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Ray saß am Fenster und schaute dem Regen bei der allesvernichtenden Arbeit zu. Er rauchte eine Zigarette mit Filter, stupste die Eiswürfel in seinem Whiskey an und dachte an seinen nächsten Fall, welchen er am frühen Morgen antreten sollte. Und der geht so:

In einer kleinen Schule in Hessen gingen seit einiger Zeit grauenvolle Dinge vor. Schüler verschwanden oder starben sogar, selbst Lehrkörper waren mittlerweile betroffen. Es wurde gemunkelt, daß der neue Direktor irgendwas damit zu tun haben könnte. Aber man konnte nichts beweisen. Die ortsansässige Polizei war mal wieder überfordert.
An dieser Stelle kommt eine Geheimorganisation ins Spiel, die es sich zum Ziel gemacht hatte, unerklärliche Phänomene und andere Mysterien aufzuklären.
Und die Spezialisten dieser Organisation wußten, bei diesem ominösen Direktor Wolk, so sein Name, handelte es sich in Wirklichkeit um einen waschechten Dämon aus den Untiefen der Hölle oder sonstwoher. Er trat zu Tarnzwecken in Schuldirektorgestalt auf, denn er wollte die Weltherrschaft an sich reißen.
Und wo könnte man Menschen wohl besser manipulieren als in einer Schule voller autoritätsfürchtiger, beeinflussbarer Teenies? Na eben.
Die Geheimorganisation, die so geheim war, daß keiner ihren Namen kannte, und wer ihn zufälligerweise aus Versehen trotzdem mal rausbekam mußte sterben, deshalb nennen wir sie mal G.E.I.S.T. , für Geheim, Extraterrestrisch, International, Seltsam und, äh, Tabulos, setzte also ihren besten Mann auf den Fall an.
Spezialsupersonderagent Ray.
Er schnippte die Zigarette aus dem Fenster seines Hauses, sie fiel sehr tief und zerschellte auf dem Asphalt, dann ging er sich rasieren.
Sein Auftrag lautete, die Schule zu infiltrieren und den teuflischen Dämonen von innen heraus, also quasi von wo er nicht damit rechnet, zu entschärfen.
Also mußte er um einiges jugendlicher erscheinen, um in seiner Rolle als Schulbub nicht aufzufallen.
Geheimagent Ray hatte in der Vergangenheit bereits so einiges geleistet, und zwar mehrfach die Welt gerettet. Er war der Superstar im Agentenviertel und manchmal mußte er sogar Autogramme geben. Das war ihm lästig, aber was tut man nicht alles für die Gerechtigkeit und Sicherheit in diesem jenen unserem Lande?
Als sein Gesicht glatt und die Klinge stumpf war, beschüttete er sich mit Aftershave, schrie und quengelte wie ein kleines Mädchen und ging schlafen.
Er träumte einen traumlosen Traum, von einer seltsamen Welt die es nicht gibt, oder vielleicht doch. Wie das mit den Träumen nun mal so ist.


Dann erhob der Morgen sein hässliches Haupt in Form eines antiken Weckers, den jeder normale Mensch schon längst erschlagen hätte. Ray stand, wie seine Haare, senkrecht im Zimmer. Sein Herzschlag hämmerte wie der eines Kolibris, er atmete tief durch und zündete sich auf dem langen Weg ins Bad eine Zigarette an. Qualmend schüttelte er bedenklich lange ab, dann schlurfte er pudelnackig in die geräumige Küche und braute sich einen Spezialagentenkaffee. Dabei überlegte er, ob er sich von der nächsten Gehaltserhöhung eine Dienstmagd kaufen sollte, die solche unwürdigen Tätigkeiten in Zukunft für ihn verrichten könnte. Dann kam es zum obligatorischen Stuhlgang.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Ray trat zum Hauptportal hinaus, er hatte sich einen total trendigen Rucksack über die Schulter geworfen, so mit coolem Logo drauf und Rallystreifen und so. Darin waren wichtige Utensilien wie sein zerknautschtes Federmäppchen, ein Geodreieck, Mathebuch, Pornoheftchen und zur Selbstverteidigung den Zirkelkasten mit Kompass. Er stieg in seinen goldbraunen Fauwehbus, trat aufs Gaspedal und entschwand, einen Kondensstreifen hinterlassend, Richtung Schule.

„Guten Tag, ich bin hier der Neue. Wo kann ich mich denn eintragen?“
fragte Ray die Tussi im Sekretariat. Diese sah ihn über den Rand ihrer verschmierten Brille an und klatschte ihm ein Formular vor die Nase.
Seine ansonsten hinreissende Ausstrahlung wirkte also scheinbar nicht bei dieser Person, was war der Grund dafür?
„Sitzt da hinten der Herr Direktor?“
fragte er süffisant und zeigte dabei auf eine gesicherte Tür im hinteren Eck des Gebäudes.
„Ja, aber der hat zu tun! Und du hast jetzt Unterricht.“

Ray betrat seine Klasse. Schlecht gefaltete Papierflieger kreuzten seinen Weg, an der Tafel standen Unverschämtheiten, irgendwo lief ein Cassettenrecorder und überhaupt herrschte hier anscheinend die Anarchie.
Er machte sich mit einigen bekannt, und gab sich als einen der ihren aus indem er gleich fleißig mitmischte. Er zog Mädchen an den Haaren, zeigte seine Heftchen und tanzte Pogo für Halbstarke. Da erschien ihr Klassenlehrer auf der Bildfläche.
Er machte gar kein großes Trara, sondern feuerte einfach seinen zentnerschweren Schlüsselanhänger quer durch die Klasse. Die Schüler gingen hilfesuchend in Deckung, bangten um ihr unbedeutendes Leben und erstarrten in Ehrfurcht. Dann, als Frieden eingekehrt war, setzte sich der Pädagoge hinters Pult und strahlte siegesgewiss. „Hefte raus und Ruhe im Kartong!“
Fuzzy, so nannten sie ihn, bemerkte den neuen Schüler. „Darf ich mal fragen, wer du bist? Und wie siehst du überhaupt aus?“
Ray´s Ausstrahlung hatte bei den Hühnchen in der Klasse besser gewirkt als bei der vertrockneten Sekretariatstante von vorhin. Er hatte Lippenstift am Revers!
Er stellte sich artig vor und nahm dann in der letzten Reihe Platz. Neben ihm saß ein Entefahrer. Dieser war des öfteren sitzengeblieben, nun war er dreissig.
Vor ihm ein osmanischer Entstellter, der sich mit seinen übergroßen Ohren Luft zufächelte. Etwas weiter saß Pickelkai, dessen Name Programm war.
Kenner nannten ihn auch Kraterkaiser oder Streuselkuchen. Die Mädchen warfen Ray feurige Blicke zu, doch sowas war er gewohnt. Er ließ sie unkommentiert Abprallen und stachelte sie somit zu noch mehr Hingabe an.
Allen Schulgepflogenheiten zum Trotz öffnete er eine Büxe Bier und versteckelte sie hinter einem hochkant hingestellten Mathebuch. Ab und an genehmigte er sich einen würdevollen Schluck außerhalb des Sichtbereiches seines Lehrers, doch der war ohnehin mit anderem beschäftigt.

Auf dem Weg zur Arbeit war er wie üblich stocksteif und hastig durch die belebte Fußgängerzone gelaufen, als er versehentlich mit einer Horde überaus gewaltbereiter Skinheads kollidierte. Rein aus Reflex entwich ihm ein strenges „Heey!“.
Ein großer Fehler! Der Gangleader drehte sich um und ballte seine Faust zu einem dicken Klumpen Haue und wollte gerade abdrücken, als Fuzzy sich mit einem unerwarteten Anflug von Heroismus auf doppelte Größe aufplusterte und so hart er konnte sagte:
„Sie werden doch wohl keinen Brillenträger schlagen, oder wie sieht´s aus?!“ Sein zorniges Gegenüber nahm Fuzzy behutsam die Brille von der Nase und vollbrachte sein grausiges Werk.

Nun saß er mit diversen Schwellungen an seinem Pult und versuchte, seine Brille geradezubiegen, oder nötigenfalls mit einem Pflaster zusammenzukleben.
Er hatte Aua. Während der arg mitgenommene Pädagoge so dasaß und sich selbst bemitleidete, hatte Agent Ray sein Bier leer. Er knüllte die Dose mit einer derartigen Gleichgültigkeit zusammen, daß es einem die Schuhe auszog.
Die Mädchen in seiner Nähe fingen synchron an zu menstruieren, vor lauter emotionaler, hormonbedingter Faszination. Dann warf er die zu einem Diamanten gepresste Bierdose mit einer souveränen Bewegung schwungvoll aus dem geschlossenen Fenster auf den ein Stockwerk darunter befindlichen Schulhof. Anschließend öffnete er das nächste zischende Getränk gleicher Herkunft.
Sekunden später platzte die knallgelbe Klassentür auf und mit viel Elan betrat der Herr Direktor das Klassenzimmer. Das Futtvieh!
„Darf ich fragen, wer da gerade etwas aus dem Fenster geschmissen hat?
Das geht doch nicht! Nicht mit mir, meine Herren! Wo ist der Schuldige?“
Der arme Fuzzy wurde kreidebleich, denn im Geheimen hatte er mitbekommen, was Ray da trieb. Und trotzdem nix gesagt, er hatte schließlich ganz andere Sorgen. Wenn sein Chef davon Wind bekommen sollte, ach du Scheiße!
Einem Imperatoren gleich, schritt das Futtvieh durch die von Schulbänken gesäumten Reihen und sah jeden Schüler genau an. Man konnte förmlich seine Boshaftigkeit in der Luft rumpupsen hören, so fies war er.
Als er sich dem Sitzplatz von Ray näherte, und somit auch der verborgenen Bierdose, wurde es Fuzzy ganz anders. Er schwitzte wie Sau und sein Puls glich dem eines hurtig umherhuschenden Frettchens, er wußte sich nicht besser zu helfen, und so gestand er alles!
Wolk, das Futtvieh mit Mundgeruch, schnaubte wütend wie ein Mondkalb und führte den Englischlehrer ab, in die Katakomben seines Direktorenkabuffs.
Nun war die Klasse allein mit sich. Ohne autoritäres Aufsichtspersonal verwandelte sich die Klasse rubbeldikatz in den reinsten Affenstall.
Ray hatte aber gerade keine Lust auf Zores, und als ihn ein Blödmann Namens Citrovic zu Nahe und damit in die Quere kam, packte ihn der Geheimagent am Hemdsärmel und warf ihn achtkantig aus dem Fenster. Man brauch sich schließlich nicht alles gefallen zu lassen.
Aufs Neue flog die Tür auf, prallte gegen die Wand und verging. Wie von der Tarantel gestochen, stürzte das Futtvieh durch die eben gerade entstandene Öffnung und rief „Da hat gerade wieder jemand was aus dem Fenster geworfen, ich hab´s genau gesehn!“
Doch der unwahrscheinlich gescheite Geheimsupersonderspezialagent war schon weg, denn der Rauswurf des blöden Schülers war genauestens geplant gewesen. Ray wollte das Futtvieh mit diesem Manöver ablenken, um selbst in sein Kabuff einzudringen und den verschleppten Fuzzy zu befreien. Wenn dieser mit den dunklen Mächten des Futtviehs im Bunde stünde, hätte er sich nicht für seinen Schüler geopfert, so viel ist mal sicher. Ray konnte ihn nicht der Gewalt des Dämonen überlassen.

Verstohlen und sich umblickend, überquerte der Agent einen kleinen, offenen Hof, quasi den Zubringer zum Sekretariat in welchem sich des Futtvieh´s Folterkabuff verbarg. Die Doppeltür ließ sich leicht öffnen, er trat ein und stand vor der zickigen Alten von vorhin.
„Was willst du denn hier, hast du nicht Unterricht jetzt?“ fragte sie herrisch. Aber Ray ließ sich nicht beirren und entgegnete folgenden Monolog:
„Seit wann duzen wir uns, sie doofe Nuss?“
Bei diesen Worten ließ er sich erotisch eine kecke Haarsträhne ins Gesicht fallen und bleckte lasziv die herrlich perlweißen Zähne, die im flackernden Neonlicht glitzerten wie tausend Golddublonen in der Schatzkiste vom Playmobilpiratenschiff.
Die alte Schrulle zuckte zusammen, stöhnte auf und wurde von lange vergessenen Gefühlen geschüttelt, derer selbst sie sich nicht mehr erwehren konnte! Dies nutzte der Agent zu seinen Gunsten und zur Flucht. Er schlich an der sich selbst befruchtenden Schrappnelle vorbei, und weiter gings über einen unglaublich rauhen Teppich, der selbst durch die rutschhemmenden Sohlen von seinen Schuhen piekste, um die Ecke und weiter geradeaus an der fleischfressenden Topfpflanze vorbei die träge vor sich hin schnappte, die Toilette linkerhand passierend direkt vor die zentimeterdicke, stahlverstärkte Mackeronitür in der Farbe von angebrannter Butter, hinter der sich der Entführte befand.
Ray konnte ihn atmen hören. Sein analytischer Verstand ermöglichte es ihm, in Windeseile das popelige Fahrradschloß zu knacken, das dieser dämliche Wolk wohl als Bollwerk betrachtete. Er drückte die Tür auf und erblickte seinen Englishteacher an einen Stuhl gefesselt.
Der dämonische Direktor war gerade im Begriff gewesen, Fuzzy zu demütigen indem er immer wieder in sein Büro eintrat, nur um Fuzzy anzuschreien:
„Stehn sie gefälligst auf, wenn ein Vorgesetzter den Raum betritt!“
Doch Fuzzy konnte nicht!
So wollte er ihm ein gepflegtes, aber saftiges Disziplinarverfahren an die Backe nageln. Ja, das Futtvieh war sehr, sehr hinterfotzig.
Nachdem Ray Fuzzy befreit hatte, indem er seine Ketten mittels Spezialgentenradiergummi durchrubbelte, dankte der Lehrer ihm auf Knien und schwor ewige Gefolgschaft und Treue. Total dramatisch.
Plötzlich hob der erstaunlich jugendliche Agent den Kopf.
Eine kaum wahrzunehmende Dissonanz im Teilchengefüge der Atmosphäre machte Ray darauf Aufmerksam, daß sich der Dämonendirektor näherte. Zusammen mit Fuzzy verließ er schnell das Kabuff durch das Fenster, wobei er selbstverständlich eine bessere Figur machte als der soeben Gerettete.
Sie begaben sich wieder in die Klasse, sorgten erstmal rüde für Zucht und Ordnung, und machten ganz normal mit dem Unterricht weiter, so als ob nix geschehen wäre. Das Futtvieh hatte nichts in der Hand.

Am Abend dieses aufregenden Tages schleppte Fuzzy seinen Heldenschüler zum Dank in die Kneipe. Sie kippten ein paar fröhliche Liter, das war für Fuzzy ziemlich ungewohnt, weil er normalerweise nur Buttermilch und Kefirzeug oder Sojapampes in sich einfüllte. Dementsprechende Wirkung zeigte das Bier, und der ansonsten äußerst disziplinierte und beherrschte Lehrer begann, den Laden heimlich zu demolieren.
Die völlig schuldlosen Kacheln im unteren Bereich der Bar fielen seinen, in Sandalen eingebetteten und dennoch bestrumpften Füssen zum Opfer, zahllose Bierdeckel wurden schreiend punktiert und sogar durchstossen.
Zur Krönung blies er in einen vollen Aschenbecher und lachte und freute sich über seinen nun grauweißen Bart wie ein kleines Kind wenns schneit.
Eigentlich wollte Agent Ray mit ihm einige Ungereimtheiten diskutieren und ihm ein paar Würmer aus der Nase ziehen, den Fall Futtvieh betreffend. Aber da dies nun nicht mehr möglich war, machte er das einzig richtige, stieß mit Fuzzy an und trank sich selbst unter den Tisch.
Dort unten traf er auf die Kellnerin, welche gerade eine Bierlache Korn wegwischte. Er stürzte direkt in ihr prallgefülltes Dekolletee und schlief überwältigt ein.


Am nächsten Morgen.
Ray saß mit schwerwiegenden Kopfschmerzen auf seinem Stühlchen und wohnte dem Unterricht des Quellkopps bei. Quellkopp war der Geschichtslehrer.
Er verfügte über eine beachtliche Zahnlücke, somit war er in der Lage,
zu sprechen ohne die Zähne auseinander zu machen. Manchmal verfing sich der Wind darin und pfiff sein immerwährendes Lied.
Der Unterricht war ziemlich langweilig, die Schüler spielten Schiffe versenken und Käsekästchen. Plötzlich wurde einem Bub namens Laaaß ganz schlecht, er stürzte zum Fenster und kübelte laut brüllend sein Frühstück nach draußen. Agent Ray notierte diese Auffälligkeit, möglicherweise konnte er einmal darauf zurückgreifen. Da schellte es zur Pause.
Die Schüler stürmten laut schreiend nach draußen auf den Schulhof.
Manche verzogen sich in die Raucherecke, andere gingen aufs Klo. Ray hingegen stromerte durch das Gebäude. Er suchte den Getränkeautomaten, denn er hatte einen gewaltigen Nachbrand.
„Wo steckt eigentlich Fuzzy? Dem muß es doch genauso beschissen gehen wie mir.“ dachte Ray bei sich. Und tatsächlich, er war nirgends zu sehen, nicht im Lehrerzimmer, nicht auf der Toilette und schon gar nicht auf dem übervölkerten Hof. Ray wollte sich schon Sorgen machen, da entdeckte er endlich den Automaten. Er zog sich eine Bloody Mary, und vergessen waren alle Befürchtungen.
Da, eine Durchsage wurde durch das Durchsagungsübertragungssystem durchgesagt. „Schüler Ray bitte unverzüglich ins Sekretariat, Schüler Ray bitte.“
Was hatte das denn zu bedeuten? Eine Finte von Direktor Wolk? Wahrscheinlich. Er trank aus und machte sich auf die Socken. Die fiese Sumpfralle im Sekretariat schickte ihn gleich durch in Wolks Kabuff.
Die Tür stand bereits offen. Ray trat vorsichtig ins Allerheiligste und sah den Direktor auf seinem Thron sitzen. Der Dämon machte den Mund ganz breit und zeigte so was wie ein Grinsen.
„Setz dich ruhig, mein kleiner. Ich weiß genau was du für einer bist. Harhar.“
„Wat?“ entgegnete Ray. Wolk wurde langsam zornig.
„Du hast mich doch genau verstanden!“
Also nahm Ray Platz. „Du steckst mit diesem Englischlehrer unter einer Decke, hab ich recht?! Aber ich lasse mich nicht veralbern, mich kriegt ihr nicht klein! Zur Strafe für dein widerspenstiges Verhalten darfst du heute Mittag den kompletten Hof fegen und die Kippenstummel aufsammeln. Har har!“
Ray fühlte sich über den Tisch gezogen. „Aba wiso?“
„Das weißt du ganz genau! Wegen dir hat sich euer Lehrer heute Krank gemeldet. So nich! Und jetzt ab in die Klasse, es hat schon lange geklingelt.“
Also zog Ray von dannen. Er ging wieder in seine Klasse, setzte sich an seinen Platz und schmollte ob seiner Strafe. Der Entefahrer neben ihm konnte ihn ein wenig aufheitern, indem er mit Ray Flugzeuge aus Kulis und Linealen bastelte, diese mit voller Wucht wegwarf und sich freute, wenn sie irgendwo steckenblieben.

Der Nachmittag traf ein, der Schulhof war menschenleer und die Sonne brannte lichterloh am Firmament.
Der arme Ray überquerte den Hof mit seinem Besen, fegte alles beiseite und stapelte seufzend Zigarettenstummel aufeinander. Da die meisten von ihm stammten, war sein Ekel nicht ganz so groß. Trotzdem war er stinksauer auf das Futtvieh. „Dämlicher Sack, ich krieg dich an den Eiern, wirst schon sehn. Arschkeks!“
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, daß der garstige Direktor ihn durch das Fenster seines Kabuffs hindurch beobachtete. Sein diabolisches Grinsen spiegelte sich in der Scheibe wider, wurde reflektiert und traf den Besitzer mitten in die Visage.
Da dies Schmerzen verursachte, wich Wolk vom Fenster zurück und schimpfte mit sich selbst wie mit einem kleinen Kind.
Ray lachte in sich hinein. Er nutzte den Augenblick und verschwand in die Mädchenumkleide der ansässigen Turnhalle. Dort zog er sich um und vollbrachte in der leeren Halle sein anstrengendes und geheimes Agententraining. Stundenlang quälte er sich selbst, dann saß er schwitzend und schnaufend wie ein Ochse auf der Bank und machte eine Pause. Knarzend ging die Tür auf und die Sportlehrerin trat unerwartet ein. Sie trug schicke Turnschuhe, sonst nichts. Als sie den muskulösen Recken erblickte, erschrak sie ein wenig.
„Huch! Ich dachte, ich wäre allein.“ stammelte sie nervös.
Dabei versuchte sie, ihre Blöße zu bedecken, was gar nicht einfach war. Sie hatte nämlich sehr kleine Hände.
Da Ray über gute Manieren verfügte, lieh er der Lehrerin seine knappen Sportshorts, welche sie dankend annahm. Aber nun stand er ohne alles da,
was die Lehrerin wiederum veranlasste, ihm auf die Pelle zu rücken.
Und so vernahm das elende Futtvieh in seinem Büroverschlag ein leichtes Erdbeben und Gekreische, welches seltsamerweise aus der Turnhalle zu kommen schien. Doof wie er war, dachte er sich nichts dabei.
So nahm auch dieser Tag ein glückliches Ende für alle Beteiligten.

Ray fuhr in den hiesigen Einkaufcenter und parkte kreuz und quer
in drei Parkbuchten, er stieg behende aus und ließ seine Haarpracht mit der Sonne um die Wette funkeln. Er machte einen müden Eindruck, trotz seines schillernden Outfits. Er trug zerissene Jeans und ausgelatschte Turnboots,
und der modische Dreitagebart war mittlerweile einem Viertagebart gewichen.
Er machte einen unabsichtlichen Schlenker und fand sich in der Blumenabteilung wieder. Verdutzt zerrte er ein paar Welkrosen aus dem Topf und überreichte sie freudestrahlend der Verkäuferin. Diese fühlte sich geschmeichelt und wollte schon eigens für ihn früher Feierabend machen, aber er war nicht zu diesem Zwecke hergekommen. Sein Besuch lag zwangsläufig am Bombenschädel.
Der Abend mit Fuzzy, die Marter auf dem Schulhof und die unersättliche Sportlehrerin hatten tiefe Spuren hinterlassen.
So schlenderte er träge durch die verwirrenden Gänge des Einkaufstempels,
da rief eine Stimme hinter ihm:
„Weg da, du Penner! Ausser Bahn!“
Ray fuhr zusammen. Er drehte sich um und blickte direkt in das haßerfüllte Gesicht von Klaus Kinski.
Als dieser ihn erkannte, sank er bedächtig auf die Knie und entschuldigte sich unter Tränen. Klaus und Ray kannten sich von früher mal.
Nachdem Agent Ray nocheinmal Gnade hatte walten lassen, durchwanderten beide gemeinsam den Laden.
Klaus legte sich unterwegs unentwegt mit hilflosen Passanten an, pöbelte sie voll und ließ des öfteren die Fäuste sprechen. Da kannte er ganix.
Dann hielt er urplötzlich inne und schrie wie von Sinnen: „Eine Vision! Ich habe eine Vision. Zu Hiiilfee!!“
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte, wild mit den Extremitäten wedelnd, durch den Markt und rief in einer Tour:
„Hiilfe! Ich brauche Hilfe. Zu Hiiiilfee!“
Ray wurde es langsam zu blöd, er setzte seinen Weg fort und machte in der Alkaseltzerabteilung Rast. Er griff sich ein Röhrchen des begehrten Gebitzels, öffnete eine Flasche Bier, warf eine Tablette hinein und wartete geduldig auf die Auflösung. Klaus rannte vorbei und schrie: „Hilfee. Wieso hilft mir niemand?“ Ray schüttelte den Kopf, was mit Schmerzen verbunden war.
Sein Telefon rappelte, und als er dranging, bemerkte er, daß am anderen Ende der Leitung auch jemand dran war.
Und zwar sein alter, hochgeschätzter Kollege Harry. Dieser verklickerte Ray, daß er von GEIST als Verstärkung geschickt werden sollte. Der enorm heldenhafte Superagent Ray brauchte doch wohl kein Kindermädchen, er ist bis jetzt noch immer bestens alleine klargekommen. Unverschämtheit.
Aber weil Harry und er sich lange kannten, willigte er ein.
„Na gut, alte Haut. Kannst vielleicht meinen Rucksack tragen. Bis morgen in aller Herrgottsfrüh.“
Nachdem die Flasche leergetrunken war, ließ er das Einkaufscenter hinter sich und fuhr mit dem Fauwehbusje nach Hause. Die Kopfschmerzen ließen langsam nach und wurden erträglich. Es war inzwischen dunkel geworden, die Nacht hielt Einzug in diese kleine verschlafene Stadt am Rande des Abgrunds. Erstaunlicherweise erspähte Ray mit geschultem Blick das furchteinflössende und scheisse einzuparkende Batmobil in einer finsteren Gasse rumstehen.
Es hatte sich verfahren und fand nun seinen Besitzer nicht mehr. Traurig ließ es die Ohren hängen und hupte einen sehnsüchtigen Bossanova, der Steine weichwerden ließ. Ray wurde warm ums Herz, er trat auf die Bremse, riß das Steuer rum und brachte so sein Auto ins schleudern.
Er kreiselte mehr oder weniger kontrolliert über die Fahrbahn und kam mit vier rauchenden Bremsplatten knapp vor dem Batmobil zum stehen.
Dann kurbelte er das Seitenfenster runter und fragte nach dem Weg.
Wie das Auto vom Knight Rider, gab das schwarzgetünchte Gefährt bereitwillig und gut erzogen Auskunft. Dabei merkte es, daß es nicht allein auf der Welt war, daß es auch ohne Michael Keaton weitergehen konnte und mußte. Es fasste neuen Mut, bedankte sich bei seinem Wohltäter und brauste hinaus in die dunkle Nacht, auf der Suche nach neuen Abenteuern.

Endlich kam Ray zu Hause an. Die Stufen rauf, husch husch, immer weiter
bis nach oben. Er zuppelte sich die verschwitzten Klamotten vom Leib und fiel erschöpft in sein lavendelfarbenes Himmelbett.
Der Sandmann kam auch rasch herbei und streute dem müden Krieger Schlaf in die Äuglein. Nachdem Ray den Eindringling rachsüchtig aus dem Fenster geworfen und die Jalousie runtergelassen hatte, schlief er friedlich grunzend ein.


Der Tag brach an, und zwar mit unsäglichem Getöse. Irgendein Vollspinner hatte in Ray´s Einfahrt geparkt und hupte was das Zeug hielt.
Als Ray die Melodie erraten hatte, lunzte er verschlafen aus dem kristallenen Fenster und erblickte seinen Kollegen Harry, der fröhlich auf und ab hüpfte
und winkte.
„Hey Ray! Komm runter, Schule fängt an.“ rief er zu Ray empor.
Schnell rasierte er sich, tupfte die blutigen Stellen ab und eilte die Marmorstufen herunter, hin zu Harry und seinem Gefährt.
Es war ein uralter, verrosteter Maiskolbentransporter in Babyblau,
welchen Harry halbtot auf dem Dachboden seiner dreivierteltoten Großmutter gefunden hatte.
Harry und Ray begrüßten sich mittels geheimem Agentengruß, dann stiegen sie in das schaukelnde Ungetüm und brausten scheppernd los.
Mit exakt 48 Sachen schoß der Maiskolbentransporter über die Überholspur des hiesigen Freeways, Rauchschwaden hinter sich herziehend.
Ray schnippte sich eine Kippe in den Mund und aktivierte sein Vorkriegszippo.
„Ssigareddde wech!“
plärrte Harry ihn an. „Dies ist ein Nichtraucherfahrzeug, allein schon wegen des Wiederverkaufswertes! Hier, trink lieber nen feinen Schaddoneh zum Frühstück.“
Also schenkte Ray zwei Gläser ein, überreichte eines davon seinem Kollegen und stieß mit ihm an. Dann weihte er ihn in des Futtvieh´s Machenschaften ein, berichtete über seine bisherigen Erlebnisse und Abenteuer mit Fuzzy,
dem krausbärtigen Englischpädagogen.
Harry parkte seinen Wagen direkt vor dem Haupteingang der Schule.
Sie stiegen aus und Ray zündete sich endlich eine Zigarette an.

Tief inhalierte er die giftigen Gase verbrannten Tabaks, atmete den kohlenmonoxydhaltigen Rauch aus und beobachtete, wie die bläulichen
Schwaden in lustigen Kringeln gen Firmament schwebten.
Harry hingegen zog eine Bierdose aus dem Halfter, öffnete sie in einer
Art und Weise, als hätte er nie etwas anderes getan, und exte professionell ab, nicht ohne im Anschluß einen provozierend maskulinen Rülpser in die Prärie zu brüllen. So markierte er sein Revier, so hatte er es gelernt und so machte er es immer und überall. Ray applaudierte beeindruckt.
Sie schritten den Hof ab, inspizierten subversives Gesocks, begutachteten auffällige Rucksäcke und sonnten sich ansonsten in dem ihnen zustehenden
Ruhm und Glanz.
Ray war wie immer astrein gekleidet. Der Schnitt im Schritt seiner engsitzenden Jeans sorgte allerorts für schmachtende Blicke, er hinterließ eine Schneise gebrochener Mädchenherzen während er sich fortbewegte.
Auch seine Lederjacke war vom Allerfeinsten, sie bestand aus der Haut eines mittlerweile verstorbenen Veloceraptors, abgezogen, geklöppelt und geschmiedet von König Kallewirsch höchstpersönlich, welcher bei der Herstellung auf tragische Weise den Tod fand, er hatte nämlich blöderweise die doch recht scharfkantigen Zähne des Urviechs an der Lederjacke drangelassen,
und als er den Kragen schloss, bemerkte er eindrücklich und nachhaltig seinen Fehler weil sein Kopf nun ab war.
Nun, tausende von Jahrzehnten später gehörte diese sagenumwobene Jacke
dem Agenten Ray. Natürlich wußte er um ihre tödliche Eigenschaft, aber er passte halt besser auf.
Ray´s Schuhe waren perfekt auf den Rest abgestimmt; schlampig zugeschnürte und dreckige Slipper mit Klettverschluß, die nach altem Kino rochen.
Hilfsagent Harry trug einen Lappen aus dem Fell eines noch lebenden Vielfraßes, das er in liebevoller Heimarbeit solange umgestaltet hatte, bis es wie ein original Hawaiihemd aussah und somit, wie er fand, seine Figur wohlwollend untermalte.
Auf seinem Kopf thronte ein speckiger Kaubeuhut, um seine beginnende Halbglatze zu kaschieren. Schließlich mußte auch er als Jugendlicher durchgehen, genau wie Kollege Ray, dem dies naturgemäß um einiges leichter fiel.


An diesem Morgen begann die allseits beliebte Projektwoche.
Schülergruppen taten sich zusammen um einem interessanten Hobby zu frönen. So gab es beispielsweise eine rein aus Mädchen bestehende Angelgruppe,
sie hatten zwar nie etwas gefangen, dennoch roch es irgendwie verdächtig nach Fisch.
Oder einen Kursus in Briefmarkenalbumzeigen für frühpubertierende Knaben, eine Gemeinschaft für künstliche Fingernägel bekleben mit Straßperlchen
und sogar einen Kurs in basteln und knatschen von Sexspielzeug aus Pappmachee gab es.
Harry und Ray eroberten sich einen Platz im Kurs Biogenetik
und erschufen versehentlich das wegweisende Schwind, eine Kreuzung aus Schwein und Rind, auch Rindschwein genannt, welches es ermöglichte,
Gehacktes Halb und Halb aus nur einem Viech herzustellen.
So bekamen sie in der großen Pause eine Kreuzung aus Friedensnobelpreis und Bundesverdienstkreuz, genannt Frinobuz..
Davon konnten sie sich aber auch nichts kaufen, also werkelten sie fleißig
weiter an ihren gespenstischen Experimenten.
Blöderweise war das ganze Tohuwabohu nicht unbemerkt an Futtvieh vorbeigegangen. Er war total eifersüchtig auf den weltbewegenden Forschungserfolg seiner beiden Widersacher und er war beseelt vom Gedanken,
sie so bald wie möglich auf irgendeine grausame Art und Weise
kaputt zu machen.
Er schritt wie ein Tiger mit Drehwurm in seinem Kabuff auf und ab,
dabei hinterließ er tiefe, nicht mehr wegzudenkende Furchen im noblen Teppich, weil er die Füße nie weit genug anhob. Er schlurfte regelrecht durch die Gegend, und seine Mutti hatte immer geschimpft und ihn ohne Abendessen und ohne Fernsehen ins Bett geschickt.
Wahrscheinlich ist er desdewegen heute ein gesuchter Schwerverbrecher und Unhold, der die Menschen haßt. So kanns gehen.
Er ließ die Jalousien herunter und verdunkelte somit sein Refugium, dann zündete er zwölf Kerzen an und verteilte sie kreisförmig auf dem Boden.
Er setzte sich im Schneidersitz mittenrein in den Zirkel, was für sein Alter und seinen Allgemeinzustand eine beachtliche Tatsache war, und fing an,
in für menschliche Ohren unhörbaren Tönen Beschwörungen zu brabbeln.
Direktor Wolk sprach zu seinem Schöpfer um sich für den nächsten Angriff zu stärken. Die Geheimagenten waren in höchster Gefahr!


Unbemerkt von der Aussenwelt zuckten in Wolks Büro gleißende Blitze vom Firmament.
Ein tobender Sturm umbrauste das Futtvieh, aber ohne die Kerzen zu löschen.
Er fühlte, wie dunkle Magie durch seinen Körper raste und ihn noch bösartiger werden ließ. Als er der Meinung war, daß es nun genüge, stand er auf um seinem Meister auf Knien zu danken.
Da schlug einer der Blitze in den für Direktorenbüros so obligatorischen Fernseher ein, es knallte und rauchte abartig, das Futtvieh erschrak und fiel blöd hin.
Und als er schmerzgepeinigt wieder aufstand, mußte er verdutzt sowie geschockt feststellen, daß nur noch elf der Kerzen anwesend waren.
Sein neuer Racheplan war also erstmal in die Hose gegangen, er mußte kurzfristig zum Arzt.

Für diesen Tag war die Schule erstmal fertig. Feierabend.
Agent Harry lungerte bereits auf der Ladefläche seines Maiskolbentransporters rum und vergnügte sich mit einem Fäßchen Tequila und dazugehörigem Wurm. Dieser war selbstverständlich entsprechend groß, und nur ein Mann wie Harry konnte eine solche Aufgabe bewältigen.
Da kam Fuzzy vorbei.
„Heeeeeey, was glaubst du eigentlich was du da tust? Du bist doch viel zu jung für sowas. Mensch!“
Harry wußte, daß seine Tarnung annähernd perfekt war. Mit einer großkotzigen Geste winkte er seinen Englischlehrer näher, um ihm im gleichen Atemzug direkt und unausweichlich seine Fahne um die abstehenden Ohren zu hauen.
Fuzzys lockige Haarpracht hing nunmehr glatt und traurig vom Kopf herab,
das bedeutete Überstunden für seinen Friseur.
Und wieder entwich ihm sein typisches „Heeeeeeey!“
Ray, welcher sich mit irgendwelchen Mädchen im Gebüsch herumtrieb,
wurde jetzt aufmerksam und kam auch schon angerannt, seine Hose zumachend, um nach dem Rechten zu schauen.
Als er die Szenerie erblickte, welche sich ihm feilbot, wurde er kreidebleich. Das hier konnte ihre Mission ernsthaft gefährden.
Fuzzy hatte seine Brille abgenommen, seinen Rucksack abgelegt
und die Ärmel hochgekrempelt. Er tänzelte kampflustig vor Harrys Truck herum und stupste dauernd seine Nase mit den Daumen, so hatte er es mal in einem Film gesehen.
„Kommt doch, kommt doch alle her!“ schrie er zornig.
Fuzzy war erstmals auf hundertachtzig.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.09.2008

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