Geschlecht: Weiblich
Name: Bertani
Vorname: Sascha
Alter: 16
Diagnose: Hypertrophe Kardiomyopathie
Hätte Sascha Bertani vor einer Woche gewusst das ihr Leben sich grundlegend ändern würde, hätte sie sich niemals gewünscht das alles ein wenig aufregender wäre, sie hätte sich nicht ihren langweiligen und normalen Alltag weg gewünscht. Sie hätte alles gewollt nur nicht DAS. Dieses Wissen das sie jeden Augenblick einen Herzstillstand erleiden könnte, das etwas komisches mit ihrem Körper passiert, was gar nicht zu den normalen Symptomen gehört.
Mit diesem speziellen Wissen war sie allein als sie, im strömendem Regen, auf dem Weg nachhause war. Nicht ihre Eltern, die weinend in der Küche saßen, nicht ihre Bruder, die sagte das er Sascha nicht verlieren möchte, noch nicht einmal ihre aller beste Freundin ging es etwas an. Denn ihre Angehörigen hatten diesen Schmerz nicht, sie hatten nicht die Angst das jeden Tag dieses Klopfen, welches tief in der linken Brust verankert war, aufhören könnte zu schlagen. Niemand wusste wie Sascha sich in diesen Momenten fühlte, Niemand wusste wie sehr sie versuchte stark zu bleiben und nicht die Hoffnung zu verlieren, keiner von ihnen hatte eine Ahnung davon wie schwer es war, einen winzigen, halb erloschenen, Funken Hoffnung aufrecht zu erhalten. Um ihn da zu behalten brauchte er Sauerstoff, denn ohne Sauerstoff gab es kein Feuer und ohne Feuer gab es keine Funken, Sascha hatte Angst das sie ihm diesen Sauerstoff bald nicht mehr geben konnte. Das sie diese Hoffnung einfach aufgab. Noch war sie nicht so weit, noch konnte sie es ihren Angehörigen nicht antun.
Gerade sie musste stark bleiben, sie durfte nicht wie jeder andere den Kontakt zur Realität verlieren und sich in eine Welt verflüchtigen in der alles in Ordnung war. Im Prinzip dachte sie nicht schlecht über ihre Familie, doch in diesem Moment hielt sie, sie für Feige.
Wütend kickte sie eine leere Cola Dose vom Gehweg und trat, mit Absicht, plätschernd in eine Pfütze. Die Wut verflog und sie sprang wie ein kleines Kind in jede Pfütze die sie erwischen konnte „Wie ich das vermissen werde.“, flüsterte sie. Erschrocken richtete sie ihren Kopf auf und sah stur gerade aus. Hatte sie das gerade gesagt? Das durfte sie doch nicht „Verdammt.“, sagte sie ernst und ging, durchnässt wie sie war, weiter durch die vom Regen befeuchtete, Sonnen bestrahlten Straßen und bog ab in eine Gasse. Eine leere, graue, trostlose Gasse. Ein ironisches, finsteres Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Verglichen mit ihrem Leben, war die Realität nichts anderes. Es gab diese Momente die sich wie ein Regenbogen am Himmel spannten und einen wie das rauschen der Wellen einfach einhüllten, bis dann alles durch plötzliches Gewitter unterbrochen wurde und sich in dem trostlosen grauen Himmel nichts gab an dem man sich erfreuen konnte. Es war wie eine Sackgasse, aus der sich keinen Ausweg erahnen ließ.
Die schwere schwarze, von schnörkeln durchzogene, Haustür wurde auf geschoben und Sascha erschien im Türrahmen, sie schüttelte ihre rußschwarzen Haare aus.
Ihr großer Bruder kam ihr entgegen gelaufen „Sascha, es tut mir so leid.“ Tränen standen in seinem sonst so strahlendem Gesicht. Sascha hatte ihrer Familie, kurz nachdem sie die Diagnose erhalten hatte, alles per Sms mitgeteilt. In die Augen sehen konnte sie nicht während sie es verkündete, noch nicht einmal laut aussprechen konnte sie es. Denn sie hatte Angst das der schwarze Schleier sie einhüllte, das es dadurch realer wurde. Das sich ihr Kopf, in der Annahme das sie bald sterben würde, bestätigt fühlte. „Lass das Brian. Trauer steht dir nicht.“, abweisend drückte sie ihn von sich und senkte den Kopf. Die Tränen die nun seine Wangen runter kugelten berührten Sascha mehr als die Tatsache das sie diejenige war die das Ganze eventuell nicht überleben würde.
Seine grauen Augen mit den grünen sprenkeln die auch die ihren waren, sahen sie traurig an. Brian konnte es genauso wenig begreifen, das seiner kleinen, immer zu fröhlichen Schwester etwas schreckliches passieren könnte. „Das ist nicht dein Ernst Sascha. Du kannst das nicht einfach über dich ergehen lassen!“, rief er empört. Aber genau das war es was sie wollte, sie wollte es an sich abperlen lassen wie das Regenwasser was in ihrem Nacken hinab zu ihrem Rücken lief. Ein einzelner Tropfen wurde kurz bevor er abfallen konnte von ihrem Shirt gehindert. Auch er würde nie das Ende bekommen was er verdiente, er würde nie auf die Straße fallen und mit der nächste Hitzewelle, die das ganze in Form von Nebel hinauf in den Himmel trug, hinauf gleiten wie es sich für einen Regentropfen gehörte. Solche deprimierenden Gedanken taten ihr nicht gut, sie bereiteten Sascha Kopfschmerzen „Wo sind Mom und Dad?“, fragte sie gepresst, in Anbetracht dessen das sie vor dieser Frage am meisten Angst hatte. „In der Küche, sie sagten ich solle ihnen Bescheid sagen wenn du da bist.“ sie winkte ab und ging die Treppe hinauf. Mit ihren Eltern wollte sie am aller wenigsten sprechen, es würde wieder nur Mitleid hageln.
Sascha hatte daran gedacht ihre Eltern anzulügen und ihnen nichts von ihrer Krankheit zu erzählen. Lügen brachten jedoch Opfer und für diese Opfer wollte Sascha keine Verantwortung tragen. Es wäre zu viel gewesen auch noch diese Lüge aufrecht zu erhalten, denn wenn sie sagte das alles gut werden würde, würde es mehr Schmerzen geben und das wusste sie, dennoch hatte sie einen Augenblick gezögert während sie die Sms schrieb, mit sich selbst hatte sie gekämpft, die Nachricht brannte in ihrem Kopf und diese Sms abzuschicken bedeutete das sich andere auch noch Sorgen um ihr wohlergehen machen müssen.
Letztendlich ist Sascha dieses Risiko eingegangen und letztendlich war es auch die richtige Entscheidung gewesen. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt, ob sie es später noch bereuen würde, wusste sie nochmals nicht.
Frustriert schaltete sie ihren Fernseher an und begann auf den Bildschirm zu schauen ohne irgendetwas, davon was sie sah, wahrzunehmen. Sie brauchte einfach etwas voran sie sich festklammern konnte, etwas was sie ablenkte damit sie nicht nachdachte. Farben und Regungen flimmerten über den Bildschirm. Es vermochte sich in Saschas Augen kein Bild daraus zu finden, zu verschleiert waren ihre Augen von den Tränen die ihr über die Wangen liefen. Die knarrenden Stufen, jener Wendeltreppe die hinauf in Saschas Zimmer führte, warf sie aus ihrem frustriertem Zustand und ließ sie aufhorchen. „Sascha!?“
Seufzend setzte sie sich wieder zurück auf das weiße Sofa und antwortete: „Ja Mom, hier oben.“
Die Klinke drückte sich hinunter und kurz darauf erschien das tränen verschmierte Gesicht von Saschas Mutter dahinter. „Oh Liebling, wieso hast du denn nicht gesagt das du da bist?“, schluchzte sie und schnappte panisch nach Luft. Sascha ließ sie weinen und hyperventilieren ohne irgendetwas zu unternehmen. Sie saß einfach da, die Hände übereinander geschlagen, wartete und sah starr auf ihre blass grüne Tapete.
Tag der Veröffentlichung: 15.06.2011
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