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Leseprobe

Selma Lagerlöf

Legenden und Erzählungen

Einzig autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von
Francis Maro.

Mainz, Verlag von Franz Kirchheim 1901.

Mainzer Verlagsanstalt und Druckerei A.-G.


I. Legenden

Die alte Agneta

Eine alte Frau stieg den Bergpfad hinan mit kleinen trippelnden Schritten. Sie war klein und mager. Ihr Antlitz war verblichen und welk, aber nicht hart oder gefurcht. Sie trug einen langen Mantel und eine gekräuselte Haube. Ein Gebetbuch hatte sie in der Hand und ein Zweiglein Lavendel im Taschentuche.

Sie hatte eine Hütte weit oben auf dem Hochfelsen, da wo die Bäume aufhören zu wachsen. Sie lag ganz am Rande des breiten Gletschers, der seinen Eisstrom von dem schneebedeckten Berggipfel hinab in den Thalgrund stürzte. Da wohnte die Alte ganz einsam. Alle, die zu ihr gehört hatten, waren tot.

Es war Sonntag, und sie war in der Kirche gewesen. Aber wie es nun kommen mochte, hatte die Wanderung sie nicht froh, sondern wehmütig gestimmt. Der Pfarrer hatte vom Tode gesprochen und den Unseligen, und das hatte sie ergriffen. Plötzlich hatte sie sich erinnert, daß sie in ihrer Kindheit erzählen gehört, daß viele Unselige in der ewigen Kälte auf dem Bergesgipfel oberhalb ihrer Wohnstatt gemartert wurden. Sie erinnerte sich an Sage um Sage von diesen Gletscherwanderern, diesen unermüdlichen Schatten, die von den eiskalten Bergwinden gejagt wurden.

Sie empfand mit einemmal tiefes Entsetzen vor dem Berge und es dünkte ihr, daß ihre Hütte furchtbar weit oben lag. Wenn nun sie, die unsichtbar dort auf der Höhe der Alpen wandern, den Weg hinab über den Gletscher nähmen! Und sie, die ganz einsam war.

Bei dem Worte einsam nahmen ihre Gedanken eine noch traurigere Richtung. Jetzt war sie wieder mitten in dem Kummer, der all ihre Tage verzehrte. Sie empfand es hart, so weit fort von Menschen zu sein.

»Alte Agneta,« sagte sie laut zu sich selbst, wie es dort oben in der Einöde ihre Gewohnheit geworden, »du sitzest oben in deiner Hütte und spinnst und spinnst. Du mußt dich tagaus tagein rackern und schinden, um nicht vor Hunger zu vergehen. Aber gibt es jemanden, der eine Freude daran hat, daß du lebst? Gibt es jemanden, alte Agnete?

»Wäre einer von den deinen noch am Leben, so könnte es so sein. Wohntest du weiter unten im Dorfe, so wärest du wohl jemandem zur Freude. So arm wie du bist, könntest du freilich weder Hund noch Katze halten, aber du könntest wohl zuweilen einem Bettler Obdach gewähren. Du solltest nicht so weit von der Heerstraße wohnen, alte Agneta. Wenn du nur ein einziges Mal einem durstigen Wanderer einen Trunk Wasser reichen dürftest, so wüßtest du doch, daß du jemandem zum Nutzen lebtest.«

Sie seufzte und sagte sich, daß nicht einmal die Bauersfrauen, die ihr Flachs zum Spinnen gaben, ihren Tod beklagen würden. Wohl hatte sie versucht, ehrlich ihre Arbeit zu machen, aber es gab gewiß viele, die es besser konnten. Und die Thränen stiegen ihr auf, wenn sie daran dachte, daß der Herr Pfarrer, der sie in all diesen Jahren des Herrn auf demselben Platz in der Kirche gesehen, vielleicht meinen würde, daß es auf Eines herauskam, ob sie dort war oder nicht. »Ich bin wie eine Verstorbene,« sagte sie, »niemand fragt nach mir. Ich könnte mich ebenso gut hinlegen, um zu sterben. Ich bin schon erfroren, in der Kälte und der Einsamkeit. Mein Herz ist erfroren, das ist es.«

»O, du meine Güte, o du meine Güte,« sagte sie, »wenn es hier nur Einen gäbe, der mich brauchte, so könnte sich wohl noch Wärme in der alten Agneta finden. Aber kann ich etwa den Gemsen Strümpfe stricken oder den Murmeltieren ihr Lager aufbetten? Das sage ich dir,« sagte sie und streckte die Hand zum Himmel empor, »du mußt mir jemanden schaffen, der mich braucht, sonst lege ich mich hin und sterbe.«

Da kam ein hoher, ernster Mönch ihr auf dem Pfade entgegen. Er schloß sich ihr an, weil er sah, daß sie betrübt war, und sie erzählte ihm ihren Kummer. Sie sagte, daß ihr das Herz im Leibe erfror und daß sie wie einer der Wanderer des Gletschereises werden würde, wenn Gott ihr nicht etwas gab, um dafür zu leben.

»Das kann Gott wohl thun,« sagte der Mönch.

»Siehst Du nicht, daß Gott machtlos ist hier oben?« sagte die alte Agneta. »hier ist nichts anderes als die kalte, leere Einöde.«

Sie kamen immer höher hinauf. Das Moos lag weich auf den Halden, die Alpenpflanzen mit ihren behaarten Blättern säumten den Pfad ein, der Hochfelsen mit Klüften und Stürzen, mit Eisfeldern und Schneemengen stand so überhängend und schwer vor ihnen, daß die Brust sich zusammenschnürte. Da sah der Mönch die Hütte der alten Agnete dicht unter dem Gletscher.

»Ah,« sagte er, »wohnst Du hier? Da bist Du nicht einsam, hier hast Du Gesellschaft genug. Sieh nur!«

Der Mönch legte den Zeigefinger und den kleinen Finger zusammen, hielt sie der Alten vor das linke Auge und bat sie, nach dem Berge zu sehen. Aber die alte Agneta schauderte und schloß die Augen.

»Ist etwas dort oben zu sehen, so will ich es nicht erblicken,« sagte die alte Agneta. »Der Herr bewahre uns, der Herr bewahre uns! Hier kann es gar grausig sein.«

»Ja, dann lebe wohl,« sagte der Mönch. »Es wird Dir kaum ein zweites Mal geboten werden, so etwas zu sehen.«

Die Alte wurde neugierig, sie schlug die Augen auf und blickte nach den Schneefeldern. Zuerst sah sie nichts Wunderbares, aber dann fing sie an zu merken, wie es sich dort oben regte. Sie sah Weiß sich gegen Weiß bewegen. Was sie für Nebel und Dunst und blauweiße Färbungen des Eises gehalten, das waren Mengen von Unseligen, die in der ewigen Kälte gepeinigt wurden.

Das kleine Mütterchen stand da und bebte wie Espenlaub. Da war alles so, wie die Alten es in ihren Sagen erzählt hatten. Die Toten wanderten dort oben in unsäglicher Pein und Angst. Die Meisten waren in etwas langes, weißes gehüllt, aber alle hatten sie nackte Füße und unbedeckte Häupter.

Es waren ihrer eine zahllose Menge. Mehr und mehr kamen heran, je länger sie hinsah. Einige gingen stolz und hochaufgerichtet, andere kamen herangeschwebt, als tanzten sie über die Eisfelder, aber sie sah, wie die einen wie die anderen ihre Füße an den Spitzen und Kanten des Eises blutig rissen.

Es war ganz wie in den Sagen. Sie sah, wie sie sich unablässig aneinander schlossen, gleichsam um Wärme zu finden, aber sich augenblicklich wieder trennten, erschreckt durch die Todeskälte, die von ihren Körpern ausströmte. Es war, als ginge die Kälte auf dem Berge von ihnen aus, als erhielten gerade sie den Schnee ungeschmolzen und den Nebel eisig.

Nicht alle bewegten sich, einige standen stille in frierender Versteinerung und schienen jahrelang so gestanden zu haben, denn Schnee und Eis hatten sich um sie gehäuft, so daß nur der Oberkörper sichtbar wurde.

Je länger das kleine Mütterchen hinsah, desto ruhiger wurde sie. Der Schrecken wich von ihr, aber statt dessen wurde sie herzlich betrübt über all diese Gequälten. Es war kein Aufenthalt in der Pein, keine Ruhestatt für die verwundeten Füße, die über Eis eilten, schneidend wie geschliffener Stahl. Und wie sie froren, wie sie vor Kälte bebten und mit den Zähnen klapperten! Die, welche versteinert waren und die, welche sich rühren konnten, alle froren in schneidender, brennender, unerträglicher Kälte.

Da waren viele Knaben und Mädchen. Aber es war keine Jugend in ihren blaugefrorenen Gesichtern, es sah aus, als spielten sie, aber alle Freude war tot. Sie klapperten vor Kälte, schauerten und schrumpften zusammen wie Greise, während ihre nackten Füße die scharfkantigsten Eisstücke zu suchen schienen, um darauf zu treten.

Was sie am meisten rührte, war die zu sehen, die in das harte Gletschereis gebettet dalagen und die, welche als große Eiszapfen von den Seiten des Felsen herabhingen.

Da zog der Mönch seine Hand weg, und die alte Agneta sah bloß die leeren, nackten Schneefelder. Schwere Eismassen lagen hier und dort verstreut, aber sie umschlossen keine versteinerten Gespenster. Der blaue Glanz auf dem Gletscher kam nicht von erfrorenen Körpern. Der Wind jagte ein paar leichte Schneeflocken, keine Geister.

Aber sie war doch gewiß, daß sie recht gesehen, und sie fragte den Mönch:

»Ist es erlaubt, etwas für diese Unseligen zu thun?«

Er antwortete: »Wann hat Gott der Liebe verboten, Gutes zu üben, oder der Barmherzigkeit, Trost zu bringen?«

Damit ging er, und die alte Agneta eilte in ihre Hütte und setzte sich nieder, um zu denken. Den ganzen Abend grübelte sie nach, wie sie den Unseligen helfen könnte, die über die Gletscher wanderten. Sie hatte nicht Zeit, an ihre Einsamkeit zu denken.

Am nächsten Morgen ging sie wieder zum Dorfe hinunter. Sie lächelte und schritt rüstig aus. Das Alter war ihr nicht zu schwer. »Die Toten,« sagte sie zu sich selbst, »fragen nicht viel nach roten Wangen und leichten Füßen. Die verlangen bloß, daß man sich ihrer mit ein bißchen Wärme erinnert. Aber an so etwas denkt die Jugend nicht. Ja, ja, aber wie sollten sich die Dahingeschiedenen gegen die unermeßliche Kälte des Todes schützen, wenn nicht die Alten ihnen ihre Herzen aufschlössen?«

Als sie in den Kramladen kam, kaufte sie dort ein großes Bündel Kerzen und bei einem Bauer bestellte sie eine große Fuhre Holz; aber um das bezahlen zu können, mußte sie doppelt so viel Spinnarbeit annehmen als gewöhnlich.

Gegen Abend, als sie wieder daheim war, sprach sie viele Gebete und suchte sich durch Singen frommer Lieder guten Muts zu erhalten. Doch sie wurde immer verzagter. Gleichwohl that sie das, was sie sich vorgenommen hatte zu thun.

Sie machte ihr Bett in der inneren Stube zurecht. In der äußeren stapelte sie einen großen Stoß Holz auf und entzündete ihn. Ins Fenster stellte sie zwei Lichter, und die Thüre der Hütte öffnete sie sperrangelweit. Dann ging sie hin und legte sich nieder.

Sie lag in der Dunkelheit und lauschte.

Ja, das waren bestimmt Schritte. Es war, als käme jemand über das Gletschereis gefahren. Es kam schleppend und stöhnend. Es schlich sich um die Hütte, als wagte es nicht hereinzukommen. Dicht an der Hausecke stand es und klapperte.

Die alte Agneta konnte das nicht ertragen. Sie fuhr aus dem Bette auf und eilte hinaus in die äußere Kammer; da riß sie die Thüre zu und versperrte sie. Das war zu viel; Fleisch und Blut konnte das nicht aushalten!

Vor der Hütte hörte sie schwere Seufzer und gleitende Schritte, wie von wunden, wehen Füßen. Sie schleppten sich immer weiter fort hinauf zum Gletschereis. Man hörte auch hie und da ein Schluchzen, aber bald wurde es wieder ganz still.

Da geriet die alte Agneta vor Angst außer sich. »Du bist feig, du alte Hexe,« sagte sie. »Die Flamme brennt herunter und die teuren Kerzen auch. Soll alles vergeblich sein, nur um deiner elenden Feigheit willen?« Und als sie dieses gesagt hatte, stand sie noch einmal auf, vor Furcht weinend, mit klappernden Zähnen und bebenden Gliedern, aber hinaus in die Kammer kam sie und die Thüre brachte sie auf.

Sie lag wieder und wartete. Nun hatte sie keine Angst mehr davor, daß sie kamen. Sie lag nur da und ängstigte sich, daß sie sie verscheucht hatte, so daß sie nicht versuchen würden, wiederzukommen.

Da begann sie ins Dunkel zu rufen, wie in den Jugendtagen, als sie der Herde folgte: »Meine kleinen weißen Lämmchen, meine Lämmchen in den Bergen, kommt, kommt! Kommt herab von Klüften und Graten, meine kleinen weißen Lämmchen!«

Da war es, als wäre ein harter Wind vom Felsen gekommen und in die Hütte gefahren. Sie hörte keine Schritte oder Seufzer, nur Windstöße, die um die Hausecken brausten und in die Hütte pfiffen. Und es klang, als warnte jemand unablässig: »Sch, sch, nicht erschrecken, nicht erschrecken!«

Sie hatte das Gefühl, daß das äußere Zimmer so übervoll war, daß man sich an die Wände drängte und sie beinahe sprengte. Zuweilen war es, als wollten die dort draußen das Dach abheben, um Raum zu bekommen. Aber immer war da Jemand, der flüsterte: »Sch, sch, nicht erschrecken, nicht erschrecken!«

Da wurde die alte Agneta glückselig und ruhig. Sie faltete die Hände und schlief ein.

Des Morgens war es, als wäre es ein Traum gewesen. Alles in dem äußeren Zimmer war unverändert, die Flamme war ausgebrannt und die Lichter desgleichen. Nicht ein Tröpfchen Talg war in den Leuchtern übrig. – – –

* * *

So lange die alte Agneta lebte, fuhr sie fort, so für die Toten zu sorgen. Sie spann und mühte sich, so daß sie ihre Flamme brennend erhalten konnte in allen Nächten. Und sie war glücklich, weil sie wußte, daß jemand ihrer bedurfte.

So kam ein Sonntag heran, an dem sie auf ihrem Platz in der Kirche nicht gesehen wurde. Einige Bauern gingen hinauf in ihre Hütte, um zu sehen, ob ihr etwas fehlte. Da war sie schon tot, und sie trugen die Leiche hinab in das Dorf, um sie zu begraben.

Als die alte Agneta am nächsten Sonntag in die Erde hinabgesenkt wurde, gerade vor der Messe, da waren es nur wenige Menschen, die ihr das Geleite gaben. Auch sah man in keinem Antlitz Trauer.

Aber plötzlich, gerade als der Sarg beigesetzt werden sollte, kam ein hoher ernster Mönch auf den Kirchhof, und er stellte sich hin und wies auf die schneebedeckte Alpe. Da sahen die, die am Grabe standen, daß die ganze Alpe sich in das zarteste Rot gehüllt hatte, gleichsam als leuchtete sie vor Freude auf, und daß sich über ihre Mitte ein Zug kleiner gelber Flammen schlängelte, so wie von brennenden Kerzen. Und dieser Lichter waren ebenso viele wie die Lichter, die die Tote den Unseligen gegeben.

Da sagten die Leute: »Gepriesen sei Gott! Sie, um die niemand hier unten trauert, hat doch dort oben in der großen Einsamkeit Freunde gefunden.«

Der Fischerring

Um die Regierungszeit des Dogen Gradenigo lebte in Venedig ein alter Fischer Namens Cecco. Er war sehr stark gewesen, und noch jetzt war er rüstig für sein Alter, aber in letzter Zeit hatte er doch aufgehört zu arbeiten und ließ sich von seinen zwei Söhnen versorgen. Er war sehr stolz auf diese Söhne, und er liebte sie, o Signore, wie liebte er sie!

Aber es war nun auch so, daß er sie fast allein auferzogen hatte. Ihre Mutter war zeitlich gestorben, und so hatte Cecco für alles Sorge tragen müssen. Er hatte ihnen Kleider und Essen geschafft, er war mit Nadel und Faden im Boot gesessen, hatte genäht und geflickt und gar nicht darnach gefragt, ob man ihn darum verlachte. Er allein hatte sie auch alles gelehrt, was ihnen zu wissen not that. Ein paar tüchtige Fischer hatte er aus ihnen gemacht und sie daran gewöhnt, Gott und San Marco zu ehren.

»Vergeßt nicht,« sagte er ihnen, »daß Venedig sich nie aus eigener Kraft aufrecht erhalten könnte. Seht es an! Ist es nicht auf den Wellen erbaut? Seht auf die niedrigen Inseln an der Landseite, wo das Wasser sich zwischen dem Seegras auf und nieder schaukelt. Ihr wolltet den Fuß nicht hinsetzen, und doch ruht auf solchem schwanken Grunde die ganze Stadt. Und wißt ihr nicht, daß der Nordsturm die Macht hat, Kirchen und Paläste ins Meer zu stürzen. Und wißt ihr nicht, daß wir Feinde haben von so großer Gewalt, daß alle Fürsten der Christenheit sie nicht zu besiegen vermöchten? Darum sollet ihr allezeit zu San Marco beten, denn er ist es, der mit starker Hand die Ketten umspannt, die Venedig über den Meerestiefen schwebend erhalten.«

Und abends, wenn das Mondlicht, das über Venedig fiel, grünlichblau war vom Meeresnebel, wenn sie sachte den Kanal Grande hinaufglitten, und die Gondeln, die sie trafen, voll Sänger waren, wenn die Paläste erblichen und tausend Lichtstreifen über dem dunklen Wasser lagen, da erinnerte er sie stets daran, daß sie San Marco für Leben und Glück zu preisen hatten.

Aber, o Signore, er vergaß seiner auch nicht am Tage. Wenn sie von einem Fischfang heimkamen und über das Lagunenwasser zogen, das lichtblau und goldglänzend dalag, wenn die Stadt sich vor ihnen auf den Wellen schwebend erhob, wenn die großen Schiffe den Hafen aus- und einglitten und der Dogenpalast ihnen entgegenleuchtete wie ein großer, verschlossener Schmuckschrein, in dem alle Schätze der Welt verwahrt lagen, da vergaß er nie, ihnen einzuprägen, daß all dies San Marcos Gaben waren, und daß alles vergehen würde, wenn ein einziger Venezianer undankbar genug wäre, nicht mehr an ihn zu glauben und ihm zu huldigen.

Nun geschah es, daß die Söhne sich eines Tages auf einem großen Fischzug im offenen Meer außerhalb des Lidos begaben. Sie waren in Gesellschaft mehrerer anderer, hatten eine prächtige Schaluppe und gedachten, einige Tage fortzubleiben. Das Wetter war schön und sie hofften einen guten Fang zu thun.

Zeitlich eines Morgens stießen sie vom Rialto ab, der großen Insel, auf der die Stadt selbst liegt; und wie sie weiter durch die Lagunen glitten, sahen sie all die Inseln, die gleich Vesten Venedig gegen das Meer beschützen, aus dem Morgennebel emportauchen. Da waren La Giudecca und San Giorgio rechts und San Michele, Murano und San Lazzaro links. Dann folgte Insel auf Insel in einem weiten Kreise, bis hinaus zum langgestreckten Lido, der gerade gegenüber lag und gleichsam das Schloß der Perlenschnur bildete. Aber jenseits des Lido war das weite, unbegrenzte Meer.

Als sie ganz draußen waren, stiegen einige in ein Boot und ruderten von der Schaluppe fort, um die Netze auszuwerfen. Immer noch war gutes Wetter, obgleich hier ein stärkerer Wellengang herrschte als innerhalb der Inselgruppe. Es war sonnenklar, daß niemand an eine Gefahr dachte. Sie hatten ein gutes Boot und waren seetüchtige Leute.

Nach einer Weile jedoch merkten die, die auf der Schaluppe geblieben waren, daß das Meer und der Himmel sich im Norden rasch verdunkelten. Sie begriffen, daß der Nordwind im Anzuge war, und sie begannen, nach den Kameraden zu rufen, aber diese waren schon zu weit entfernt, um die Schreie zu hören.

Der Wind kam zuerst an das Boot heran. Als die Fischer plötzlich die Wellen sich rings um sie erheben sahen, so wie Herden, die auf einer weiten Ebene geruht, sich des Morgens erheben, da stellte sich einer von ihnen auf und winkte den Kameraden, aber im selben Augenblick taumelte er rücklings in das Meer. Gleich darauf kam eine Woge, die das Boot ganz auf die Spitze stellte, und man sah, wie die Leute gleichsam von den Ruderbänken losgeschüttelt und ins Meer geschleudert wurden. Alles war in einem Moment verschwunden. Dann kam das Boot wieder mit umgekehrtem Kiel zum Vorschein. Man suchte nun, die Schaluppe zur Stelle zu bringen, aber man vermochte es nicht, sich gegen den Wind hinzuarbeiten.

Es war ein furchtbarer Sturm, der über das Meer gefahren kam, und die Fischer in der Schaluppe hatten bald genug damit zu thun, sich selbst zu bergen. Sie kehrten doch glücklich heim und erzählten das Unglück. Cecco's beide Söhne und drei Andere waren umgekommen.

Gott ja, wie alles sich fügen kann. Cecco war am selben Morgen hinab zur Rialtobrücke gegangen, um den Fischhandel anzusehen. Er ging zwischen den Fischständen hin und her und brüstete sich wie ein Rittersmann, weil er nicht zu arbeiten brauchte. Ja, er nahm sogar ein paar alte Lidofischer mit in eine Osteria und lud sie zu einem Becher ein.

Er setzte sich breit auf die Bank und prahlte mit sich selbst sowohl, wie mit den Söhnen. Er geriet sogar in so gute Laune, daß er die Zechine herausnahm, die er vom Dogen bekommen, weil er ein Kind vor dem Ertrinken im Kanal Grande gerettet hatte. Er hielt große Stücke auf die stattliche Goldmünze, trug sie immer bei sich und zeigte sie, sobald sich eine Gelegenheit dazu fand.

Da kam ein Mann herein und begann von dem Unglück zu erzählen, ohne darauf zu achten, daß Cecco da saß. Aber er hatte nicht lange gesprochen, als der Fischer sich über ihn warf und ihn bei der Kehle packte. »Du willst nicht sagen, daß sie tot sind,« schrie er ihm zu, »nicht meine Söhne, hörst Du, nicht meine Söhne!«

Der Mann riß sich von ihm los, aber Cecco geberdete sich lange, als hätte er den Verstand verloren.

Die Leute hörten ihn schreien und wehklagen, sie drängten sich in die Osteria, so viele, als Platz fanden, und standen im Kreise um ihn, wie um einen Gaukler.

Cecco saß auf dem Boden und krümmte sich. Er schlug mit der Hand auf den harten Stein und rief einmal ums andere: »Das ist San Marco, San Marco, San Marco.«

»Ah, Cecco, Du bist durch Deinen Schmerz von Sinnen,« sagte man ihm.

»Ich wußte, es würde draußen auf dem Meere geschehen,« sagte Cecco, »jenseits vom Lido und Malamocco, dort wußte ich, würde es geschehen. San Marco würde sie dort ereilen. Er trug ihnen Groll nach. Ich habe es lange gefürchtet. Ja,« sagte er, ohne darauf zu hören, was man sagte, um ihn zu beruhigen, »sie verlachten ihn einmal, als wir draußen vor dem Lido lagen. Er hat es nicht vergessen. Er duldet es nicht, verlacht zu werden.«

Er ließ seine verwirrten Blicke rings über die Umstehenden wandern, als suchte er Hülfe, »hörst Du, Beppo von Malamocco,« sagte er und reichte einem großen Fischer die Hand hin, »glaubst Du nicht, daß San Marco es war?«

»Denke doch nur nicht so etwas, Cecco!«

»Du sollst hören, wie es war, Beppo. Siehst Du, wir lagen draußen auf dem Meere, und, damit die Zeit uns nicht zu lange wurde, erzählte ich ihnen, wie San Marco nach Venedig kam. San Marco der Evangelist, sagte ich ihnen, lag zuerst in einem schönen Dome zu Alexandria in Ägypten begraben. Aber die Stadt kam in die Hände der Ungläubigen, und einmal befahl ihr Kalif, man möge einen prächtigen Palast in Alexandria erbauen und Säulen aus den Kirchen der Christen nehmen, um ihn zu schmücken. Aber gerade um diese Zeit weilten zwei venezianische Kaufleute im Hafen Alexandrias mit zehn reichbeladenen Schiffen. Als diese Männer in die Kirche kamen, wo San Marco begraben lag und von dem Befehle des Kalifen vernahmen, sagten sie zu den betrübten Priestern: ›Die teure Leiche, die ihr in eurer Kirche habt, ist in Gefahr von den Sarazenen entweiht zu werden. Gebet sie uns! Wir wollen sie ehren, denn San Marco war der Erste, der das Christentum auf den Lagunen predigte, und der Doge wird euch belohnen.‹ Da gaben die Priester ihre Zustimmung, und damit die Christen Alexandrias sich dem Vorhaben nicht widersetzten, legte man die Leiche eines anderen heiligen Mannes in den Sarg des Evangelisten. Aber auf daß auch die Sarazenen nicht erfuhren, daß sie die Leiche fortbrachten, legte man sie auf den Boden einer großen Kiste und bedeckte sie mit Schinken und Rauchfleisch, dessen Geruch die Sarazenen nicht vertragen konnten, so daß der Zollwächter, als er den Deckel der Kiste geöffnet hatte, so rasch wie möglich davon wegeilte. Aber die beiden Kaufleute brachten San Marco unversehrt nach Venedig. Du weißt ja, daß so die Erzählung lautet, Beppo.«

»Ja gewiß, Cecco.«

»Ja, aber nun sollst Du hören,« und Cecco richtete sich halb auf und sprach dumpf in seiner Beklemmung: »Siehst Du, das ist das Schreckliche. Als ich erzählte, daß der Heilige unter dem Speck gelegen hatte, begannen die Jungen aus vollem Halse zu lachen. Ich hieß sie schweigen, aber sie lachten nur um so mehr. Giacomo lag flach im Vordersteven, und Pietro ließ die Beine über den Bootsrand hängen, und sie lachten so, daß man es weit übers Meer hinaus hörte.«

»Nun, aber Cecco, zwei Kinder dürfen doch wohl lachen.«

»Aber begreifst Du denn nicht, daß sie heute dort gestorben sind. An derselben Stelle! Könntest Du sonst begreifen, warum sie an derselben Stelle sterben sollten?«

Nun begannen sie alle zu sprechen und zu trösten. Es war sein Schmerz, der ihn irre leitete. San Marco war nicht so. Er nahm nicht Rache an zwei Kindern. Es war ja natürlich, daß, wenn ein Boot in den Sturm geriet, dies sich auf offenem Meere zutrug und nicht im Hafen.

Nein, seine Söhne hatten nicht in Feindschaft mit San Marco gelebt. Sie hatten sie ebenso eifrig wie jeden anderen »Evviva San Marco« rufen gehört. Und er hatte sie auch beschützt bis zum heutigen Tage, nie ihnen Unmut gezeigt in den Jahren, die vergangen waren.

»Aber Du, Cecco,« sagten sie, »Du bringst Unglück über uns mit Deinen Reden von San Marco. Du, der Du ein alter und weiser Mann bist, solltest es besser wissen, als ihn gegen die Venezianer aufzureizen. Was sind wir ohne ihn?«

Cecco saß da und sah sie mit seinen verwirrten Blicken an. »Ihr glaubt es also nicht?« sagte er.

»Kein vernünftiger Mensch kann so etwas glauben.«

Es sah aus, als sei es ihnen geglückt, ihn zu beruhigen.

»Ich will auch versuchen, es nicht zu glauben,« sagte er. Er stand auf und ging auf die Thüre zu. »Es wäre zu grausam, nicht wahr,« sagte er. »Sie waren zu schön und zu frisch, als daß jemand sie hassen sollte. Ich will es nicht glauben.«

Er ging heim, und in dem Gäßchen vor seiner Thür traf er eine Nachbarsfrau. »Sie lesen jetzt eben im Dom die Seelenmesse,« sagte sie zu Cecco und eilte fort. Sie hatte Furcht vor ihm, so sah er aus.

Da nahm Cecco das Boot und steuerte durch die kleinen Kanäle hinab zur Riva degli Schiavoni. Dort, wo der Ausblick frei war, sah er fürs erste zum Lido und dem Meere hinaus. Ach, es war ein tüchtiger Wind, aber wahrlich kein Sturm. Das Wasser erhob sich kaum zu Wellen. Und in solchem Wetter hatten die Söhne ihr Leben eingebüßt. Es war unbegreiflich.

Er machte das Boot fest und ging über die Piazetta hinein in die Markuskirche. Dort war vieles Volk, und alles lag auf den Knieen, in großer Herzensangst betend. Denn die Venezianer empfanden es ja viel furchtbarer als andere Völker, wenn ein Unglück auf dem Meere geschah. Sie hatten keinen Rückhalt an Weingärten oder Kornfeldern, sondern ein jeder hing vom Meere ab. Sobald dieses sich gegen einen von ihnen erhob, wurden alle von Furcht ergriffen und eilten zu San Marco, um ihn um Schutz anzuflehen.

Tecco blieb anfangs stehen. Er erinnerte sich, wie er mit seinen kleinen Söhnen hergekommen war und sie gelehrt hatte, zu San Marco zu beten. »Er ist es, der uns über die Meere führt, er, der uns die Pforten von Byzanz geöffnet und uns die Herrschaft über die Inseln des Ostens geschenkt hat,« hatte er ihnen gesagt. Aber zum Danke dafür hatten auch die Venezianer San Marco den schönsten Tempel der Welt erbaut, und nie kehrte ein Schiff von einem ausländischen Hafen heim, ohne eine Gabe für die Kirche mitzubringen.

Dann hatten sie sich an den roten Marmorwänden des Domes erfreut und an dem goldenen, mosaikbedeckten Dache. Es war, als könnte kein Unglück eine Stadt treffen, die ihrem Schutzherrn eine solche Burg errichtet.

Tecco sank in aller Hast auf die Knie und begann Pater noster um Pater noster zu beten.

Es kam wieder, das fühlte er. Er wollte es mit Gebeten von sich weisen. Er wollte nichts übles von San Marco glauben.

Aber es war ja gar kein Sturm gewesen. Und das stand fest, wenn der Heilige nicht selbst den Sturm gesandt, so hatte er auch nichts gethan, um den Söhnen beizustehen, sondern hatte sie verderben lassen, gleichsam zur Kurzweil. Sobald er sich darauf ertappte, solches zu denken, vertiefte er sich aufs neue ins Gebet, doch die Gedanken wollten sich nicht verscheuchen lassen. Und sich zu denken, daß San Marco eine Schatzkammer hatte hier im Dom, mit Märchenherrlichkeit gefüllt, sich zu denken, daß er selbst sein ganzes Leben lang zu ihm gebetet hatte und nie an der Piazetta vorbeigerudert war, ohne hineinzugehen und ihn anzurufen.

Es mußte wohl seinen Grund haben, daß die Söhne gerade dort draußen ihr Leben einbüßten. Ah, es war ein Elend für die Venezianer, nichts besseres zu haben, worauf sie bauen konnten! Man denke nur, ein Heiliger, der Rache an zwei Kindern nahm, ein Schutzherr, der vor einem Küstenwind nicht zu retten vermochte!

Er hatte sich erhoben und er zuckte die Achseln und ließ die Arme sinken, als er zu dem Heiligengrab im Chore hinsah.

Ein Kirchendiener ging mit einem großen vergoldeten und getriebenen Silberteller umher und sammelte Gaben für San Marco ein. Er ging von Mann zu Mann und kam auch zu Tecco.

Tecco prallte zurück, als wäre es der böse Feind, der ihm den Teller reichte. Begehrte San Marco Gaben von ihm? Vermeinte er Gaben von ihm zu verdienen? Doch plötzlich griff er nach der großen goldenen Zechine, die er im Gürtel trug und schleuderte sie mit solcher Gewalt auf den Teller, daß man den Klang durch die ganze Kirche hörte. Die Betenden wandten aufgestört die Köpfe. Und jeden, der Teccos Antlitz sah, erfaßte Entsetzen. Er sah aus, als hätten die Dämonen Macht über ihn bekommen.

Gleich nachher ging Tecco aus der Kirche, und anfangs dünkte es ihm eine große Erleichterung, daß er sich an dem Heiligen gerächt hatte. Er war mit ihm verfahren wie mit einem Wucherer, der einem mehr entreißen will, als worauf er ein Anrecht hat. »Nimm auch das,« sagt man und schleudert ihm das letzte Goldstück an den Kopf, so daß das Blut ihm über die Augen strömt. Aber der Wucherer schlägt nicht zurück, er bückt sich nur und hebt die Zechine auf. So hatte auch San Marco es gethan.

Er hatte Teccos Zechine entgegengenommen, nachdem er ihm seine Söhne geraubt. Tecco hatte ihn vermocht, eine Gabe zu nehmen, die mit solchem Haß gegeben wurde. Würde ein ehrlicher Mann sich dazu herbeigelassen haben? Aber San Marco war ein jämmerlicher Patron – Tecco freute sich, gezeigt zu haben, daß San Marco ein jämmerlicher Patron war, ebenso feige wie rachsüchtig.

Aber an Tecco würde er sich nicht rächen. Er war wohl froh und dankbar, weil er die Zechine bekommen. Er strich nur ein und that, als wäre sie ihm in aller Frömmigkeit gegeben.

Als Tecco in der Vorhalle zu San Marco stand, kamen zwei Kirchendiener vorbeigeeilt. »Es steigt, es steigt ganz furchtbar,« sagte der eine.

»Was?« fragte Tecco.

»Das Wasser in der Krypta. In diesen letzten Minuten ist es um einen Fuß gestiegen.«

Als Tecco hinaus auf die Kirchentreppe kam, bemerkte er eine kleine Wasseransammlung auf dem Platze gleich bei der untersten Stufe. Das war das Meereswasser, das von der Piazzetta heraufsickerte.

Es überraschte ihn, daß das Meer so hoch gestiegen war, und er eilte hinab zur Riva, wo er sein Boot hatte. Dort war alles, wie er es verlassen, nur daß das Wasser sich recht bedeutend erhoben hatte. Es kam in breiten Wellen herangerollt, doch der Wind war gelinde. Auf der Riva sammelten sich schon Pfützen von Meerwasser, und die Kanäle stiegen, so daß die Wasserthore der Häuser geschlossen werden mußten. Der Himmel war gleichmäßig grau, ganz wie das Meer.

Es kam Tecco gar nicht in den Sinn, daß dies ein ernsthaftes Unwetter werden konnte. Er wollte an so etwas nicht glauben. San Marco hatte seine Söhne ohne Grund sterben lassen; dies war gewiß kein ernstlicher Sturm. Das wollte er nur sehen, ob daraus etwas werden konnte. Und er setzte sich neben sein Boot und wartete.

Da begann die glatte Wolkendecke, die den Himmel verhüllte, zu zerreißen. Die getrennten Wolken wurden beiseite geschleudert, und heraus jagten große Gewitterwolken, schwarz wie Kriegsschiffe, und aus ihnen rauschte peitschender Regen und Hagel auf die Stadt hinab.

Nun kam es auch wie ein ganz neues Meer vom Lido hereingerauscht. O Signore, das waren nicht die schwanhalsigen Wellen, die sie dort draußen gesehen, die, den durchsichtigen Nacken krümmend, dem Lande zueilen und, von dort unbarmherzig zurückgestoßen, wieder hinausgleiten, das weiße Schaumhaar über den Meeresspiegel zerstreut. Es waren dunkle Wogen, die einander in Raserei jagten und auf deren Kämmen bitterer Salzschaum zu Nebel zerpeischt wurde.

Der Wind war jetzt so stark, daß die Möven nicht ihr ruhiges Schweben fortsetzen konnten, sondern kreischend aus ihren Bahnen geschleudert wurden. Bald sah Tecco sie mühsam dem Meere zustreben, um nicht vom Sturme ergriffen und gegen die Mauern der Häuser geworfen zu werden. Die vielen hundert Tauben auf dem Marcusplatz flogen auf, mit den Flügeln schlagend, so daß es wie ein neuer Sturm dröhnte, und bargen sich in den Ecken und Winkeln des Kirchendachs.

Aber nicht nur die Vögel erschraken vor dem Unwetter. Ein paar Gondeln hatten sich schon losgerissen und wurden gegen den Strand geschleudert, so daß sie dem Zerschellen nahe waren. Und nun kamen alle Gondolieri hinabgestürzt, um die Boote in den Bootshütten zu bergen, oder in die kleinen Kanäle wegzuführen. Die Seeleute auf den Schiffen, die im Hafen lagen, arbeiteten mit den Ankertauen, um die Schuten zu befestigen, so daß sie nicht hinauf ans Land getrieben wurden. Sie nahmen die Wäsche herein, die auf der Brüstung trocknete, sie drückten die Mütze tief in die Stirne und sahen sich nach allem beweglichen Gute um, das unter Deck gebracht werden mußte. Den Kanal Grande hinab kam eine ganze Fischerflotte gestürmt. Alle die vom Lido und Malamocco, die ihre Waaren am Rialto verkauft, waren auf der Flucht, um ihr Heim zu erreichen, bevor der Sturm übermächtig wurde.

Tecco lachte, als er die Fischer über die Ruder gebeugt stehen sah, als flüchteten sie vor dem Tode. Sahen sie denn nicht, daß dies nur ein Windstoß war. Sie hätten in guter Ruhe bleiben und sich von den Venezianern alle ihre Tintenfische und Krabben abkaufen lassen können.

Er brachte sein Boot nicht in Sicherheit, obgleich der Sturm jetzt heftig genug war, daß ein gewöhnlicher Mensch damit gerechnet hätte. Die Wäschestege wurden von den Wellen emporgehoben und aufs Land geworfen, indeß die Wäscherinnen schreiend heimwärts flüchteten. Den Signori, die mit breitkrämpigen Hüten umherwanderten, wurden diese vom Kopfe gerissen und in die Kanäle geschleudert, aus denen die Gassenjungen sie hoch erfreut herausfischten. Segel wurden von den Masten gezerrt und flatterten dröhnend durch die Luft, Kinder wurden umgeblasen, und die Wäschestücke, die auf Leinen in den schmalen Gäßchen hingen, flogen auf und fielen weit weg zu Boden, ganz zerfetzt.

Tecco lachte über den Sturm, der vorderhand noch mit allerlei leichten Sächelchen sein Spiel trieb. Ein Sturm, der Vögel verscheuchte und Unfug in den Gassen anstiftete, wie ein Junge. Nun zog er doch das Boot unter eine Brückenwölbung, denn dies war ein Wind, von dem man nicht wissen konnte, gegen wen er seinen Übermut kehren würde.

Gegen Abend begann Tecco zu finden, daß es gut wäre, auf dem Meere zu sein. Bei solch einer prächtigen Brise müßte ein Boot prächtig

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.02.2015
ISBN: 978-3-7368-7675-0

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