Es war Nacht und helles Vollmondlicht erfüllte das Schlafzimmer. Ich konnte nicht schlafen, denn ich war noch zu aufgewühlt. Vieles war passiert.
Ich hatte Vampire kennen gelernt und von gefährliche Vampirjägern erfahren.
Und das komplizierteste, ein Blutsauger wollte mit mir zusammen sein!
Ich als Mensch, wie sollte das gehen? Könnten sie sowas wie Blutdurst haben und dabei jeden anfallen, egal ob Freund oder Feind? Wie sind die anderen Vampire? Ihre Fähigkeiten? Gefährlich? Tödlich?
Diese Fragen ließen mich einfach nicht los und ich regte mich unruhig.
Samir, auf dem ich halb lag und von dem ich dachte, er schliefe schon, richtete sich auf und beugte sich über mich.
„Marc, was ist mit dir?“, fragte er sanft und eine Hand legte sich an meine Wange. „Mir geht so vieles durch den Kopf“, antwortete ich
Beruhigend strich er über meine Haut. „Das kann ich mir vorstellen. Würde mich sogar wundern, wenn du alles so wegstecken könntest.“
Er legte sich hin und zog mich wieder auf sich.
„Also, was hast du auf den Herzen?“
Es war schön in seinem Armen liegen zu können. War das vielleicht zu schnell für eine erste Beziehung? Aber ich fühlte mich wohl und sah deshalb kein Problem darin.
Ich zögerte kurz: „Habt ihr sowas wie Blutdurst? Ich meine... könntest du unberechenbar werden?“, wagte ich doch zu fragen.
Eine Weile war Stille und ich wollte mich schon aufrichten um in sein Gesicht sehen zu können, doch seine Arme hielten mich davon ab. Sein Kopf schob sich an meiner Seite und stützte sich auf meine rechte Schulter, die Nase nah an meiner Halsschlagader. Schnupperte er wirklich an meinen Hals?
„Hm, ja Blutdurst kann wohl jeder Vampir haben, doch vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich habe lange trainiert um dieses Bedürfnis, sollte es unerwartet auftauchen, unterdrücken zu können. Zwar nicht für Stunden, doch lange genug um zu verschwinden und mir ein geeignetes Opfer zu holen.
Dir wird nichts geschehen. Darauf werde ich achten, obwohl dein Blut sehr lecker riecht und bestimmt auch so gut schmeckt.“
Bei dem Wort ‚Opfer’ lief es mir kalt den Rücken herunter. Aber war da wirklich so ein großer Unterschied, wie wenn ein Mensch ein Tier schlachtet um sich an dem Fleisch zu laben?
Ich gab einen erschrockenen Laut von mir, als eine feuchte Zunge an mein Hals entlang fuhr.
„Hey!“ Die Zunge verschwand.
„Sorry, aber ich konnte nicht widerstehen“, lachte der Vampir und ich konnte nicht anders als mit zu lachen. Komischerweise vertraute ich ihm, dass er nicht plötzlich zubiss. Schließlich hatte er mehr als eine Gelegenheit dazu gehabt, oder? Plötzlich kam mir ein Gedanke.
„Samir, wird man nicht bei einem Biss zum Vampir?“ Ich spürte, dass er die Frage sehr ernst nahm, wohl weil er dies in der Hand hatte.
„Im Prinzip ist das möglich, auch wenn bestimmte Regeln beachtet werden müssen. Sonst wird der Mensch nicht zum Geschöpf der Nacht sondern zu einer blutleeren Leiche.“
„Könntest du es?“
„Ja. Warum fragst du? Willst du, dass ich dich wandle?“
„Nein, ich war nur neugierig“, versicherte ich schnell.
Ich hatte bis jetzt noch gar nicht darüber nachgedacht. Samir wäre also dazu in der Lage, aber war es wirklich nötig? Gute Gründe gab es ja.
Zum Beispiel wurde ich immer älter und Samir blieb jung. Würde er mich deswegen bald verlassen? Der Gedanke schmerzte, da ich ihn wirklich mochte. War dies schon eine Art der Liebe? Selbst wenn, ich war jung und hatte bestimmt noch Jahre um das entscheiden zu können. Zumindest hoffte ich das.
Doch ich würde meinen Status als Mensch verlieren und Blut trinken müssen.
War es das wirklich wert oder eher: Wäre das wirklich so schlimm?
Ich wusste es nicht.
„Ich mache mir Sorgen, Marc“, durchdrang wie weit weg die Stimme meine Gedanken.
„Was hattest du gesagt?“, fragte ich sogleich.
„Ich habe Angst um dich“, wiederholte Samir noch einmal.
„Wieso das?“, fragte ich verwirrt. Mir ging es doch gut, außer der kleinen Kopfwunde, die, während ich still lag, kaum schmerzte.
„Ich rede von den Vampirjägern. Wenn sie doch eine Spur zu dir finden, wäre das schlecht.“
Ich gab mich zuversichtlich: „Ich glaube nicht, dass sie mich finden. Wie auch?“
„Sie haben so ihre Methoden“, sagte Samir.
„Na und? Ich habe die Polizei und einen starken Vampirfreund“, entgegnete ich siegessicher. Er seufzte lautlos.
„Nun gut, du sturer Esel. Versprich mir nur vorsichtig zu sein.“
„Ich verspreche, ich werde vorsichtig sein und mich in acht nehmen“, versprach ich halb im Scherz und Samir nahm es hin.
Irgendwie konnte ich es einfach nicht ernst nehmen. Schließlich war er doch ein übermenschliches Wesen, ausgestattet mit Sinnen, die jedem Menschen überlegen sind.
Wenn ich später auf diesen Moment zurückblickte, fragte ich mich immer, warum, wenn man nicht hören wollte, es auf so brutale Weise zu fühlen bekam.
Warum musste das Schicksal immer so grausam sein?
Ich war wohl dann eingeschlafen, denn als ich das nächste mal die Augen aufschlug, fing es draußen an zu dämmern. Während der Nacht bin ich von dem Vampir runtergerutscht und lag nun neben ihm.
Sein Gesicht war direkt vor mir und die Lider waren geschlossen, die Gesichtszüge entspannt.
Ich drehte mich auf die Seite und betrachtete fasziniert wie bei jedem Atemzug sein Brustkorb, unter der Decke, sich leicht senkte und wieder nach oben wölbte.
„Guten Morgen“, flüsterte eine tiefe Stimme und mein Blick wanderte zurück zu seinem Gesicht. Schwarze, klare Augen sahen mich an, ohne Anzeichnen der morgendlichen Benommenheit wie ich es von mir kannte.
„Morgen“, erwiderte ich lächelnd. „Habe ich dich geweckt?“
Samir schüttelte den Kopf, beugte sich nach vorne und gab mir einen leichten Kuss. „Nein, ich bin schon seit Stunden wach. Aber ich wollte noch nicht aufstehen, sondern lieber deine Nähe und Wärme genießen“, schnurrte er fast.
Ich konnte nichts dagegen tun, doch meine Wangen fingen an zu glühen.
Um die Verlegenheit zu überspielen, schwang ich nun selbst meine Beine aus dem Bett und stand auf. Wir beiden hatten immer noch die Sachen vom Vortag an. Mir es machte nichts aus, dass Samir bei mir schläft. Ich hatte es sogar genossen. Aber die Kleider anfangs fallen zu lassen, das wäre mir definitiv zu weit gegangen. Auch Samir hielt sich zurück.
Er ließ mir Zeit und ließ mich bestimmen, wie weit ich mich traute und das war mir sehr wichtig.
Plötzlich wurde ich von hinten umarmt und fest an einen Männerkörper gepresst.
„Wie gerne ich noch länger bleiben würde, aber ich muss leider zu Arbeit.“
„Du hast einen Job?“, fragte ich erstaunt und lehnte mich an ihm.
„Tja, ob Mensch oder Vampir, es schadet nie etwas Geld im Haus zu haben“, war die amüsierte Antwort.
„Außerhalb der vier Wänden gebe ich mich trotz allem als Mensch aus.“
Ich brummte nur zur Antwort. Ich wollte nicht alleine sein. Nie hatte ich mich so wohl gefühlt. Als hätte Samir meine Gedanken erraten, meinte er: „Ist ja nicht für lange. Wie wäre es, wenn wir Abends was unternehmen?“
Ich wurde hellhörig. „Ausgehen?“
„Ja, ich lade dich dazu ein, mit mir heute Nacht in der Disco abzuhängen und dich ordentlich zu amüsieren. Wie sieht es aus, Kleiner?“, flüsterte er in mein Ohr. Disco? Obwohl, warum nicht.
„Aber bitte nicht in die Disco vom letzten Mal“, bat ich.
„Okay, du denkst bestimmt an die Vampirjäger. Keine Angst, selbst wenn wir dorthin gegangen wären, sind sie bestimmt nicht an dem Ort. Ihr Ziel war erreicht.“ Schon wieder lief es mir kalt dem Rücken runter. Ja, ihre Aufgabe hatten sie sehr genau erfüllt. Konnte ihnen keiner das Handwerk legen?
Nachdem ein Zeitpunkt ausgemacht wurde, konnte sich Samir endlich lösen und verschwand aus der Wohnung. Ich machte mir Kaffee und ein großes Frühstück, da ich mich schon etwas ausgehungert fühlte. Wen wundert es bei solche kräfteraubende Ereignisse? Es war still in der Küche. Ich konnte nicht anders als ständig an Samir zu denken. An seinen warmen Körper und seiner beschützerischen Art. Um mich abzulenken, schaltete ich das Radio an und versuchte mich auf die Lieder zu konzentrieren. Doch vergeblich.
Nach dem Frühstück hatte ich das Gefühl, dass meine Wohnung fast einengend und erdrückend auf mich wirkte und beschloss etwas spazieren zu gehen.
Befreiend atmete ich die kalte Luft ein, froh aus meiner Wohnung zu sein.
Es war noch früh am morgen und leichter Bodennebel hing über dem Straßen. Ein wunderschöne Anblick beim Aufgehen der Sonne.
Ich hatte ein paar Straßen hinter mir gelassen und war an unzählige Gassen vorbeigegangen, als aus einer plötzlich eine menschliche Gestalt heraus trat.
Sie war von hohem Wuchs und ich drehte mich auf der Stelle um und ging mit schnellen Schritten in die entgegengesetzte Richtung. Wer wusste schon, wer sich so früh hier draußen rum trieb?
Doch eine bekannte Stimme hielt mich auf.
„Marc? Bist du das?“
Verblüfft blieb ich mitten im Schritt stehen und wandte mich zu der Gestalt.
Es war Andrew, Ricks neuer Freund.
Andrew kam auf mich zu und blieb unmittelbar vor mir stehen.
Jetzt sah ich, dass er einen langen Ledermantel und Hose trug mit den passenden Schuhen. Die gleichen Sachen wie er sie letztens in der Disco an hatte.
„Oh, hallo Andrew. Kommst du gerade von einer Feier?“, war daraufhin meine schlussfolgende Frage. Für den ersten Moment sah er mich verwirrt an, bevor er meinen Blick folgte.
„Wie... achso, ja, ich komme gerade von einer Geburtstagsfeier. Wir haben die ganze Nacht durch gemacht.“ Er fing an zu lachen.
Ich lächelte nur. Etwas seltsam fand ich seine Aufmachung schon. Irgendwie kommt mir seine Kleiderwahl nicht wie für eine Feier, sondern eher wie abenteuerliches Kampfmontur vor. Als ich dies zum ersten Mal sah, dachte ich es wäre einfach ein Gag. Aber scheinbar lief er öfter so rum.
Obwohl, warum nicht? Es hatte doch jeder so seine Macken.
„Und du kannst noch auf beiden Beinen stehen und in zusammenhängende Sätze sprechen?“, fragte ich scherzend.
Andrew nickte: „Ich trinke prinzipiell keinen Alkohol. Wusstest du nicht, das bei jedem Rausch über Millionen von Gehirnzellen absterben? Ich möchte lieber alle behalten“, scherzte er zurück.
„Nein, wirklich. Ich wollte noch etwas mit dem Motorrad fahren und dafür brauche ich einen klaren Kopf“, beeilte er sich zu erklären.
„Vernünftig, mit Alkohol am Steuer hat man nie gute Karten“, stimmte ich zu.
Andrew blickte sich um und kam plötzlich etwas näher an mich heran.
„Gut, dass wir uns treffen. Ich wollte mich mit dir mal dringend unterhalten.“
„Über was denn?“
Er blickte mir in die Augen. „Ich habe mitbekommen das eine alte Bekannte von dir ermordet wurde.“ Unwillkürlich versteifte ich mich.
„Ja, ich weiß. Ich hatte es gestern Nachmittag erfahren“, erwiderte ich etwas bedrückt. Andrew beobachtete mich genau und ihm entging keine Regung meinerseits. Was sollte dieser prüfende Blick?
„Wo warst du denn als der Mord geschah?“
Hatte ich mich verhört oder fragte er mich tatsächlich aus?
Ich sah ihn irritiert und wahrscheinlich etwas empört an. „Ich war bei einem Freund. Aber warum interessiert es dich?“
Sein Blick blieb weiterhin bohrend. Irgendetwas war im Busch.
„Weißt du, ich war zufällig in der Nähe der Bücherei essen und sah, wie du hinein gingst. Deshalb dachte ich schon, es hätte dich mit erwischt.“
Oh, Scheiße! Ich bemühte mich meine Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen und überlegte mir fieberhaft eine plausible Ausrede.
„Stimmt, ich habe mir paar Bücher ausgeliehen und bin dann wieder weg.“
Andrew schaute verwundert. „Aber ich hatte dich doch nicht rausgehen sehen.“
„Ich musste den Hinterausgang nehmen, da Frau Churbach dummerweise ihren Schlüssel verlegt hatte. Sie ist ja schon etwas älter und sehr vergesslich. Ich bin dann durch die Gassen und auf einer andere Straße raus gekommen“, versuchte ich logisch vorzutragen. Hoffentlich logisch genug.
Andrew grinste: „Achso, so war das. Und ich hatte mir schon das schlimmste ausgemalt. Schließlich war keine Rede von einer zweiten Person und ich dachte schon, du wärst entführt worden oder so.“
Ich lachte etwas verkrampft. Der kam der Wahrheit ja ziemlich nahe!
„Nun, wie gesagt. Ich war bei einem Freund und hatte wohl Glück, dass ich nicht länger geblieben war.“
Er schmunzelte: „Ja, davon hast du wirklich viel.“ In Anspielung auf die Disconacht mit dem zwei ermordeten jungen Männer.
Andrew blickte auf sein Handgelenk, wo eine Uhr dran befestigt war.
„Oje, schon so spät? Ich komme zu spät zu meinem Termin.“
Sein Blick wanderte zu mir.
„Zumindest bin ich, was dich anbelangt, beruhigt. Und es tut mir wirklich Leid, was mit der alten Frau passiert ist. Ich hoffe, man findet bald den Mörder.“
„Das hoffe ich auch“, murmelte ich leise. Was sollte ich auch sonst sagen?
Der Mörder war ein Vampir, der mein Partner war und ich mochte ihn?
Schnell gab er mir seine Hand und verabschiedete sich. Mir fiel ein Tatoo auf seinem rechten Unterarm auf. Ein großes, weißes Kreuz.
Betäubt sah ich ihm nach. Ob er mein erschrockenes Zusammenzucken bemerkt hatte? Ich glaubte nicht.
Waren das nicht zu viele Zufälle?
Diese ganzen Fragen und die Kleidung als wäre er geradewegs aus einem Van Helsing Film entsprungen? Und Samirs Warnung, sie hätten ihre eigene Methoden um Spuren zu folgen.
War Andrew vermutlich ein Vampirjäger?!
Ich schüttelte energisch mit dem Kopf. Stopp, ich durfte mich nicht verrückt machen. Andrew hatte nur Klarheit haben wollen, da ihm manches Suspekt war und er sich Sorgen gemacht hatte. Ich hätte doch nicht anders gehandelt, oder? Konnte wohl noch froh sein dass er nicht sofort die Polizei benachrichtigt hatte.
Ja, genau! Ich sollte aufhören, hinter jedem Schatten eine Bedrohung zu erahnen.
Ich war einfach von den Ereignissen überfordert.
Ich machte mich auf dem Weg nach Hause. Meine Gedanken auf den bevorstehenden Discobesuch gerichtet. Ich werde mit Samir hingehen.
Oh, Gott, was sollte ich denn nur anziehen?
Tag der Veröffentlichung: 19.01.2010
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