Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufmache ist Nils nicht mehr da. Verwirrt sehe ich in die Küche, das Bad, sogar im Wohnzimmer. Kein Nils. Grübelnd liege ich im Bett als ich plötzlich die Tür höre. Ich springe auf und renne zur Tür. Nils steht vollbeladen mit drei riesigen Einkaufstüten, von denen ich ihm eine abnehme. Keuchend sagt er dass ich mal wieder was in meinem Kühlschrank brauche. Ich sehe in meine Tüte. Brot, Butter, Milch, Marmelade, Honig, Kaffee, sogar Tee, Schokolade, Gummibären und und und. Wir stopfen alles in den Kühlschrank und betrachten stolz unser Werk. Die Süßigkeiten verstauen wir in meinem Zimmer, in der Schublade meines Nachtkästchens. Ich betitle sie mit Frustlade. Dann stürzen wir und auf die Einkäufe. Ich hole mir Vier verschiedene Joghurts und schütte sie alle miteinander in eine Schüssel, wo ich dann genüsslich Löffel für Löffel nasche. Danach folgen noch viele viele Brotscheiben mit allem möglichem drauf. Das Endergebnis: Uns ist beiden Kotzübel. „einer geht noch.“ Stolz wie wir sind wollen wir nichts wegwerfen was schon offen ist und essen gemeinsam das letzte Joghurt. Ich glaube das war dann doch zu viel. Wir halten uns die Hände vor den Mund und rasen ins Badezimmer. Da die Kloschüssel für uns beide zu klein ist, knien wir uns über die Badewanne und kotzen los. Nachdem ersten Kotzen müssen wir erstmal lachen. Nach dem zweitem und drittem Mal ist es nicht mehr so lustig. Ich schalte den Wasserhahn ein und spüle die Überreste weg, Nils wäscht sich den Mund. Wir sehen uns im Spiegel an. Ich frage mich warum man immer Augenringe bekommt nachdem man gekotzt hat. Ich bin bleich, und komme mir noch dünner vor als sonst. Mir fällt der Arzttermin ein. Vorsichtig rede ich mit Nils darüber. Er sagt das wir das nächste woche mal machen.
Wir setzen uns auf den Balkon, Nils zündet sich eine Kippe an. Gleichzeitig fasziniert und geekelt betrachte ich die blaugrauen Rauchfahnen, die aus ihr herauskommen. Dann sehe ich in den Himmel. Mir ist verdammt kalt. Der Himmel ist wolkenlos und man sieht unzählbar viele Sterne. Nils und ich tauschen Sternbilder aus. „Mir ist kalt.“ „Hol dir ne Jacke.“ „Will ich nicht.“ Wortlos setzt er sich zu mir und legt mir einen Arm um die Schultern. Ich mag meinen großen Bruder.
Nils schnippt die Zigarette in den Schnee und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ich sehe auf die Uhr. Sieben. „Was machen wir noch?“ „Keine Ahnung.“ „Film schauen?“ „Warum nicht.“ Ich stehe auf und gehe in mein Zimmer. Nils setzt sich auf das Bett. Die Filme die ich habe sind entweder hardcore Horrorschocker, Kinderfilme von früher und irgendwelche Dokumentationen. Ich krame verzweifelt weiter. Da! Dahinten leuchtet irgendwas hervor. Ich greife ganz tief hinein und hole die DVD herau. Bingo! Ich beginne zu grinsen. Die erste Simpsons Staffel. Ich sehe Nils mit leuchtenden Augen an, er nickt. Mein Fernseher wird eingeschalten und die DVD hineingelegt. Schon geht es los. Ich werfe mich aufs Bett und spiele mit dem Gedanken die Frustlade zu plündern, lasse es dann aber doch, da ich nicht nochmal kotzen will. Nils stopft sich ein Kissen hinter den Rücken und sieht weiter. Ich auch.
Wir sehen fast sechs Stunden, als die DVD zu Ende ist, ist es ein Uhr. Ich höre die Glocken läuten, fast gleichzeitig muss ich gähnen. Gott bin ich müde. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich fasle ich davon ein Tattoo zu haben. Ich weiß nicht warum, aber ich will eins haben. Wisst ihr was ich schaffe? Ich kann mich selbst in den Schlaf reden.
Am nächstem Morgen wache ich auf und merke, das Nils in meinem Bett geschlafen hat bzw. immer noch schläft. Mein Fuß ist gefährlich nahe an seinem Mund und seine Füße liegen quer über mir. Es ist nervig immer Frühaufsteher zu sein. Grinsend fahre ich mit meinem großen Zeh an seiner Nase herum, bis ich ihm die Nasenlöcher damit verstopfe. Seine Reaktion ist dass er den Mund aufmacht. Es hat auch immer wieder Vorteile wenn man dauer-kalte-Hände hat. Diabolisch setze ich mich auf und schiebe vorsichtig sein T-Shirt hoch. Ich zähle bis drei, dann klatsche ich meine eiskalten Hände auf seinen Bauch. Er kreischt auf, ich lache mich schief. Seine Rache bleibt aus. Seltsam. Ich sehe mich um, plötzlich ist er weg. Ich zucke mit den Schultern und schließe die Augen.
Ich spüre etwa kaltes, flüssiges das sich über meinem ganzen Bauch ausbreitet. Ich öffne die Augen und sehe einen grinsenden Nils mit einem Joghurtbecher in der Hand. Ich ahne schlimmes.
Ich habs gewusst. Dieser Arsch hat mir Joghurt aufgeschmiert. Vorsichtig stehe ich auf und gehe ins Badezimmer. Ich rege mich nicht mehr auf, ich habe Genugtuung mit der Kalte-Hände-Aktion. Danach ziehen wir uns an und gehen raus. Es muss noch relativ früh sein, es ist verdammt kalt. Ich beginne zu zittern und vergrabe mich in der dünnen Jacke. Besorgt sieht Nils mich an und legt mir einen Arm um die Schultern. Ich schmiege mich an ihn. Gott, ist der Typ warm! Ich muss mich zurückhalten nicht laut loszuschnurren. „Schau mal!“ Ich mache die Augen auf und sehe..Finn und Stefan. Irgendwie trifft sich das gut. Ich muss mit Stefan reden. Ich will mir was stechen lassen. Wir gehen auf sie zu und setzen uns zu ihnen auf die Parkbank. Die beiden halten Händchen, Finn legt seinen Kopf auf Stefans Schulter. Ich beginne mit Stefan über Tattoos zu reden, er hört mir aufmerksam zu. Als Zeichen habe ich etwas bestimmtes im Kopf, nämlich das Lebenszeichen der alten Ägypter. Stefan sagt ich soll heute Nachmittag in sein Studio kommen. Wir verabreden uns für 3 Uhr. Dann verabschieden wir uns, Nils und ich gehen in die Stadt.
Vor einem Buchgeschäft bleibt er stehen und kramt in der Aktionsbox. Stolz hält er mir einen schwedischen Krimi vor die Nase und läuft in das Geschäft. Ich sehe auch ein bisschen, vielleicht fange ich wieder an zu lesen. Interessiert hole ich ein knallbuntes Buch heraus. „Bass spielen für Anfänger“ Dad hat Bass gespielt. Mir fällt ein das wir einen zu Hause haben. Soll ich anfangen? Ich sehe nach dem Preis. 2¤. Ich schnorre sie mir von Nils. Jetzt haben wir beide ein Buch, wir machen uns auf den Weg zu mir nach Hause.
Dort angekommen gehe ich in den Speicher und such den Bass. Nach einer Stunde und jeder menge Staub halte ich ein altes Ding in der Hand, was einem Bass ähnelt. Ich trage es in mein Zimmer, hole mir einen nassen Lappen und beginne sie sauber zu wischen. Ein blitzblaues Teil, wunderschön. Bewundernd sieht Nils sie an und zupft ein bisschen herum. Ich sehe mir das Notenheft an. Dad hat mir mal gezeigt wie das geht. Mal sehen ob ich meine Erinnerung wieder ausgraben kann. Langsam greife ich nach dem Bass und versuche ein paar griffe. Bingo! Ich kann noch die Noten lesen. Konzentriert übe ich mit Nils, welcher manchmal die Nerven wegen meiner Klugscheißerei verliert. Am Ende kann ich den Griff von den White- Stripes. Ich glaube Seven-Nation-Army heißt es, klingt auf jeden Fall geil. Ich spiele es die ganze Zeit. Ich merke das es Nils nervt und spiele grinsend weiter. Um halb drei gehen wir zusammen in die Stadt, Nils verabschiedet sich von mir und ich gehe zu Stefan. Vorsichtig mache ich die Tür auf und luge in das Studio. Ich höre ein durchdringendes Surren, er ist wohl gerade bei der Arbeit. Schüchtern setze ich mich auf die Bank und warte bis er fertig ist. „Hannes?“ Ich blicke auf und sehe einen mit Nadel bewaffneten Stefan der direkt vor mir steht. Ich stehe auf und schüttle ihm die Hand. Wir setzen uns in den Warteraum und reden über das was ich haben will. Er hat bereits vorgesorgt und hält mir ein paar Zettel hin. Ich sehe sie durch und finde genau das Teil was ich haben will. Begeistert zeige ich es ihm und er fragt mich was es kosten sollte. Verdammt, ich könnte mir selbst eine klatschen. Ich hab ja kein Geld. Ich sage wir verschieben das ganze auf unbestimmte Zeit, bis ich einen Job und wieder Geld habe. Er nickt, ich winke und gehe wieder raus. Ich bin der größte Trottel den diese Welt jemals gesehen hat. Mein Weg führt in den Stadtpark, wo ich, oh Glück, eine Zeitung auf einer Parkbank finde. Ich blättere zu den Anzeigen. „Aushilfe in Schokoladenfabrik gesucht“ Ich komme mir vor wie dieser Charly und reiße die Seite heraus. Laut Adresse ist es gleich in der Nähe. Ich suche und finde. Ich stehe vor einer mittelgroßen Fabrik mit rauchenden Schloten und gehe zur Rezeption, wo ich nach dem Geschäftsleiter frage. Dort angekommen frage ich ob die Aushilfe noch gesucht wird. Er bejaht und fragt was ich bis jetzt gemacht habe. Gute Frage. Ich gebe zu dass ich bis heute keinen Job gefunden habe, und nehme mir vor die Mitleidsmasche mit meinen Eltern zu machen, falls er sich von mir abwendet. Er bleibt neutral und fragt wann ich anfangen kann. Jetzt. Er zeigt mir die Fabrik und was ich machen muss. Glaubt mir, ich habe jetzt schon einen Gräuel vor Schokolade. Dann drückt er mir eine riesige Spachtel in die Hand und sagt dass ich die Reste aus den Maschinen putzen muss. Ich arbeite bis sieben Uhr und falle fast um so müde bin ich. Ich wanke aus der Fabrik und gehe nach Hause, wo ich ins Bett falle und auf der Stelle einschlafe.
Mit Kopfweh und einem riesigem Kater wache ich am nächstem Morgen auf. Jetzt weiß ich wie arbeiten ist. Ich blicke auf die Uhr. Sieben. Genervt werfe ich mich zurück ins Bett und kuschle mich in die Decke, in die Fabrik muss ich erst um neun. Leider schaffe ich es nicht mehr einzuschlafen und stehe langsam auf. Ich stelle mich unter die Dusche und wasche mir die Haare. Schwarze Farbe fließt in den Abfluss. Ich steige wieder aus der Dusche und sehe im Spiegel dass meine Haare bereits wieder Blond werden. Kacke. Ich trockne mich ab und ziehe mir frische Klamotten an. Zum ersten Mal seit langer Zeit frühstücke ich etwas Anständiges. Genüsslich esse ich mein Honigbrot und schlürfe meinen Kaffee. Schön langsam mache ich mich auf den Weg in die Stadt.
Ich bummle durch die Straßen, plötzlich sehe ich etwas wundervolles. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und sehe ein Mädchen. Ich starre es an. Es ist wunder schön. Lange braune Haare, blaue Augen und ein Gesicht…ein Traum. Ich muss in dem Moment ziemlich debil grinsen. Sie lächelt mich an, ich falle fast um. Schief grinse ich zurück und hoffe dass ich sie nicht zu viel abgeschreckt habe. Ich glaube ich bin verliebt, und kriege mich den ganzen Weg zur Fabrik nicht mehr ein. In der Fabrik angekommen schubst mich ein roher Typ zu einem der Mischbottiche. Ich soll ihn schrubben und bekomme eine Bürste und einen Kübel Wasser in die Hand gedrückt. Träumerisch beginne ich zu schrubben und falle fast hinein.
„Hey, ich glaube wir kennen uns.“ Erschrocken drehe ich mich um. Das Mädchen. Ich grinse wieder und winke ungeschickt. „Hey.“ Sie lächelt mich an und hält mir ihre Hand hin. „Ich bin Eva. Und du?“ „H-Hannes.“ Stottere ich und könnte mich selbst ohrfeigen. Wir quatschen ein bisschen. Sie arbeitet auch hier, ist neunzehn und hält überhaupt nichts von Mode. Ich bete zu Gott und danke ihm dass ich nicht der einzige bin. Ich glaube ich bin ihr sympathisch, denn sie fragt mich ob wir nach der Arbeit was trinken gehen. Peinlich, peinlich. Ich gebe zu dass ich überhaupt kein Geld habe. Nichts. Nada. Njet. Ihr macht es nichts aus. Mein Herz rast förmlich und ich muss die restliche Zeit grinsen.
Ich fiebere dem Fabriksschluss entgegen, es ist eins. In zwei Stunden gehe ich mit der Frau meiner Träume etwas trinken! Glücklich mache ich jede Drecksarbeit die der Boss mir aufhalst.
Endlich! Schluss. Ich gehe und hole meine Jacke. Eva wartet vor der Tür und lächelt mich an. Wir reden und sie kommt auf meine Familie zu sprechen. Warum fragen alle immer nach der Familie. Ich beginne zu erzählen und muss regelmäßig abbrechen um nicht in einen Heulkrampf zu fallen. Mitfühlend sieht sie mich an und legt eine Hand auf meine Schulter. Ich bekomme fast einen Herzinfarkt. Da wir doch keine Lust auf Kaffeehaus habe lade ich sie zu mir ein, warne aber vor dass es chaotisch aussieht. SEHR chaotisch. Sie lacht und meint das ist nicht wichtig. Vor der Wohnung krame ich nach dem Schlüssel und stecke in zitternd ins Schloss. Knarzend geht die Tür auf und ich bitte sie hinein. Bewundernd sieht sie sich um. „sieht doch gar nicht so schlimm aus.“ Erleichter führe ich sie in die Küche und stelle Wasser auf. „Tee oder Kaffee?“ Ich hole Pfefferminztee und lege in ins kochende Wasser. Dann hole ich zwei Tassen und fülle sie mit dem Tee. Ich reiche ihr eine Tasse und setze mich zu ihr. Schweigend trinken wir den Tee. Als sie fertig ist stellt sie die Tasse auf den Tisch ich stehe auf und trage beide zur Spüle. Wir gehen in mein Zimmer.
Dort kicke ich geschickt getragene Wäsche unter das Bett und setze mich auf das Bett. Wir reden ein bisschen über Freunde, wo wir Schule gegangen sind und so weiter. Mit der Zeit kommen wir uns näher. Mein Puls beginnt zu rasen, meine Hände werden schweißnass und ich werde nervös. Langsam bewegen sich unsere Gesichter auf einander zu. Als sich unsere Lippen berühren explodiert ein Feuerwerk in mir und ein Schwarm Schmetterlinge bemächtigt sich meiner. Nervös greife ich nach ihrer Hand, sie legt eine auf meine Wange. Nach dem Kuss sehe ich sie ängstlich an. „Das war wunderschön“ haucht sie in die Stille. Vorsichtig küsse ich sie noch einmal und lege einen Arm um ihre Hüfte. Sie schmiegt sich an mich. Ich beginne zu grinsen und kann nicht mehr aufhören. Glücklich werfe ich mich auf das Bett und schließe die Augen, Eva liegt neben mir. Lächelnd spielt sie mit meinen Haaren, leicht rebellisch schüttle ich den Kopf. Sie muss lachen und legt eine Hand auf meinen Bauch. Meine Schmetterlinge verdoppeln sich. Ich seufze und sehe sie an. Es ist wunderbar geliebt zu werden.
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2010
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