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1. Kapitel

„Hey, du da! Ja genau, du mit der Pferdefresse, komm mal her“, schrie er. Ich drehte mich mit klopfendem Herzen um, entdeckte aber niemanden. Das Einzige das ich sehen konnte, war das weit entfernte Blinken von Werbereklamen, das die Nacht erhellte. Ich zuckte verdutzt mit den Schultern und lief schnellen Schrittes weiter.


Die Straße war zu dieser späten Stunde leer, nur ein paar Fledermäuse flogen ab und zu durch die Bäume. Die Straßenlaternen summten vor sich hin und mein iPod lief auf voller Lautstärke. Mit den Hüften wackelnd, hüpfte ich von meinem kleinen Spaziergang durch den Park nach Hause. Vor einer roten Ampel hielt ich an, entschloss mich dann jedoch, die Straße trotzallem zu überqueren, schließlich fuhren um diese Zeit eh keine Autos mehr.


Die Musik wechselte zu einer langsamen Ballade, ich rief genervt die Songliste auf, um mein Lieblingslied abspielen zu lassen. Schon lief Stray heart von Green day auf Hochtouren. Ich hielt kurz an, um Luftgitarre zu spielen und meine Haar umher zu schleudern, als ein Räuspern mich aus meiner Welt riss. Dass ich bei diesem Lärm überhaupt irgendwas hörte, grenzte an ein Wunder.


Ein kleiner Zwerg von Mann stand vor mir und hielt mir einen Flyer entgegen. Man, dass diese Werbeleute aber auch vor keiner Tageszeit mehr halt machten ... Ich schnaubte und krallte mir achtlos das Ding, bereit, einfach wieder weiterzulaufen.


„Hey, Pferdefresse, bleib stehen!“, schrie er mir nach. Ich hielt inne. Pferdefresse? Also doch keine Halluzination, was? Ich drehte mich mit verschränkten Armen um und trat ganz nah an ihn heran. „Musst du gerade sagen, kleiner Zwerg! Was bist du denn bitte, ein Liliputaner?“, riet ich mit einem winzigen Hauch von Sarkasmus.


Er stöhnte leise und zog mich mit ungeahnter Kraft an meinem Handgelenk zur nächsten Ecke. „Lass mich raten, um die Ecke hast du deinen kleinen Zwergenclub, der nur darauf wartet, mich zu ihrem Ehrenmitglied zu ernennen“, murmelte ich schlecht gelaunt, eher zu mir selbst als zu ihm. Meine Güte, guckt euch mal diese kleinen Fingerchen an! Wie Streichhölzer oder Salzstangen, nur eben um die Hälfte kürzer ...


„Halt die Klappe, bei deinen Zähnen solltest du doch wissen, wie das geht. Willst mir ja wohl nicht sagen, dass du mit nem Dauer-Grinsen durch die Weltgeschichte läufst, oder?“ Eindeutig keine Frage. Schade eigentlich, hatte ich doch sicherlich irgendwo eine passende Antwort parat. Aber nein, ich musste dem kleinwüchsigen Kerlchen hinterher dackeln.


Kaum waren wir um die Ecke gebogen, standen da ... ratet mal: Seine kleinen Kumpel. Man, was ich doch für ein Gespür hatte! Fünf Zwerge standen in einer Reihe aufgestellt an der Wand und begutachteten mich kritisch. Ich verdrehte die Augen. Kann man nicht mal mit einer normalen Jogginghose und nem Schlabber-Shirt rumlaufen? Anscheinend nicht, denn sie wendeten erst den Blick ab, als ich „Ist was, oder warum guckt ihr wie besoffene Hühner?“, schnaubte.


Der kleine Anführer, der mich her geführt hatte, deutete auf den Flyer, den ich noch immer in der Hand hielt. Ich faltete ihn wieder auseinander und strich die zerknautschten Falten glatt. Ein kleines Bild mit einer Bar war darauf abgebildet. Ich sah den Zwerg fragend an, dieser seufzte nur. „Das ist eine Bar, wo sich Leute treffen und kennenlernen“, erklärte er zögernd und verschränkte seine Arme vor der Brust. Ich hob abwartend eine Augenbraue. „Du meinst so was wie Speed-Dating?“, hakte ich schließlich nach und erntete von ihm ein Nicken, von seinen Gleichgesinnten nur ein als Husten getarntes Lachen.


„Und dafür hältst du mich mitten in der Nacht auf? Mein Gott, ich dachte, du entführst mich jetzt oder ihr würdet wenigstens anfangen zu tanzen!“, erwiderte ich gelangweilt und war schon kurz davor umzudrehen und einfach wieder nach Hause zu gehen. Der Zwerg schüttelte nur verärgert den Kopf und zog mich zu einem kleinen Gulli am Boden der leeren Gasse.


Es roch nach Abfall je tiefer wir die Gasse entlang schritten und meine Nase zog sich automatisch kraus. Der Zwerg hob den Deckel an, um ihn kurz darauf neben das Loch zu schieben. Dass so ein kleiner Mann so viel Kraft hatte, hätte ich nie vermutet, aber wie sagte man so schön? Große Klappe, viel dahinter ... "Hey, ich will ja nicht stören oder so, aber mir ist kalt und wenn da unten kein Schatz versteckt ist, werdet ihr schön alleine da runter steigen“, maulte ich streng und schlang meine Arme schützend um meinen Brustkorb.


Der Zwerg verdeutlichte seine Bitte mit einem leichten Schubs und schon war ich mit einem halben Bein im Loch. Nur grade so konnte ich mich noch am Kragen eines der Männlein festhalten, das überrascht nach Luft schnappte. Mit einem weiteren Stoß wurde ich zusammen mit meiner Stütze nach unten befördert und von einer Art Luftmatratze aufgefangen. Meine Stütze atmete erleichtert auf und musterte mich mürrisch, während er sich aufsetzte. Ich ignorierte ihn und begann, die kleine Treppe wieder hinauf zu klettern. In diesem Moment kamen die anderen Knirpse nach unten geflogen und rissen mich mit sich. Man! Was soll denn die Scheiße?


„Gott, bin ich froh, wenn wir die Pferdefresse los sind!“, jammerte der Führer und alle andern nickten zustimmend, während sie von mir runterstiegen. Unsicher folgte ich ihm in einen kleinen Tunnel, der durch unzählige Fackeln beleuchtet wurde. Alle anderen klebten an meinem Arsch, was mich darauf achten ließ, meine Hüfte verführerisch kreisen zu lassen. Ihre Augen waren schließlich tiefer und wer weiß, vielleicht lassen die mich in Ruhe, wenn ich ihnen mit sexuellen Gefälligkeiten zur Verfügung stand?


Der Tunnel endete schließlich an einem Aufzug, dessen Innenraum mit schwarzem Satin ausgestattet war. Schnell auf alle Knöpfe drückend stellte ich mich in die Ecke und genoss die verärgerten Blicke der Anderen. Als die Türen aufglitten, stiegen wir aus und erreichten eine großräumige Eingangshalle. Eine große Rezeption zog sich durch den kompletten Raum und war aus einem tiefen schwarz. An jeder Wand befand sich ein schmales Sofa mit Zierkissen, die in einem eben so dunklen Schwarz im Licht schimmerten. „Sagt mal, wo geht unser kleiner Ausflug denn überhaupt hin?“, fragte ich verunsichert in die friedliche Stille hinein und sah mich besorgt um. Ich würde wahrscheinlich noch nicht einmal den Weg zurück finden, was nicht verwunderlich war, denn ich hatte den schlechtesten Orientierungssinn, den man sich vorstellen konnte.


„Tja, wir gehen jetzt zu dieser schönen Bar auf dem Flyer dort“, antwortete der Zwerg unmissverständlich und tippte auf das in Mittleidenschaft gezogene Papier. Langsam aber sicher hatte ich keine Lust mehr auf dieses Spiel. „Und warum sollte ich da hin wollen?“, fragte ich, nicht überzeugt. „Du bist eine Gefährtin, fragt sich nur von wem“, murmelte er leise in seinen Bart, während er versuchte, den richtigen Weg zu finden.


„Wie wäre es mit dem Tunnel dort drüben, über dem in großen Lettern Bar steht?“, schlug ich vor und grübelte still über seine Antwort. Er schlug sich mit seiner flachen Hand auf die Stirn. Ja, Mann (bzw. Zwerg) konnte schon blöd sein.


„Was meinst du mit Gefährtin?“, fragte ich nun skeptisch nach. War das ein Code für irgendeinen Fetish? Vermutlich wollten sie mich doch entführen und brauchten nur noch den passenden Komplizen, deswegen auch die Bar! Aber das wäre unlogisch, schließlich war ich ja schon hier ...


Enttäuscht und noch verwirrter als vorher, folgte ich ihm in eine abgedunkelte Halle, die endlos zu seien schien. An der Decke waren mehrere Stahlträger angebracht, auf denen wagemutige Frauen tanzten und ihre verschwitzten Körper an kalte Stangen pressten. Der Tresen wurde ebenfalls von Tänzerinnen eingenommen, nur noch ein kleiner Raum konnte zum Abstellen von Getränken genutzt werden. Die Tanzfläche war überfüllt und man konnte nur schemenhaft die Gesichter der Gäste erkennen. Wummernde Lichter zogen über die Körper der Leute und tauchten sie in die unterschiedlichsten Farben. Der DJ stand am anderen Ende der Halle und von hier konnte man ihn nur erahnen. Doch er war gut, das musste man schon sagen, obwohl ich mich ja nicht so gut damit auskannte. In meinem Alter kam man nur schwer in die Clubs Chicagos, da veranstaltete man lieber Housepartys oder blieb einfach ganz zu Hause - so wie ich. Manchmal zog ich mit dem Ausweis meiner Schwester los und ging in einen coolen Club namens Red. Im Vergleich zu diesem war er aber eine Pleite, wie ich bedauernd feststellen musste.


Der Zwerg führte mich zum Barkeeper und reichte mir nach einer Weile ein Bier. Dankend nickte ich ihm zu und folgte ihm in ein Separee. Ein schwarzer Vorhang schnitt uns vom Rest der Partygesellschaft ab und stellte uns eine ruhigere Ecke zur Verfügung. Ich ließ mich auf eines der kleinen runden Sofas plumpsen, die bereits in der Eingangshalle Verwendung gefunden hatten und zog meine abgenutzten Chucks auf den Sitz. Meinen Kopf platzierte ich auf dem grauen Stoff meiner Jogginghose und spielte mit einer meiner Haarsträhnen.


„Also, was genau machen wir hier?“Neugierig sah ich auf das Männlein hinab. „Du bist eine Gefährtin, nur wissen wir, wie gesagt, nicht von wem. Wir müssen das herausfinden, das ist unser Job“, antwortete er und tat dabei so, als wäre ich nicht zurechnungsfähig. „Ja, das habe ich verstanden, aber wie wollt ihr das machen?“, fragte ich nochmal und betonte das wie extra laut. Er zuckte nur mit den Achseln und schwieg.


Ich seufzte und trank den letzten Schluck aus. Wenn er nicht antworten wollte, na bitte, aber ich würde bestimmt nicht den ganzen Abend hier rum sitzen und auf etwas warten, was sowieso nicht passieren würe. Außerdem konnte ich mit diesem Gefährten-Quatsch eh nichts anfangen und musste mir eingestehen, wahrscheinlich ein Opfer einer viel verbreiteten Sekte geworden zu sein. Wenn ich mich nicht ganz dumm anstellen würde, könnte ich einfach abhauen und mich in mein geliebtes Bett kuscheln.


Ich stand möglichst unauffällig auf und schlenderte zur befüllten Tanzfläche. Ich stach mit meinem legeren Look aus der Menge heraus und wurde von manchen abschätzig beäugt, erhielt ansonsten jedoch keine Reaktionen. Ich fing an, meine Hüften im Takt zu wiegen. Meine Füße wippten zum Beat, erlaubten sich erstaunlicherweise mal keinen Fehltritt, und blieben schön auf dem Boden anstatt auf den Zehen anderer. Ich schloss entspannt die Augen und überließ mich der Musik. Wahrscheinlich sah es nicht mal halb so gut aus, wie es sich anfühlte, aber ich hatte ein hohe Schamgrenze. Ich würde auch noch vollgekotzt und gesabbert die Menge aufmischen und dabei wie ein Rapper die Hände durch die Luft schwingen. Aber das ließ ich heute mal lieber ... Eine Hand zog mich bestimmt aus der Menge und ich öffnete verwirrt die Augen. „Man, Zwerg, lass mich los, du Affenarsch! Was meinst du, wer du bist? Der Zwergenkönig, oder was?“, schnauzte ich ihn sauer an.


Er wollte mir keine Antworten geben, aber tanzen durfte ich anscheinend auch nicht! Was sollte das, bitte? Mit einem Ruck befreite er mich aus meiner trotzigen Starre und durchquerte mit mir die komplette Halle. Außer Atem und noch verschwitzter als vorher, manövrierte er mich zu einer kleinen Treppe, die nach oben zu einem Thron führte. Die Dunkelheit verschlang die umherlungernden Körper. Der Zwerg verbeugte sich tief und flüsterte mir ins Ohr (nachdem ich mich TIEF gebückt hatte) dasselbe zu tun. Ich zeigte ihm nur den Vogel und hoffte, das wäre Antwort genug.


Wütend verpasste er mir einen leichten Tritt gegens Schienbein. Ich schnaubte und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Er hielt sich verblüfft die Wange, bevor er mich einfach zu Boden schmiss. Wobei man erwähnen sollte, dass er auf meinen Rücken sprang, mich würgte und ich, nach Atem ringend, zu Boden ging. Erst dann erntließ er mich aus seinem Griff. Ich wollte schon auf ihn zuspringen, als ein verärgertes Knurren zu hören war. „War ja klar, dass ich so eine abbekomme ...“, murmelte jemand und ich fuhr überrascht herum.


Ein schwarzhaariger Engel lehnte neben dem Thron an der Wand und hatte sich an der rechten Armlehne festgekrallt. Ein Mann Mitte dreißig, mit weißen, langen Haaren und kantigem Gesicht, saß auf diesem Koloss aus Gold, das sich wohl Thron schallte. Wer hatte denn heutzutage Tage noch einen Thron? Also ich nicht ... Der Weißhaarige schnaubte und blickte verärgert in das Gesicht des Engels. „Du solltest nicht so mit deiner Gefährtin reden. ", ermahnte er ihn und krauste die Stirn, als er meine Aufmachung sah. Ich verdrehte die Augen. „Also bitte, warum haben denn alle etwas gegen meine Kleidung? Soll ich vielleicht den ganzen Tag in Stöckelschuhen und Minikleid rumlaufen, nur um ein paar Typen aufzugeilen, oder was?", fragte ich wütend.


Mit verschränkten Armen, richtete ich mich auf und warf dem Zwerg noch einen kalten Blick zu. „Ich bin Mose“, sagte er und ich hob eine Augenbraue. „Die heilige Maria“, sagte ich ernst und reichte ihm meine Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen“.


„Siehst du, sie hat Humor. Du hast Glück, nicht viele besitzen das noch“, sagte er lächelnd und tätschelte tröstend seinen Rücken. Ich wartete darauf, dass man mich aufklärte, wegschickte oder endlich in Ruhe ließ. Mose wandt sich erneut mir zu und deutete auf den Jungen neben sich. „Das ist Joshua, mein Sohn“, stellte er ihn leise vor und lächelte selig. Ich hob eine Augenbraue und verglich sie miteinander. Außer der Haarfarbe wiesen sie tatsächlich ein paar Ähnlichkeiten auf, wie das schmale Gesicht oder die stechenden Augen. Beide schwarz wie die Nacht. Gruselig, wenn ihr mich fragt, und das sage ich selten! Aber habt ihr schon mal schwarze Augen gesehen, ich meine, außer in einem Horrorstreifen? Nein? Ich nämlich auch nicht ...


“Elizabeth Christina Margret Juliana McCallough“, stellte ich mich vor und fügte noch ein, „Könnt mich Liz nennen“, hinzu. Zum Spaß hatte ich früher immer auf meinen vollen Namen bestanden, die Lehrer hatte mich deshalb (aus Protest) nicht mehr aufgerufen. Irgendwann hatte ich dann nachgegeben, allerdings erst, als ich mündlich auf einem D stand und meine Versetzung plötzlich gefährdet war.


Aber zurück zum Hier und Jetzt: Mose (ich glaube mittlerweile, er heißt wirklich so ...) und Joshua, musterten mich schon eine Weile. „Okay, also ich bin die Gefährtin von Joshua?“, fragte ich noch mal zur Sicherheit. Mose nickte und bedeutete mir, mich auf den Stuhl neben ihn zu setzten. Ich tat wie mir geheißen und ließ mich auf den verdammt unbequemen Sitz plumpsen. Was für eine Ironie: Er saß auf seinem kuscheligen Gold-Thron und die Besucher auf einem Holzstuhl. „Und was genau ist eine ... Gefährtin?“ Ich stockte kurz bei dem letzten Wort und sah auf meine Schuhe. Ich hatte eine Vermutung und ich hoffte zutiefst, dass es nicht das war, was ich dachte! „Jedes übernatürliche Wesen hat einen Gefährten. Eigentlich sind alle Gefährten übernatürlich, sie wissen, was los ist, wenn die Zwergen kommen, deswegen wurdest du auch so ... überfallen.“ Schmunzelnd sah er zu meinem frisch erklärten Feind, dem Zwerg. Ich nickte „Ja, überfallen passt ganz gut“, bestätigte ich und blickte wieder zu ihm rüber.


„Jedenfalls ...", lenkte er ein, "Bestimmt das Schicksal zwei Seelenverwandten, die ein Leben lang zusammengehören. Sie verstehen sich blind und lieben sich bedingungslos. Wenn die Gefährtschaft bestätigt wurde, können sie die Gedanken des Anderen lesen und manchmal bekommt jeder von ihnen eine neue Gabe, als Beweis dafür, dass sie ihr Glück gefunden haben. Und sie können Kinder zeugen, so wie Joshua mein Sohn ist, habe ich auch noch eine Tochter namens Penelope, zusammen mit meiner wundervollen Frau Sarah“, erklärte er und seine Augen glänzten, als er seine Frau erwähnte. Seine Wangen röteten sich leicht und ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht.
Mir stockte der Atem. „STOPP, STOPP, STOPP!!! Das heißt, ich bin seine Seelenverwandte?“, fragte ich und wurde augenblicklich hysterisch. Joshua verdrehte genervt die Augen. „Verdammt noch mal, kannst du nicht deine Klappe halten? Hätte ich gewusst, dass du so nervtötend bist, hätte ich erst gar nicht was gesagt“, maulte er und knurrte mich wütend an. Ich formte meine Augen zu engen Schlitzen.


„Ja, du bist seine Seelenverwandte und er deiner“, wiederholte Mose geduldig und strafte seinen Sohn mit einem kalten Blick, der mein Blut in den Adern gefrieren ließ. Da kam mir etwas Anderes in den Sinn ...


“Was meinst du mit ... übernatürlichen Wesen?“, fragte ich und dabei hätte ich niemals gedacht, so eine Frage stellen zu müssen. Ich meine, man rechnet ja auch nicht mit so etwas! Er sah mich wieder an und sein Ausdruck wechselte zu einer sanften Miene. „Du hast doch sicher schon mal Märchen über Vampire, Werwölfe und Hexen gelesen, nicht wahr? Nun ja, es gibt sie. Diese übernatürlichen Wesen und noch viele mehr.“ Er redete langsam, behutsam, fast so als wolle er mich beruhigen. Ich nickte ruckartig und fragte mich gedanklich, wo die nächste Klapse war. Das mit den Gefährten hätte ich ja noch akzeptieren können, solange ich nicht wirklich mit diesem arroganten Typen mein Leben verbringen musste, aber das? Diese Sekte war mir echt eine Nummer zu groß.


Er runzelte die Stirn und nahm meine Hand in seine. „Es ist wahr, meine Liebe.“ Wieder nickte ich und überlegte, wie ich wohl am besten hier weg kam. Einfach mit dem Strom schwimmen, vielleicht? „Liz“, mahnte mich Joshua und ich blitzte ihn an. „Was?“, motzte ich und hoffte, er würde einfach verschwinden. Puff. Und weg. Und das alles hier wäre nur ein schräger Traum.


Plötzlich stand er vor mir, knurrte gefährlich und präsentierte zwei lange Eckzähne, die so aussahen wie die dieses Säbelzahntigers aus dem Museum bei mir um die Ecke. Ungläubig stupste ich sie an, worauf sich seine Augen dunkelrot färbten und ein Knurren seiner Brust entfuhr. Erschrocken wich ich etwas zurück und drückte mich verkrampft gegen die Lehne. „Okay“, sagte ich und nickte mit dem Kopf. „Ich bin raus.“ Damit stand ich auf und machte mich auf den Weg runter zur unteren Ebene. Auf der letzten Stufe angelangt packte mich jemand hart am Oberarm und drehte mich schwungvoll herum.


„Du kannst nicht gehen“, brummte Joshua bestimmend und zog mich, obwohl ich mich ihm mit allem, was ich hatte widersetzte, zurück zu meinem Platz. Ich schrie so laut ich konnte, doch sobald die anderen sahen, wer mich festhielt, drehten sie sich desinteressiert um. Was war nur aus der Gesellschaft geworden, fragte ich mich am laufenden Band. Mit einem aufgebrachten Seufzen verschränkte ich schützend die Arme vor der Brust und sah resigniert zum Boden. Hatte ich tatsächlich geglaubt, sie würden mich gehen lassen, jetzt, wo ich von ihnen wusste? Es war für mich nicht nachvollziehbar, immerhin schien dieser Joshua ja auch nicht begeistert von der ganzen Sache zu sein, also warum hatte er mich dann zurückgeholt? Verdammt, warum hatte ich mich auf dieser scheiß Straße nicht gewehrt?


Weil ich vor nichts Angst hatte, deswegen, sagte ich mir bitter.


Doch das war Schnee von gestern. Ich hatte Angst, sehr sogar. „Du kannst nicht gehen“, sagte nun auch Mose und streichelte mir zärtlich über den Kopf, was ihm ein genervtes Augenrollen von seinem Sohn einbrachte, doch das ignorierte er gewissenhaft. „Können wir sie nicht einfach irgendwo unterbringen, wo ich sie nicht sehen muss?“, bat er flehend, doch Mose winkte ab. „Wir werden dir nichts tun, Liz, versprochen“, flüsterte er beruhigend und strich weiter über mein Haar. Seine Finger die durch meine Haarsträhnen fuhren ließen meine Panik anschwellen. „Hört mal, ist ja nicht so, als wäre es hier nicht nett, oder so, aber ich muss nach Hause! Meine Eltern kriegen einen Herzinfarkt, wenn ich nicht zurückkomme und ich habe auch noch Schule“, versuchte ich sie zu überzeugen, aber beide schüttelten den Kopf, Joshua genervt über so viel Trotz und Mose besorgt.


„Du wirst zurückkehren“, versprach er und ich zog erwartungsvoll meine Augenbrauen nach oben. „Aber Joshua wird dich begleiten.“ Und sofort rutschte mir das Herz in die Hose. „Was? Nein, werde ich nicht!“, protestierte er und guckte ungläubig. Damit hatte er wohl nicht gerechnet und tja, ich auch nicht. Zwergnase war bei jedem Widerspruch, den ich von mir gab, kurz davor, mir eine zu klatschen und war von dem Plan alles andere als begeistert. „Er wird sich in deiner Schule einschreiben und bei dir wohnen. Deine Eltern werden wir beeinflussen, sodass sie keine Probleme machen“, erklärte er weiter und ich war zu keiner Reaktion fähig. Zu überfordert. Mein Gehirn verweigerte jegliche Arbeit.


Mit einem letzten Tätscheln bedeutete er uns weg zu treten, was ich erst verstand, als der Zwergenkönig sich zu Wort (oder eher zur Tat) meldete. Im Gegensatz zum Hinweg, war der Rückweg gerade zu ein Kinderspiel. Eine große Gasse hatte sich gebildet und alle wichen uns ehrfürchtig aus. Einer schaffte es nicht rechtzeitig aus dem Weg zu treten und wurde von Joshua an die Wand geklatscht, wo er wie ein nasser Sack zu Boden rutschte. Ich zuckte erschrocken zusammen, wagte jedoch nicht auch nur ein Wort zu verlieren. Was sollte ich auch schon sagen?


Wir nahmen den selben Weg wie vorhin und kamen überraschend schnell in der Gasse an. Diesmal jedoch ohne wieder hinunter zu fallen. Ich stieg als Letzte aus und hievte mich (unsportlich, wie ich nun mal war) gerade so über den Rand auf die Pflastersteine. Es wurde langsam hell und die Sonne ging schon auf. Mist, Mist, Mist! Ich orientierte mich kurz und lief dann in die Richtung unseres Hauses. Meine Eltern waren noch recht jung und hatten gut bezahlte Jobs. Mein Vater war Arzt und meine Mutter Schriftstellerin. Sie lebte eher unkonventionell und war ein Öko-Freak wie er im Buche stand. Mein Vater hingegen war sehr streng und übernahm die volle Erziehung, und, obwohl er nur selten Zuhause war, hatte ich eine sehr gute Beziehung zu ihm.


Wir liefen schweigend die Straße hinunter, immer geradeaus bis zu unserem Haus, wo ich zur Veranda eilte und den Pin-Code eintippte. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Surren und unser Butler Timotheus (oder einfach Theo) nahm mir die Jacke ab. „Miss McCallough, ich habe Sie vermisst. Darf ich erfahren, wo Sie waren?“, fragte er neugierig. Eine Eigenschaft, die ich früher fatalerweise auch noch gefördert hatte, wie ich heute feststellen muss.


„Ich war noch bei einer Freundin, Theo. Sind meine Eltern noch auf?“, fragte ich gespielt gelangweilt. Er schüttelte entschuldigend den Kopf und begleitete mich zu meinem Zimmer. Joshua hatte gesagt, er würde durchs Fenster reinkommen, wenn ich es ihm aufmachte. Im Zimmer tat ich wie geheißen und setzte mich auf die Bettkante. Theo hatte sich verabschiedet, nachdem er meine Schuhe mitgenommen hatte. Kaum schaute ich wieder zum Fenster, sah ich den schwarzen Engel an der Wand lehnen.


Er musterte schweigend das Zimmer und warf mir keinen einzigen Blick zu. Meine Tapeten schimmerten schwarz und meine Einrichtung bildete den passenden Kontrast in weiß. Mir hatte diese Härte schon immer gefallen und meine Eltern davon überzeugen können, es meinem Wunsch nach einzurichten. Auf dem Schreibtisch standen Bilder von mir, meinen Freunden und Verwandten, ebenso auf der Kommode. Ich liebte es, Fotos zu schießen und besaß eine kleine Ausrüstung für diesen Zweck. Ich hatte sie schon lange nicht mehr benutzt, dachte ich still.


Ich betrachtete Joshua genauer. Er war blass und steckte in engen, schwarzen Klamotten, die sich an seinen muskulösen Körper schmiegten. Seine Haare reichten ihm bis zum Kinn und waren so rabenschwarz, das sie mich unvermittelt an Schneewittchen erinnerten. Er blickte zu mir und ich starrte stumm zurück. Eine Weile betrachteten wir uns einfach nur, doch dann riss ich mich los und kroch unter die Bettdecke. Da ich eh eine Jogginghose und ein T-Shirt trug, machte ich mir nicht die Mühe, mich noch einmal umzuziehen.


Er stand anzüglich grinsend da und schlenderte zum Bett. „Und wo soll ich schlafen?“, fragte er grinsend. Ich hob verschlafen und wortlos die Decke an. Er hob eine Augenbraue. „Komm rein, oder lass es. Fass mich nicht an und schnarche nicht“, ratterte ich die Regeln herab und drehte mich nach einer kurzen Stille einfach auf die Seite. Dann eben nicht. Sollte er doch sehen, wo er blieb. Plötzlich spürte ich einen Lufthauch und erkannte, dass er auf mein Angebot eingegangen war. Ich kuschelte mich ins Kissen und schaltete den Handywecker aus. Morgen würde ich definitiv nicht zur Schule gehen. Es wäre mein erster Fehltag, würde also hoffentlich nicht weiter auffallen.


Nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen und wachte erst Mittags wieder auf. Ich streckte mich kurz und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ja, den Schlaf hatte ich gebraucht, bestätigte ich selbst meine Vermutung von gestern. Die Schule hätte ich heute nicht gepackt. Ich drehte mich um und stieß gegen etwas Lebendiges. Ich schlug erschrocken die Augen auf und sah in die belustigten Augen von Joshua. Einen Moment hatte ich gehofft, alles wäre nur ein Traum gewesen. Ein verrückter, absolut unrealistischer Traum. Ich stöhnte und richtete mich auf. Er lag grinsend auf seiner Seite, die Arme hinterm Kopf verschränkt und die Augen voll Schalk.


Ich schwang meine Beine über die Bettkante und schlenderte verschlafen in meinen angrenzenden Kleiderschrank. Das Licht brannte in meinen Augen, die sogar anfingen zu tränen, doch ich fand recht schnell ein passendes Kleid, das ich mir überzog. Es war ein weißes Baumwollkleid, das mir bis zur Mitte des Oberschenkels reichte und unter der Brust eine kleine Schleife besaß. Passend für das drückende Sommerwetter. Zurück im Zimmer, entdeckte ich Joshua vor meinen Fotos. „Wer sind diese Leute?“, fragte er und sah mich an. Seine Augen musterten mich kurz und blieben bei meinen Haaren hängen, die mir in wirren braunen Locken über den Rücken fielen. Ich lief zu ihm und deutete auf das Erste, das auf einer Yacht aufgenommen wurde.


„Das bin ich und das sind meine besten Freunde, David und Marie“, sagte ich und musste einen Augenblick lang lächeln. Das Zweite stammte aus meiner Kindheit mit meiner Schwester Nora und meinem älteren Bruder Olek, zu dem ich schon seit langem keinen Kontakt mehr hatte. Er und meine Eltern kamen nicht miteinander klar und seit dem Tag seines Auszugs, hatten wir uns nicht mehr gesehen. Nora dagegen war 20 und lebte immer noch hier. Auf ihrem Dachboden, ihrem Heiligtum, das keiner außer mir und ihren Freunde betreten durfte. „Und das?“ Er deutete auf das dritte Foto. „Mein Ex-Freund und ich, als wir das erste mal zusammen weggegangen sind. Wir waren nur eine Woche zusammen, aber es erinnert mich daran, wie schön die Zeiten damals noch waren“, murmelte ich und strich sacht darüber. „Bist du nicht zu jung, um so etwas zu sagen?“, fragte er ruhig.


Ich schüttelte seufzend den Kopf und kehrte ihm den Rücken zu, bevor ich entschlossen ins Badezimmer schritt. Wie konnte ich nur in diese Situation geraten? Wieso ich? Wieso er? Wieso überhaupt? Ich kramte heftiger als sonst meine Schminke aus dem Schrank und legte mein Makeup auf. Meine Haare formte ich zu einem unordentlichem Dutt und ließ eine gelockte Strähne in mein Gesicht fallen. Ich war eigentlich ganz hübsch. Hatte vielleicht ein paar Kilo zu viel auf den Rippen und dafür, dass es Sommer war, hatte meine Haut nicht die Bräune erreicht wie es sein sollte, aber sonst? Ich zuckte resigniert mit den Schultern und schrieb David, dass er mir die Hausaufgaben mailen sollte, wenn er wieder zu Hause war.


Joshua hatte sich auf mein Bett gelegt und sah mir einfach nur zu. Gelangweilt, wie es schien, blätterte er durch meine Fotoalben, entdeckte ab und zu etwas, wozu er Fragen stellte, doch sonst blieb es still. „Warum nochmal müssen wir zusammen bleiben?“, fragte ich in die unangenehme Stille hinein. „Wir sind Gefährten und haben uns gefunden. Jetzt können wir uns nicht mehr trennen. Wenn wir es doch tun, haben wir ziemliche Schmerzen, sagt man jedenfalls. Aber die meisten Gefährten wollen sich sowieso nie für länger als eine Minute trennen“, sagte er teilnahmslos. Mittlerweile war er bei meinen Kindheitsfotos angekommen und konnte nur schwer glauben, dass das Baby dort wirklich ich war. Ich hob eine Augenbraue.


„Bei uns ist das was Anderes“, fügte er auf meinen fragenden Blick hinzu. „Jedenfalls habe ich im Moment noch nicht das Gefühl, dass ich ohne dich nicht mehr leben könnte, du etwa?“ Bei seiner Frage hob er kurz den Blick, um mich anzusehen. „Nicht wirklich“, antwortete ich wahrheitsgemäß und schüttelte den Kopf. Und ich bezweifelte, dass ich das je empfinden würde. „Sicher, dass wir beide Gefährten sind?“, fragte ich nachdenklich. Er nickte und tippte sich auf die Nase. „Du riechst für mich anders, als für die anderen“, sagte er. „Und wie rieche ich?" Er seufzte und rieb sich die Schläfen. „Lecker eben, besser als die anderen Menschen. Für mich riechst du nach der vollendeten Versuchung, eine Mischung extra für meine Sinne angefertigt. Mein Lieblingsduft, sozusagen. Und ich rieche wahrscheinlich auch nach deinem“, sagte er und schloss kurz die Augen, konzentrierte sich für einen Moment nur auf meinen Geruch. Ich hatte noch nie an ihm gerochen, also konnte ich die Theorie weder belegen, noch widerlegen.


Ich öffnete die Tür, prallte jedoch bei meinem ersten Schritt volle Kanne gegen meinen Gefährten. „Wo gehst du hin?“, fragte er skeptisch. „Ich habe Hunger“, beschwerte ich mich und zog einen Schmollmund. Zustimmend knurrte mein Magen laut auf. Er verdrehte die Augen und schob mich die Treppe hinunter. Mit lautem Gepolter (die Treppe hat eindeutig was gegen mich) kam ich in die Küche, wo Theo gerade Frühstück vorbereitete. „Guten Morgen, Miss McCallough. Darf ich Ihnen Ihr Essen im Wohnzimmer servieren?“ Mit einem übertriebenen Lächeln bedeutete er mir, ihm zu folgen. Joshua war oben geblieben, was ich eindeutig befürwortete. Langsam aber sicher war ich fast so genervt, wie gestern im Club. Ich setzte mich an den Tisch und rückte mir den Stuhl zurecht, sodass ich eingeengt, zwischen Stuhllehne und Tischkante saß. Das hatte eigentlich nur den Vorteil, dass ich auf keinen Fall schlafend auf die Tischplatte knallen konnte, ohne mir das Rückrat zu brechen.


Theo hatte ein paar Pfannkuchen gemacht, die ich gierig verschlang und mit Ahornsirup beträufelte. Bei mir hieß das fast immer, die halbe Flasche zu leeren. Ich liebte nämlich Ahornsirup, was mir Theo echt übel nahm, ER musste das nämlich immer nachkaufen. Nachdem ich fertig war, bat ich Theo, mein Kleid für den Ball abzuholen. Ich hatte drei Monate lang Modell gestanden, mich von nervigen Nadeln stechen lassen und mir das Geheule meiner Mutter anhören müssen, dass ich für den Ball noch mindestens 10 Kilo abnehmen müsste. Sie war vielleicht eine Öku-Tussi, aber wenn es ums Aussehen ging, kannte sie keinen Spaß. Meine Figur, war ihr dabei oft ein Dorn im Auge, wobei ich nicht mal wirklich dick war! Ich hatte nun mal nicht die Modellmaße, wie meine geliebte Cousine Mabel sie hatte. Meine Mutter liebte Mabel und hatte sich immer gewünscht, wir würden uns anfreunden. Und ich hatte es versucht, wirklich! Aber wir waren bis heute Todfeinde. Ich hasste diese Barbietante, die einfach nur billig aussah, mit ihrem wasserstoffblondem Haar und den 3 Kilo Make up auf ihrem Gesicht. Ihr ging es mit mir nicht anders.


Ich war eben ein kleiner Freak, echt nur ein Kleiner! Sie zog mich bei jedem Besuch mit meinen grünen Haarspitzen auf, die ihrer Meinung nach, nur mein echtes Wesen widerspiegeln würden, nämlich das eines asozialen Penners. Ein Zitat, wohlgemerkt! Sonst war ich eigentlich ziemlich normal, doch sie weigerte sich jedes mal, neben mir zu sitzen, fast so als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Ich schlenderte nach oben und setzt mich zu Joshua, der mit meinem Smartphone spielte und meine SMS durchlas. Warte mal, mein Smartphone? „Was???“, schrie ich und versuchte verzweifelt, an das Handy zu kommen. „Hör auf, du hast eh keine Chance. Und was regst du dich denn bitte so auf? Dein Leben ist langweiliger als das deines Butlers."


„Der Punkt ist, dass das privat ist! Verstehst du? Ich muss schon den ganzen Tag mit dir rumhängen, kannst du mir dann nicht wenigstens den letzten Rest Privatsphäre gönnen?“, fragte ich sauer. Er schnaubte. „Ich bitte dich. Ist ja nicht so, als müsstest du plötzlich wieder in die Schule gehen und in ein Gebäude ziehen, wo du dich auf grade mal 30 qm aufhalten kannst." Ich schüttelte nur stumm den Kopf und hielt meine offene Hand fordernd vor ihn. „Gib es her“, murmelte ich ruhig. Und Leute, die mich kannten, wussten, dass ich keine Widerrede duldete. Aber da er mich eben nicht kannte, machte er einen fatalen Fehler. Er grinste und ließ es hoch über mir baumeln, sodass ich es nicht erreichen konnte.


Ich schüttelte amüsiert den Kopf. Oh mein Gott, wie kindisch. Wo waren wir denn hier, im Kindergarten? Ich ging aus der Zimmertür, runter in den Flur und von dort in den Garten, bis ich tatsächlich einen leichten Schmerz im Bauch spürte. Unser Garten war parkähnlich angebaut und besaß einen wunderschönen See ganz hinten. Zu diesem lief ich und versuchte mit aller Kraft, vor Magenschmerzen nicht zu stöhnen. Es fühlte sich wie ein Faden an, der mich zurück zu IHM ziehen wollte und immer kräftiger zog, so als wollte es meine Eingeweide herausziehen. Bereits nach wenigen Sekunden stand neben mir ein keuchender Joshua, der mir wütend das Handy reichte. „Weißt du eigentlich, was du da versucht hast? Weißt du, wie gefährlich das war?“, herrschte er mich an. Ich grinste nur selig und schrieb mit David, der mittlerweile aus der Schule zurück war und mir vom verpassten Schultag erzählte. Ich ignorierte das Gejammer von ihm und textete einfach weiter. Als das Handy plötzlich aus meiner Hand verschwunden war, sah ich auf.


„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte er kalt. Ich hob eine Augenbraue und seufzte ergeben. „Okay, du hast meine volle Aufmerksamkeit“, sagte ich freundlich und sah ihm konzentriert in die Augen, die zwischen schwarz und dunkelblau schwankten. „Ich habe gesagt, dass du das niemals machen solltest, wenn du beabsichtigst, weiterhin zu leben“, antwortete er. Ich zuckte leicht zusammen und senkte den Blick. „Wie meinst du das?“, flüsterte ich zaghaft. Verdammt, ich hatte ihm doch nur eins auswischen wollen, was sollte denn schon Schlimmes passieren? „Ganz einfach, wenn wir zu weit und zu lange voneinander getrennt sind, werden wir erst immer schwächer, dann fallen wir in Ohnmacht und schließlich verrecken wir elendig unter den schlimmsten Schmerzen, die du dir vorstellen kannst. Vor ein paar Jahrhunderten hat man so Geheimnisse erfoltert“, murrte er und am Ende triefte seine Stimme vor Kälte. Eine Gänsehaut überzog meine Arme und ich sah ihm wieder in die Augen. „Jetzt habe ich das Gefühl, ich könnte ohne dich nicht mehr leben“, murmelte ich und sah ihn mit großen Augen an. Man oh man, wie soll das bitte funktionieren? Ich kann doch nicht immer in seiner Nähe bleiben!


Seine Mundwinkel zuckten verräterisch bei meinem Witz und als ich anfing zu kichern, lachte auch er. Erst leise, dann lauter. Sein Lachen war wundervoll und ich könnte ihm stundenlang dabei zuhören. Sein Gesicht hatte nicht mehr diese Schärfe und sein sonst so kalter Blick, taute etwas auf. Nein, Liz, hör auf, so etwas zu denken. Seufzend stand ich auf und ging mit ihm zusammen wieder ins Haus. „Oh Miss McCallough, wer ist Ihr Freund?“, fragte Theo, dem wir auf dem Flur begegneten. Ich verdrehte die Augen. „Wüsste nicht, was es dich angehen würde“, weiste ich ihn zurecht und zog Joshua kurzerhand am Handgelenk die Treppe hoch. Als sich unsere Haut traf, durchzuckte mich ein angenehmes Kribbeln, das ich stur wie ich war, einfach ignorierte. Im Zimmer angekommen, ließ ich ihn schnell wieder los und schnappte mir mein Mathebuch aus dem Regal.


„Ich wusste nicht, dass du so kratzbürstig seien kannst“, flüsterte ein Stimme hinter mir in mein Ohr. „Ich glaube nicht, dass du mich beurteilen kannst. Außerdem ist Theo einer unserer Angestellten und auch er hat sich an Regeln zu halten“, murmelte ich, während ich versuchte, die Hausaufgaben zu lösen. Entnervt wählte ich die Nummer von David. „Hey, Süße“, meldete er sich. „Hey, hast du schon Mathe?“, fragte ich direkt. „Klar, ich schicke es dir." Zwei Minuten später erreichte mich ich ein Bild von den Lösungen. „Danke David, du bist ein Schatz“, murmelte ich und schrieb eilig die Ergebnisse auf ein liniertes Blatt.

 

 

2. Kapitel

 "Hast du Samstag Zeit? Marie schmeißt eine Party ... und ... Ich wollte fragen, ob du ähm ...“, er stockte. "Ja?", hackte ich nach. „Naja, ob du vielleicht mit mir ...“, stotterte er weiter. Ich zog zischend die Luft ein und schlug mit der flachen Hand auf meine Stirn. Verdammt, hätte ich mir das nicht denken können? Was sollte ich nur sagen? „Liz?“, unterbrach David die Stille. Ich schielte kurz zu Joshua rüber, der lässig an der Wand lehnte und mich beobachtete. „Ähm, ich weiß nicht ...“ Zögernd nickte ich schließlich. „Na gut, warum nicht." Ich notierte mir den Termin in meinem rosanen Planer und konnte schon jetzt nicht fassen, wie dumm ich doch war. „Okay, ich hole dich dann um 17 Uhr ab“, lachte er und legte auf.


Ich seufzte und dann fiel mir etwas Anderes ein. „Ahhh!“, rief ich aus und knallte den Planer genervt gegen die Wand. Was sollte ich mit Joshua machen? Er konnte ja schlecht einfach mit zur Party kommen, oder? Aber hier bleiben konnte er auch nicht ... "Du hast nicht zufällig Lust auf eine Party am Samstag?“, fragte ich gespielt euphorisch. Er hob eine Augenbraue.


„Ich hab nicht gewusst, dass außer dir noch jemand eingeladen wurde“, murmelte er und sah mir direkt in die Augen. Ich zuckte mit den Schultern und sah auf die Uhr, die an der Wand hing. Gerade drei Uhr gewesen. „Ich muss zu meinem Vater“, sagte er plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. Ich nickte verständnissvoll. „Okay, viel Spaß.“ Er verdrehte die Augen und zog mich vom Stuhl hoch, sodass ich mich nicht einmal mehr wehren konnte.
„Du wirst mitkommen, Dummerchen. Schon vergessen: Wo ich bin, bist auch du. Stell dich nicht so an, immerhin bin ich es, der die ganze Zeit hier festsitzt“, flüsterte er drohend. Ich schnaubte ärgerlich und versuchte mich aus seinem Griff zu winden, doch seine Hände waren wie festgeklebt an meinen Oberarmen. „Ist ja gut, ich komme mit. Aber nur, wenn du mich jetzt loslässt“, gab ich mich geschlagen. Er seufzte, ließ aber tatsächlich los.


Wir gingen die Treppe runter und verschwanden unbemerkt aus der Haustür. Da meine Eltern noch bei der Arbeit waren, würden sie mich nicht vermissen und Theo sollte seine Klappe halten, wenn er seinen Job behalten wollte! Wir schlenderten die Straßen entlang. Okay, er lief wie ein Model, mit den Händen in den Hosentaschen und den langen Beinen, die sich lautlos auf dem Asphalt bewegten. Ich dagegen stolperte ein paar mal und flog sogar einmal ganz hin, sodass ich Bekanntschaft mit dem Boden machte. Und da wir leider nicht in einem dieser Kitsch-Filme waren, fing mich Joshua auch nicht auf, sondern lief stumpf weiter, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich ordnete kurz meine Haare, die mir wild im Gesicht hingen und rannte hinter ihm her. Kann der nicht mal langsamer laufen? Wenn das so weiterging, würde ich noch einen Herz-Lungen Kollaps kriegen!


Als ich ihn erreichte und ihm gerade die Meinung geigen wollte, hielt er apprubt an und schubste mich kurzerhand in meine heißgeliebte Gasse. Am Tag sah der Gulli auch nicht gerade besser aus. Rost hatte sich darum gebildet und unbekannte Flüssigkeiten standen in den Fugen. Man sah immer noch nicht, was unten auf einen wartete und ich konnte nur hoffen, dass man die Luftmatratze nicht weggeräumt hatte. Joshua sprang mit einem Satz hinein und kümmerte sich anscheinend einen Dreck darum, wie ich hinunter kam. Okay, war jetzt auch nicht so die Überraschung, dass ich auch hineinspringen musste, immerhin kannte ich das Ganze ja schon, aber trotzdem ...


„Kommst du jetzt endlich?“, rief er genervt aus der Dunkelheit und ich riss mich zusammen. Seufzend tat ich einen mutigen Schritt ins Loch, sodass ich mich nur noch fallen lassen musste. Ich quietschte kurz auf, landete aber nach nur einer Sekunde wieder. Zu meinem Glück, hatte man die Matratze nicht weggeräumt, dafür schien sich Joshua jedoch nicht zu interessieren, wie ich ihm hinterher kommen sollte. Ich sah gerade noch, wie er in den Aufzug stieg und sein Handy begutachtete. Aufgebracht hievte ich mich auf meine Füße und rannte zu den bereits geschlossenen Türen. Ich klopfte verzweifelt darauf ein, doch sie blieb verschlossen. Ich hatte doch gar keine Ahnung, in welchen Stock ich musste! Panik erfasste mich, scheiße! Verdammtes Arschloch, er konnte mich doch hier nicht alleine lassen, oder? Ein leichtes Ziehen in meinem Bauch machte das Ganze auch nicht gerade besser. Ich hielt mir den Bauch und hoffte, dass Joshua einfach wieder zu mir zurück kam, immerhin würde ja auch er Schmerzen haben ... Ich ließ mich an der Wand runterrutschen und zog meine Knie an, um meinen Kopf darauf zu stützen.


Vor ein paar Stunden war meine Welt noch normal. Komisch, wie das Leben verlief, nicht wahr? Der Aufzug ging auf und heraus kam ein wütender Joshua. Er zog mich am Handgelenk hoch und schubste mich in den kleinen Raum. Zu fest, denn ich knallte an die Wand. „Spinnst du? Das tat weh!“, rief ich verärgert auf und hielt mir meinen schmerzenden Kopf, den ich mir bei seiner Aktion etwas angeschlagen hatte. „Selbst schuld“, sagte er und drückte den Knopf für den dritten Stock. „Selbst schuld? Wie dachtest du, sollte ich denn bitte zu dir kommen? Du bist ja einfach weggegangen!" Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.


Er schnaubte. „Kann ich was dafür, wenn du zu langsam bist?“, fragte er. Die Frage war zwar rhetorisch gemeint, doch ich konnte mir ein, „Ja, schließlich bist du der einzige von uns beiden, der ein Vampir ist“, nicht verkneifen. Er verdrehte die Augen, das wusste ich einfach, auch wenn er mit dem Rücken zu mir stand. Ich hasste sowas und trat ihm einmal kräftig gegens Schienbein. Er zuckte nicht mal! „Lass das, du machst meine Hose dreckig“, murmelte er und trat in die Halle, als die Türen aufglitten. Es war dieselbe Halle wie gestern, nur deutlich leerer und leiser. Wir gingen in Richtung Bar und wurden von einem dunkelhäutigen Typen mit einer Verbeugung vorbeigelassen. War der gestern auch schon da? Ich hatte ihn jedenfalls nicht bemerkt.


Die Musik wummerte wieder und die Frauen waren diesmal sogar etwas bedeckter als sonst. Sie trugen anstatt Unterwäsche, kurze Kleider und räkelten sich nicht an Stangen, sondern wippten nur leicht im Beat mit den Hüften. Wir gingen direkt zu dem weißhaarigen Mann, der mich neugierig musterte. Im gefiel diese Aufmachung meinerseits anscheinend besser als die von gestern. Der Club war bis auf ein paar Leute an der Bar leer. Eine Blondine kam zu uns stolziert und legte besitzergreifend eine Hand auf die Brust von Joshua. Verführerisch malte sie kleine Muster auf seiner freigelegten Haut zwischen Hals und Schlüsselbein. „Wer ist deine Freundin? Ist sie neu im Geschäft?" Sie musterte mich kokett und schien wenig begeistert.


Ich hob meine Augenbrauen und deutete auf ihren freigelegten BH, der aus ihrem qietsch-pinken Kleid lugte. „Mit deinem Geschäft, meinst du die Prostitution ...?“, fragte ich ebenso arrogant. „Ich nenne mich lieber Kurtisane“, erwiderte sie zuckersüß. „Das ist nur ein anderes Wort für dieselbe beschissene Arbeit. Du fickst Männer gegen Geld.“ Ich zuckte unschuldig mit den Schultern und reichte ihr einen Fünfer, den ich in meiner Jacke fand.


„Reicht das, um dich los zu werden?“, fragte ich und bekam nur ein wütendes Schnauben als Antwort. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du dreckige Hure!“, zickte sie. „Ich bin vieles, aber keine Hure. Was man von dir, wohl nicht behaupten kann ...“ Mit einem mitleidigen Blick in ihre Richtung, lief ich zur Bar und bestellte mir ein Wasser. Ein Räuspern des Barkeepers machte mich auf das Geschehen hinter mir aufmerksam. Mose hielt das Mädchen an der Kehle nach oben und würgte sie. Erschrocken sprang ich auf und stellte mich neben die drei.


„Lasst sie runter, sofort!“, zischte ich und versuchte den Arm des Mannes runterzuziehen. Verblüfft sah er mich an „Warum? Sie hat sich dir nicht zu widersetzten und muss für ihr Verhalten bestraft werden“, sagte er und ließ dabei die Blondine nicht aus den Augen. „Was? Laber nicht und lass sie endlich runter!“, schrie ich und sah schließlich Joshua auffordernd an. Dieser verdrehte nur die Augen und gab Mose ein Zeichen sie runter zu lassen. Mit grimmigem Gesicht ließ er sie auf den Boden fallen, wo sie nach Luft schnappend von uns weg robbte. Ich bückte mich zu ihr runter und streichelte behutsam über ihren Rücken. „Kann ich dir irgendwas holen?“, fragte ich besorgt. Sie schüttelte nur den Kopf.


Verbittert sah ich zu dem Übeltäter rüber. Ich verstand das nicht, Mose war doch so fürsorglich gestern zu mir gewesen und jetzt? „Was haben Sie sich dabei gedacht? Sie hätte sterben können!“, jammerte ich und hielt die immer noch schwer atmende Frau im Arm. „Liz, du bist die Gefährtin des Prinzen, wenn dich eine Kurtisane beleidigt, ist es unmöglich, das zu ignorieren!“ Er bedeutete mir, ihnen auf die Erhöhung zu folgen, wo noch immer der Thron stand, diesmal jedoch mit zwei Kleineren daneben. Wie im Mittelalter Leute! Echt jetzt.


Ich watschelte unzufrieden hinter den Beiden her und ließ mich auf den rechten Koloss nieder. „Jetzt weißt du, wie schwer es ist, sich zusammen mit ihr in einem Raum befinden“, brummte Joshua trotzig und deutete abfällig auf mich. Ich verdrehte die Augen. „Ich bitte dich, das musst du gerade sagen! Ich störe wenigstens nicht die Privatsphäre anderer“, maulte ich zurück und senkte meinen Blick. Ich konnte ihn jetzt echt nicht ansehen. Wie konnte man nur so grausam zu einer Frau sein? Sie hätte verdammt noch mal verrecken können! Moses Lachen hallte durch den Raum.


„Ihr amüsiert mich, meine Lieben. Doch lasst die Kindereien. Wir sollten uns über Wichtigeres unterhalten“, sagte er. „Es wird Zeit, die Menschen um dich herum zu beeinflussen, damit wir keine Probleme bekommen“. Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „Ihr wollt meine Freunde, meine Familie und alle, die im Entferntesten mit mir zu tun haben, eine Gehirnwäsche verpassen?" Ich verengte meine Augen zu Schlitzen, als Joshua zu einer patzigen Antwort ansetzte. „Schön, ich gurke mit diesem komischen Typen rum, aber ich werde nicht zulassen, dass meinen Eltern irgendetwas passiert!“, lenkte ich ein.


„Liz, es ist nun mal nötig, sonst kann mein Sohn nicht immer bei dir sein. Und wie ich erfahren habe, habt ihr eine sehr starke Bindung. Selbst bei einer so kurzen Distanz schmerzt es euch, von einander getrennt zu sein. Joshua war nur 15 Meter über dir. Wir müssen es tun“, erklärte er und ich spielte mit einer meiner Haarsträhnen. Starke Verbindung? Wo? Ich hasste diesen Kerl, von Liebe konnte man hier definitiv nicht sprechen! Und genau dieser Kerl sprach meine Gedanken aus, was ihm nur ein Kopfschütteln einbrachte. „Ihr versucht es ja nicht einmal. Ihr habt euch noch nicht geküsst oder berührt!“, lenkte er ein. Meine Augen wurden mit jedem Wort größer. Ich würde ihn doch niemals küssen! Nicht einmal unter Zwang!

3. Kapitel

Ganz ehrlich, auf welchem Planeten lebte dieser Typ eigentlich? Er brachte fast ein Mädchen um und will seinen Sohn an das nächst beste weibliche Wesen verhökern (in diesem Falle wohl ich, wenn auch eher unfreiwillig)!


„Okay, Mose, jetzt mal Klartext: Ich werde weder diesen Prinzen der Arschlöcher küssen, berühren und schon gar nicht länger ertragen als nötig! Wenn du jetzt nicht bald die Fresse hälst, schlag ich sie dir eigenhändig raus, du …!“, schrie ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Joshua hatte mich an den Schultern gepackt und verhinderte gerade so, dass ich auf seinen Vater zu sprang, um ihn eigenhändig umzubringen. Okay, gerade so vielleicht nicht, wahrscheinlich wäre ein Häschen noch kräftiger als ich, aber der Wille war da ...


Er packte mich fest am Handgelenk und schleifte mich in die entgegengesetzte Richtung des Throns aus dem Club. Ich lehnte mich gegen ihn, doch das machte das Ganze nur noch unbequemer für mich. Unsanft fiel ich auf den Boden und wurde unbarmherzig von Joshua weitergeschliffen, bis wir schließlich den Aufzug erreichten. Er hob mich kurz hoch, setzte mich in dem kleinen Raum wieder ab und drückte den richtigen Knopf. Ich verschränkte trotzig die schmerzenden Arme und zog einen Schmollmund. Bei meinen Eltern half das immer, meinen Willen zu kriegen, aber der Typ war echt eiskalt! Der zuckte nicht mal mit den Wimpern so ... wütend war er. Oh... er war wütend. Sehr wütend, wie ich bemerkte. Ich räusperte mich kurz und strich mir verlegen ein paar Strähnen aus dem Gesicht.


„Ja ähm okay, das war jetzt vielleicht ... ein bisschen ... ähm ... übertrieben“, stotterte ich und sah betreten zu Boden. Man, unter diesem Blick würden ganze Eisberge schmelzen, so wütend war er. Er lachte ein kurzes, raues Lachen und verzog seinen Mund zu einer grausamen Grimasse, das sich Lächeln nannte. Es war ein böses Lächeln, so ein ich-weiß-was-du-getan-hast-Lächeln, also eines der schlechten Sorte.


„Übertrieben? Du fandest es übertrieben, den König der Vampire zu beleidigen und anzufallen?“, fragte er sarkastisch nach. Ich rollte mit den Augen, man konnte ja auch nachtragend sein! „Hallo? Er hätte fast das Mädchen umgebracht! Außerdem hat er mir gar nichts zu sagen, ich bin schließlich nicht seine Sklavin“, erwiderte ich rau. „Süße, so ziemlich jeder ist sein Sklave, von mir mal abgesehen“, raunte er und schleifte mich (immer noch am Boden liegend) den ganzen, langen Gang zur Leiter, die uns wieder ans Tageslicht führte.


Seufzend atmete ich die frische Luft ein und stemmte die Hände in die Hüfte. „Also gut, es tut mir leid“, lenkte ich ergeben ein. Diesen stechenden Blick konnte ich auf gar keinen Fall auch nur noch eine Minute länger ertragen. Er ignorierte mich jedoch eisern. Also kam mir eine Idee. Ich lief schweigend neben ihm her, bis ich mein Ziel vor mir entdeckte: eine Bar. Scheinheilig sagte ich ihm, dass ich nur ganz kurz 'für kleine Prinzessinnen' müsste und ging ohne große Umschweife an die Bar, während Joshua draußen wartete. Was sollte er auch anderes tun, er konnte ja nicht weg, aber er würde hier in dem überfüllten Raum auch keinen Aufstand machen.


Ich bestellte mir einen Tequila, der mir netterweise sogar vom Barkeeper ausgegeben wurde, und trank ihn auf Ex. Das machte ich noch gute sechs mal, bis ich tatsächlich auf Toilette musste. Also ging ich, mehr schlecht als recht, zur Damentoilette und suchte mir eine halbwegs saubere Kabine aus. Ich verlor ein paar mal mein Gleichgewicht und wäre fast vom Klo gefallen, was die engen Kabinen aber nicht zuließen. Kaum zu glauben, dass ich eines Tages den viel zu kleinen Toiletten danken würde ... Ich wusch mir noch schnell die Hände und ging wieder zur Bar, wo mich ein alter Mann zwinkernd begrüßte.


„Na, alleine hier?“, fragte er und legte mir provokativ eine Hand auf den Oberschenkel, der durch das hochgerutschte Kleid nur noch zur Hälfte bedeckt war. Ich schüttelte sie ab und bestellte mir Wodka-Cola, wobei mich der Barkeeper abschätzig musterte. Ich hob fordernd die Augenbrauen und er machte sich an die Arbeit. Wie ich es mir gedacht hatte, kam nach einiger Zeit Joshua hereinspaziert, um mich zu suchen. Der arme Kerl hatte ja auch nicht den ganzen Tag Zeit ... Er sah sich suchend im Raum um und entdeckte mich schließlich nett plaudernd mit dem ekligen Typen neben mir.


Rasend vor Wut kam er zu uns rüber und drehte mich zu sich um. Leider etwas zu schnell, denn ich verlor an Gleichgewicht, sodass ich mit dem Glas auf ihn zu viel. Der Inhalt verteilt sich gleichmäßig auf seinem T-Shirt und auf meinem weißen Kleid, das durch die Flüssigkeit durchsichtig wurde und meinen BH deutlich abzeichnete. Okay, damit wars offiziell, meine Idee war mehr als dumm gewesen. Eigentlich wollte ich nur dass er mich nicht mehr ignorieren kann und wenn ich betrunken war und nicht mehr richtig laufen konnte, musste er mich beachten, außer er wollte, dass ich unters Auto kam!


Stattdessen sah er mich nun zornig an, schnaubte über meine Blödheit und bezahlte meine Rechnung. „Sorry, das wollte ich nicht. Ehrlich!“, lallte ich. „Jaja, schon klar. Kannst du mir mal sagen, warum du dich innerhalb von einer viertelstunde so dermaßen betrunken hast?“, fragte er verwirrt und reichte mir eine Servierte mit der ich mich notdürftig säuberte.


Seufzend ließ ich davon ab. Das wars, das Kleid war hinüber! „Ein versuchter Mord bekommt mir wohl nicht so gut“, zickte ich und bekam dafür ein entnervtes Stöhnen. „Hey, Süße, was hältst du davon den Rest deiner Kleidung bei mir dreckig zu machen“, flüsterte mein Sitznachbar in mein Ohr. Ich schluckte trocken. Ich muss sagen: so niveaulos war ich noch nie angemacht worden! „Ich glaube nicht, dass sie das Angebot annehmen kann. Am besten Sie behalten Ihre Finger bei sich, bevor ich Sie Ihnen breche“, erwiderte er kalt, als er seine Arme um meine Hüfte schlang. Joshua nahm mein Handgelenk in seine Hand und führte mich durch die Menschenmassen nach draußen.


Die Sonne ging gerade unter und die Straßenlaternen flimmerten bereits. Ich wackelte gefährlich und knallte immer wieder irgendwo gegen, sodass Joshua mich kurzerhand auf seine Arme hob und mich den Rest des Weges trug. Ich kuschelte mich an seine Brust und zog seinen Duft ein. Er roch nach Wein und Zimt, irgendwie nach Weihnachten. Ich seufzte leise und konnte nicht anders als meine Nase näher an ihn zu drücken. Ich inhalierte seinen Geruch und musste unwillkürlich lächeln. Ich fing an kleine Muster auf seine Haut zu zeichnen, so wie es die Frau heute Nachmittag getan hatte, doch ich begnügte mich mit seinem Nacken. „Liz?“ fragte er. „Mmmh?“ erwiderte ich nur. „Wie viel hast du getrunken?“ Seine Stimme klang belustigt aber auch wütend. Nur eine kleine Spur, aber ich hörte sie deutlich heraus. „Nicht viel ...“ murmelte ich und fuhr mit meinen Fingern durch sein schwarzes Haar.


Er lachte. „Nicht viel, ja?“ Ich nickte bekräftigend. „Und warum riechst du dann, als hättest du die halbe Bar ausgetrunken?“, erwiderte er. Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bist du erkältet ...“, schlug ich vor. Er lachte noch einmal, beließ es aber dabei. "Halt dich gut fest und sieh nicht nach unten, ja?" Seine Stimme vermischte sich mit dem reißenden Geräusch von durchschnittener Luft als wir durch ein offenes Fenster im Obergeschoss ins Haus sprangen und die Flure zu meinem Zimmer entlang schlichen. Die Tür knarrte ein wenig, doch das schien niemand zu hören.


Joshua schaltete das Licht nicht an, sondern legte mich direkt ins Bett. Nachdem er mir die Decke über gelegt hatte, strich er mir noch eine Strähne aus dem Gesicht. „Danke“, flüsterte ich und nahm schnell sein Hand, bevor diese mein Gesicht verließ. „Leg dich zu mir“, bat ich und rückte ein wenig zur Seite. Viel konnte es nicht gewesen sein, denn er schubste mich noch ein wenig weiter, bis auch er genug Platz hatte. Ich hörte wie etwas zu Boden fiel und merkte kurz darauf, dass es sein T-Shirt gewesen war, als ich mich an ihn schmiegte. Seine warme Haut ließ mich seufzen und ich zog mich noch ein bisschen enger an ihn , indem ich meine Arme um ihn schlang. Überrascht spannte er sich ein wenig an, doch entspannte sich nach ein paar Minuten wieder.


Mit meinem Zeigefinger fuhr ich an seinem Rückrat auf und ab. Er bekam eine Gänsehaut, woraufhin ich leise kicherte. Er brummte nur und zog mich selbst in die Arme. „Warum hast du dich betrunken?“, fragte er noch einmal leise. „Ich wollte nicht, dass du mich ignorierst“, antwortete ich schließlich ehrlich und schlug die Augen auf, um in sein Gesicht schauen zu können. Durch die Dunkelheit konnte ich ihn nur schemenhaft erkennen, aber ich glaubte ein kleines Lächeln auszumachen. „Man kann dich gar nicht ignorieren“, lachte er. Ich fuhr mit meiner Hand vom Rücken zu seiner Brust und von dort in seinen Nacken.


Vorsichtig zog ich ihn zu mir herunter, hielt kurz inne und legte meine Lippen unsicher auf seine. Ich verharrte einen Moment so, bis er seinen Mund auf meinem bewegte. Ein Kribbeln durchschoss mich und ich schmeckte einen Hauch von unglaublich süßem Wein. Genauso, wie er roch. Er legte seine Hand an meine Wange und strich mit Fingerspitzen meine Konturen nach, was mich erschaudern ließ.


Der Kuss war erst vorsichtig und sanft, wurde aber immer fordernder. Er leckte mit seiner Zunge über meine Unterlippe und fragte nach Einlass, dem ich ihm gewährte und seine mit meiner spielen ließ. Es war ein kleiner Kampf, den keiner gewinnen konnte. Er drängte mich zurück ins Kissen, sodass er über mir lag und ich spürte, wie er über mein Schlüsselbein strich, dass so empfindlich war. Ich stöhnte kurz auf und wurde prompt rot.


Er lachte nur leise und küsste sich von meinem Mund abwärts zu meinem Hals. Bei meiner Halsschlagader hielt er inne. „Darf ich?“ fragte er flüsternd. Als Antwort zog ich ihn am Nacken näher zu meinem Hals und legte den Kopf automatisch schief, damit er besser heran kam. Sanft kraulte ich ihn und erntete von ihm ein Stöhnen bevor er über meine Haut leckte und plötzlich zubiss. Ein kurzer Schmerz durchzuckte mich, wurde aber dann von einer Welle aus Gefühlen fortgeschwemmt. Ich fühlte mich schwerelos und leicht in seinen Armen. Ich hörte wie er mein Blut schluckte, wie ich ihn nährte und spürte das pure Glück in meinen Adern fließen.


Er fuhr über meine Seiten, bis zur Hüfte und wieder zurück. Immer in bisschen mehr, bis er schließlich am Saum meines Kleides ankam und dort verharrte. Er berührte meine Haut und ich schluckte hart. Er nahm kurz seinen Mund von meiner Ader und flüsterte ein 'entspann dich', bevor er weiter trank. Ich versuchte, mich nur auf das Glücksgefühl zu konzentrieren und wurde erneut von einem Strudel aus Endorphinen erfasst.


Vorsichtig löste er seine Fänge aus meiner Haut und leckte kurz über die Wunde. Enttäuscht seufzte ich auf, was ihn zum Lachen brachte. „Danke“, flüsterte er an meinen Lippen und küsste mich sanft. Ich lächelte in den Kuss hinein und strich mit meiner Zunge über seine noch ausgefahrenen Fänge. Ein Knurren ließ mich innehalten, doch als er sich mir wieder entgegenstreckte, spielte ich noch einmal mit seinem Eckzahn, der prompt ein bisschen länger wurde. Mit meinen Fingerspitzen fuhr ich seine Muskelstränge nach, bis ich seinen Hosenbund erreichte und ein wenig darunter her fuhr.


Sein Stöhnen ließ mich mutiger werden und so knöpfte ich seine Jeans auf, was ein wenig schwierig war, da er immer noch über mir lag. Also schlang ich meine Beine um seine Hüfte und bedeutete ihm mit ein wenig Druck sich auf den Rücken zu lagen. So saß ich rittlings auf ihm und konnte ihn eingehender betrachten. Er war wunderschön. Seine schwarzen Haare waren ein wenig verwuschelt, was ich wohl mir selber zuschreiben konnte, und fielen kreisrund auf das Kissen unter ihm. Seine Muskeln waren beachtlich und zeichneten sich mehr als deutlich unter der Haut ab. Ich glaubte in der Dunkelheit sogar ein belustigtes Lächeln auf seinem Gesicht auszumachen, aber sicher war ich mir nicht.


Also fuhr ich sicherheitshalber mit meinen Fingerspitzen die Konturen seines Mundes nach und konnte nicht anders, als ihn federleicht zu küssen. Ja, es war ein belustigtes Lächeln gewesen, dachte ich mir und klemmte seinen rechten Eckzahn zwischen meinen Lippen ein, sodass er mir nicht mehr entkommen konnte. Ich spürte wie sich seine Länge vergrößerte und sich schlussendlich in meine Unterlippe bohrte, aus der ein paar Tropfen Blut quoll.


Joshua schnurrte und löste meine Lippen von seinem Zahn, um mein Blut abzulecken. Die Wunde verschloss sich wieder und er küsste mich fordernder, wobei er mein Kleid ein wenig hochschob und meinen Oberschenkel streichelte. Ich ließ es geschehen und legte mich einfach mit meinem gesamten Gewicht auf seine Brust. Er war ein Vampir, also spürte er das sowieso nicht, oder? Jedenfalls beschwerte er sich nicht. Als seine Hand mit dem Bändchen meines Höschens spielte, hielt ich inne und löste mich atemlos von ihm. „Was ist?“ fragte er verwirrt, ließ seine Hand zum Glück aber auf meiner Hüfte liegen.


„Ich ... bin noch Jungfrau“, flüsterte ich, was mir dank dem Alkohol ein wenig schwer fiel. Im Nachhinein betrachtet, war es ein Wunder, dass ich überhaupt soweit dachte. „Na und?“, hackte er nach. Ich holte empört Luft. „Na und? Das fragst du noch?“, schnaubte ich und rutschte von ihm runter. „Hey, komm schon. Das war nicht so gemeint“, flüsterte er und strich sanft über mein Gesicht, doch ich schlug seine Hand weg. „Wenn du meinst“, fauchte er eingeschnappt und drehte sich, mit dem Rücken zu mir, auf die Seite. Ich kämpfte echt mit den Tränen. Ich war so blöd, so naiv und einfach nur total bescheuert! Ich rückte von ihm weg und gab mir dabei keine Mühe unbemerkt zu bleiben. Sollte er ruhig merken, was ich davon hielt!


Ich wollte mich ebenfalls hinlegen, wurde jedoch von einer aufkommenden Übelkeit überrascht. Schnell krabbelte ich über Joshua und stolperte ins angrenzende Badezimmer. Gerade rechtzeitig erreichte ich die Kloschüssel und übergab mich. „Alles okay?“ ,fragte eine Stimme aus dem Türrahmen. „Nein“, schluchzte ich und verkrampfte meine Finger an der Klobrille, als sich der Alkohol aus meinem Magen verabschiedete, zusammen mit ein paar Erdnüssen und Salzstangen. Das übliche Knabberzeugs eben, das einem in einer Bar angeboten wird. Viel mehr hatte ich heute nicht gegessen. Eine Hand strich mir beruhigend übers Haar und reichte mir einen feuchten Waschlappen für meinen Mund. Dankend nahm ich ihn entgegen und entfernte die Reste meiner nächtlichen Aktion aus dem Gesicht.


Erschöpft ließ ich mich gegen die kalten Fliesen sinken. Wenigstens hatte ich die Toilette getroffen, sagte ich mir und versuchte, nicht an diese Peinlichkeit zu denken. Doch leider machte es das nicht gerade besser, denn ich lief trotzdem rot an. Oder ich bekam einfach Fieber. „Gehts?“ Joshua, der am Waschbecken lehnte und mich gefühllos musterte hatte sich von mir distanziert. „Wird schon“, flüsterte ich nur und hievte mich vom Boden hoch, eckte auf dem Weg zum Bett jedoch öfters an anderen Möbelstücken an. Das würde blaue Flecken geben, dachte ich mir und kroch unter die Bettdecke.

4. Kapitel

 Am Morgen wurde ich von dröhnenden Kopfschmerzen geweckt und blinzelte verschlafen gegen das Licht an. Warte mal, Licht? Wie spät war es denn schon? Der Wecker zeigte mir elf Uhr an. Erschrocken sprang ich auf, bereute es aber, als ich über irgendetwas stolperte. Verwirrt starrte ich auf den halbnackten Körper neben mir. Ach ja, ich habe ja einen nervigen Mitbewohner, rief ich mir ins Gedächtnis und schlürfte schlaftrunken ins Bad.


Die Dusche stellte ich auf eiskalt, um mir den Schlaf aus den Knochen zu waschen und beeilte mich ein wenig. Ich würde die Schule zwar wohl heute nicht mehr von innen sehen, aber irgendwie musste ich mein Gewissen ja beruhigen. Und wenn ich es wenigstens versuchte, konnte man mir nichts vorwerfen. Ich schlang mir ein Handtuch um den Körper und föhnte meine Haare. Meine grünen Spitzen machte ich extra Lockig, sodass sie mich an Weihnachtskugeln erinnerten. Im Schrank fand ich überraschenderweise sogar noch eine Aspirin und spülte sie mit ein bisschen Wasser meine Kehle runter. Auch wenn die Übelkeit noch da war, verzichtete ich lieber auf die ekligen Magentropfen meiner Mutter. Auf homöopathischer Ebene, natürlich!


Gott sei dank, hatte ich sie schon seit ein paar Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie war wohl ziemlich beschäftigt mit ihrem neuen Roman. Da ihr Lieblingsort unsere Bibliothek war, würde sie entweder dort oder im Park anzutreffen sein. Wenn ich also aufpasste, könnte ich ihr aus dem Weg gehen! Mein Make-up ließ ich heute unberührt, ich würde eh zu Hause bleiben. Joshua hatte schon jetzt einen schlechten Einfluss auf mich. Das war bereits der zweite Tag hintereinander, den ich schwänzte! Mit einem Seufzen betrachtete ich das verdreckte Kleid von gestern. Was war bitte damit passiert? Ach ja, ich hatte es mal wieder übertrieben und ein Getränk umgeschüttet. Das ich das die ganze Nacht anhatte ...


Naja, fast wäre ich es ja losgeworden, nicht wahr? Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Das ich ihn wirklich an mich ran gelassen hatte, unglaublich! Es war zwar nicht schlecht gewesen, aber das ich ihm meine Jungfräulichkeit mit Freude hinterher schmiss, hätte ich selbst von meinem betrunkenen ich nicht erwartetet. Glücklicherweise, hatte er so blöd reagiert, sonst wäre ich wohl wirklich mit ihm in die Kiste gestiegen. Andererseits war ich immer noch wütend auf ihn. Denn auch wenn ich wusste, dass es in meinem Alter viele gab, die ihr erstes Mal schon hatten, wollte ich nicht zu denen gehören. Mir war es wichtig, dass es mit jemanden passierte, den ich liebte und der mich liebte.


Das war bei Joshua und mir bestimmt nicht der Fall.


Das Kleid schmiss ich übellaunig in den Wäschekorb und ging durch mein Zimmer zum Kleiderschrank. Schnell zog ich mir schwarze Unterwäsche und ein grünes Kleid über. Ich hasste Kleider, aber da ich shoppen auch nicht gerade so mochte, zog ich einfach die Sachen an, die Mum für mich kaufte. Noch eine Sache, die mich von Mabel unterschied: Sie liebte Shoppen. Kein Wunder, dass die Beiden sich so gut verstanden! Als ich wieder mein Zimmer betrat, lag mein scheiß Gefährte immer noch im Bett, doch an seiner Atmung erkannte ich, dass er wenigstens nicht mehr schlief.


„Hey, aufstehen", murmelte ich und zog ihm energisch die Decke weg. Grummelnd drehte er sich auf den Rücken. Scheiße, war der heiß! Dieses Six-Pack ... Kein Wunder, dass ich ihm gestern verfallen war! Ich hatte völlig vergessen, wie gut er aussah. Ich wand schnell mein Blick ab und warf ihm sein T-Shirt zu. „Kann ich wenigstens duschen?", entgegnete er mürrisch und ich verdrehte genervt die Augen. „Im Bad liegt alles Nötige“, antwortete ich jediglich. Da hörte ich nur noch die Badezimmertür zuknallen und die Duschebrause angehen.


Verdammt, die Sache gestern hat unser Verhältnis nicht gerade verbessert. Na, vielleicht würde es Morgen auf der Party ja besser laufen, redete ich mir ein. Ich holte mein Handy heraus und schrieb David eine Nachricht, das ich heute nicht mehr kommen würde, obwohl er sich das bestimmt schon gedacht hatte, immerhin waren jetzt schon um die vier Schulstunden um.


Kein Problem. Freue mich schon auf Samstag :) Hol dich dann ab, ja?“, kam es von ihm zurück. Upps, peinlich, ich habe ihm ja noch nichts von Joshua gesagt! „Alles klar, ein Kumpel von mir kommt auch mit“, antwortete ich und hoffte sehr, er würde nicht allzu enttäuscht sein. Ich wollte definitiv nichts von ihm, aber als Bester Freund war er mir sehr wichtig. Ich wollte ihn nicht verletzten und wer weiß? Vielleicht würde Joshua das ganze ja so unromantisch machen, dass David selbst auffällt, dass das zwischen uns beiden nicht klappen würde?


Ich wartete noch ein paar Minuten auf eine Antwort von ihm, aber es kam keine. Seufzend steckte ich es zurück in meine Handtasche und marschierte runter in die Küche, doch schon auf halben Weg spürte ich das Ziehen in meinem Bauch. War das überhaupt möglich? Saß ich gestern nicht auch in der Küche während er oben war? Warum spürte ich bereits jetzt den Schmerz? Bitte, sag mir nicht, dass das mit der Zeit immer schlimmer wird, denn sonst flippte ich echt aus! Ich ging auch noch den Rest der Treppe runter und stolzierte atemlos in die Küche. Das mein Magen noch nicht rausgesogen wurde, wunderte mich ja doch irgendwie. Und da hörte ich auch schon einen wütenden Joshua, der laut vor sich herfluchend die Treppe runterstürzte und plötzlich hinter mir stand. Erleichtert seufzte ich auf und nahm mir ein Glas Cola aus dem Kühlschrank. „Bist du vielleicht masochistisch veranlagt?“, fragt er sarkastisch vom Esstisch aus. Ich zuckte nur mit den Schultern und flüsterte ein leises „Nein, aber vielleicht sadistisch“, was er anscheinend trotzdem hörte, denn er schnaubte nur abfällig.


Ihn ignorierend machte ich mir eine Schüssel Müsli und setzte mich ebenfalls an den Tisch. Heute war Theo's freier Tag, das hieß, ich würde mir wohl oder übel selbst was zu essen machen müssen. Normalerweise liebte ich es zu kochen, auch wenn meine Künste nicht gerade berauschend waren, doch heute, angesichts meiner Kopfschmerzen und einem kranken Stalker, war mir die Lust wohl vergangen. Als ich die Hälfte meines Frühstücks geleert hatte, kam die Übelkeit zurück und ich stürzte so schnell ich konnte auf die Toilette. Vielleicht hatte ich mir ja etwas eingefangen, überlegte ich fieberhaft, als ich mit dem Kopf über die Schüssel gebeugt da saß. Meine Haare hielt ich mir mit einer Hand aus dem Gesicht, mit der anderen umklammerte ich die Klobrille.


Das Ganze schürte Erinnerungen von gestern Nacht und daran wollte ich nun wirklich nicht denken. Da könnte ich mich gleich noch mal übergeben. Gesagt getan. „Scheiße, dich hats echt erwischt, oder?“, fragte mich plötzlich jemand. Nein, ich tu nur so! Das bemerkte jetzt wahrscheinlich auch mein angeblicher Seelenverwandter und hielt mir freundlicherweise die Haare zurück, während ich die Toilette wiedermal auf meine Weise grüßte. Wenn ich so weitermachte, hätte ich heute jedes Badezimmer in diesem Haus durch. Ein leises Winseln entkam mir, als einfach nichts mehr raus wollte.


„Hey, ist gut. Ich bring dich ins Bett, okay?“, flüsterte er nahe an meinem Ohr. Ich nickte erschöpft und lehnte mich an seine Brust, als er mich auf seine Arme zog. Nach einer Sekunde waren wir in meinem Zimmer und er setzte mich auf die Bettkante, um mir meine Pantoffeln auszuziehen, die (nebenbei bemerkt) diese witzigen Hasenöhrchen hatten. Stöhnend hielt ich mir den Bauch und wollte schon wieder ins Badezimmer stürmen, als Joshua mir eine einfache Plastikschüssel reichte. Was soll's, besser als dauernd aufzustehen, wenn sowieso nichts mehr rauskommt, dachte ich mir und stellte sie sicherheitshalber neben mein Bett. „Hier“, sagte er und legte mir ein wenig später ein Körnerkissen auf den Bauch. Dankend drückte ich kurz seine Hand, bevor ich meine Augen schloss und einschlief.


Das gute am Schlafen war, dass man sich währenddessen schlecht übergeben konnte, ohne zu ersticken und das man für kurze Zeit seinem neuen Mitbewohner aus dem Weg gehen konnte. Jedenfalls gedanklich ... Als ich jedoch die Augen öffnete entdeckte ich, wie er am Bettende hockte und mit seinem Handy spielte. Mich hatte er anscheinend noch nicht bemerkt, genug Zeit also sich Gedanken darüber zu machen, wie es zu der Knutscherei gestern kommen konnte. Bis jetzt hatte ich nämlich alles auf den Alkohol geschoben, aber konnte man wirklich so betrunken sein, dass man mit einem Typen knutscht, den man eigentlich nicht mal mag? Ich hoffte es, denn wenn nicht, fand ich ihn zumindest nicht mehr schrecklich.


Ein Klopfen an der Zimmertür ließ mich hochfahren. „Los, verstecke dich“, zischte ich zu Joshua, der jedoch stumpf sitzen blieb und mit dem Handy spielte. Warte, war das etwa schon wieder mein Handy? Später, sagte ich mir und zog ihn am Handygelenk ins Badezimmer. Gut, dass er sich nicht wehrte, ansonsten hätte ich ihn in drei Jahren noch nicht wegschaffen können.


„Herein!“, schrie ich und huschte schnell wieder unter die Bettdecke. „Hey, alles in Ordnung? Was hast du denn so lange gebraucht?“, fragte Mum. „Ähhhm ...“, fing ich an, doch sie winkte auch schon ab. „Ist ja auch egal, ich wollte nur sagen, dass Mabel morgen vorbeikommt. Sie wollte mir ihr Kleid für den Ball nächste Woche zeigen.“ Sie konnte sich ein seliges Grinsen nicht verkneifen. Ich hob die Augenbrauen und sah sie fassungslos an. Sie wusste, dass sie normalerweise drei tage vorher Bescheid sagen sollte, wenn meine geliebte Cousine vorbeikam, damit ich in Ruhe verschwinden konnte. Wenigstens konnte ich Abends vor ihr fliehen.


„Ja, ich weiß. Ich hätte früher was sagen sollen. Aber ist doch ganz gut so, dann könnt ihr mal wieder etwas zusammen unternehmen“, frohlockte sie euphorisch. Was verstand sie bitte an der Aussage: "Wir mögen uns nicht", nicht? „Ich kann aber nicht, ich muss Marie den ganzen Tag bei ihrer Party helfen!“, warf ich glücklich ein. Ihr Augen wurden groß und ich wusste auf einmal, dass ich einen riesengroßen Fehler begangen hatte.


„Das ist doch super, dann kann sie doch mitkommen und euch helfen“, schlug sie vor und ich stöhnte genervt auf. Dann rang ich mir ein Nicken ab und bekam gerade noch mit, wie die Badezimmertür geöffnet wurde, als auch schon Joshua vor mir stand. Zum Glück war meine Mutter schon aus dem Zimmer gegangen, sonst hätte ich mir beim Anblick dieses Jungen noch eine Standpauke über Verhütung anhören müssen. „Mabel?“, hackte er nach. Ich verdrehte die Augen. Wenn ich schon daran dachte bekam ich schlechte Laune.“Meine ungeliebte Cousine und die beste Freundin meiner Mum“, antwortete ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. „Ein Ball?“ In seinen Augen flackerte Neugier. „Ja, eine Benefiz-Veranstaltung für das Krankenhaus, in dem mein Vater arbeitet. Er findet jedes Jahr statt, ziemlich übertrieben, wenn du mich fragst, aber Mum macht immer ne ziemlich große Sache draus.“


Ich starrte ihn böse an. Verwirrt über meinen Stimmungswechsel musterte er mich fragend. Ich deutete auf mein Handy, das er noch immer in der Hand hielt. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Irgendwie muss ich ja herausfinden, was meine Gefährtin so treibt, oder?“ Irgendwie schaffte er es, mir mit dem Wort Gefährtin einen Schauer über den Rücken zu jagen. „Wie wäre es, wenn du mich einfach selber fragst, anstatt mein Handy zu durchsuchen? Und nur mal nebenbei bemerkt, geht es dich nichts an, was ich mit meinen Freunden bespreche“, zischte ich aufgebracht.


Er zuckte nur mit den Schultern, bevor ein gemeines Grinsen über seine Züge glitt. „Dabei habe ich doch so interessante Dinge darauf gefunden“, jammerte er gespielt traurig und warf es mir zu. Gerade noch rechtzeitig konnte ich es auffangen, bevor es auf den Boden neben meinem Bett aufschlug. „Gute Reflexe“, lobte er, was ich mit einem Schnauben abtat. Und dann sah ich, was er gemeint hatte. Sowohl David, als auch Marie hatten mir SMS geschrieben, während ich im Reich der Träume geschlummert hatte.


David:
„Oh okay, ich dachte das wäre ein Date? Marie hatte angedeutet, dass du mehr als nur Freundschaft empfindest und ich wollte dem Ganzen eine Chance geben. Aber das heißt dann wohl, dass du doch nicht interessiert bist?“


Oh, verdammte Scheiße! Jetzt war er auch noch beleidigt und dass nur wegen diesem scheiß Vampir. Noch ein Grund mehr ihn zu hassen, sagte ich mir.


Marie:
Hey, hab von David gehört, was passiert ist. Hoffe für dich, dass dieser Typ es wert ist (und heiß!) , denn sonst hast du grade echt was verbockt. Hab versucht ihn zu beruhigen, aber es hat nicht geklappt. Verdammt Liz, was hast du dir dabei gedacht? Du weißt doch das er in dich verliebt ist!“


Okay, noch einer mehr, bei dem ich mich entschuldigen muss. Obwohl eigentlich Marie David etwas gesteckt hatte, was überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Ich hatte nie gesagt, dass ich Gefühle für ihn hätte! Egal, ich musste mich auf jeden Fall bei den Beiden entschuldigen, am besten Morgen auf der Party, schlimmer kann es ja eh nicht mehr werden ...


“Und das ist jetzt so interessant, dass du mein Handy klaust?“, fragte ich schnippisch. „Naja, ich finde, wenn sich meine Gefährtin in irgendeinen Kerl verliebt hat, ist das schon sehr interessant." Ich konnte kurz ein wütendes Funkeln in seinen Augen aufblitzen sehen. War er etwa eifersüchtig? „Ich bin nicht in ihn verliebt! Und überhaupt wüsste ich nicht, was es dich angeht.“ Er sprang wütend auf und war plötzlich über mir. Seine eine Hand hielte meine beiden Arme über dem Kopf fest, während die andere an meiner Kehle lag


„Es geht mich sehr wohl etwas an. Du bist meine Gefährtin“, zischte er bedrohlich an meinem Ohr, sodass ich zurück zucken wollte, ihm jedoch nicht entkam. „Lass mich los“, keuchte ich und wand mich unter seinem Griff, doch er ließ nicht locker, im Gegenteil er packte mich nur noch fester. Meine Luft ging mir langsam aus und Tränen traten mir in die Augen. Plötzlich war die Hand weg und ich rang erleichtert nach Atem. Noch benommen sah ich mich im Zimmer um und entdeckte Joshua an der Wand hängend.


Verwirrt kniff ich meine Augen zusammen und entdeckte dann das entscheidende Puzzelteil: Mose! Er hielt seinen Sohn am Kragen und drückte ihn so fest an die Wand, dass er nicht entkommen konnte. „Was denkst du dir dabei, deine eigene Gefährtin zu verletzen? Bist du wahnsinnig geworden?“, schrie dieser aufgebracht und ließ ihn lautstark zu Boden krachen. Irgendwie schaffte der schwarzhaarige Engel es, halbwegs elegant aufzukommen und sich anmutig zu erheben. „Ich nicht, aber Liz. Sie hat sich in einen Menschen verliebt“, antwortete er ohne Zögern. „Was? Ich ... Nein!“ Ich konnte nur noch fassungsloses Gestotter von mir geben.


Was dachte sich dieser Typ denn bitte? Mose warf mir einen verwirrten Blick zu, wandt sich aber schnell wieder an Joshua. „Das ist unmöglich, das weißt du. Also warum hast du sie angegriffen?“, hackte er nach. „Vater, sie ist ein Mensch. An dieser Verbindung ist rein gar nichts normal. Also was sagt mir dann, das sie sich nicht in einen Menschen verliebt hat?“, erwiderte er. Jetzt reichte es, immerhin war ich für ihn eh nicht wichtig! Der einzige Grund warum er hier war, war, dass er sonst elendig sterben würde!


„Verdammt, was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ich darf mich ja wohl verlieben in wen ich will, du hast da gar kein Mitspracherecht!“ Ich hievte mich wütend vom Bett. „Na siehst du, sie streitet es ja noch nicht einmal ab!“, fauchte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen und ein verletzter Ausdruck trat auf sein Gesicht, verschwand aber auch schnell wieder. „Liz. Hast du ...“ „NEIN!“ schrie ich dazwischen und warf meinen Wecker in Joshuas Richtung.
„Was soll denn das?“ Und schon flog die aktuelle Lektüre aus dem Englischunterricht gegen die Wand hinter ihm. „Liz ...“, kam es warnend von Joshua. Als Antwort stemmte ich meinen Schreibtischstuhl hoch, musste aber schnell erkennen, dass er doch ein bisschen zu schwer war und fiel samt Stuhl unsanft auf den Boden. „Au ...“, jammerte ich. „Siehst du, das hast du davon, wenn du dich mit einem Vampir streitest“, murmelte Mose und half mir hoch. „Nein, das kommt davon, wenn man sich mit einem uneinsichtigen Vollidioten streitet“, korrigierte ich scharf. Joshua sollte sich wirklich zurück halten, wenn er noch länger leben möchte!


„Uneinsichtig? Wohl kaum. Ich habe nur was dagegen, wenn sich meine Gefährtin mit einem nutzlosen Menschenjungen vergnügt!“ Er lehnte sich mit verschränkten Armen an meinen Schreibtisch und sein Oberteil spannte sich über seine angespannten Muskeln. „Erstens, ist David kein nutzloser Menschenjunge, und zweitens, bin ich weder verliebt in ihn, noch vergnüge ich mich mit irgendwem“, murmelte ich ärgerlich.

5.Kapitel

„Na siehst du Joshua, kein Grund gleich in die Luft zu gehen“, lächelte Mose sanft und deutete kurz darauf aus dem offenen Fenster. „Ich glaube du solltest langsam mal meine Frau Sarah kennenlernen. Außerdem werden wir uns heute deine Familie vorknüpfen. Um den Rest wird sich Joshua kümmern, nicht wahr?“ Ermahnend blickte er seinen Sohn noch einmal an, bevor er sich wieder abwandt und einer schwarzhaarigen Schönheit ins Zimmer half. Sie trug ein rotes enganliegendes Kleid mit riesigem Ausschnitt, der ihr fast bis zum Bauchnabel reichte, und dazu passende High-Heels, die in ihrem Farbton Blut ähnelten. Wie passend, dachte ich schmunzelnd und kassierte zwei fragende, und einen genervten Blick.


Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und ging auf dieses Streichholz-ähnliche Wesen zu, um ihr freundlich meine Hand zu reichen. „Freut mich Sie zu treffen. Ich bin Elizabeth“, stellte ich mich schüchtern vor und zupfte ungeduldig am Saum meines Kleides, während sie mich genau musterte und gar nicht daran dachte, meine Hand zu schütteln. Unangenehm berührt ließ ich meinen Arm wieder fallen und sah verlegen zu Boden.


„Keine Augenweide, aber für einen Menschen ganz okay“, flüsterte sie in Joshuas Richtung. Der lächelte vergnügt über ihre Einstellung und umarmte seine Mutter flüchtig. „Wenigstens du bist auf meiner Seite. Dad vergöttert sie“, grummelte er. „Ja, er findet sie unterhaltsam“, sagte sie kalt und blickte mich arrogant an. Okay, wir werden also definitiv keine Freundinnen, aber damit konnte ich leben, schließlich hatte ich den Film Das Schwiegermonster gefühlte 100 mal gesehen und mich auf jede Art der Schikane mental vorbereitet. Sie würde mich nicht provozieren!
„Lass uns beginnen, Schatz. Ich will nicht länger als nötig die Anwesenheit diese minderwertigen Geschöpfes ertragen“, maulte sie und zog ihren gefügigen Gatten hinter sich her.


„Wo sind ihre Erzeuger?“ Fragte sah sie in die Runde und endete mit ihrem Blick widerwillig bei mir. „Meine Mutter sollte in der Bibliothek sein und mein Vater ist noch bei der Arbeit. Meine Schwester ist oben auf dem Dachboden. Theo hat heute seinen freien Tag.“


„Bringe uns bitte zu ihnen“, erklärte sie langsam und tat so, als wäre das ja wohl selbstverständlich gewesen. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und ging ein paar Türen weiter, um die sich dahinter befindende Treppe hinaufzugehen. Vor einer der dortigen Türen blieb ich stehen und bedeutete den Dreien vorzugehen. Immer schön freundlich bleiben, Liz, immer schön freundlich bleiben!


Mose öffnete die Tür und entdeckte sofort meine Mum, die genüsslich an einer Kaffeetasse nippte und verträumt auf die Blätter vor ihr sah. Sie hielt nicht viel von der neuen Technik, jedenfalls nicht, wenn es ums Schreiben ging. Also wurde alles sorgfältig per Hand angefertigt und chaotisch im ganzen Raum verteilt. „Miss McCallough?“ Verwirrt sah sich die schlanke Blondine um und entdeckte uns am Ende des Raumes. Wir schlängelten uns durch die ganzen Bücher, die sich auf dem Boden stapelten und stellten uns vor ihren Tisch, der bereits etliche Macken zählte.


Mose legte ihr unverzüglich eine Hand auf die Stirn und fing sie gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie vom Stuhl kippen konnte. Etwas besorgt betrachtete ich, wie er mit leiser Stimme irgendwas vor sich her brummelte und sich schließlich wieder von ihr entfernte. Mum schlug wieder ihre Augen auf und sah mich tadelnd an „Du sollst mich doch nicht beim Schreiben stören, Liz. Was ist, hast du jetzt auch noch deine Sprache verloren?“, knurrte sie verärgert. „Kann sie euch nicht sehen?“, fragte ich Joshua erstaunt. „Nein, wir sind jetzt unsichtbar und unhörbar für sie“, antwortete er etwas steif.


„Schon gut Mum, ich wollte nur fragen, ob ich für dich auch Mittagessen machen soll“, murmelte ich und hätte schon allein beim Gedanken an Essen liebend gern gekotzt. Stattdessen krallte ich mir ein Kochbuch von einem der Stapel und wartete auf eine Antwort. „Ja, aber achte bitte darauf, dass es nicht zu viele Kalorien hat. Du kannst es dir nicht leisten zuzunehmen. Denk daran: das Kleid. Theo hat es übrigens in mein Schlafzimmer gebracht, probiere es doch bitte heute Abend mal an-“ Sie griff wieder zum Kugelschreiber. Mit einem Nicken eilte ich aus der Bibliothek und ging die nahegelegene Treppe hoch zum Dachboden. Mit einem Klopfen drückte ich die Tür nach oben und trat ein. „Oh man Liz, was willst du denn hier. Ich bin beschäftigt, zisch ab“, maulte sie verschlafen aus ihrem Bett heraus. Ihr müsst wissen, dass sie eine totale Schlafmütze ist und den ganz Tag schlafen würde, wenn man sie nicht irgendwie störte.


„Oh, wen hast du denn da mitgebracht?“, fragte sie, plötzlich hellwach, und richtete schnell ihre spärliche Kleidung, die aus einem ziemlich kurzen Nachthemd und Plüsch-Socken bestand. Ohne unnötige Worte zu verlieren stöckelte Sarah zu ihr und legte ihr widerwillig einen Finger auf die Stirn und blubberte irgendeinen Unsinn vor sich her, während Nora noch immer bewusstlos auf dem Bett lag. Als sich die Schwarzhaarige von meiner Schwester gelöst hatte, hievte diese sich etwas bedröppelt hoch, um mir einen bösen Blick zuzuwerfen.


„Du störst mich beim Schlafen und ich hoffe, du hast einen guten Grund dafür“, gähnte sie. „Essen“, sagte ich und wurde mit einer dicken Umarmung dafür belohnt. „Oh danke, du bist die beste kleine Schwester, die man sich vorstellen kann. Du hast was gut, immerhin ist das jetzt schon das dritte mal, das du meinen Küchendienst übernimmst.“ Sie versprach es so freudig, dass ich fast geglaubt hätte, sie würde es ernst meinen, und schob mich Richtung Luke.


Ich verdrehte die Augen. Diese Familie war mein Untergang. Weder nervtötende Vampire, noch kleine Zwergkönige mochten das vollbringen, was meine Blutsverwandten mit mir anstellten. Seufzend hielt ich die Tür solange oben, bis alle unbemerkt verschwunden waren und verabschiedete mich mit einem kurzen Nicken von meiner Schwester. „Was ist mit den anderen?“, fragte ich etwas außer Atem. Mein Gott, es hatte seinen Grund, warum ich ungern mein Zimmer verließ! Sport (dazu zählt auch Treppensteigen!) war einfach nichts für mich.


"Joshua ist ja sowieso immer bei dir und wird sich dann darum kümmern, wenns nötig sein sollte“, schlug Mose vor und zuckte mit den Schultern, als sein Sohn ihn böse anstarrte. „Das ist am praktischsten“, unterstrich er seinen Vorschlag und hoffte auf Unterstützung meinerseits, aber darauf konnte er lange warten. Ich musste schon den ganzen lieben Tag mit diesem Idioten verbringen, da würde ich nicht auch noch freiwillig einwilligen, dass er sämtliche Leute beeinflusste, die auch nur im Entferntesten mit mir zu tun hatten! Also blickte ich einfach stur auf den Boden und ignorierte die etwas hilflose Miene meines zukünftigen Schwiegervaters.


„Du musst ja auch nicht alle manipulieren, es reicht ja ,wenn es bei den Menschen bleibt, die nichts von dir wissen sollten. Die Schüler und Freunde von Liz bleiben natürlich unberührt“, versuchte er mich und vor allem Joshua zu überzeugen. „Von mir aus“, zischte dieser leise. Auch ich nickte einmal ergeben, bevor ich mich die Treppen runter auf den Weg in die Küche machte. An dem Ziehen in meinem Bauch erkannte ich, das mein Gefährte wohl etwas anders vorgehabt hatte. Stur ging ich weiter und setzte mich etwas steif an den Esstisch, um einen Apfel zu essen.
Sollte er doch zu mir kommen - ich würde bestimmt nicht wie ein Hündchen hinter ihm herlaufen! „Liz!“ Pah! Da konnte er schreien, wie er wollte, er hatte hier hin zu kommen, und nicht umgekehrt! „Verdammtes Miststück ...“ Grummelnd kam er die Treppe runtergelaufen und ich konnte mich wieder etwas entspannen. Ich sah zwar so aus als würde mir es nichts ausmachen, aber die Schmerzen machten auch mir zu schaffen. Joshua schien es aber eindeutig mehr mitzunehmen, denn er war schließlich immer derjenige, der aufgab. „Kannst du mir mal sagen, was du hier willst? Du kriegst doch eh nichts runter.“ „Falls du es nicht mitgekriegt hast, esse ich hier gerade einen Apfel.“ Blitzmerker, ey! „Außerdem habe ich noch ein Essen zu kochen“ , fügte ich schon mit etwas weniger Begeisterung hinzu.


Das Kochbuch, das ich mitgenommen hatte, war wohl etwas für Profi-Köche, denn wer hatte bitte Miesmuscheln Zuhause? Jedenfalls entschied ich mich für Pfannkuchen, die waren schnell und einfach! Also hievte ich mich vom Stuhl und holte die Zutaten aus dem Kühlschrank, die wir benötigen würden. Und ja, richtig gelesen: Wir! Immerhin war er Schuld daran, das ich eine Ausrede für meine plötzlichen Besuche brauchte. Da konnte er ja schon mal mit anpacken, oder?


Seufzend suchte ich nach einer passenden Schüssel und drückte Joshua dafür kurzerhand die Eier in die Hand. „Was soll das werden?“, fragte er skeptisch und betrachtete die verschieden Lebensmittel auf der Arbeitsfläche mit Argusaugen. „Pfannkuchen“, antwortete ich und fand endlich eine passende Schale. „Schlag schon mal die Eier auf und dann gib das Mehl darein“, befahl ich. „Wieso ich?“, maulte er schockiert.


„Darum. Und jetzt hör auf zu meckern.“ Anscheinend merkte auch er, dass er aus dieser Nummer nicht mehr herauskam und gab sich geschlagen. Eine halbe Stunde später waren 10 goldbraune, lecker duftende Pfannkuchen auf einen Teller gepackt und sorgfältig verstaut worden. Erschöpft drehte ich mich zu Joshua, der an der Wand lehnte und lächelte ihn leicht an.


„Danke, dass du mir geholfen hast“, krächzte ich mit heiserer Stimme und wand mich schnell ab. Immer wenn mir nämlich etwas unangenehm ist, bekam ich diese komische Stimme und glaubt mir, manchmal war das echt ein Problem. David und Maria zogen mich natürlich immer damit auf, aber (Gott sei dank) hatte mein Gefährte grade eben zum ersten mal damit Bekanntschaft gemacht.


„Ich hatte ja keine andere Wahl, oder?“, fragte er sarkastisch. „Nicht wirklich“, stimmte ich zu und lehnte mich gegen den Herd. So standen wir also, beide mit verschränkten Armen, und sahen uns an. Seine schwarzen Haare fielen im ins Gesicht und verdeckten fast seine wunderschönen Augen. Warte, wunderschöne Augen? Naja, sollte mich jetzt nicht wirklich überraschen, schließlich war ich auch nur eine Frau ... oder ein Mädchen. War man mit 15 noch ein Mädchen? Wenn es nach meiner Mutter ginge, war ich schon mit 10 eine Frau und hatte mich dementsprechend zu benehmen, aber sie war ja auch kein Maßstab.


Egal, wie war ich nochmal auf dieser Thema gekommen? Ach ja, Joshua hatte schöne Augen. Das hatte er wirklich. Sie waren schwarz und strahlten wie … naja sie strahlten halt! Er musterte mich ebenso und lachte plötzlich. „Warum lachst du?“, fragte ich leicht angesäuert.


„Nur so.“ Er stieß sich von der Wand ab und kam auf mich zu. Ein paar Zentimeter vor mir stoppte er und strich mir eine Strähne hinters Ohr, während er die ganze Zeit unseren Blickkontakt nicht unterbrach. Dann beugte er sich leicht zu mir runter und küsste leicht meine rechte Schläfe. Nur kurz spürte ich seine feuchten Lippen auf meiner Haut, bevor er wieder zurück wich und sich hastig umdrehte. „Kommst du?“, fragte er abwesend und ging, ohne meine Antwort abzuwarten, zur Treppe, die nach oben führte. Verwirrt tappste ich barfuß hinterher und knallte prompt in seinen Rücken. „Au!“ jammerte ich und hielt mir meinen Kopf. Er war ja hart wie Stein! „Ich glaube, wir sollten wo anders hingehen“, murmelte er und drehte sich um.


„Hä?“ Fragend hob ich die Augenbrauen. Er wollte an mir vorbei, da ich aber den Weg versperrte, sah er mich widerwillig an. „Warum? Wohin willst du denn jetzt?“, rief ich ihm hinterher, als er mich einfach zur Seite drängte und die Treppe runtereilte. Verärgert ging ich auf meine Zimmertür zu und hielt inne, als ich laute Geräusche hörte. Verlegen wandt ich mich zur Seite und ging die Treppe wieder hinunter. Ich sag ja, viel zu viel Sport heute! Und den hatten auch wohl andere ...


Bei dem Gedanken stieg mir dir Röte ins Gesicht und ich machte mich auf die Suche nach Joshua. Weit konnte er ja nicht sein, also ging ich ins Esszimmer, wo ich ihn dann auch am Tisch sitzen sah. „Sag mal ... deine Eltern, was meinst du wann die ...fertig sind?“, fragte ich stotternd. „Keine Ahnung, in zehn Minuten vielleicht!?“, erwiderte er und spielte mit einem der Äpfel. Ich nickte kurz. Das dies ausgerechnet in meinem Zimmer treiben mussten! Ich werde wohl das Bett neu beziehen müssen, überlegte ich. Falls die überhaupt mein Bett benutzt hatten ...“Mmh“, brummte ich und hustete leicht.


„Du hast dir ne Grippe eingefangen“, stellte er nüchtern fest. „Was? Nein!“, qietschte ich. Er hob eine Augenbraue. „Okay, vielleicht“, gab ich zu und setzte mich schließlich ihm gegenüber. „Und was machen wir jetzt?“, fragte er nach einer Weile. „Wie wärs wenn wir an den See gehen?“, schlug ich vor. Mit einem Nicken stand er auf und wartete auf mich. Heute war wirklich die reinste Rennerei. Von einem Ort zum andern ... Seufzend stand ich auf und ging mit ihm durch die Glastür hinaus in den Garten, wo man den See schon erahnen konnte. Die Sonne ging bereits langsam unter und tauchte das Wasser in ein sanftes blau, das sogar ab und zu glitzerte. „Du hättest dir eine Jacke mitnehmen sollen." Joshua blickte mich besorgt an. Warte, besorgt? Der Typ ist ja doch zu Gefühlsregungen außerhalb von Wut fähig! „Es ist warm, außerdem bin ich schon krank, also bringt die Jacke auch nichts mehr“, konterte ich mit einem belustigten Lächeln.


„Du machst es damit aber auch nicht gerade besser“, erwiderte er nun genervt. Schon besser, so kannte ich ihn! Ich zuckte nur mit den Schultern und verschnellerte meine Schritte. Während ich mich schon auf den Rasen gesetzt hatte und hinaus auf den kleinen See sah, schlenderte Joshua nur langsam zu mir rüber. Ich schloss die Augen und ließ mich nach hinten fallen, sodass ich mit dem Rücken auf dem kühlen Gras lag. Plötzlich spürte ich einen kühlen Lufthauch und spürte eine Hand, die mit meinen Haaren spielte. „Macht es Spaß?“, fragte ich sarkastisch.


„Stört es dich denn?“ „Nein.“ Damit war das Thema abgehakt und er führte seine Tätigkeit fort. Irgendwann öffnete ich die Augen wieder und erschrak ein wenig, als ich sah, wie nah er mir gekommen war. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er beugte sich noch etwas weiter runter, bis seine Lippen ganz auf meinen lagen und sie besitzergreifend vereinnahmten. Verblüfft erstarrte ich erst, erwiderte dann aber den Kuss. Zaghaft öffnete ich meinen Mund etwas und empfing seine Zunge mit meiner.


„Ah, ich wusste doch, dass sie sich lieben!“ Erschrocken wichen wir auseinander. Mose und Sarah hatten sich also doch noch von meinem Bett lösen können, wie schön ...

6. Kapitel

 „Na dann, war schön den Menschen kennenzulernen, der sich meinen Sohn geangelt hat. Ich hoffe doch, du weißt, worauf du dich eingelassen hast“, sagte Sarah arrogant zu Joshua und warf mir einen letzten verächtlichen Blick zu, bevor sie sich bei Mose einhakte und durch mein Zimmerfenster nach draußen sprang. Man sollte meinen, jetzt wo sie keiner mehr sehen kann, benutzen sie die Haustür, aber anscheinend hatten sie ein Fabel für Freeclimbing. „Tja ... Ich denke ... Ich sollte jetzt mal, ähm, ...duschen gehen, oder so ...“, murmelte ich verlegen und steuerte das Badezimmer an.


Mit einem leisen Klack schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich daran hinunter gleiten. Verwirrt vergrub ich meinen Kopf in meine kalten Hände. Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, waren wir uns auf alle mögliche Weisen ausgewichen. Wir hatten uns nicht mehr angesehen, miteinander gesprochen und angefasst ja sowieso nicht. Diese ganze Situation war mir einfach nur total peinlich, vor allem weil uns seine Eltern auch noch beim Knutschen erwischt hatten. Für Mose ein Schritt in unsere gemeinsame Zukunft, für mich ein weiterer Grund den Kopf in den Sand zu stecken und darauf zu warten, das alles einfach von selbst verschwinden würde.


Seufzend stand ich auf und holte ein großes Handtuch aus dem kleinen Schränkchen direkt unter dem Waschbecken und entledigte mich meines Kleidchens. Vielleicht sollte ich mir doch mal die Mühe machen selbst einzukaufen, die Kleider meiner Mutter kamen mir Tag für Tag immer schlimmer vor ... Meine Unterwäsche landete schließlich auch auf den weißen Fliesen, sodass ich nun splitternackt da stand. Der Grund das ich das so betone ist folgender: Als ich gerade in die Dusche steigen wollte, öffnete sich die Tür mit einem großen Knall und ich fuhr erschrocken herum. Im Türrahmen stand meine Lieblings-Cousine Mabel höchstpersönlich!

 

„Was ...?“ Panisch schlang ich mir das Handtuch um meinen nackten Körper und trat nervös von einen Fuß auf den andern. „Spar dir deine Fragen, Cousinchen. Ich wollte dich nur informieren, dass ich schon heute Abend angereist bin und Mum vorgeschlagen hat, wir könnten eine kleine Modenschau veranstalten.“ Abwartend betrachtete sie ihre künstlichen Fingernägel. Ach ja, nur um das mal klarzustellen: Mit Mum meinte sie meine Mutter. Ihre leibliche Mutter war bei ihrer Geburt gestorben und da sich die Beiden ja eh so gut verstanden, war sie sowas wie eine Ersatztochter für Mum geworden.


„Wer ist eigentlich dieser heiße Typ in deinem Schlafzimmer? Gehört der wirklich zu dir?“ Verblüfft erniedrigte sie sich dann doch noch dazu, mich anzusehen. „Ähm, was? Achso, ja er ...“ „Ich bin ihr Freund“, kam es plötzlich von Joshua. Panisch klammerte ich mich an das Handtuch und versuchte dabei, möglichst meine Würde zu bewahren.
Verdammt, mussten die denn alle reinkommen, wenn ich gerade duschen wollte?

 

„So eine Sahneschnitte wie du gibt sich mit unserem Hasenzähnchen ab? Sei mir nicht Böse, aber du hast eindeutig etwas Besseres verdient“, flüsterte sie verführerisch. Er zuckte nur mit seinen Schultern und musterte sie skeptisch. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf gebunden und sich in ein hautenges Etui-Kleid gezwängt, das sich mit grünem Stoff an ihren Körper schmiegte. Ihr Gesicht war mit Make-Up zugekleistert und wirkte zu künstlich, um anziehend zu wirken. Hoffte ich zumindest ...


War ich etwa eifersüchtig? Dabei schien Joshua Mabel nicht mal besonders attraktiv zu finden, denn mit seinem Blick fixierte er ... MICH! Awwrrrr! Musste er mich so anstarren? „Könntet ihr vielleicht ...“ mit einer Handbewegung deutete ich an, dass die Beiden mich alleine lassen sollte. Mabel verdrehte nur die Augen, verließ das Zimmer aber. Joshua stellte sich als härtere Nuss heraus, denn er starrte mich hypnotisiert an. Jetzt war ich mit ihm alleine, super, dachte ich sarkastisch und versuchte mich davon nicht verunsichern zu lassen.


„Ähm, Joshua?“ Peinlich berührt sah ich ihn an. Wie ferngesteuert kam er auf mich zu und legte seine Lippen auf meine. Verwirrt versteifte ich mich sofort und versuchte, ihn von mir wegzudrücken. Mein Gott, ich stand hier immerhin nur im Handtuch! Er knurrt dunkel und küsste mich fordernder. Hatte er mich gerade angeknurrt, ernsthaft? „Hör auf!“, nuschelte ich gegen seine Lippen und versuchte meinen Kopf wegzudrehen, doch mein Gesicht lag eisern in seinen Händen. Seufzend gab ich auf und erwiderte den Kuss. Seine Lippen waren einfach zu sanft und gleichzeitig drängend.

 

Und glaubt mir, wäre ich nicht praktisch nackt vor ihm, hätte ich mich überhaupt nicht gewährt ...


Zufrieden schnurrte er und küsste sich an meinem Hals hinunter, hielt kurz inne und leckte gierig über meine Hauptschlagader, die unregelmäßig im Takt meines Herzens pochte. Plötzlich bohrten sich seine Eckzähne in mein Fleisch und Joshua stöhnte wohlig auf, während er Schluck für Schluck mein Blut trank. Ein so wahnsinniges Glücksgefühl überschwemmte mich, dass meine Beine nachzugeben drohten. Er hob mich hoch und setzte mich auf die Marmorplatte, in der das Waschbecken eingelassen war. Ich schlang meine Beine um seine Hüften und streckte ihm meinen Hals entgegen.

 

„Hey, Liz, wir warten! Wenn ihr mit der Knutscherei dann aufhören könntet!?“, kam es plötzlich. Genervt schloss ich die Augen und drehte mich widerwillig mit dem Gesicht zu Mabel, die am Türrahmen lehnte und uns missbilligend musterte. Joshua dachte gar nicht daran, sich von mir zu lösen und trank in Ruhe weiterhin mein Blut. Mabel konnte davon natürlich nichts sehen, für sie sah es eben genau wie eine stink normale Knutscherei aus. „Zisch ab, Cousinchen, du störst“, zischte ich und verdrehte die Augen. „Ich denk gar nicht dran. Immerhin will ich dich noch in deinem Ballkleid sehen.“ Mit einem überlegenden Lächeln wandt sie sich ab und schloss hinter sich die Tür.


„Na super.“ Seufzend klopfte ich Joshua einmal auf den Hinterkopf und hoffte, er würde kein Drama daraus machen und sich sofort von mir lösen. „Hey, Komm schon.“ Langsam wurde mir schon schummrig und ich krallte mich an seinen Schultern fest, um nicht gleich nach hinten gegen den Spiegel zu knallen. Plötzlich waren seine Fänge weg und besorgte Finger tasteten meine Stirn ab. „Scheiße, tut mir leid. Ich ... Ich habe die Kontrolle verloren“, flüsterte Joshua nervös. Ich nickte, hielt mir aber den Kopf. Irgendwie konnte ich seine Konturen nur noch unscharf erkennen. Vorsichtig hob er mich hoch und legte mich auf mein Bett.


„Gehts?“ Dumme Frage, geht’s? Ne, geht nicht! „Hier, Wasser.“ Mit diesen Worten drückte er mir ein Glas in die Hand. Ich trank ein paar Schlücke und fühlte mich gleich ein bisschen besser. „Danke“, murmelte ich leise. „Keine Ursache, ist schließlich meine Schuld, dass es dir jetzt scheiße geht.“ Er strich sich durch seine schwarzen Haare und beugte sich dann wieder über mich. Er drückte mit einer Hand mein Gesicht zu Seite, mit der anderen stütze er meinen Hals. „Sag mal spinnst du? Du willst ernsthaft schon wieder von mir trinken?“, herrschte ich ihn an. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich will nur deine Wunde verschließen." „Vergiss es, das mach ich selber“, zischte ich und schwang meine Beine über die Bettkante.


Ins Badezimmer würde ich es schon schaffen und dann musste ich nur noch ein passendes Pflaster finden. Schwankend richtete ich mich auf und ging mit kleinen Schritten zurück zum Bad. „Warte, ich helfe dir.“ „Ich kann auf deine Hilfe verzichten!“ „Stell dich nicht so an.“ Ohne auf meine Worte zu achten, griff er nach meinem Ellenbogen und stütze mich, bis ich am kleinen Schränkchen angekommen war. In dem untersten Fach fand ich noch ein passendes Pflaster, dass ich auf die blutende Stelle klebte. „Das wird nicht reichen. Die Stelle kann sich entzünden. Lass mich doch einfach einmal drüber lecken“, hauchte er von hinten in mein Ohr.


Ein Schauer fuhr über meinen Rücken, doch ich schüttelte meinen Kopf. „Vergiss es“, hauchte ich ebenso leise und wischte mir das getrocknete Blut vom Hals. „Ich muss nach unten. Mum und Mabel warten. Ach ja willst du Mabel noch manipulieren? Wäre ein bisschen peinlich, wenn sie die Einzige wäre, die dich sieht, oder?“, fragte ich und tappste unsicher ins Kleiderzimmer, während Joshua sicherheitshalber hinter mir lief. „Ja, kannst du sie in die Küche locken?“ Ich nickte nur und suchte einen trägerlosen schwarzen BH mit der passenden Unterhose heraus, die ich mir kurzerhand über den Arm legte. Aus dem Schlafzimmer meiner Eltern holte ich noch mein Ballkleid, das ich dort gezwungenermaßen auch noch anzog.


Ich stellte mich vor den Spiegel und konnte nicht glauben, dass das wirklich ich war. Dunkelblauer enganliegender Stoff umschlang meinen Körper und fächerte auf Kniehöhe aus. Es war wunderschön und, auch wenn ich nun etwas blass war, sah auch ich wunderschön aus. Na gut meine grünen Spitzen stachen wirklich heraus und passten nicht wirklich zum Farbton des Kleides, ABER ich würde sich ja sowieso in einer Hochsteckfrisur verstecken müssen. Also war das gar kein Thema.


„Fertig?“, kam es draußen von Joshua. Anstatt zu antworten kam ich durch die Tür und sah direkt in sein verblüfftes Gesicht. „Du siehst wunderschön aus“, sagte er schließlich und strich behutsam über meine Wange. „Jaja, und jetzt lass nach unten gehen“, murmelte ich verlegen und stöckelte die Treppe runter ins Wohnzimmer. Also gut, erst einmal Mabel in die Küche locken und dann die anstehende Modenschau überstehen, sagte ich mir und versuchte das Ganze optimistisch zu sehen.


„Ähm Mabel, kannst du mir mal mit dem Kleid helfen“, fragte ich gespielt verzweifelt und versuchte dabei so auszusehen, als wäre es irgendwo zu eng oder gerissen oder was man sonst eben so hat. Mum war natürlich begeistert, dass ich ausgerechnet Mabel gebeten hatte mir zu helfen. Ich konnte nur hoffen, dass eben diese noch kein Wort über Joshua verloren hatte. Ich ging so schnell ich konnte ohne zu stolpern in die Küche und lehnte mich gegen die Arbeitsplatte. Man das erinnert mich gerade an heute Mittag, als ... naja ihr wisst bestimmt, was ich meine.


Als Mabel dann den Raum betrat klatschte Joshua ihr die Hand auf die Stirn (und nein KLATSCHEN war in diesem Fall keine falsche Wortwahl) , sodass sie zur Seite sank. Er fing sie auch nicht auf, blubberte nur die nötigen Worte vor sich hin und ließ sie liegen, bis sie nach ein paar Sekunden die Augen aufschlug. „Was ist denn passiert?“, fragte sie verwirrt. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Bist gestolpert und mit der Stirn gegen die Wand geknallt.“ Eine ganz tolle Ausrede, Liz! Passte gerade so zu dem Abdruck auf ihrer Stirn. Mmh, ob das bis nächste Woche weg wäre? Vielleicht wird es ja noch grün, oder blau? Würde ihr bestimmt gut stehen ...


“Au“, murmelte sie. Ich drückte ihr eine Tüte tiefgekühlte Erbsen in die Hand und half ihr hoch. „Sollte ich dir nicht bei irgendwas helfen?“, hackte sie nach. „Ja, hat sich erledigt. Komm, du musst noch dein Kleid anziehen.“ Mit einem falschen Lächeln begleitete ich sie ins Gäste-WC und setzte mich zu Mum aufs Sofa. „Das Kleid steht dir wirklich hervorragend. Aber ich seh schon: Du hast dich beim Essen nicht zurückgehalten.“ Tadelnd deutete sie auf meine Oberarme. „Jaja.“


Seufzend verschränkte ich meine Arme vor dem Bauch und wartete auf meine Cousine, damit sie das Highlight von Mums Tag werden konnte. Mit wackelnden Hüften schwang sie sich zu uns auf das weiße Leder und wartete auf das Urteil. Begeisterndes Geschrei von Mum, genervtes Gegrummel von mir. „Oh Mabel, wunderschön, wunderschön.“ Den Tränen nah (kein Witz, ihre Augen haben geglänzt) nahm sie ihre Ersatztochter in den Arm. Okay, zugegeben. Meine Cousine sah in dem Kleid ausnahmsweise normal aus. Sie hatte ein tiefrotes, weit ausgeschnittenes Kleid an, das ihre nicht vorhandenen Rundungen optimal betonte. Wie gesagt normal. Sonst war sie eher spärlich bekleidet und wirkte zusammen mit ihrem wasserstoffblondem Haar recht billig. Joshua hatte sich auf den leeren Sessel gesetzt und betrachtete das Ganze interessiert.


„Und was ist mit deinem Kleid Mum?“, hackte Mabel nach. Mit diesen Worten zerrte sie meine Mutter vom Sofa und drückte ihr einen durchsichtigen Sack in die Hand. „Na gut. Aber nur weil du es bist.“ Ach, wie mich das anpisste! Früher hab ich ja immer noch versucht gegen Mabel zu bestehen, aber heute ertrug ich es einfach und ging den Beiden so gut es ging aus dem Weg. Nach zehn Minuten kam sie in einem kurzen rosè-farbenen Cocktailkleid herein, das ziemlich gewagt war. Versteht mich nicht falsch, aber Mum neigte zur Übertreibung: Hinten ein Ausschnitt bis zur Hälfte des Rückens, und vorne ein kreisrunder Ausschnitt der gerademal das Nötigste bedeckte.


Mabel war natürlich begeistert und so verlief dann auch der Rest des Abends. Aufgeregtes Geschrei und hysterisches Lachen, während ich gezwungen wurde anwesend zu bleiben. Dabei hätte ich tausendmal lieber in meinem Bett gelegen und mich ausgeruht, denn ich war noch immer nicht ganz auf der Höhe. „Ich bin müde, kann ich vielleicht schon mal schlafen gehen“, gähnte ich. Mum verdrehte die Augen


„Na gut, Spätzchen, aber denk daran Morgen Mabel mit zu Marie zu nehmen“, ermahnend hob sie noch ihren Zeigefinger, ließ sich dann aber relativ schnell wieder von meiner Cousine in ein Gespräch verwickeln. Mit nackten Füßen und gefolgt von einem schewigenden Joschua, tappste ich die Stufen zu meinem Zimmer hoch und ließ mich erschöpft auf das Bett fallen.


Erstens hatte ich mir doch tatsächlich eine Grippe eingefangen, zweitens hatte mich Joshua fast leer gesaugt und drittens hatte sich meine absolute Hass-Cousine bei uns eingenistet. Alles Gründe sich die kommenden Tage im Bett zu verkriechen und erst wieder aufzutauchen, wenn sich meine Probleme in Luft aufgelöst hatten. Doch leider würde Morgen wieder eine große Hürde auf mich zukommen und dann hieß es: fressen oder gefressen werden!

 

7. Kapitel

Eine Hand auf meinem nackten Bauch weckte mich und ich konnte mich grade noch so davon abhalten, los zu schreien. Mein Herz raste und meine Atem ging vor Schreck so schnell, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Erleichtert blickte ich in das noch schlafende Gesicht von Joshua und entspannte mich wieder. Seufzend stütze ich mich auf meine Ellenbogen und betrachtete den Jungen neben mir. Die schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht und verdeckten den größten Teil seiner Augen, die, wie ich wusste, in einem ebenso so tiefen schwarz glänzten und mich schon das eine oder andere Mal gefesselt hatten.


Die Hand auf meinem Bauch begann ein Eigenleben zu führen und rutschte von meinem Bauch in tiefere Regionen. Meine Augen wurden groß und ich konnte sie grade noch rechtzeitig weg stoßen, bevor sie meinen empfindlichen Punkt getroffen hätte. Grummelnd drehte er sich auf den Rücken und entblößte damit sein beachtliches Six-Pack. Fasziniert kaute ich auf meiner Unterlippe und malte in der Luft seine Muskeln nach. Ihn wirklich zu berühren traute ich mich nicht, denn ich hatte Angst davor, dass er plötzlich aufwachen würde. Gott, bei diesem Körper könnte ich anfangen zu sabbern und ich wäre bestimmt nicht die Einzige.


Ein leises Seufzen entfuhr meinen Lippen und ich hievte mich vom Bett, das heißt, ich wollte, aber er lag im Weg. Ich sollte mein Bett eindeutig umstellen, wenn ich nicht jedesmal über ihn steigen wollte, wenn ich aufstand. Mit einem lauten Krachen landete er kurzerhand auf meinem Zimmerboden und hielt sich stöhnend seinen Kopf, der beim Aufprall wohl gelitten hatte. Naja, ein großer Schaden würde eh nicht bleiben, schließlich war er doch ein unbezwingbarer Vampir!


Vom Schlaf noch etwas ungelenk, hievte ich mich vom Bett und ging Richtung Bad, wo ich mich erstmal unter die Dusche stellte. Gestern hatte ich es ja nicht mehr geschafft. Und wenn wir gerade schon mal beim Thema sind: Was war das gestern? Nicht das es mir nicht gefallen hätte, aber er hatte mich nicht nur einmal, sondern gleich zweimal geküsst. Was war nur in ihm vorgegangen? Hatte er mich nur geküsst, weil er Durst hatte? Plötzlich kam ich mir ziemlich dreckig vor. Er musste mir nur seine Lippen aufrücken und schon warf ich mich ihm an den Hals. Ich hätte mich wehren solle, aber ich hatte es nicht getan, denn er hatte mich in diesem Moment einfach gefangen genommen. Seine Lippen ... so sanft auf meinen.


Wie betäubt strich ich mit den Fingerspitzen über meine Unterlippe. Hatte er vielleicht Gefühle für mich? Bei diesem Gedanken schlug mein Herz schneller. Verblüfft hielt ich kurz inne. Die wohl wichtigere Frage war: Hatte ich mich etwa in IHN verliebt? Verwirrt lehnte ich meinen Kopf an die vom Wasserdampf feuchten Fliesen und entspannte mich unter dem heißen Wasser. Ich merkte gar nicht, wie viel Zeit bereits vergangen war, als es plötzlich an der Tür klopfte. „Liz, mach das du aus dem Bad kommst. Du bist schließlich nicht mehr allein hier, und ich will auch duschen“, schrie Joshua durch die Tür. Nein, er ging mir immer noch auf den Senkel!


Mit einem genervten Stöhnen schaltete ich das Wasser ab und hüllte meinen nackten Körper in ein flauschiges Handtuch. Eins war klar: Wenn ich mich tatsächlich in so einen Arsch verliebt hatte, war ich noch erbärmlicher, als ich bis jetzt dachte ... Ich schnappte mir meine Unterwäsche, die ich auf den Boden fallen gelassen hatte und überdachte nochmal meine Schlafkleidung. Ich sollte mir einen Pyjama besorgen, wenn ich das Schicksal nicht herausfordern wollte - und das sollte ich definitiv nicht wollen!


Ich öffnete die Tür und prallte gegen eine steinerne Brust. War ja klar, dass das Schicksal mich reizen wollte. Wie sollte ich mir bitte über meine Gefühle klar werden, wenn er mich durch so etwas dermaßen beeinflusste? Wahrscheinlich würde ich zu allem „Ja und Amen“ sagen sobald er mich mit diesem Pracht-Körper beglückte. Schon allein diese Muskeln verzückten meine Libido und ich merkte, wie mir langsam aber sicher die Kontrolle über meine Gedanken entglitt.


Ich wich einen Schritt zurück und sah verlegen auf den Boden. Eine verräterische Röte stieg in meine Wangen und ich hoffte, er würde es nicht merken. „Kannst du mir mal erklären, warum du mich vom Bett geschmissen hast?“, knurrte er schlecht gelaunt. Seine Augen schienen noch dunkler als sonst und seine Stirn zierten einige tiefe Falten. „Ähm ...“ Gott, konnte er nicht irgendwo anders hinsehen? Und wo bitte ist meine Schlagfertigkeit geblieben? Sehr geistreich, Liz! Verunsichert trat ich von einem Fuß auf den Andern und wich seinem Blick aus.


„Hör auf rum zu zappeln und antworte mir!“ Kalt durchschnitt seine Stimme die Luft und ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken. „Ich wollte aufstehen und du lagst im Weg.“ Gespielt cool zuckte ich mit den Schultern und hoffte, dass das Thema damit beendet wäre, doch falsch gedacht. Er kam mir immer näher und stoppte erst, als uns nur noch wenige Zentimeter von einander trennten. „Und dir kam nicht in den Sinn ÜBER mich zu klettern oder mich wenigsten zu wecken, anstatt mich vom Bett zu stoßen?“, zischte er in mein Ohr. Ich schluckte einmal hart und zischte ihm dann ebenfalls so aufgebracht ein „Hätte ich gewollt, dass du so aufwachst, hätte ich es so gemacht“ entgegen, bevor ich mich an ihm vorbei in mein Zimmer drängte und meinen BH wie eine Ertrinkende umklammerte.


Ich hörte, wie die Tür zu schlug und das Wasser wieder prasselte. Das war zwar definitiv nicht mein bester Spruch gewesen, aber ich hoffte, dass er nicht gemerkt hatte wie nervös ich gewesen war. Gott, ich wusste noch nicht mal, OB ich in ihn verliebt war und trotzdem verhielt ich mich wie ein scheues Reh, das die Klappe nicht aufmachen konnte! Awrrr! Alles nur seine Schuld, sagte ich mir, hätte er mich nicht geküsst, wäre alles beim Alten geblieben.


Doch mir blieb nicht viel Zeit um mich über ihn aufzuregen, denn kaum hatte ich mich in eine meiner wenigen Jeans gezwängt wurde die Tür aufgerissen und eine sichtlich aufgeregte Mabel kam ins Zimmer gestürmt. Warum kamen in letzter Zeit eigentlich die Leute immer in mein Zimmer, wenn ich halb nackt war? Kopfschüttelnd sah ich sie fragend an und suchte nach einem Top, das wenigstens ansatzweise meinem Geschmack entsprach.


„Mum meinte du würdest mich heute zu einer Freundin mitnehmen?“ „Da hat sie falsch gedacht“, sagte ich trotzig und hoffte einfach ich könnte mich aus der Sache rausreden, wenn ich nur stur genug war. „Du hast keine Wahl“, murmelte sie und kämmte sich mit ihren Händen ihre blonden Haare, die schon Morgens früh toupiert in alle Richtungen ab standen. Seufzend zog ich mir ein weißes Top an, welches einen Achselausschnitt hatte und so den Blick auf meinen schwarzen Spitzen-BH frei gab. Vielleicht ein wenig freizügig, aber definitiv besser, als in einem von Mums Fummeln auf der Party zu sitzen und ständig von ungläubigen Blicken umgeben zu sein.


Mabel musterte mich kritisch und ließ ihren Blick besonders lange über meine grünen Spitzen gleiten. Ich verdrehte die Augen und ging aus meinem Kleiderschrank auf mein Bett zu, um mich darauf sinken zu lassen. Wenn ich mich schon mit ihr rumschlagen musste, dann wenigstens so bequem, wie möglich. Mein Handy vibrierte und ich erkannte Maries Nummer.


Hey Süße, ich kann nur für dich hoffen, dass du deine ungebetenen Gäste unter Kontrolle hast! Ich will mir nämlich nicht die Party von einer eingebildeten Pussy kaputtmachen lassen. Ach ja, ist dir 12 Uhr recht? Dann schaffen wir alles und ich hab Zeit mir zu überlegen, wo ich dein Cousinchen am besten verstecke, vielleicht im Keller? Da ist Flucht unmöglich!


Kichernd schrieb ich ihr mein Einverständnis, besonders der letzte Punkt würde mir gefallen, doch meine Mutter würde dann wahrscheinlich Monate lang nicht mehr mit mir reden. Wenn ich´s mir überlege nur ein Grund mehr, um Mabel eine Weile los zu werden ... „Sag mal, läuft da deine Dusche?“ Verwirrt hielt ich inne und meine Augen wurden groß, als ich verstand, worauf sie hinaus wollte. Zögernd nickte ich und versuchte verzweifelt eine Ausrede zu finden.


„Bessere Luftfeuchtigkeit, wenn du verstehst ...“, stotterte ich und bekam schon wieder diese komische hohe Stimme, wie immer, wenn mir etwas unangenehm war. Und Lügen waren für mich unangenehm, besonders wenn sie so bescheuert war wie meine gerade ... Mabel hob ihre perfekt gezupften Augenbrauen und drückte interessiert die Klinke hinunter. „NEIN!“, schrie ich, doch bevor ich sie aufhalten konnte, war sie schon im Bad verschwunden. Aufgebracht stürzte ich ihr nach und machte mich auf das Schlimmste bereit. Von aufgebrachtem Gekreische, bis hin zu dumpfen Beleidigungen war ihr alles als Reaktion zuzutrauen.


„Hm ... außergewöhnliche Art die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, kauf dir doch einen Luftbefeuchter!“, schlug sie begeistert vor und suchte sich gedanklich wahrscheinlich schon einen aus. Verwirrt sah ich nun in die Dusche. Ich hatte meine Augen nämlich panisch geschlossen, um Joshuas ... naja Körper nicht ansehen zu müssen. Nicht, das der nicht ansehnlich war. Im Gegenteil. Aber ich fürchtete, wenn ich ihn nackt sehen würde, wären meine Überlegungen über meine Gefühle umsonst und ich würde ihn wie eine läufige Hündin anfallen. Und an diesem Punkt fiel mir ein, dass SIE ihn gar nicht sehen konnte, ich dafür aber sehr wohl ...

 

Mit offenem Mund sah ich auf den Gott vor mir, der mich etwas überrumpelt ansah, dann aber seine Macho-Miene aufsetzte und mich arrogant betrachtete.


Ein roter Schimmer trat auf meine Wangen und ich versuchte vehement meinen Blick abzuwenden, doch er zog mich magisch an. „Hey, Liz, kommst du? Was ist denn?“, quietschte eine unangenehme Stimme in mein Ohr. Erschrocken stolperte ich ein paar Schritte ins Bad vor mir und wäre sogar fast auf die Fliesen gekracht, konnte mich aber gerade noch so wieder fangen. „Schrei doch nicht so!“, zischte ich sie an und dankte ihr innerlich dafür, denn sonst hätte ich wohl irgendwann angefangen zu sabbern. Oh man, wie peinlich ...


Ich stolzierte mit so viel Würde, wie ich noch zusammenkratzen konnte, aus dem Bad und schlug die Tür heftiger zu, als gewollt. „Sag mal, wie lange willst du die Dusche eigentlich noch laufen lassen?“, fragte sie während ein Bild nach dem andern durch ihr manikürten Fingernägel glitt. „Olek ... Mmh, den hab ich schon lange nicht mehr gesehen“, murmelte sie vor sich hin, schien aber noch auf eine Antwort zu warten. „Noch eine Weile.“ Meinetwegen konnte er den ganzen Tag darunter verbringen, Hauptsache ich musste ihm nicht begegnen ...


“Wollen wir los?“ Ich sah auf meinen Wecker und schüttelte den Kopf. „Wir müssen erst um halb hier los, also haben wir noch ne Stunde Zeit. Außerdem würde ich gerne noch frühstücken, bevor wir uns in die Partyplanung stürzen“, erwiderte ich und zog einen Schmollmund. Andererseits konnte ich auch nicht frühstücken, wenn er nicht heraus kam ...


Seufzend warf ich meinen Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke. Ich musste Mabel loswerden, sie brachte mich noch zur Weißglut, indem sie mit ihren Fingern immerzu den Takt von I'm a big girl nachahmte. „MABEL!“, brummte ich genervt. Sie stockte kurz, fuhr aber fort. „Weißt du was, geh doch einfach schon mal nach unten und sag Theo, er soll was zu Essen machen“, schlug ich vor und versuchte wirklich einen freundlichen Ton einzuschlagen, was eher kläglich gelang.


Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen, nickte aber und rauschte (Gott sei dank!) ab. Als ich sie die Treppe runtergehen hörte, schlug die Tür auf und Joshua kam (leider...) bekleidet in mein Zimmer. Nichts desto trotz sah er wieder mal hammer aus. Okay, er hatte das Gleiche wie die letzten Tage an, aber hey, er könnte auch in nem Müllsack rumrennen und wäre der schärfste Kerl auf Erden!

 

„Na, hat dir mein Anblick gefallen?“, fragte er spöttisch und trieb mir mit seinen Worten die Röte ins Gesicht. Gespielt cool verschränkte ich ungläubig die Arme vor der Brust und betrachtete ihn abwertend von oben bis unten. „Nein“, sagte ich kalt und erhob mich vom Bett. Er atmete zischend aus und war schneller bei mir, als ich es registrieren konnte. „Wirklich nicht?“, hauchte er verärgert in mein Ohr. Sein Atem in meinem Nacken, verursachte bei mir eine Gänsehaut und ich musste ein wohliges Seufzen unterdrücken.


„Nein.“ Selbst für meine Ohren klang das sichtlich schwach und ein Lachen hinter mir bedeutete mir, das er das genauso sah. „Du bist eine schlechte Lügnerin ...“, flüsterte er belustigt und verteilte sanfte Küsse auf meinem Hals. Zwei kleine Spitzen kratzten über die Haut und ich stöhnte auf. Warte mal, Spitzen ...? „STOP!“, quietschte ich erschrocken, drehte herum und zeigte vorwurfsvoll mit meinem Zeigefinger auf den schwarzen Engel vor mir. „Vergiss es! Behalte deine Zähne bei dir, verstanden? Wag es auch nur in die Nähe meines Halses zu kommen und du wirst dir wünschen nie geboren zu sein!“, zischte ich wütend. „Mmmh, der Hals ist ja nicht die einzige Möglichkeit ...“, deutete er an und kam aufreizend langsam auf mich zu. Ich ging ein paar Schritte zurück und stieß schon bald an meinen Schreibtisch. Eingekeilt zwischen ihm und dem Tisch machte sich leichte Hilflosigkeit in mir breit.


„Joshua, ich warne dich ...!“ drohend blitzte ich ihn an. Kurz vor mir blieb er stehen und fuhr mit seiner Hand an meiner rechten Seite entlang. Mit seinem Daumen glitt er Richtung Innenschenkel und mir stockte der Atem. „Da“, er verstärkte seinen Druck „ ... ist zum Beispiel eine sehr gute Ader“, murmelte er dunkel und fuhr mit mit seinen Fingern hoch und runter. Mein Herz schlug so schnell, das ich Angst hatte, er würde es spüren, wenn er noch näher rücken würde.


„Joshua ...“, versuchte ich es stockend noch einmal. Verdammt, wollte ich nicht eigentlich auf Abstand gehen? „Warum wehrst du dich?“, fragte er und strich mit seiner Nasenspitze meinen Kiefer nach. Ich krallte meine Finger in das Holz des Tisches und versuchte vergeblich einen klaren Kopf zu bewahren. „Weil ich dich liebe!“, stieß ich plötzlich hervor. Er stockte abrupt in seiner Bewegung und mit einem Schlag wurde mir klar, was ich da grade gesagt hatte. Das Knistern zwischen uns verflog und machte einer drückenden Stille Platz. Er bewegte sich nicht und ich hielt vor Angst den Atem an. Scheiße, scheiße, scheiße!


Verdammt, was hatte ich da nur gesagt? Gott, ich wusste ja noch nicht mal, ob ich überhaupt in ihn mochte! Der Druck auf meinen Innenschenkel war schmerzhaft geworden und ich konnte mir nur mit Mühe ein Wimmern unterdrücken. „Hey Liz, Essen ist fertig!“, kam es aus der Tür und ich sah erschrocken zur Seite. Dort stand Mabel, hässlich wie eh und je und hatte keine Ahnung was sich hier gerade ohne ihr Wissen abspielte. Ich nickte zögernd und Joshua löste sich langsam aus seiner Starre. Er wich gerade so viel zurück, das ich mich vom Schreibtisch abstoßen konnte und sah dabei stur auf den Boden.


Mein Schenkel pochte, doch ich ignorierte es gekonnt. Verzweifelt überlegte ich, wie ich das wieder gerade biegen konnte, doch mir fiel nichts ein. „Alles gut bei dir? Du bist so blass, steht dir gar nicht“, fragte Mabel hochnäsig und zog mich ohne die Antwort abzuwarten am Handgelenk aus dem Zimmer. „Nein, alles gut“, sagte ich trotzdem heiser und folgte ihr die Treppe runter. Ich sah im Augenwinkel, wie sich Joshua auf mein Bett setzte und sich durch seine rabenschwarzen Haare fuhr.


Ich biss auf meine Unterlippe und konzentrierte mich darauf Stufe für Stufe zu laufen, um nicht zu stürzen. Meine Knie fühlten sich an wie Wackelpudding: Jederzeit bereit einfach wegzuknicken! Bereits auf dem Flur merkte ich das Ziehen, doch ich kämpfte mich, wenn auch ein wenig verkrampft, weiter. In der Küche standen frisch dampfende Pfannekuchen. Sogar mit Ahornsirup übergossen, so wie ich es am Liebsten mag. Seufzend setzte ich mich an den Esstisch und ließ mir von Theo einige davon auf einen Teller tun. Lustlos stocherte ich darin herum und bereits nach einer Minute sah es aus wie auf einem Schlachtfeld.


„Miss McCallough stimmt etwas nicht mit dem Essen?“, fragte Theodore angesäuert und sieht mit Argusaugen auf die ehemalig liebevoll zubereiteten Pfannekuchen. Gott, hier stimmte einiges nicht. Ich zum Beispiel. Ich schüttelte den Kopf und schob den Teller endgültig von mir. „Ich habe nur keinen Hunger, Theo. Danke“, murmelte ich und verschränkte meine Arme vor dem Bauch. Er nickte und nahm mein Frühstück mit in die Küche, wo er es in die Mülltonne warf. „Wo ist Mum?“, fragte ich in die Stille hinein. „Sie ist im Park und schreibt an ihrem Roman weiter. Sie hat eine neue Figur eingefügt, wirklich sehr gelungen“, antwortete Mabel und ich bemerkte ein anerkennendes Funkeln in ihren Augen.


Auch wenn Mabel egoistisch, selbstsüchtig, arrogant, und höchstwahrscheinlich auch sadistisch veranlagt war, so erkannte selbst ich, dass sie meine Mum über alles liebte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre eigene Mutter verloren hatte, vielleicht auch daran, dass die Beiden sich so ähnlich waren, aber wenn man es objektiv betrachtete, waren sie das perfekte Mutter-Tochter-Duo. „Wir müssen gleich los“, erinnerte sie mich und schob sich den letzten Bissen von ihrem einzigen Pfannekuchen in den Mund.


Kein Wunder, dass sie so schlank war, sie aß ja auch nichts, überlegte ich argwöhnisch und war froh über diese passende Ablenkung. Doch dann schoben sich ihre Worte in mein Gehirn und erinnerten mich daran, dass ein gewisser Vampir sich noch oben in meinem Zimmer befand und irgendwie mit zu Marie geschleift werden musste. Ich stand auf und quälte mich die Treppe hoch. Auch wenn die mit jedem Schritt weniger werdenden Schmerzen mir eine Last von den Schultern nehmen sollten, wurde mir so schwer ums Herz wie noch nie.


Denn mit jedem Schritt kam ich auch dem Unausweichlichem näher! Ich schluckte hart und nahm zögernd auch noch die letzte Stufe. Die Tür zu meinem Zimmer war geschlossen und ich wünschte, ich könnte mich einfach in Luft auflösen. Mit einer Hand auf der Türklinke nahm ich noch einmal einen tiefen Atemzug und öffnete zaghaft die Tür. Joshua stand mit dem Rücken zu mir am Fenster, das sich direkt neben meinem Bett befand.

 

Auch als ich eintrat, drehte er sich nicht um. „Wir müssen los“, sagte ich leise und sah verlegen auf den Boden. Anstatt zu antworten ging er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, an mir vorbei. Ich schloss verzweifelt die Augen und fuhr mir durch die Haare. Was hatte ich nur angestellt? Liebe? Wirklich Liz?

 

Unten erwartete mich bereits Mabel, die genervt an der Wand lehnte und immer wieder auf die Uhr schielte. Joshua stand steif mit verschränkten Armen mitten im Flur und betrachtete die schwarz/weiß gekachelten Fliesen. Na was für eine Partystimmung, dachte ich sarkastisch. Ich seufzte tonlos und nahm mir meine Jacke von der Garderobe. Immerhin wollten wir ja nicht, dass ich ganz krank wurde. Mein kleiner Schnupfen hatte sich anscheinend gelegt, doch ohne Schutz wollte ich mich auch nicht nach draußen begeben.


Mabel hüpfte aufgeregt auf und ab und schoss, kaum hatte ich die Haustür geöffnet, auf die Straße. Ich wusste wirklich nicht, was sie von diesem Abend erwartete, aber sie schien sich ziemlich zu freuen. Und das obwohl sie dort niemand kennen und die Party eher nicht nach ihrem Geschmack sein würde. Unbehaglich lief ich neben Joshua her und verfluchte mich aufs neue für meine Worte. Was hatte mich da nur geritten? Mabel lief ein Stücken vor mir und sang irgendeinen Song vor sich her, während mein Kopf immer weiter nach unten wanderte. Dieser Tag konnte ja nur schlimm werden ...


Da Marie nicht weit von mir wohnte, konnte ich schon nach zehn Minuten das kleine Einfamilienhaus erkennen, das bereits mit unzähligen Girlanden geschmückt worden war. Ich fragte mich ernsthaft wie früh meine beste Freundin aufgestanden war, schließlich war es erst (kurz aufs Handy gucken) viertel vor zwölf! Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Sie war wirklich ein tüchtiges Bienchen, aber was bitte soll ich dann schon hier? Ich hatte eindeutig Besseres zu tun, zum Beispiel mir zu überlegen, wie ich mein kleines, großes Problem wieder hinbiege!


Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Joshua mich verstohlen musterte, jedoch schnell weg sah, als ich ihn dabei erwischte. Immernoch grübelnd, schlangen sich plötzlich zwei schlanke Arme um meinen Hals. Erschrocken quietschte ich auf und stolperte ein paar Schritte zurück.


„Oh Gott ich freu mich ja schon so auf heute Abend und ... oh! OH! Wer ist das denn?“ Überrumpelt sah sie zu Joshua, der sie nur kühl betrachtete. Mabel, die in der Nähe von Joshua stehen geblieben war, fühlte sich angesprochen und erwiderte ein enttäuschtes „Kennst du mich etwa nicht mehr?“ Was Marie genervt die Augen rollen ließ. „Dich meinte ich nicht“, antwortete sie abwertend und betrachtete entrüstet das rot-geplüschte Kleid, welches Mabel wie einen Kanarienvogel mit Föhnfrisur aussehen ließ. „Und WAS bitte trägst du da?“, hackte sie nach. Beleidigt zog meine Cousine einen Schmollmund und zupfte an dem Kleidersaum. „Das ist das Kleid aus der neuen Kollektion von Prada!“, rechtfertigte sie sich trotzig.


Ich hob eine meiner Augenbrauen und zog Marie in eine feste Umarmung. Irgendwie musste ich verhindern, dass Mabel erfuhr, dass alle andern etwas sahen, was sie selbst nicht sah. Und das würde vor allem die nächsten Stunden ziemlich kompliziert werden. Wenn das Haus erst einmal voll war, würde Joshua auch nicht mehr auffallen, dachte ich konzentriert.


„Und wer ist es nun?“, flüsterte sie mir leise ins Ohr. „Ein Bekannter von mir“, flüsterte ich ebenso leise zurück, froh, dass sie das Thema nicht laut aussprach. Sie hob anerkennend den Daumen und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Wir gingen in das kleine Haus hinein und setzten uns auf das Sofa. „Wollt ihr etwas trinken?“ Fragend sah sie in die Runde und blieb eine Sekunde zu lange an Joshua hängen. Dem Stich in meinem Herzen zu Folge fand ich das gar nicht gut. Huch, war ich etwa eifersüchtig? Jup, das war ich und ich konnte mir auch ein wütendes Funkeln nicht verkneifen.


Marie, der mein Blick nicht entgangen war, verdrehte die Augen. Ich dagegen atmete beruhigend ein und aus. Das würde heute eindeutig noch öfter passieren, also sollte ich mich damit abfinden, mahnte ich mich zerknirscht. „Also, was ist nun? Trinken?“ Ein einstimmiges Nicken erfolgte, das heißt fast einstimmig, denn Joshua ignorierte natürlich mal wieder alle. Wenig später tauchte sie mit 4 Gläsern und einer Flasche Cola wieder auf. „Vier Gläser?“, fragte Mabel verwirrt. Marie sah mich bedeutungsvoll an und ich zuckte nur entschuldigend mit den Schultern. „Sie hat es nicht so mit dem Rechnen“, flüsterte ich ihr zu und sie nickte verständnisvoll.


Gott, möge mir diese Lügen verzeihen! „Marie, wir sind nur zu dritt!“, wiederholte sie noch einmal. Ein heftiger Hieb in meine Seitengegend bestrafte mich dafür meine Cousine mitgebracht zu haben. „Tut mir ja leid“, jammerte ich leise und gab ihr einen entschuldigenden Kuss auf die Wange. „Außerdem will er sowieso nichts“, fuhr ich fort, sodass Marie tatsächlich nur drei Gläser mit der schwarzen Flüssigkeit füllte. Während meine Busen Freundin den Plan für die Deko erklärte, kippte Mabel bald vom Stuhl, so weit hatte sie sich zu Marie vorgelehnt.


Diese rutschte schon unruhig hin- und her, wusste anscheinend aber nicht, was sie dazu sagen sollte. Konnte es vielleicht sein, dass ...? Ich beobachtete die Blondine näher. Tatsächlich! Die funkelnden Augen, die geröteten Wangen, das merkwürdige Verhalten! Mabel war in Marie verliebt! Oh mein Gott! Verwirrt fragte ich mich, wie lange das wohl schon so ging. Das letzte mal hatten sie sich auf meinem Geburtstag gesehen und der war nun schon drei Monate her. Ungläubig ließ ich mir das ganze durch den Kopf gehen und wenn ich genauer nach dachte, hatte Mabel sich schon auf meiner Party so verhalten.

8. Kapitel

 Aber Mabel und Frauen? So gewirkt hatte sie für mich nie, allerdings hätte ich sie auch nie auf diese Weise damit in Verbindung gebracht und so oder so bedeutete das Recht wenig. Schon alleine, dass sie sich für etwas anderes als sich selbst zu interessieren schien, war mir neu ...


“Sag mal Mabel ist alles okay? Du starrst mich so an ...“, fragte Marie unsicher nach. Diese richtete sich schnell auf und setzte wieder ihre Ich-bin-die-beste-und-alle-anderen-sind-scheiße-Miene auf. „Ja“, seufzte sie gespielt genervt. „Na dann ...“, murmelte ich leise schmunzelnd und warf ihr einen wissenden Blick zu, worauf sich eine leichte Röte in ihrem Gesicht bildete. „Wie wäre es, wenn wir die Bar einfach da drüben aufbauen und die Anlage direkt daneben?“, schlug Marie vor. „Meinst du? Ist die Gefahr dann nicht viel zu groß, dass die ganzen Getränke darüber gekippt werden?“, warf ich ein und runzelte zweifelnd die Stirn. Sie wog ihren Kopf hin- und her und nickte schließlich.


„Wir könnten sie auch in die Küche stellen“, merkte Mabel überraschend an und drei Köpfe drehten sich in deren Richtung. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass selbst bei Joshua ein gewisser Grad an Aufmerksamkeit zu erahnen war, welchen er jedoch gut versteckte. Es schien als würde er unbeteiligt und rein zufällig sein Kopf zu Mabel drehen und seine Augen nur aus erzwungener Höflichkeit an ihr hängen bleiben.


Dass meine Cousine sich in die Planung der Party mit einbrachte, war alles andere als selbstverständlich! Natürlich war sie das typische Party-Girl, aber sie war vom Charakter her zu flatterhaft, um sich mit etwas ausschweifendem wie Organisation zu beschäftigen. Sie überließ es lieber Anderen sich um so etwas zu kümmern und die Anderen waren normalerweise froh, dass sie sich nicht einmischte. Deshalb rechnete ich schon mit einer niederschmetternden Antwort Marie's, doch zu meiner Überraschung blieb sie still und lächelte zustimmend. Auch wenn Mabel äußerlich immer noch gleichgültig wirkte, so entging mir trotzdem nicht, das leichte, freudige Funkeln in ihren Augen.


„Hey Joshua, kannst du die Anlage vielleicht rüber schleppen?“, fragte meine Freundin an den einzigen Jungen hier gewandt, der sie überrascht und verärgert mit seinen schwarzen Augen anblitzte. Ungerührt sah sie ihn weiterhin an und wartete schweigend auf eine Antwort. Er brachte ein abgehacktes Nicken zustande und erhob sich elegant von der niedrigen Couch. „Wen meint sie?“, fragte Mabel an mich gerichtet und betrachtete Marie mit argwöhnischen Augen. Panisch suchte ich in meinem Kopf nach einer einfallsreichen Antwort, als meine Cousine plötzlich aufquietschte und sich zügig an die nächste Wand drängte. Verwirrt sah ich erst sie und dann den großen braunen Schnauzer an, der sich neben uns niedergelassen hatte und sich zufrieden das Maul leckte.


„Hast du etwa immer noch Angst vor Hunden?“, fragte ich lachend und tätschelte dem Vierbeiner den Kopf. „Das ist nicht witzig! Bitte, bring ihn weg, bitte ...“, jammerte sie und krallte sich an den Saum ihres roten Kleides fest. Augenrollend packte ich ich den Dicken am Halsband und führte ihn in den Flur, wo ich ihm entschuldigend den Bauch kraulte. Dass Mabel immer noch solche Angst vor Hunden hatte, amüsierte und rettete mich zugleich, denn mittlerweile gingen mir die Ideen aus. Auch wenn der Blondine bis jetzt noch nichts aufgefallen war, so würde sie bestimmt nicht mehr lange brauchen, bis sie merkte, dass sie etwas Entscheidendes nicht sehen konnte. Und ich konnte wirklich nur hoffen, dass sie auf der Sache nicht mehr rumreiten würde, dachte ich verzweifelt und machte mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, wobei ich an der Tür zur Küche vorbeikam.


„Und ...“, kam es drängend von Marie. „Was und ?“, brummte Joshua verständnislos. Ich konnte mir vorstellen, wie meine beste Freundin bei dieser Antwort die Augen verdrehte und ungeduldig an einer ihren braunen Haarsträhnen zupfte, die eigenwillig in ihrem Gesicht hingen. „Na, was läuft da zwischen dir und Liz?“, hackte sie nach. Schweigen. Angespannt lauschte ich und wartete auf eine Reaktion. Als ich mich schon abwenden wollte, brummte er ein unverständliches „Nichts“ und ich hörte Schritte auf mich zukommen. Enttäuscht und auch etwas ängstlich schlich ich zurück zu Mabel, die sich entspannt auf das Sofapolster gesetzt hatte. „Alles okay mit dir?“, fragte sie unwirsch und deutete auf meine glänzenden Augen.


Verwirrt strich ich mir die Tränen aus dem Gesicht und nickte schnell. Sie zuckte desinteressiert mit den Schultern und nippte an dem Glas Cola in ihren Händen. „Danke, dass du ihn weg gebracht hast“, murmelte sie und bedeutete mir mit ihrem Blick, das dieser Dank keineswegs unser Verhältnis ändern würde. Nicht, dass ich das je geglaubt hätte, denn egal wie zivilisiert die zwei Tage bisher verlaufen waren, so sicher war ich mir, dass der nächste Besuch durchaus anders verlaufen könnte. Außerdem sollte man den Tag ja nicht vor dem Abend loben! Und da sie ja noch ne Weile bei uns blieb, würde es noch genug Zeit geben, um sich zu zanken, beschloss ich düster und starrte auf meine Hände, während ich hörte, wie die Beiden zu uns zurückkehrten.


„So die Anlage ist jetzt drüben!“, lachte Marie unbekümmert und schenkte mir einen aufmunternden Blick, den ich gewissentlich ignorierte.

9. Kapitel (Joshuas Sicht)

 Joshuas´s Sicht

 

Kalt saß ich auf dem Sofa und sah an die längst verlassende Stelle, wo nur zwei Minuten zuvor noch die beiden Mädchen gestanden hatten. Ich hatte nicht wirklich darauf geachtet, worum es in dem Streit ging, ab und zu hörte ich meinen Namen und Ausrufe von Beschuldigungen, doch interessiert hatte es mich nicht. Es waren eben nur Menschen. Menschen, die zu Liz' Leben gehörten und um die ich mich deswegen eigentlich kümmern sollte. Aber sie waren mir doch irgendwie egal ... Verstohlen sah ich aus dem Augenwinkel zu ihr rüber. Ihr Gesicht wirkte ausdruckslos und ... traurig? Ich wusste, dass sie hinter der Tür gestanden hatte, als ich mit Marie sprach. Hatte es etwas damit zu tun? Gedanklich schüttelte ich den Kopf. Wahrscheinlich kümmerte es sie nicht wirklich, was ich über uns dachte. Wahrscheinlich dachte sie nicht mal an ein 'uns', überlegte ich nachdenklich.

 

Schlagartig wurde mir bewusst, dass wir nun alleine hier fest saßen. Nur sie und ich. Alleine. Das gerade noch einigermaßen angenehme Schweigen, wurde zu einer drückenden Stille. Seit sie „Weil ich dich liebe“ gesagt hatte, gingen mir diese drei Worte nicht mehr aus dem Sinn. Sie hatte so nervös gewirkt. So als wäre es die einzige Möglichkeit gewesen. Die einzige Möglichkeit vor mir zu fliehen war, mir etwas hinzuwerfen, womit ich nicht umgehen konnte: Gefühle. Irgendwo hatte sie damit ihr Ziel erreicht. Sie hatte es geschafft, mich loszuwerden. Ich würde sie nicht mehr anrühren, denn das würde alles nur noch schlimmer machen, dachte ich beklommen und nestelte wütend mit meinen Fingern.


Ich war wütend auf mich selbst, aber vor allem auf sie. Wie konnte sie so etwas sagen? Einfach so! Scheinheilig saß sie mir gegenüber und spielte gedankenverloren mit ihren Haar. Es fehlte nur noch der Heiligenschein, dann wäre alles perfekt, dachte ich höhnisch und warf ihr böse Blicke zu. Ihre Gesichtszüge blieben gleich. Immer noch ausdruckslos. Immer noch mit einer Spur Traurigkeit in ihnen. Nein, es musste definitiv etwas Anderes sein, das sie traurig stimmte. Sie sah auf und unsere Blicke kreuzten sich unabsichtlich. Stur hielt ich ihrem Blickkontakt stand und wartete darauf, dass sie zur Seite sah. Ich würde bestimmt nicht nachgeben und zum Weichei mutieren. Nur weil sie mich einmal einschüchtern konnte, hieß das noch lange nicht, das sie das immer konnte. Ich würde ihr schon zeigen, dass ich auch anders konnte. Sie würde schon noch sehen ....

 

10. Kapitel

 

Liz Sicht:

 

Wüten blitzte er mich an, doch ich traute mich nicht, meinen Blick abzuwenden. Es sah so vorwurfsvoll aus, wie er die Augen zu Schlitzen verengte und die Stirn angestrengt runzelte. Keiner von uns sah weg, doch irgendwann hörte ich Schritte im Flur und blickte zum Türrahmen, in dem eine aufgebrachte Marie stand. Mit geröteten Wangen und zerwühlten Haaren sah sie so aus als wäre es ein ziemlich angenehme Versöhnung geworden.

 

Täuschte ich mich, oder waren ihre Lippen tatsächlich etwas geschwollen? Vergnügt musterte ich sie lasziv und merkte, wie sie sich unter meinem Blick wandte. Na gut, dann sparte ich mir mein Kommentar eben. Die Wendung hatte ich wirklich nicht kommen sehen, wahrscheinlich war ich auch einfach zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen. Immerhin ist vor ein paar Tagen ein waschechter Vampir in mein Leben getreten, hatte mir schmerzhafte Magenprobleme verschafft und sich für die Ewigkeit an mich gekettet. Ob gewollt oder nicht, spielte hierbei keine Rolle! Das da meine Gefühle Kopf stehen ist ja wohl klar, dachte ich wenig überzeugt.

 

Ich mochte ihn, stellte ich schlecht gelaunt fest. Ich hatte mich in einen kompletten Idioten verliebt, der weder Gefühle kannte, noch sich sonderlich darum zu kümmern schien. Auf meine Worte hatte er auch nicht reagiert. Ich hoffte, dass ich wenigstens seinen Hunger damit verdorben hatte. Auf seine Zähne konnte ich nämlich momentan gut verzichten. Dann soll er sich halt ein Eichhörnchen fangen oder Diät machen, aber mein Hals war ab jetzt tabu. Er würde schon noch sehen, dass ich auch noch anders konnte ...

 

*Am Abend*

 

Die Party war bereits voll im Gange, als ich sah wie sich Mabel unsicher in den überfüllten Raum quetschte und nach jemanden zu suchen schien. Ihr rotes Prada-Kleid war zerknittert und ihre Augen geschwollen. Es war leicht zu erraten zu wem sie wollte, aber so ganz konnte ich das Alles noch nicht begreifen. Ich umklammerte die Bierflasche in meiner Hand noch etwas fester und stand mühselig von dem Sofa auf, das am heutigen Abend zu meinem Stammplatz geworden war. „Mabel!“, schrie ich durch die Musik hinweg und ihr blonder Haarschopf drehte sich in meine Richtung. Ich stolperte umständlich zu ihr herüber und deutete auf Marie, die eng umschlungen mit einem Typen, den ich als David erkannte, tanzte. Die Augen meiner Cousine wurden groß, bevor sie sie zusammenkniff, um Tränen zurück zu halten.


„Hey, alles gut. Sie sind nur Freunde“, lallte ich und klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken. „Sicher?“ Skeptisch betrachtete sie die Beiden. Ich nickte energisch und drückte ihr meine Flasche in die Hand. „Hier." Verwirrt sah sie mich an. Ich stöhnte genervt. „Zum Mut antrinken. Und jetzt geh da rüber und schnapp sie dir!“ Ich zwinkerte ihr kurz anzüglich zu und verschwand wieder zum Sofa, wo sich einige Leute platziert hatten, die mich nicht ganz so abstoßend fanden. Joshua saß nur gelangweilt am äußersten Rand der Couch und gab sich große Mühe mich weiterhin zu ignorieren. Er machte das gut. Wirklich. Aber ich konnte es einfach besser!


Mit Schwung ließ ich mich auf das weiche Polster sinken und nahm mir eine volle Bierflasche aus dem Kasten, den die Jungs vorsorglich in unsere Nähe gestellt hatten. „Mit wem hast du da geredet?“, kam es von einem Kerl, der sich mir als Steve vorstellte. „Meine Cousine“, artikulierte ich undeutlich und nahm erneut einen tiefen Schluck. Normalerweise stand ich eher auf die süßen Sachen, aber ich nahm was ich kriegen konnte und das war eben dieser Gerstensaft. Ich wollte mich einfach nur betrinken. Mag sein, dass Alkohol keine Lösung war, aber es war definitiv ein Weg!


„Sie ist heiß“, nuschelte er und fuhr sich durch das praktisch nicht vorhandene Haar. Er hatte sich alles bis auf wenige Millimeter abrasiert, was sein markantes Gesicht hervorhob, aber nicht gerade attraktiv wirkte. Ich wandt mich der Tanzfläche zu und begutachtete das Schauspiel, welches sich mir bot. Marie und David standen einen guten Meter voneinander entfernt und hörten der aufgebrachten Mabel zu, die mit ausschweifenden Bewegungen irgendetwas zu erklären schien. Meinem besten Freund schien das ganze ziemlich peinlich zu sein, denn er verabschiedete sich nach kurzer Zeit und ging in meine Richtung, was ihm aber auch nicht gerade bessere Laune bescherte.


„Hey“, krächzte ich und deutete auf den freien Platz an meiner linken Seite, da die Rechte ja bereits von Steve eingenommen wurde. „Hey“, antwortete er und spielte mit einer seiner dunkelblonden Strähnen, die verwegen hochgestylt worden waren. „Willst du was trinken?“, fragte ich verlegen. „Nein.“ Dankend schüttelte er den Kopf und zupfte nervös an seinem Hemd, das locker um seine stämmige Statur hing.


„Hast du das von Mabel gehört?“, versuchte er die unangenehme Stille zu durch brechen. „Ja, sie ist schon ne ganze Weile in Marie verschossen“, murmelte ich und nippte an meinem Bier. Er nickte wieder. „Du, ich ...“ setzte ich an, doch da hatte er schon seine Lippen auf meine gepresst und suchte mit seiner Zunge einen Weg in meinen Mund. Keuchend wich ich zurück und sah ihn pikiert an. „Tut mir leid, aber das musste ich einfach machen. Ich hab schon länger Gefühle für dich und ich denke wirklich, dass du dir das mit uns ...“


Plötzlich wurde er nach oben gezogen und landete kurz darauf vor Schmerzen stöhnend auf dem Boden. Verblüfft erkannte ich, dass Joshua sich aus seiner Starre gelöst hatte und nun drohend vor David stand. „Fass sie nie wieder an, verstanden?“ Knurrend trat er meinem besten Freund in den Bauch und schnellte herum. Mit wenigen Schritten war er bei mir am Sofa angelangt und zerrte mich an meinem Handgelenk nach oben und dann nach draußen, wo die frische Nachtluft mich erzittern ließ. „Wir gehen nach Hause.“ Bestimmend zog er mich weiter. „Du tust mir weh!“, ziscjte ich und wehrte mich vergeblich gegen seinen steinernen Griff.


Er lockerte ihn ein bisschen, verlangsamte seinen Schritt aber nicht. „Ich will aber nicht gehen!“, zeterte ich weiter und stolperte über eine Unebenheit der Straße (oder vielleicht doch über meine Füße?). Egal ,jedenfalls landete ich auf meinen Knien und hörte wie meine Jeans aufriss und sich der Asphalt schmerzhaft an meiner Haut zu schaffen machte. „Verdammt, jetzt hör auf damit!“ Verzweifelt schluchzte ich auf und hoffte, er würde nur einmal im Leben sich zu irgendwelchen Gefühlen durchringen können. Doch auch dieses mal stand nur Wut in seinem Gesicht geschrieben. Seine dunklen Augen musterten mich kühl und eine eisige Kälte legte sich über mich.


„Hör auf“, hauchte ich traurig und spürte wie eine Träne sich aus meinem Augenwinkel stahl. Doch bei ihm regte sich nichts. Derselbe Ausdruck wie immer. Kühl, distanziert, wütend. „Steh auf, wir gehen nach Hause“, zischte er unter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Nein, verdammt!“, schrie ich wütend und hievte mich hoch. „Ich werde mir nicht von irgendeinem egoistischen Idioten mein Leben versauen lassen, also reiß dich zusammen oder verschwinde wieder aus meinem scheiß Leben in das du ungefragt hereingeplatzt bist.“


Seine wässrigen Augen verengten sich zu Schlitzen, doch sonst regte sich nichts. Ich lachte enttäuscht auf und drehte mich um. Schon als ich bei der Haustür ankam spürte ich den wohlbekannten Schmerz, der mich wieder zu ihm ziehen wollte, doch auch den würde ich nur zu gerne ertragen. Ich stolzierte auf wackeligen Beinen in das Wohnzimmer, das von der lauten Musik vibrierte, lehnte mich gegen eine Wand und beobachtete die gut gelaunten, feierwütigen Partygäste, deren einzige Probleme sich um den zu neige gehenden Alkohol drehten.


Vor wenigen Tagen war ich noch genauso wie sie. Vielleicht nicht ganz so beliebt und vielleicht auch nicht ganz so dumm, aber letztendlich war ich auch nur ein 15-Jähriges Mädchen, das sich über ihre Eltern aufregte. Doch dann musste ich ja meinen 'Seelenverwandten' treffen, der sich als arroganter Vampir raus stellte und nun vergeblich versuchte mir Gehorsam beizubringen. Ich seufzte erschöpft und beschloss mich in Maries Zimmer hinzulegen, um ein wenig nachzudenken oder gegebenenfalls ein Nickerchen zu machen.


Ich ging eine steile Treppe hoch und bog scharf nach rechts ab, wo eine durchsichtige Schiebetür in das Reich meiner besten Freundin führte. Ich wollte diese gerade öffnen, als ich durch das Glas zwei eng umschlungene Leiber erkannte, die sich an einander rieben, als gäbe es keinen Morgen. Verwirrt blinzelte ich und machte auf dem Boden einen roten Stofffetzen aus, der mich verdächtig an das Kleid von Mabel erinnerte. Als sich die Beiden auf das Doppelbett fallen ließen, bemerkte ich süffisant grinsend, dass sich da zwei Frauen aneinander zu schaffen machten, und zwar niemand Geringeres, als meine Cousine und Marie. Na das wars dann wohl mit meinem Schläfchen was?

 

„Tut mir leid“ Erschrocken machte ich einen Satz zurück und sah in das demolierte Gesicht von David. Seine Nase war blutig und seine Lippe aufgesprungen. „Ich hätte das nicht machen dürfen“, führte er fort und kratzte sich verlegen am Kopf. Ich nickte bestätigend. „Ja, das hättest du nicht tun sollen. Tut mir auch leid. Wegen allem, aber vor allem wegen Joshua. Er ist normalerweise nicht so ...“, versuchte ich zu erklären. „Joshua? So heißt der Typ also ...“, murmelte er und sah bedrückt drein. Ich nickte langsam. „Wie lange läuft das denn schon mit euch Beiden?“, fragte er. „Schon seit einer Weile“, log ich und legte ihm freundschaftlich eine Hand auf den Arm. „Tut mir leid, ich wollte dir keine Hoffnungen machen“, flüsterte ich und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. „Ich geh jetzt besser nach Hause“, hauchte er und einen Moment lang, dachte ich aus dem Augenwinkel einen hoffnungsvollen Blick zu sehen, der jedoch erloscht, als ich gedankenverloren auf mein Handy starrte.


Mit schnellen Schritten ging er davon und ich konnte nur hoffen, dass wir trotzdem Freunde bleiben würden. Unwahrscheinlich, aber man konnte ja mal träumen, oder? Als ich lautes Gestöhne aus dem Raum hörte, wagte ich einen kurzen Blick in das Zimmer und hielt ungläubig die Luft an. Die gingen ja ganz schön ran, dachte ich überrascht und wand mich mit geröteten Wangen ab. Mabel sah ganz schön geübt aus, ob sie wohl Erfahrungen mit Frauen hatte? Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte wirklich andere Probleme. Doch irgendwie wollte mir der Gedanke nicht aus dem Kopf gehen. Wie konnte ich all die Zeit so blind sein? Und wie konnte sich Marie auf die wohl dämlichste Tusse der Welt einlassen, mal davon abgesehen, dass sie angeblich absolut hetero war?


Ich seufzte tonlos. Warum konnte es bei mir nicht so einfach sein? Warum musste ich hier oben alleine stehen und darauf hoffen, dass ein gewisser Vampir plötzlich Gefühle bekommt, nur um glücklich zu sein? Ich stieß mich von der Wand ab und stieg die schmale Treppe wieder runter und knallte prompt gegen einen warmen Körper. Erschrocken krallte ich mich an das erst beste, was ich fassen konnte und schlang meine Arme um den Jungen vor mir. Ich zog scharf die Luft ein und nahm den starken Geruch nach Weihnachten war. Peinlich berührt kniff ich die Augen zusammen und hoffte inständig, dass der Typ nicht der war für den ich ihn hielt. Aber meinem Bauch nach zu urteilen war ich geradewegs in meinen Seelenverwandten hinein gestolpert.


Na super, heute hatte ich es wirklich drauf, dachte ich sarkastisch und löste mich schnell wieder. Joshua hatte wie immer eine ausdruckslose Miene aufgesetzt, doch seine Augen schienen mir irgendetwas sagen zu wollen, das ich nicht deuten konnte. „Sorry“, murmelte ich und wollte schon an ihm vorbeigehen, als er nach meiner Hand griff und mich zurückhielt. Einen Moment schien er etwas sagen zu wollen, änderte dann aber seine Meinung und ließ mich wieder los. Ich starrte ihn an, wartete darauf das er endlich etwas sagen würde, doch er sah nur auf den Boden und rührte sich nicht.


„Du bist ein verdammtes Arschloch“, hauchte ich leise, wohl bewusst, dass er es gehört hatte, und ging eilig aus dem Haus, raus auf die Straße und knallte die Tür lautstark zu. Ich verschränkte die Arme und hoffte, der kühle Nachtwind würde meine Gedanken klären.

11. Kapitel

Es waren gerade mal dreißig Minuten vergangen, seit ich hier draußen mit Joshua gestanden hatte. Während dieser halben Stunde hatten Marie und Mabel zueinander gefunden, ich und Joshua uns gestritten und die Party ihren Höhepunkt erreicht. Ich hatte gehofft, er würde sich entschuldigen, mich küssen oder mir gestehen, dass ich ihm doch nicht ganz egal war. Keins von allen dreien war, zugegebenermaßen, besonders realistisch. Meinetwegen hätte er mit mir auch nur diskutieren können, aber dieses Schweigen ...


Ich setzte mich auf den Bürgersteig und stützte mein Gesicht in die Hände. Dieses Schweigen machte mich verrückt. Vielleicht sollte ich ihn zur Rede stellen oder mich ihm nackt ausliefern, nur damit er irgendeine Reaktion zeigte. Aber selbst dann würde er wahrscheinlich wortkarg dastehen und mich mit wütenden Blicken taxieren.


Leise Schritte ertönten hinter mir und hielten zögerlich inne. „Hey, alles okay bei dir?“ Steve beugte sich zu mir runter und legte vorsichtig eine Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte erschöpft den Kopf. „Was ist denn passiert?“ Fragend sah er mich an und kniete sich hin. „Ich hab mich mit ... jemandem gestritten.“ Zögernd nuschelte ich die Worte vor mich her und hielt meinen Blick dabei gesenkt. Beinah hätte ich jetzt 'mit meinem Freund' gesagt, konnte es aber grade noch so zurückhalten.


„Und worüber?“ Ja, worüber hatten wir uns eigentlich gestritten? Ich erzählte ihm die Geschichte, wobei ich die Vampir-Sache natürlich außen vor ließ. Er hob eine Augebraue. „Dieser Typ ist also dein Freund?“, hackte er nach. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Aber er hat dem Kerl doch eine verpasst?“ Verwirrt runzelte er dir Stirn. „Naja schon, aber das hat nichts mit seinen Gefühlen zu tun, verstehst du?“ Zweifelnd sah er mich an. „Wenn er nichts für dich übrig hätte, wäre er nicht auf den Typen losgegangen, oder?“ Ich biss unsicher auf meine Unterlippe. Wahrscheinlich sah er mich nur als sein 'Besitz' an: Keiner durfte mich haben, aber selber wollte er mich auch nicht!


Seufzend umarmte er mich. „Das wird schon wieder!“ Leichter gesagt, als getan, dachte ich und schmiegte mich enger an ihn. „Können wir jetzt endlich nach Hause gehen?“ Erschrocken drehte ich mich zu Joshuas Stimme um und sah verlegen auf den Boden. Wie lange er da schon stand, ohne dass wir ihn bemerkt hatten? Ich nickte schüchtern und ließ mich von Steve hochziehen. Mit Argusaugen beobachtete Joshua jede unserer Bewegungen und warf Steve vernichtende Blicke zu. Ich merkte, wie dieser eine Gänsehaut bekam und sich hastig abwandte. Auf halben Weg drehte er sich jedoch nochmal um und winkte mir zu. Ich erwiderte die Geste zögerlich und stand starr da, bis sich der Dunkelhaarige schließlich räusperte und den Weg nach Hause einschlug. Dieser bestand aus eisernem Schweigen und merkwürdigen Blicken Joshuas, die mich zu durchbohren schienen.


Der Alkohol schien wie verflogen, wofür ich ausnahmsweise dankbar war. Denn wenn ich den ganzen Weg gestolpert wäre, hätte mich Joshua sicher in irgendeinerweise stützen müssen und das wäre für uns beide äußerst unangenehm geworden. „Ist dir kalt?“, fragte er plötzlich in die Stille hinein. Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich schon eine Weile vor Kälte zitterte. Warum hatte ich auch meine blöde Jacke bei Marie vergessen? Er musterte mich abschätzig, sagte aber nichts zu meiner offensichtlichen Lüge. Nach ein paar Minuten erreichten wir mein Zuhause und ich fragte mich plötzlich, ob Mabel wohl die ganze Nacht bei Marie bleiben würde ...


Ich tippte den Pin-Code ein und drückte die schwere Tür auf. Die Eingangshalle war dunkel und leer, selbst Theo hatte sich schon zu Bett begeben. Bei dem Typen echt nicht selbstverständlich! Ich seufzte leise und genoss die Wärme des Hauses. „Wollen wir nach oben gehen?“, fragte Joshua leise hinter mir und nahm einer meiner Strähnen in die Hand. Ich nickte und biss mir auf die Lippe. Seine Nähe machte mich nervös. Entschieden ging ich auf die Treppe zu und mein Haar glitt aus seinen Fingern. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er die Hand, die immer noch in der Luft hing, langsam runter nahm und mir mit einem verletzten Blick hinterher sah. War das seine Art zu sagen: Alles vergeben und vergessen?


Wahrscheinlich hatte er nur mal wieder Appetit, dachte ich angesäuert und stapfte lauter auf, als nötig. Erleichtert betrat ich mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit, doch als ich daran dachte, dass ich mit ihm hier schlafen müsste, verging auch das wieder. Komisch, eigentlich war ich nie auch nur einen Moment allein, aber ich fühlte mich trotzdem einsam. Ich setzte mich auf und sah Joshua eine Weile dabei zu, wie er die Bücher im Regal anstarrte, bevor ich mich dazu aufraffte mein Nachthemd unter der Bettdecke hervorzuholen und damit wortlos im Bad zu verschwinden.


Ich sah mich im Spiegel an und begutachtete mein Gesicht. Meine Augen waren ein wenig geschwollen, doch sonst sah man nicht viel von meiner Anspannung. Mit dem Wattepad entfernte ich das Make-Up von meiner Haut und kämmte noch einmal durch meine Haare, die ich schlussendlich zu einem Pferdeschwanz zusammen band. Ich putzte grob über meine Zähne und spülte mit einer Kräuter-Mundspülung nach, die ich immer benutzte, wenn ich kein Bock hatte drei Minuten lang meine Beißer zu polieren. Genervt verstaute ich alles und holte noch ein mal tief Luft ehe ich zurück in mein Zimmer ging und unsicher vor dem Bett stand.


Joshua hatte es sich bereits bequem gemacht und lag nun nur in Boxershorts da. Ich ließ meinen Blick über seinen Körper wandern und ein Gefühl von Traurigkeit machte sich in mir breit. Eine Mischung aus Selbsthass und trauriger Gewissheit. Selbsthass, weil ich mir neben ihm so hässlich vor kam, das es beinah weh tat. Und traurige Gewissheit, weil mir nun schmerzlich bewusst wurde, was ich nicht haben konnte. „Ich dachte du hättest dich mittlerweile an meinen Anblick gewöhnt.“ Belustigt schmunzelte er mich an und hob fordernd die Decke. Ich schluckte hart und konnte nicht verhindern, dass Tränen sich in meinen Augen bildeten.


Schnell kroch ich unter den Bezug und drehte mich von ihm weg. „Alles okay?“ Seine Stimme so nahe an meinem Ohr machte es nicht gerade besser und so entschlüpfte mir ein kleines Schluchzen. Ich hörte ihn leise „Scheiße“ murmeln, als er mich auch schon umdrehte und in seine Arme zog. „Tut mir leid. Es tut mir so leid“, flüsterte er immer wieder. Ich versuchte mich aus seiner Umarmung zu winden, doch er hielt mich eisern fest. „Wenn du mit diesem Dan zusammen sein willst, dann ... steh ich euch nicht im Weg“, sagte er schließlich und ich merkte, dass er die Luft anhielt.


„Er heißt David“, brachte ich gerade so heraus. „Ist doch scheiß egal, wie der Typ heißt!“, zischte er und presste mich beinah brutal an seinen Körper, doch ich wagte nicht etwas dagegen zu sagen. Ich fühlte mich in seinen Armen sicher und nicht so einsam, also schmiegte ich mich auch noch an ihn. Wir schwiegen eine Weile, hingen beide unseren Gedanken nach.

 

Für seine Verhältnisse war es wahrscheinlich gnädig, mir zu erlauben, jemand anderen zu lieben, doch für mich hieß es nur, dass ich ihm total egal war. Und das tat weh. Sehr sogar. Irgendwann fing er an, mir beruhigend über den Kopf zu streicheln. Einmal glaubte ich sogar seinen Mund auf meinem Scheitel zu spüren, doch es war so leicht, das es auch gut hätte Einbildung sein können. „Darf ich dich etwas fragen?“, krächzte er heiser. Verwundert sah ich nach oben und sah in sein gequältes Gesicht. Überfordert nickte ich einfach stumm und wartete auf seine Frage.


„Liebst du ihn?“ Überrascht hob ich meine Augenbrauen. Ich hatte mit allem gerechnet, aber eindeutig nicht damit. „Nein“, sagte ich bestimmt und wunderte mich, warum er so etwas dachte. Immerhin hatte ich doch gesagt, dass ich IHN liebte. Er brummte etwas Undeutliches und drückte sein Gesicht in meine Halsbeuge, sodass ich ihn nicht mehr ansehen konnte. Enttäuscht seufzte ich und drückte in entschieden weg.


„Vergiss es, okay? Ich bin kein 24-Stunden Buffet von dem du immer kosten darfst, wenn du grade Lust dazu hast! Ich bin ein Mensch, verstehst du das? Ich habe Gefühle und auch wenn du nicht das Gleiche fühlst, wäre es nett, wenn du mich nicht wie einen laufenden Blutbeutel behandelst“, murrte ich. „Ich wollte doch gar ...“ „Ja, klar. Du wolltest mich nicht verletzten, hast du aber! Joshua ich mag dich und es tut weh, wenn du andauernd auf meinem Herz rumtrampelst, als wäre ...“ Seufzend hieß ich seine Lippen willkommen und erwiderte den Kuss verzweifelt.

12. Kapitel

 Während seine Lippen drängender wurden und ich eine Hand auf meinem Rückrat auf und ab fahren spürte, überlegte ich fieberhaft ob es das wert war. Ich würde danach wieder alleine dastehen, und diesmal würde ich leiden. Denn diesmal war ich mir sicher, dass ich ihn mehr als nur mochte. Langsam, aber bestimmt, löste ich mich von ihm. Er knurrte wütend und krallte seine Fingernägel ein wenig zu fest in meine Haut. Er würde es nicht verstehen, denn er war ein idiotischer Eisklotz, der so etwas wie Gefühle nicht kannte.

 

„Warum? Warum spielst du mit mir?“, raunte er heiser und ich konnte seine Eckzähne im Mundwinkel erkennen, die bis über seine Lippe reichten. „Tu ich nicht“, flüsterte ich zaghaft und suchte nach irgendetwas in seinen Augen.

 

Es war dumm. Ich weiß. Aber ich suchte nach etwas, das mir Hoffnung geben könnte. Ich hoffte darauf, überraschender Weise Liebe und Zuneigung darin zu erkennen. Wie wahrscheinlich war das schon, dachte ich sarkastisch und blickte in das tiefe Schwarz. Da war nur Wut, Wut und Verletztheit.

 

„Du sagst mir heute schon zum Zweiten mal, dass du mich magst“, entgegnete er kalt und ich meinte kurz etwas aufblitzen zu sehen. „Weil es stimmt“, erwiderte ich stumpf und eine verräterische Röte schlich sich in meine Wangen.

 

„Du lügst“, hauchte er zitternd. „Sonst würdest du mich nicht immer wieder abweisen“, fügte er hinzu. Ich schüttelte entschieden den Kopf und beobachtete, wie er sich seufzend auf den Rücken drehte und seine Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Ist ja auch egal“, murmelte er erschlagen und sah starr an die Decke. Wut überkam mich. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. „Wenn es dir so egal ist, kann ich ja genauso gut zu David gehen. Im Gegensatz zu dir, kann ich mir bei ihm nämlich sicher sein, dass er mich überhaupt will!“, erwiderte ich aufgebracht und sah mich im selben Moment schon unter seinen Fängen liegen, die weit aus seinem Mund herausragten. „Du bist aber MEIN“, knurrte er und legte sich mit seinem vollen Gewicht auf meinen Körper. „Das sagst du immer, aber in Wahrheit bin ich dir vollkommen egal“. Ich sah zur Seite, damit er meine traurige Miene nicht sehen konnte.

Er schnaubte. „Du gehörst mir, natürlich kümmert es mich, wenn irgendein Mensch dich begrapscht!“, erwiderte er und ich verdrehte automatisch die Augen. „Ich bin aber nicht dein Eigentum“, brachte ich leise hervor und versuchte unter ihm hervor zu rutschen, doch er war einfach zu schwer für mich. Wieder ein Knurren. „Was bist du dann?“, fragte er. Ich zuckte unschlüssig mit den Schultern und er seufzte genervt, bevor er sich von mir runter rollte und die Decke fixierte. „Was willst du für mich sein, Liz?“, fragte er ernst und neigte seinen Kopf zu mir. „Ich will deine Gefährtin sein“, flüsterte ich stockend und biss auf meine verkrustete Unterlippe. „Sicher?“, hackte er nach, doch ich brachte nur ein Nicken zustande. Er ließ seine Hand zögernd zu meinem Gesicht wandern, bereit sich wieder zu entfernen, wenn ich einen Rückzieher machen würde und legte sie vorsichtig auf meine Wange, die sich unter seiner Berührung erwärmte. „Und warum willst du mich dann nicht küssen?“ „Weil du nicht mein Gefährte sein willst...“, antwortete ich und schloss schluckend meine Augen. „Du denkst, dass ich dich nicht will“, stellte er fest und lehnte seine Stirn gegen meine. Ich schwieg.

 Sanft küsste er meine Augenlider, meinen Nasenrücken, meine Schläfe, mein Kinn. Er ließ seine Lippen über mein Gesicht wandern ohne jedoch meine auch nur ein einziges Mal zu berühren. „Aber ich will dich, Elizabeth...“, murmelte er an meine erhitzte Haut und fuhr mit seiner Nase kleine Muster. „Ich will dich so sehr...“, hauchte er und küsste mein Ohrläppchen, während seine Fingerkuppe meine Schulter entlang strich. „Ich habe noch nie jemanden mehr gewollt als dich.“ Er sah mir direkt in die Augen. „Glaubst du mir das?“ „Ja“, sagte ich überraschend fest. „Darf ich dich jetzt küssen?“ Statt einer Antwort legte ich nur meine Lippen auf seine, bewegte sie sanft.

 

13. Kapitel

Wir lagen stundenlang einfach da, dösten vor uns hin, sahen abwechselnd in die Augen des Anderen oder wie hypnotisiert auf dessen Mund, der von unseren unzähligen neckischen Küssen schon leicht geschwollen war. Die Uhr tickte unaufhörlich und so schienen irgendwann erste Sonnenstrahlen in mein Zimmer, die den Raum erhellten. „Wir haben gar nicht geschlafen“, stellte ich fest und lehnte mich an seine feste Brust, die sich unter sein Atmung hob und senkte. Ich hörte sogar sein Herz schlagen.

 

„Mmh“, brummte er und legte sein Kinn auf mein Haar, das bestimmt aussah wie ein Vogelnest. Ich schloss seufzend meine Augen und sog seinen unverkennbaren Geruch ein, der mir bereits seit Stunden in der Nase lag. „Hast du Hunger?“, nuschelte er in mein Ohr. „Nein“, murmelte ich und küsste seinen weißen Hals, der von schwarzen Strähnen durchbrochen wurde. „Ich bin nur müde“. Seine Finger strichen hauchzart über meinen Scheitel, verfrachteten die einzelnen Strähnen wieder auf die richtige Seite. „Gut“, war seine einzige Antwort.

 

Von unten war Geklapper von Geschirr zu hören, das die angenehme Stille zwischen uns durchbrach, trotzdem konnte ich es einfach nicht über mich bringen, mich zu bewegen. Viel zu schön war die beruhigende Wärme, die von dem Körper neben mir ausging. Und noch zu surreal war die Situation in der ich mich befand, als das ich mit Sicherheit sagen konnte, dass das alles nicht nur ein Traum war. Lieber nichts riskieren, dachte ich und schmiegte mich enger an Joshua, dessen Mundwinkel leicht zuckten.

 

Mein Handy vibrierte irgendwo auf dem Boden, wurde jedoch wissentlich von mir ignoriert. Wahrscheinlich hatte Marie Panik bekommen, weil sie und Mabel weiter gegangen waren, als sie es sich je mit einem Mädchen ausgemalt hatte. Ich runzelte leicht meine Stirn. Oder hatte sie schon immer ein Auge auf meine Cousine geworfen? Gedanklich schüttelte ich träge meinen Kopf. Marie hatte Mabel genauso wenig gemocht wie ich, also war das so gut wie unmöglich. Doch irgendwas musste meine beste Freundin ja für die selbsternannte Tochter meiner Mutter empfinden ...

 

„Miss McCallough“ Zwei aufdringliche Klopfer am Holz meiner Tür. Joshua knurrte leise, schob mich ein bisschen zur Seite, um einen freien Blick auf den Eindringling zu haben, der sich immer noch hinter verschlossener Tür befand. „Miss McCallough!“ Theos unverkennbare Stimme wurde drängender. „Ja?“, fragte ich genervt und schlang die Bettdecke automatisch ein wenig enger um mich, falls er doch hinein kommen sollte. „Ihre Eltern erwarten Sie beim Frühstück.“
Seine stets neutrale Stimme bekam einen hohen Klang, sodass es eher wie eine Frage klang, als eine Feststellung. Wahrscheinlich war er genauso verwirrt wie ich, denn ein gemeinsames Essen bedeutete in unserer Familie immer eine schlechte Neuigkeit und mir wollte patou nichts einfallen, das dieses Verhalten erklären würde. Ich räusperte mich schnell. „In Ordnung, danke“, rief ich und schwang meine Beine über die Bettkante, sodass sie frei in der Luft baumelten und das Holz unangenehm in meine Kniekehlen schnitt. Eine Hand legte sich steif um meinen rechten Oberarm. „Bleib hier“, hauchte Joshua bedeutungsvoll in mein Ohr und küsste meinen Nacken, dessen Härchen sich unter seiner Berührung aufstellten. Sein Atem schlug warm gegen meine Haut. Sacht schloss ich meine Hand um seine Finger, die noch immer auf meinem Arm ruhten, und verschränkte sie miteinander.

 

„Das letzte mal, als wir alle zusammen aßen ist Oma Lottie gestorben. Keine schöne Erinnerung“, bemerkte ich leise und biss auf meine verschorfte Unterlippe. „Wenn es etwas Schlechtes ist, solltest du nicht nach unten gehen“, warf er flüsternd ein und seine Zunge hinterließ eine kühle Spur auf meinem Hals. Ich seufzte tonlos und stieß mich von der Matratze ab. „Ich kann mich ja wohl kaum hier oben verstecken“, erwiderte ich nervös und rieb meine verschwitzten Hände an meinem Nachthemd, das von der Nacht ziemlich zerknittert war. Seine schwarzen Augen schielten mich durch seine Haare skeptisch an, doch schließlich nickte er langsam. „Na Gut, aber zieh dir etwas Anderes an“, murrte er schlecht gelaunt und deutete auf meine nackten Oberschenkel, die unter dem Hemdchen hervorlugten. „Sind doch nur meine Eltern.“ Und Theo, fügte ich gedanklich hinzu, sprach es jedoch nicht aus.

 

Er dachte wohl dasselbe und reichte mir meine Hose, die noch von gestern neben meinem Bett lag und die ich, ziemlich umständlich, über meine Beine zwängte. Er nahm meine zierliche Hand in seine und öffnete die hölzerne Zimmertür, die auf den langen Flur führte, von dem die Treppe ins Untergeschoss abging. Ich tappste auf nackten Füßen die Stufen neben Joschua herunter und lugte vorsichtig um die Ecke ins Esszimmer.

 

Meine Mutter krallte sich verzweifelt am Arm meines Vaters fest, der unentschlossen auf seine hysterische Frau hinabsah. Ich hörte einen leisen Schluchzer, der überraschenderweise von Mabel kam, die am Ende des Tisches saß und nur vorsichtig zu meinen Eltern aufblickte. Langsam dämmerte es mir, worum sich dieses Gespräch drehen könnte. Erleichtert atmete ich auf und ging mit kleinen Schritten dem reichlich gedeckten Tisch entgegen. „Liz, schön dich zu sehen“, grummelte Dad und nahm mich umständlich in den Arm, da Mum immer noch an ihm hing. „Setz dich“, forderte er mich auf und ich ließ mich auf das weiche Polster des Stuhles nieder.

 

„Mabel ist lesbisch“, kam es auch gleich von Mum, deren Augen verquollen und gerötet auf das in ihren Händen liegende Taschentuch gerichtet waren. Ich rutschte unruhig hin und her, unentschlossen, was von mir erwartet wurde, bevor ich mich entschloss einfach zu nicken. „Okay ...“ Räuspernd nahm ich mir ein Brötchen und belegte es mit einer Scheibe Gouda. Verwirrt verfolgte meine Mutter meinen Tathergang und schlug plötzlich kräftig auf die Tischplatte.

 

Ich sah hoch und ließ das Brötchen auf den Teller zurücksinken. „Du kannst das doch nicht einfach tolerieren! Weißt du was das bedeutet?“, fuhr sie mich an und Mabel schluchzte noch einmal lauter auf. „Das sie sich in eine Frau verliebt hat, und das kannst du ihr ja nun wirklich nicht zum Vorwurf machen.“ Sacht legte Dad ihr eine Hand auf die Schulter, während seine Worte in ihr Gedächtnis sickerten. „Ich bitte dich, Marc! Das ist doch wohl nicht dein Ernst“, zischte Mum aufgebracht und rückte ihren Stuhl nach hinten. „Ich verstehs nicht, wirklich nicht! Wie kannst du dabei nur so ruhig bleiben!“ Ruckartig stand sie auf und stöckelte in Richtung Bibliothek davon. Wahrscheinlich würde sie ihren Kummer auf einem Blatt Papier ausbreiten. Um einen klaren Kopf zu bekommen, sagte sie immer.

 

Ich sah zu meiner Cousine, die wimmernd auf ihrem Stuhl hockte und sich an einem Taschentuch festklammerte. Seufzend rückte ich zu ihr herüber und legte behutsam einen Arm um sie. „Hey, das wird schon“, murmelte ich und strich beruhigend über ihr blondiertes Haar, doch das brachte sie nur noch mehr zum Weinen.

 

Dad holte tief Luft. „Ich werde mal nach Judith sehen“, nuschelte er undeutlich. Ich hörte seine regelmäßigen Schritte, die den Flur entlang liefen und plötzlich stockten. „Dürfte ich erfahren, wer Sie sind? Was wollen Sie hier?“ Die tiefe Stimme meines Vaters hallte durch das Haus. Erschrocken löste ich mich von Mabel und stürmte auf den Flur, in dem sich Joshua und mein Vater gegenüberstanden. Er ist nicht manipuliert, ging es mir schockiert durch den Kopf. Gerade als Joshua ansetzte ihm zu antworten, erklangen zögerliche Schritte hinter mir und Mabels Stimme klirrte durch die Stille. „Was ist denn hier los?“

 

14. Kapitel

 

Ich sah von einem zum Andern, nicht sicher. ob es überhaupt noch eine Möglichkeit gab diese Situation zu retten. Die Blondine schniefte noch einmal und kam näher zu uns heran. „Mabel, kennst du diesen Typen?“, fragte Dad misstrauisch und seine rechte Hand zuckte auffällig oft zu seinem Handy in der Hosentasche, vermutlich um notfalls die Polizei zu rufen. „Welchen Typen?“ Ihre Augen suchten den Raum ab und kniffen sich verwirrt zusammen, als sie niemanden fand, der gemeint seien könnte. Joshua fuhr sich belustigt durch das schwarze Haar und seine Mundwinkel verzogen sich doch tatsächlich zu einem Lächeln, während ich mit panisch aufgerissenen Augen auf ein Wunder wartete.

 


Als Mose und Sarah meine Familie manipuliert hatten, war Dad noch bei der Arbeit gewesen und unter der Woche hatte er sich nur spät Nachts in das Haus geschlichen, sodass die Wahrscheinlichkeit, das er Joshua begegnete auf null sank und das Manipulieren eigentlich unnötig gewesen war. Okay, zugegeben: Wir hatten ihn einfach vergessen! Doch durch das Wochenende und wahrscheinlich auch durch einen hysterischen Anruf meiner Mutter, war er nun anwesend. Tja und so hatten wir nun ein dickes Problem, das so leicht nicht verschwinden würde.

 

„Na, der Typ direkt vor mir!“, sagte er scharf und ließ den Vampir keinen Moment aus den Augen. „Da ist Keiner ...“ Besorgt legte meine Cousine eine Hand auf seine Schulter und wollte ihn zu sich umdrehen, doch Dad dachte gar nicht daran mit dem Rücken zu dem Eindringling zu stehen. Und so sahen sie beide auf die selbe Stelle ... nur sahen sie eben nicht das Gleiche. Für Mabel war Joshua nur Luft, doch für meinen Vater war er mehr als real. Eine ausweglose Situation, in die wir uns befanden.

 

„Was redest du denn da, Mabel? Hör auf mit den Quatsch“, fuhr er sie schlecht gelaunt an. „Ich ... Was ...?“ sichtlich überfordert sah sie zu mir und strich sich über die verquollenen Augen, aus denen noch immer Tränen flossen. Ich entschloss mich das Spiel einfach mitzumachen, etwas Besseres würde wohl nicht passieren. „Dad, da ist niemand!“ gespielt ruhig und entschlossen griff ich nach seiner Hand, die schon gefährlich tief in seine Tasche geschlüpft war. „Hol eine Valium aus dem Bad, wahrscheinlich ist er einfach zu überarbeitet“, flüsterte ich zu Mabel, die daraufhin sofort in das Gästebadezimmer lief und hörbar nach der benötigten Packung kramte. Dad krauste tadelnd die Stirn. „Liz, ich bitte dich! Du siehst ihn doch auch“, brummte er verwirrt, doch ich ignorierte ihn.

 

„Jetzt mach schon, bevor sie wieder kommt!“, zischte ich hektisch und Joshua legte eilig eine Hand auf die faltige Stirn meines Vaters, während er leise, unverständliche Worte murmelte. Plötzlich sackte Dad neben mir zusammen und ich konnte ihn nur mit Mühe und Not davor bewahren, hart auf die Fliesen aufzuschlagen. Hilfesuchend sah ich mich nach dem Schwarzhaarigen um, der noch immer seine starken Finger an den Kopf meines Vaters bettete. „Geht das nicht schneller?“, jammerte ich und horchte nach meiner Cousine. Zum Glück war meine Mutter so ein Chaot, dachte ich und sah erleichtert auf, als Joshua sich erhob. Eine halbe Sekunde später regte sich Dad unter mir und lächelte müde.

 

„Alles in Ordnung?“ Ehrlich besorgt sah ich auf ihn hinab. Dieses ganze Manipulieren mag vielleicht praktisch sein (In welchem Universum würden meine Eltern sonst erlauben, dass ich mit einem Jungen in einem Bett schlafe?), aber ich war mir nicht sicher, ob es besonders gesund war. Er nickte benommen und setzte sich auf. „Was ist denn passiert?“, fragte er und strich sich über den Kopf, fast so als würde er immer noch die Finger auf seiner Haut spüren können.

 

„Du hast halluziniert und bist plötzlich umgekippt. Ich glaube, du legst dich am besten ein wenig im Wohnzimmer hin. Die ganze Arbeit ist dir anscheinend zu viel geworden“, murmelte ich und half ihm ächzend auf die Füße. „Ja, wahrscheinlich“, hauchte er verwundert. Mabel kam polternd die Treppe runtergestürzt, in der Hand eine volle Packung Valium, die sie mir eilig reichte. Zusammen stützten wir Dad und liefen zum großen Sofa, wo er sich seufzend fallen ließ und eine große Decke wärmend über seinen Körper ausbreitete.

 

Er sah tatsächlich erschöpft aus. Tiefe Furchen zierten sein bereits stark gealtertes Gesicht und seine grünen Augen wirkten matt. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er nun glaubte, es läge an der zu vielen Arbeit, das er umgekippt war. So konnte er sich mal richtig ausspannen. Ich ging Richtung Küche und füllte Leitungswasser in ein Glas mit dem er die Tablette runterschlucken könnte. Dankend nahm er es mir ab und stellte es anschließend auf den kleinen Tisch neben ihm. „Ruh dich aus“, hauchte ich gegen seine Wange, gab ihm einen Kuss, und verschwand aus dem Wohnzimmer, nachdem ich das Licht gelöscht hatte.

 

Im Flur lehnte die immer noch aufgelöste Mabel an der Wand. Gedanklich stöhnte ich auf. Konnte man denn nie auch nur einen Tag ohne Probleme haben? Ich wollte mich nun wirklich nicht mit dem Coming-Out der Cousine beschäftigen, die ich am meisten hasste. Einfach stehen lassen konnte ich sie aber auch nicht ...

 

Joshuas Züge verhärteten sich, als ich die künstliche Blondine ungelenk in eine tröstende Umarmung zog und halbherzig ein „Das wird schon wieder“ murmelte. Unbeholfen trat ich wieder einige Schritte zurück und lächelte sie unsicher an. Sie ordnete ihr blondes Haar und unangenehme Stille machte sich zwischen uns breit. Ich wusste nicht recht, was ich noch sagen könnte, also entschied ich mich dafür sie ein wenig allein zu lassen. „Naja ... ich werd dann mal“, murmelte ich betreten und mit meinem Kopf deutete ich auf die Treppe. Sie nickte träge, sah aber immer noch ziemlich fertig aus. Auf halbem Weg drehte ich mich seufzend noch mal zu ihr um.


„Hör mal, du bleibst immer noch der gleiche Mensch. Egal ob lesbisch oder nicht. Das wird auch Mum irgendwann merken.“ Mit diesen letzten Worten stieg ich die Stufen hinauf, mir wohl bewusst, dass Joshua, der direkt hinter mir lief, seinen Blick auf meinen Hintern gerichtet hatte. Tja, egal wie scheiße die Situation war, ihn schien es nicht zu stören ...

 

Da das Frühstück mehr oder weniger ausgefallen war, öffnete ich, kaum hatte ich mein Zimmer betreten, meine eigens angelegten Süßigkeiten-Schublade.Verschiedenste Variationen von Schokolade, Chips und Gummibärchen machten mir die Entscheidung schwer, doch schließlich nahm ich mir die Packung Kinderriegel und setzte mich mit ihr auf das Bett. Schmunzelnd stellte ich fest, das es in den letzten Tagen zu meinem Stammplatz geworden war. Nicht unbedingt hilfreich für mein Gewicht, aber eindeutig bequem. Joshua räusperte sich und abwartend sah ich zu ihm. Er hatte sich unbemerkt neben mir niedergelassen und sah ziemlich angeekelt auf mein 'Frühstück'.

 

„Ist das nicht etwas ... ungesund, so als erste Mahlzeit des Tages?“, deutet er an und sah verstohlen auf die Nährwertetabelle der Packung. Stöhnend schmiss ich diese in die Ecke des Raums, natürlich erst, als ich die Riegel sicher auf meiner Bettdecke ausgeschüttet hatte. „Du bist schon wie meine Mutter“, maulte ich und schälte die Schokolade aus der Silberfolie. Er verdrehte die Augen. „Das meine ich nicht“ „Was meinst du dann?“, hackte ich bissig nach. „Ich meinte, ob du nicht lieber etwas Richtiges essen willst“, antwortete er. Ich hob die Augenbrauen. „Etwas 'Richtiges'?“, fragte ich skeptisch nach. Er nickte.

 

Ich dachte kurz darüber nach. Ein anständiges Brötchen wäre jetzt schon ganz nett ... Schnell verwarf ich die Idee wieder. Wenn ich 'etwas Richtiges' wollte, würde ich wohl oder übel auf Mabel treffen und nochmal hielt ich dieses Geheule echt nicht aus. Ich fragte mich, seit wann ich so nett zu ihr war. Das musste sich wirklich ändern, ich mutierte ja schon zur Übermutter! Früher hätte ich Mum bei ihrer Wut auf die Blondine bestärkt. Nicht dass ich etwas gegen Homosexuelle hätte, aber es war eben meine Hass-Cousine und um diese fertig zu machen, hätte ich vor nichts zurück geschreckt! Ich seufzte leise. Ja, früher. Heute allerdings tat sie mir einfach nur leid.


Mum war nicht unbedingt die toleranteste Person, wenn es um Sachen ging, die ihrer Ansicht nach nicht 'normal' waren. Dazu zählten übrigens auch Beziehungen mit Leuten, die nicht so viel Geld hatten wie wir. Kein Wunder, dass Marie und David sich nie wirklich wohl in ihrer Gegenwart gefühlt hatten. Dad war da anders. Für ihn hieß es: Leben und leben lassen.

 

Naja, jedenfalls hatte sich mein Verhältnis zu Mabel ein wenig geändert und ich konnte nicht bestreiten, dass es mich ein bisschen störte. Es passte eben nicht zu mir, plötzlich keine Kotzkrämpfe zu haben, wenn ich sie sah. Andererseits: War unser Hass wirklich verflogen? Man schlug ja auch auf niemanden ein, der schon am Boden lag! Also ist meine Reaktion ja wohl mehr als nur verständlich, sagte ich mir. Doch ganz sicher war ich mir da auch nicht.

 

15. Kapitel

 


„Nein, ich bleibe bei meinen Schokoriegeln“, meinte ich entschlossen und ließ mich seufzend samt Schoki zurück ins Kissen fallen.

 

„Was meinst du, wie sie es rausgekriegt haben?“, flüsterte ich fragend. Er schwieg und ich dachte es wäre ihm vielleicht ein zu langweiliges Gesprächsthema, als dass er antworten wolle, doch da sagte er etwas, das mich ehrlich überraschte. „Ich denke, dass sie es ihnen selbst gesagt hat“.

 

Ich drehte meinen Kopf von ihm zur Decke und kreuzte die Arme vor der Brust, so wie man es immer bei Leichen tat, die beerdigt werden sollten. Es beruhigte mich irgendwie und gleichzeitig gab es mir damit die Ruhe, die ich in all dem Trubel dringend brauchte.

 

„Wie kommst du darauf?“

 

„Sie liebt ihre Mum. Sie will akzeptiert werden.“ Schulterzuckend begab er sich in die gleiche Stellung wie ich, nur dass seine Arme ihm als Kissen dienten. Dass er Mum als Mabels Mutter nannte, ließ mich kurz zusammenzucken. Ich hatte mich schon lange daran gewöhnt, meine Mutter teilen zu müssen, doch es versetzte mir trotz der langen Zeit noch einen Stich in der Brust. Es war, als wäre ich das fünfte Rad am Wagen.

 

Ich spürte wie Joshuas Atem gegen meine Haare schlug und schielte verstohlen nach oben. Er lag nun näher an meinem Kopf und sog genüsslich, wie es schien, meinen Geruch ein. Ich runzelte die Stirn, wandt mich aber wieder der Decke zu. Ich wäre nie darauf gekommen, dass sie sich selbst das Unheil eingebrockt hatte. Klar, irgendwann wäre es bestimmt rausgekommen, aber nach nur einer Nacht? Einfach so? Ich sah zu meinem Handy, das noch immer auf dem Boden lag und dessen Knopf alle zwei Sekunden grün aufleuchteten. Ich streckte meinen Arm danach aus und nahm das kühle Metall in meine Hand. Mit einem Klick wurde der Nachrichtenverlauf geöffnet und das Gespräch zwischen mir und Marie erschien.

 

Die letzte Nachricht:

 

Ich habe ein Problem, ruf mich an!

 

Danach noch eine:

 

Es ist wichtig! Bitte

 


Ich leckte über meine trockenen Lippen und wählte entschlossen Maries Nummer. Wie ich sie einschätzte, kam sie mit der ganzen Situation noch schlechter klar als Mabel.

Das Tuten erklang und nach wenigen Sekunden hörte man am anderen Ende Geraschel.

 


„Marie?“ Ich horchte in die Stille hinein, wartete auf eine Antwort. Ein Rumsen, dann, endlich, ihre Stimme.

 

„Schön, dass du auch mal anrufst“ kam es gewohnt zickig von meiner besten Freundin. Ich schmunzelte und verdrehte automatisch die Augen. Egal, wie schlecht es ihr auch ging, zickig-sein konnte sie immer.

 

„Na, erzähl schon. Wie schlimm ist es?“

 

Sie stöhnte niedergeschlagen.

 

„Schlimmer als der Untergang der Titanic“, jammerte sie und putzte sich hörbar die Nase. Ich konnte sie mir richtig vorstellen, wie sie auf ihrem Bett lag, zehn leere Eisbecher um sie herum und simple plans 'your love is a lie' auf Dauerschleife hörte. Tatsächlich konnte ich die Takte im Hintergrund heraushören.

 

„Liz?“

 

„Marie?“

 

„Ich habe mit Mabel geschlafen“

 

Stille.

 

„Ich weiß“, sagte ich langsam, kaute nervös an meinen Fingernägeln, bereit ihr Rechenschaft zu leisten. Das ich die Beiden dabei erwischt hatte, würde wahrscheinlich nicht als einer meiner besten Freundschaftsdienste zählen.

 

„Du weißt es? Woher?“, fragte sie erstaunt.

 

„Ich ... hab euch gesehen“, gab ich zu und blickte nach hinten, wo Joshua belustigt die Augenbrauen hob, nach dem Motto: 'Ich wusste schon immer, das du eine perverse Ader hast'.

 

„Und? Sah es geil aus?“ Erschrocken verschluckte ich mich an meiner eigenen Spucke. Hustend rang ich nach Luft und brauchte mehrere Anläufe, um ihr zu antworten.

 

„W-Was?“

 

„Ich habe gefragt, ob es geil aussah?“, hackte sie genervt nach.

 

„Ich d-denke schon?“ Was sollte man da bitte sagen? So genau hatte ich ja auch nicht hingeguckt. Sie seufzte zufrieden, klang dann aber wieder ernst.

 

„Glaubst du, ich bin jetzt lesbisch? Ich meine, es war ja nur Sex, oder?“ Ihre Worte hallten durch meinen Kopf. 'Es war ja nur Sex, oder?' . Ich schluckte hart. Ich musste mir verkneifen zu sagen, dass Mabel das bestimmt anders sah. Stattdessen murmelte ich nur ein „Nein, sicher nicht“ vor mich her und spielte nachdenklich mit meinem Haar. Eine Art von Wut kam in mir hoch. Meine Cousine saß mit rotgeränderten Augen unten, ausgelaugt und gedemütigt von ihrem Coming-Out vor meinen Eltern und empfand offenbar genug für Marie, um das alles über sich ergehen zu lassen.

 

Wir schwiegen eine Weile, hingen unseren Gedanken nach und ich sah sie plötzlich vor mir, wie Marie, nun wieder glücklich, an ihrem Eis naschte und erfolglos versuchte die Töne zu treffen. Es war erstaunlich, wie schnell die Probleme für sie gelöst waren, wie schnell sie sich wieder fing und einfach weitermachte, als wäre nie was geschehen.

 

„Empfindest du denn gar nichts für sie?“ rutschte es mir plötzlich raus. „Wie kommst du darauf?“ Ihre Stimme klang ehrlich überrascht, fast tadelnd, so als wäre es kindisch von mir zu denken, das Sex immer gleichbedeutend mit Gefühlen war. „Ich dachte nur, vielleicht denkt sie ja anders darüber als du“, warf ich energisch ein und zog etwas zu kräftig an meinem Haar. Joshua umschloss meine angespannten Fingern von hinten mit seinen und strich beruhigend darüber.

 

„Liz, es ist Mabel!Selbst wenn ich in sie verliebt wäre, würde sie mich nicht mal mit dem Arsch angucken. Sie ist nicht fähig zu lieben, das Einzige was ihr wichtig ist, ist sie selbst. Okay, vielleicht auch noch deine Mum, aber da hört es auch schon auf“.

 

Sie hatte recht. Mabel war nicht gerade ein emotionaler Mensch, aber so wie sie Marie ansah ... Ich schüttelte missbilligend den Kopf. Es war unfair sie in eine Schublade zu stecken und ein Etikett mit Gefühlskalt und unberechenbar draufzukleben. „Ich finde, ihr würdet hervorragend zu einander passen“, sagte ich und drückte, noch bevor sie etwas entgegnen konnte, den 'Beenden'-Knopf.

16. Kapitel

 Nachdem Telefonat wog ich das Handy noch eine Weile in der Hand, unsicher ob das Gesagte wirklich richtig war. Eigentlich ging mich das Ganze ja auch nichts an, andererseits musste ICH mit einer tottraurigen Mabel leben, falls das zwischen den Beiden, was auch immer es war, nicht gut ausging. Seufzend legte ich es auf den Boden und wirbelte mit einem Schubs alle Silberfolien vom Bett. Kaum fing der Morgen an, war ich schon entnervter, als in meinem ganzen Leben zusammen.

 

Joshua strich durch seine schwarzen Zotteln und verweilte eine Zeit lang an den Spitzen, die über seiner blassen Haut hingen. „Glaubst du ich sollte mir die Haare schneiden?“ fragte er plötzlich so unzusammenhängend, dass ich nur verwirrt die Augen zu Schlitzen verengen konnte. „Was?“

 

„Ich habe gefragt, ob ...“ „Ja, schon gut, ich habs verstanden!“Er verdrehte die Augen. „Warum denkst du darüber nach?“, fragte ich skeptisch und runzelte die Stirn. Wuchsen die überhaupt nach, ich meine sein Körper ist ja praktisch tot, oder? Ganz ehrlich, ich wusste nicht mal, ob er überhaupt einen Herzschlag hat! Leichte Panik überkam mich. Dafür das ich mit einem Vampire zusammen war, wusste ich definitiv zu wenig über diese Wesen! Bester Zeitpunkt um das zu ändern, dachte ich mir, wartete aber erstmal seine Antwort ab.

 

„Ich habe gehört, dass es die Lehrer stört, wenn man die Augen nicht mehr sehen kann ...“, lachte er und seine Pupillen glänzten vor Schalk. Mir stockte der Atem. Er wollte doch nicht ...? Na gut, war ja klar, dass ich nicht ohne ihn die Schule kommen würde, aber ....

 

Ja, was aber? Es gab gar keine andere Lösung, außer er wollte meine Freunde als mein nicht ganz so heimlicher Stalker kennenlernen und stets drei Meter hinter mir laufen, natürlich ganz unauffällig ... So gesehen eine sehr ... komplizierte Situation. „Das heißt, du willst zu mir an die Schule?“, hackte ich unnötiger weise nach, war die Andeutung doch relativ deutlich gewesen. „Jup.“ Er verzog keine Miene.

 

Ich konnte mir den Vampir einfach nicht in der Schule vorstellen, wie er brav die Hausaufgaben vorzeigt und vor den Lehrern kuscht. Ich schüttelte den Kopf, so war er einfach nicht. Er war kein Typ für ein respektvolles Verhalten gegenüber anderen, ER war der Kerl vor dem man Respekt zeigte.

 

„Warst du überhaupt schon mal in einer Schule? Ich meine, deine Artgenossen legen ja nicht großartig Wert auf Bildung, oder?“ Ich zuckte unbeholfen mit den Schultern, als sich seine Augen streng verengten. „Meine 'Artgenossen'“, er zog das Wort in die Länge und es fehlten eigentlich nur die Anführungsstriche, um es noch sarkastischer klingen zu lassen, „legen sehr wohl viel Wert auf Bildung. Von nichts kommt nichts. Und, ja, ich war auf einer Schule, zwar auf keiner menschlichen, aber der Stoff wird wohl ziemlich der Gleiche gewesen sein“, fügte er hinzu. Ich runzelte die Stirn und fragte mich insgeheim, wie lange das schon her ist. Wie alt er wohl ist?

 

„Na los, frag schon“, seufzte er und legte einen Arm um meine Schultern, um mich näher an ihn heran zu ziehen. Ich schielte etwas verpeilt zu ihm hoch, von was redete er da, bitte? Sag nicht, dass er jetzt Edward aus Twilight imitierte, also das mit dem Gedankenlesen, denn dann würde ich wortwörtlich verrückt werden.

 

„Man sieht dir förmlich an, wie die Fragen in deinem Kopf rumschwirren“, antwortete er auf meine unausgesprochenen Gedanken.

 

„Ähm ... wie ... ich meine, wann wurdest du geboren?“ „Das ist die Frage? Ernsthaft? Ich dachte du hättest besseres auf Lager, aber gut, ich will mich nicht beschweren. Ich wurde vor dreißig Jahren geboren, am 18 Januar, um genauer zu sein. Ich bin also nicht wirklich alt“, brummte er und ich glaubte einen Hauch von Erleichterung in seinem Gesicht zu erkennen, aber vielleicht war es auch nur Einbildung. „Hast du viele Geschwister? Dein Vater sprach mal von einer Schwester ... Penelope?“ Fragend blickte ich zu ihm hoch, damit ich keine seiner wenigen Reaktionen verpasste. Er verdrehte die Augen, ahnte bereits dass ich momentan auf eine Art Informationstrip war. „Bis auf Penelope habe ich keine Geschwister. Gefährten können zwar Kinder kriegen, allerdings sind auch sie nicht gerade fruchtbar. Deshalb sind trotz der langen Zeit, die meine Eltern schon zusammen verbracht haben nur zwei weitere Vampire entstanden. Penelope ist viele Jahre älter als ich, fast ein halbes Jahrtausend“

 

„Und ist das mit der Kindheit, also mit der Entwicklung, genauso wie beim Menschen?“

 

„Nein, alles verläuft viel langsamer. Unsere Körper brauchen nämlich Blut, damit das Herz nicht aufhört zu schlagen bzw. nicht aufhört die Nährstoffe zu transportieren. Dieses nehmen wir meist von Blutsklaven, die von der Straße geholt werden und dann mit dem jeweiligen Vampir reisen, bis dieser ihm lästig wird“, er stockte,“ Jedenfalls kann der Körper eines Kindes nicht genug Blut aufnehmen, um das Herz so schnell schlagen zu lassen, dass die benötigten Nährstoffe für den Wachstum genauso schnell wie bei einem Menschen transportiert werden könnten. Naja, das heißt, dass wir wesentlich länger brauen bis wir das Aussehen eines Erwachsenen erlangen. Wenn das passiert, brauchen wir eigentlich nicht mehr so viel Blut, halt nur so viel, wie man braucht, damit das Herz nicht ganz aufhört zu schlagen, denn dann sterben selbst wir. Aber die meisten wollen nicht darauf verzichten.“

 

Ich nickte verständnisvoll, ließ mir diese Informationen durch den Kopf gehen, doch eines wollte nicht in meinen Kopf. „Ich verstehe das nicht ganz: Warum produziert euer Körper nicht selber das Blut, ich meine das Herz schlägt doch!?“

 

„Du musst dir das so vorstellen: Unser Körper ist praktisch tot. Das einzige, das noch funktioniert ist unser Herz. Und selbst das wäre tot, denn alles was es zum Schlagen bräuchte, ist nicht da. Zum Beispiel kein Sauerstoff! Indem wir das Blut von anderen trinken, nehmen wir auch die Stoffe auf, die das Herz zum Funktionieren braucht. Wir ersetzen damit praktisch alle Organe, die der Körper normalerweise bräuchte“

 

„Aber ich meine ganz am Anfang! Da schlägt das Herz noch nicht, also könnt ihr doch auch nichts trinken, um es zum Schlagen zu bringen!“ widersprach ich energisch. Er stieß hart die Luft aus. „Oder auch deine Lungen, die tun doch!“ Ich deutete auf seine Brust, die sich hob und senkte.

 

„Okay, fangen wir bei null an! Stell dir vor, dass ein Vampir schwanger wird. Das Kind wird genau wie jeder andere Fötus durch die Nabelschnur der Mutter versorgt, also mit Blut. Das Herz schlägt, das Neugeborene kann nach der Geburt trinken und alle sind zufrieden. Und, ja, wir können atmen, aber die Luft in unseren Lungen wird nicht verarbeitet. Sie geht rein und raus. Alle Fragen beantwortet?“ Ich schüttelte den Kopf, aber ich würde wohl nicht viel mehr aufnehmen können, also schmiegte ich mich seufzend an seinen warmen Oberkörper. Und tatsächlich: Ich hörte sein Herz, langsam, aber regelmäßig, schlagen.

17. Kapitel

Der restliche Vormittag verlief bis auf die ein oder andere Streiterei, die trotz der dicken Wände bis hier oben durchdrang, ziemlich ruhig. Kein Geklopfe, keine nervigen Gespräche mit den Erziehungsberechtigten und vor allem: Keine blärenen Cousinen! Was nicht heißen soll, das Mabel den Tag tatsächlich ohne weitere Tränen überstanden hätte, ich war mir ziemlich sicher, dass es diese gab, eher schien es so, als wären Joshua und ich in meinem Zimmer von den anderen abgeschnitten, praktisch gar nicht anwesend.

 

Theo hatte mich nicht zum Mittag gerufen, Mum hatte sich in der Bibliothek verschanzt und Dad hockte vermutlich über irgendeiner Fachzeitschrift, um sich die Zeit zu vertreiben, die er normalerweise im Krankenhaus verbracht hätte. Was meine entfernte Verwandte trieb, wollte ich lieber nicht wissen - zu deprimierend.

„Worüber denkst du nach?“, fragte der Schwarzhaarige neben mir und strich flüchtig über meine nackten Unterarme, auf denen sich eine kaum sichtbare Gänsehaut bildete.

 

Unbestimmt zuckte ich mit den Schultern, schwieg und ließ meinen Blick fast andächtig durch das Zimmer wandern, das eigentlich schon immer meins gewesen war. Abgesehen von den Möbeln war auch alles so geblieben, wie ich es aus Kindheitstagen in Erinnerung hatte. Kalte weiße Wände, die über die Jahre an der ein oder anderen Stelle bereits aufgerissen waren, der alte Holzboden mit der unsymetrichen Maserung und auch die Türen zum Badezimmer und zum Ankleidezimmer waren noch nie ersetzt worden.

 

Mum meinte einmal, dass ich zu verantwortungsvoll mit den Dingen umgehen würde, als es meinem Alter entspräche, in Wahrheit schätzte ich einfach nur den emotionalen Wert, der daran hing.

„An nichts Bestimmtes“, gab ich ihm schließlich seufzend die erwartete Antwort.

Ich wusste nicht wirklich, über was ich mit ihm reden sollte, mir wollte einfach nichts einfallen, dass wir gemeinsam hätten und damit ein passendes Gesprächsthema bot.

 

Seitdem wir nach Oben gegangen waren, hatte ich mich keinen Zentimeter gerührt, aus Angst etwas falsch zu machen oder gezwungen zu sein, ihm in die Augen zu sehen. Es war eine Mischung aus Beidem, die es mir so schwer machte, mich aus meiner schmerzenden Starre zu lösen, denn beides wäre mir mehr als unangenehm.

Ein lautes Surren vom Boden erregte meine Aufmerksamkeit. Marie, wahrscheinlich. Wer sollte es auch sonst sein? Prüfend hob ich das Handy an und stellte verwundert fest, dass es eine unbekannte Nummer war, die mir entgegen sprang. Ich durchforstete nachdenklich noch einmal mein Gehirn nach einer Person, der ich vor kurzem meine Nummer gegeben hatte, doch nichts.

 

Stirnrunzelnd öffnete ich die SMS und musste verhalten schmunzeln, als ich die Unterschrift darunter erkannte. Steve. Er war derjenige, der mich gestern draußen auf der Straße gefunden und auf verdrehte Art und Weise beraten hatte. War schon komisch, wie das alles gelaufen war, dachte ich und ließ die Fingerkuppe meines Zeigefingers über das kalte Display gleiten, das schon einige Risse aufwies.

 

Es war nur leichtes Geplänkel, „Wie geht es dir“, und „was machst du gerade so?“, solche Sachen eben. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er sich dafür extra meine Nummer besorgen würde. Besonders, da wir uns eigentlich nicht kannten. Wie viele Worte hatten wir gestern schon gewechselt? Nicht viele. Ich hatte Menschen in meinem Jahrgang, die kannten nicht mal meinen Namen und doch haben sie schon mehr mit mir gesprochen als er.

 

Zögernd drückte ich auf 'Antworten' und bemühte mich um eine neutrale Aussage, nicht zu unhöflich, aber doch distanziert. Schließlich wusste ich nicht, was er von mir erwartete. Das nervöse Zuppeln von Fingern auf meiner Haut, machte mir klar, dass Joshua seine Aufmerksamkeit offenbar ebenfalls dem kleinen Ding in meinen Händen gewidmet hatte und seinem Gesicht nach zu urteilen, davon nicht ganz so begeistert war.

„Ich wusste nicht, dass du ihn kennst“.

 

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und der Tadel darin war deutlich herauszuhören, doch trotzdem nickte ich leicht, genauso verwirrt wie vorher. Vielleicht waren wir uns ein paar mal auf ähnlichen Partys über den Weg gelaufen, aber gestern hatten wir das erste mal miteinander gesprochen, das stand fest. Vielleicht wollte er auch einfach nur nett sein und nachfragen, wie es nun mit mir und, ich musste augenblicklich schmunzeln, meinem Freund aussah.

 

Am gestrigen Tag hatte er sich immerhin als gute Stütze erwiesen und da David in letzter Zeit nicht so begeistert von mir war, was für eine Untertreibung, kam es mir in den Gedanken, und Marie eindeutig andere Sachen im Kopf hatte, könnte ich einen guten Kumpel gebrauchen, der mir bei dem männlichen Wesen neben mir zur Seite stand. Was sprach also dagegen, ein wenig mit ihm zu schreiben?

 

Das Surren meines Handys bestätigte mich still in meinem Gedanken und so schrieb ich, während Joshua seinen Missmut lautstark kund gab, auch den ganzen Nachmittag mit Steve, der mir zusehends sympathischer wurde. Meine restlichen Freunde schienen mich weiterhin zu meiden. Marie hatte sich nicht mehr gemeldet und David war verständlicher weise auch untergetaucht. Es war, als hätte ich es nun endgültig versaut und das Gefühl, das mich beschlich, war kein Gutes.

 

Mit einem kurzen Blick auf die Uhr, stellte ich fest, dass es bereits vier war und mein Magen zu recht nach etwas Essbarem schrie. Ungelenk hievte ich mich unter Joshuas Arm hindurch aus dem Bett und richtete meine Kleidung, die von dem langen Sitzen ganz knitterig geworden war und nun harte Falten aufwies. Mum würde schreien, wenn sie mich so sähe, Gott sei dank, verschanzte sie sich ja seit heute Morgen hinter ihren Bücherregalen, konnte mir also nur recht sein.

 

„Komm, ich hab Hunger“, maulte ich unfreundlich, die Stimmung im Haus schlug anscheinend langsam auf mich über. Der Schwarzhaarige hob grazil eine Augenbraue und strich sich das perfekt sitzende Haar zurück, eine Geste, die mich zunehmend provozierte. Ich weiß nicht mal warum, aber das Problem zwischen Mabel und Marie, der Stress mit David und die aktuell herrschende Spannung in der Familie, machten mich reizbarer als üblich und so ging ich einfach drauf los, immer mit dem Hintergedanken, dass der Vampir keine großartige Wahl hatte.

Bereits nach der Hälfte der Treppe, spürte ich ein kleines Ziehen im Magen, dass wie ein Gummiband versuchte, mich zu ihm zurückzuziehen und auch oben schien die Botschaft angekommen zu sein.

 

„Das ist ...“, flüsterte er plötzlich störrisch hinter mir, ließ den Satz jedoch unvollendet. Besser so für ihn. Ich war nicht in der Laune für Diskussionen. Im Flur roch ich noch den salzigen Duft des längst kalten Mittagessens, vermutlich irgendetwas mit Fisch, riet ich, und marschierte mit eiligen Schritten in die Küche, wo ich als erstes den Kühlschrank durchforstete,vergeblich. Außer einem abgelaufenen Joghurt, einer verschrumpelten Zitrone und den Essensresten von heute, war nichts zu finden. Vorsichtig spähte ich unter sie Silberfolie, in der das Mittagessen verpackt worden war und entdeckte Seelachsfilet mit Gemüse. Angeekelt verzog ich das Gesicht. Fisch war noch nie meins gewesen und würde es in Zukunft wohl auch nicht sein. Wenn ich Glück hatte, und ich hoffte wirklich darauf, dass sich Gott mal mit mir erbarmte, dann wäre noch eine Packung Müsli im Küchenschrank.

 

Auf Zehenspitzen rekte ich mich, um an die Schranktür zu kommen und erblickte wirklich meine heißgeliebten Chocopops, die, meiner Mutter zufolge, ein wahres Zunehmwunder waren. Ich konnte und wollte das nicht unbedingt analysieren, was interessierte es mich denn wie viele Kohlenhydrate ich gerade zu mir nahm? Das Ergebnis würde sich auf der Waage widerspiegeln und einmal mehr war ich froh, nicht wie meine Mum zu sein. Das dauernde Kalorienzählen wäre mir wahrlich zu anstrengend, überlegte ich stirnrunzelnd und füllte die Cornflakes in eine kleine, weiße Schüssel, die ich bis zum Rand mit Milch aufschüttete.

 

Vorsichtig lugte ich um die Ecke, entdeckte ein leeres Esszimmer und ging geradewegs auf einen der vielen Stühle zu, als sich auf dem großen Sofa in der Ecke etwas regte. Unter einem Haufen Decken, Kissen und gebrauchter Taschentücher machte ich einen zierlichen Körper aus, von dem hell blondierte Strähnen abstanden. Das war der Moment, in dem ich so leise wie ich konnte den Rückzug antrat und in der schützenden Küche verschwand.

 

Das Müsli könnte ich auch hier mampfen, lenkte ich gedanklich ein und lehnte mich gegen die kühle Arbeitsplatte, den Löffel langsam im Kreis drehend. „Mabel ist da drin“, kam es überflüssiger weise von Joshua, der sich mit einem Arm an der Kücheninsel abstützte und prüfend durch den Raum blickte. „Ich weiß, du hättest mich vorwahnen sollen“, gab ich vorwurfsvoll zurück und schluckte genüsslich einen Bissen nach dem andern. Er zuckte unbeteiligt mit den Achseln und versenkte seine rechte Hand grüblerisch in der Hosentasche, wo sie zum erliegen kam, er wirkte abwesend.

 

„Alles klar?“, fragte ich zögernd und hielt in meiner stockenden Bewegung inne, mit der ich mir gerade einen weiteren Löffel meines 'Mittagessens' genehmigen wollte. Er schmunzelte abschätzig und nickte schlicht, während er einige Schritte näher trat, sodass uns nur noch ein Meter voneinander trennte.

 

„Wir müssen zu meinen Eltern“, flüsterte er abwesend und beugte sich ein Stück weiter vor, berührte mit seinem Mund leicht neckend meine Unterlippe. „Die frohe Botschaft überbringen?“, riet ich atemlos und krampfte die schweißnassen Finger fast panisch um den Schüsselrand, was ihn zu belustigen schien. Langsam nahm er sie mir aus der Hand, stellte sie auf die Arbeitsplatte und ließ mich dabei keinen Moment aus den Augen, die mich mit ihrem tiefen Schwarz gefangen nahmen.

 

Ich schluckte hart und ließ meine nervösen Hände kraftlos fallen, sodass sie unnütz neben meinem Körper hingen. Es war albern wie befangen ich war, schließlich führten wir eine Beziehung, also überwand ich hastig den Abstand zwischen uns eigenhändig und verschloss seine weichen Lippen stürmisch mit meinen. Etwas überrascht verharrte er einige Sekunden ohne Regung, was mein Herz dazu veranlasste auszusetzen, ehe er endlich eine Hand in meinen Nacken schob und mich näher zu sich zog. Seine angenehme Wärme schlug mir entgegen und ich schmiegte mich automatisch an den harten Körper, dessen Muskeln ich sogar durch das Oberteil hindurch an meiner Brust spüren konnte.

 

Vorsichtig stupste ich mit meiner Zunge fragend gegen seine Unterlippe und glitt abrupt, kaum hatte er sie ein Spalt geöffnet, in seine Mundhöhle, um sie ausgiebig zu erkunden.

 

Er schmeckte nach Zimt und Honig, süß und zäh, kam es mir benebelt in den Sinn. Es war ein berauschendes Gefühl ihn zu schmecken, seine Lippen sanft und drängend auf meinen zu spüren, und seine warmen Hände, die auf meinen Schultern heiße Spuren zogen. Mein Herz klopfte wild in meinem Brustkorb und ich war mir sicher, dass er es hören konnte.

 

Geschickt umspielte er meine Zunge mit seiner und zog spielerisch an einer meiner losen Haarsträhnen, die mir achtlos ins Gesicht fielen und seine Haut bei jeder Bewegung streiften. Seine linke Hand fuhr hinab zu meinem Po, umfasste ihn leicht und zog kleine Kreise auf dem Stoff meiner Jeans, die sich bis in meine Oberschenkel zu brennen schienen.

 

Nach Atem ringend löste ich mich von ihm versteckte meine Züge sogleich an seinem weichen Hals, wo ich seinen betörenden Duft einatmete. Weihnachten, dachte ich wiedermal seufzend und legte meine schlaffen Hände auf seine Taille, damit er sich nicht von mir entfernen konnte. Es war dumm zu denken, dass ich ihn davon abhalten könnte, wenn er wollte, aber ich hatte den Eindruck, dass ich gerade keine Sekunde ohne ihn in meinen Armen überstehen könnte und das war das Einzige worüber ich nachdachte.

 

Schweigend standen wir so eine Weile, es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, in Wahrheit waren es jedoch nur wenige Minuten.

 

„Wollen wir?“, drängte er plötzlich leise und fuhr mit seiner Nasenspitze meine Ohrmuschel entlang, wobei sein heißer Atem auf meine Haut traf. Ich gab ein unzufriedenes Knurren von mir und kuschelte mich noch enger an seine vor Lachen bebende Brust. Ich wollte nicht schon wieder auf diese ulkige Frau von Mutter treffen, deren abwertender Blick mir glatt eine Gänsehaut verpasste und auf Mose konnte ich getrost verzichten. Er war zwar längst nicht so schlimm, wie meine zukünftige Schwiegermutter, aber ich wollte nicht mehr Zeit als nötig mit ihm verbringen, dachte ich mürrisch und krallte meine Fingernägel versehentlich etwas zu fest in Joshuas T-Shirt, was er mit einem leichten Zusammenzucken zur Kenntnis nahm.

 

„Liz, du tust mir weh“, kam es verwundert und schmerzvoll von dem Schwarzhaarigen, der sich unter meinem festen Griff wand. Verdutzt sah ich zu ihm auf und ließ meine Nägel hastig aus seiner Haut gleiten.

 

„Tut mit leid, das wollte ich nicht“, antwortete ich lahm und warf einen kurzen Blick auf dessen Rücken, der mit acht, roten, halbkreisförmigen Stichen verunstaltet worden war. Vorsichtig, um ihm keine Schmerzen zuzufügen, ließ ich meine Fingerspitzen um die Ränder der Verletzungen gleiten, die vor meinen Augen anfingen zu heilen. Überrascht fuhr ich über die rosa Narben, die sich an den Stellen gebildet hatten, und für dessen Heilung ein normaler Mensch normalerweise mehrere Wochen gebraucht hätte.

 

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich verblüfft und drehte mich zu seinem Gesicht, dass zu einer undefinierbaren Maske gefroren war.

 

„Die Frage ist nicht, was ich gemacht habe, sonder vielmehr was du getan hast“. Bei seiner ruhigen Stimme stellten sich mir jegliche Haare auf, denn er hatte recht. Wie konnte ich, ein durchschnittliches Mädchen aus Chicago, einen Vampir wie ihn, verletzen?

 

 

 

                                                                                                                                                 

Dam dam dam! Das Ende dieses Kapitels und ich hoffe es war eine kleine Entschädigung für meine lange Abwesenheit :) Natürlich geht es am nächsten WE weiter und dann wird auch das kleine Geheimnis gelüftet! ;-)

Liebe liebe Grüße von Osterhase, die sich nun seelisch auf ihr bevorstehendes Berufspraktikum vorbereiten muss, wünscht mir Glück und starke Nerven!

 

18. Kapitel

 

                                                                                                                                                    

 

Nur mal so als Vorwarnung, das was jetzt kommt, war ehrlich gesagt nicht geplant, aber jetzt ist es da und naja XD Viel Spaß beim Lesen!

 

                                                                                                                                                    

„Setzt euch“, freundlich deutete Mose auf ein kleines rotes Sofa.

Angeekelt sah ich durch den Raum, alles voller Spinnenweben, Staub und Fussel, die durch die Luft wirbelten, als ich mich auf das Polster niederließ. Eigentlich war alles recht schön eingerichtet, nur schien man mit der Zeit als Vampir jegliches Empfinden für Hygiene zu verlieren.

 

Nachdem ich und Joshua eine Weile in der Küche standen, hatte er beschlossen zu seinem Vater zu gehen und mit ihm über diese merkwürdige Sache zu reden. Einschließlich mir. So viel zu dem Thema Gleichberechtigung in einer Beziehung, na gut, konnte ich mit leben. Wahrscheinlich hatte dieses Ereignis mein Gehirn eingenebelt, dachte ich bekümmert und biss nervös auf meine Unterlippe.

Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatten sich meine Knochen vor Nervosität schon in Wackelpudding verwandelt.

 

Während der Schwarzhaarige Mose alles erzählte, fiel mir auf, dass er auf dem kleinen Sofa so weit von mir weggerückt war, wie nur möglich. Als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder sowas. Als wir hierhin liefen (ja, liefen!) hatte er auch Abstand gehalten, nicht geredet, mich ignoriert. Ich war nicht normal. Oder? Ich hatte mit meinen Fingernägel Spuren auf dem Körper eines Vampirs hinterlassen, das war definitiv unnormal.

„Es hat sich was verändert, ich weiß nicht wieso, oder was, aber es ist anders als sonst. Ich habe keinen Hunger mehr“, Joshua sah auf meinen Hals, in dem mein Puls sanft pulsierte und seufzte, „Ich will nicht mehr ihr Blut, jedenfalls nicht mehr so sehr wie früher“.

 

„Wie meinst du das, du willst mein Blut nicht mehr?“ Ich musterte ihn überrascht und er sah auf den Boden, als könnte er meinen Anblick plötzlich nicht mehr ertragen. „Ich ... du riechst gut, aber wenn ich daran denke, dein Blut in meiner Kehle zu spüren ...“, er schüttelte angewidert den Kopf, „Ich könnte es nicht mehr“. Das saß. Ein scharfer Schmerz breitete sich in meiner Brust aus und ich schluckte hart. Seit wann war das schon so, und wieso, wieso hatte ich nichts davon bemerkt?

„Aber, ich dachte ...“Ich stockte. Er zuckte hilflos mit den Schultern und lächelte traurig.

„Erica, komm her!“

 

Ein dunkelhaariges Mädchen lief ängstlich torkelnd zu uns rüber und nahm zwischen mir und Joshua platz, der sich sofort versteifte, fast so, als wüsste er was jetzt kommen würde.

„Trink“ Mose stand auf und legte den Kopf des Mädchens in den Nacken, sodass man das Blut in ihrer Halsschlagader wild pulsieren sah. Vor Angst.

Der Schwarzhaarige beugte sich gehorsam über Erica, leckte über ihre Haut, knabberte sachte daran, wie ein Verliebter, dachte ich kurz, bevor ich über die Beine des Mädchens mahnend nach seiner Hand griff. Ich kniff ärgerlich meine Augen zusammen, als er sich losriss und erneut ansetzte.

 

„Ich dachte, du könntest nur noch mein Blut trinken“, flüsterte ich und ballte meine Finger zu Fäusten. „Das ist richtig, aber wir müssen erfahren, ob er überhaupt noch trinken kann“ “Ob er überhaupt noch ... Was ...? Was geht hier vor?“ Meine Augen wurden groß und ich hätte beinahe aufgeschluchzt, so ratlos war ich. Verdammt, was lief denn hier? Er war ein Vampir, natürlich kann er noch trinken, dachte ich verärgert.

„Für Vampire ist das Blut des Gefährten der einzige Sinn im Leben, wenn er dein Blut aber nicht mehr begehrt ...“,fing Mose an und ich verstand. „Dann ist er vielleicht gar kein Vampir mehr“. Er nickte.

„Aber wie?“ Er zuckte mit den Schultern und spielte mit dem dunklen Haar des Mädchens, dass noch immer von Joshua vorbereitet wurde. Er saugte an ihr, als wäre es die einzige Möglichkeit zu überleben. Doch er schluckte nicht. Nichts rann seine Kehle runter, kein Blut floss, nichts.

 

„Hör auf, es bringt nichts“, hauchte ich heiser und umklammerte seine Hand, die sich verzweifelt in Ericas Rock festgekrallt hatte. Er löste sich langsam von ihr und seine Augen schimmerten feucht.

„Fass mich nicht an! Du bist Schuld an all dem!“, knurrte er und sprang vom Sofa auf, das Mädchen schluchzte verängstigt auf und hielt sich den Hals, an dem ein großer roter Punkt prankte. Moses Hand blieb dort.

Einen kurzen Moment lang fragte ich mich, wo sie wohl herkam, doch ich verdrängte den Gedanken schnell wieder. Ich wollte es bestimmt nicht wissen.

 

„Joshua!“ Mose strafte ihn mit einem Blick und verzog missmutig den Mund, als sein Sohn sich auf den Boden hockte und seine Hände in den Haaren vergrub.

„Wie kann das sein?“, schrie er plötzlich und wischte sich wütend die Tränen auf seinen Wangen weg.

"Vielleicht ist das eure Gabe“, warf Mose ein, doch ich schüttelte den Kopf. „Wir haben es noch nicht bestätigt, die Gefährtschaft meine ich, wir haben noch nicht ...“ Ich stockte und er verstand.

 

„Ich kann doch kein erbärmlicher Mensch geworden sein! Das ... das ist unmöglich“
„Eure Verbindung war schon immer anders, warum solltet ihr nicht auch ohne das Ritual und ohne euer Wissen die Gefährtschaft bestätigt haben?“ Moses Stimme hallte kalt durch den steinernen Raum und die Härchen auf meinen Armen stellten sich alarmbereit auf.

Ich schloss die Augen, ein ungutes Gefühl überkam mich.

 

„Nein, bi ...“ Der Rest ging in einem lautstarken 'Knack' unter. Etwas Nasses ran meinen Oberarme entlang und ich quietschte erschrocken auf, als ein Körper neben mir zusammensackte und auf mich fiel.

Nur langsam öffnete ich die Augen und hoffte, dass alles gut werden würde, dass kein toter Körper vor mir lag und das nasse Etwas, das klebrig an mir heftete nicht rot war. Doch alles Hoffen brachte nichts.

„Oh Gott“, angewidert stieß ich den noch warmen Körper mit aller Kraft von mir und beobachtete schockiert, wie sich Ericas Blut auf dem Boden verteilte und eine dunkle Pfütze rund um ihren Kopf bildete, der in einem unnatürlichen Winkel abstand.

„War das nötig?“ Joshua verdrehte die Augen und schien einen Moment von der Leiche abgelenkt.

 

„Wir können uns keine Zeugen leisten, das weißt du doch.“ Der Ältere verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und lächelte zufrieden. Mir rieselte es bitter die Wirbelsäule hinunter.

Wie konnte jemand in einem Moment nur so liebevoll sein und im nächsten ein Leben nehmen, ohne mit der Wimper zu zucken?

 

Mein zitternder Körper schwankte zwischen wegrennen und stocksteif stehen bleiben. Wegrennen, stehen bleiben, wegrennen, stehen bleiben.

Stehen bleiben.

 

„Liz ist das nicht gewöhnt, sie ist ein Mensch“ Seine Worte waren schneller heraus, als gewollt und er rümpfte die Nase.

 

Etwas Feuchtes rann meine Wange hinunter, verwundert wollte ich die Hand heben, doch sie schien nicht mehr da zu sein, nicht mehr zu mir zu gehören. Kalt, stumpf, unbrauchbar.

 

„Du siehst nicht gut aus“ Mose hob eine Hand und streckte sie schon prüfend nach meiner Stirn aus, als ich keuchend auswich und mit großen Augen auf die noch blutigen Finger blickte. Mein Atem ging stoßend und ich wimmerte wie ein kleines Kind, als er einen Schritt näher trat.

 

„Sieht so aus, als hätte sie einen Schock“, mutmaßte der Schwarzhaarige und kam mit langen Schritten zu mir herüber.

 

Die zwei Männer kamen mir bedrohlich langsam näher und ich kniff die Augen zusammen, um jedes Detail ihrer Bewegungen aufnehmen zu können. Irrte ich mich, oder bleckte einer der beiden gerade seine Zähne? Nein, er lächelt. Oder?

 

Verunsichert ging ich immer weiter nach hinten, bis ich über etwas stolperte und haltlos mit den Armen ruderte, bevor ich hart auf den Boden aufkam. Doch ich spürte keinen Schmerz, dafür sah ich um so deutlicher was der Sturz mit mir angerichtet hatte.

 

Blut, überall Blut. Mit großen Augen sah ich an mir herab und suchte nach einer Wunde. Wo kam das ganze Blut her?

 

Hektisch fuhr ich mit zittrigen Fingern über meinen Körper. Meine Augen wanderten weiter zu einem verrenkten Körper neben mir. Mein Gehirn war nicht fähig beides miteinander zu verknüpfen, ich war mir sicher, dass ich den Zusammenhang übersah.

 

Mein Puls raste vor Adrenalin, ich hörte es in meinen Ohren rauschen, hörte wie sie näher kamen und wie sie miteinander redeten. Doch ich konnte keins ihrer Worte verstehen, zu laut war das dröhnende Pochen.

Mein Blick verschwamm vor Tränen, hektisch versuchte ich sie wegzublinzeln, um den Überblick zu behalten, doch immer neue kamen nach.

 

„Liz ...“ Der Rest ging in meinem eigenen Schrei unter, als sich eine feste Hand um meinen Oberarm legte und an mir zerrte. Ich stemmte mich gegen den Griff, kreischte und krallte mich an alles umherliegende, bis ich durch das Blut auch an dem Letzten aller Hilfsmittel abrutschte.

 

„Bitte, Nein!“ Mein Betteln ließ sie kalt, die Fingernägel bohrten sich noch tiefer in mein Fleisch und hievten mich schließlich vom Boden auf. „Alles gut, dir passiert nichts.“ Der beruhigende Ton des Jüngeren verfehlte seinen Zweck, Hass und Wut stieg in mir auf.

 

Ich spürte wie der brennende Zorn meine Kehle hinaufschlich und einen bittere Geschmack hinterließ. Den Geschmack von Blut.

 

Ich wollte Blut sehen.

 

Mein Blick veränderte sich, ich hatte nur noch eines im Sinn: den umzubringen, der versuchte, mir mein Leben zu nehmen.

 

Ich knirschte erwartungsvoll mit meinen Zähnen und wand mich in dem kräftigen, aber zu laschen Handgriff meines Gegners herum, sodass ich in sein Gesicht sehen konnte. Schwarze Augen blickten überrascht in meine und der Junge trat automatisch ein paar Schritte nach hinten. Meine Chance.

Ich hätte weglaufen können, doch er sollte büßen. Niemand durfte nach meinem Leben trachten, ohne Konsequenzen zu erwarten.

 

Ich fuhr mit meiner Zunge über meine langen Eckzähne, die sich zu meiner Genugtuung spitz in das Fleisch gruben. Bereit zum Kampf, bereit zum Töten!

Ich knurrte noch einmal bedrohlich, fast freudig auf den Kampf, der so viel versprach. „Liz, was?“ „Joshua, renn!“ Eine dunkel Stimme schrie erhitzt hinter mir auf den Jungen ein, der sich stirnrunzelnd von mir entfernte.

Einen Moment dachte er daran zu kämpfen, man sah wie er die Finger krümmte, doch dann sah er zur Tür und machte Ansätze darauf zu zu sprinten.

 

Zu spät, zu langsam, zu schwach, glitt es mir durch den Kopf, als ich einen Satz auf ihn zu machte und mit meinen Fingernägeln seine Kehle streifte, auf der eine schmale rote Spur ihren Weg nach unten rann.

Eine Hand griff in meinen Nacken, hinderte mich daran mich zu bewegen, ehe ich mit voller Wucht gegen die kalte Wand gedrückt wurde und meine Nase ächzend knackte.

„Geh, Joshua, hier ist es nicht mehr sicher für dich. Bleib in der Nähe, wenn sie wieder zu Verstand kommt, wird sie sicher jemanden brauchen“.

 

Ich lachte hohl. Als würde er davon kommen.

„Warum, verdammt, ist sie ein Vampir“, schrie der Junge und deutete abwertend auf mich, ehe er seinen eigenen Körper von oben herab musterte, „und ich ein Mensch?“

„Ich weiß es nicht.“ Die Stimme meines Angreifers klang ratlos, der Griff in meinem Nacken wurde noch etwas fester. „und jetzt geh endlich, sie muss sich beruhigen!“

 

Mit diesen Worten brach meine Nase endgültig und ich gab einen zischenden Schmerzenslaut von mir. „Loslassen“, murrte ich und wand mich in seinen Armen, die mich auch weiterhin fest an die Mauer drückten.

„Hast du dich beruhigt?“Mein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, ich würde nicht eher Ruhe geben, bevor der Junge tot war, der Alte sorgte gerade dafür, dass er auch auf der Abschussliste stand.

Langsam nickte ich und der Griff lockerte sich. Mein Blick wanderte zuerst zur Tür, in der der Schwarzhaarige verschwunden war. Ich würde ihn finden, an seinem Geruch, weglaufen brachte nichts.

 

Meine Fingerkuppe glitt zu dem gebrochenen Knochen, der nur schwach pocherte und mit einer einzelnen Bewegung wieder in die richtige Stellung gebracht wurde.

Er löste sich gänzlich von mir. Fehler.

 

Mein Hand schnellte hervor, griff sich seinen Hals und setzte gerade dazu an, diesen nach hinten zu drücken, als der Mann mich mit einem kräftigen Schlag auf die Brust auf den blutbefleckten Boden katapultierte. „Glaubst du ernsthaft, ich würde mich von so einem jungen Ding wie dir umbringen lassen?“, er schnaufte empört und fuhr sich durchs weiße Haar, ehe er sich bückte und drohend auf mich hinabsah. „Ich bin der König“.

 

„Ein toter König ...“, lachte ich leise und trat mit dem Fuß nach ihm, als er auch schon meinen Knöchel packte und zur Seite drehte. Knack.

 

19. Kapitel

 

Joshua:

 

Ich lehnte mich an die eiserne schwere Tür, während ich dabei zuhörte, wie ein Knochen nach dem andern im Nebenzimmer brach. Knack. Immer wieder dieses grässliche Geräusch.

 

„Das dort drin ist nicht Liz“, sagte ich mir leise und doch sah sie genauso aus. Ihre braunen Haare, die in ein giftgrün übergingen und der Mund, der sich immer zu einem schiefen Lächeln verformte. Genau der Selbe, und doch anders.

 

Eine ganz andere Frage schwirrte in meinem Kopf herum, die mich, zugegeben, von den Qualen meiner Gefährtin ablenkten. Wieso war sie ein Vampir und ich ein jämmerlicher Mensch?

Wann war das geschehen, wann hat mein Körper aufgehört, ich zu sein und sich in ein verletzliches Stück Fleisch verwandelt? Verzweifelt raufte ich meine Haare und ließ mich auf den Boden sinken. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Zustand von kurzer Dauer war.

 

Mein Gehirn konnte sich diesen Vorgang nicht erklären. Noch nie, niemals, hatte sich ein Vampir in einen Menschen verwandelt. Es war unmöglich, unbegreiflich. Ein Fluch!

Vielleicht war es falsch, Liz die Schuld für all das zu geben, ich liebte sie, wirklich, aber wenn ich sie nicht getroffen hätte ...

 

Ich würde Zuhause sitzen, Veronique neben mir, die genüsslich mit ihren Fingernägel auf meinem Körper kleine Kreise in die unteren Gefilde zog und anzüglich grinste. Keine Verantwortung, keine nervigen Gefühle, die mein Herz zum Rasen brachten, obwohl es doch sonst so gemächlich schlug.

 

Ich lachte trocken auf und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. Wäre das alles doch bloß nie passiert.

Ich hievte mich auf meine wackeligen Beine und schluckte trocken. Ich konnte nur hoffen, dass es klappte.

 

Ein nagendes Gefühl nistete sich in meiner Brust ein, gefüllt von Ungewissheit, ob das hier wirklich die richtige Entscheidung war.

 

Ich ging zögerlich ein paar Schritte, wurde schließlich schneller und stellte enttäuscht und wütend fest, dass das störrische Ziehen in meinem Bauch nicht verging.

 

Ich war gefesselt, für immer.

 

Als Mensch an eine Vampirin, die mich in diesem Moment umbringen wollte.

 

 

Mose:

 

Ich hörte, wie Joshua hinter der Tür die Flucht antrat und hätte beinahe enttäuscht aufgeseufzt, doch ich musste mich auf Elizabeth konzentrieren, die sich krümmte und ihr Gesicht vor Schmerz verzog, sodass es einer einzigen Grimasse glich. Ihre Braunen Haare lagen dabei wie ein Heiligenschein um ihren Kopf verteilt und gaben dem Ganzen einen merkwürdigen Blickwinkel. Ich musste sofort an die alten Holzschnitzereien eines alten Freundes denken, der sich über dieses Motiv mehr als gefreut hätte.

 

Ich legte meine Hand zärtlicher als zuvor auf ihre kalte Stirn und hoffte, dass der Schmerz Joshua wieder zurücktreiben würde, bevor es den Beiden größere Probleme bescherte. Ihr Körper erschlaffte, ihr Herz raste und ihre Atmung erhöhte sich. Skeptisch verzog ich die Augenbrauen, doch als sich ihre Lider hoben, erkannte ich, dass das keinesfalls ein vampirischer Körper unter mir war. Ihr Blick war verwirrt und kleine Tränen lugten in ihrem Augenwinkel hervor.

 

Ich lehnte mich zurück und betrachtete sie schweigend, nachdenklich neigte ich meinen Kopf und strich mir meine hellen Haarsträhnen nach hinten. Wie war das nur möglich? Hatte es etwas mit der Unterbrechung ihrer Verbundenheit zu tun?

 

Elizabeth versuchte sich aufzusetzen, doch ihr Gleichgewicht brachte sie wieder zu Fall. Die Verletzungen schienen aufgrund ihrer Menschlichkeit nicht so schnell zu heilen. „Interessant“, flüsterte ich zu mir selbst und erhob mich aus der knienden Haltung, nur um im Raum unruhig hin und her zu schreiten, eine Hand umfasste dabei stets mein Kinn. Oben hörte ich, wie sich Sarah und meine Tochter über die Ereignisse hier unterhielten. Ihre Meinung war zwiegespalten, sodass sie beschlossen hatten, gar nicht erst herunterzukommen. Ein Lächeln umschlich meine Lippen.

 

Auch wenn ich sie liebte, so wusste ich nur zu genau, dass sich Sarah nicht viel um Andere scherte und solange ihre Familie bei ihr war, schien ihr nichts zu fehlen, sie nichts zu kümmern oder zu sorgen. Auch nach all den Jahren, war es mir nie gelungen ihren Charakter zu ergründen. Wir teilten die selben Gedanken, die Gefühle, aber unsere Seelen behielten wir für uns. Das machte das Leben mit ihr aus.

 

„Joshua?“ Liz blickte sich um und ihr Geliebter öffnete die Tür. Wir sahen uns einen Moment lang in die Augen, denn wir waren uns beide bewusst, was Joshua getan hatte, oder besser gesagt: Tun wollte! Aber war sein Körper auch wieder der eines Vampirs?

 

Ich lauschte nach seinem Herzschlag, der träge und langsam in seiner Brust schlummerte. Tatsächlich hatte sich die Verwandlung durch die Entfernung der beiden Gefährten wieder behoben. Was ging nur hier vor? Aber war das überhaupt wichtig? Vielleicht sollte man manche Situationen einfach akzeptieren und lernen, damit zu leben.

 

Ich glaubte daran, dass da draußen irgendetwas war, ein Gott oder was auch immer, der das alles hier unten lenkte, der jedem Handeln einen Sinn gab, auch wenn wir selbst es nicht sehen konnten. Mag sein, dass es nur die Hoffnung war, dass das ein oder andere nicht umsonst geschah, wer wusste das schon? Aber ich glaubte fest daran und ich wusste, dass ich mit diesem Glauben nicht alleine war.

 

Joshua kam einige Schritte auf Elizabeth zu und streckte seine Hand zögernd nach ihrer aus, so als hätte er Angst, dass das Monster in ihr noch nicht ganz gewichen war. Doch das Menschenmädchen verschlang die Finger der beiden sofort zu einem unlösbaren Knoten.

 

Nichts, außer die Belanglosigkeit von Blut, das wie eine zweite Haut an ihrem Körper klebte. Ich war längst abgestumpft, aber für einen Menschen musste es wohl traumatisierend sein, so etwas mit an zu sehen.

Ich schüttelte den Kopf. Irgendwann würde sie das sicher verstehen. Hoffentlich würde es nicht zu lange dauern, denn ein Menschenleben war so unsagbar kurz und mehr als das, würde es für die beiden nicht geben.

Es war nicht wie in den albernen Büchern oder Filmen, kein Biss, kein Gift auf dieser Welt, konnte einen Menschen für immer vor dem Tod bewahren. Nur die Kinder von Gefährten überlebten die Ewigkeit.

 

Mag sein, dass Elizabeth zu einem Vampir werden wird, aber wie viele Jahre mehr würden ihnen dadurch ermöglicht werden? 100? Vielleicht auch 200, wenn es gut läuft. Aber dann wird ihr Körper anfangen zu schwächeln, die Knochen werden brechen, ihre Haut wird erschlaffen und langsam aber sicher, wird sie den Verstand verlieren und schließlich sterben.

 

Vielleicht würde es auch ganz anders ablaufen, schließlich waren sie ein Sonderfall, aber können sie auch diese Grenze überwinden?

 

Ich sah wie Joshua sein Mädchen aus der Blutlache zog, ihr beruhigende Worte zuflüsterte und mit seinen Augen die Schwere ihrer Brüche feststellte, während er unentwegt über ihren zierlichen Kopf strich.

Ich ließ sie allein und verschwand durch die alte Holztür, um hinauf zu meiner Frau zu gehen. Ich war froh, dass uns nicht das Schicksal der beiden ereilte, auch wenn ich wusste, dass Liz' Tod auch den meines Sohnes bedeuten würde.

 

Ich schluckte hart und ging die Stufen hinauf, zurück zu meiner Liebsten.

20. Kapitel

 Das Einzige, was ich sah, war grelles Licht, weiß, gleißend, störend. Meine Lider flatterten, versuchten meinen Augen die Möglichkeit zu geben, sich auf etwas zu fokussieren, doch mein Blick blieb verschwommen. Jeder meiner Knochen fühlten sich an, als würde jeder Einzelne von ihnen zerbarsten. Ich stöhnte verbissen vor Schmerz auf, als mich jemand grob im Gesicht betastete und dabei die offenbar verletzte Nase berührte.

 

„Es ist nicht viel gebrochen, das kriegen wir schon wieder hin“, flüsterte jemand und ich wusste nicht, ob dieser jemand mit mir redete oder mit jemand anderem, der sich ebenfalls im Raum befand. Nur an einem Schatten am Rande meines Blickfelds konnte ich erkennen, dass derjenige der gesprochen hatte, nicht besonders groß zu sein schien, kleines Gesicht und kleine Hände, die auf meiner Haut jedoch große Schmerzen hinterließen. Jede Berührung fing Feuer, brannte sich in mein Fleisch und ich schloss krampfhaft meine Lider, um ein Zucken zu verhindern, das die Schmerzen sicherlich verschlimmert hätte.

 

„Ruhig bleiben!“ Die Stimme klang scharf, während etwas Flüssiges auf meine Haut tropfte. Ich war versucht mich zu winden, doch starke Hände auf meinen Oberarmen drückten mich hinunter. „Das sollte etwas helfen, die Verletzungen brauchen lange bis sie heilen. Ich kenn mich nicht aus mit Menschen, vielleicht sollte sie in eines dieser Kliniken, die Menschen heilen“, sagte die Stimme wieder, klang jedoch völlig gleichgültig und entfernte sich von meinem Körper.

 

 „Kannst du nicht mehr für sie tun?“, knurrte eine dunkle Stimme, sie erinnerte mich an jemanden, doch ich konnte sie nicht zuordnen. „Ich sagte bereits, ich bin nicht auf solche Wesen wie sie spezialisiert. Menschen sind zerbrechlich, aber sie wird es schaffen! Ich muss weiter, die Arbeit ruft.“

 

„Tut mir leid“, flüsterte die Stimme des Anderen in mein Ohr, nasse Lippen berührten mein Ohrläppchen und ich wünschte, ich könnte meinen Kopf drehen, um zu sehen, wer es war, doch nichts regte sich. Arme schoben sich unter meinen starren Körper. Ich wollte schreien - doch nichts drang aus meiner Kehle. Meine Knochen pochten, es fühlte sich an, also würden sie jeden Moment aus der Haut springen, sie durchbohren, Fetzen von Fleisch und Blut hinterlassen. Meine Lider kniffen sich härter zusammen, doch das schützte nicht vor diesem unendlichen Schmerz.

 

„Ich bringe dich nach Hause“, hauchte die Stimme wieder und mein Herz zog sich unwillkürlich bei diesen Worten zusammen. Ein warmes Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Etwas regte sie bei dem Gedanken daran, nach Hause zu kommen. Ich wusste nicht, was es war oder warum, aber es machte mir Hoffnung, das dann alles besser werden würde.

 

Kühle Luft rauschte an mir vorbei, trocknete die Nässe an meinen Händen, Armen und Füßen. Es war unangenehm, aber gleichzeitig lenkte es mich von den Schmerzen ab und dafür war ich wiederum dankbar. „Wir sind gleich da“, versprach die Stimme und ich glaubte ihr. Sie war ein Teil meiner selbst, so fest und stark in mir verankert, dass ich mich nicht traute, einen Zweifel an ihrer Richtigkeit zu hegen. Da war kein Gesicht, das ich ihr zuordnen konnte - nur ein zimtener Duft in meiner Nase und das Gefühl von tiefer Verbundenheit.

 

Wieder ein Lufthauch, dann weicher Untergrund, der meine Haut berührte und zischenden Schmerz auslöste, bis es sich beruhigte, ich mich daran gewöhnte und die Decke sich kühlend an mich schmiegte.

 

„Ich war eigentlich nie in einer Schule, weißt du? Das war gelogen. Ich war an einer angemeldet, aber ich hatte immer bessere Sachen zu tun als hinzugehen. Schätze, ich bin ein schlechter Prinz.“ Meine Augenbrauen verzogen sich ein Stück, während die Stimme mir immer wieder Worte zuflüsterte, mich einlullte und ablenkte.

 

„Penelope war immer da, sie ist die Gute von uns, der Liebling meiner Eltern. Wäre sie ein Kerl, wäre sie wahrscheinlich die Nummer 1 in der Thronfolge.“ Ein Lachen, süß, verbittert. Ich wollte meine Hand ausstrecken und die Stimme trösten. Doch ich vermochte nicht zu sagen, ob tatsächlich auch nur einer meiner Finger zuckte.

 

„Wäre ich da gewesen, könnte ich dir wahrscheinlich irgendwie helfen. Obwohl ich bezweifle, dass die Anatomie eines Menschen wirklich Unterrichtsstoff an Schulen wie unseren ist.“ Wieder ein Lachen. „Aber es hätte auch nicht geschadet ...“

 

Er mäßigte seine Lautstärke und ich konnte beinah spüren, wie sich sein durchdringender Blick in mich hinein bohrte. Er hob leicht meinen Kopf, schüttelte das Kissen auf, auf dem ich lag und senkte ihn wieder. „Ich wollte weglaufen. Ich ... hatte Angst im Körper eines Menschen zu verharren, verstehst du?“

 

Stille umfing uns.

 

„Eine Art Kurzschlussreaktion. Ich hatte die Hoffnung, das durch die Verwandlung unserer Körper, unsere Verbindung ... gelöst würde.“ Er seufzte und ich hörte, wie Fingernägel seine Haut berührten, kratzten oder vielleicht auch beruhigend streichelten.

 

„Nur weil ich mich entfernt habe, musst du jetzt so leiden. Hätte ich wenige Minuten gewartet, bis die Wunden geheilt wären ... Vielleicht wäre das so oder so nicht passiert, wer weiß das schon.“ Federleicht wurde meine Wange berührt, hauchzart, kaum spürbar und doch pochte mein Herz augenblicklich lauter. „Ich hoffe wirklich, dass du das alles ganz schnell vergisst, sonst darf ich mir von dir später bestimmt eine Rede anhören“, lachend hauchte er sanft einen Kuss auf meine Stirn und hinterließ ein vibrierenden Lufthauch ehe er sich hastig wieder entfernte.

 

„Schlaf jetzt, ich wache über dich.“

 

Beflügelt von seinen Worten nahm ich einen großen Atemzug und dämmerte erschöpft weg, fern in eine schmerzfreie Traumwelt.



Ich schlug meine verklebten Augen auf, Sonnenlicht traf gedämmt durch die Fensterläden und erhellte den Raum, sodass ich den am Bett lehnenden Körper ungestört beobachten konnte. Regelmäßige Atemzüge hoben Joshuas Brustkorb, um den sich seine blassen Arme geschlungen hatten, während er irgendwann in der Nacht in den Schlaf gedriftet war.

 

Ich wollte mich auf die Seite drehen, um bequemer zu liegen, doch pochende Knochen hinderten mich daran. Zischend holte ich Luft, fasste automatisch zu den schmerzenden Stellen, die nur noch mehr brannten, je länger ich die Fingerspitzen darauf verweilen ließ. Fast hatte ich es vergessen. Doch nur fast. Ich erinnerte mich noch dunkel daran, wie ich auf dem Boden lag, der Stimme in meinem Ohr lauschend, die Joshua gehört hatte.

 

Und wo die Verletzungen herkamen, wusste ich auch nur allzu gut - am Liebsten wollte ich das jedoch vergessen. Das Blut, das Brechen meiner Knochen und die Leiche neben mir ...

 

Ich hatte noch nie einen toten Körper gesehen. Nicht einmal bei der Beerdigung meines Großvaters hatte ich einen Blick in den Sarg geworfen, zu groß war die Angst davor, dass er nicht mehr so aussah, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Und so oft ich mir auch sagen mochte, dass ich keinerlei Verbindung zu diesem Mädchen gehabt hatte, so war es doch schwer zu verstehen, dass ich auch nie die Möglichkeit dazu haben werde. Ich würde sie gar nicht kennenlernen können. Konnte nicht erfahren, wie sie dorthin gekommen war, ob sie Familie hatte oder Träume. Einen Menschen, der sie liebte und nun missen würde, so wie ich meinen Großvater die Monate nach seinem Tod vermisst hatte. Und ich fragte mich, ob sie genau wie er für irgendwen in kurzer Zeit nur noch eine vage Erinnerung darstellte.

 

Ich wusste, dass Joshua und Mose wahrscheinlich täglich den Tod vor Augen hatten, ihn bewusst provozierten, mit ihm spielten, von ihm lebten und sich an der allumfassenden Macht ihrer selbst ergötzten. Doch ich wollte kein Monster sein, ich wollte die Kontrolle darüber behalten, wer ich war. Dass ich mich nicht hatte beherrschen können, machte mir noch mehr Angst, als der Gedanke an das Mädchen mit den toten Augen, die mich unentwegt aus ihren leeren Höhlen anstarrten.

 

„Seit wann bist du wach?“ Ich lugte vorsichtig aus dem Augenwinkel heraus in die Richtung des Schwarzhaarigen, der sich müde mit den Handflächen übers Gesicht rieb und damit den Schlaf aus seinen Gliedern vertrieb.

 

„Noch nicht lange“, krächzte ich, räusperte mich verlegen und begann von Neuem. „Hast du Schmerzen?“ Er deutete auf mich herunter, den Zeigefinger wenige Zentimeter von mir entfernt, fast so, als würde er sich nicht trauen, mich anzufassen. Ich nickte zaghaft und lachte gequält auf. „Schätze, das lässt sich nicht vermeiden.“

 

Er raufte sein Haar, zupfte ratlos an einer entflohenen Strähne und steckte die andere Hand in die Gürtelschlaufe. „Vielleicht solltest du deinen Vater bitten, dich zu untersuchen, oder ich bringe dich ins Krankenhaus, oder du fragst Mabel. Sie ist ein Mensch, sie weiß bestimmt, was zu tun ist.“

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Mutter, die ich nebenbei bemerkt, unheimlich lieb habe und nicht missen will. Sie hat mich auf verdrehte Art und Weise zu diesem Buch insperiert und ich danke ihr sehr dafür! Und ich danke natürlich auch allen Lesern dieses Buches, die sich durch mein Geschreibsel gekämpft haben :) Liebe Grüße, der Osterhase :3

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