„Marc! Nun komm schon... sag ja! Bitte...“
Mein bester Freund packte mich an meiner Jacke und schüttelte mich durch, als könne er so meine Zustimmung erzwingen. Genervt befreite ich mich aus seinem Griff.
„Man, Rick, warum willst du mich heute unbedingt in diese neue Disco schleppen? Ich hatte dir schon letztens gesagt das mich so etwas nicht interessiert...“
„Aber Marc, du kannst doch nicht die ganze Zeit nur zu Hause hocken. Junge Menschen wie wir sollten sich amüsieren. Wann warst du denn letztes Mal aus?“
Ui, da hatte er mich erwischt.
„Hm, keine Ahnung aber...“
„Nichts aber!“, unterbrach mich Rick: „ich hol dich um 20 Uhr ab. Bis dahin hast du dich discofertig angezogen und keine Ausreden!“
Er schnappte sich seine Jacke und verschwand aus der Haustür bevor ich überhaupt Widerworte geben konnte.
Na toll, jetzt musste ich mich auch noch darauf vorbereiten. Denn so wie ich ihn kenne lässt Rick nie Ausflüchte gelten.
Wirklich, ich hatte es mal ausprobiert. No Chance...
Dabei meinte er es aber nur gut mit mir. Nach seinem Geschmack bin ich viel zu oft allein und er meinte, auf Dauer könnte das doch nur Schaden.
Keine Ahnung ob er Recht hatte. Schließlich war ich es gewohnt allein zu sein. Und das war ich ständig, bevor ich Rick kennen lernte. Durch ihn lernte ich auch andere Menschen meinem Alters kennen.
Okay, ich geb’s zu.
Es ist ein schönes Gefühl, mit anderen Menschen zusammen zu sein, statt im Wohnzimmer vor dem Computer rum zu hocken.
Und dann kam die Steigerung. Rick fing vor 2 Wochen an darüber zu reden mich mal in eine Disco mit zu nehmen. An sich ja nichts weltbewegendes. Aber wenn man so viele Leute nicht gewohnt war, kann es schon unangenehm sein, glaube ich. Von allen Seiten von schwitzenden Leibern eingeschlossen, die laute Musik und die Hitze...
Stopp! Jetzt stellte ich es mir schon schlimmer vor als es wohl in Wahrheit ist.
Aber wie gesagt, ich hatte wohl keine andere Wahl als mitzumachen.
Als ich auf meine Armbanduhr sah, war es schon 19.10 Uhr. Es war wohl Zeit mein Outfit raus zu suchen.
Meine Wohnung war nicht besonders groß. Ein Schlaf-, Wohn-, Bad-, und Esszimmer. Vier Zimmer klingt nach wenig aber dafür sind die Zimmer schön, gemütlich und preiswert.
Ich ging in mein Schlafzimmer und steuerte direkt meinen dunkelbraunen Kleiderschrank an.
Trotz meiner zurückgezogene Lebensweise war der Schrank bis oben hin voll. Was nur zeigte, wie anstrengend eine Shoppingtour mit Rick war... Ja, auch Männer müssen mal einkaufen.
Ich wühlte in den ganzen Sachen und zog anschließend eine schwarze, enge Jeans mit Schlitzen in den Hosenbeinen und ein ärmelloses schwarz-weißes T-Shirt heraus.
Zufrieden mit der Wahl schmiss ich alles auf mein Bett, dann beugte ich mich über mein Nachttisch und öffnete die Schublade. Ein dunkelblaues, klitzerndes Halsband wurde sichtbar, was ich auch mit aufs Bett legte.
Als ich alles zusammen hatte, zog ich mich aus und ging duschen. Dabei rieb ich mich mit Shampoo ein, das köstlich nach Kirschen roch.
Frisch geduscht zog ich die neuen Sachen an und war bald ausgehfertig.
Es war jetzt kurz vor 20 Uhr und Rick müsste bald an der Tür stehen.
Jetzt erst kroch langsam Nervosität in mir hoch.
Wie würde es wohl in der Disco sein? Ich hatte schließlich keine Ahnung wie es in einer Schwulen-Disco aussah... Und ja: ich bin schwul!
Endlich klingelte es an der Tür und ich sprang schnell von meinen Sessel, ging zu selbiger und öffnete sie.
„Na, Marc. Bist du soweit? Können wir los?“, fragte Rick und musterte mich.
Grinsend meinte er: “Schlecht siehst du schon mal nicht aus. Wärst du mein Typ wäre ich nicht abgeneigt mit dir ins Bett zu steigen.“
„Idiot!“, sagte ich nur und blickte ihn nun meinerseits an.
Ricks lange Beine steckten in einer Lederhose und seine Bauchmuskeln wurden durch das Muskelshirt betont. Seine kurzen braune Haaren waren zu Stacheln aufgegeelt, wobei ich schwarze Strähnchen entdeckte.
Alles in Schwarz.
„Du siehst auch nicht schlecht aus, aber sag mal warum sollte ich unbedingt nur schwarze Sachen anziehen?“
„Weil von der Disco das Motto *Sonnenfinsternis* ist. Eh du fragst, ich war selbst noch nicht drin. Ist auch erst vor sieben Tagen neu eröffnet wurden und ein Freund von mir meinte, es wäre der Hammer dort. Und keine Sorge, wenn dir jemand zu nahe tretet werde ich mit ihm mal an die frische Luft gehen und...“
Ich hörte ihm nicht mehr zu, während wir zu seinem Wagen gingen und einstiegen. Wenn Rick mal ein Thema gefunden hatte, konnte er auch stundenlang davon erzählen ohne Luft zu holen.
Wir fuhren wohl so eine halbe Stunde als wir wieder hielten. Ich stieg aus und sah mir kritisch das herunter gekommene Gebäude an, das außerhalb der Stadt auf einsamen Geländer stand. Es war still.
„Sind wir hier richtig?“, fragte ich Rick zweifelnd.
Er lachte: „Lass dich nicht von dem Äußeren täuschen, Marc.“
Er öffnete die Eingangstür und wir gingen hinein. Sofort schlug uns laute Musik entgegen und ich hätte wohl schreien müssen, wenn ich Rick was sagen wollte.
Viele junge Menschen drängten auf der Tanzfläche, auf der ich mich plötzlich wieder fand. Es waren ausschließlich Männer die ich sah, oh ein Wunder.
Ich sah wie mein Freund schon anfing die Jungen in seiner Nähe zu beobachten um jemanden zum tanzen auszusuchen.
Als er kurz zu mir blickte, zeigte ich erst mit dem Fingern auf mich und dann auf die dunklen Nischen außerhalb der Tanzfläche. Mir wurde nämlich das Gedränge langsam zuviel und wollte mich deshalb in einer ruhigen Ecke, eine Etage weiter oben, wie ich sah, zurückziehen und erst mal alles beobachten.
Rick nickte. Er hatte verstanden.
Schnell drängte ich mich durch die Menge und schob mich durch die jungen Männer. Manche zwinkernden mir zu oder sprachen mich an. Ich tat aber so als hätte ich nichts mit bekommen, lief weiter und dann eine Treppe hoch.
Erleichtert erreichte ich eine leere, kleine, dunkle Sitzecke und ließ mich nieder. Ich bestellte mir von einer Frau mit knappen Rock eine Cola-Wodka, lehnte mich zurück und sah mich um.
Rick hatte recht gehabt, der Laden hier war nicht schlecht. Ich war zwar noch in keiner anderen gewesen, aber der Raum war groß.
Wer tanzen wollte, konnte auf die Tanzfläche und hier in den Nischen war es gemütlich und angenehm kühl. Gut fand ich, das die Musik nur gedämpft hier oben an kam.
Ich versuchte in den anderen Nischen zu spähen und als ich eng verschlungene Leiber erahnte, schaute ich schnell wieder weg. Meine Wangen färbten sich rot und ich versteckte mich schnell hinter meiner Cola-Wodka.
Hm, ich hatte zwar gesagt das ich schwul bin, aber hatte in diesen Dingen noch überhaupt keine Erfahrungen. Ich hatte nur gemerkt das ich mit Frauen nichts anfangen konnte und Rick meinte nur dazu, das ich mich doch bei dem eigenen Geschlecht mal um sehen sollte.
Anfangs zeigte ich ihm einen Vogel. Ich und schwul...? Nie im Leben!
Aber dann beobachte ich doch, gegen meinen Willen, Männer, die ich während meiner Besorgungen z.B. beim Einkaufen begegnete.
Und wirklich etwas regte sich in mir. Nicht das, was wohl manche jetzt dachten! Ich meinte damit Interesse.
Als ich den Mut fand und Rick dies beichtete, meinte er nur: „Cool, dann sind wir schon mal zu zweit.“
Und schon kurz danach kam er mit der Schwulen-Disco an.
So in Gedanken, merkte ich nicht wie sich jemand mir gegenüber hinsetzte. Ich schrak erst auf als sich dieser jemand räusperte und hob meinen Blick.
Ich sah in ein gutgeschnittenes Gesicht mit schwarzen Augen.
Schwarze Augen?
Man der ging wohl voll mit dem Motto *Sonnenfinsternis*, dass er sich sogar schwarze Kontaktlinsen einsetzen ließ.
Ich ließ mein Blick weiter wandern. Lange, glatte Haare vielen bis zu dessen Hüfte. Gebändigt von einem Haarband. Er trug ein langärmeliges Oberteil auf dem ein Totenkopf abgebildet war und eine Hose mit Stiefeln. Erübrigt sich zu erwähnen das alles schwarz gehalten war, oder?
Lächelnd ließ er meine Musterung zu, bevor er fragte: „Gefällt dir was du siehst?“
Sofort lief ich rot an und das Lächeln wurde zum Grinsen.
Ich fing an zu stottern: „Ich... ich wollte nicht so starren.“
„Ach Kleiner, für sowas musst du dich nicht gleich schämen.“, sagte er amüsiert.
Sofort war mein Kampfgeist wieder da.
„Ich bin nicht klein! Und wer bist du überhaupt das du dich ohne zu fragen einfach zu mir setzt?“
Kurz sah er mich an, dann stand er auf.
„Hallo, hast du was dagegen wenn ich mich zu dir hin setze?“, fragte er als wäre er gerade erst angekommen.
Ich konnte nur verdattert mit dem Kopf schütteln.
Der junge Mann nahm es einfach als Antwort auf seine Frage und nahm Platz.
Jetzt hatte er wieder ein Grinsen drauf und ich war immer noch sprachlos.
Plötzlich lachte er los und mir wurde bewusst wie irritiert ich wohl im Moment aussehen musste. Langsam wurde ich wütend.
Ich wollte was sagen aber da kam er mir zuvor: „Entschuldigung, ich wollte dich nicht so verwirren. Ich sah dich nur so allein hier rum sitzen und wollte mal sehen ob du Gesellschaft brauchst.“, sagte er im sanften Ton und ich vergaß sofort meine Wut.
„Ähm... ja danke. Ich war wohl nur so überrascht plötzlich jemanden vor mir zu haben.“
„Kein Problem. Übrigens mein Name ist Samir und deiner?“
„Ich heiße Marc und bin eigentlich mit meinen Freund Rick hier, aber er flirtet wohl im Moment mit jemanden.“
„Und was ist mit dir? Warum suchst du dir niemanden?“, fragte er mich.
„Nun...“, ich blickte an ihm vorbei, denn seine klaren schwarzen Augen bohrten sich tief in meine.
Irgendwie war mir das unangenehm.
„Nun, eigentlich wollte ich mich erst mal umgucken, da ich zum ersten mal hier bin.“
„Hm, meinst du, du wärst zum ersten mal hier in dieser Disco oder meinst du, du bist zum ersten mal in einem homosexuellen Laden?“
Überrascht sah ich wieder in seine Augen und gegen meinen Willen rutschte die Antwort heraus: „Zum ersten mal in einer Schwulen-Disco...“
Entspannt lehnte sich Samir zurück, wobei er mich unverwandt ansah. Irgendwie erinnerte mich sein Blick an Raubtieraugen.
Unwirsch warf ich den Gedanken weg und konzentrierte mich auf das Gespräch. Samir lächelte wieder, als hätte er etwas gehört was ihm amüsierte.
„Irgendwann ist immer das erste mal. Sag mal, hast schon einen Freund oder schon mal einen gehabt?“
„Nein, ich habe und hatte noch keinen Freund. Ich wüsste auch nicht was es dich angehe!“, langsam gingen mir die Fragen doch auf die Nerven.
Entwaffnend hob er seine Hände.
„Sorry, wenn ich jetzt zu aufdringlich war.“, entschuldigte er sich sogleich.
Samir winkte der Disco-Kellnerin und bestellte für mich noch einen Cola-Wodka. Kurz sah ich auf meinen, der schon ausgetrunken war ohne das ich es bemerkte.
Lächelnd drehte er sich wieder zu mir um und winkte ab als ich bezahlen wollte.
„Geht auf meine Kosten.“, meinte er nur.
„Ähm... danke.“, und nahm einen kleinen Schluck.
Er beobachtete mich dabei, wobei man ihm deutlich ansah das er über etwas nach dachte. Plötzlich erhob er sich, ging paar Schritte und setzte sich dicht neben mich.
Überrascht verschluckte ich mich an den Alkohol und musste husten. Beruhigend klopfte er mir auf den Rücken und half mir somit wieder zum Atem zu kommen. Es brannte etwas in meiner Kehle.
Endlich schaffte ich es zu fragen: „Was wird denn das?“
Samir sah mich nur seltsam an und fragte nun seinerseits: „Würdest du gerne mal wissen, wie sich ein Kuss von einem anderen Mann anfühlt?“
Für dem ersten Moment sah ich ihn sprachlos an.
Einen zweiten Moment bekam ich nicht.
Aufeinmal war sein Gesicht sehr nah an meins und ich wusste nicht wie ich reagieren sollte.
Es zu lassen? Ihn weg schupsen? Zuschlagen?
Doch dann spürte ich seinen Mund auf meinem.
Ich nahm seine warmen Lippen wahr, wie sie sich mit sanften Druck gegen meine pressten.
Es war ein aufregendes Gefühl.
Plötzlich spürte ich wie sich mein Gegenüber versteifte und sich mit einer schnellen Bewegung von mir löste.
Er drehte sich um und spähte zum Eingangbereich. Ich war noch zu benommen von dem Kuss und bekam somit die Spannung in der Luft nicht mit, denn mir wurde gerade bewusst was passiert war.
„Hey, was sollte das denn? Wenn du das noch einmal machst, dann...“
Ich verstummte erschrocken als Samir sich mir zuwand. Seine Augen schienen zu glühen und ein gefährliches Flackern war zu erkennen.
Ich wusste nicht wie er es machte, aber von einen Moment zur anderen stand er wieder dicht vor mir und ich prallte vor Überraschung zurück und knallte dabei mit meinem Kopf an die Wand hinter mir.
„Wir werden uns wiedersehen!“, flüsterte er mir ins Ohr, wobei es mehr nach einer Drohung als Versprechen klang.
Ich spürte wie sich bei mir eine Gänsehaut bildete. Ich wollte was sagen, aber plötzlich konnte ich ihn nicht mehr sehen. Irritiert blinzelte ich und blickte mich um.
Ich konnte gerade noch erkennen wie Samir sich, elegant wie eine Raubkatze, durch die Menschenmenge bewegte, in Richtung Hinterausgang.
Ein Aufruhr im Eingangsbereich lenkte mich ab. Ein grauhaariger Mann, vielleicht mitte 50. Lebensjahr, drängte sich unsanft durch die Menge. Die jungen Menschen, die weg gerempelt wurden, protestierten laut und bewarfen den Mann mit Schimpfwörter.
Kurz blieb der Grauhaarige stehen und schaute umher. Und ich war mir sicher das seine Augen vor Zorn blitzen als sein Blick am Hinterhausgang hängen blieb.
Als ich selbst in die Richtung blickte, sah ich wie Samir dem Mann einen spöttischen Handwink schenkte und dann aus dem Club verschwand.
Der Grauhaarige schrie vor Wut und versuchte nun noch schneller den Hinterausgang zu erreichen, aber die Discobesucher stellten sich ihn im Weg und ich glaubte nicht das er ganz ungeschoren raus kam.
Verwirrt hatte ich das zugesehen.
„Was geht hier vor?“, flüsterte ich.
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2009
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