Prolog
Ihre Hände schwitzten vor Nervosität.
Noch könnte sie sich umdrehen und all das vergessen. Sie wusste, sobald sie durch diese Tür trat, würde nichts mehr so sein wie zuvor. Ein neuer Abschnitt in ihrem Leben würde beginnen, der unumkehrbar wäre.
Aber war das nicht gerade der Grund, warum sie es tat - um eine Veränderung in ihrem Leben zu erlangen? Weg von dem eintönigen, immerwährenden Stillstand ihres Lebens, hin zur Möglichkeit, einen neuen Teil ihrer Persönlichkeit zu erkunden.
Genau das wünschte sie sich doch: raus aus ihrer Komfortzone und hinein in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Jolyn atmete noch einmal tief durch und griff dann nach der Türklinke. Kurz zögerte sie, bevor sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck die Klinke nach unten drückte und die Tür öffnete.
Sie betrat ein riesiges Foyer, dessen Eleganz ihr schier den Atem raubte.
Mit großen Augen blickte sie sich um.
Der Boden war aus weißem Marmor und die Wände mit einer golddurchwirkten Tapete bekleidet, der man auch ohne Fachwissen ansah, dass sie ein Vermögen gekostet hatte.
In der Halle verteilt, befanden sich hohe exotische Topfpflanzen, die dem Inventar noch an zusätzlichem Chic verliehen.
Rechts von Jolyn befand sich eine kleine Sitzgruppe aus schwarzem Leder und ihr gegenüber der Empfangstresen. Dahinter saß ein Portier in schwarz-weißer Uniform.
An der Wand links gab es zwei Aufzüge.
Jolyn brauchte einen kurzen Moment, um den Anblick der Eingangshalle verarbeiten zu können. Sofort kamen ihr wieder Zweifel an ihrem geplanten Vorhaben. Nicht nur, dass die Sache an sich schon recht anstößig war - nun war sie auch plötzlich mit einer Welt konfrontiert, deren Eleganz und Reichtum meilenweit von ihren bisherigen Lebensumständen entfernt lagen.
Jolyn überlegte ernsthaft, ob sie das Ganze wieder vergessen und schleunigst von hier verschwinden sollte. Noch hätte sie dazu die Möglichkeit, ohne von jemanden bemerkt worden zu sein.
Bevor sie sich jedoch sofort wieder umentschließen und zur Tür hinausspazieren konnte, sprach sie plötzlich der Portier an. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
Jolyn zuckte zusammen. Nun war sie doch bemerkt worden und konnte der ganzen Sache nicht mehr unerkannt den Rücken kehren.
Sie ging mit zögernden Schritten auf den Tresen zu.
Als sie an den Grund dachte, weswegen sie hierhergekommen war, konnte sie es nicht verhindern, dass sich ihre Wangen vor Verlegenheit röteten.
Sie sah dem Portier ins Gesicht und bemerkte seine herablassende Miene. Ihr wurde noch ein wenig unbehaglicher zumute.
In unsicherem Tonfall sagte sie: »Ich, ähm, also ich möchte jemanden besuchen, der hier wohnt.«
Der Portier zog eine Augenbraue hoch. »Weiß derjenige denn auch, dass sie ihn besuchen möchten?«
Wenn es möglich war, wurden Jolyns Wangen noch heißer. »Ja, ich werde erwartet«, sagte sie leise.
Dem Mann war anzusehen, dass er ihr nicht glaubte. »Und von wem, wenn ich fragen darf?«, erkundigte er sich mit überheblicher Stimme.
Sie griff in ihre Hosentasche und holte einen kleinen grünen Notizzettel heraus. Er war zerknittert und wies viele Falten auf. Man konnte ihm ansehen, wie oft er schon herausgenommen, betrachtet und wieder weggesteckt worden war – ein Zeichen ihrer Unsicherheit bezüglich des Vorhabens.
Jolyn reichte den Zettel an den Portier weiter, der ihre zitternde Hand mit einem misstrauischen Blick in ihr Gesicht kommentierte.
Er las den Namen, der auf dem Papier geschrieben stand und riss ungläubig die Augen auf. »Sie wollen zu Mr. Bellford?«
»Ja«, antwortete sie leise, wobei sie sich in ihrem derzeitigen Gefühlszustand fragen musste, ob ˌwollenˈ der richtige Begriff war.
Der Mann warf ihr einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu. Wahrscheinlich war sie mit ihrem schulterlangen blonden Haar, der schlichten Jeans und dem T-Shirt, ein eher unüblicher Anblick in diesem Gebäude. Der Portier war mit ziemlicher Sicherheit eher Frauen mit selbstsicherem Auftreten und teurer Kleidung gewohnt. Da konnte sie schlicht nicht mithalten.
Außerdem riefen ihr unsicheres Verhalten und die riesige Sporttasche in ihrer Hand, wohl auch einiges an Misstrauen hervor.
»Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich Mr. Bellford kurz anrufe? Ich möchte sichergehen, dass er sie auch wirklich erwartet.« Ohne eine Antwort ihrerseits abzuwarten, griff er auch schon zum Hörer des Telefons und wählte eine Nummer.
Kurz stieg leichter Groll in Jolyn auf. Dieser Kerl behandelte sie wie eine Schwerverbrecherin, nur weil sie kein selbstsicheres Gebaren und teure Klamotten vorweisen konnte. Für wen hielt sich dieser Kerl eigentlich?
Aber ihr Groll wurde gleich darauf von Nervosität verdrängt, als am anderen Ende der Leitung eine Stimme erklang.
Es war seine Stimme.
»Guten Tag, Mr. Bellford. Entschuldigen sie bitte die Störung. Ich weiß, was für ein vielbeschäftigter Mann sie sind. Ich möchte sie auch gar nicht lange behelligen, Mr. Bellford«, der enthusiastische und zuckersüße Tonfall des Portiers stand im krassen Gegensatz zu dem herablassenden Ton, den er zuvor gegenüber Jolyn angeschlagen hatte.
»Aber Mr. Bellford, hier ist eine junge Dame «, fuhr der Mann fort, wobei er eine besondere Betonung auf das letzte Wort legte. »Sie behauptet, sie würden sie erwarten.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung sagte etwas, aber Jolyn konnte leider nichts davon verstehen.
An der Reaktion des Portiers konnte sie jedoch ablesen, dass die Antwort wohl nicht dessen Vorstellungen entsprach.
Mit ungläubigen Blick wandte er sein Gesicht wieder Jolyn zu und sagte: »Ja, Sir. Tut mir leid, Sir. Ich werde sie unverzüglich zu ihnen hinaufschicken. Ich bitte vielmals um Verzeihung, Mr. Bellford.«
Der Portier legte den Hörer weg und sagte hoheitsvoll zu ihr: »Mr. Bellford erwartet sie bereits. Wenn sie den linken Fahrstuhl nehmen, dann fährt er sie direkt in das Apartment.«
Irritiert über den auf einmal höflichen Tonfall ihr gegenüber, murmelte sie ein »Danke«
Als sie vor dem Lift stand, sprangen die Türen mit einem leisen ˌ'Ping' auf und sie betrat den Lift.
Noch einmal blickte sie zu dem Portier zurück, der ihr mit ungläubiger Miene nachstarrte. Anscheinend hatte sie den Mann gehörig verwirrt. Mr. Bellford schien keine Person zu sein, die von normalen Bürgerlichen, wie sie eine war, besucht wurde.
Jolyn musste bei dem Gedanken kichern.
Gleich darauf wurde sie sich aber wieder der gegenwärtigen Situation bewusst.
Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr.
Sie atmete gleichmäßig ein und aus, um ihr wild rasendes Herz ein wenig zu beruhigen. Doch das ruhige Atmen wollte ihr nicht so recht gelingen.
Leichte Panik wallte in ihr auf. Mein Gott, Jolyn, was tust du hier nur, dachte sie - nur um sich gleich darauf selbst eine Antwort zu geben: Du tust, was du schon lange machen wolltest - Erfahrungen sammeln, etwas Spannung in deinen öden Alltag bringen und endlich mal leben.
Bewusst sagte sie sich diese Worte immer wieder auf, fast wie ein Mantra. Wirklich beruhigen konnten sie Jolyn jedoch nicht.
Mitten in ihrem Selbstdialog, blieb der Fahrstuhl plötzlich stehen und die Türen glitten zur Seite.
Sie gaben den Blick auf einen breiten Flur frei. Die vorherrschenden Töne waren Weiß und Beige. Die einzige Dekoration bestand aus einem Gemälde, das dem Lift gegenüber hing. Alles in allem wirkte der Flur recht kahl und unpersönlich auf Jolyn.
Zögernd stieg sie aus dem Fahrstuhl.
Kaum hatte sie einen Schritt in den Flur hineingemacht, schlossen sich auch schon die Türen hinter ihr.
Damit war wohl auch ihr letzter Fluchtweg abgeschnitten.
Tief durchatmend machte sie einen weiteren Schritt und blieb dann stehen.
Sie senkte langsam ihre Lider, um sich mental auf das Kommende vorzubereiten.
Als sie sich einigermaßen sicher fühlte, öffnete sie ihre Augen wieder und blickte sich im Flur um - ihr Abenteuer konnte beginnen.
Kapitel 1
Wie von ihm beschrieben, befand sich dem Fahrstuhl gegenüber, ein großes Gemälde. Neben dem Bild war eine Tür, die in den Wohnbereich führte. Rechts von Jolyn war eine zweite Tür.
Auf diese steuerte sie nun zu. Sie öffnete die Tür und wie erwartet, befand sich dahinter ein kleines Badezimmer.
Sie betrat den Raum und legte ihre Sporttasche neben dem Waschbecken ab. Dann stellte sie sich vor das Becken und warf einen Blick in den darüber hängenden Spiegel.
Sie sah etwas blass aus. Aber Jolyn fand das nicht weiter schlimm. Dadurch konnte sie dem Folgenden womöglich sogar zu mehr Authentizität verhelfen.
Mit den Schultern zuckend und wandte sich wieder von dem Spiegel ab und griff zu ihrer Tasche. Sie öffnete langsam den Verschluss und zum Vorschein kamen ein paar Kleidungsstücke. Sie holte eine weiße Bluse heraus.
Kurz zögerte sie, bevor sie ihr T-Shirt auszog. Jeans, Socken und Schuhe folgten, bis sie schließlich nur mehr in Höschen und BH dastand.
Ihre Unterwäsche passte rein qualitativ nicht zu ihren restlichen Kleidungsstücken. Sie hatte extra etwas von ihrem Ersparten genommen, um sich ein wenig hochwertigere Dessous kaufen zu können. Schließlich wollte sie einen guten Eindruck hinterlassen.
Jolyn nahm auch alle anderen Teile aus der Tasche und legte sie zu der weißen Bluse.
Stück für Stück zog sie nun die neue Kleidung an.
Als sie fertig war, warf sie einen zweifelnden Blick an sich hinunter. Es war nicht ihre Idee gewesen, sich so anzuziehen, aber nun konnte sie nichts mehr dagegen tun.
Sie nahm eine Bürste und begann sich ihre Haare zu machen. Anschließend schminkte sie sich, aber nicht allzu stark. Erstens konnte sie nicht so geschickt mit Make-Up und Pinsel umgehen und zweitens fand sie, dass ein zu stark geschminktes Gesicht dem ganzen Vorhaben einen billigen Beigeschmack geben würde.
Als sie fertig war, stellte sie sich noch einmal vor den Spiegel, um zu sehen, ob sie auch ordentlich genug aussah.
Da sie mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden war, straffte sie die Schultern und drehte sich anschließend zur Tür. Mit einer entschlossenen Geste öffnete Jolyn sie und schritt über den Flur zu dem Eingang des Wohnbereichs, neben dem großen Gemälde.
Vor der Tür angekommen zögerte sie jedoch wieder, als sie erneut von Nervosität erfasst wurde.
Um sich abzulenken und etwas Zeit zu schinden, betrachtete sie das Bild zu ihrer Linken ein wenig genauer.
Sofort bereute sie es.
Was von Weitem wie ein Gewirr aus zarten schwarzen Tuschelinien ausgesehen hatte, entpuppte sich beim näheren Hinsehen als nackte Frau. Diese lag nackt auf dem Rücken und schien sich in Wollust zu rekeln. Jolyns Wangen wurden bei dem Anblick ganz heiß und sie wandte sich rasch von dem Gemälde ab.
So viel wohl zur Ablenkung.
Erneut sah sie die Tür an.
Sie atmete einmal tief durch und öffnete sie dann mit einem Ruck, bevor sie ihr Mut gänzlich verlassen konnte.
***
Robert
Robert Bellford sah wieder auf die Uhr.
Sie war zu spät.
Wenn Robert eines nicht leiden konnte, dann war es Unpünktlichkeit. Er war es gewohnt, seinen Tag strengstens zu planen und diesen Plan anschließend auch einzuhalten.
Für ihn waren Organisation und Disziplin eine Tugend. Robert war sich sicher, dass er ohne diese Eigenschaften nicht da wäre, wo er jetzt nun mal war - ein erfolgreicher Unternehmer, mit genug Geld, um sich nie wieder sorgen zu müssen und einem Apartment im beliebtesten Teil von New York.
In eben jenem Apartment saß er nun auch und wartete auf seinen anstehenden Termin.
Robert wurde zunehmend verärgert. Er hasste Unpünktlichkeit wie die Pest. Die Frau schien im Vorhinein vertrauenswürdig - aber wer konnte das schon so genau beurteilen, wenn man bisher nur über Handynachrichten kommuniziert hatte.
Robert beschloss, dass er die Frau gleich wieder wegschicken würde, falls sie sich doch noch hierher bequemen würde. Sie hatten eine Abmachung und wenn sie sich nicht daranhalten konnte, dann war das nicht seine Schuld.
Er war gerade im Begriff sich aus seinem Sessel zu erheben, als plötzlich das Telefon klingelte.
Robert stand auf und ging zu dem Apparat.
Da er, wie jeder andere Mensch heutzutage, nur mehr sein Smartphone zum Telefonieren benutzte, musste es wohl der Portier von unten sein. Der Empfang rief als Einziger noch über das Haustelefon an.
Er nahm den Hörer ab und meldete sich mit einem knappen Gruß. Wie erwartet, war am anderen Ende Lionel, der Portier.
Robert konnte ihn nicht besonders gutleiden. Für seinen Geschmack war der Mann zu neugierig und aufdringlich.
Auch jetzt war sein Tonfall wieder sehr schmeichlerisch, als er ihm den Grund des Anrufs erläuterte. Robert war davon genervt und seine sowieso schon schlechte Laune sank noch tiefer in den Keller.
Als er jedoch hörte, was Lionel gerade gesagt hatte, horchte er auf. »Eine junge Dame wartet bei ihnen?«, fragte Robert nach. »Schicken sie sie sofort herauf. Sie ist ohnehin schon spät dran. Ich dachte schon sie kommt gar nicht, dabei haben sie die Frau so lange aufgehalten.«
Plötzlich war Robert erleichtert. Es gab einen simplen Grund für ihre Verspätung. Sie hatte ihn also doch nicht versetzt.
Robert legte den Hörer auf, noch bevor der Portier mit seinen wortreichen Entschuldigungen fertig war.
Doch der Mann hatte ihn auch neugierig gemacht. Ihm war nicht der herablassende Tonfall entgangen, als er von der Dame gesprochen hatte.
Robert, der Überraschungen noch weniger leiden konnte als Unpünktlichkeit, ging rasch in sein Büro. Dort hatte er einen Bildschirm, der ihm ein aktuelles Bild aus dem Flur vor seinem Wohnbereich lieferte.
Er wollte sich ein eigenes Urteil über die junge Frau bilden, bevor er ihr von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat.
Gespannt starrte er auf den Bildschirm.
Er musste einige Augenblicke warten, bevor sich die Fahrstuhltüren öffneten.
Zunächst tat sich nichts und Robert dachte schon, dass sich niemand im Lift befand, doch dann trat plötzlich eine junge Frau heraus.
Sie blieb nach einem Schritt gleich wieder stehen und wirkte über alle Maße verunsichert. Schüchtern sah sie sich im Flur um.
Robert war fasziniert.
Sie musste ahnen, dass er sie sehen konnte und schlüpfte daher gleich von Anfang an in ihre Rolle.
Er war begeistert. Er tat dies nicht zum ersten Mal, aber keine Frau zuvor, war gleich zu Beginn so authentisch und mit Feuereifer dabei gewesen wie diese hier.
In ihm wuchs die Vorfreude auf die kommenden Stunden ins Unermessliche.
Die Frau auf dem Bildschirm hatte sich nun in Bewegung gesetzt und steuerte auf die rechte Tür zu, genauso wie Robert sie angewiesen hatte.
Er betrachtete sie noch einmal eingehend, bevor sie in dem kleinen Raum verschwand.
Sie gefiel ihm. Er konnte es zwar nicht benennen, aber irgendetwas hatte sie an sich, das ihn überaus faszinierte.
Sie war nicht eine klassische Schönheit. Mit ihrem blonden Haar und der zierlichen Figur, fand Robert sie jedoch sehr anziehend.
Als die Frau aus seinem Sichtfeld verschwunden war, begab er sich wieder zurück ins Wohnzimmer.
Er setzte sich in den gleichen Sessel wie vorhin und starrte gebannt auf die Tür zum Flur.
Robert konnte es plötzlich kaum erwarten, bis sich diese Tür endlich öffnen würde - und er Clara vor sich stehen hätte.
Kapitel 2
Drei Wochen zuvor
Jolyn hatte gerade Mittagspause und saß wie üblich im Park, um ihren Salat zu essen.
Heute war es ein recht anstrengender Vormittag gewesen. Die neue Praktikantin flirtete nämlich viel lieber mit den Abteilungsleitern aus der oberen Etage, als ihre Arbeit zu erledigen. Deshalb war sie auch im Laufe der letzten Woche in Verzug mit ihren Kalkulationen gekommen.
Als Jolyn heute Morgen ins Büro kam, herrschte deswegen eine Riesenaufregung. Lisa, die Praktikantin, wurde vor allen anderen Kollegen und Kolleginnen vom Abteilungsleiter angeschrien. Woraufhin Lisa in Tränen ausbrach.
Jolyn hatte Mitleid mit der jungen Frau, obwohl sie diese eigentlich gar nicht leiden konnte. Doch sie ertrug den Anblick der weinenden Praktikantin nicht, vor allem da alle anderen Kollegen so taten, als würde sie die Szene nichts angehen. Schließlich schlug sie ihrem Chef vor, dass sie gemeinsam mit Lisa die ausstehenden Kalkulationen bearbeiten würde und er die Dokumente noch heute vor sich auf seinem Tisch hätte.
So kam es, dass sie den ganzen Vormittag damit verbrachte, die versäumten Arbeiten der letzten drei Wochen der Praktikantin nachzuholen. Ebene jene war nach der Aufregung am Morgen zu aufgelöst, um eine wirkliche Hilfe sein zu können.
Jolyn war daher erleichtert gewesen, als es Zeit für die Mittagspause wurde. Sie löste sich nur allzu gern von der sich selbstbemitleidenden Lisa und der anstrengenden Arbeit.
Jolyn sah sich im Park um. Es war ein schöner sonniger Tag. Sie hatte ihre Weste ausgezogen und saß nun in Jeans und Top auf einer Parkbank. In ein, zwei Wochen würde der Sommer voll da sein und sie würde ihre Wohnung ohne Jacke oder Weste verlassen können.
Ihr Smartphone, das auf der Bank neben ihr lag, brummte zweimal.
Jolyn griff danach und sah, dass ihr ihre beste Freundin eine Nachricht geschrieben hatte.
Sie kannte Jamie schon seit der Grundschule und seitdem waren sie auch beste Freundinnen. Keiner kannte Jolyn so gut wie Jamie, außer vielleicht ihrer Mutter, zu der sie ein sehr inniges Verhältnis hatte.
Jolyn las die Nachricht ihrer Freundin: ˌHallo J.! Ich habe eine gute Nachricht für dich!!!ˈ
Das war typisch für Jamie, immer übertrieb sie alles. Sie konnte sogar eine heftige Steuernachzahlung wie eine spaßige Aufgabe aussehen lassen.
ˌ'Oh Gott. Ich befürchte Schlimmesˈ', tippte Jolyn.
Die Antwort kam prompt. ˌ'Nein, es ist das Beste, was dir in deinem bisherigen Leben passiert ist! Nick hat einen Cousin!!!'
Nick war der feste Freund von Jamie, mit dem sie nun schon seit vier Jahren zusammen war. Die beiden waren ziemlich glücklich miteinander und Jamie wollte seit jeher auch Jolyn zu so einem Glück drängen.
Seit einem Monat war sie ganz versessen darauf, Jolyn nun ebenfalls ihrer großen Liebe zuzuführen. Jolyn selbst konnte nur wenig Begeisterung für dieses Vorhaben aufbringen und versuchte daher immer so gut es ging, die Kuppelversuche abzublocken.
Jamie war der Meinung, dass es Zeit wurde für Jolyn, sich fest zu binden. Immerhin war sie mittlerweile dreiundzwanzig Jahre alt und schien selbst keinerlei Ambitionen in diese Richtung zu hegen. Insgeheim war Jolyn der gleichen Meinung wie ihre Freundin, aber sie fühlte sich leider so gar nicht zu den Männern hingezogen, die ihr bisher vorgestellt worden waren.
Jamie brachte immer Typen mit, die ähnlich wie ihr eigener Freund waren. Zwar mochte Jolyn den Partner ihrer besten Freundin, aber den Typ Mann fand sie nun mal einfach nicht anziehend. Er war ein guter Kerl, der klassische Junge von nebenan, mit dem man Pferde stehlen konnte, der stets hilfsbereit war und keinem etwas Böses wollte.
Aber Jolyn fand andere Männer attraktiv, etwas reifer und dominanter. Sie mochte Männer, die einem das Gefühl gaben, alles beherrschen zu können und die niemals die Kontrolle abgaben. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass diesen Typ Mann die meisten Frauen anziehend fanden.
Und genau das war ihr Problem. Die Männer, die sie attraktiv fand und zu denen sie sich hingezogen fühlte, konnten aus einer Reihe von Frauen wählen, die allesamt viel selbstbewusster und erfahrener als Jolyn waren. Bei so einem Mann hätte sie keine Chance. Sie war zwar, wie sie selbst fand, recht hübsch, aber sicherlich nicht so atemberaubend, als dass sie so ein Mann je bemerken würde.
In ihren Augen gab es jedoch noch ein viel schwerwiegenderes Problem– ihre mangelnde Erfahrung.
Denn niemand wusste - noch nicht einmal Jamie - dass Jolyn eigentlich noch Jungfrau war. Sie hatte praktisch keinerlei Erfahrungen mit Männern.
Bisher hatte sie nur einen festen Freund gehabt, als sie achtzehn Jahre alt gewesen war. Die Beziehung hielt relativ lange, fast über sechs Monate. Daher dachten alle in ihrem Bekanntenkreis, sie hätte schon Erfahrung in Hinblick auf den intimen Teil einer Beziehung und wie es war mit einem Mann zusammen zu sein.
Aber sie hatte nie jemandem erzählt, dass sich ihr Freund nach dreimonatiger Beziehung als schwul geoutet hatte. Und zwar noch bevor sie wirklich ˌernstˈ zusammen gewesen waren.
Somit kam es nie zu einem intimeren Kontakt zwischen den beiden. Es gab ein oder zwei Knutschereien, aber die würde Jolyn nicht gerade als berauschend oder lehrreich bezeichnen.
Sie war noch einige Monate mit Tim ˌzusammenˈ gewesen, jedoch nur, weil er sie angefleht hatte, weiterhin seine Freundin zu spielen. Ihm hatte der Mut gefehlt, sich seinen Eltern gegenüber zu outen und wollte, bis es so weit war, Jolyn als Alibi-Freundin behalten. Jolyn hatte damals Mitleid mit Tim gehabt, da er sich sichtlich wegen seines Geheimnisses gequält hatte. So hatte sie zugestimmt und war dann noch etwas mehr als drei Monate mit Tim zusammengeblieben.
Die ganze Episode war ihr dermaßen peinlich, dass sie nie jemanden davon erzählt hatte.
Deshalb wusste auch niemand um ihre Unsicherheit in Bezug auf Männer. Vielleicht würde das Wissen um ihre Jungfräulichkeit, Jamie davon abhalten ihr andauernd irgendwelche Kerle anpreisen zu wollen. Aber wahrscheinlicher war, dass sie es nur noch in ihrem Bestreben bestärken würde.
Jolyn seufzte bei dem Gedanken an die verfahrene Situation auf und tippte eine Antwort auf ihrem Handy.
ˌDu weißt, dass ich auf kein Doppeldate mit euch gehen möchteˈ
ˌAber warum nicht? Sein Cousin ist echt sexy, der würde dir bestimmt gefallen. Komm doch einfach mitˈ, lautete die Antwort.
Jolyn verzog das Gesicht und schrieb: ˌLieber nicht.ˈ
ˌJetzt komm schon. Wir machen das einfach. Punkt. Du bekommst außerdem sowieso noch eine Verschnaufpause. Graham (sexy Name findest du nicht ;-)) ist gerade nämlich noch in Australien und kommt erst in ca. vier Wochen zurück. Dann können wir mal einen netten Abend miteinander verbringen.ˈ
Jetzt ließ Jamie sogar schon Kerle aus dem Ausland einfliegen, nur um sie zu verkuppeln. Jolyn musste bei dem Gedanken kichern.
Bevor sie jedoch eine geeignete Antwort schreiben konnte, brummte schon wieder das Handy.
ˌBitte. Bitte. Bitte. Biiiiiittte!ˈ
Jolyn war aufgrund der Eindringlichkeit Jamies amüsiert. Trotzdem hatte sie nicht vor, mit Nicks Cousin auszugehen.
ˌJamie, du weißt doch, dass wir einen ganz unterschiedlichen Männergeschmack haben. Also hör bitte auf, mich verkuppeln zu wollen.ˈ
Die Antwort auf diese Nachricht ließ ein wenig länger auf sich warten. Als Jolyn schon dachte, es käme keine mehr, brummte ihr Handy wieder.
ˌJa, klar. Du stehst auf finstere und strenge Kerle. Ich wette, mit diesem Typen würdest du sofort ausgehen:ˈ
Der Nachricht war ein Screenshot hinzugefügt.
Neugierig, was Jamie damit meinte, tippte Jolyn darauf.
Das Bild einer Website öffnete sich. Der Hintergrund war ganz in Schwarz gehalten und mit goldener Farbe stand "Scandalous Luxury" als Titel der Website.
Jolyn runzelte die Stirn und sah sich das Bild dann genauer an. Anscheinend handelte es sich um so eine Art erotisches Dating-Portal, bei der Leute Annoncen aufgaben, um sexuelle Abenteuer zu erleben.
Die Anzeige, die Jamie geschickt hatte, lautete:
Gespielin für Rollenspiele gesucht
Wenn Sie an einem Vater-Tochter-Rollenspiel interessiert sind, melden Sie sich. Sie sollten ein gepflegtes Äußeres haben, nicht älter als 35 sein und eine leicht devote Neigung haben.
Darunter waren die Kontaktdaten des Mannes angeführt.
Jolyn spürte wie ihre Wangen heiß wurden. Sie blickte sich verstohlen in alle Richtungen um, um sicherzugehen, dass sie niemand beobachtete.
Was dachte sich Jamie nur dabei, ihr eine solche Anzeige zu schicken?
Sie spürte wie Zorn in ihr aufstieg.
Kurzerhand wählte sie die Nummer ihrer Freundin und wartete ungeduldig, bis diese abhob.
»J? Hey, was gibt’s denn? Ist etwas passiert? Ansonsten rufst du mich nie unter der Arbeitszeit an«, meldete sich Jamie fröhlich.
Jolyn verspürte kurz ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre beste Freundin bei der Arbeit störte, aber gleich darauf dachte sie an die Anzeige und war wieder wütend. »Sag mal, spinnst du? Warum schickst du mir so etwas?«
Jamie schien verwirrt wegen Jolyns Reaktion. »Ähm, sag mal, meinst du die Anzeige auf dem Erotikportal? Das war doch nur ein Scherz.«
Das beruhigte Jolyn nicht. »Dann war das aber ein echt bescheuerter Witz. Ich finde das gar nicht lustig. Mach das nicht nochmal.«
»Ist ja gut, schon gut«, versuchte Jamie sie zu beschwichtigen, »Ich verspreche, dass ich es nicht mehr mache. Aber ehrlich, das ist doch kein Grund gleich so an die Decke zu gehen. Es tut mir leid, falls dich das so sehr verstört hat.«
Als Jolyn die Worte ihrer Freundin hörte, war ihr ihre wütende Reaktion nun leicht peinlich. Anscheinend war es wirklich nur als Scherz gemeint gewesen. »Okay, alles gut«, sagte sie etwas sanfter, »Es hat mich nur gewundert, wo du solch eine Anzeige herhast. Und ein wenig gekränkt war ich, dass du denkst, ich stehe auf so etwas.«
»Nein, keine Sorge. Ich weiß doch, dass du daran kein Interesse hast«, wiegelte Jamie ab, »Meine Chefin ist auf diesem Portal angemeldet. Anscheinend ist das alles total exklusiv und eine Mitgliedschaft kostet ein Vermögen. Otto-Normalverbraucher hat da gar keinen Zugang. Die Mitglieder werden auch strengstens überprüft. Jedenfalls hat meine Chefin ein Profil auf der Website und hat uns in der Mittagspause davon erzählt. Du weißt ja, dass sie immer etwas zu freigiebig mit den Informationen über ihr Sexleben ist.«
Jolyn erinnerte sich, dass sich Jamie schon ein paar Mal bei ihr über die detailreichen Erzählungen ihrer Vorgesetzten beschwert hatte.
»Sie hat uns dieses Portal gezeigt und wir durften auf der Website ein bisschen herumscrollen. Als ich gerade die Rollenspiel-Anzeige las, kam deine Nachricht und ich dachte mir, dass es ganz witzig wäre«, beendet Jamie ihre Erklärung. Das schlechte Gewissen war ihr anzuhören.
Nun hatte auch Jolyn Schuldgefühle, wegen ihrer harschen Worte. »Achso. Entschuldige bitte meine Reaktion. Eigentlich finde ich es jetzt ja auch ganz witzig«, versuchte Jolyn es widergutzumachen. Sie zögerte ein wenig, bevor sie die nächste Frage stellte. Sie wollte nicht allzu neugierig wirken, aber es brannte sie doch unter den Fingernägeln: »Und deine Chefin antwortet echt auf solche Annoncen? Ich meine ein Rollenspiel mit Vater-Tochter-Fantasien, … ist das nicht, irgendwie, naja, pervers?«
»Ach, ich weiß nicht. Ist ja alles nur Fantasie. Ich kann mir schon vorstellen, dass so etwas anregend ist«, meinte ihre Freundin.
»Ich weiß ja nicht. Hört sich für mich nach einem Perversen an«, gab Jolyn zu.
»Nein, das glaube ich nicht. Meine Chefin meinte, alle Mitglieder seien strengstens geprüft. Außerdem kennt sie die Anzeigen dieses Mitglieds schon. Sie sagte, der schreibt alle paar Monate, dass er eine neue Gespielin sucht, immer mit neuen Rollenthemen. Also dürfte es ihm nicht nur um konkret dieses eine Thema gehen, sondern um ein wenig Abwechslung.«
»Hm«, überlegte Jolyn. Nachdem sie das jetzt mit ihrer Freundin geklärt hatte und ihr Zorn verpufft war, nahm ihre Neugier überhand. Sie zögerte kurz, bevor sie dann doch fragte: »Und? Hat deine Chefin schon einmal auf eine Anzeige von ihm geantwortet?«
Jamie schien ein wenig verblüfft über ihre Frage. »Keine Ahnung, aber ich denke nicht. Immerhin ist sie ja schon älter und der Mann will eine Frau, die maximal fünfunddreißig ist.«
» Stimmt, das stand ja dort«, sagte Jolyn eilig. Ihre Nachfrage war ihr nun sehr peinlich.
»Wieso fragst du?«, wollte Jamie da auch schon wissen.
»Ach, nur so.« Schnell wechselte sie das Thema, bevor ihre Freundin näher auf ihr Interesse bezüglich der Anzeige eingehen konnte: »Wegen diesem Graham ꟷ «
Sofort unterbrach Jamie sie: »Ja! Der ist wirklich total nett und sieht gut aus. Bitte, komm doch einfach auf ein Date mit. Wir müssen es auch nicht Date nennen. Sagen wir, es ist einfach ein nettes Treffen unter Freunden.«
»Freunde, von denen sich die Hälfte davor noch nie gesehen hat«, bemerkte Jolyn trocken.
Jamie seufzte. »Du weißt doch, was ich meine. Einfach ein lockeres Treffen, ohne Versprechungen oder Verpflichtungen. Du wirst dich bestimmt amüsieren. Und ich bin mir sicher, dass Graham dir gefällt.«
»Ich weiß nicht.«
»Bitte. Bitte. Biiiiitte.« Jamie hatte anscheinend erkannt, dass Argumente sie nicht weiter bringen würden und sich wieder aufs Betteln verlegt. »Tu es für mich. Bitte.«
Als Jolyn immer noch zögerte, plärrte sie weitere ˌBitteˈ in den Hörer.
Nach ein paar Augenblicken war Jolyn so genervt, dass sie widerwillig zustimmte. »Mein Gott, du kannst so nervig sein. Na gut, ich mache es.«
Ein freudiges Jubelgeschrei war die Antwort. »Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir. Ich sag es gleich Nick, dann kann er es Graham erzählen. Ich halte dich einfach auf dem Laufenden und sobald sein Cousin wieder im Land ist, treffen wir uns.«
Nach einigen weiteren freudigen Bemerkungen Jamies und weniger freudig gemurmelten Antworten Jolyns, verabschiedeten sich die beiden.
Jolyn bereute schon jetzt ihre Zusage. Aber da es noch mindestens vier Wochen dauerte, bis dieser Graham aus Australien zurückkam, hatte sie noch genügend Zeit, um sich mental auf dieses Treffen vorzubereiten.
Oder sich eine Ausrede zu überlegen.
Der restliche Arbeitstag verging recht zäh. Nachdem Jolyn mit den Kalkulationen der Praktikantin fertig war, musste sie sich um ihre eigentliche Arbeit kümmern.
Natürlich hatte sich, aufgrund der vormittäglichen Verzögerung, so einiges an Aufgaben angestaut. Sie musste länger bleiben, wenn sie den morgigen Tag nicht mit den Aufgaben des Vortages beginnen wollte.
Um halb sechs am Abend war sie endlich so weit, ihren Computer ausschalten zu können. Sie streckte sich in ihrem Bürosessel, denn vom stundenlangen Sitzen und auf dem Bildschirmstarren war sie ganz verspannt.
Als sie ihren Kopf von einer Seite zur anderen kreisen ließ, um ihre Nackenmuskulatur zu entspannen, blieben ihre Augen an ihrem Handy hängen. Unwillkürlich kam ihr das Bild der Erotik-Annonce wieder in den Sinn.
Nachdenklich starrte sie das Handy an.
Sie fragte sich, wie ein Mann wohl aussah, der eine solche Anzeige aufgab. War er unattraktiv, weswegen er auf anonyme Annoncen zurückgreifen musste, um eine Partnerin zu finden? Oder entsprach er eher dem Bild eines attraktiven und gutaussehenden Mannes, welches Jolyn beim Durchlesen vor Augen gehabt hatte?
Es dauerte einige Augenblicke, bevor ihr bewusst wurde, über was sie da eigentlich nachdachte. Rasch wandte sie den Blick von dem Telefon ab und stand auf.
Sie packte schnell ihre Sachen zusammen und verbat sich jegliche weiteren Gedanken an diese Annonce.
In ihrer Hast warf sie den Keramikbecher mit den Stiften um, der auf ihrem Schreibtisch stand. Es machte einen Riesenlärm, als er zu Boden fiel.
Gott sei Dank war sie die Letzte im Büro, so dass niemand ihre Tollpatschigkeit mitbekam.
Eilig bückte sie sich, um die verstreuten Kugelschreiber wieder aufzusammeln. Zum Glück war der Becher noch heil. Er war ein selbstgebasteltes Geschenk ihrer Mutter und ihr daher sehr wichtig.
Als sie beinahe fertig damit war, die Stifte wieder in den Keramikbecher zu stecken, tauchten plötzlich, am Rande ihres Sichtfelds, Schuhe auf.
»Kann ich ihnen helfen?«, vernahm sie eine tiefe Stimme - eine Stimme, die sie nur allzu gut kannte.
Oh Gott, bitte nicht, dachte sie. Aber als sie aufsah, wurden ihre Befürchtungen bestätigt.
Vor ihr stand der Chef des Unternehmens, Simon Blakely.
Jolyn fühlte sich seit jeher zu Mr. Blakely hingezogen. Er war genau der Typ Mann, der sie ansprach. Selbstbewusst, streng und ein wenig unnahbar.
Natürlich hatte sie ihn bisher nur von der Ferne aus betrachten können. Schließlich war sie eine kleine Angestellte in einem riesigen Unternehmen, nicht wichtig genug, um vom großen Firmenchef beachtet zu werden. Zudem war Jolyn, wie sie schon mehrmals feststellen musste, keine Frau, welche die Blicke von Männern auf sich zog. Im Allgemeinen ging sie in der grauen Masse einfach unter.
Ganz anders gestaltete sich die Situation natürlich, wenn man sich allein in einem Büro wähnte, einen Riesenlärm verursachte und die einzig andere anwesende Person eben jener Firmenchef war. Zwangsläufig musste er sie dann wohl bemerken.
Überfordert starrte sie ihn an. Er war überdurchschnittlich groß, hatte blondes Haar und war athletisch gebaut. Seine Statur setzte er mit Hilfe von maßgeschneiderten Anzügen gekonnt in Szene. Aber das anziehendste Merkmal an ihm waren seine grünen Augen.
Der Großteil der weiblichen Belegschaft schmachtete Mr. Blakely an und er war sich dessen durchaus bewusst.
Als er nun eine Augenbraue hob, wurde Jolyn klar, dass sie ihm keine Antwort auf seine Frage gegeben hatte.
Prompt röteten sich ihre Wangen und sie stammelte: »Äh, nein. Ich-ähm-, ich meine, ich bin schon fertig.<< Rasch erhob sie sich und hatte den Stiftbecher dabei in der Hand Zur Demonstration hielt sie ihn nun ihrem Chef hin.
Schon als sie die Bewegung ausführte, bemerkte sie, wie dämlich diese Geste eigentlich war. Wahrscheinlich hielt er sie jetzt nicht nur für tollpatschig, sondern auch beschränkt.
Er warf einen Blick auf ihre Hand, bevor er ihr wieder ins Gesicht sah. »Das sehe ich«, meinte er mit einem belustigten Zucken um die Lippen.
Jolyn, die sich nun vollends unbehaglich fühlte, stellte den Becher zurück auf den Tisch. Am liebsten wäre sie so schnell wie möglich geflüchtet, um dieser peinlichen Situation entkommen zu können.
»Was machen Sie denn noch so spät hier, Ms.- ?«, Simon Blakely ließ den Satz mit einer Frage enden.
»Huntington«, beeilte sie sich zu sagen.
Er lächelte sie charmant an. »Ms. Huntington«, wiederholte er. »Alle anderen ihrer Kollegen sind schon längst nach Hause gegangen.«
»Ja, ich weiß. Ich-ich hatte noch Arbeit und wollte sie heute noch erledigen. Sonst müsste ich morgen mit einem Aufgabenstau beginnen«, sie redete eilig und hoffte, dass dieses Gespräch bald enden würde. Für sie klang jedes Wort aus ihrem Mund komplett schwachsinnig.
Zu ihrer Erleichterung nickte er nur und wandte sich mit einem »Na dann« von ihr ab.
Sie atmete erleichtert auf, als er sich wieder umdrehte und sie noch einmal ansprach. »Waren sie es etwa, die der Praktikantin geholfen hat, ihre versäumten Kalkulationen nachzuholen?«, fragte er nachdenklich.
»Ähm, ja.« Jolyn war wegen dieser Frage sichtlich irritiert. Woher wusste der Firmenchef, was der neuen Praktikantin heute Vormittag zugestoßen war?
Er nickte und musterte sie jetzt ein wenig eingehender.
Jolyn wand sich innerlich unter seinem eindringlichen Blick.
Plötzlich lächelte er leicht und sagte: »Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend, Ms. Huntington.« Damit drehte er sich um und verschwand kurz darauf im Flur.
Jolyn blickte ihm wie erstarrt nach. Sie brauchte einige Momente, um das gerade Erlebte zu verarbeiten. Das Gespräch hatte zum Ende hin eine etwas eigenartige Atmosphäre verströmt. Sie konnte nicht sagen, ob das gut oder schlecht war. Jolyn wusste nur, dass sie knapp an einem Herzinfarkt vorbeigeschrammt war.
Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, nahm sie ihre Sachen und verließ eilig das Büro.
Wie sehr freute sie sich, nach diesem aufwühlenden Tag, endlich nach Hause kommen zu können.
Jolyn machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Hoffentlich würde sie nicht allzu lange warten müssen.
Aber sie hatte Glück. Die U-Bahn fuhr gerade ein, als sie das Gleis erreichte.
Sie betrat einen Waggon und nahm Platz.
Sofort schweiften ihre Gedanken ab. Wieder musste sie an das Gespräch mit Simon Blakely denken. Sie grübelte über seine Worte und Verhalten nach, und konnte nicht verhindern, dass wieder Scham in ihr aufstieg.
Unwillkürlich musste sie auch an den Grund für die ganze Szene denken – den herabfallenden Keramikbecher. Dieser wiederum war ihr hinuntergefallen, weil sie nervös wegen der Erotik-Anzeige gewesen war.
Sie erinnerte sich auch wieder an ihre heftige Reaktion beim Lesen der Annonce und wie sie Jamie angeschnauzt hatte. Im Nachhinein war ihr das alles mehr als peinlich und sie schämte sich für ihr Verhalten.
Doch wie sie so in der U-Bahn saß und keine Möglichkeit zur Ablenkung hatte, konnte sie es nicht verhindern, über den Grund für ihren anfänglichen Groll nachzudenken.
Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie seit der Mittagspause vehement zu unterdrücken versuchte, beharrte darauf, dass ihre heftige Reaktion nur mit ihrem eigentlichen Interesse für die Anzeige erklärbar war.
Jolyn wollte auf diese Stimme nicht hören.
Schließlich war sie ja nicht pervers. Sie könnte sich doch wohl kaum für so einen Mann interessieren.
Sie schüttelte ihren Kopf, um ihren Gedanken Nachdruck zu verleihen.
Als ihr bewusstwurde, was sie da gerade tat, blickte sie sich schnell im Waggon um - hoffentlich hatte keiner ihr Kopfschütteln gesehen. Dann würde man sie nämlich für so eine Verrückte halten, die New Yorks U-Bahnen in Massen bevölkerten. Das wäre mehr als peinlich. Und Peinlichkeiten hatte sie für heute schon genug erlebt.
Aber zum Glück schienen die restlichen Fahrgäste genauso mit ihren Gedanken beschäftigt wie sie selbst. Keiner hatte also ihre Geste mitbekommen.
Aufatmend widmete sich Jolyn wieder ihren Überlegungen und zwang sich alle Gedanken an die Erotik-Annonce zu vergessen. Stattdessen versuchte sie über die nötigen Erledigungen und Termine für die kommende Woche nachzudenken.
Aber leider brachte es nichts.
Nach ein paar Minuten drängte sich ihr wieder die Erinnerung an die Anzeige auf. Das ganze wurde auch noch verschlimmert, als sie jetzt nicht mehr nur an den Wortlaut der Annonce dachte, sondern sich ihr zunehmend auch Bilder über das mögliche Aussehen des Mannes aufdrängten.
Wieder fragte sie sich, wie er wohl aussah. War er alt oder jung? Da er nach einer Frau verlangte, die ruhig auch schon Jenseits der Dreißig sein konnte, nahm Jolyn an, dass es sich um einen etwas älteren Mann handelte. Er musste wohl auch ein wenig vermögend sein, da Jamie meinte, es handle sich um ein sehr exklusives Online-Portal.
Vor ihren Augen erschien das Bild eines Mannes: Ende dreißig, dunkelhaarig, gutaussehend und mit breiten Schultern. Er strahlte eine gewisse Dominanz aus, die Jolyn mehr als anziehend fand. Sie würde sich bei ihm zwar leicht unsicher, aber auch geborgen fühlen. Er würde sie anfassen und mit seinen starken Händ -.
Abrupt schrak Jolyn aus ihren Gedanken hoch. Was fiel ihr ein, sich mitten in der New Yorker Metro Träumereien über einen fiktiven Mann zu ergehen?
Eilig öffnete sie ihre Augen, die sie träumerisch geschlossen hatte.
Jolyn sah, wie die ältere Dame ihr gegenüber, sie mit skeptischem Blick musterte. Oh nein, jetzt hatte doch jemand ihr eigenartiges Verhalten bemerkt.
Peinlich berührt wandte Jolyn ihr Gesicht ab. Doch sie spürte den bohrenden Blick der Frau weiterhin auf sich.
So unbeteiligt wie möglich, versuchte sie ihre Umgebung zu betrachten. Vielleicht würde es die Dame von Jolyns merkwürdigen Verhalten ablenken.
Es schien zu funktionieren. Nach einiger Zeit hatte die Frau genug davon, Jolyn anzustarren. Sie widmete sich wieder ihrem Smartphone und begann wie wild darauf herum zu tippen.
Jolyn atmete erleichtert auf und entspannte sich ein wenig.
Ein gutes hatte jedenfalls die ganze Szene - bis zum Ausstieg musste Jolyn kein einziges Mal mehr an die Anzeige rund um den mysteriösen Mann denken.
Kapitel 3
Jolyn betrat ihre Wohnung mit einem erleichterten Seufzen. Endlich war sie zu Hause und konnte diesen alles in allem recht bescheidenen Tag abschließen.
Ihre Wohnung war recht klein und bestand nur aus einem Zimmer. Gleich wenn man zur Tür reinkam, befand sich rechts die Küchenecke. Ein paar Schritte war dann ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen. Der Tisch diente Jolyn gleichermaßen zum Essen und zum Arbeiten, falls sie doch mal Arbeit mit nach Hause nahm.
Gegenüber der Küche hatte sie sich eine kleine Leseecke eingerichtet. Diese bestand aus nur einem braunen Fauteuil, einer Stehlampe und einem schmalen Bücherregal.
Schließlich stand auf der linken Seite des Raums, neben der Leseecke, ihr Bett. Zwischen Bett und Sessel, führte eine Tür in das winzige Badezimmer.
Es war wirklich eine sehr kleine Wohnung, aber Jolyn hatte sich bemüht sie so geräumig wie möglich einzurichten. Sie fand es war ihr gelungen, denn sie fühlte sich sehr wohl in ihren eigenen vier Wänden.
Aufgrund der Größe der Wohnung und ihrer Lage war sie recht günstig. Sie befand sich in einem eher verrufenen Viertel. Anfangs hatte Jolyn noch etwas Furcht verspürt jedes Mal, wenn sie ihre Wohnung verließ. Aber nach ein paar Wochen hatte sie erkannt, dass die Gegend gar nicht so übel war und es hauptsächlich das Gerede anderer Leute war, die dem Viertel ihren Schrecken verlieh.
Außerdem konnte sie sich sowieso nichts Teureres leisten, da sie jeden Cent, den sie sparen konnte, auch benötigte.
***
Nachdem sich Jolyn umgezogen und sich in der Mikrowelle ein einfaches Fertiggericht aufgewärmt hatte, setzte sie sich an den Esstisch.
Während sie aß, griff sie zu ihrem Handy und wählte die Nummer ihrer Mutter. Sie stellte es auf Lautsprecher und legte es neben sich auf den Tisch.
»Hallo, Schätzchen«, meldete sich nach ein paar Sekunden ihre Mutter.
»Hey, Mum. Tut mir leid, dass ich erst jetzt anrufe. Ich musste länger in der Arbeit bleiben.« Jolyn hatte deswegen ein schlechtes Gewissen. Sie rief jeden Abend ihre Mutter an, damit sie sich gegenseitig von ihrem Tag erzählen konnten.
Sie vermisste ihre Mutter schrecklich, aber unter den derzeitigen Umständen, konnte sie leider nichts dagegen tun.
»Ach, keine Sorge. Ich dachte mir schon, dass du länger in der Arbeit fest hingst.« Ihre Mutter war wie immer verständnisvoll. »Außerdem habe ich dir schon mehrmals gesagt, dass du mich nicht jeden Tag anzurufen brauchst. Schließlich bist du eine junge Frau und solltest dich mehr um dein eigenes Vergnügen kümmern, als ständig mit einer alten Dame wie mir zu telefonieren«, meinte sie gutmütig.
Jolyn seufzte. »Mum, du weißt doch wie wichtig du mir bist. Wenn ich dich schon nur einmal in der Woche sehen kann, dann möchte ich wenigstens jeden Tag mit dir reden.«
Ira Huntington hatte vor vier Jahren einen Schlaganfall, als sie gerade mal neunundfünfzig Jahre alt gewesen war. Seitdem war sie rechtsseitig gelähmt und war auf Hilfe angewiesen. Jolyn hätte sich nur zu gern um ihre Mutter gekümmert. Aber der finanzielle Aufwand, den das mit sich gebracht hätte, konnten sie sich einfach nicht leisten. Deswegen lebte sie nun seit fast vier Jahren in einem Pflegeheim. Alles Geld was Jolyn auf die Seite legen konnte, brachte sie für die Kosten auf. Der Rest wurde von einem gemeinnützigen Verein bezahlt, weswegen Jolyn jeden Tag aufs Neue dankbar war.
Trotzdem brach es Jolyn jedes Mal das Herz, wenn sie nach dem wöchentlichen Besuch ihre Mutter in dem Heim zurücklassen musste.
»Ja, ich weiß, Schatz. Aber ich mache mir ein wenig Sorgen um dich. Du amüsierst dich zu wenig. Du solltest mehr raus gehen und das Leben genießen. Glaub mir, das Leben währt nicht ewig.« Ihre Stimme hatte nun einen wehmütigen Klang.
Jolyn wusste, dass sie nun an ihren Vater dachte. Er war vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die damalige Zeit war sehr schwer für Jolyn und ihre Mutter gewesen. Schließlich waren sie bis dahin eine glückliche kleine Familie gewesen.
Da Jolyns Eltern ihre Tochter erst sehr spät bekommen hatten, sie waren beide schon über vierzig gewesen, war sie ihr kleiner Sonnenschein. Nichts konnte dieses Glück trügen, bis ein einem Maiabend vor zehn Jahren.
Seitdem mussten die beiden kämpfen, um sich über Wasser halten zu können. Und als schließlich sechs Jahre darauf Ira einen Schlaganfall erlitt, wurde es noch einmal um ein Vielfaches schwieriger.
Aber nun hatten sie die schlimmste Zeit hinter sich und waren beide versorgt. Nur der wenige Kontakt machten den beiden zu schaffen. Schließlich waren sie durch die zahlreichen Krisen in ihren Leben, ein starkes Team geworden, das sich sehr nahestand.
Um ihre Mutter und sich selbst auch von den trüben Erinnerungen abzulenken, wechselte Jolyn das Thema. »Jamie hat mich heute kontaktiert. Sie will mir einen Mann vorstellen. Wir werden uns in ein paar Wochen miteinander treffen.«
Das schien ihre Mutter aufzuheitern. »Oh, wirklich? Das freut mich für dich. Endlich lernst du mal wen kennen. Nach der ganzen Geschichte mit Tim hattest du keinen Freund mehr. Ich habe immer befürchtet die Trennung von ihm hat dir solchen Schmerz zugefügt, dass du vor einer neuen Beziehung zurückschreckst. Aber scheinst du ja zum Glück darüber hinweg zu sein. Du musst mir unbedingt alles über den neuen Mann erzählen.«
Bei der Erwähnung von Tim verzog Jolyn das Gesicht. Schon witzig, dass alle damals dachten es sei die große Liebe gewesen. Aber schließlich hatte sie auch nicht versucht sie von ihrem Glauben abzubringen.
»Daweil weiß ich noch sehr wenig über ihn. Nur, dass er Graham heißt und zurzeit noch in Australien ist. Mehr weiß ich auch noch nicht. Aber ich verspreche dir, dass du die Erste bist, der ich von meinem Date erzähle.«
»Ich freue mich jetzt schon darauf.« Ihre Mutter schien wirklich froh zu sein.
»Ja, ich mich auch«, log sie, um ihr die Freude nicht zu verderben.
Nun konnte Jolyn das Date nicht mehr kurzfristig absagen, wie sie es insgeheim geplant hatte. Wenn ihre Mutter sich so sehr darauf freute von ihrem Date zu hören, musste sie wohl oder übel da durch.
»Schatz, ich muss leider auflegen. Heute Abend kommt der Pfarrer und liest uns Geschichten vor. Ich möchte nicht zu spät kommen, ansonsten schnappt sich Mrs. Mansfield wieder den Platz in der ersten Reihe.«
Jolyn schmunzelte. Aus irgendeinem Grund hatte ihre Mutter, die eigentlich immer alle mochte und stets freundlich war, eine Abneigung mit besagter Dame. Warum das so war, konnte Jolyn beim besten Willen nicht sagen. Aber sie bekam oft Beschwerden über Mrs. Mansfield von ihrer Mutter zu hören.
»Kein Problem, Mum. Dann verabschieden wir uns wohl besser, schließlich möchte ich nicht, dass du hinter Mrs. Mansfield sitzen musst.«
Ira kicherte. »Danke, Schätzchen. Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend und schöne Träume«, sagte sie, bevor sie auflegte.
***
Kurz darauf begab sich Jolyn ins Bett. Sie wollte morgen früh raus und das Nötigste für den Rest der Woche kaufen. Sie ging lieber vor der Arbeit einkaufen als nachher. Da waren weniger Leute in den Supermärkten, während um fünf Uhr am Abend meistens ein hektisches Gewusel herrschte.
Aber als sie im Bett lag, fiel es ihr schwer einzuschlafen. Wieder drängten sich Jolyn die Erinnerung an das Gespräch mit Jamie und die Nachricht mit dem Foto der Anzeige auf.
Jolyn konnte es nicht mehr länger leugnen. Sie war interessiert. Sie war neugierig. Der Gedanke an die Anzeige und den dahinter steckenden Mann ließen sie nicht mehr los.
Sie musste sich auch den Grund für ihre heftige Reaktion in Bezug auf Jamie eingestehen. Es war nämlich keine Scham gewesen, die Jolyn beim Lesen verspürt hatte. Und auch keine Wut auf Jamie. Nein. Der aller erste Impuls beim Anblick der Worte war Erregung gewesen. Ziemlich heftiges Verlangen danach eben jene Gespielin sein zu können.
Jolyn konnte es sich in der Dunkelheit ihres Zimmers besser eingestehen. Sie wollte so ein Abenteuer erleben. Von so etwas hatte sie insgeheim immer geträumt. Und nun eine Anzeige mit solchen Worten zu entdecken, hatte sie ziemlich aus der Bahn geworfen.
Natürlich konnte sie sich das in dem Moment weder ihr noch Jamie gegenüber eingestehen, weswegen sie die Fassung verlor und stattdessen wütend wurde. Aber alles nur als Vorwand, um nicht an ihr Verlangen denken zu müssen.
Auch jetzt spürte sie die wachsende Erregung in sich aufsteigen. Sie wollte diesem Mann schreiben. Sie wollte seine Gespielin, wie er es ausdrückte, sein. Sie wollte von einem ihr wildfremden Mann dominiert werden.
Aber kaum hatte sie ihr Verlangen gedanklich endlich offen und ehrlich formuliert, kam die Ernüchterung. Dieser Mann erwartete eine erfahrene Frau. Eine Frau mit der er seine Lust ausleben konnte. Er wollte nicht eine dreiundzwanzigjährige Jungfrau, die gleich bei der kleinsten Erwähnung von Sex rote Wangen bekam.
Es sei denn-. Aber nein, Jolyn verdrängte den aufkommenden Gedanken sofort. Nein. Das würde nicht funktionieren.
Aber wenn doch? Die Stimme im Hintergrund, die sie nun schon mehrmals versucht hatte zu ignorieren, drängte sich wieder auf.
Er wollte eine Partnerin für sein Rollenspiel. Ein-Vater-Tochter-Rollenspiel. Das hieß, die Frau, welche er suchte, sollte eine verschämte, schüchterne junge Frau spielen. Genau diese Beschreibung traf auf Jolyn zu. Nur, dass sie das ganze Getue nicht spielen müsste, sondern es ihre wahre Natur wäre. Aber das musste der Mann ja nicht wissen.
So würden sie beide das bekommen, was sie sich wünschten. Der Mann hätte eine Gespielin und Jolyn könnte Erfahrungen sammeln. Anschließend würden sie beide ihrer Wege gehen und wären glücklich, ohne einander geschadet zu haben.
Jolyn grübelte. Es schien ihr eigentlich die perfekte Gelegenheit. So schnell würde sich nicht wieder eine ergeben. Und außerdem meinte Jamie, dass es sich um ein exklusives Portal handelte. Das hieß, dass sie nicht befürchten musste an irgendeinen zwielichtigen Typen zu geraten.
Bevor sie noch weiter überlegen konnte, sprang sie vom Bett auf und holte sich ihr Handy vom Esstisch. Sie ging zu ihrer Leseecke und schaltete die Stehlampe ein. Sofort war die Wohnung von einem warmen Licht erfüllt.
Sie setzte sich in den Sessel und öffnete die Nachricht von Jamie. Als sie das Bild geöffnet hatte, starrte sie kurze Zeit auf die angeführte Telefonnummer. Dann öffnete sie das Feld für eine neue Nachricht und gab die Nummer als Empfänger an.
Ohne groß nachzudenken tippte sie eine SMS.
‚Guten Abend!
Ich schreibe anlässlich ihrer Annonce auf scandalous luxury.
Sind sie noch auf der Suche nach einer geeigneten Partnerin? Ich hätte nämlich Interesse daran. Melden sie sich einfach, falls dem so ist.
Mit freundlichen Grüßen‘
Bevor sie noch näher darüber nachdenken konnte, klickte sie auf das Briefsymbol, um die Nachricht abzuschicken.
Sie las sich die eben verschickte Nachricht nochmal durch. Ihr wurde übel. Oh Gott, was hatte sie getan? Sie hatte sich allen Ernstes auf eine Anzeige in einem Erotik-Portal gemeldet.
Und dann klang die Nachricht auch noch so, als ob sie auf eine Stellenanzeige für eine Wohnung oder einen Job antworten würde. Ihr Worte waren keineswegs sexy oder erregend. Bestimmt würde er sich nicht melden. Wahrscheinlich bekam er eine Flut an Nachrichten, die einem allein beim Lesen die Röte ins Gesicht trieben. Dagegen war ihre SMS so sexy wie Mundgeruch am Morgen.
Jolyn schämte sich. Wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal an diesem Tag.
Sie wartete gespannt, ob eine Antwort kam. Als nach ein paar Minuten das Handy immer noch still blieb, beschloss sie wieder zu Bett zu gehen.
Sie legte sich nieder und versuchte die Erinnerung an das eben Getane zu verdrängen. Sie hatte lange keinen Erfolg damit, aber schließlich, spät in der Nacht, fiel sie doch in einen tiefen Schlaf.
Kapitel 4
Am nächsten Vormittag saß sie wie gewohnt an ihrem Schreibtisch im Büro und versuchte sich auf die Zahlen und Wörter vor ihr am Bildschirm zu konzentrieren. Ihr fiel es heute sehr schwer ihre Aufmerksamkeit auf irgendetwas zu richten. Ihre Gedanken kreisten dauernd um ihre SMS von gestern Nacht und sie warf alle paar Minuten einen Blick auf ihr Handy, um zu sehen, ob sie eine Antwort erhalten hatte.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die Zeile am Monitor vor ihr nochmal zu lesen. Es war mittlerweile ihr fünfter Versuch. Gerade als sie endlich den Satz zu Ende gelesen hatte und ihn diesmal auch wirklich verstanden hatte, wurde sie unterbrochen.
»Jolyn, hey! Wie geht es dir?«, fragte eine fröhliche Stimme.
Als Jolyn von ihrem Bildschirm aufsah und sich zur Seite drehte, sah sie, dass es Lisa war. Verdutzt blickte sie in ihr Gesicht. Normalerweise kam keiner während der Arbeitszeit an Jolyns Tisch. Generell hatte sie eher wenige Kollegen mit denen sie mehr als ein paar Höflichkeiten austauschte. Nur mit Becky und Marcus von der Personalabteilung plauderte sie hin und wieder und verbrachte manchmal auch ihre Mittagspause mit den beiden.
»Äh, hallo. Mir geht es ganz gut«, stammelte Jolyn, da sie nicht recht wusste was sie sonst sagen sollte oder warum Lisa überhaupt mit ihr sprach.
Diese lächelte Jolyn jetzt strahlend an. »Das ist schön. Ich will dich auch gar nicht lange stören, ich wollte dir nur Kaffee bringen. Ich hoffe du trinkst ihn mit Milch und ohne Zucker?« Sie stellte vor Jolyn eine Tasse ab und sah sie erwartungsvoll an.
Jolyn, immer noch verwirrt wegen der Freundlichkeit, nickte nur. Als sie daraufhin Lisa immer noch erwartungsvoll ansah, bemerkte sie, dass sie wahrscheinlich besser eine Antwort geben sollte. »Dankeschön. Das ist sehr nett von dir«, sagte sie. Immer noch misstrauisch über die Aufmerksamkeit der Praktikantin ihr gegenüber fügte sie hinzu »Hast du irgendwelche Probleme? Soll ich dir bei irgendetwas helfen?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich wollte mich nur nochmals bei dir bedanken. Ich weiß, dass ich dir gestern bei der Erledigung meiner Aufgaben keine Hilfe war und das tut mir leid. Ich war nur so aufgelöst wegen der ganzen Situation, schließlich ist dieses Praktikum sehr wichtig für mich. Du warst die Einzige, die für mich eingesprungen ist. Alle anderen Kollegen, mit denen ich eigentlich mehr Kontakt habe und von denen ich dachte, dass sie meine Freunde seien, haben einfach nur weggesehen und mich meinen Problemen selbst überlassen. Deswegen wollte ich nochmal danke sagen.« Sie wirkte etwas verunsichert.
Jolyn lächelte sie an. Lisa tat ihr leid. Anscheinend hatte sie gestern mitbekommen wie wenig sie auf ihre angeblichen Freunde zählen konnte. Jolyn hoffte, dass sie daraus lernte und sie in Zukunft von der Flirterei mit den Kollegen absah. »Keine Ursache. Falls du wieder etwas brauchst, kannst du einfach zu mir kommen.«
Lisa lächelte. »Danke. Das Angebot nehme ich gerne an. Obwohl ich mich ab jetzt bemühen werde, meine Aufgaben rechtzeitig zu erledigen.« Sie zwinkerte Jolyn verschwörerisch zu, bevor sie kurz winkte und sich zurück auf ihren Platz begab.
Nach dem kurzen Gespräch mit Lisa hatte sich Jolyns Konzentration merklich gebessert und sie konnte den Rest des Vormittags ungehindert arbeiten.
Als sie von ihrer Mittagspause zurückkam, hatte sie ihre Nachricht von gestern schon fast vergessen. Zumindest musste sie nicht ständig daran denken.
Sie fügte gerade ein paar Zahlen in die Tabelle vor ihr ein, als sich plötzlich ihr Handy rührte. Es brummte zweimal, um anzuzeigen, dass eine neue Nachricht reingekommen war.
Jolyn erstarrte. Aus dem Augenwinkel sah sie zu ihrem Smartphone. Ohne das sie auf den Bildschirm sehen musste, wusste sie, dass es eine Antwort auf ihre Nachricht von gestern Nacht war. Sie spürte es einfach.
Ihre Hände fingen an zu schwitzen und ihr wurde vor Aufregung ganz übel. Sollte sie die Nachricht jetzt gleich öffnen oder lieber warten, bis sie ungestört war? Aber gleich als sie sich diese Frage stellte, wusste Jolyn, dass ein Hinauszögern nicht möglich war. Wenn sie die SMS nicht jetzt gleich las, dann würde sie keine ruhige Minute mehr haben.
Jolyn nahm ich Smartphone in die Hand. Sie blickte sich verstohlen im Raum um. Sie wollte sichergehen, dass sie niemand beobachtete. Keiner schien in ihre Richtung zu schauen.
Mit zwei kurzen Klicks hatte sie ihr Handy entsperrt und ging in das Menü mit den Nachrichten.
Tatsächlich. Eine Antwort von der Nummer, die sie gestern angeschrieben hatte.
Jolyn wurde leicht übel.
Bevor sie der Mut verlassen konnte, tippte sie auf die Antwort und las.
‚Guten Tag, bisher habe ich noch keine geeignete Partnerin gefunden. Wenn Sie noch Interesse daran haben, schicken Sie mir eine kurze Beschreibung von Ihnen und ich schaue, ob Sie meine Kriterien erfüllen.
Jolyn las die Nachricht ein zweites und dann gleich noch ein drittes Mal. Sie konnte es nicht glauben. Er hatte tatsächlich geantwortet und schien interessiert.
Sie war ganz aufgeregt. Am liebsten würde sie sofort antworten. Aber sie beschloss noch zu warten. Besser sie nahm sich diesmal Zeit für ihre Antwort und schrieb nicht wieder überstürzt etwas, was sie dann gleich im Anschluss bereuen würde.
Bevor sie zurück an die Arbeit ging, las sie die Nachricht noch einmal durch, Wort für Wort. Als sie darüber nachdachte, welche Kriterien er wohl für eine „passende“ Partnerin hatte, wurde ihre Wangen wieder ganz rot. Sie rief sich ihr eigenes Aussehen vor Augen und überlegte ob sie wohl anregend genug war, um als Gespielin akzeptiert zu werden.
Bei diesen Gedanken wurde ihr wieder ganz warm und sie spürte wie sich ihre Wangen wieder verfärbten.
»Guten Tag, Ms. Huntington!«
Als Jolyn ihren Namen hörte, schrak sie zusammen und schrie kurz auf. Dabei ließ sie ihr Handy zu Boden fallen. Oh Gott, das darf doch nicht wahr sein, dacht sie. Schnell beugte sie sich herab und hob ihr Handy auf. Mit einem glühenden Gesicht, welches sich sicherlich gut auch als Glühlampe verwenden ließe, drehte sie den Kopf in Richtung des Sprechers.
Vor ihr stand Mr. Blakely.
Das darf doch nicht wahr sein. Da sprach in all den Jahren, die sie nun schon in dieser Firma arbeitete, genau zweimal der superheiße Chef mit ihr und ein jedes Mal würde sie vor Scham am liebsten in Boden versinken.
»Tut mir leid, ich wollte sie nicht erschrecken«, sagte ihr Chef nun.
Jolyn, immer noch zu Tode erschrocken, nickte nur und warf einen verstohlenen Blick auf ihr Handy. Als sie sicher war, das die Nachrichten nicht mehr sichtbar waren, sah sie Mr. Blakely wieder ins Gesicht. »Äh, keine Sorge. Ich war nur kurz abgelenkt und habe, ähm, nicht mitbekommen, dass sie hinter mir standen.«
Er schmunzelte und seine grünen Augen funkelten belustigt. »Normalerweise stehe ich in dem Ruf, dass Frauen mich immer und überall bemerken.«
Jolyn wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Aber Gott sei Dank, sprach er gleich weiter und sie musste sich keine Antwort einfallen lassen.
»Eigentlich wollte ich sie nur fragen, ob sie am Freitag Zeit haben. Wir haben da ein wichtiges Meeting mit einem Kunden und ich denke, dass es ganz sinnvoll wäre jemanden aus der Buchhaltung dabei zu haben.«
Jetzt war sie endgültig verwirrt. Soweit sie wusste, war normalerweise keiner von der Buchhaltung bei einem Meeting dabei. Und wenn doch, dann wären sicher andere Kollegen geeigneter dafür als Jolyn. Sie war nur eine einfache Angestellte. »Ähm, ja, klar habe ich Zeit«, sie zögerte kurz, bevor sie weitersprach, »Aber wäre, naja, nicht jemand anders geeigneter dafür? Ich meine Frank hat doch zum Beispiel viel mehr Erfahrung als ich.« Frank war ihr direkter Vorgesetzter und arbeitete bereits seit Jahrzehnten für diese Firma.
Mr. Blakely nickte. »Das mag schon sein, aber ich hätte gerne sie dabei. Wenn ich Mr. Becker dabei haben wollen würde, hätte ich ihn gefragt. Ich habe aber sie gefragt.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Wir treffen uns um zehn Uhr im Konferenzraum B. Seien sie pünktlich.«
Bevor Jolyn antworten konnte, war er auch schon wieder verschwunden.
Ihr schwirrte der Kopf. Sie wusste nicht, warum sie plötzlich an einem Meeting teilnehmen sollte. Überhaupt war es ungewöhnlich, dass Mr. Blakely einer einfachen Angestellten Aufmerksamkeit schenkte. Normalerweise bekam man ihn nur von der Ferne zu sehen, ohne dass er je einen persönlich ansprach.
Jolyn wurde sich der Blicke ihrer Kollegen bewusst. Anscheinend hatten sie den kurzen Austausch mitbekommen und fragten sich nun ebenfalls, was das zu bedeuten hatte.
Als sie die anderen bemerkten, dass Jolyn ihre neugierigen Blicke mitbekam, wandten alle hastig den Kopf ab. Einzig Becky, die Kollegin mit der sie sich ein wenig besser verstand, hob fragend die Augenbrauen und deutete mit dem Kinn in Richtung der Tür, durch die Mr. Blakely verschwunden war.
Jolyn antwortete mit einem Schulterzucken und einen ebenfalls fragenden Blick.
Kapitel 5
Als sie an diesem Abend zu Hause ankam, ging sie zuerst unter die Dusche und zog sich ihren Pyjama an.
Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen und kurz mit ihrer Mutter telefoniert hatte, machte sie es sich in ihrem Lesesessel bequem.
Sie hatte ihr Handy in der Hand und starrte nachdenklich auf die Nachricht von ‚R.B‘. Wofür die Initialen wohl stehen mochten? In der Anzeige hatte kein Name gestanden, nur eine Telefonnummer. Anscheinend wollte der Mann alles so anonym wie möglich halten. Jolyn kam das eigentlich ganz gelegen. So konnte sie leichter eine emotionale Distanz zu dem Fremden wahren.
Jolyn überlegte nun schon einige Zeit, wie sie am besten ihre Beschreibung formulieren sollte. Sie entschloss sich, es wieder einfach und nüchtern zu halten, wie auch gestern ihre Nachricht. Schließlich war seine Antwort ebenfalls sehr nüchtern verfasst, also schien es ihn nicht zu stören.
‚Ich wünsche Ihnen einen guten Abend! Meine Beschreibung:
Blondes schulterlanges Haar.
Braune Augen.
23 Jahre alt
Circa 1,70 groß
65 kg
Mit freundlichen Grüßen‘
Jolyn las sich das Geschriebene nochmal durch, fand es einigermaßen in Ordnung und schickte die Nachricht ab.
Sie erwartete keine Antwort mehr für heute. Schließlich hatte es auch gedauert, bis er auf ihre letzte SMS geantwortet hatte.
Aber als sie sich gerade aus ihrem Sessel erheben wollte, um sich ein Buch zu nehmen, brummte ihr Handy.
Schnell ließ sie sich wieder zurück in den Sessel plumpsen und griff nach ihrem Smartphone.
‚Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend. Haben Sie schon Erfahrungen mit solchen Arrangements?
R.B.‘
Jolyn wand sich innerlich bei seiner Frage. Was sollte sie bloß darauf antworten, ohne dass er sein Interesse an ihr verlieren würde?
Sie entschied sich für eine etwas ausgeschmückte Wahrheit.
‚Ich hege seit geraumer Zeit Interesse an Rollenspielen‘
Sie schickte die Antwort ab. Es musste ja keiner erfahren, dass "seit geraumer Zeit" erst seit gestern Abend war. Und dass ihr "Interesse" keinerlei Erfahrungen miteinschloss, würde sie auch niemanden verraten müssen.
Ihr Handy meldete eine Nachricht.
‚Sehr gut. Ich schlage ein wöchentliches Treffen vor, bei mir in der Wohnung. Ich sende Ihnen noch die nötige Adresse und Informationen.
Was ich mir von Ihnen erwarte:
Einen Nachweis, dass sie keine Geschlechtskrankheit haben.
Eine Vorkehrung zur Verhütung ihrerseits.
Ein sauberes und gepflegtes Äußeres, sowie eine gründliche Rasur.
Das Arrangement kann jederzeit von beiden Seiten ohne Begründung aufgelöst werden.
Sie bewahren Schweigen über das Arrangement.
Wir vereinbaren ein ‚Safeword‘ mit dem wir jederzeit das Rollenspiel abbrechen können.
Während des Treffens bleiben wir die ganze Zeit über in unseren Rollen. Kein Austausch über persönliche oder private Dinge.
Ich sage Ihnen, was sie zu den jeweiligen Treffen anziehen und wie Sie sich stylen sollen.
Ich stelle die Regeln auf, Sie befolgen sie.
Lesen Sie sich die Punkte durch und wenn Sie einverstanden sind, schreiben Sie eine Bestätigung.
R.B.‘
Jolyn war ein wenig erschrocken über die Anzahl an Forderungen und Regeln. Aber gleichzeitig verspürte sie auch Vorfreude und ein nicht geringes Maß an Erregung. Vor allem der letzte Satz in der Liste ‚Ich stelle die Regeln auf, Sie befolgen sie.‘ ließ ihren Puls in die Höhe schnellen.
Zumindest bedeuteten die Regeln, dass sie beide völlig ungebunden an die Sachen rangingen. Das erleichterte Jolyn, so wäre es viel einfacher ihre Erfahrungen zu sammeln oder jedoch ihre Unerfahrenheit eingestehen zu müssen.
Sie tippte schnell eine Antwort.
‚Ich akzeptiere die Bedingungen.‘
Kaum hatte sie die Nachricht abgeschickt, brummte das Handy wieder.
‚Sehr gut. Das freut mich. Wäre Ihnen nächste Woche Freitagabend recht?
R.B.
P.S. Wie soll ich Sie nennen?‘
Als Jolyn die Nachricht las, wurde ihre Wangen rot. Wie peinlich, sie hatte bisher gar nicht ihren Namen genannt. Sie wollte gerade ihren Namen schreiben, als sie innehielt.
Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich einen anderen Namen ausdachte. Dann könnte sie noch unbeteiligter an die ganze Sache herangehen.
Nach kurzem Überlegen fand sie, dass es eine gute Idee war. Sie dachte über mögliche Namen nach. Was sollte sie bloß nehmen? Eher etwas Exotisches, wie Jolanda oder Monique? Oder etwas Einfaches, wie Michelle oder Barbara?
Als Jolyn darüber grübelte, fiel ihr Blick auf den Tisch. Darauf lag das Buch, welches sie gerade las. Die Protagonistin darin hieß Clara.
Sie zuckte mit den Schultern. Warum nicht? Was Besseres fiel ihr auf die Schnelle sowieso nicht ein und Clara war ein einfacher, aber prägnanter Name.
‚Freitagabend geht in Ordnung für mich. Sie können mich übrigens Clara nennen.‘
Wieder ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.
‚Freut mich, Clara. Ich heiße Robert, aber den Namen werden Sie sowieso nicht gebrauchen. Sie werden mich einfach ‚Sir‘ oder ‚Daddy‘ nennen.
Ich melde mich in den nächsten Tagen mit den genauen Anweisungen für Sie.
Einen schönen restlichen Abend
R.B.‘
Als Jolyn die Nachricht las, wurde ich warm. Sie hatte ganz vergessen, dass er ihren „Daddy“ spielen würde. Sie wusste, dass sie das eigentlich pervers finden sollte, aber die Erregung, die sie beim Lesen verspürte, strafte den bloßen Gedanken daran Lüge. Sie beschloss ihn lieber ‚Sir‘ als ‚Daddy‘ zu nennen. Damit fühlte sie sich wesentlich wohler.
Der Rest der Woche verfolg für Jolyn wie im Flug. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Vorfreude auf ihr Treffen mit ‚Robert‘ und den Zweifeln, die sie in Bezug auf ihr Arrangement hatte.
Sie telefonierte jeden Abend mit ihrer Mutter, die sichtlich merkte, dass ihre Tochter etwas beschäftigte. Als sie einmal nachgefragte, blockte Jolyn jedoch ab und wechselte das Thema. Daraufhin hatte sich ihre Mutter nicht nochmal darauf angesprochen.
Jolyn vereinbarte einen Termin bei ihrer Frauenärztin, um die gewünschten Vorkehrungen treffen zu können.
Am Freitag war sie bei dem Meeting von Mr. Blakely und seinem Kunden anwesend. Sie war zu Beginn mehr als nervös, aber im Laufe der Besprechung wurde sie immer lockerer und konnte alle Fragen des Kunden und ihres Chefs beantworten. Am Ende des Meetings lobte sie Mr. Blakely für ihre gute Vorbereitung und kündigte an, sie auch in Zukunft öfters bei Meetings dabei haben zu wollen. Jolyn war zwar noch immer verwirrt wegen der Aufmerksamkeit, die ihr der Chef widmete, hinterfragte es aber nicht näher und beschloss sich einfach über das Lob zu freuen.
Mitte der Woche kam auch die versprochene Nachricht mit Adresse, vollständigen Namen und den Anweisungen für das Treffen nächsten Freitag. Jolyn nutzte das Wochenende und versuchte sich so gut wie möglich auf den Abend vorzubereiten und alles Nötige zu besorgen.
Ehe sie sich versah, war auch schon die nächste Woche rum und es war Freitag, der Tag des ersten Treffens.
Kapitel 7
Gegenwart
Als Jolyn die Tür geöffnet hatte, konnte sie zunächst nichts sehen. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Nach ein paar Sekunden konnte sie langsam die Umrisse des vor ihr liegenden Raums erahnen. Sie blickte sich nervös um.
Anscheinend handelte es sich um ein Wohnzimmer mit einer riesigen Ledercouch und einem Kamin, dessen Feuer die einzige Lichtquelle im Raum bildete.
Im Hintergrund, ein paar Schritte weiter hinter dem Wohnbereich, konnte sie einen Küchenblock erahnen. Weiteres konnte sich nicht erkennen, da hinter Wohn- und Küchenbereich ein Flur angelegt war, über den man wahrscheinlich in die anderen Räume gelangte.
Vor der dem Durchgang zum Flur stand auf der linken Seite eine Wendeltreppe.
Als Jolyn den Blick hob, sah sie, dass diese zu einer kleinen Galerie führte. Es schien eine Art offene Bibliothek zu sein, da die Wände von deckenhohen Bücherregalen umgeben waren.
Der erste Eindruck der Wohnung flößte ihr ein wenig Unbehagen ein. Zwar hatte sie nach dem Anblick des Foyers unten und den Flur vor dem Lift, schon geahnt, dass auch die Wohnung selbst sehr exklusiv eingerichtet sein würde. Die Realität übertraf aber ihre Erwartungen noch um Längen. Alles wirkte sehr stilvoll und modern, ohne jedoch den kühlen Chic eines Einrichtungshauses zu versprühen.
Nachdem sie mit ihrer ersten Musterung der Räumlichkeiten fertig war, wurde ihr bewusst, dass sie immer noch die Tür zum Flur geöffnet hatte. Deswegen schloss sie diese schnell und machte dann einen Schritt in die Wohnung hinein, bevor sie wieder stehen blieb.
Zu ihrer Nervosität mischte sich jetzt auch noch eine gehörige Portion Hilflosigkeit hinzu. Jetzt stand sie hier und wusste nicht, was sie machen sollte. Die Anweisungen hatten beim Öffnen der Tür zum Flurbereich geendet. Alles andere sei dann schon Teil ihres ‚Spiels‘ hatte der Mann gemeint. Aber eben jener war nun nicht anwesend.
Sollte sie zu den Räumen hinten im Flur weiter gehen? Sie wusste nicht wie sie sich nun am besten verhalten sollte. Während Jolyn überlegte, biss sie sich vor lauter Nervosität auf ihre Unterlippe.
Plötzlich erklang eine tiefe Stimme. »Du bist spät dran.«
Jolyn schrie vor Schreck auf. Ihr Herz fing wie wild an zu rasen. Woher war die Stimme plötzlich gekommen? Bei ihrer Betrachtung der Wohnung war ihr niemand aufgefallen.
Sie griff sich unwillkürlich an ihre Brust, um ihr Herz daran zu hindern herauszuspringen. Jolyn schluckte hart, bevor sie sich nach links wandte. Sie nahm an, dass die Stimme von der Seite herkam.
Und tatsächlich, als sie jetzt noch einmal genauer die riesige Sitzlandschaft betrachtete, fiel ihr ein Ledersessel auf, den sie zuvor nicht bemerkt hatte.
Darin saß ein Mann. Er hatte das Fußgelenk des rechten Beines auf seinem linken Knie abgelegt. Die Hände lagen ausgebreitet auf den Lehnen des Sessels. Seine Haltung wirkte durch und durch entspannt und verströmte eine Spur von Arroganz.
Er trug ein weißes Hemd, das am Kragen leicht aufgeknöpft war und eine dunkle Hose. Er hatte keine Schuhe an, sondern nur schwarze Socken. Die Kleidung sah genau wie seine Wohnung exklusiv und teuer aus.
Als Jolyn mit der ersten Musterung seiner durchaus muskulösen Statur fertig war, wagte sie nun auch zum ersten Mal einen Blick in sein Gesicht.
Sie zuckte leicht zusammen, als sie bemerkte, dass der Mann sie aus seinen durchdringenden blauen Augen ansah. Während ihrer Musterung, wandte er kein einziges Mal den Blick von ihr ab, sondern starrte sie weiterhin an.
Jolyn registrierte sein schwarzes Haar und seine markanten Gesichtszüge. Er war nicht direkt als schön zu bezeichnen, aber seine Ausstrahlung und der Blick seiner Augen, machten ihn zu einem durchaus attraktiven Mann. Sie selbst fühlte sich vom ersten Augenblick an sehr zu ihm hingezogen.
Insgeheim atmete Jolyn auf. Obwohl sie wusste, dass sie keine Ansprüche an das Aussehen an einem Mann stellen durfte, den sie über ein Online-Portal kontaktiert hatte, so war es doch eine Erleichterung für sie, dass sie den Mann überaus attraktiv fand. Sie hoffte nur, dass er nicht allzu enttäuscht über ihr Aussehen war.
Mitten in ihren Gedanken versunken, sprach der Mann plötzlich wieder mit ihr. »Nun? Hast du nichts zu deiner Verspätung zu sagen?«, fragte er mit strenger Stimme.
Jolyn gefiel diese Stimme. Sie war tief und hatte eine gewisse Härte.
Sie wusste nicht ganz, was sie darauf antworten sollte. Sie war viel zu nervös, um sich auf ein geeignetes Spiel einzulassen. Irgendwie hatte sie sich das deutlich einfacher vorgestellt.
Sie beschloss in ihrer schüchternen und nervösen Rolle weiterzumachen. Schließlich musste sie dafür gar nichts vorspielen.
»Ich-ähm, ich«, ihr versagte die Stimme. Was für ein guter Anfang, schallte sie sich im Inneren. Sie räusperte sich und bemühte sich den Rest des Satzes so schnell wie möglich zu beenden. »Ich meine, ich wurde aufgehalten. Ich konnte nicht früher kommen.«
Der Mann zog bei meinen Worten seine linke Augenbraue hoch.
Oh Gott, hatte sie etwas falsch gemacht? Oder gehörte das alles zum Spiel? Würde er jetzt das ‚Safeword‘ sagen und das ganze abbrechen?
Bevor sie sich noch weiter ihren Zweifeln hingeben konnte, sprach er wieder.
»Das ist alles, das du zu deiner Verteidigung vorbringen kannst? Jemand anderes ist an deiner Verspätung schuld? Was habe ich dir über Verantwortung beigebracht?«
Jolyn verspürte Erleichterung. Es gehörte alles dazu. Er würde das Rollenspiel nicht vorzeitig beenden.
Gleich darauf geriet sie in Panik. Was hatte er gefragt? Irgendetwas über Verantwortung oder in die Richtung. Was sollte sie jetzt antworten? Sie hatte eigentlich gedacht, dass sich ihre Antworten auf Ja, Nein und Sir beschränken würden. Jetzt musste sie sich schnell ein paar passende Worte ausdenken.
Robert sah die Frau vor ihm an. Er war begeistert von ihr. Sie hatte ihre Rolle perfekt im Griff. Man könnte fast meinen, sie sei wirklich ein verängstigtes schüchternes Schulmädchen.
Dabei spielte ihre Kostümierung nur eine Nebenrolle. Die weiße Bluse, der karierte Rock, die kniehohen weißen Strümpfe und die zu Zöpfen geflochtenen Haaren, gaben ihr zwar das Aussehen eines Schulmädchens, aber die wirkliche Perfektion lag in ihrem Verhalten und ihrer Mimik.
Wie sie zuvor den Raum betreten und sich ängstlich umgesehen hatte. Wie sie nervös auf ihrer Lippe herumkaute. Wie sich ihre Wangen rot verfärbten. Und schließlich ihr perfekt gespieltes Erschrecken, als er sie ansprach. All das machte sie zu einer hervorragenden Schauspielerin.
Robert konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal dermaßen erregt gewesen war. Er hatte schon häufiger solche Arrangements mit Frauen getroffen. Jedes Mal mit einem anderen Spiel. Robert mochte es so am liebsten. So konnte er die Beziehungen zu den jeweiligen Frauen so unpersönlich wie möglich halten und jeder ging glücklich daraus hervor. In den allermeisten Fällen wusste er noch nicht einmal den wahren Namen seiner aktuellen Gespielin und das war im durchaus auch recht so. Er hatte keine Zeit und noch weniger Lust auf eine Beziehung. Seiner Erfahrung nach endeten die meisten Affären damit, dass sich die Frau irgendwann Mal plötzlich einbildete mehr Gefühle für ihn zu haben und dadurch die Auflösung des Verhältnisses dann zu einer unangenehmen Angelegenheit wurde.
Deswegen suchte er sich seine Affären seit ein paar Jahren nur mehr in Form von Rollenspielen. Hin und wieder unterbrochen von ein paar One-Night-Stand.
Aber keiner der bisherigen Frauen war so überzeugend gewesen wie diese hier.
Kurz fragte er sich, ob sie vielleicht wirklich eine Schauspielerin war. Doch eigentlich war es auch egal. Hauptsache sie konnten so viel Spaß wie möglich aus der Affäre herausholen.
Robert wartete noch immer auf eine Antwort von ihr. Sie sah in erschrocken an und hatte dabei ihre braunen Augen weit aufgerissen.
»Man muss, ähm, man soll für seine Fehler geradestehen?«, stammelte sie.
Robert schmunzelte innerlich. Einfach bemerkenswert.
»War das eine Frage oder eine Antwort?« Er versuchte seiner Stimme einen möglichst strengen Tonfall zu geben.
»Ich-äh, eine Antwort.«
»Wie war das?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich sagte, es war eine Antwort.«
»Fehlt da nicht etwas?«
Nun riss sie wieder die Augen auf. Anscheinend wusste sie nicht worauf er hinauswollte. Sie schien angestrengt zu überlegen. Eine kleine Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. Robert fand das auf eigenartige Weise äußerst anziehend.
Plötzlich schien ihr zu dämmern, was er wollte. Mit einem kleinen »Oh«, richtete sie sich gerade auf, bevor sie mit einem stolzen Funkeln in den Augen sagte: »Sir. Das war eine Antwort, Sir.«
Robert nickte ihr zur Bestätigung zu.
»Anscheinend sind dir doch noch nicht alle Manieren abhandengekommen.«
»Es tut mir leid, Sir. Es wird nicht wieder vorkommen.« Nun hatte sie wieder zu ihrer verschämten Haltung zurückgefunden.
»Und ob das nicht mehr vorkommen wird.« Er machte eine Pause und sah sie von unten bis oben an. Dabei verbarg er nicht das lüsterne Glitzern in seinen Augen. »Du hast eine Strafe verdient. Vielleicht wir dich das lehren, in Zukunft anständig mit mir zu sprechen.«
»Ja, Sir.«
Robert sah sie wieder für ein paar Augenblicke an. Ihm gefiel es, wie sie sich unbehaglich wand unter seinen Blicken.
Wieder staunte er über ihr erstaunliches Talent.
Aber nun wurde es Zeit das ganze ein wenig anzuheizen.
Er sah ihr in die Augen und befahl: »Zieh dich aus.«
Jolyn stockte der Atem. Hatte sie gerade richtig gehört? Er wollte, dass sie sich vor ihm auszog?
Irgendwie hatte sie sich das alles anders vorgestellt. Dass er sie vielleicht ausziehen würde oder so etwas in der Art. Aber sicherlich nicht, dass sie sich vor ihm auszog und er sie dabei die ganze Zeit betrachtete.
Anscheinend hatte sie zu lange gezögert. »Hörst du etwa schlecht? Ich habe gesagt, du sollst dich ausziehen«, sprach er mit gefährlich leiser Stimme.
»Jetzt SOFORT«, das letzte Wort schrie er beinahe.
Jolyn zuckte wieder zusammen. Bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, griff sie zu den Knöpfen ihrer Bluse. Sie wollte nicht nochmal angefahren werden. Das würde ihr Herz nicht mehr verkraften.
Hastig knöpfte sie ihre Bluse auf. »Mach langsamer«, kam gleich darauf der Befehl von ihm.
Sie murmelte ein »Ja, Sir«.
Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Sich vor ihm langsam zu entkleiden, war ihr so peinlich wie noch nichts zuvor in ihrem Leben. Und dafür gab es schließlich schon einige Kandidaten.
Als sie bei dem untersten und letzten Knopf angelangt war, zögerte sie kurz. Dann hob sie die Hände und streifte sich die Blus langsam von ihren Schultern.
Sie wollte das Kleidungsstück ordentlich zusammenfalten, aber ein Befehl von ihm ließ sie innehalten.
»Lass das. Wirf sie einfach zu Boden und mach weiter.«
Sie war ihm einen Blick unter gesenkten Lidern zu, bevor sie seinem Befehl folge leistete.
Sie stand nur noch im BH vor ihm und war sich seiner Blicke mehr als bewusst. Obwohl sie sich unbehaglich fühlte, spürte sie auch wie eine Hitze in ihrem Inneren aufstieg.
Die ganze Situation erregte sie, trotz ihrer Unerfahrenheit. Sie spürte wie sie feucht zwischen den Beinen wurde. Sie presste die Beine zusammen, wobei in ihre eine Welle der Scham aufstieg.
Als sie ein Räuspern vernahm, sah sie zu dem Mann auf. Er hatte ihre Geste bemerkt und hatte den Blick nun auf ihren Schritt gerichtet.
Jolyns Wangen, die sich allmählich abgekühlt hatten, verfärbten sich wieder rot.
»Clara, ich habe gesagt du sollst weitermachen», sprach er sie wieder an.
»Entschuldigung, Sir.«
Damit sie seinen Blicken zumindest für kurze Zeit entkommen konnte, bückte sie sich, um ihre Strümpfe auszuziehen. Sie trug keine Schuhe. So wie er es im Vorhinein angewiesen hatte.
Als sie mit den Strümpfen fertig war, ließ sie diese ebenfalls einfach zu Boden fallen und richtete sich wieder auf.
Nun war der Rock dran. Als sie hinter sich griff, um den Zippverschluss zu öffnen, vermied sie es, in seine Richtung zu sehen.
Der Rock war recht schnell ausgezogen und ehe sie sich versah, stand sie nur noch in BH und Höschen da.
Sie hob die Hände, um sich über ihre Arme zu reiben und blickte in Erwartung auf weitere Befehle zu dem Mann hin.
Seit sie den Raum betreten hatte, hatte er seine Haltung nicht das geringste Bisschen verändert.
Er machte keine Anstalten etwas zu sagen und sah sie einfach unverwandt weiter an.
Jolyn fühlte sich unwohl unter seinem Blick, aber gleichzeitig spürte sie wie sich ihre Brustwarzen vor Erregung aufstellten.
Auch der Mann schien dies zu bemerken und richtete nun seinen Blick auf ihre Brüste.
»Zieh den BH aus.«
Auf diese Worte hin, stieg eine glühende Hitze in Jolyn auf. Der Befehlston erregte sie in einem ihr bisher unbekannten Ausmaß.
Langsam fasste sie wieder hinter sich, um den Verschluss des BHs zu öffnen. Die Träger rutschten ihr die Schultern hinab und sie zögerte noch einige Sekunden bevor sie auch den Rest des BHs ihre Arme hinabglitten ließ.
Mit einem leisen Geräusch fiel dieser zu Boden und Jolyn stand nun mit entblößten Brüsten vor dem Mann.
»Komm her.« Er nickte mit dem Kinn in ihre Richtung.
Bevor Jolyn wusste was sie tat, hatte sie sich auch schon in Bewegung gesetzt und stand nach ein paar Schritten direkt vor ihm.
Er blickte ihr kurz tief in die Augen, bevor er seinen Blick auf ihre Brüste richtete.
Plötzlich hob er eine Hand und ehe sie blinzeln konnte, berührte er ihre linke Brust.
Sie atmete erschrocken ein. Aber gleich nachdem der erste Schreck vergangen war, spürte sie eine flammende Lust in sich aufsteigen. Als er auch noch begann mit seinem Daumen über ihre Brustwarze zu streichen, stieg ihre Erregung in ungeahnte Höhen.
Sie musste keuchend einatmen, aber er ließ sich dadurch nicht beirren. Immer weiter streichelte er mit seinem Finger.
Als Jolyn dachte es nicht mehr aushalten zu können, hob er plötzlich seine andere Hand. Er griff um sie herum und legte seine flache Hand in ihrem Kreuz ab.
Mit einer raschen Bewegung zog er sie näher zu sich heran und fast im gleichen Atemzug, schloss er seine Lippen um ihre andere Brust.
Jolyn konnte nicht anders, sie musste laut aufstöhnen. Es fühlte sich unbeschreiblich an.
Ihr lautes Aufstöhnen war ihr peinlich. Aber absurderweise verstärkte ihre Scham die glühende Hitze in ihrem Inneren, so dass sie bald dachte, das Feuer in ihr drinnen würde sie verbrennen.
Nach einem weiteren lustvollen Stöhnen ihrerseits, ließ er von ihrer Brust ab und hob sein Gesicht, um ihr in die Augen sehen zu können.
In seinen blauen Augen glomm ein eben solches Feuer, wie sie es in ihrem Inneren verspürte.
Sie war wie gebannt von seinem Blick und konnte nicht wegsehen, obwohl sie sich gleichzeitig wegen ihres verruchten Stöhnens schämte.
Auch er schien von ihrem Blick wie hypnotisiert und sah ihr tief in die Augen.
Für einen Augenblick vergaß Jolyn, dass sie eigentlich zwei völlig Fremde mitten in einem verruchten Rollenspiel waren.
Der Moment währte nur kurz. Er unterbrach den Augenkontakt und nahm gleichzeitig die Hände von ihrem Körper. Damit entzog er ihr auch seine Wärme und Jolyn fühlte sich unwillkürlich alleingelassen.
Er stand auf und sie musste einen Schritt zurücktreten, um ihm Platz zu machen.
Sie war noch immer ganz in ihren Empfindungen gefangen, weswegen sie erschrak, als er plötzlich wieder sprach. »Dreh dich um.«
Noch ganz benommen, tat sie wie geheißen, ohne groß darüber nachzudenken. Kaum hatte sie ihm den Rücken zugekehrt, spürte sie wieder seine Hände auf ihrem Körper.
Er umfasste mit einem festen Griff ihre Hüften und zog sie nach hinten. Sie konnte die Wärme seines Körpers spüren und als er sie gegen seine Hüften zog, spürte sie deutlich seine Erregung.
Er presste sich eng gegen sie und beugte seinen Kopf zu ihrem Ohr hinab. »Glaub ja nicht, dass das schon deine Strafe war. Du warst ungezogen und ungezogene Mädchen gehören bestraft.«
Bei seinen Worten verspürte sie einen weiteren Schwall Nässe zwischen ihren Beinen und sie musste ihre Schenkel zusammenpressen.
Sie wand sich unbehaglich.
Sie hätte nie gedacht, dass sie eine derartige Lust verspüren konnte. Ihr war, als würde sie in Flammen aufgehen, wenn er nicht bald etwas gegen ihre Erregung tat.
Mit einem Ruck presste er sie noch fester an sich. »Wenn ich etwas sage, antwortest du mir gefälligst«, befahl er streng.
Jolyn keuchte leicht. Wie sollte sie auch nur einen klaren Gedanken fassen, bei dem was er mit ihr tat?
»J-ja.« Sie konnte nicht einmal das simpelste Wort rausbringen.
»Ja, was?«, fragte er und zog sie wieder mit einem Ruck gegen seinen Körper.
»Ich-ich meine, ja, Sir. Tu-tut mir leid, Sir«, stammelte sie.
Er schien mit ihrer Antwort zufrieden. Beruhigend strich er über ihren Bauch. »Braves Mädchen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Für einige Augenblicke begnügte er sich damit über ihren Körper zu streicheln. Als sich Jolyn gerade wieder etwas beruhigt hatte und ihren Puls wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, griff er plötzlich an ihre Hüften.
Ehe sie reagieren konnte, hatte er ihr auch schon das Höschen heruntergerissen.
Kurz verspürte sie einen leisen Schmerz, als die Bänder des Slips in ihre Haut schnitten. Aber gleich darauf war dieser wieder vergessen. Denn er fasste mit seiner rechten Hand zwischen ihre Beine.
»Mein kleines Mädchen ist schon ganz feucht für mich«, raunte er ihr ins Ohr.
Jolyn dachte sie müsse sterben. Es war ein so verruchtes und doch sinnliches Gefühl. Es ließ ihre Flammen der Erregung noch höherschlagen.
Als er dann auch noch seine Finger in Richtung ihrer Klitoris gleiten ließ, stockte ihr endgültig der Atem. Für einige Momente hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr in ihre Lungen bekommen zu können.
Nicht in ihren geheimsten Träumen hätte sie sich jemals solch eine Lust vorstellen können.
Langsam begann er seine Finger zu bewegen. Erst langsam, dann immer schneller ließ er seine Fingerspitzen über ihren Lustpunkt tanzen. Dabei flüsterte er immerzu in ihr Ohr. »Ja, das ist mein Mädchen. So ein braves Mädchen. Lass dich fallen, komm für mich.«
Jolyn konnte nichts anderes tun als sich wie wild in seinen Armen zu winden. Hin und wieder, wenn sie es nicht mehr aushielt, gab sie ein unterdrücktes Stöhnen von sich.
Als sie gerade dachte, es ginge nicht mehr, zog sich plötzlich alles in ihr zusammen und eine Woge der Lust schlug über ihr zusammen. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, so überwältigend war das Gefühl.
Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie jemals so etwas erlebt. Sie dachte, sie würde gleich davonschweben.
Sie keuchte und stöhnte. Sie war so in ihrem Höhepunkt gefangen, dass sie dieses Mal gar keine Scham wegen ihrer lauten Geräusche empfand.
Als ihr Orgasmus gerade am Abflauen war und sie dachte langsam in die Realität zurückzukehren, spürte sie wie sie geschubst wurde.
Er hatte ihrer einen eher groben Stoß in Richtung Couch verpasst und ehe sie sich versah, lag sie vornübergebeugt über der Rückenlehne.
Sie war noch ganz benommen von ihrem Orgasmus, als sie ihn wieder spürte. Sie hatte in ihrem Delirium nicht mitbekommen, dass er sich bereits die Hose geöffnet hatte. Deswegen keuchte sie erschrocken auf, als sie seine Erregung in aller Deutlichkeit plötzlich an ihrer Scham fühlte.
Er hatte sich von hinten gegen sie gepresst und knurrte in ihr Ohr: »Jetzt hole ich mir von meinem lüsternen Mädchen was ich schon den ganzen Tag will.« Und mit einem kräftigen Stoß drang er in sie ein.
Unwillkürlich keuchte sie auf, als sie einen kurzen, aber heftigen Schmerz verspürte. Sie verkrampfte sich leicht. Es war mehr als ungewohnt so etwas Großes in sich zu spüren. Außerdem fürchtete sie, dass er ihre Jungfräulichkeit bemerken würde.
Aber sie konnte nicht allzu lange darüber nachdenken, da er anfing sich mit kräftigen Stößen in ihr zu bewegen. Anscheinend hatte er es nicht bekommen.
Jolyn war erleichtert und entspannte sich unwillkürlich.
Nach ein paar Sekunden klang auch der anfängliche Schmerz ab und sie fühlte wieder Erregung in sich aufsteigen. Angetrieben von seinem lüsternen Keuchen ballte sich ihr Lust in ihrem Bauch zusammen und schob sie mit jedem weiteren kräftigen Stoß in Richtung eines zweiten Höhepunkts.
Er hatte eine Hand an ihrer Hüfte und umfasste mit der anderen eine ihre Brüste. Hart rieb er über ihre Brustwarzen, was ihre Lust noch zusätzlich anfeuerte.
Als sie kurz davor war ein zweites Mal zu kommen, vernahm sie seine Worte nahe bei ihrem Ohr. »Ja, genau so. Gott du bist so eng. Ich glaube, ich explodiere.« Er ließ seine Hand von ihrer Hüfte zu ihrer Klitoris gleiten und rieb kräftig darüber. »Komm. Komm für mich. Jetzt.« Er biss ihr in die Schulter.
Mit einem heftigen Erschauern erlebte sie den zweiten Orgasmus in kurzer Zeit. Wieder war es völlig überwältigend und sie sah Sterne vor ihren Augen tanzen.
Als er spürte, wie sie sich eng um ihn verkrampfte, kam auch er mit einem lauten Stöhnen.
Jolyn brauchte lange, bis sie wieder einigermaßen klar denken konnte.
Auch er schien einige Zeit zu benötigen. Er hielt sich immer noch eng an ihren Rücken gepresst und blies ihr seinem Atem ins Ohr.
Kurz darauf zog er seine Finger zwischen ihren Beinen hervor, aber hielt sie weiterhin zwischen sich und der Couch gefangen.
Jolyn fühlte sich vollkommen leer und ausgepowert. Wenn er sie jetzt losließe, würde sie wie eine Stoffpuppe zu Boden knallen. Wahrscheinlich würde sie es noch nicht einmal wirklich mitbekommen.
Nachdem sie einige Sekunden Zeit gehabt hatte, sich zu erholen, wurde sich Jolyn wieder bewusst, in welcher Situation sie sich gerade befand.
Sie konnte nichts gegen die aufwallende Scham tun. Sie hatte sich gerade eben einem wildfremden Mann hingegeben und es auch noch genossen. Wobei genießen ein viel zu schwacher Begriff für ihre erlebten Empfindungen war. Absolut überwältigend und Sinne raubend traf es da wohl eher.
Sie versuchte sich wieder zu fassen und machte Anstalten sich von ihm lösen zu wollen.
Sofort machte er einen Schritt zur Seite und ließ sie frei.
Sie brauchte diese Distanz. Sie fühlte sich plötzlich nämlich sehr verletzlich und offen.
Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. Sie musste wieder ihre Fassung finden. Bevor sie etwas Unüberlegtes tat. Wie ihn anzubetteln es nochmal zu tun. Oder in Tränen auszubrechen.
Am besten erschien es ihr, wenn sie direkt auf das Rollenspiel zurückkam. Das sollte ihr die bitter nötige Distanz verschaffen.
Ihr schien es, als ob eine Ewigkeit vergangen wäre, während sie versucht hatte all ihre Gedanken zu ordnen und wieder zurück zu einer halbwegs normalen Verfassung zu gelangen.
Dabei waren in Wahrheit nur ein paar Sekunden verstrichen, bevor sie sich wieder an den Mann wandte und sich traute ihm ins Gesicht zu sehen.
Sein feuriger Blick machte es nicht unbedingt leichter ihre Haltung zu wahren.
»Habe ich meine Strafe abgearbeitet, Daddy?« Sie sprach ihn bewusst so an, um einen größtmöglichen emotionalen Abstand errichten zu können.
Er sah sie intensiv an und musterte sie eingehend. Schließlich hob er eine Augenbraue und meinte: »Ja. Für heute hast du deine Strafe abgearbeitet. Aber nur für heute. Das nächste Mal kommst du nicht so leicht davon.«
Kaum hatte er die Worte gesprochen, knöpfte seine Hose zu und verließ das Wohnzimmer in Richtung Flur.
Jolyn blieb noch einige Augenblicke stehen. Sie musste ihre Fassung wiedererlangen, bevor sie die Wohnung verlassen konnte.
Schließlich erhob sie sich und suchte auf dem Boden nach ihren Kleidungsstücken. Sie zog sich ihren BH an. Auf das Höschen musste sie wohl oder übel verzichten. Es lag zerfetzt am Boden und war zu nichts mehr zu gebrauchen.
Rasch zog sie sich Bluse und Rock über. Zwar ging sie nur kurz hinaus und über den Flur in das kleine Badezimmer, aber trotzdem fühlte sie sich so ganz ohne Kleidung verletzlich.
Sie huschte aus der Wohnung und ging in den Raum, in dem sich ihre Sachen befanden.
Jolyn beeilte sich mit dem Anziehen. Aber vorher musste sie sich noch kurz zwischen den Beinen säubern.
Als sie das beschmutzte Papierhandtuch hob, zuckte sie kurz zusammen als sie die roten Spuren sah.
Da war sie - ihre Jungfräulichkeit. Geopfert für ein Erlebnis, das sie bis an ihr Lebensende niemals vergessen würde. Einem berauschenden, süchtig machenden Erlebnis mit einem überaus aufregenden Mann.
Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Schluss jetzt. Sie musste sich konzentrieren. Schließlich hatte sie einen längeren Nachhauseweg vor sich. Dazu musste sie in der Lage sein, halbwegs klar zu denken.
Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken an das eben Geschehene, straffte die Schultern und verließ das kleine Bad.
Sie musste schließlich in ihr altes, unaufgeregtes Leben zurückkehren.
Kapitel 7
Robert saß in seinem Büro mit einem Drink in der Hand.
Er konnte immer noch nicht fassen, was da eben gerade geschehen war.
Er hatte komplett die Kontrolle über sich verloren. Das passierte ihm sonst nie. Er war immer Herr über seine Sinne.
Aber diese junge Frau da draußen, Clara, hatte ihn völlig überwältigt.
Zu Anfang war er nur von ihrem perfekten schauspielerischen Talent angetan. Aber im Laufe des Spiels hatte sich seine Bewunderung in ein übermächtiges Verlangen gesteigert.
So etwas hatte er bisher überhaupt noch nie erlebt.
Und dann war da noch dieser kurze Moment gewesen als er ihr in die Augen sah. Für kurze Zeit war er wie gebannt gewesen. Er hatte für ganz kurze Zeit sogar ihr Spiel vergessen und wer sie eigentlich war.
Er hatte nur sie gesehen und ihre unverfälschte animalische Lust.
Der Moment hatte ihn schockiert und aus der Fassung gebracht. Um sich wieder zu sammeln und sich die nötige Distanz zu verschaffen, hatte er sie umgedreht. Damit er nicht Gefahr lief, sich nochmals in ihren Augen oder dem ausdrucksstarken Gesicht zu verlieren. Das konnte er schließlich nicht gebrauchen.
Auch sein Höhepunkt war ungeahnt heftig ausgefallen. Es hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen.
Aber anscheinend schien das gleiche nicht für sie zu gelten. Sie hatte sich einfach umgedreht und weiter mit ihrem Spiel gemacht, als wäre nichts gewesen.
Er gab zu in diesem Moment eingeschnappt gewesen zu sein, da sie nicht das gleiche überwältigende Gefühl befallen hatte wie ihn.
Aber er nahm sich vor jenen Umstand das nächste Mal zu ändern. Er würde sie dazu bringen ebenso zu empfinden wie er gerade eben. Sie würde nicht in der Lage sein sich einfach umzudrehen, um so zu tun als ob nichts gewesen wäre.
Als ihm bewusstwurde, was er da gerade dachte, trank er schnell seinen Drink aus.
Vielleicht wäre es besser, wenn es kein nächstes Mal geben würde. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er dieses Mal nicht so unbeteiligt an die Affäre herangehen konnte, wie er es sonst gewohnt war. Besser wäre es, wenn er sich eine andere Frau suchte. Eine, die ihm weniger unter die Haut ging.
Er grübelte noch einige Zeit über die beste Herangehensweise nach, als sein Handy klingelte.
Unwillkürlich schoss ihm durch den Kopf, dass es sie sein könnte.
Bevor er darüber nachdenken konnte wie unsinnig dieser Gedanke war, hatte er sich schon sein Smartphone gegriffen und blickte auf den Bildschirm.
‚Michael Bane‘ stand in schwarzen Buchstaben darauf.
Er verspürte einen Stich der Enttäuschung. Aber er verdrängte dieses Gefühl schnell und drückte auf den grünen Knopf.
Ablenkung war jetzt genau das, was er brauchte. »Hallo?«, meldete er sich.
»Hey, Robert. Ich dachte dich interessiert es zu erfahren, dass der alte Robinson nun doch für Verhandlungen bereit ist. Anscheinend laufen die Geschäfte doch nicht so prickelnd wie von ihm dargestellt und er ist so oder so gezwungen zu verkaufen. Er hat um ein Gespräch mit dir gebeten. Wenn es geht so schnell wie möglich.«
Michael war sein Anwalt und arbeitete nun schon seit etlichen Jahren in seiner Firma. Außerdem war er ein guter Freund von Robert.
Er war über den Anruf von Michael froh. Erstens brachte er ihn auf andere Gedanken und zweitens wollte er schon seit längerem die Firma von Douglas Robinson übernehmen. Dass der alte Mistkerl sich schließlich doch überzeugen ließ, ihm sein Unternehmen zu verkaufen, war für Robert eine freudige Nachricht.
»Sehr gut. Nicht, dass ich daran gezweifelt habe, aber je eher der Mistkerl zu einem Entschluss kommt, desto besser für uns. Sag ihm, dass ich jederzeit für Gespräche verfügbar bin. Wenn er möchte, können wir uns auch schon heute Abend treffen und alles Nötige besprechen. Ich bin bereit dazu, schließlich warte ich schon verdammt lange auf seine Zusage.«
Michael lachte. »Ja, ich weiß. Ich dachte schon wir müssen jemanden anheuern, der Robinson ein wenig in seinem Entscheidungsprozess beschleunigt«, er kicherte wieder, »Das oder dich erschießen. Deine schlechte Laune konnte ja wirklich niemand mehr ertragen.«
Robert verdrehte die Augen. »Sehr witzig. Mach lieber weniger Späße und bereite schon mal die Verträge zum Unterzeichnen vor. Ich komme in circa einer halben Stunde ins Büro.« Ohne ein weiteres Wort zu sagen, legte er auf.
Manchmal ging ihm Michael gehörig auf die Nerven.
Er beschloss noch schnell zu duschen, sich umzuziehen und sich dann so schnell wie möglich auf den Weg zu machen.
Als er sein Badezimmer betrat, legte er seine Kleidung ab und warf sie in den Wäschekorb.
Seine Hausfrau kam alle zwei Tage und kümmerte sich um die anfallende Hausarbeit. Es war eine nette ältere Dame, die sich ihre Pension mit diesem Job aufbesserte. Sie war sehr diskret und belästigte Robert so wenig wie möglich. Er mochte sie sehr gern.
Er betrat die Dusche und stellte das Wasser an. Gerade als er im Begriff war sich unter den Strahl zu stellen, bemerkte er etwas aus dem Augenwinkel.
Er sah an sich hinab, um zu sehen, was ihn da gestört hatte. Da sah er es.
Blut. An seinem Glied befand sich Blut.
Im ersten Moment war er verwirrt. Wie kam das dort hin, hatte er sich etwa verletzt?
Doch dann dämmerte es ihm. Clara. Hatte er sie verletzt? Aber nein, das war nicht möglich. Schließlich hatte er genau gespürt wie sie einen Orgasmus gehabt hatte. Und sie wäre wohl auch kaum so unbeteiligt gewesen im Nachhinein, wenn er sie verletzt hätte.
Plötzlich kam ihm eine Erinnerung. Sie war kurz zusammengezuckt als er in sie eingedrungen war. Ja, sie hatte sich kurz verkrampft. Und sie war ungewöhnlich eng gewesen.
Konnte es möglich sein, dass-? Nein, das war doch absurd. Sie konnte keine Jungfrau gewesen sein. Welche Jungfrau würde sich eine anonyme Affäre in Form eines Rollenspiels für ihr erstes Mal aussuchen. Es war einfach unmöglich. Es konnte nicht sein.
Aber wenn doch?
Schließlich würde das ihre schauspielerische Leistung erklären. Es wäre nämlich gar keine Schauspielerei gewesen, sondern ihr wahres Verhalten. Das würde wirklich einiges erklären.
Was anfangs noch eine vage Vermutung war, schien plötzlich für Robert eine Gewissheit zu sein.
Er hatte gerade eine junge Frau entjungfert, ohne es zu wissen. Was er für eine bemerkenswerte Schauspielerin hielt, war gar keine. Stattdessen war sie tatsächlich nervös, schüchtern und unerfahren gewesen.
Aber genau so wie ihm diese Tatsachen bewusst wurden, wurden ihm auch zwei weitere Dinge klar.
Erstens hatte Clara das ganze Unterfangen trotz ihrer Unerfahrenheit genossen. Sie hatte nicht nur einen, sondern gleich zwei Orgasmen erlebt.
Zweitens, er würde die Affäre nicht einfach beenden. Es würde auf alle Fälle ein nächstes Mal geben.
Kapitel 8
Am nächsten Tag besuchte Jolyn nachmittags ihre Mutter im Pflegeheim.
Den gestrigen Abend hatte sie in einem Zustand totaler emotionaler Verwirrtheit verbracht. Sie hatte zwar versucht ein Buch zu lesen und die Erinnerung an das gestrige Erlebnis zu verdrängen. Aber immer wieder drängten sich ihr Szenen und Bilder auf. Jolyn begegneten diesen mit einem Mix aus Emotionen. Einerseits empfand sie Scham und ihr ruchloses Verhalten war ihr mehr als unangenehm. Andererseits konnte sie die Erregung nicht unterdrücken, die immer wieder in ihr aufstieg, wenn sie daran dachte.
Sie war auch noch unentschlossen über die Fortsetzung der Affäre. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, ein paar Mal mit dem Mann zu schlafen, um ein ausreichendes Maß an Erfahrungen sammeln zu können. Im Anschluss würde einer von ihnen die ganze Sache beenden und beide Seiten hätten etwas davon gehabt.
Aber nach dem gestrigen Erlebnis war sich Jolyn nicht mehr so sicher, ob sie wirklich so unbeteiligt aus der Affäre aussteigen konnte.
Zu groß war die Anziehungskraft, die sie in Bezug auf den Mann verspürte. Und zu süchtig machend war der Sex zwischen ihnen gewesen.
Insgeheim befürchtete sie, dass sie sich früher oder später nicht mehr den nötigen emotionalen Abstand zwischen sich und dem Mann aufrechterhalten konnte.
Schließlich musste sie schon nach dem einmaligen Treffen gestern, ständig an seine feurigen Augen denken. Und seine tiefe Stimme, welche einen so strengen Tonfall hatte. Seine Hände auf ihrem Körper. Sein Mund auf ihrer Brust.
Jolyn musste sich eingestehen, dass sie nicht dauernd nur an den gestrigen Sex dachte. Sie dachte ständig an den Sex mit ihm.
Das war nicht gut. Und sicherlich war es auch nicht so geplant gewesen.
Deswegen beschloss Jolyn für sich, kein weiteres Treffen mehr mit dem Mann zu vereinbaren. Das Risiko war zu groß, dass sie verletzt aus der ganzen Sache hervorging. Und das wollte sie auf alle Fälle vermeiden.
Ganz von ihren Gedanken eingenommen, hatte sie große Schwierigkeiten sich auf das Gespräch zwischen sich und ihrer Mutter zu konzentrieren.
Ihre Mum erzählte gerade von dem Besuch des Pfarrers letzte Woche und dass sie es doch nicht geschafft hatte vor Mrs. Mansfield einen Platz zu ergattern.
»Sie saß dann vor mir, mit einem riesigen Hut auf dem Kopf, so dass ich keinen Blick nach vorne hatte. Ich frage mich sowieso, wieso sie sich immer dermaßen herausputzt. Wir sind in einem Pflegeheim. Der Großteil der Leute ist froh, wenn er noch seinen Namen weiß. Da achtet sicherlich niemand auf einen großen Auftritt von Miss Hochwohlgeboren. Und der viele Schmuck, denn sie immer trägt. Als ob der Präsident zum Staatsbesuch käme in das Holy-Elizabeth-Home. Nein wirklich. Ich könnte mich den ganzen Tag über diese impertinente Person. Ich-«, sie unterbrach sich, als sie mitbekam, dass Jolyn anscheinend weit weg mit ihren Gedanken war. »Hey, Schätzchen. Hörst du mir überhaupt zu?«
Auf diese Worte hin kam Jolyn in die Realität zurück und sah ihre Mutter an. Tatsächlich hatte sie fast gar nichts mitbekommen von dem gerade Erzählten.
Sie bekam ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid, Mum. Irgendwie fällt es mir heute sehr schwer konzentriert zu bleiben. Was hattest du gerade gesagt?«
Ihre Mutter sah sie misstrauisch an. »Irgendwie kommst du mir heute so verändert vor. Ist etwas passiert? Hast du Probleme? Du weißt, dass ich immer für dich da bin, auch wenn wir räumlich so weit voneinander entfernt sind.«
Jolyn beeilte sich die Sorgen ihrer Mutter zu beschwichtigen. »Nein, keine Angst. Es ist alles gut.« Sie ließ sich schnell einen plausiblen Grund für ihre Abwesenheit einfallen. »Es ist nur, mein Chef in der Firma will mich seit neuestem bei den offiziellen Meetings dabeihaben. Und ich frage mich warum. Letzten Donnerstag hat er mir auch ein paar zusätzlichen Aufgaben übertragen, die eigentlich gar nicht in meinen Arbeitsbereich gehören. Ich frage mich halt die ganze Zeit aus welchem Grund er das alles macht. Schließlich beachtet er ansonsten kaum einen seiner Angestellten, außer vielleicht die Abteilungsleiter.«
Zwar war das nicht der wahre Grund für ihre Grübeleien, aber immerhin musste Jolyn ihre Mutter nicht komplett belügen. Sie fragte sich wirklich was ihr Chef im Schilde führte.
»Achso. Na, wenn es nichts weiter ist. Ich bin mir sicher dein Chef hat mitbekommen was für eine fleißige Frau du bist.« Ihre Mutter beugte sich näher zu Jolyn. Verschwörerisch flüsterte sie ihr zu: »Sag mal, dieser Chef? Sieht der denn gut aus?«
Jolyn bekam rote Wangen. »Mum! Was soll diese Frage?«
Ira kicherte. »Was denn? Ich dachte mir vielleicht hat er nicht nur mitbekommen was für eine fleißige junge Dame du bist, sondern auch was für eine hübsche Frau.«Sie wackelte mit den Augenbrauen.
Jolyn war das ganz sehr peinlich. »Nein. Bestimmt nicht. Mr. Blakely hat sicher besseres zu tun als einer einfachen Angestellten schöne Augen zu machen.«
»Bist du dir sicher? Immerhin ist da seit neuestem dieses Funkeln in deinen Augen. Ich habe mir gedacht, vielleicht hat dein Chef damit zu tun.«
Jolyn hatte ein Funkeln in den Augen? War das so offensichtlich?
Sie beeilte sich ihrer Mutter zu antworten, damit diese nicht noch auf falsche Gedanken in Bezug auf ihren Chef kam. »Nein, Mum. Da liegst du falsch. Er ist nicht an mir auf diese Weise interessiert. Und ich habe auch kein Funkeln in den Augen.« Jolyn versuchte mit einem strengen Blick ihre Mutter zu überzeugen.
Ira seufzte. »Wie du meinst. Dann halt nicht.«
Auch Jolyn seufzte. »Lass uns lieber das Thema wechseln. Was gibt es sonst noch Neues bei dir? Gab es irgendwelche Skandale oder Neuzugänge bei euch?«
»Ach, nicht wirklich. Es war eine Woche wie jede andere. Mrs. Mansfield stolziert in ihren alten Pelzmänteln umher und verpestet dabei alle Räume mit ihrem Geruch nach Mottenkugeln. Der alte Mr. Barnes denkt immer noch, dass er in Vietnam wäre und springt regelmäßig die Pfleger an, um sein Vaterland vor dem Feind zu schützen. Und Mrs. Heat schnarcht bei ihren nachmittäglichen dermaßen laut, dass alle anderen Anwesenden im Aufenthaltsraum Schwierigkeiten haben sich zu konzentrieren. Letzten Donnerstag war es der alten Mrs. Rutherford zu viel und sie hat doch tatsächlich ein zerknülltes Taschentuch in Mrs. Heats offenstehenden Mund gestopft, um sie zum Verstummen zu bringen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Tumult daraus entstand. Schließlich waren drei Pfleger nötig, um Mrs. Heat und Mrs. Rutherford auseinander zu bekommen.«
Jolyn lachte bei den Erzählungen ihrer Mutter. Aber innerlich war sie sehr unglücklich über die ganze Situation.
Der Großteil der Pflegeheimbewohner war alt und mehr oder weniger senil. Ira war mit ihren dreiundsechzig Jahren viel jünger. Es gab nur sehr wenige Leute, mit denen sie sich wirklich unterhalten konnte.
Sie war noch viel zu jung, um den Rest ihres Lebens in so einer Einrichtung zu verbringen. Jolyn wünschte sich nichts mehr, als ihrer Mutter ein angenehmes Leben bieten zu können, abseits dieses Pflegeheims.
Aber sie konnte es sich nicht leisten.
Ira unterbrach Jolyns trübe Gedanken. »Oh, warte mal. Ich hab hier noch etwas für dich.« Sie beugte sich zur linken Seite ihres Rollstuhls hinab. Sie tat sich sichtlich schwer, etwas aus der Tasche an der Seite herauszuholen.
Jolyn jedoch versuchte nicht ihrer Mutter zu helfen. Sie wusste, dass es ihr unangenehm war Hilfe annehmen zu müssen und versuchte so viel möglich allein zu machen. So weit es eben ging mit ihrer tauben rechten Körperhälfte.
Ira zog einen Brief aus der Tasche und überreichte ihn Jolyn. »Hier, der ist für dich. Ist am Mittwoch hier angekommen.«
Jolyn sah, dass es sich um ein Schreiben des gemeinnützigen Vereins handelte, der einen Großteil der Kosten für Iras Unterkunft bezahlte.
Sie nahm ihn ihrer Mutter ab und steckte ihn in ihre eigene Umhängetasche. »Danke, Mum. Ich lese ihn dann, wenn ich zu Hause bin.«
»Ich hoffe nur, dass es nichts Ernstes ist.« Mit einem sorgenvollen Blick sah Ira in Richtung des Briefs.
»Nein, keine Sorge. Das ist sicherlich nur die jährliche Abrechnung. Die bekomme ich jedes Jahr um diese Zeit.«
Ira nickte beruhigt. Anscheinend schien sie sich schon länger über diesen Brief Gedanken zu machen.
Jolyn blieb noch eine Weile bei ihrer Mutter, bis eine Pflegerin kam und meinte es sei Zeit für das Abendessen. Sie verabschiedete sich von ihrer Mum und versprach nächsten Samstag wieder zu kommen.
Als sie bei sich zu Hause ankam, war es schon sechs Uhr.
Sie beschloss sich einen gemütlichen Abend zu machen und ihr Buch weiterzulesen. Vielleicht würde sie sich auch ein Glas Wein genehmigen.
Gerade als sie ihren Beschluss gefasst hatte und ihre Tasche auf den Tisch legen wollte, meldete sich ihr Handy.
Sie nahm es aus der Tasche und blickte auf den Bildschirm, in der Meinung, dass es Jamie gewesen wäre, die ihr eine Nachricht geschickt hat.
Immerhin hatten sie sich schon länger nicht gesehen und meist trafen sie sich samstagsabends oder telefonierten zumindest.
Als sie jedoch den wahren Absender sah, erschrak Jolyn und ließ ihre Tasche zu Boden fallen.
Es war er.
Darauf war sie überhaupt nicht vorbereitet gewesen. In ihrem Kopf hatten zwei mögliche Szenarien herumgespukt. Entweder er meldete sich gar nicht mehr und beide sahen die Affäre nach einem einmaligen Treffen als beendet an. Oder er meldete sich irgendwann Mal in der kommenden Woche.
Aber nie hätte sie gedacht, dass er schon am nächsten Tag schreiben würde. Mental war sie nicht darauf vorbereitet.
Sie atmete tief durch und öffnete seine Nachricht, bevor sie noch in totale Panik ausbrechen konnte.
‚Guten Abend!
Nächsten Freitag, selbe Uhrzeit, selber Ort.
Dieses Mal werde ich dir dein Outfit vorbereiten. Du wirst es im Badezimmer vorfinden und anziehen.
R.B.‘
Jolyn wusste nicht was sie tun sollte. Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen die Affäre nach dem ersten Mal zu beenden. Doch als sie jetzt seine Nachricht las, stieg wieder Lust in ihr auf. Eine einzige SMS von ihm reichte, damit die Flammen der Erregung wieder in ihr hochkamen.
Sollte sie das ganze beenden oder durfte sie es riskieren noch einmal so ein herrliches Abenteuer zu erleben?
Jolyn wusste nicht was sie machen sollte. Nach einiger Zeit des Grübelns beschloss sie mit ihrer Antwort zu warten. Sie würde die nächsten Tage so gut es ging normal verbringen und vielleicht bekam sie eine Offenbarung, wenn sie nicht mehr so ein Gefühlswirrwarr erlebte wie momentan.
Kapitel 9
Am Montagmorgen kam Jolyn in ihr Büro und begab sich sofort zu ihrem Schreibtisch.
Sie war nicht in bester Laune. Den ganzen Sonntag hatte sie mit dem Versuch verbracht, nicht allzu oft an Freitagabend denken zu müssen. Sie hatte wenig bis keinen Erfolg gehabt.
Am Nachmittag war sie dann zu Jamies Wohnung gefahren und hatte mit Kaffee getrunken. Aber auch dieser Besuch konnte sie nicht wirklich von ihren Erinnerungen und ihr Grübeln in Bezug auf ein mögliches nächstes Treffen beruhigen.
Als sie an ihrem Platz ankam, wartete dort schon Becky auf sie. Sie hatte ein neugieriges Funkeln in den Augen, dass Jolyn gar nicht gefiel.
Becky neigte zu Tratsch und Geschichten über Kollegen und Kolleginnen, wobei sie den Wahrheitsgehalt der Gerüchte im Normalfall nicht immer so genau nahm.
Jolyn war im Moment nicht in Stimmung für Tratsch. Aber es führte wohl kein Weg daran vorbei.
»Guten Morgen, Jolyn«, sprach sie Becky auch gleich an.
Nach einem gemurmelten Gruß von Jolyn fuhr sie auch gleich fort. »Sag mal, gibt es da etwas was du mir sagen willst?« Wieder bemerkte Jolyn die Neugier in ihren Augen.
Sie war verwirrt. Sie hatte keine Ahnung auf was Becky hinauswollte. »Nein, eigentlich nicht.«
Becky kniff die Augen zusammen und sah aus, als ob sie ihr nicht glauben würde. »Wirklich? Bist du dir da sicher?«
Jolyn hatte immer noch keine Ahnung was Becky meinte, deswegen runzelte sie die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Hm«, machte Becky. »Und warum will der Chef dann unbedingt, dass du in sein Büro kommst?« Mit einem lauernden Blick beobachtete sie ganz genau Jolyns Reaktion.
Diese war nur noch verwirrter. »Was meinst du?«
»Na, heute morgen, als ein Großteil der Kollegen noch nicht da war, kam Simon Blakely hereingeschneit und fragte nach dir. Ich sagte ihm, dass du erst später kommst und er sagte, ich solle dir ausrichten, dass du sobald du ankommst, in sein Büro im zwölften Stock raufgehen sollst.«
»Okay. Danke, dass du mir das gesagt hast«, meinte Joly. Sie wusste zwar auch nicht so genau warum sie in Mr. Blakelys Büro kommen sollte, aber sie dachte, dass es wahrscheinlich um die Besprechung der Meetings in dieser Woche ging.
Sie nahm sich ihre Sachen vom Schreibtisch und wollte sich Richtung Ausgang wenden, um zu den Fahrstühlen zu gelangen.
Abermals hielt Becky sie auf. »Und?«
Jolyn drehte sich wieder um und sah mit gerunzelter Stirn zu ihrer Kollegin. »Was und?«
»Na was läuft denn da zwischen euch? Schon die letzten zwei Wochen warst du andauernd bei irgendwelchen Meetings bei ihm. Das ist doch auffällig.«
Jolyn zuckte mit den Schultern. »Er meinte, er möchte in Zukunft immer jemanden von der Buchhaltung bei seinen Meetings dabeihaben.«
»Ach komm schon«, sie musterte Jolyn einmal von oben bis unten. »Ich bin doch nicht blöd. Ich meine, wenn er unbedingt jemanden bei seinen Meetings dabeihaben wollte, dann gäbe es wesentlich bessere Optionen als ꟷ «, sie brach ab und bekam leicht rote Wangen.
Jetzt wurde Jolyn wütend. »Als mich meinst du? Wieso sollte er nicht mich bei den Meetings dabeihaben wollen? Ich bin eine genau so gute Angestellte wie jeder andere hier im Büro.«
»Nein, so meinte ich das doch nicht«, versuchte Becky sich rauszureden. »Ich meinte ja nur, dass es doch wichtig ist die Firma bei solchen Meetings zu repräsentieren. Und seien wir mal ehrlich, du bist eher der unscheinbare Typ. Es gibt hier einige im Büro, die wesentlich geeigneter wären das Image der Firma nach außen zu tragen.«
Jolyn war fassungslos. Hatte ihr Becky gerade allen ernstes ins Gesicht gesagt, dass sie nicht gut genug aussah, um bei den Meetings des Unternehmens anwesend zu sein? »Lass mich raten. Du wärst wohl so eine Kandidatin, die geeigneter wäre, stimmts?« Jolyn war ein bisschen über die Bitterkeit in ihrer Stimme erschrocken. Aber immerhin hatte sie Becky für eine Freundin gehalten. Zu hören wie diese in Wahrheit über sie dachte, schmerzte enorm.
Becky gab keine Antwort auf Jolyns Frage. Aber das musste sie auch gar nicht. Jolyn konnte die Wahrheit in ihren Augen ablesen.
»Ich muss jetzt los.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging Richtung Tür.
Ihr entging dabei der wütende Blick, denn ihr Becky nachwarf.
Jolyn drückte den Knopf für den Fahrstuhl. Sie verdrängte die Gedanken an die eben erlebte Szene mit Becky, so gut es ging und konzentrierte sich lieber auf das bevorstehende Gespräch mit ihrem Chef.
Sie wusste wirklich nicht, was er von ihr wollte. In den letzten zwei Wochen hatte sie meist eine E-Mail bekommen, wenn es um ein anstehendes Meeting ging. Im zwölften Stock war sie noch nie gewesen.
Ihre Gedanken wurden von den aufgleitenden Türen des Lifts unterbrochen. Sie stieg ein und drückte die Taste für den zwölften Stock. Die Türen schlossen sich wieder und der Fahrstuhl fuhr los.
Oben angekommen bot sich ihr ein komplett anderer Anblick als sie es von den unteren Etagen gewohnt war.
Ihre Büroebene war zwar modern und keineswegs schäbig. Aber dieses Stockwerk versprühte puren Luxus. Unwillkürlich musste sie an das Foyer in dem Wohnhaus von ihm denken.
Jolyn staunte. Sie wusste zwar, dass Blakelys Firma durchaus erfolgreich war, aber wie erfolgreich, das hatte sie nicht geahnt.
Simon Blakely besaß das Unternehmen nun in dritter Generation. Sie waren spezialisiert auf ausgefeilte Eisen- und Stahlkonstruktionen. Wegen ihrer gewagten und einzigartigen Pläne hatten sie eine Alleinstellung am hiesigen Markt.
Das alles wusste Jolyn. Trotzdem war sie über den Reichtum dieser Etage erstaunt.
Als sie mit ihrem Staunen fertig war, ging sie hinüber zu der Empfangssekretärin, die den Fahrstühlen gegenübersaß.
Hinter dem Tresen saß eine attraktive dunkelhaarige Frau, die Jolyn noch nie zuvor gesehen hatte. Anscheinend war alles ab der zwölften Etage sehr exklusiv.
»Hallo. Ich bin Ms. Huntington. Mr. Blakely meinte, er wolle mich sehen.«
Die Frau musterte Jolyn kurz. Dann setzte sie ein falsches Lächeln auf und zwitscherte: »Natürlich, meine Liebe. Wenn sie die Tür geradeaus nehmen, dann gelangen sie in sein Büro.« Sie blinzelte ein paar Mal.
Insgeheim wunderte sich Jolyn, dass sie überhaupt blinzeln konnte mit ihren langen und eindeutig falschen Wimpern. »Ähm, weiß er denn, dass ich komme?« Sie war verunsichert und befürchtete, dass das eine ziemlich dämliche Frage gewesen war. Aber sie konnte doch nicht einfach so in sein Büro reinschneien.
Wieder blinzelte die Sekretärin ein paar Mal hektisch. Ihr Mund war noch immer zu diesem unechten Lächeln verzogen. »Oh, sie haben natürlich recht. Ich werde ihn gleich anrufen.« Sie wartete noch einige Augenblicke und starrte Jolyn an. Dann hob sie den Hörer ihres Telefons und drückte eine Nummer. Alles ohne den Blick von Jolyn zu nehmen.
Sie wusste nicht, was sie von der Frau halten sollte. Irgendwie benahm sie sich sehr merkwürdig. Sie wusste auch nicht, ob dieses Verhalten gezielt ihr galt oder ob die Sekretärin jedem gegenüber so eigenartig war.
»Mr. Blakely, Ms. Huntington ist jetzt hier. Soll ich sie zu ihnen hineinschicken?«
Anscheinend fiel die Antwort positiv aus. Denn sie legte auf und sagte zu Jolyn: »Sie können jetzt zu ihm hineingehen.« Wieder dieses irritierende Blinzeln.
Jolyn nickte nur und ging dann den gezeigten Weg in Richtung Simon Blakelys Büro.
Sie kam an der Tür an und blieb ein wenig ratlos stehen. Sollte sie klopfen oder einfach gleich reingehen?
Mit einem verstohlenen Blick Richtung Empfangssekretärin, die sie Gott sei Dank nicht beachtete, klopfte sei einmal kurz an.
Sofort erklang ein »Herein« von drinnen.
Sie öffnete die Tür und betrat den Raum. Wie die gesamte zwölfte Etage, so war auch dieses Büro sehr elegant und modern eingerichtet.
Simon Blakely saß an einem großen Schreibtisch und schien gerade zu telefonieren.
Unbehaglich blieb Jolyn am Eingang stehen und wusste nicht wie sie sich am besten verhalten sollte. Aber Mr. Blakely schien ihr Unbehagen zu bemerken und winkte sie mit seiner Hand zu den Stühlen vor seinem Schreibtisch.
Sie setzte sich und wartete darauf, dass er das Telefonat beendete.
Es dauerte noch einige Momente, dann schien er fertig zu sein und legte den Hörer auf. »Entschuldigen Sie, Ms. Huntington, der Anruf kam rein kurz bevor sie das Büro betraten.«
»Kein Problem, wirklich«, beeilte sie sich zu sagen.
»Ja, gut, also weswegen ich sie heraufgebeten habe, ist eine Frage, die ich ihn stellen wollte.«
Jolyn war verwirrt. Hätte er eine Frage nicht auch über Telefon oder E-Mail stellen können? Warum musste sie hier heraufkommen, wo doch sonst niemals einer von den unteren Etagen hier herauf zitiert wurde?
»Wissen sie, seit circa einem Monat habe ich keine persönliche Assistentin mehr. Sie hat kurzfristig gekündigt und ich konnte auf die Schnelle keinen Ersatz finden. Es ist leider nämlich so, dass ich etwas anspruchsvoll bin und daher sehr wählerisch, was meine nächsten Angestellten anbelangt.« Er unterbrach sich kurz und sah ihr ernst ins Gesicht. »Wie sie ja wissen, habe ich sie seit zwei Wochen des Öfteren zu offiziellen Meetings eingeladen. Aber den Grund dafür habe ich ihnen nicht offenbart, weil ich keine Hoffnungen in ihnen aufkommen lassen wollte. Es ist nämlich so, dass ich mir angesehen habe, ob sie für die Stelle meiner persönlichen Assistentin in Frage kämen.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Und jetzt am Ende dieser zwei Wochen, möchte ich sie fragen, ob sie an der Stelle interessiert wären?«
Sie war sprachlos. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer Beförderung in die höchste Etage. Mehrere Gedanken schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf. Einerseits war sie sehr geschmeichelt, dass er sie für die Stelle seiner Assistentin geeignet empfand. Andererseits kamen auch Zweifel in ihr auf, ob es wirklich ihr Wunsch war, an der Seite von Mr. Blakely zu arbeiten.
Er hob die Hand und unterbrach ihre wirren Gedanken. »Bevor sie jetzt ja oder nein sagen, möchte ich sie noch kurz warnen. Ich bin manchmal etwas schwierig und vielen fällt es nicht leicht mit mir zusammen zu arbeiten. Aber ich denke, nachdem ich sie zwei Wochen beobachtet habe, dass sie durchaus damit klar kämen. Sie würden mehr verdienen und ihr Arbeitsplatz befände sich direkt neben an von meinem Büro«, zählte er die Bedingungen der Stelle auf. »Außerdem hätten sie flexiblere Arbeitszeiten. Ich erwarte von meiner Sekretärin, dass sie mich hin und wieder zu Geschäftsessen oder anderen Veranstaltungen begleitet. Dieser zusätzliche Aufwand würde natürlich von ihrer regulären Arbeitszeit abgezogen werden oder als Überstunden gerechnet, je nachdem was ihnen lieber ist.«
In Jolyn drehte sich alles. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Aber eigentlich gab es gar keine andere Antwort als Ja.
Spätestens bei seiner Erwähnung des höheren Gehalts und der Möglichkeit einiges an Überstunden anzuhäufen, konnte sie nicht mehr absagen.
Es würde ihr erlauben mehr Geld für die Pflege ihrer Mutter übrig zu haben. Sie wären nicht mehr zum Großteil auf die Mildtätigkeit des Vereins angewiesen.
Bevor Jolyn noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, sagte sie: »Ja. Ich würde sehr gerne diese Stellung annehmen.«
Mr. Blakely hob seine Augenbrauen. »Wollen sie nicht mal eine Nacht darüber schlafen, bevor sie sich endgültig entscheiden?«
Jolyn schüttelte den Kopf.
»Na dann, das freut mich sehr. Ich würde vorschlagen, dass sie heute noch bei ihrem alten Arbeitsplatz bleiben und ich lasse alle nötigen Unterlagen vorbereiten.
Morgen in der Früh können sie dann ihren Platz unten räumen und ihre Sachen in das Büro nebenan schaffen.«
Jolyn nickte erfreut. »Ja, das klingt vernünftig. Vielen Dank, S-«, sie brach ab. Eigentlich wollte sie ‚Vielen Dank, Sir‘ sagen, aber unwillkürlich dachte sie an ihn und Freitagabend. Das konnte sie im Moment gar nicht gebrauchen.
Sie spürte wie ihre Wangen rot wurden und beeilte sich den Satz zu beenden. »... Mr. Blakely.«
Ihr Chef schien gütiger Weise nichts von ihrem kurzen Unbehagen mitbekommen zu haben.
Er verabschiedete sich mit ein paar netten Worten von ihr und sie verließ schnell das Büro.
Vor der Tür blieb sie einige Sekunden stehen. Sie griff sich an ihre glühenden Wangen, um sich etwas zu beruhigen.
Sie musste sich zusammenreißen. Sie konnte es sich nicht leisten, während der Arbeit an Freitagabend zu denken.
Am besten wäre es wirklich, es käme zu keinem weiteren Treffen. Jolyn wurde in ihrem Beschluss bekräftigt die Affäre zu beenden.
Als sie sich einigermaßen wieder gefangen hatte, wollte sie zu den Fahrstühlen zurückgehen, als eine andere Person den Flur betrat, die Richtung Simon Blakelys Büro eilte.
Jolyn hielt verwirrt inne, als sie sah, dass es sich um Lisa handelte. Was hatte eine einfache Praktikantin denn im Büro des obersten Chefs zu suchen?
Nun bemerkte sie auch Lisa und diese hielt ebenfalls in ihrem Schritt inne. »Oh. Hi, Jolyn. Was machst du denn hier?«
Jolyn wurde misstrauisch als sie Lisas beschämten Blick sah. »Mr. Blakely wollte mich heute Morgen sehen. Und was machst du hier?«
Die Praktikantin warf einen kurzen Blick auf die Tür in Jolyns Rücken. »Ja, ähm, das selbe wie du. Ich muss auch mit Si-, ähm, Mr. Blakely reden.« Jolyn war der kurze Stolperer bei dem Namen ihres Chefs aufgefallen. In ihr stieg eine vage Ahnung auf.
Bevor sie jedoch darauf etwas erwidern konnte, drängte sich Lisa an ihr vorbei und öffnete die Tür.
Jolyn blieb allein am Gang stehen und grübelte noch einige Momente.
Sollte sich Lisa von der Flirterei mit den Kollegen abgewandt haben, weil sie jetzt den Chef an der Angel hatte? Konnte das sein? Würde Mr. Blakely mit einer Praktikantin etwas anfangen?
Jolyn verspürte Enttäuschung. Einerseits wegen Lisa, von der sie gedacht hatte, dass sie endlich ihre Arbeit ernst nahm. Andererseits wegen Simon Blakely. Wie sollte sie die persönliche Assistenz eines Mannes werden, der im Büro nebenan ein Tête-à-Tête mit einer jungen Praktikantin hatte?
Sie beschloss, Lisa zur Rede zu stellen.
Als es Zeit für die einstündige Mittagspause wurde, erhob sich Jolyn von ihrem Platz. Eigentlich verbrachte sie montags ihre Pause immer mit Becky. Aber nach der morgendlichen Auseinandersetzung hatte sie nur wenig Lust darauf.
Sie steuerte auf den Platz von Lisa zu. Als sie vor ihr zu stehen kam, hob diese überrascht den Kopf. »Jolyn? Was machst du denn hier?« Sie lächelte sie freundlich an.
»Ich wollte dich fragen, ob wir gemeinsam die Mittagspause verbringen möchten?«
Lisa sah wohl an Jolyns Blick, dass es sich nicht bloß um eine nette Geste seitens Jolyn handelte. Sie zögerte kurz, bevor sie mit einem Nicken zustimmte. »Ja, klar, wieso nicht.«
Sie schloss das Programm auf ihren Computer und schnappte sich ihre Tasche. »Wo möchtest du denn hingehen?«
Darüber hatte Jolyn ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht. Sie war nur erpicht darauf zu erfahren, was wirklich zwischen der Praktikantin und ihrem Chef lief.
»Normalerweise sitze ich im Park vor dem Gebäude.«
Lisa nickte. »Klingt gut.«
Gemeinsam verließen sie das Büro und machten sich auf den Weg hinaus.
Während der ganzen Strecke herrschte ein unbehagliches Schweigen zwischen den beiden.
Als sie im Park ankamen, setzten sie sich auf eine Bank und holten ihr jeweiliges Essen heraus.
Anfangs herrschte ein unbehagliches Schweigen. Aber Jolyn hielt es nicht lange aus und fragte daher direkt: »Was läuft da zwischen dir und Simon Blakely?«
Lisa blickte sie aus dem Augenwinkel an, bevor sie den Kopf senkte. »Deswegen wolltest du mit mir reden? Um zu erfahren, ob ich etwas mit dem Chef habe?«. Sie klang enttäuscht. »Denkst du, dass ich so ein Flittchen bin?«
Jolyn tat ihre harsche Frage sofort leid. »Nein, das denke ich keineswegs. Ich denke aber, dass du eine sehr attraktive und junge Frau bist und dass Mr. Blakely ein sehr einnehmender Mann ist. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich möchte nicht, dass du von ihm oder sonst jemanden ausgenutzt wirst.«
Lisa blickte sie überrascht an. »Du machst dir Sorgen um mich?«
»Ja, klar.«
Siw lächelte leicht. »Das ist sehr lieb von dir. Aber wirklich, du musst dir keine Sorgen machen.« Sie zögerte kurz und schien sich zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte. »Okay, ich verrate dir was. Aber du darfst es keinem erzählen, versprochen?«
Jolyn nickte verdutzt. »Versprochen.«
»Simon Blakely und ich haben keine Affäre.« Sie kicherte. »Er ist mein Bruder.«
»Er ist dein- was?«
»Jetzt schau doch nicht so schockiert. Er ist mein Bruder. Aber das darf niemand wissen. Ich absolviere mein Praktikum hier und möchte nicht irgendwelche Vorteile oder Vergünstigungen bekommen. Und das würde unweigerlich passieren sobald bekannt wäre, dass ich Simon Blakelys Schwester bin. Es gibt immer irgendwelche Leute, die denken sich über mich bei meinen Bruder einschleimen zu können.«
Jolyn verstand. »Ach so, jetzt verstehe ich. Deswegen war es dir auch so unangenehm als ich dich vor seinem Büro gesehen habe.«
»Ja, genau.« Sie aß ein paar Bissen ihres Sandwiches. »Warum warst du eigentlich bei meinem Bruder?«
»Er hat mir eine Stelle als seine persönliche Assistentin angeboten.«
»Oh, dann hat er es also wirklich ernst gemeint? Das freut mich so für dich.«
»Was meinst du mit ernst meinen?«
»Na, weißt du noch damals, als ich vor allen anderen angeschrien wurde, weil ich meine Arbeit nicht erledigt gehabt hatte?«
Jolyn nickte.
»Als Simon davon erfuhr, war er sehr wütend. Obwohl er zwar auch dafür ist niemanden zu verraten, dass wir verwandt sind, mag er es trotzdem nicht, wenn jemand seine kleine Schwester anschreit. Außer ihm selbst natürlich.« Sie verdrehte die Augen. »Jedenfalls habe ich ihn versucht zu beruhigen und ihm gesagt, dass du mir geholfen hättest und alles nur halb so schlimm war.«
»Oh.« Jolyn fiel nichts besseres darauf ein.
»Ja, oh. Das gefiel ihm anscheinend und er da sowieso eine neue Assistentin suchte, meinte er, dass er mal schaut ob du passend für die Stelle wärst. Schließlich meint er, dass es viel zu wenig Leute gibt, die Courage zeigen.«
»Also deswegen hat er mir so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich hab mich schon gefragt, warum das so ist.«
»Ja, nun darfst du aber keinesfalls denken, dass er dir die Stelle nur angeboten hat, weil er dir sozusagen einen Gefallen schuldig ist. Keineswegs. Er würde niemals jemanden die Position als seine Assistentin anbieten, wenn er nicht von den Fähigkeiten desjenigen überzeugt wäre. Aber anscheinend hast du ihn überzeugt.«
Jolyn fühlte sich erleichtert. Sie dachte schon es wäre eine Mitleidsbeförderung gewesen. Wenn dem tatsächlich so gewesen wäre, dann hätte sie niemals die Stelle annehmen können. Aber anscheinend waren ihre Sorgen Gott sei Dank unbegründet.
»Sag mal, wenn ich schon an der Quelle zu Wissen über Simon Blakely sitze, dann habe ich ein paar Fragen.«
Lisa verzog bei ihren Worten leicht das Gesicht.
Als Jolyn an das eben Gesprochene dachte, fiel ihr auf wie ungünstig sie den Satz formuliert hatte. »Nicht das was du denkst. Ich möchte keine privaten Dinge über ihn wissen. Aber da ich ab morgen seine persönliche Assistentin bin, könnte es nicht schaden ein paar Sachen zu erfahren. Er hat nämlich angedeutet, dass er einen etwas schwierigen Charakter habe und ich weiß beim besten Willen nicht, auf was ich mich genau da vorbereiten sollte.«
»Oh, keine Sorge. So schlimm ist er nicht. Es ist nur so, dass er etwas perfektionistisch ist und alles genau so haben will, wie er es sich vorstellt. Aber schließlich konnte er auch nur auf diese Weise zu seinem Erfolg gelangen. Vielleicht wird er manchmal etwas lauter. Simon ist leicht cholerisch. Aber meist vergehen diese Wutanfälle recht schnell und man muss schon etwas getan haben, dass ihm sehr gegen den Strich geht, um ihn wirklich in die Luft gehen zu lassen. Ich würde mir an deiner Stelle keine allzu großen Sorgen machen.« Sie lächelte Jolyn an.
Diese nickte, versunken in ihren eigenen Gedanken. Das hörte sich aber nicht so toll an. Jolyn zweifelte, ob sie der Stelle wirklich gewachsen war.
Jedoch brauchte sie das zusätzliche Geld und wenn seine Schwester meinte, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, dann würde es wahrscheinlich auch stimmen.
Kapitel 10
Robert saß in seinem Büro und starrte die Papiere, die vor ihm lagen an, ohne sie jedoch wirklich wahrzunehmen.
Sein Büro befand sich im dreißigsten Stockwerk eines Hochhauses und zwei Seiten des Raumes waren komplett verglast, so dass er eine herrliche Aussicht über die Skyline von New York hatte.
Gerade eben war er von einem Meeting mit Robinson zurückgekommen. Sie hatten die letzten Verträge zum Verkauf seiner Firma unterzeichnet. Offiziell gehörte nun sein Unternehmen Robert.
Er war mehr als froh endlich diesen Kauf unter Dach und Fach bringen zu können. Schließlich hatte er auch lange genug darauf warten müssen, bis dieser sture alte Douglas Robinson einsah, dass er keine andere Wahl hatte.
Was Robert nur störte, war, dass die Firma einige laufende Verträge führte mit Unternehmen mit denen Bellford-Enterprise normalerweise keine Geschäfte zu tätigen pflegte.
Jetzt musste er wohl oder übel in Kontakt mit jenen Firmen treten, da er nicht einfach die laufenden Verträge und Aufträge auflösen konnte.
Das alles war aber für Robert im Moment nur Nebensache. Ihn beschäftigte nämlich etwas völlig anderes.
Seit er Freitagabend herausgefunden hatte, dass seine Affäre vor dem Sex mit ihm noch Jungfrau gewesen hatte, konnte er sich nicht davon abbringen ständig an sie und ihr gemeinsames Abenteuer zu denken.
Er war ganz versessen darauf sie bald nochmal zu sehen. Dieses Mal mit seinem neuen Wissen um sie.
Warum er so besessen von dem Gedanken war, wusste er selbst nicht so genau. Er wusste nur, dass er die Affäre auf keinen Fall beenden würde und tüftelte die ganze Zeit an einem Plan für nächsten Freitagabend.
Als ein vages Vorhaben in Roberts Kopf bereitstand, hatte er ihr sofort geschrieben.
Aber sie antwortete nicht.
Nun waren fast zwei ganze Tage vergangen und noch immer hatte er keine Antwort von ihr erhalten.
Es machte ihn rasend.
Wie konnte sie ihn einfach nach dem was am Freitag passiert war, ignorieren?
Wollte sie etwa die Affäre nach einem Treffen beenden?
Ihn Robert keimte ein Verdacht auf, der einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge hinterließ. Hatte sie ihn einfach benutzt, um schnell und anonym ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln zu können? Hatte sie vielleicht nie vorgehabt ein längerfristiges Arrangement einzugehen? Sie hatte bekommen, was sie wollte und jetzt verschwand sie so schnell wie sie gekommen war.
Aber Robert würde das nicht zu lassen. Er ließ sich nicht einfach benutzen. Damit würde sie nicht durchkommen.
Er war sich sehr wohl der Ironie der Situation bewusst. Normalerweise war es, der andere benutzte, um zu bekommen, was er wollte. Und normalerweise hatte er auch kein Problem damit, wenn sich eine Frau nach einem einmaligen Treffen nicht mehr meldete.
Jener Frau würde er es jedoch nicht durchgehen lassen. Er wusste zwar noch nicht, wie er es verhindern würde, aber er würde sich etwas einfallen lassen, wenn es sein muss.
Schließlich hatte sie ihn nicht nur ausgenutzt, sondern auch belogen. Schlicht und einfach angelogen.
Er erinnerte sich sehr wohl an seine SMS mit der Frage, ob sie den schon öfters ein derartiges Arrangement gehabt hätte. Sie hatte geantwortet sie hätte ‚seit geraumer Zeit Interesse an Rollenspielen‘. Dass er nicht lachte. Wahrscheinlich meinte sie ihre letzte Theateraufführung in der Schule damit.
Wieder blickte er auf sein Handy. Keine neue Nachricht.
Gott wie verärgert er war. Er beschloss sie für ihr respektloses Verhalten zu bestrafen. Wirklich zu bestrafen, nicht nur diese spielerische ‚Bestrafung‘ wie letztes Mal. Er würde ihr zeigen, wie unbehaglich man sich fühlen konnte.
Und das würde wie. Schließlich wusste er jetzt ja, dass sie keinerlei Erfahrungen hatte.
Später an diesem Abend rief seine Tante an. Getrude Bellford war seine einzig noch lebende Verwandte. Seine Eltern starben als er gerade fünfzehn Jahre alt gewesen war. Die Schwester seines Vaters hatte ihn daraufhin zu sich genommen und versucht so gut wie möglich ihm eine Familie zu sein.
Robert wusste, dass er damals ein schwieriger Teenager gewesen war und es seiner Tante nicht gerade leicht gemacht hatte. Aber sie schien ihn nie zu verurteilen und hatte meist allergrößtes Verständnis für ihn. Schließlich waren seine Eltern gerade bei einem Unfall ums Leben gekommen und er wurde völlig aus dem Umfeld herausgerissen, dass er gewohnt war. Zudem war da noch die eher ärmlichen Verhältnisse, in denen sie lebten, das machte es auch nicht gerade unbedingt einfacher.
Aber jetzt war Robert froh über seine Tante. Er versuchte sie so oft wie möglich anzurufen und sie hin und wieder zu besuchen, wenn es seine Arbeit zuließ. Jedoch kam das nicht allzu oft vor. Seine Tante hatte aber auch dafür Verständnis. Sie verstand wie kein anderer, warum es so wichtig für Robert war, sich ein eigenes Unternehmen zu schaffen, auf etwas stolz sein zu können.
Sie macht ihm nie Vorwürfe oder versuchte ihn zu ändern. Dafür war Robert ihr sehr dankbar.
Er hob sein Handy zum Ohr. »Hallo, Tante. Wie geht es dir?«
»Guten Abend, Robbie.« Getrude nannte ihn seit jeher so. Keinem außer ihr erlaubte er es. »Mir geht es sehr gut. Ich war gerade bei meinem allwöchentlichen Kaffeetratsch mit den Nachbarinnen, der ja jeden Montag stattfindet, wie du weißt. Da gibt es immer viel zu erzählen und Geschichten der ganzen letzten Woche werden ausgetauscht. Aber ich rede nur von mir. Wie geht es dir? Bist du noch in der Arbeit?«
Robert schmunzelte. »Ja, das bin ich. Es war ein anstrengender Tag und ich muss noch einiges erledigen. Ich will ja nicht unhöflich sein und ich freue mich immer über einen Anruf von dir, aber ich habe das unweigerliche Gefühl, dass du wegen etwas Bestimmten angerufen hast.« Robert kannte seine Tante sehr gut und hatte bemerkt, dass sie bei ihren Erzählungen ein wenig rumgedruckst hatte.
»Ach, Robbie. Es tut mir leid. Du denkst jetzt bestimmt ich habe nur angerufen, weil ich dich um einen Gefallen bitten wollte. Daweil wollte ich wirklich hören wie es dir geht.« Sie hatte hörbar ein schlechtes Gewissen.
Robert versuchte seine Tante zu beschwichtigen. »Keine Sorge. Ich weiß doch, dass du es nicht böse meinst. Also, weswegen hast du mich jetzt genau angerufen?«
»Naja, beim heuten Kaffeetratsch wurde über diese Familie erzählt. Weißt du, ihr Haus ist letzte Woche komplett abgebrannt. Es ist nichts mehr übrig geblieben und sie müssen jetzt in einer Notunterkunft schlafen. Sie haben drei Kinder, wobei das kleinste gerade mal zwei Jahre alt ist. Sie sind wirklich verzweifelt und-«
»Und benötigen dringend Geld.«, unterbrach Robert seine Tante.
»Ja. Tut mir leid, dass ich so unverblümt davon rede. Aber sie sind wirklich verzweifelt.«
Robert musste schmunzeln, als er hörte, dass seine Tante meinte sie sei unverblümt. Er kannte keine Person, auf die das weniger zutraf.
»Keine Sorge. Ich lasse dir Geld aufs Konto legen, dann kannst du ihnen einen Scheck ausstellen.«
»Oh nein, auf gar keinen Fall. Dann sieht es so aus, als ob das Geld von mir käme. Sie sollen wissen, wer ihnen geholfen hat. Am besten du lässt den Scheck direkt überbringen.«
»Nein, du weißt, dass ich das nicht möchte. Mir liegt nicht so viel daran wie dir. Und außerdem könnte es genau so gut dein Geld sein. Wenn du es mir erlauben würdest.«
Robert hatte schon mehrmals versucht seiner Tante Geld zu überlassen. Schließlich hatte er es ihr zu verdanken, dass er es überhaupt so weit gebracht hatte. Und nur zu gut hatte er noch die Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit vor Augen, die sie in kläglicher Armut verbringen mussten.
Aber Getrude weigerte sich vehement dagegen. Das einzige, das er ihr kaufen durfte, war ein kleines Haus am Rande von New York. Es befand sich einer netten Wohngegend, wo die Nachbarn alle untereinander kannten.
Robert war mehr als froh, dass seine Tante diesem Haus zugestimmt hatte. So konnte er nachts schlafen, ohne sich über Getrude sorgen machen zu müssen.
»Nein, du weißt das ich das nicht brauche. Ich bin glücklich mit meinen Leben.«
»Ja, ich weiß.« Robert seufzte. »Wegen der Spende werde ich morgen früh bei der Bank anrufen und alles in die Wege leiten lassen. Ich fürchte jetzt ist es schon zu spät am Abend um noch irgendwas in diese Richtung zu veranlassen.«
»Oh, nur keinen Stress, Robbie. Ich bin so froh über das Geld, da möchte ich dir nicht auch noch zusätzliche Arbeit aufhalsen.«
»Nein, keine Sorge. Das ist alles ganz schnell erledigt.«
»Ich danke dir, Robbie. Du bist so ein guter Junge. Ich werde den Mayers das Geld geben, aber sei gewarnt – ich werden ihnen sehr wohl sagen von wem die Spende in Wahrheit ist.«
»Wenn du dich dann besser fühlst, dann tu dir keinen Zwang an.«
»Ja und ob ich mich dann besser fehlen werde.«
Robert musste schmunzeln. Seine Tante war so stur.
Sie plauderten noch ein wenig über Kleinigkeiten, bevor sie sich verabschiedeten.
Er musste zugeben, dass ihm das Telefonat mit seiner Tante wenigstens von seinen Gedanken über nächsten Freitagabend und der Frau abgelenkt hatten.
Als er jedoch das Handy wieder ablegen wollte, sah er das eine Nachricht während des Anrufs angekommen war.
Robert öffnete sie. Vor ihm war nur ein Wort zu sehen und trotzdem fühlte er sich unendlich erleichtert. Denn die Nachricht war von ihr und lautete schlicht und einfach ‚Okay‘.
Oh nein. Was hatte sie getan? Jetzt hatte sie doch einem zweiten Treffen zugestimmt. Daweil wollte sie doch mit der ganzen Sache abschließen.
Es war irgendwie eine Kurzschlussreaktion gewesen. Sie hatte mit ihrer Mutter telefoniert und ihr von ihrer Beförderung berichtet. Darauf war sie dann irgendwie auch auf die Auseinandersetzung mit Becky zu sprechen gekommen.
Die Erinnerung daran hatte sie sehr betrübt und ihre Laune in den Keller sinken lassen.
Auch nach dem Telefonat konnte sie sich immer noch nicht so richtig davon erholen.
Sie musste ständig an Beckys Kommentar denken, dass sie nicht passend genug für eine Stelle an der Seite ihres Chefs sei. Dass sie zu unscheinbar sei. Zu nichtssagend. Nichts Besonderes.
Mitten in ihren Selbstzweifel war ihr aber dann der Gedanke gekommen, dass nicht jeder sie für öde halten schien.
Ihm hatte sie gefallen. Ihm war sie nicht zu langweilig gewesen. Im Gegenteil. Er hatte sofort am nächsten Tag ein weiteres Treffen vereinbart. Also konnte sie nicht so unscheinbar sein, wie Becky es vielleicht gerne hätte.
Ehe sie noch darüber nachdenken konnte, hatte sie sich ihr Handy geschnappt und die Zusage für nächsten Freitag verschickt.
Keine zwei Sekunden darauf bereute sie es jedoch schon. Es war eine blöde Trotzreaktion auf Beckys Kommentare gewesen. Sie hätte darüber stehen müssen.
Aber jetzt konnte sie nichts mehr machen. Sie konnte wohl schlecht ein ‚Ups, falsche Antwort.‘ nachschicken. Nein das ging gar nicht. Es war unmöglich.
Sie musste wohl oder übel noch ein Treffen mit ihm überstehen.
Eigenartigerweise fühlte sich Jolyn nach diesem Gedanken alles andere als unwohl.
Kapitel 11
Der nächste Morgen war für Jolyn sehr stressig. Sie musste zuerst ihren Platz in der unteren Etage räumen. Dabei war sie sich den neugierigen und lauernden Blicken ihrer Kollegen bewusst. Oder besser gesagt ihrer ehemaligen Kollegen. Anscheinend war bis jetzt noch nicht durchgedrungen, dass Jolyn befördert wurde.
Sie konnte damit leben. Sie hatte nie eine besondere Bindung zu ihren Kollegen gehabt. Nur zu Becky, aber das schien sich nach gestern auch erledigt zu haben.
Als sie all ihre Sachen fertig gepackt hatte, verließ sie das Büro um in Richtung Fahrstühlen zu verschwinden. Dabei kam sie an Lisas Schreibtisch vorbei, die ihr aufmunternd zuzwinkerte und ihr mit einem erhobenen Daumen Mut zusprechen wollte.
Jolyn lächelte sie dankbar an und kehrte dann ihren Kollegen endgültig den Rücken zu.
Als sie im zwölften Stock ankam, saß wieder die irritierende Sekretärin vom Vortag am Empfangstresen. Auch diesmal klatschte sie sich ein unecht wirkendes Lächeln ins Gesicht und begrüßte Jolyn mit zwitschernder Stimme. Natürlich nicht ohne dabei wieder auf diese äußerst eigenartige Weise zu blinzeln.
Jolyn erwiderte den Gruß mit einem schlichten Nicken und ging dann den Flur zu dem Büro entlang. Dieses Mal nahm sie jedoch nicht die gleiche Tür wie gestern sondern öffnete die nächste Tür auf der linken Seite.
Hier befand sich nun ihr neues Büro. Es war zwar eher klein, aber sehr hübsch eingerichtet. Modern und elegant, mit einem Schreibtisch aus Glas, einem schwarzen Teppichboden und weißen Wänden. Es gab zwar kein Fenster, aber eine Topfpflanze in der Ecke des Raums lockerte die Atmosphäre etwas auf.
Sie stellte die Kiste mit ihren Habseligkeiten ab und begann ihr neues Büro einzurichten.
Als sie fast fertig war, klopfte es einmal kurz und Simon Blakely kam herein.
»Ah, wie ich sehe, richten sie sich gerade ein. Sehr gut. Wenn sie damit fertig sind, können sie zu mir rüberkommen und die neuen Verträge unterzeichnen. Ich habe auch eine Liste mit all den Dingen, die sie für heute erledigen können. Aber lassen sie sich ruhig Zeit, um sich ordentlich einzuwohnen. Schließlich hoffe ich, dass sie auch länger hierbleiben werden.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Jolyn lächelte und versprach rüberzukommen, sobald sie mit ihren Sachen fertig wäre.
Der Rest des Vormittags war recht geschäftig abgelaufen. Sie hatte gemeinsam mit Mr. Blakely ihren neuen Arbeitsvertrag unterzeichnet und eine kurze Einschulung zu ihren neuen Aufgabengebieten bekommen.
Hauptsächlich war sie dafür zuständig Termine zu koordinieren und zu vereinbaren, den Kontakt mit Geschäftspartner herzustellen, Meetings vor- und nachzubereiten, sowie den Schriftverkehr von Simon Blakely zu übernehmen.
Insgesamt handelte es sich doch um sehr andere Aufgabengebiete, die sie ansonsten gewohnt war. Aber es schien nicht allzu kompliziert und vor allem machte die Summer, die sie als Entlohnung erhalten sollte, allen möglich anfallenden Stress wieder wett.
Mr. Blakely selbst war sehr freundlich und geduldig mit ihr. Man merkte ihm an, dass er gerne alles so ordentlich wie möglich haben wollte, aber Jolyn hatte damit keine gröberen Probleme. Auch, dass ihr Chef trotz seiner Freundlichkeit immer ein bisschen reserviert blieb, machte ihr nichts aus. Im Gegenteil, sie war sogar sehr froh darüber.
Insgesamt verging der Arbeitstag recht schnell und Jolyn war auf keine größeren Hindernisse gestoßen.
Zum Großteil stellte sie Anrufe zu Mr. Blakely durch und arbeitete sich in ihre neue Stelle ein.
Zu ihrer Überraschung war Lisa in ihrem Büro erschienen, als es Zeit für die Mittagspause wurde. Sie hatte vorgeschlagen zusammen zu essen, wie gestern schon. Jolyn hatte freudig zugestimmt.
Sie schaute kurz bei Mr. Blakely rein und fragte ihn, ob sie ihm etwas zu Mittag besorgen solle. Er bedankte sich, verneinte aber.
So verbrachten sie und Lisa eine erstaunlich nette Stunde miteinander, bevor sie wieder zurück an die Arbeit mussten.
Auch der Rest des Arbeitstages war schnell vergangen und ehe sich Jolyn versah, war der Tag auch schon zu Ende.
Als sie zu Hause ankam, war sie trotz des erfolgreichen ersten Arbeitstags als persönliche Assistentin mehr als erledigt.
Sie telefonierte kurz mit ihrer Mutter, um ihr von ihrem Tag zu erzählen. Anschließend rief sie Jamie an. Sie hatte ihre beste Freundin nun schon längere Zeit nicht mehr gesehen und wollte sie für morgen Abend zu sich nach Hause einladen. Zwar wohnte Jamie mit ihrem Freund in einer viel größeren Wohnung, aber Jolyn wollte mal wieder ungestört Zeit mit ihrer Freundin verbringen und das ging am besten bei ihr Zuhause.
Jamie freute sich über die Einladung und versprach morgen pünktlich um sieben Uhr vorbeizukommen.
Der nächste Tag verging ähnlich wie der vorherige. So langsam kam sie in ihren neuen Arbeitsalltag hinein und auch Mr. Blakely schien nichts an ihrer Arbeit auszusetzen zu haben.
Der einzige Umstand, der Jolyn ein wenig nervös werden ließ, war das Geschäftsessen, zu dem sie Simon Blakely morgen Mittag begleiten sollte. Zwar hatte sie nun schon an einigen Meetings teilgenommen, aber sie stellte sich ein Essen mit potentiellen Partnern als wesentlich persönlicher und schwieriger vor. Aber sie beschloss es einfach auf sich zukommen zu lassen und sich nicht schon im Vorhinein deswegen verrückt zu machen.
So kam es, dass sie halbwegs entspannt war, als sie am Abend ihrer besten Freundin die Tür öffnete.
Jamie war wie immer sehr bunt gekleidet. Sie meinte, dass das Leben viel zu kurz sei, um immer nur dieselben Farben zu tragen, deswegen versuchte sie immer so viele wie möglich auf einmal zu kombinieren. Das brachte ihr so manch schrägen Blick auf der Straße ein, aber Jamie war der Typ Frau, der sich um so etwas nur wenig scherrte.
»Hallo, J.! « Stürmisch umarmte sie Jolyn. »Mein Gott, wir haben uns wirklich viel zu lange nicht gesehen.« Sie rückte von Jolyn ab, um sie näher zu betrachten. »Hast du etwas an dir verändert? Du siehst so anders aus? Hast du abgenommen? Dir die Haare geschnitten? Kontaktlinsen? Was ist es, ich komm nicht darauf.« Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihre Freundin eingehend.
Jolyn musste kichern. »Gar nichts hat sich verändert. Du brauchst wohl eine Brille. Ich schaue genau so aus wie immer. Du bildest dir da was ein.«
Jamie schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich merke, dass du dich verändert hast. Das sieht man auf den ersten Blick. Aber ich komm einfach nicht darauf, was es ist.«
Jolyn verdrehte die Augen. »Ach, was. Jetzt komm doch mal in die Wohnung und lass uns von der Tür weggehen.« Sie ging Richtung Esstisch.
Jamie folgte ihr. »Ha, wie soll ich denn in eine Wohnung näher reingehen, die ich mit einem Schritt komplett durchquert habe?« Sie schüttelte den Kopf. »Mal ehrlich jetzt, J, wieso suchst du dir nicht eine andere Bleibe? Ich schwöre dir, dieser alte Kautz von unten ist doch ein Serienmörder. Kein Mensch kann so gruselig aussehen und keine Leute umbringen. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich an seiner Tür vorbeigehe.«
Jolyn wusste welchen Nachbarn sie meinte. Es war der alte Herr aus dem ersten Stock, Mr. Wikison. »Ach was. Du übertreibst. Er ist nun mal ein alter schrulliger Typ, tut aber keiner Fliege was zu leide. Er kann doch nichts für sein Aussehen.«
Jamie schnaubte. »Doch, duschen zum Beispiel wäre mal kein schlechter Anfang. Aber was solls, schließlich ist er nur das Sahnehäubchen an Gruseligem in dieser Gegend. Ich verstehe nicht, warum du nicht woanders hinziehst. Hier werden doch jeden Tag mindestens zwei Leute umgebracht.«
Mittlerweile hatten sie sich hingesetzt. »Jamie, jetzt übertreib mal nicht. Die Gegend ist gar nicht so übel und mir ist noch nie irgendetwas passiert. Außerdem weißt du sehr genau, warum ich nicht umziehen kann. Also lassen wir dieses Thema bleiben und reden lieber über etwas anderes.«
Jamie seufzte. »Na gut, aber eins sei dir gesagt. Ich habe dich gewarnt, falls dir hier irgendetwas zustößt, dann gib nicht mir die Schuld.«
»Warum sollte ich das tun? Aber gut, ich bin gewarnt.«
Sie ließen das Thema fallen und tauschten stattdessen Neuigkeiten und Geschichten über ihren Alltag aus.
Jolyn erzählte von ihrer Beförderung und von ihrer neuen Freundschaft mit der Praktikantin. Natürlich erzählte sie nichts von ihrer Affäre. Sie wollte sich gar nicht ausmalen was Jamie dazu sagen würde. Ihre Freundin neigte nämlich ein wenig dazu, in Bezug auf Jolyn überfürsorglich zu sein. Eine anonyme, nur auf Sex-basierende Affäre würde sie sicher alles andere als gutheißen.
Jamie erzählte ihr von ihrer Arbeit und von Nick.
Nach einiger Zeit kam die Sprache auch auf Graham, Nicks Cousin, zu sprechen.
»Weißt du, wir dachten uns, dass wir uns vielleicht nächste Woche gemeinsam treffen können. Graham sollte sich da schon wieder einigermaßen eingelebt haben und bereit sein für ein Date.«
»Ich dachte es sein kein Date, sondern ein ungezwungenes Treffen unter Freunden«, merkte Jolyn an.
Jamie verdrehte die Augen. »J, du weißt sehr gut, was ich meine. Außerdem kannst ich es nennen wie ich will. Du kommst sowieso aus der ganzen Sache nicht mehr heraus. Du hast nämlich versprochen mitzukommen, da ist es auch egal wie ich es nenne.«
»Trotzdem wäre es mir lieber, wenn wir es nicht Date nennen würden. Ein Date geht mit gewissen Verpflichtungen einher und darauf habe ich keine Lust.«
»Ja, ja. Aber vielleicht wären Verpflichtungen genau das, was du brauchst. Ein kleiner Anreiz um der Sache mit Graham eine Chance zu geben und nicht von Vorhinein gleich ein näheres Kennenlernen auszuschließen.«
Jolyn spürte einen gewissen Trotz in sich aufsteigen. »Aber was ist, wenn ich ihn gar nicht näher kennenlernen will. Du behauptest er und ich würden gut zusammenpassen, aber du weißt sehr genau, dass wir einen unterschiedlichen Männergeschmack haben.«
Wieder verdrehte Jamie die Augen. »Ja, du und dein Männergeschmack. Weißt du, ich frage mich woher du so genau wissen willst, was dein Typ Mann ist. Du hattest bisher nur eine ernstere Beziehung. Woher willst du den wissen, dass es solche Männer wie du sie dir vorstellst, überhaupt gibt? Vielleicht schützt sie nur vor, um keine ernsthaften Gefühle für jemanden anderen entwickeln zu können, damit du nicht wieder so verletzt wirst wie damals mit Tim.«
Das gab Jolyn zu denken. Vielleicht hatte Jamie recht. Natürlich nicht das mit Tim, schließlich wusste ihre Freundin ja nicht, dass ihre Beziehung mit ihrem ‚Exfreund‘ eine reine Farce gewesen war.
Aber die Sache mit ihrem idealisierten Traumtyp, gab Jolyn zu denken. Zwar wusste sie sehr wohl, dass es solche Männer gab, schließlich hatte sie mit einem solchen Mann letzten Freitag leidenschaftlichen Sex gehabt.
Aber Jamie hatte recht. Sie machte sich etwas vor, wenn sie darauf wartete mit einem solchen Mann eine Beziehung eingehen zu können.
Sie hatte gedacht ein wenig Erfahrung zu sammeln würde sie soweit verändern, dass sie selbstbewusster im Umgang mit anderen wäre. Oder vielleicht anziehender wirken würde. Sie musste sich jedoch eingestehen, dass dies nicht passieren würde. Und deswegen wäre ein Mann wie er außerhalb einer anonymen Affäre niemals an ihre als Frau interessiert.
Vielleicht schob sie ihren Wunsch wirklich vor, um nicht andere Männer, durchwegs erreichbare Männer, näher kommen zu müssen. Wenn sie immer meinte, dass die ihr vorgestellten Kerle nicht ihr Typ seien, musste sie sich nicht die Mühe machen sie näher kennenzulernen. Und musste auch nicht das Risiko eingehen verletzt zu werden.
So sehr es schmerzte, Jamie könnte durchaus recht haben mit ihren Worten.
Jolyn seufzte innerlich auf. Sie beschloss das Treffen mit Graham nicht von Vorhinein als unmöglich abzutun. Sie würde sich bemühen und schauen wie es sich entwickelte.
Jamie hatte den nachdenklichen Ausdruck von ihrer Freundin bemerkt und hatte sich entschuldigt, um auf die Toilette zu gehen. Sie wollte Jolyn Zeit lassen, um in Ruhe über das Gesagte nachdenken zu können.
Plötzlich wurde Jolyn von einem Aufschrei abrupt aus ihren Grübeleien gerissen. Als sie aufsah, stürmte Jamie mit einer Schachtel in der Hand aus dem Bad. »Verschweigst du mir etwas? Willst du etwa deswegen mit Graham nicht ausgehen? Du hättest doch nur ein Wort sagen müssen und ich wäre nie mehr darauf zu sprechen gekommen.« Mit diesen Worten knallte sie Jolyns Anti-Babypillen-Schachtel auf den Tisch.
Jolyn verstand sofort, was ihre Freundin nun dachte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen rot wurden. Sie musste sich schnell eine Ausrede einfallen lassen. »Ähm, die sind neu, die-«
»Ja, ich weiß, dass die neu sind. Schließlich habe ich schon hundert Mal dein Bad betreten und noch nie wäre mir so eine aufgefallen. Also, nun sag schon, hast du bereits eine Beziehung?«
»J, nein. So ist das nicht. Die habe ich wegen-«, fieberhaft überlegte sie eine Antwort. Plötzlich fiel ihr etwas ein, das sie einmal von einer Bekannten in der High-School gehört hatte. »Die hat mir meine Frauenärztin verschrieben, wegen meiner unregelmäßigen Periode.«
Jamie sah sie skeptisch an. »Einer unregelmäßigen Periode? Seit wann ist sie bei dir denn unregelmäßig und warum höre ich zum ersten Mal davon?«
»Na erst seit kurzem. Und tut mir leid, dass ich nicht in alle Welt von meiner Periode erzähle.« Jolyn hoffte, dass ihr beleidigter Ton Jamie von ihrer Skepsis abbringen würde.
Sie hatte kein Glück.
»Eigenartig. Gibt es nicht andere Methoden um dieses Problem zu beheben?«
Jolyn zuckte so gelassen wie möglich mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich tue nur das, was mir meine Ärztin gesagt hat.«
Jamie blickte sie misstrauisch an. »Hm.«
Jolyn beschloss, dass sie ihre Freundin ablenken musste. »Weißt du, ich habe darüber nachgedacht. Du hast recht. Ich werde Graham eine ernste Chance geben.«
Dieses Mal ging ihr Plan auf. Jamie strahlte. »Oh wirklich? Das ist fantastisch. Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich.« Vergessen war die Pillenschachtel.
»Ja, ich denke, es ist Zeit mal jemanden näher an mich ranzulassen.«
»J, ich freue mich so. Du wirst sehen, es wird sich lohnen.«
Jolyn lächelte Jamie an. Sie hoffte nur, dass ihre Freundin recht behielt.
Tag der Veröffentlichung: 09.10.2021
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