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Leseprobe

1902 – 1918

 

An Richard Dehmel

Berlin, 7. 4. 1902

Sehr verehrter Herr!

Ich möchte mich heute mit einer Bitte an Sie, sehr verehrter Herr Dehmel, wenden, auf deren Erfüllung ich zu hoffen wage in Anbetracht des wertvollen Unternehmens, das sie betrifft. Ich plane nämlich – und habe Schuster und Loeffler im Falle der Zustimmung der Autoren als Verleger – eine Anthologie von Verlaine – und Übersetzungen, von der Voraussetzung ausgehend, daß keiner der bisher vorhandenen Sammelbände künstlerischen Anforderungen genügt und wiederum Meisterübersetzungen, in einzelnen Gedichtbänden verstreut, für das Publikum verlorengehen. Ich will nun – da die meisten Gedichte mehrfach übersetzt sind – immer die beste für einen schmalen billigen Band wählen, der Deutschland den wesensverwandtesten aller französischen Dichter in annähernder Vollkommenheit repräsentieren soll.

Dazu bedarf ich aber der Zustimmung der Dichter und wende mich vor allem an Sie, sehr verehrter Herr Dehmel, als den berühmtesten und besten unserer Übersetzer. Sonst nehme ich noch in Aussicht: Franz Evers, Richard Schaukal, Max Bruns, Johannes Schlaf, Paul Wiegler, Hedwig Lachmann, Otto Hauser und vielleicht noch den einen oder anderen, aber wie bereits gesagt, stets nur das Beste des Besten. Ist es mir nun verstattet, aus Ihren Werken Übertragungen auszunehmen, so möchte ich um eine Zeile bitten und vielleicht auch um ein Wort, wie Ihnen der Plan zusagt, eventuell auch einen Ratschlag, dem ich mich gerne fügen will. Ich hoffe, daß die Sympathie für unsern großen Dichter und der Wunsch, ihn würdig in Deutschland vertreten zu sehen, bei Ihnen für meinen Plan sprechen wird.

In aufrichtiger Ergebenheit und Verehrung,

Stefan Zweig

 

An Richard Dehmel

Berlin, 6. Juni 1902

Sehr verehrter Herr Dehmel,

Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre freundliche Anteilnahme die Sie aufs Neue bewiesen haben; Johannes Schlafs Übertragungen kenne ich und habe dieselben auch zum Teil berücksichtigt, auch persönlich darüber mit ihm gesprochen. Die Anthologie schließe ich dieser Tage ab, nachdem ich heute den Vertrag unterzeichnet habe, demzufolge das Buch in Stärke von sieben bis acht Bogen in eleganter Ausstattung (Vallotton-Portrait etc.) zu 1 Mark, gebunden in Japan zu 2 Mark erscheint. Das Ihnen zufallende Honorar habe ich gemäß Ihren Ansprüchen auf Mk. 102 fixiert, und zwar

Helle Nacht (18 Verse) – Mk. 9 
Kaspar Hauser (14 Verse) – Mk. 7 
Mirakel (20 Verse) – Mk. 10 
Ruhe (12 Verse) – Mk. 6 
Zu Gott (140 Verse) – Mk. 70

und hoffe auch Ihre anderen Wünsche betreffs Korrektur ganz zu Ihrer Zufriedenheit erledigen zu können, da ich während der Zeit des Druckes noch in Berlin bleibe und die Zusendung etc. persönlich überwache. Ich verbleibe in aufrichtiger Verehrung mit ergebensten Grüßen

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Wien, 2. Februar 1903

Sehr werter Herr Hesse,

Ich muß Sie ganz herzlich darum bitten, mir es nicht als gewohnte Verlegenheitsphrase werten zu wollen, wenn ich Ihnen dankend sage, daß mit Ihrem Buche eine große Freude zu mir gekommen ist. Ich danke Ihnen recht, recht innig und muß Sie bitten, mir auch dies glauben zu wollen: ich habe seit langem schon die Absicht gehabt, mich an Sie um Ihr Buch zu wenden. Nur fürchtete ich auf einen zu stoßen, der meine Anschauung nicht teilt, daß auch Dichter oder eben Dichter es nicht notwendig haben, conventionaliter miteinander in Verkehr zu treten. Ich habe von je an jenen »Geheimbund der Melancholischen« geglaubt, von dem Jacobsen in der Maria Grubbe erzählt, ich glaube auch, daß wir, die wir seelische Ähnlichkeiten in uns fühlen, einander nicht fremd bleiben dürfen. Sie, den ich lange aus einzelnen Versen in Zeitschriften liebe, nun persönlich zu kennen, ist mir aufrichtige Freude.

Darf ich einiges über Ihr Buch sagen? Nein, ich wills doch nicht, ich hab's noch nicht ganz gelesen, nur so aufgeschlagen. Aber ich hab's auch schon genommen und aus meiner hellen lebendigen Empfindung heraus zu meinen Freunden getragen und vorgelesen. Ganz aufrichtig: ich sehe schon jetzt, daß es neben Rilkes: »Buch der Bilder«, Wilhelm von Scholzens: »Spiegel« und meines lieben Freundes Camill Hoffmann ganz wundersam verwandtem »Adagio stiller Abende« das liebste Versbuch dieses Jahres ist. Mit Freude kann ich es zu den Dedicationen stellen; die Gesellschaft dort ist übrigens nicht so übel: Johannes Schlaf, R. M. Rilke, Camille Lemonnier, Wilhelm von Scholz, Franz Evers, Wilhelm Holzamer, Hans Benzmann, Richard Schaukal, Otto Hauser, Busse Palma sind da als Spender zu nennen. Gerne will ich auch, sobald sich Gelegenheit findet, für das Buch etwas tun, und zwar in einem großen Blatte, wo ich weiß, daß meine Worte nicht im Wind verwehn.

Meinen »Verlaine« erhalten Sie in ca. 8 Tagen; ich will heute meinen Verleger um neue Exemplare bitten; ich habe übrigens viel Freude an dem Buche, es geht ganz mächtig ab, und ich hoffe vielleicht schon im Herbst das 3. – 5. Tausend als zweite Auflage in die Welt gehn zu sehn. Da will ich dann zuverlässig Ihr so prächtig übertragenes Gedicht einfügen, eventuell Sie bitten, mir noch andere Proben zu übermitteln.

Und nun noch eins: ich möchte nun, da Sie mit fröhlicher Kraft das Eis gebrochen haben, es nicht wollen, daß wir uns ganz verloren gehen. Ich wüßte gerne mehr von Ihnen, als Carl Busse erzählt. Ich bin zwar kein zuverlässiger Briefschreiber; mit Richard Schaukal war ich einige Zeit in Correspondenz (er schrieb mir auch von Ihnen), hab' sie aber nicht durchführen können, weil mir mein Studium keine Zeit läßt, mich brieflich über Literatur zu unterhalten; hab' ja ohnehin so meine 3 Briefe im Tag, wiewohl ich nur mit Wilhelm von Scholz, Fritz Stöber und einigen andern deutschen Freunden und einer Menge Franzosen wie Camille Lemonnier, Charles van der Stappen in Correspondenz stehe. Aber von engeren Dingen, vom Persönlichen, von dem was uns bewegt und innerlich beschäftigt, einem verehrten Freunde sagen zu dürfen, ist mir immer ein Glück. Nur sind solche Briefe bei mir spontan; sie sind nicht postwendend, sondern dauern oft 3 Wochen und mehr. Wollen Sie es unter solchen Umständen wagen, mir von Ihnen recht viel zu erzählen, so will ich nur froh und innig dankbar sein, und ich glaube, Sie dürfen dann auf mich zählen. Als Lyriker werte ich mich nicht sehr hoch, so zweifle ich nie an meiner gänzlichen Unnotwendigkeit für die Welt – es sei denn, daß ich an mir die Tugend schätze, »meinen Freunden Freund zu sein«. Und mir ist, als würde ich Sie einst zu ihnen zählen dürfen.

Nochmals und nochmals: Dank aus aufrichtigem Herzen! Haben Sie einmal in Ihrem Leben eine trübe Stunde, da Sie sich ängstigen, ob Ihr Lied und Leben nicht ohne Nachhall verrauscht, so lassen Sie sich aufrichten durch die Gewißheit, daß Sie einem mehr gegeben haben als viele in Deutschland Vielgenannte – mehr wie Falke, Hartleben, Schaukal, Bierbaum etc. etc. – nämlich Ihrem Sie in herzlicher Verehrung begrüßenden

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Wien, 2. März 1903

Werter Herr Hesse,

Glauben Sie mir, wenn auch zwischen Ihrem Briefe und dem meinigen ein ganzer Monat liegt, so habe ich doch oft Ihrer gedacht. Ihren »Hermann Lauscher« hab' ich mit viel Liebe gelesen – ich danke Ihnen herzlich für dieses Buch. Wie ich so am Anfang war, dacht' ich mir: wie freudig wärst Du nun, hättest du nicht einen schmalen Band in der Hand, sondern ein dickes Buch, wäre das doch nicht ein Fragment, sondern das erste Capitel eines Romanes. Dann dürften wir uns wirklich gratulieren! Aber, wer weiß?! Was nicht ist, kann werden.

Und ich meine, Sie dürfen auch Ihrem Leben nicht gram sein, wenn es Ihnen gegeben hat, dies zu schreiben. Wollteich meine Kindheitserlebnisse zusammenraffen, so wäre ja auch Sonne und Wolken in ihnen, aber sie hätten nicht jenes reine stille Licht, das die rauschende Natur Ihnen gespendet hat. Großstadtschicksal kann gleiche Tragik haben und doch nie gleiche Größe. Auch ich gehe hier der Literatur ziemlich aus dem Weg. Ich glaube – so sah ich's wenigstens in Berlin –, man denkt sich die Wiener Literatur im Ausland als einen großen Caféhaustisch, um den wir alle herumsitzen Tag für Tag. Nun – ich, zum Beispiel, kenne weder Schnitzler noch Bahr, Hofmannsthal, Altenberg intim, die ersten drei überhaupt nicht. Ich gehe meine Wege mit ein paar Stillen im Lande: Camill Hoffmann, Hans Müller, Franz Carl Ginzkey, einem französisch-türkischen Dichter Dr. Abdullah Bey und ein paar Malern und Musikern. Ich glaube – im Grunde leben wir – ich meine » wir«, die wir uns verwandt fühlen – alle ziemlich gleich. Auch ich habe mich viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch. Ein bißchen bleibe ich immer nüchtern – ein Ding, das mir Georg Busse Palma, das größte Sumpfhuhn unserer Tage, nie verzeihen konnte. Ich glaube, ich werde es auch kaum mehr lernen, denn die Fähigkeit zur Gründlichkeit in allen Dingen wird mir von Tag zu Tag fremder: Würden mir die neuen Gedichte nicht wertvoller, als die ein bißchen wäßrigen und allzu glatten »Silbernen Saiten«, so glaubte ich, daß ich mich verflache.

Und dabei muß ich Wissenschaft treiben! Und ich arbeite jetzt wie ein Rasender, um nächstes Jahr den Doctor philosophiae hinter mich zu werfen, wie einen lästigen Kleiderfetzen. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eignen Ich zu Trotz. Ich fühle mich ganz zermalmt von dem vielen Büffeln, das nur von wilden Nächten ab und zu durchkreuzt wird, nie von Erholung und Befreiung – hoffentlich setze ich's zu Hause durch, daß man mich zu Ostern auf 10 Tage nach Italien läßt. Ich habe Italienisch gelernt, und mich hungert mit einem Male nach Leonardos Bildern, von denen ich weiß, daß ich sie lieben werde, wiewohl ich sie nur aus Nachbildungen bisher kenne.

Ein Brief von Ihnen, werter Herr Hesse, wird mich sehr erfreuen; je früher, je lieber. Und daß mich graue Stimmung nicht früher Dank sagen ließ für Ihre Zeilen, verübeln Sie doch nicht Ihrem herzlich grüßenden

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

1. XI. 1903

Lieber Herr Hesse, ich schreibe Ihnen aus großer Freude. Complimente zu machen, habe ich nicht nötig, aber wie wunderbar schön, wie hinreißend sind die drei ersten Capitel Ihres Buches, das ich bewegten Herzens, sehnsüchtig, aber neidlos gelesen habe. Es ist so deutsch, so echt und gut; ich freue mich heute schon auf den lauten und hellen Fanfarenstoß, den ich ihm vorausschicken will, sobald es erscheint, denn mag Mitte und Ende auch sinken, das Buch darf schon um des Anfangs willen nicht untergehen.

Sie sind, lieber und verehrter Herr Hesse, zu bescheiden und zu mutlos. Oder sollten Sie zu anspruchsvoll sein? Sie haben dreißig meisterliche Gedichte geschrieben, die viel Beifall fanden, allerdings nicht genügend – ich habe das jüngst im »Magazin für Literatur« öffentlich auch betont –, und sind nicht zufrieden allein damit, daß Sie sie geschaffen haben? Ist es Ihnen nicht mehr, wenn Ihnen ein paar sagen – zu denen ich auch zähle –, Hermann Hesse ist heute einer der Ersten in Deutschland, ein Junger und Großer, mehr Dichter als Holz und Bierbaum und Schaukal und Otto Ernst und alle, die heute mit klappernden Glockenschwengeln ins Land geläutet werden. Sind das nicht auch Erfolge, wenn Fischer einen Roman acceptiert? Ich wollte ich wäre schon so weit! Wollen Sie materielle Erfolge? Auch diese werden nicht ausbleiben, denn Ihre Bücher werben Freunde; die Gabe, die Sie mir mit Ihren Werken gespendet haben, hat schon vierfache Zinsen getragen, hat Ihnen vier Exemplare abgesetzt und achtfache, zwanzigfache Bewunderung und Verehrung gebracht. Ich weiß Freunde, die Verse von Ihnen auswendig können – ich kann auch nicht wenige – und sie recitieren, wenn man von guten Werken spricht. Ich glaube, Sie sitzen zu sehr im Schwarzwald, um das alles zu wissen. Aber bleiben Sie nur dort und schreiben Sie uns ein neues Buch – ich brauche nicht zu sagen – ein gutes. – Was soll ich Ihnen nun von mir armem Knaben erzählen, der an elterlicher Eitelkeit krankt, einen Doktorhut zu tragen? In der Bretagne, auf der lieben stillen Insel, auf die ich mich verkrochen hatte, um zu arbeiten, habe ich eine sensitive, allzu artistische Novelle geschaffen, die meinen Band complettiert. Seitdem übersetze ich nur ab und zu ein Gedicht von Emile Verhaeren – dem großen belgisch-französischen Dichter. Das gibt auch wieder ein Buch. Aber ich habe gar keine Sehnsüchte, Papier mit eigenem Unfug blätternd in den Händen zu halten; ich wollte, ich wäre wieder in meinem braunen schlanken Segelboot auf Ile Bréhat und steuerte in die Welt, wo ich sie nicht ahnte und kannte. Oder in Paris bei den schönen Frauen, die mich so verzärtelt haben, daß ich hier von Abenteuer zu Abenteuer mit unwilligen Schritten gehe, freudlos und gelangweilt, ohne es mir zu gestehen. Ich verträume mehr und mehr. Das Schaffen wird mir Qual gegenüber dem reinen altindischen Genuß, nicht mehr schöpferisch die Bilder zu gruppieren, sondern sie wahllos und ohne Logik zueinander wandeln zu lassen wie im Traum. Ein – zwei Gedichte habe ich in sechs Monaten geschaffen, der sonst in sechs Tagen soviel schrieb. Aber ich will nicht klagen: vielleicht haben auch diese Wege ein Ziel. Ich will nicht hoffärtig sein.

Erzählen Sie mir, lieber Herr Hesse, von Ihrem Leben dort oben im Schwarzwald. Und nehmen Sie es nicht zu genau mit den Briefen: in der Stille schreibt man leichter, und ein Großstädter

thut eigentlich etwas ganz Altväterisches, wenn er ausführlich wird. Nichtsdestoweniger bin ichs Ihnen gegenüber gerne.

Ein Bild von Ihnen hätte ich gerne und würde es Ihnen mit gleicher Gabe erwidern. Seien Sie mir herzlich gegrüßt von Ihrem

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Wien, 20. September 1904

Glauben Sie mir es, lieber Herr Hesse, daß ich mich über Ihren lieben Brief fast mehr geärgert als gefreut habe? Nicht wegen des Portraits: das ist eine kleine dumme Geschichte, mit der ich Ihnen eine Freude zu machen hoffte. (Ihren Widerstand werden Sie übrigens bald dem wachsenden Ruhme opfern müssen, denn die »Woche« läßt sich keinen entgehen, den der Lorbeer auch nur streifte.) Selbstverständlich bleibts unediert. Ein ganz Anderes hat mich verdrossen. Verzeihen Sie mir – ich bin kein Berechner und wäre ein höchst übler Geschäftsmann –, aber ich hatte mir, freudig berührt von den angezeigten 10 000 Exemplaren eine Summe von ebensoviel Mark für Sie herausgerechnet. Und nun schreiben Sie mir ganz stolz von 2 500. Lieber Herr Hesse, Sie haben jetzt eine Frau – ich hoffe, bald auch noch mehr –, und da dürfen Sie sich nicht so von einem Verleger begaunern lassen, dürfen sich nicht so ganz in eine Bescheidenheit hüllen, die Ihnen zu Gesicht steht wie ein Armesündergewand. Sie sind Deutschland heute sehr viel, und jeder Verleger wäre glücklich, Ihr nächstes Buch sein eigen zu nennen. Glauben Sie mir, der dies aus einer weiteren Perspective sieht wie Sie in Ihrem lieben kleinen Nest Gaienhofen. Und folgen Sie mir: stellen Sie Bedingungen, die Ihnen selbst phantastisch klingen. Sie werden sehen, wie sie rückhaltslos acceptiert werden.

Aber jetzt lassen wir die Fastnachtspredigt: Ich will Ihnen was andres sagen. Ich kann's aber nicht recht: Sie würden es besser spüren, wenn ich Ihnen die Hand schüttelte. Seit Jahr und Tag hab ich nichts gelesen, das mich so sehr ergriffen hätte, so mit linder Hand ans Herz gerührt, daß die Tränen abschmelzen wollten, nichts selbst im »Peter Camenzind« hat mich so gerührt, wie die eine Fortsetzung der »Marmorsäge«, die ich heute las. Die Schilderung der Unruhe vor der Klärung der Gefühle, dieses In-die-Nacht-Wanderns haben Sie in einer gesegneten Stunde geschrieben. Wie sehnlich warte ich jetzt auf den Schluß, weil ich weiß, wie meisterlich Sie Accorde ausrauschen lassen. Ich wünsche Ihnen viele so schöner Stunden, wie Sie sie mir mit dieser Novelle gegeben.

Nun hab' ich eine Angst gekriegt: in einem Monat wollt ich Ihnen meinen Band Novellen in die Hände legen, und nun habe ich gerade bei Ihnen die Angst, Sie möchten mich mißachten, weil die Dinger noch nicht ganz flügge sind und die Eierschalen der ersten Jugend noch nicht ganz abschüttelten. Aber Sie werden hoffentlich doch sich hie und da was auszugraben wissen, das nicht verdient, weggeworfen zu werden.

Ihr stilles Leben neide ich Ihnen fast. Um so mehr als ich für dieses Jahr gerade ins Brausendste hinein will: nach Paris, wohin mich viel lockt und irgendein ungestümer Drang hinlenkt. Im Frühjahr will ich das Geld für meine Doktorsreise verpatzen: zuerst nach Südspanien und die Balearen im März, um dann mit dem Frühling, diesem holden Geleiter zusammen, nach Norden zu flanieren, gegen die Pyrenäen zu, und dann in die Provence hinein bis zur lieben Bretagne empor, der ich schon einen schönen Sommer schulde. Ein wenig Arbeit wird sich ja von selbst einstellen. Mir war's ja leider nie gegeben, längere Zeit ganz müßig zu sein. Jetzt hatte ich ein Trauerspiel in Versen (einaktig) im Brouillon fertig: ich kann mich aber nicht mehr mit ihm befreunden, seitdem es eine definitive Form hat. So will ich's entweder um zweier sehr heroischer Scenen willen umschaffen oder paar Jahre lang Schreibtischstaub schlucken lassen. Vielleicht kriegts dadurch neue Kraft. Grüßen Sie mir recht herzlich alles was Ihnen lieb ist in Ihrer kleinen Welt, verzeihen Sie mir meine Einmischung in Ihre Verlegeraffairen, und, bitte, vergessen Sie nicht, daß ein Brief von Ihnen mir immer eine frohe Stunde bereitet. Ihr herzlichst und getreulichst ergebener

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

5, rue Victor Massé, Paris 
21. Nov. 1904

Lieber Herr Hesse, Das »Litterarische Echo«, in dem ich Ihre lieben Worte lese, erinnert mich daran, daß ich Ihnen mit meinem herzlichsten Dank zugleich auch einen Brief schulde. Nun kennen Sie ja selbst Paris – wenn Sie es auch nicht lieben, wissen Sie doch, wie sehr es einen von allen Seiten gefangennimmt. Ich habe eine sehr hübsche Wohnung gefunden, die in einen Garten hineinzielt und so still ist, als läge sie, von endlosen Wiesen umzirkt, mitten im Lande. Das macht mich nun sehr froh, daß ich des öfteren still bei mir sein kann und mich nach meiner Art vergnügen: Bekannte habe ich hier, wenn ich sie will, und das ist mir lieb. Holzamer, den ich schon lange kenne, habe ich sehr gern; ein paar Wiener, ein paar junge Franzosen kenne ich, und wenn Verhaeren kommt, so habe ich einen wertvollen und gütigen Gefährten.

Meinen »Verlaine« habe ich hier mit Lust begonnen, in Hast vor meinem wachsenden Unmut vollendet: ich will mich nie und nimmer mehr binden und verpflichten. Das zerstört einem das Schönste, die willige Freude des Schaffens.

Bei Ihnen scheinen ja jetzt frohe Tage zu sein. Der Bauernfeld-Preis hat mich sehr gefreut – um so mehr als unsere Wiener Herren sonst ein wenig dickköpfig sind. Und Weihnachten streut unseren lieben »Peter Camenzind« – den ich bei Bernus jüngst sogar angedichtet fand – sicher in alle Welt. Hoffentlich sind auch alle andern Sorgen beim Teufel und Sie leben wohlgemut und schaffensfroh.

Vergessen Sie mich aber, lieber Herr Hesse, nicht ganz. Erzählen Sie mir einmal, ob wir Neues von Ihnen erhoffen dürfen oder ob Sie brachliegen für die kommenden Jahre der Ernten. Ich freue mich immer so sehr darüber. Gerne hätte ich einen Abstecher zu Ihnen gemacht – zwei Stunden war ich weit –, als ich nach Paris fuhr, da Sie mir aber schrieben, Ihre Frau sei nicht gesund, hütete ich mich wohl, Sie zu verständigen und von Ihrem Heim fortzulocken. Ich hab schon das Vertrauen, daß wir uns einmal finden werden, und ich will Ihnen da gern ein paar Kilometer entgegengehn.

Und das Reisen? Haben Sie es verlernt? Ich nicht, wahrhaftig nicht, ich habe so eine Unrast überallhin zu fahren, alles zu sehen und zu genießen, habe Angst vor dem Alter, daß ich dies – meinen liebsten Besitz – einmal verlieren könnte in Mattigkeit und Faulheit. Im März geht es nach Spanien – es muß dies das schönste Land Europas sein, ich fühle das. Kommen Sie mit: Sie wären ein Reisegefährte! Ich weiß nicht: immer wenn ich mir Spanien vor mich hin sage, spüre ich's wie einen Ruck. Ich freu mich so darauf; schon studiere ich spaniolisch. Nun noch herzliche Grüße, von denen Sie aber Ihrer Frau auch ein paar abgeben müssen. Ihr in Ergebenheit und Freundschaft getreuer

Stefan Zweig

 

An Hermann Hesse

Wien, 17. Oktober 1905

Lieber und verehrter Herr Hesse, ich bin nun wieder heim. Und als ich so kam, wühlte ich mir aus den Büchern, die meinen Schreibtisch belagerten, sogleich Ihren neuen Roman heraus. Und nun hab ich ihn gelesen.

Viele Worte darüber werden ja in diesen Tagen in Ihr stilles Haus gesegelt kommen: gedruckte und geschriebene. Lassen Sie mich doch darum sagen, wie ich es empfunden habe. Empfindung ist nicht Kritik, so darf ich sie sagen und muß nicht vergleichen (wie es ja alle Leute mit dem »Camenzind« tun werden).

Ich liebe sehr diese tiefe und mit so wunderbarer Kunst erzählte Geschichte um ihrer Menschlichkeit willen. Es stehen Dinge darin, die ich selbst in meiner Knabenzeit empfunden hatte und dann wieder verloren: und mit dem Buch dämmerten mir alte Stunden herauf, jene herb-süßen, von denen man nie wußte, daß sie unser schönstes sind. Das haben Sie so hinreißend geschildert, daß ich dankbar über die Ferne Ihre lieben Hände fasse. Und dann die zwei Liebesscenen: die stehen nun wie eigene Geschehnisse in meinem Leben.

Ist das nicht Unsägliches? Kann ein Dichter mehr tun? Kaum. Ich weiß: ich habe einige Einwände gegen einzelnes der Composition (wir sind alle zu literarisch geschult, um so etwas nicht herauszuschmecken), aber das verlischt alles in dem überwältigenden Eindruck, den mir die Seele des Buches gegeben hat. Ich wollte, alle hätten darüber ihre Freude wie ich. Leider glaube ich nicht daran. Sie werden vielleicht Häßliches zu hören bekommen: es gibt der Leute zu Deutschland genug, die keinem Lebenden zehn Auflagen verzeihen. Werten Sie alles Mißliche, so freuen Sie sich der Begeisterung, die Ihnen wieder fühlen lassen wird, wieviel Sie Deutschland sind und – angeln Sie glücklich. Ich weiß, das ist Ihnen wichtiger.

Ich weiß nicht, ob ich über das Buch schreibe. Ich glaube, man kommt heute überall schon zu spät. Sie sind ja »actuell«. Aber das macht nichts: später oder früher will ich ja doch das, was ich Ihnen durch Ihre Bücher danke, in runder geeinter Form einmal fassen.

Also Glückwunsch ins Haus. Und viele Grüße an Ihre Frau und Sie von Ihrem freundschaftlich getreuen und ergebenen

Stefan Zweig

 

An Hugo von Hofmannsthal

VIII. Kochgasse 8 
Wien, 24. Juni 1907

Sehr verehrter Herr von Hofmannsthal,

lassen Sie mich Ihnen auf das innigste für Ihre freundlichen Worte Dank sagen. Mir ist Keines Urteil in Deutschland wertvoller und wichtiger als das Ihre, und ich freue mich sehr der Gelegenheit, Ihnen das heute schreiben zu dürfen, ohne der Aufdringlichkeit verdächtig zu sein. Verzeihen Sie mir, wenn ich bislang die primitivste Pflicht der Höflichkeit versäumte, Ihnen meine Bücher zu senden, wozu mich meine von Jahr zu Jahr tiefer bewußte und begründete Verehrung drängte; Ihr gütiger Brief von heute wird mir in Hinkunft gestatten, was mir bislang das unbestimmte Gefühl einer Besorgnis verwehrte, Ihnen lästig oder unwillkommen zu erscheinen.

In aufrichtiger Verehrung Ihr ergebener 
Stefan Zweig

 

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 31.10.2014
ISBN: 978-3-7368-5231-0

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