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Kapitel 1







„Was soll das? Warum um Himmelswillen müssen wir umziehen?“
„Dein Vater hat dort Arbeit gefunden. Du weißt doch, dass es schwierig ist für ihn. Tu es ihm zuliebe.“
„Warum ausgerechnet Amerika? Und dann auch noch irgend so ein kleines Kaff am Ende der Welt?“
„Warst du es nicht, die so unbedingt ihre leiblichen Eltern finden wollte? Wir haben dich damals genau in diesem Ort vor unserem Bungalow gefunden. Die Geschichte kennst du ja. Vielleicht findest du einen Teil deiner leiblichen Familie dort.“
„Natürlich will ich wissen, wo meine Wurzeln sind, aber das heißt doch nicht, dass ich gleich für immer und ewig dort leben will, verdammt!“
„ Saphira-Diamond Jones! Jetzt bekomm dich mal wieder ein! Wir haben es nur gut gemeint!“
„Ja, ihr meint es immer nur gut mit mir.“
Mit einem lauten Knall schlug sie die Haustür hinter sich zu.

* * *


Wie ein funkelnder Schleier, legt sich die Nacht über die Stadt. So klar ist sie in London nur selten. Kühler Wind weht ihr ins Gesicht, als wolle er sie streicheln. Die Sterne funkeln am Firmament wie tausend kleine Augen, die wachend auf die Erde blicken. Sie starrt in den Himmel, als hätte sie noch nie etwas Schöneres gesehen. Als sie eine Sternschnuppe aufblitzen sieht, schließt sie bedacht die Augen und fängt an zu wünschen. Ihre Liste ist lang, doch ihr größter Wunsch kommt ihr gleich in den Sinn. Nur einmal mit den Vögeln fliegen, über die Dächer Londons, weit hinaus, wo nur noch kleine Einfamilienhäuser stehen und die Idylle perfekt ist. Sie will nur einmal Freiheit verspüren, weg sein von allen Sorgen, frei, wie ein Vogel.
Sie lässt sich auf eine kleine Bank nieder. Der Straßenlärm klingt in ihren Ohren. Die monotone Melodie der Großstadt, die weder Tag, noch Nacht kennt. Der vertraute Lärm der Autos, Motorräder und Straßenbahnen. Es ist kalt hier draußen. Kühler Dezemberwind zerzaust ihr Haar, an dessen Spitzen sich langsam Reif bildet.
Nicht mehr lange und all das würde der Vergangenheit angehören. Schon Übermorgen geht der Flug nach Amerika. Ein Weg in eine ungewisse Zukunft. Sie wird all das hier vermissen. Tränen laufen über ihre Wangen, als Schneeflocken vom Himmel fallen, wie tausend kleine Diamanten. Sie denkt zurück an ihre Kindheit, an 15 lange Jahre, die sie in dieser Stadt verbracht hat und wünscht sich abermals, einfach davon fliegen zu können.


* * *

„So, was willst du an deinem letzten Tag tun?“
„Am liebsten würde ich einfach weg fliegen. Ich will, dass uns beiden Flügel wachsen und wir einfach abheben!“
„Ich werde deine Tagträume vermissen!“
„Und ich werde dich vermissen, Lea.“
Lea ist seit dem Kindergarten ihre beste Freundin. Sie waren immer unzertrennlich, doch jetzt nimmt alles ein Ende. Es fällt Saphira unheimlich schwer ihre einzige wirkliche Bezugsperson zurück zu lassen.
„Lass uns einfach reden. Über vergangene Zeiten. Über das, was bald sein wird.“
„Du wirst immer meine beste Freundin sein, Phira, das weißt du doch.“
Saphiras Ängste werden von Minute zu Minute größer. Die ganze Nacht unterhalten sie sich. Sie werden Brieffreundinnen bleiben, sich alles erzählen, das schwören sie sich. Doch in diesem Moment weiß Saphira noch nicht, dass sie diesen Schwur schon bald brechen muss.

Ein weiterer grauenvoller Tag beginnt. Bei weiten der Schlimmste von allen. Am Flughafen angekommen, fällt sie Lea erneut in die Arme und beginnt bitterlich zu weinen. Beide schluchzen eine Weile und geben sich eine Menge Versprechen.
„Ich schreibe jeden Tag eine Mail. Ich liebe dich, Maus!“
„Ich dich auch!“
Nur schwer konnten sie sich von einander lösen. Auch Phiras Mutter war den Tränen nahe.
Auf in ein neues Leben, eine neue Welt und eine ungewisse Zukunft. Ihr wird ganz übel, als sie daran denkt.
Im Flugzeug ist es eng. Die Luft macht ihr das Atmen schwer und das monotone Geräusch der Turbinen erinnert sie an den Straßenlärm in London. Tränen fließen über ihre roten Wangen. Sie sieht aus dem Fenster. Von oben sehen die Wolken wunderschön aus.
Sie legt ihren Finger an die Scheibe und beginnt Motive zu zeichnen. Sie erschreckt, denn es ist, als würde ihr Finger in die Wolken einschneiden, obwohl sie sie nicht berührt. Sie schiebt das Ganze auf die Müdigkeit und ihre verheulten Augen. Sie seufzt und versucht zu schlafen.
Als sie die Augen öffnet, ist sie in den Lüften. Der Wind peitscht ihr die Haare ins Gesicht. Schwerelos gleitet sie durch die Lüfte. Sie spielt mit den Vögeln und gleitet höher und höher, bis sie sie Oberfläche der Wolkendecke erreicht. Sie zeichnet Formen in den Himmel. Endlich ist sie frei.
„Wir sind da!“
Die Stimme ihrer Mutter lässt sie aus ihrem Traum erwachen. Sie stutzt. Dieser Traum war verblüffend echt.


Kapitel 2






Die Empfangshalle ist überschaubar. Wenn man Londons Flughafen mit einem Fußballstadion gleichsetzt, so wäre das hier gerade einmal der Bolzplatz der Juniorenmannschaft eines Einhundertseelendörfchens.
„Wir müssen hier lang!“
Hastig laufen sie zur Kofferausgabe. Genervt nimmt Saphira ihren hellblauen Koffer, in dem sich nur das nötigste befindet, da das gesamte Hab und Gut der Familie in einem großen Container auf dem Seeweg von England nach Amerika ist. Endlich an der frischen Luft angekommen, steht auch schon ein Taxi bereit. Mit amerikanischem Akzent fragt der Fahrer Saphiras Dad, wo die Reise hin gehen soll. Dieser kramt darauf hin in seiner Hosentasche und holt ein sorgfältig gefaltetes Papier hervor, auf welchem er mit geschwungener Schrift eine Adresse notiert hatte. Der Fahrer meint nur, dass das Ganze ziemlich teuer werden wird und gibt Gas.
Sie schaut aus dem Fenster und sieht nichts außer Wald. Überall stehen große Fichten. Saphira stöhnt, als sie ein Schild liest: „Willkommen in Detroit!“
Wie um Himmels Willen soll man sich hier denn willkommen fühlen. Viel weiß sie noch nicht über ihre neue Heimat. Sie werden in einem kleinen Haus am Waldrand wohnen und Saphira wird eine winzige High School, irgendwo in der Nähe, besuchen. Die Stadt ist öde. Ein Mann mit Cowboyhut, eine alte Dame mit Pelzmütze und zwei kleine Kinder laufen am Straßenrand. Vor ihnen ist nichts als Wald und das Taxi steuert geradewegs auf ihn zu. Saphira wird bei jedem Meter, den sie dem Wald näher kommen, mulmiger zumute. Am liebsten würde sie aussteigen. Mitten im Wald hält das Taxi und der Fahrer kassiert eine beträchtliche Summe. Kaum sind sie ausgestiegen, verschwindet das Taxi langsam in Richtung Zivilisation. Es riecht so stark nach Tannennadeln und frischer Erde, dass sie angewidert ihre Nase rümpft. Warum um alles in der Welt sind alle hier so fröhlich? Das „Haus“, wenn man es so nennen kann, steht am Ende einer kleinen und unbefestigten Straße. ´Wenn wir da angekommen sind, kann ich meine Schuhe wegschmeißen! ´, war ihr erster Gedanke. Mit riesigen Matschklumpen an den Schuhen, stehen die drei vor der Haustür und ihr Vater versucht verzweifelt den Schlüssel im Schloss zu drehen. Nach drei ganzen Minuten macht es „klick“ und die Tür öffnet sich mit einem lauten knarrenden Geräusch.
Es ist unwesentlich größer, als die Wohnung in London, nur älter.
„Das ist dein Zimmer!“
„Du liebe Güte!“
Sie betritt einen winzigen Raum. Eher eine Kammer, als ein Zimmer. Durch ein kleines Fenster scheint Licht auf den dunklen Boden. In einer Ecke steht ein altes Bett, in der anderen ein massiver Holztisch. Auf ihm ein uralter Computer.
„Er funktioniert noch einwandfrei.“, wirft ihr Dad schnell ein, als er ihren entgeisterten Blick sieht.
„Das glaub ich erst, wenn ich es sehe!“
Genervt verlässt er den Raum, ohne die Tür zu schließen. Mit offenem Mund sieht sie sich um. Ein dicker Klos sitzt ihr im Hals, als sie daran denkt, dass dies hier jetzt ihr neues Zuhause ist. Sie öffnet ihren Koffer und kramt ein Fotoalbum hervor, welches ihr Lea zum Abschied geschenkt hatte. Tränen fallen auf jede Seite des bunt verzierten Buches. Stunden lang sitzt sie da, bis sich die Nacht erneut über den Tag legt.


Kapitel 3





Der Morgen reißt sie unsanft aus dem Schlaf. Da war wieder dieser Traum, den sie auch schon im Flugzeug gehabt hatte. Dieses Gefühl der Schwerelosigkeit fühlte sich so echt an. Sie wischt sich über die Augen und schaut verträumt aus dem Fenster. Ein wunderschöner Tag ist angebrochen. Der Himmel ist klar und der Wind wiegt die feinen Äste der Bäume sanft in seinen Armen. Es dauert eine kleine Weile, bis sie realisiert, wo sie ist. Sie schaut auf ihr Bett und blickt auf die letzte Seite des Albums. Lea und sie in einem Rahmen aus roten Rosen. Sie sehen so glücklich aus. All das ist Vergangenheit. Die schwere ihrer Seele kehrt zurück und droht sie zu erdrücken. Sie springt auf, klaubt ein paar Sachen zusammen und verschwindet im Bad. Als sie erneut ihr Zimmer betritt, wirft sie einen Blick auf die Uhr. Sie erschrickt, als sie sieht, dass es erst sechs Uhr morgens ist. Sie weiß, dass sie nicht mehr schlafen kann und zieht ihre Schuhe an. Der Wind macht es ihr schwer, die Tür zu schließen. Als sie den Schmalen Waldweg betritt, atmet sie tief ein. Immernoch riecht es nach Tannennadeln und frischer Erde, nur, dass ihr der Geruch plötzlich gefällt. Sie geht tiefer in den Wald. Das rötliche Morgenlicht scheint durch die Baumkronen und lässt den Weg vor ihr erstrahlen. Ihre Füße tragen sie, wie von allein. Sie schließt ihre Augen und sieht sich fliegen, wie in ihren Träumen. Das Knirschen der Äste unter ihren Füßen verstummt plötzlich. Sie blinzelt nach unten und sieht, wie sie in der Luft zu laufen scheint, erschrickt und fällt. Der Aufprall ist dumpf. Sie krallt sich in die Erde unter ihr und ordnet ihre Gedanken neu. Was zur Hölle war das? Hatte sie sich das eben nur eingebildet, oder kann sie tatsächlich fliegen? Sie steht auf und schließt erneut die Augen. Sie holt tief Luft und beginnt wieder an den Himmel zu denken. Daran, wie es wohl sein mag, schwerelos zu sein. Gerade erhebt sich ihre zierliche Gestalt in die Lüfte. Zögerlich öffnet sie die Augen. Ein Lächeln fährt ihr über die Lippen. Obwohl sie eigentlich Angst haben müsste, fühlt sie sich geborgen. Sie lehnt sich nach vorne und beginnt um die Baumstämme zu fliegen. Immer mehr entfernt sie sich vom Boden, bis sie durch die Baumkronen stößt. Sie zieht Muster am Himmel. Es fühlt sich an, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan, als zu fliegen, einfach frei zu sein. Sie schließt die Augen und lässt sich tragen. Ihr Körper ist eins mit der Luft. Sie merkt zunächst nicht, dass der Wind sie sanft auf einer Wiese ablegt. Die Grashalme streicheln ihr Gesicht, als sie die Augen öffnet und von weitem eine Person sieht, die mit dem Rücken von ihr abgewandt auf einem Hügel steht und die immernoch rötliche Morgensonne betrachtet.
„Schön, dass du hier bist Saphira. So lange haben wir gewartet, dass du wieder nach Hause kommst.“
„Wer sind sie? Und was wollen sie?“
„Wunderst du dich nicht über das, was eben geschah?“
„Bin ich wirklich geflogen?“
„Ja mein Kind.“
„Wer sind sie?“
Die zierliche Frau, deren lange Haare im Wind wehen, dreht sich langsam und bedacht um. Als sie ihren Blick hebt, sieht Saphira ihre unbeschreiblich blauen Augen. Immer dachte sie, dass es nichts auf der Welt gäbe, das blauer war, als ihre eigenen, doch in diesem Moment, wird sie eines Besseren belehrt. Ein Flimmern ist in den Augen der unbeschreiblich schönen Frau zu sehen. Tränen sammeln sich in ihnen und ergießen sich über ihr wunderschönes Gesicht.
„Ich bin Breeze. Es ist so schön dich zu sehen, Saphira.“
„Woher kennen sie meinen Namen?“
„Sieh mich an! Erkennst du mich nicht ?“
Ein kurzer Gedanke lässt auch Saphira Tränen in die Augen schießen. Sie fühlt sich, als würde sie in einen Spiegel schauen. Sie ist das Ebenbild dieser Frau.
„Mutter?“
Breeze hebt ab und schwebt langsam auf Saphira zu, bis sie sich direkt vor ihr wieder zu Boden begibt. Sie schließt ihre Tochter in die Arme. Tränen laufen über beide Gesichter. Trotz, dass Saphira keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Mutter hat, ist es, als würden sie sich schon ewig kennen.
„Es tut mir so leid mein Kind. Ich wollte dich nie weg geben, aber es war das einzig Richtige. Ich musste dich schützen!“
„Schützen? Vor dem, was ich wirklich bin?“
„Auch davor.“
„Warum kann ich fliegen?“
„Komm mit!“
Sie wendet sich ab und läuft Richtung Wald. Saphira folgt ihr, unwissend, was gerade geschieht. Breeze hält vor einem großen Baum. Ohne sich umzudrehen und den Blick starr auf den Boden gerichtet, beginnt sie ihre unglaubliche Geschichte zu erzählen.
„Du bist kein Mensch, Saphira.“
„Das glaube ich auch! Ich meine, ich kann fliegen?!“
„Du musst mir versprechen, dass du alles, was ich jetzt erzählen werde, für dich behältst.“
„Okay.“
„Sicher hat deine Familie dir früher oft Märchenbücher vorgelesen. Sicher handelten sie auch von Elfen und Kobolden. Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass solche Lebewesen wirklich existieren? Was, wenn ich dir sage, dass du eine Elfe bist. Eine Luftelfe, um genau zu sein. Du hast übermenschliche Fähigkeiten und Aufgaben, Saphira!“
„Wie? Du willst mir sagen, dass ich eine Elfe bin? Dass ich noch mehr als nur fliegen kann und dazu noch Aufgaben zu erledigen habe?“
„Ja. Du bist wie alle Elfen ein Teil unseres Stammes. Da du nun hier bist, hast du Aufgaben. Du musst dich ausbilden lassen, um eine starke Elfe zu werden.“
„Nein. Ich will das aber nicht. Ich war immer ein Mensch. Ich konnte nie fliegen! Warum jetzt?“
„Du bist jetzt zu Hause. Du bist da, wo du hin gehörst, bei deinem Stamm.“
„Nein. Ich gehöre hier nicht her. Ich will keine Luftelfe oder so sein. Ich bin einfach nur Saphira-Diamond Jones.“
Sie rennt davon. Zu viel hat sie erfahren. Breeze lässt sie gehen, denn sie weiß, dass Saphira nicht ewig vor sich selbst weglaufen kann.
Sie rennt schneller und schneller. Der Boden unter ihren Füßen schwindet und sie fliegt. Sie fliegt, als wäre es selbstverständlich. Der Wind peitscht ihr die Haare ins Gesicht und bläst ihre Tränen quer durch ihr Gesicht. Sie öffnet die Haustür und rennt in ihr Zimmer. Mittlerweile ist es sieben Uhr, doch ihre Eltern schlafen immernoch. Sie lässt sich auf ihr Bett fallen und starrt die Decke an. Sie beginnt, das erlebte zu verarbeiten. Sie steht auf und kramt den Handspiegel aus der Tasche. Wütend betrachtet sie ihr Gesicht, ihre stahlblauen Augen. Schon immer wusste sie, dass sie nicht normal ist, doch dass sie eine Elfe sein soll, kann sie nicht glauben. Mit einem lauten Klirren zerspringt der Spiegel an der Wand. Wütend, starrt sie aus dem Fenster, bis sie ihren Tränen nachgibt.


Impressum

Texte: Alle Texte sind von mir verfasst. Die Rechte liegen beii mir.
Bildmaterialien: Das Cover ist selbst gemalt. Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die immernoch auf der Suche nach ihrem Platz auf dieser Welt sind.

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