hatte. Nachfolgende Arbeiten von Bernoulli, De Moivre, Laplace und Chebychev gehören eindeutig zur aus dem gleichen Grund zur Mathematik. Letztlich axiomatisierte Kolmogorow die Wahrscheinlichkeitstheorie im Rahmen der abstrakten Maßtheorie. Dabei hatte er einen bereits bestehenden, alten Zweig der Mathematik axiomatisiert.

Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Mengenlehre. Unendliche Mengen waren nicht Teil der Mathematik bevor Georg Cantor explizit auf den Begriff der eins zu eins Korrespondenz verwieisen hat. Auf dieser Grundlage konnte er überzeugende Argumente für die Mengenlehre liefern und die Mengenlehre (mit einigem Widerstand) wurde dann doch ein mathematisches Thema.

Seit Aristoteles half die formale Logik zu begründen, um mathematische Argumentationen und strenge Argumente im Allgemeinen zu klären, ist die mathematische Logik ein Teilgebiet der Mathematik. Die formale Logik zieht Schlussfolgerungen auf der Grundlage der logischen Form von Erklärungen, sie stellt sozusagen  ihre "Syntax" dar. Aber die meisten mathematischen Argumente basieren mehr auf dem Inhalt mathematische Erklärungen als auf ihre logischen Formen. Es ist nun vollbracht, die Mathematik kann ohne Bezug zu den Regeln der formalen Logik, auch ohne ein Bewusstwerden von ihnen, existieren. Im Prozess der Erzeugens der Mathematik d.h. im aktiven Entdecken oder Erstellen von Mathematik, können Logiker und anderen Mathematiker die Grundlagen der Mathematik durch Versuch und Irrtum oder durch jede andere Art von Raten oder hilfreichen Experimenten erschaffen. In der Tat ist die formale Logik selbst als ein Teil der Mathematik anzusehen! Als solche unterliegt sie schlüssiger Argumentation, d. h. sie verfügt über informelle Begriffe, wie jeder andere Teil der Mathematik auch. Logiker nutzen diese informelle Grundlagen und beweisen damit Theoreme über formale Logik. (Diese Bemerkung von Imre Lakatos [Beweise und Widerlegungen, Einleitung], ist heute ein Gemeinplatz).

In George Lakoff und Rafael Nunez Arbeit "Wo Mathematik auskommt", zeigt sich, dass die mathematischen Beweise häufig nur verstanden werden können, wenn sie auf "verkörperte Metaphern." zurück greifen können. Diese Erklärung für den Nutzen "verkörperter Metaphern" als Nachweises kann nicht formalisiert werden. In der Tat ist mathematisches Beweisen zu vielfältig um in einer einzigen präzisen, universelle Beschreibung fixiert werden zu können.

Saunders MacLane sagte unter anderem: "Was Mathematik charakterisiert ist, dass sie genau ist." Aber was ist hier genau mit "präzise" gemeint? Auf jeden Fall nicht numerische Genauigkeit. Ein großer Teil der modernen Mathematik einschließlich MacLanes Beitrags, ist geometrische oder syntaktische, auf jeden Fall nicht numerisch. Sollte "präzise" Mittelwert formell explizite in einer formalen Symbolik zum Ausdruck gebracht werden? Nein. Es gibt berühmte Beispiele in der Mathematik, die über abschließende visuelle Argumentation  als mathematischen Beweis vor jeder post-hoc Formalisierung ermöglichen, um konkrete Argumente zu ermöglichen oder zu erspüren. Mehrere berühmte Mathematiker haben gesagt, dass "Sie nicht wirklich ein mathematisches Konzept verstanden haben bis sie  es der ersten Person erklären konntest, die  Du  in  einer x-beliebigen  Straße treffen kannst."

Die richtige Auslegung von "präzise" sollte wahrscheinlich einfach "vorbehaltlich schlüssig, unwiderlegbare Begründung." Heißen. Also ist die vertraute Forderung, "Mathematik ist vor allem gekennzeichnet durch Präzision," aber erst nach dem "Entpacken",

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 05.05.2020
ISBN: 978-3-7487-3961-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /