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Kapitel 1


In der ganzen weiten Schattenwelt der Gespenster und Dämonen gibt es kein Wesen, das so schrecklich ist, das so gefürchtet und verabscheut wird und das doch so eine unheimliche Faszination ausübt wie der Vampir, weder Gespenst noch Dämon, aber dennoch ein Teil der dunklen Seite der Natur, ausgestattet mit den geheimnisvollen und furchtbaren Eigenschaften von beiden.

- Reverend Montague Summers


Alles begann in der Nacht, in der wir den achtzehnten Geburtstag meiner damaligen besten Freundin auf dem Friedhof gefeiert hatten. Wir waren ungefähr zu fünfzehnt dort, obwohl wir eigentlich abgemacht hatten alleine zu feiern, aber sie konnte Dinge schon immer schlecht für sich behalten, was auch der Grund war, dass ich ihr nicht immer alles anvertrauen konnte. Wahrscheinlich sollte ich an dieser Stelle wohl sagen, was für eine tolle und liebenswerte Person sie doch ist, um von dieser einen kleinen Schwachstelle abzulenken, aber das war sie nun mal nicht. Isabell, so hieß sie, war eine ziemlich überhebliche, aufbrausende, überdrehte und extrem zickige Person. Wenn sie nicht das bekam, was sie wollte, dann keifte und schrie sie rum, selbst vor ihren Eltern machte sie keinen Halt. Aber das Schlimmste an ihr war, dass sie einfach nicht bemerkte, wenn man eigene schlimme Probleme hatte und deshalb einfach keine Lust hatte mit ihr über ihre Probleme zu sprechen. Wahrscheinlich hatte ich deshalb den Kontakt zu ihr abgebrochen. Nein, halt, es lag ja an dieser doch so tollen Wendung in meinem Leben.
„Hey, Alex, kommst du? Die Anderen sind bestimmt schon alle da!“, rief Isabell mir von außen zu. Ich saß gerade in meinem Zimmer und dachte über den gestrigen Schultag nach. Isabelle war mal wieder total ausgeflippt, nur weil Mason, der Junge von dem sie schon seit der dritten Klasse träumte, sie angesprochen hatte und sich ganz ihr gewidmet hatte. Für fünf Minuten. Danach durfte ich mir den restlichen Tag anhören, wie süß er doch sei und dass er ja auch mehr wolle, weil er sie öfters angelächelt hatte. Als ich sie hörte sprang ich auf und kramte meine Sachen zusammen.
„Ich komme gleich runter!“ Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es kurz vor elf war, weshalb ich auch nicht einfach so durch die Haustür gehen konnte und die Nacht über auf dem Friedhof verbringen konnte. Meine Mutter war da in bisschen eigen. Sie dachte, ich wäre immer noch vierzehn und konnte nicht auf mich alleine aufpassen, deshalb schlich ich mich schon seit geraumer Zeit durch das Fenster hinaus. Ich schloss das Zimmer ab, zog mir noch meinen schwarzen Mantel an, der mir bis über die Knie ging und trat dann an das Fenster. Ich blickte hinunter in den dunklen Abgrund und erkannte das Leuchten von Isabells Taschenlampe, die mir genau in die Augen schien.
„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht so brüllen?“, zischte ich in die Richtung des Lichtes und lies meine Tasche runterfallen. Ein dumpfes Geräusch verriet mir, dass Isabelle sie natürlich nicht aufgefangen, sondern auf den Boden fallen ließ. Hätte ich das gemacht, hätte ich mir eine Standpauke anhören.
„Sonst hättest du mich doch wohl kaum gehört, oder?“, wieder hatte sie diesen zickigen Tonfall drauf, den ich total hasste und auf den ich normalerweise auch total gereizt reagierte, aber da ihr Geburtstag war riss ich mich zusammen und sagte gar nichts. Vor meinem Fenster wuchs eine inzwischen schon etwa zwanzig Meter hohe Eiche, auf die ich problemlos steigen und von ihr aus runter klettern konnte. Es war zwar ziemlich erschwert durch den langen Mantel und meinen offenen Schuhen, die sich immer in den kleinen Ästen verfingen und meine Füße zerkratzen, aber es dauerte nicht lange bis ich unten neben Isabell stand. Sie drückte mir meine und ihre Sachen in die Arme und ging dann voraus. In diesem Moment war ich ein bisschen verwundert von ihrem Verhalten (und verärgert), denn eigentlich redete sie ununterbrochen. Konnte es wirklich war sein, dass die überdrehte und sonst immer heitere Isabell bammel hatte?
„Jetzt beeil dich doch, sonst kommen wir noch zu spät!“ Gesagt, getan. Ich schüttelte ein Mal meinen Kopf und rannte ihr dann hinterher. Beim Laufen kickte ich hier und da ein paar Kieselsteine aus dem Weg. Auf Grund des Schweigens widmete ich mich voll und ganz meiner Gedanken, die sich darum drehten, wer wohl alles auf dem Friedhof erscheinen würde. Vielleicht hatte ich dann ja mal die Chance einen Jungen kennenzulernen, ohne dass Isabelle mir dazwischenfunkte, aber das bezweifelte ich ungemein. Ich weiß nicht wieso, aber sobald sie einen Jungen sah, musste sie ihn sich einfach unter den Nagel reißen, selbst wenn ich ihr sagte, er sei mir wichtig. Nette Freundin, was?
Keiner von uns beiden sagte irgendwas, bis sie dann das Schweigen brach.
„Du, Alex, kannst du nachher bitte mit Mason reden? Du weißt doch, dass ich ihn echt super finde, aber ich trau mich einfach nicht mit ihm zu reden und da du ja eh so ein lockeres Verhältnis zu ihm hast dachte ich, du würdest das für deine beste Freundin machen.“, sie griff meine Unterarme und drückte sie leicht. Ihre Augen leuchteten im Licht der Laterne, unter der wir standen. Eigentlich hätte ich ihr ja jetzt jede Bitte abgeschlagen, denn ich war schon wieder ziemlich genervt von ihrem Getue, aber es ging schließlich um Mason. Er war ihr Traummann. Ihr Romeo, von dem sie schon geträumt hatte, als sie eigentlich noch gar nichts von Jungs hielt, wie also konnte ich ihr diese eine kleine Bitte verweigern? Oh man, wieso musste ich eigentlich immer nachgeben? Kann ich nicht mal standhafter sein?
„Natürlich kann ich mit ihm reden.“, ich reichte ihr ihre Sachen und legte mir dann meine Tasche über die Schulter. Während wir noch das Tor des Friedhofes suchten, vor dem wir uns mit den Anderen treffen wollten, dachte ich darüber nach, wie ich die Sache mit Mason klärte. Sollte ich ihm einfach sagen, dass Isabell etwas von ihm wollte? Oder sollte ich es in Watte verpacken und mich langsam an diese Tatsache herantasten? Leicht war die Entscheidung nicht, so oft wie sie mich schon in das kalte Wasser geschubst hatte und den ganzen Jungs, auf denen ich gestanden hatte, erzählte, dass ich was von ihnen wollte. Es wäre wirklich eine gelungene und wahrscheinlich auch schmerzhafte Rache. Eine Zeit lang spielte ich wirklich mit dem Gedanken ihr das anzutun, doch dann ließ ich ihn fallen. Ich war ja nicht so gemein wie sie und wollte es nie sein.
„Da seid ihr ja! Wir warten hier schon mindestens eine Stunde. Und ausgerechnet das Geburtstagskind kommt an ihrem besonderen Tag zu spät. Echt kein gutes Vorbild!“, ich erkannte die Stimme von Ryan, dem schmierigsten Typen aller Zeiten. Er kam uns schon entgegen und drückte Isabell an sich, gab ihr mehrere Küsschen auf die Wange und leckte ihr ein Mal über die Nase. Wie widerlich konnte eine Person denn sein? Er machte sich wirklich an jedes Mädchen, das ihm über den Weg lief, ran, selbst an mich hatte er sich mal rangemacht, bis ich ihm eine Backpfeife verpasst hatte. Seit diesem Tag machte er einen sehr großen Bogen um mich und beachtete mich nur gezwungenermaßen. Aber auch von meiner Seite aus beruhte ein tiefgründiger Hass, denn wegen diesem schleimigen Typen hat mein allererster und für mich bester Freund der Welt Schluss gemacht. Ok, natürlich hatte ich Ryan verziehen, denn für mich hatte jeder Rückschlag eine positive und schönere Seite.
Kaum waren wir um die Ecke gebogen stürmten die Anderen auf uns (naja, wohl eher auf Isabell) zu, umarmten sie und gratulierten ihr. Na klasse. Das konnte ja eine lange Nacht werden. Es waren fast nur gutaussehende und unbekannte Jungs und natürlich ein paar Mädchen da. Und wo bleibe ich? Wahrscheinlich gehe ich mal wieder leer aus.
„Alles Gute zum Geburtstag!“, schrien alle im Chor. Ich hörte den Korken einer Flasche Rotkäppchensekt und kurze Zeit später verpasste Claire Isabelle eine Sektdusche. Zum Glück hatte Isabelle im Sommer Geburtstag und zum Glück war es da nachts nicht ganz so kalt, trotzdem kreischte sie und es war kaum zu verkennen, dass sie diese kleine Geburtstagsdusche ganz und gar nicht gut fand.
„Bist du verrückt? Diese Klamotten habe ich gerade erst geschenkt bekommen und den Sektgeruch bekomme ich nie wieder raus! Das kannst DU bezahlen! Und meine Harre! Weißt du wie lang ich daran saß, damit die so gefallen sind? Drei Stunden!“, sie zerrte während sie schrie an ihren Klamotten und Haaren und machte sich wie immer zum vollkommenem Deppen. Immer noch kreischend ging sie voran. Ich musste mir das Lachen verkneifen. Aus welchem Grund auch immer blickte ich zu Mason, der genau rechts neben mir stand und musste bemerken, dass auch er sich das Lachen verkneifen musste. Auch er guckte mich an und sein Blick änderte sich in Sekundenschnelle. Keine Ahnung was das für ein Ausdruck in seinen Augen war, eine Mischung aus Sehnsucht, Verzweiflung und ich glaube sogar Verlangen, aber sicher war ich mir da nicht.
„Ist sie immer so?“, er grinste mich an, während er sprach und gab mir einen Stupser von der Seite. Es kam mir irgendwie leicht vor, als würde er mit einem seiner Kumpel reden und nicht mit einem Mädchen. Klar, ich verhielt mich nicht immer ladylike, aber dennoch hatte ich das Aussehen eines normales Mädchens, wenn nicht sogar einer Frau, das hoffte ich zumindest.
„Nein, eigentlich ich sie immer ganz ruhig und zurückhaltend. Sie ist eine super liebe Person und achtet auf ihre Mitmenschen, aber wenn es um ihre Klamotten und ihre Haare geht, dann kann sie schon böse werden. Sie hat sich so viel Mühe gemacht, um perfekt für heute Nacht auszusehen.“, ich fühlte mich ziemlich verlogen, denn ich hatte eine Person noch nie so falsch beschrieben wie ich es in diesem Moment getan hatte. Am liebsten hätte ich mir einfach nur den Mund mit Seife ausgespült und mit einer Bürste geschrubbt, so dreckig fühlte er sich an.
„Echt? So hätte ich sie nie eingeschätzt. Da hab ich mich wohl geirrt.“ Nach der perfekten Beschreibung meinerseits musterte er Isabell eindringlicher. Wie leicht man die Einstellung eines Jungen gegenüber einem Mädchen ändern kann. Man musste nur gute Lügen auftischen und er schluckte alles sofort, als wären es Süßigkeiten an Halloween.
Ich hatte keine Zeit mehr um noch weiter mit ihm zu reden, denn Miss. Hysterie hatte sich wieder eingekriegt und alle waren bereits auf den Friedhof gestürmt.
„Komm, sonst finden wir sie nicht mehr. Und du willst die Party doch nicht etwa verpassen, oder?“, Mason griff meine Hand und riss mich herum. Gemeinsam rannten wir den Anderen hinterher und holten auch schnell wieder auf. Wir gingen alle gemeinsam ganz weit auf den Friedhof und suchten einen Platz, an denen wir uns niederlassen konnten. Mason hielt immer noch meine Hand und es fühlte sich gut an, sogar obwohl ich wusste, dass es falsch gegenüber Isabell war, trotzdem konnte ich seine Hand einfach nicht mehr loslassen.
Ryan hatte schon wieder ein Mädchen am Start und redete auf sie ein, wie toll sie doch wäre und das sie seine Traumfrau wäre. Sie warf ihm schon immer geschmeichelte Blicke zu und lief leicht rosa an.
„Glaub mir, so eine wie dir bin ich noch nie begegnet.“, säuselte er ihr ins Ohr, dann griff er ihre Hand und küsste diese. Das Mädchen grinste über beiden Ohren und schien schon den kompletten Verstand verloren zu haben, so wie sie sich an ihn hing. Hatte sie schon vor dem Treffen getrunken?
„Wie schleimig.“, murmelte Mason neben mir und drückte mir ein Mal kurz die Hand, „Wie gut, dass du nicht so erbärmlich bist wie dieses Mädchen. Wer Ryan an sich lässt, der hat wirklich keine Selbstachtung mehr.“ Er schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Ich musste leise auflachen, versuchte es allerdings in einem Husten zu verbergen.
„Findest du denn nicht, dass er ein widerlicher Aufreißer ist?“, Mason blieb stehen und guckte mir direkt in die Augen. Wow. Ich hatte noch nie bemerkt, dass er leuchtend blaue Augen hatte. Saphirblau, um genau zu sein. Was für ein irrer Kontrast zu seinen rabenschwarzen Haaren. Sein Ton war leicht überrascht und klang auch ein wenig enttäuscht.
„Nein… Also doch. Natürlich. Welcher Mensch bei klarem Verstand würde Ryan nicht als widerlichen und schleimigen Kerl bezeichnen?“ Ich grinste ihn aufmunternd zu und zog ihn dann hinter mir her, damit wir die Anderen wirklich nicht aus den Augen verloren.
Als wir bei Isabell und ihren Gästen ankamen saßen sie bereits auf einem der tausend Gräber und hatten es sich dort bequem gemacht. Ryan saß hinter diesem naiven kleinen Mädchen und küsste ihren Nacken. Wie dumm und naive konnte ein Mädchen nur sein? Schon mal was von Fremdschämen gehört? Genau das tat ich in diesem Moment. Ich schämte mich für das Verhalten dieses Mädchens. Wie froh ich bin, dass ich nie so war wie sie.
„Hey, Leute! Kennt jemand eine gute Geschichte? Ich mein, was ist schon eine Party auf dem Friedhof ohne passender Stimmung und Gruselgeschichten?“, Gabriel leuchtete jeden einzelnen kurz an um zu gucken ob er oder sie nickte oder den Kopf schüttelte. Genau in dem Moment, als er Mason und mich anleuchtete ließ Mason meine Hand los, verschränkte seine eigenen ineinander und tat ziemlich mysteriös. Um seine Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln.
„Natürlich kenne ich eine gute. Es ist eine Legende von dieser Umgebung. Ich habe keine Ahnung ob sie wahr ist oder nicht, aber Zeugen hatten berichtet, dass es echt passiert ist.“, er guckte zu mir und grinste. Er sah wirklich beängstigend aus, aber weil ich neben ihm saß verspürte ich keinerlei Angst. Zur Not konnte ich mich ja an ihn kuscheln, auch wenn mir dieser Gedanke ein Stich ins Herz versetzte, weil ich in diesem Moment Isabells erwartungsvolles und verliebtes Gesicht sah. Oh Gott, die hatte es wirklich erwischt.
„Diese Geschichte erzählt man sich schon seit geraumer Zeit und es ist auf diesem Friedhof passiert.“, als Mason das sagte, rutschten die Mädchen ganz nah an die Jungs ran und griffen deren Hände. Ha. Lächerlich.
„Von einem damaligen Kumpel wurde mir erzählt, dass vier Jugendliche genau in einer Nacht wie heute auf diesen Friedhof gegangen waren. Sie wollten einfach mal die Nacht auf einem Friedhof verbringen. Wieso? Das weiß keiner. Wahrscheinlich hatten sie Langeweile und nichts Besseres zu tun. Oder vielleicht war es auch eine Wette. Man weiß es nicht. Auf jeden Fall sind die vier Jugendlichen um kurz vor Mitternacht über die Mauer des Friedhofes geklettert und liefen dann hier herum. Die zwei Mädchen hielten sich an den Händen, weil eine von den Beiden ziemlich Angst hatte. Die Jungs sind alleine rumgelaufen und haben die Mädchen alleine gelassen, was wahrscheinlich keine gute Idee war.“
Zwischendurch hörte man in der Runde die Jungs den Mädchen versichern, dass sie sie nie alleine lassen, vor allem nicht wenn sie Angst hatten. Wieder musste ich mir das Lachen verkneifen, denn ich wusste, dass sie schreiend wegrennen würden und uns alleine lassen würden, wenn es hart auf hart käme.
„Die Mädchen liefen also alleine auf diesem einsamen Friedhof umher, hielten sich an den Händen und schwiegen. Aber schon nach kurzer Zeit bemerkte das eine Mädchen, dass ihre Freundin nicht mehr bei ihr war. Sie drehte sich um und rief immer wieder ihren Namen, doch anstatt das die Freundin auftaucht kamen die Jungs zu ihr. Gemeinsam suchten sie dann die verschwundene Freundin. Es dauerte nicht lange, bis sie sie gefunden hatten. Sie saß auf einer der Bänke, die hier überall standen, aber als sie sie ansprechen wollten sagte sie nichts. Das Mädchen hielt sich die Knie und wippte hin und her, bis das andere Mädchen sich neben sie setzte. ‚Er ist hier. Er wird gleich kommen,‘ Natürlich machte sie ihren Freunden damit Angst. Selbst die Jungs guckten sich um, nur um sicher zu gehen, dass dort nicht noch andere Personen waren. Dann begann das verstörte Mädchen langsam an von zehn runter zu zählen. Ganz laut. Zu dritt zerrten sie das Mädchen von der Bank, trugen sie wieder zur Mauer und versuchten wieder darüber zu klettern, aber mit einer völlig verstörten Jugendlichen war das wirklich schwer. Einer der Jungs kletterte als erster hoch, dann schob der andere das Mädchen hoch, damit er sie hochziehen konnte. Als alle, bis auf das andere Mädchen oben waren herrschte Totenstille. ‚Null.‘ Panisch griffen die Jungs nach den Armen des immer noch auf dem Friedhof stehenden Mädchens und versuchten sie hoch zu ziehen, aber etwas hatte sie am Fuß gepackt.“, Mason machte eine kleine Pause, um zu sehen, wie seine kleine Horrorgeschichte ankam. Um ihn herum saßen vierzehn angespannte Jugendliche, die ihm gebannt zuhörten. Selbst ich hatte kurzzeitig angefangen diese Geschichte zu glauben, aber ich versuchte mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass er sich diese „Legende“ ausdachte. Er grinste. Scheinbar genoss er die Aufmerksamkeit und diese Bestätigung, dass er super gute Gruselgeschichten erzählen konnte.
„Ich könnte euch jetzt ja sagen, dass das Mädchen sich alles nur eingebildet hatte und nur am Efeu der Mauer hängengeblieben war, aber so ist es nicht. Und vielleicht sollte ich jetzt auch noch erwähnen, dass an der Mauer gar kein Efeu wächst, damit ihr ja nicht in Versuchung kommt und denkt, ich würde mir das alles nur ausdenken. Es ist wahr. Hm. Wo war ich jetzt stehengeblieben?“
„Das Mädchen wurde am Fuß gepackt.“, murmelten alle im Chor. Die Mädchen rückten näher an die Jungs, legten die Köpfe auf deren Schulter und kuschelten sich unter deren Jacken. Das sah aus, als hätten sie es einstudiert.
„Genau. Sie wurde von irgendjemandem – oder irgendetwas – gepackt. Und dann hörte sie ein Flüstern. Ein Flüstern, dass keiner ihrer Freunde gehört hatte. ,Ich werde dich noch kriegen, Lyanda' Dann wurde sie losgelassen und gemeinsam mit ihren Freunden rannten sie davon. Mir wurde gesagt, dass beide Mädchen bis heute noch in der geschlossenen Anstalt sitzen und immer noch von dieser Gestalt reden. Die Jungs hatten es besser überstanden, allerdings haben sie nichts mehr mit den Mädchen zu tun. Seit dieser Nacht sagen die Leute, dass dieser Friedhof verflucht sei und wer es wagt, sich nachts auf dem Friedhof herumzutreiben, dem wird das Selbe passieren wie diesen vier Jugendlichen.“ Alles war ruhig. Niemand sagte etwas und es schien so als würden einige sogar die Luft anhalten, bis ein Lachen ertönte. Zuerst wusste ich gar nicht, woher dieses Lachen kam, aber dann sahen mich alle verdutzt an und ich bemerkte, dass ich lachte. Sofort hielt ich inne.
„Tut mir leid.“, murmelte ich und guckte verschämt zu Mason hoch. Seine Augen lagen beruhigend auf meinem Gesicht und seine Lippen umspielte ein Lächeln.
„Das muss dir doch nicht leid tun.“, flüsterte er mir zu und griff meine Hand. Wow. Mir wurde richtig warm, als seine Finger sich mit meinen verschränkten. Ungewollt grinste ich ihm entgegen, dann fiel mein Blick auch Isabell, die kochend vor Wut aufsprang und davonlief. Das wollte ich doch überhaupt nicht! Ich schüttelte Masons Hand ab und rannte ihr hinterher. Scheiße, scheiße, scheiße!
„Isabell! Warte!“, rief ich ihr hinterher, aber sie hörte mich nicht. Wieso musste sie denn nur so schnell sein? Oh Gott, ich verfluchte mich für mein Verhalten. Mason hätte aber auch selbst auf sie achten und ihre Blicke deuten können! Jungs können überhaupt nichts alleine!
Plötzlich stand er vor mir. Es war ein Mann – oder Junge - , der mir den Weg versperrte. Er trug einen Kapuzenpullover, den er sich bis über die Augen gezogen hatte und eine zerrissene Jeans. (An was man sich in solchen Situationen noch erinnerte.) Obwohl es dunkel war konnte ich sehen, dass er einen Drei-Tage-Bart hatte und das sein Mund dreckig war.
„Es... Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Oh Gott, es tut mir so leid...“, er griff sich mit seinen Händen in die Haare, wobei seine Kapuze vom Kopf rutschte und ich ihm direkt ins Gesicht gucken konnte. Überall hatte er dunkle Flecken im Gesicht und seine Augen hatte er geschlossen.
„Ich versteh nicht ganz.“, sagte ich leise. Er öffnete seine Augen und guckte mich gierig an. Es waren starre, graue Augen, die blutrot unterlaufen waren. Irgendetwas an seinem Blick faszinierte und beruhigte mich. Ich spürte keinerlei Angst, obwohl ich wirklich hätte Angst haben sollen, dann sah ich diese kleine, silberne Narbe unter seinem rechten Auge, was ihn nur noch interessanter machte.
„Ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten. Ich wollte sie wirklich nicht töten!“, sein Blick richtete sich auf etwas, dass zusammengerollt auf dem Boden lag. Schockiert starrte ich auf Isabell, die tot neben ihm lag.
„Isabell...“, meine Lippen bewegten sich kaum merklich. Ich kniete mich neben ihren leblosen Körper und stammelte immer wieder ihren Namen. Langsam blickte ich auf in das Gesicht von Isabells Mörder. Seine grauen Augen schauten mich unverwandt an und immer noch murmelte er vor sich hin, dass es ihm leid täte und er es nicht gewollt hätte.
"Sie ist einfach auf mich zu gerannt und hat mir ihr Arme um den Hals geschlungen. Keine Ahnung weshalb sie das getan hat, aber sie stammelte immer wieder etwas vor sich her.", er griff sich an die Brust. Es sah fast so aus als gruben sich die Finger ganz in seinen Brustkorb, aber es konnte auch sein, dass ich es mir einfach nur eingebildet hatte. Ich zitterte am ganzen Körper. Am liebsten hätte ich einfach nur geschrien oder wenigstens geweint, doch irgendetwas an diesem Fremden hielt mich davon ab. Ob es nun die Ausstrahlung oder die Tatsache, dass er so verstört wirkte, war wusste ich nicht, aber ich blieb total ruhig auf dem Boden neben meiner besten Freundin knien. Meine Gedanken überschlugen sich und das Schuldgefühl wuchs mit jeder Sekunde. Hätte ich Mason an diesem Abend vollkommen ignoriert, ihn einfach nicht beachtet oder wenigstens nicht mit ihm gesprochen, dann wäre das alles nicht passiert! Dann wäre Isabell immer noch am Leben und ich würde nicht neben ihrem toten, kalten Körper knien. Wie von selbst stand ich auf, obwohl sich meine Beine anfühlten, als würden sie jeden Augenblick wieder zusammenknicken.
"Ich hatte versucht zu wiederstehen, wollte sie einfach nur trösten, weil sie total aufgelöst war und nicht aufgehört hatte zu weinen, aber ich schaffte es nicht. Verdammt. Es ist nur so, ich war für so lange Zeit einsam, konnte einfach nicht in die Gegenwart von Menschen und dann war sie auf einmal da. Ihre Haut roch so verführerisch. Ich versuchte wirklich zu widerstehen und für ein paar Sekunden gelang es mir auch. Aber dann hab ich deine Rufe gehört und bekam Panik!", nun zitterte auch er am gesamten Körper und sein Blick wanderte über meinen Körper. Er musterte mich und in diesem Augenblick erkannte ich, dass er genau so alt sein musste wie ich. Er ließ seine Brust los und streckte seine Hand nach mir aus, allerdings berührte er mich nicht, weil ich einige Meter von ihm entfernt stand. Schnell zog er seinen Arm wieder zurück und presste ihn mit der anderen Hand so fest er konnte gegen seinen Oberkörper.
"Ich bitte dich, verschwinde von hier! Ich kann dir nicht länger widerstehen. Bitte, mach es mir nicht noch schwerer als es ohnehin schon für mich ist und renn weg!", flüsterte er kaum hörbar. Langsam bekam ich richtig Angst. Ich ging ein paar Schritte nach hinten, bis ich gegen einen hochgewachsenen Baum stieß. Mein Atem ging schneller und mein Körper blieb bewegungslos gegen den Baum gepresst. Was zum Teufel meinte er damit, er könne mir nicht länger widerstehen?
"Ich meine es ernst! Verschwinde lieber von hier! Ich möchte dir nicht auch noch weh tun oder dich töten.", ich sah wie angestrengt er seinen Arm gegen den Körper presste und seine Zähne zusammenbiss, aber ich konnte und wollte mich nicht bewegen. Sein Blick fesselte mich und diese Verstörtheit ließ mich versteinern. Mit großen Schritten kam er auf mich zu und legte seine rechte Hand auf meine linke Wange. Sie war eiskalt und zitterte leicht. Vorsichtig zog er mein Gesicht näher an seines, dann hauchte er mir ins Ohr:
"Es tut mir so leid... Ich kann einfach nicht anders. Ich werde versuchen dich nicht zu sehr zu verletzen." Er küsste ganz sachte meinen Nacken. In meinem Magen fing es ungewöhnlich stark an zu kribbeln und ich bekam am ganzen Körper Gänsehaut. Seine Küsse auf meiner Haut fühlten sich so vertraut und wunderschön an, das ich am liebsten die ganze Nacht so dagestanden wäre, aber vom einen auf den anderen Moment verwandelte sich das wunderschöne, kribbelnde Gefühl in einen unerträglich stechenden Schmerz und ich spürte wie mir etwas warmes und flüssiges den Hals hinunterlief. Mir wurde schwindelig und meine Beine knickten weg. Ich spürte wie er mich an seinen kalten Körper drückte und seine Lippen meinen Nacken weiterhin liebkosten. Bevor ich mein Bewusstsein verlor spürte ich wie er mich auf die Erde legte, mich zärtlich küsste und mir noch ein letztes Mal zuflüsterte:
"Es tut mir leid... Ich wollte das nicht..." Eine unendliche Schwärze breitete sich vor meinen Augen aus.

Ich schlug meine Augen auf. Zuerst war alles um mich herum unscharf und in irgendeiner Weise blass, doch dann schärfte sich mein Blick und ich konnte alles ganz genau sehen. Kalter Regen prasselte mir ins Gesicht und es schien mir beinahe so, als könnte ich jeden Regentropfen einzeln und langsam fallend sehen. Erst als ich versuchte aufzustehen spürte ich wie wackelig meine Beine waren. Stolpernd ging ich ein paar Schritte und lehnte mich dann an einen Baum, der mich vor dem Regen schützte. Was war passiert? Weshalb zum Teufel lag ich im Regen auf dem Friedhof? Ich konnte mich nur daran erinnern, dass meine Freunde und ich den Geburtstag von Isabell auf dem Friedhof feierten und ich mich sehr gut mit Mason, dem Traummann von Isabell, verstand. Mehr wusste ich nicht. Hatte ich zu viel getrunken? Hatten wir überhaupt getrunken? Unsicher machte ich ein paar Schritte um zu gucken, ob ich normal gehen konnte. Zwar schwankte ich leicht, allerdings war sonst alles normal. Aus irgendeinem Grund bemerkte ich nichts von meinen Veränderungen. Ich machte mich auf den Weg und stolperte durch den Regen. Meine Klamotten waren komplett durchnässt, meine Augen brannten und mein Körper zitterte, obwohl ich gar nicht fror.
"Alex! Alex, ist alles ok bei dir?", ich hörte eine vertraute Stimme hinter mir rufen, kurz bevor ich zu Hause angekommen war. Reflexartig drehte ich mich um. Ein unbekannter Laut kam aus meiner Kehle, der sich anhörte wie ein Knurren. Wieso hab ich das getan?
"Hey, bleib mal ruhig! Nur weil ich dich gestern nicht beachtet habe musst du jetzt nicht so rum zicken.", typisch Ryan. Als wäre ich aus diesem Grund zickig und vor allem war ich das überhaupt nicht. Mit großen Schritten kam er auf mich zu. Ein inneres Gefühl sagte mir, dass es total falsch und gefährlich war wenn er zu mir kam.
"He, deine Klamotten sind ja ganz nass!", Ryan zog seine Jacke aus und legte sie mir über die Schultern. Als er mit seinen warmen Fingern meine Haut berührte durchzuckte mich ein kleiner Stromschlag. Scheinbar hatte auch er ihn gespürt, denn er zog seine Hand in Sekundenschnelle zurück und guckte mich verwirrt an.
„Du bist ja total durchnässt und eiskalt! Hast du etwa die ganze Nacht draußen verbracht?“, vorsichtig legte er mir die Hand auf den Rücken und schob mich voran. Die Berührung brannte, obwohl er nur die Jacke berührte.
„Du brauchst unbedingt neue Klamotten! Und du musst dich aufwärmen, sonst holst du dir noch den Tod.“, sanft aber bestimmt führte er mich in die Richtung meines Hauses, aber ich wollte das nicht. Ich wollte jetzt nicht in das Haus, das mich Jahre lang geborgen hatte, mir jetzt aber total fremd vor kam. Es fühlte sich so an, als wäre das alles Mal gewesen. Ich dachte an meine Mutter und an meinen Vater, aber wenn ich an sie dachte, dann spürte ich nur Hass und unendliche Wut, die schon jahrelang in mir zu sitzen schien, aber erst jetzt zum Vorschein kam.
„Lass mich...“, flüsterte ich und schüttelte sowohl seine Hand von meinem Rücken, als auch seine Jacke von meinen Schultern ab. Verdutzt guckte er mich an, aber irgendwas an meiner Stimme hielt ihn davon ab mir seine Jacke wieder umzulegen. Ich trat einige Schritte von ihm weg, dann drehte ich mich um und ging wieder in die Richtung des Friedhofes. Ungewollt, aber bestimmt lief ich diesen damals noch unheimlichen Weg. Es war fast so, als würde mich etwas dorthin ziehen, mich rufen. Mein Körper ließ es auch nicht zu, dass ich umdrehte und wieder zurück zu Ryan ging, selbst wenn ich es versucht hätte. Hinter mir hörte ich immer schneller werdende Schritte, dann wurde ich am Arm gepackt.
„Alex? Ist alles ok mit dir?“, es war nicht die Stimme, die ich erwartete. Wieder drehte ich mich um und schaute direkt in die wunderschönen Augen von Mason. Sein Griff brannte und unter meiner Haut fing es an zu kribbeln. Und plötzlich war alles anders. Mein Körper veränderte sich und mein Blut unter meiner Haut fing an wie wild zu brodeln. Es fühlte sich so an, als würden meine Adern jeden Augenblick platzen und meine Mundhöhle brannte unerträglich. Ich spürte einen stechenden Schmerz im Zahnfleisch und musste feststellen, dass meine Eckzähne merklich länger geworden sind. Was zum Teufel geschieht mit mir?, schosse es mir durch den Kopf, doch bevor ich noch irgendetwas machen oder denken konnte stellte sich mein Verstand komplett ab.
Bis vor kurzem konnte ich mich an das Folgende kein bisschen erinnern, doch nach und nach kam meine Erinnerung wieder.
Meine Beine gaben nach und ich sackte zusammen, keine Ahnung ob es wegen der Schmerzen, die sich auf meinen ganzen Körper ausbreiteten, war oder weil mein neuer Körper das verlangte. Mason fing mich kurz vor dem Boden auf, drückte mich ganz fest an seine sehr muskulöse Brust und legte mir dann seine Jacke um meinen vor Regen triefenden Oberkörper. Diesmal ließ ich es zu. Diesmal schüttelte ich die Jacke nicht ab, obwohl mir unglaublich heiß war. Ich bemerkte, dass sein Arm um meine Taille liegt und hielt sofort die Luft an. Wäre ich noch die Alte gewesen, dann wäre ich wahrscheinlich sofort rot geworden, aber ich spürte nichts von einer peinlichen Röte, was mich ziemlich beruhigte. Die Augen hielt ich geschlossen, doch ich fühlte, wie er mich wegtrug. Wohin konnte ich nur erahnen. Der Regen schlug mir ins Gesicht und das heulen des Windes in den Blättern der Bäume hielt meine Gedanken davon ab, über die vergangene Nacht nachzudenken. Plötzlich war alles still. Keine Regentropfen, die gegen jegliche Gegenstände tropften, kein Wind, der zwischen den Bäumen und Dächern heulte. Auch Mason bewegte sich nicht mehr, dann hörte ich ein leises vertrautes Klicken. Es war unsere Haustür, die ins Schloss gefallen war, aber wie zum Teufel kam er in unser Haus? Und dann begann das Chaos. Schritte, erleichterte Seufzer, Stimmengewirr. Alles auf einmal.
„Alex! Geht es dir gute? Wo warst du so lange?“, die hysterische Stimme meiner Mutter drang als Erstes zu mir durch, aber ich konnte oder besser gesagt ich wollte nicht antworten. Das würde nur wieder in eine stundenlange Diskussion ausarten, dazu hatte ich momentan wenig Lust. Ich tat so als wäre ich nicht bei Bewusstsein und hielt meine Augen immer noch geschlossen, auch Mason sagte nichts mehr und ging an meiner Mutter vorbei. Die Stufen hoch in mein Schlafzimmer quietschten leise. Mein Kopf lag genau an seinem Nacken und ich konnte sein Parfum wahrnehmen. Es roch verführerisch und ich konnte mich nicht davon abhalten so viel davon einzuatmen, dass mir schon fast schummrig wurde. Unten von der Tür aus hörte ich immer noch meine Mutter schimpfen, dass Mason mich doch gefälligst zu ihr bringen und ihr dann erklären solle, was passiert sei.
„Mrs. Merriweather, ich bitte Sie, lassen Sie mich Alex erst mal in ihr Zimmer bringen. Ich werde es Ihnen später erklären.“, Mason blieb stehen, aber konnte nicht spüren, ob er sich umdrehte. Seine Stimme war voller Respekt und Vertrauen. Zwar konnte ich das Gesicht meiner Mutter nicht sehen, aber ich wusste wie sie guckte. Wahrscheinlich stand sie sprachlos am Treppenende, spielte am Hemdzipfel von meinem Vater und guckte verdattert in Masons Richtung. Ein kleines Lachen konnte ich nicht unterdrücken und das Lächeln auf meinen Lippen wurde immer breiter.

Impressum

Texte: Charleen K.
Bildmaterialien: Google.de
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2012

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