Mit Tränen in den Augen starrte ich auf den Sarg. Von draußen konnte ich nur leises Gemurmel und das laute Schluchzen der Freundin des Toten hören. Mit schmerzhaft pochendem Herzen versuchte ich irgendwie die Tränen zurück zu halten. Ich sah die Blumenkränze an, die liebevoll gestaltet waren. Direkt neben dem Sarg war ein Kranz in der Form eines Notenschlüssels. An ihm hing ein Band in Orange.
>Die Musik war ein großer Teil seines Lebens.< laß ich für mich.
Dann begutachtete ich die zwei Bilder, die dort aufgestellt waren. Plötzlich in Gedanken verloren, kullerten mir zwei Tränen die Wange hinunter.
>Wieso, eigentlich?< fragte ich mich.
Ich drehte mich um und ging durch die Masse hinaus an die Luft. Leicht zitternd zog ich ein Tempo aus meiner Tasche. Leise dankte ich meinem Vater, dass er mich daran erinnert hatte welche mit zu nehmen. Während andere noch den Sarg sich ansahen, stand ich neben meiner Familie und überlegte, wie ich diese Szene wohl in einem Buch schreiben würde. Die Freundin kam jetzt auch zu mir. Sie dankte mir, dass ich gekommen war. Mit einem Lächeln sah ich sie an. Mehr konnte ich nicht hervorbringen.
Nach etwa einer viertel Stunde waren fast alle auf dem Platz im Friedhof eingetroffen. Irgendwann setzte sich dann auch die ganze Masse in Bewegung. Nur noch die kleinen Kinder, die es nicht besser wussten, redeten noch mit ihren Eltern. Sie verstanden vermutlich nicht ganz, warum ihre Eltern so traurig waren und die Stimmung so angespannt und traurig, jedoch auch wunderschön war.
Nach einem kurzen Fußmarsch kam die Gemeinde an der kleinen Friedhofskapelle an. Ich entschied mich dazu, draußen zu stehen. Der Verstorbene hatte viel erlebt und viele Freunde gesammelt. Daher passten nicht alle in die relativ kleine Kapelle hinein. Dort stand ich dann. Hörte Gedankenverloren dem Gerede des Pfarrers zu. Erst eine wunderschöne Metapher zog meine Seele aus meinen Erinnerungen.
„Es gab einmal ein Lied. Mit allerlei Tönen. Alle waren harmonisch und ergaben eines der schönsten Lieder. Doch eines Tages verschwand einer der Töne. Zuerst spielten die Töne weiter, wie zuvor. Doch dann verstanden sie, dass es nicht so weiter ging. Das Lied war nicht mehr das, was es einmal war. Sie entschieden sich dem Ton ein Denkmal zu erbauen, was die Lücke schließen würde. Sie spielten ihr Lied. Jetzt war es wieder perfekt, nur nicht gleich wie zuvor. So spielten sie ihr neu komponiertes Lied, in Gedanken bei dem Ton, den sie alle so geliebt hatten.“
Am liebsten wäre ich zusammengebrochen. So gut hatte diese Geschichte zu der jetzigen Situation gepasst. Ich riss mich zusammen und hörte weiterhin zu.
Am Ende kamen dann die Lieder. Von dem Chor gesungen, der ihm so am Herzen gelegen hatte. Als letztes kam dann das Lied Halleluja. Das gab mir den Rest. Mit verschwommenem Blick sah ich in den Himmel, der sich verdunkelt hatte.
Ich fasste mich wieder und hörte dem Schlusswort zu. Nachdem der Pfarrer geendet hatte, kamen langsam die Leute aus der Kapelle heraus. Andächtig, an ihn denkend. Ich hasste mich selbst für diesen Gedanken.
>Schön. So wunderschön.< dachte ich nur.
Es war die Masse. Die Zeremonie. Es war alles perfekt. Fast unnormal.
Als sich die Kapelle geleert hatte, ging ich dann dem Fluss der Menschen hinterher. Meinen Blick auf dem Boden und meine Hände zusammengefaltet. Mit dieser Geste sprengte ich zwar meine Einstellung zu den Religion, jedoch konnte ich nicht anders. Ich war nun mal katholisch. Ob ich es wollte oder nicht. Die Gemeinde versammelte sich in zwei Reihen auf der jeweiligen Seite des Weges. Alle warteten ruhig auf den Sarg. Dann kam er. Auf Rollen wurde er von sechs Männern gezogen. Ich kannte keinen davon. Nur meinen Vater, der nebendran ging. Er sah mich nicht an. Doch ich konnte erkennen, dass er Tränen in den Augen hatte. Der Sarg rollte an mir vorbei, hinter ihm die Freundin des Verstorbenen mit den Armen eingehakt bei ihrer Tochter und einem Mann, den ich ebenfalls nicht kannte. Hinter ihnen ging die Schwester und hinter ihr kamen die guten Freunde. Dort entdeckte ich dann meine Mutter. Sie sah mich an und winkte mich mit einer Handbewegung zu sich. Ich reagierte und kam aus der Menge zu ihr.
Jetzt verschmolz ich fast mit der Stimmung und der Masse. Niemand sagte etwas. Nicht einmal die Kinder. Nicht einmal die Vögel sangen ihr Lied. Als würden sie wissen, was dort vor sich ging und zusehen. Als ich an der Stelle ankam, wo der Sarg hinuntergelassen wurde, spielte schon Musik. Ich empfand sie als etwas unpassend, da sie etwas von einem fröhlichen Lied hatte. Als ich dann jedoch auf das Loch starrte, wo nun die Freundin von ihm stand, passte sie doch. Ich konnte nicht mehr alles genau erkennen, da sich mein hochgewachsener Bruder sich gedacht hatte, dass er sich einfach mal vor mich stehen sollte. Ich fand mich schnell damit ab und lauschte der kurzen und letzten Ansprache des Pfarrers, bis dann sich die Menge ein wenig teilte und zu dem Sarg ging. Ich stellte mich ebenfalls an. Neben meiner Mutter, die ebenfalls mit den Tränen kämpfen musste. Ich hatte kein Problem damit zu weinen, jedoch wollte ich nicht, dass ich schluchzen muss. Es wäre viel zu laut. Ich starrte auf den Sarg, der mit Blumen bedeckt war. Meine Mutter warf ein wenig Erde und Weihwasser hinunter und danach ihre Blume. Ich wollte meine Blume ebenfalls hinunter lassen, jedoch wollte sich mein Körper nicht bewegen. In meinem Kopf breitete sich der Gedanke aus, dass wenn ich diese eine Blume jetzt dort lassen würde, es wirklich vorbei sein würde. Ich weiß nicht woher ich die Kraft nahm, jedoch streckte ich meinen Arm aus und ließ die Blume fallen. In meinen Augen flog sie wie in Zeitlupe hinab.
Dieser perfekte Moment. Wieder musste ich daran denken, wie ich alles in einem Buch schreiben würde. Plötzlich bemerkte ich, wie meine Augen nicht mehr richtig sahen. Ich weinte so sehr, dass ich kurz davor war zu schluchzen. Schwer atmend unterdrückte ich es. Ich drehte mich um und ging die paar Schritte zu der Freundin des Verstorbenen, die ich gut kannte. Ich sah sie an und wollte ihr die Hand geben. Sie breitete jedoch ihre Arme aus und umarmte mich. Ich erwiderte die Umarmung.
Sie flüsterte mir ins Ohr: „Kaum zu glauben nicht wahr? Er war immer so lustig drauf. Hat auch dich zum Lachen gebracht.“
Sie löste die Umarmung und sah mich mit einem gezwungenen, jedoch auch ehrlichen Lächle an. Für mich war das wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte und wollte es auch nicht mehr zurück halten. Ich schluchzte und wedelte mit der flachen Hand mein Gesicht an. Ich wollte nur noch, dass es vorbei ist. Jetzt stand ich vor der Schwester, die ich nicht kannte und ihr daher nur meine Hand gab und sie dabei anlächelte. Ihre Augen waren rot umrandet. Ich hatte sie davor schon gesehen, als sie geweint hatte. Sie tat mir leid, jedoch ging ich an ihr vorbei zu meiner Familie, die schon fertig war. Schwer atmend zog ich wieder ein Taschentuch aus meiner Jackentasche und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich stand neben meiner Mutter, die mich für einen kurzen Moment nur ansah und dann fest in den Arm nahm. Ich erwiderte wieder die Umarmung.
Langsam beruhigte ich mich auch wieder und stellte mich etwas abseits von Gruppe hin. Ich ließ mir noch einmal alles durch den Kopf gehen, damit ich nichts Wichtiges vergaß und das hier jetzt schreiben könnte. Während ich auf den Boden starrte, machten meine Eltern aus, wie ich und mein Bruder heimkommen würden.
Letztendlich kam ich zu dem Entschluss, dass ich so etwas nie wieder erleben würde. Mit einem traurigen Lächeln verließ ich den Friedhof.
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2014
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Widmung:
Peter.