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1.Kapitel


"Ich meine das vollkommen Ernst!", hörte sie ihre Mutter die Treppe hinauf brüllen. Natürlich meinte sie das. Das tat sie doch immer, dachte Luna Harper, während sie sich seelenruhig weiter schminkte.
Ihre Mutter stand, wütend vor sich hinmurmelnd, am Fuß der Treppe und wartete auf die Antwort ihrer Tochter. Doch Luna dachte nicht einmal daran. Sie hatte einfach keine Lust ihrer Mutter irgendwelche sinnlosen Widerworte entgegen zu schleudern.
Es hatte sowieso keinen Sinn.
Sie würde auf die Party gehen. Mit oder ohne die Erlaubnis ihrer Mutter. Noch vor einem halben Jahr hätte es derart Streiterein im Haus der Harpers nicht gegeben. Lunas Vater hätte die Angelegenheit mit seiner ruhigen, gelassenen Art geregelt.
Und das ganz ohne Schimpfen oder Brüllen.
Vor einem halben Jahr war noch alles gut gewesen. Für Luna, ihre Mutter, einfach für alle. Doch jetzt ... jetzt war alles anders.
Falsch.
Nicht richtig ohne ihn.

Lunas Kehle verengte sich. Die so krampfhaft verdrängten Erinnerungen kamen wie ein Jojo wieder zurück in ihren Kopf gesprungen, spukten vor ihren inneren Auge herum und sorgten dafür, dass heiße Tränen in Lunas Augen traten.
Vor knapp einem halben Jahr war ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war noch alles gut in Lunas Leben gewesen. Sie war gut in der Schule, hatte eine liebevolle Famile und einen einfach perfekten Freund gehabt.
Doch jetzt . . . .
Ihr Dad war tod, ihre Mutter hatte einen neuen Freund und Ty hatte mit ihr Schluss gemacht.
Kurzgesagt: Lunas Leben war im Moment echt ätzend.

Ja, 'echt ätzend' traf es wohl ganz gut. Kein Wunder, dass sogar ihre Albträume und nächtlichen Panikattacken mit voller Wucht zurückgekehrt waren.

"Du wirst nicht auf diese Party heute Abend gehen!" Die wütende Stimme ihrer Mum riss Luna aus ihren Gedanken. Sie rollte mit den Augen.
Luna war nicht die Einzige, die sich in der letzten Zeit verändert hatte. Auch ihre Mum war seit Dads Tod vollkommen anders. Es war, als hätte sie die Trauer und den Schmerz einfach ausgeblendet und da weitergemacht, wo sie aufgehört hatte. Luna dagegen, hatte wohl den Schmerz umso schlimmer wahrgenommen.
Und sie war so unendlich wütend auf ihre Mutter gewesen. Hatte nicht verstanden, wie sie nur so schnell das Ganze verdrängen konnte.
Und jetzt, um den ganzen wohl die Krone aufzusetzen, hatte ihre Mum auch noch einen neuen Freund.
hren Yoga-Lehrer John.

Ironisch, was? Kaum war ihr Dad tot, machte ihre Mum mit diesem jungen Typen rum.
John war keine zehn Jahre älter als Luna selbst. Vielleicht war das auch einer der Gründe, warum sie ihn so abgrundtief hasste.
Luna konnte nichts dagegen tun. Der Typ war ihr einfach unsympatisch und er ging ihr buchstäblich am Arsch vorbei.

Sie schluckte den Kloß aus Tränen in ihrem Hals herunter, um nicht einfach loszuheulen. Sie atmete noch einmal tief durch.
Bereit auf den bevorstehenden Kampf mit ihrer Mum. Eigentlich wollte sie nicht auf diese Party. Aber ihre beste Freundin Chloe hatte darauf bestanden, dass Luna kommen würde. Schließlich war es einer der berühmten Jonas Smith Partys.
Jonas' Eltern war generell alles egal was ihren Sohn betraf. Und da sie übers Wochenende verreist waren, schmiss Jonas mal wieder ne riesen Party.
Chloe freute sich schon seit Tagen darauf. Sie war davon überzeugt, dass Luna einfach nur etwas Ablenkung brauchte.
Ablenkung von ihrem Dad und von Ty.
Oh Ty . . . . .

Sie vermisste ihn wirklich. Kurz nachdem Ty jedoch mit ihr Schluss gemacht hatte, hatte er schon wieder eine neue Flamme.
Nicole Summers. Co-Captain des Cheerleader-Teams.
Super.
Luna überprüfte nochmals ihr Aussehen im Spiegel, schnappte sich ihre Handtasche und rauschte an ihrer Mum vorbei. Mit einem lauten 'Bye' verschwand sie aus der Haustür in Richtung Party. Ja, heute Abend würde sie mal etwas Spaß haben.
Den hatte sie sich verdient.

Doch da konnte Luna ja noch nicht wissen, das dieser Abend ganz anders als geplant verlaufen würde . . .

2.Kapitel


"Hier für dich. Musst es ja nicht trinken, halt dich einfach daran fest." Chloe Matthews drückte Luna ein Bier in die Hand und verschwand sofort wieder in der feiernden Menge.
Mit mindestens vierzig anderen Teenagern, die alle auf einmal mit einander redeten, stand Luna in Jonas Smiths Wohnzimmer gequetscht und hielt sich tatsächlich an der eiskalten Bierflasche fest.
Offensichtlich war das hier die coolste Party des Abends, denn immer mehr Leute stürmten in das jetzt schon überfüllte Wohnzimmer der Smiths. Als Luna sich umsah erkannte sie fast alle aus der Schule. Und dennoch war ihr gerade garnicht danach mitzufeiern. Missmutig betrachtete Luna die kühle Flasche in ihrer Hand.
Von Chloe war noch immer keine Spur zu sehen und allmählich ärgerte Luna sich. Warum war sie überhaupt hierher gekommen? Da hätte sie sich doch lieber zu Hause in ihrem Bett verkrochen, als hier stundenlang nichtsnützig herumzustehen.
Und ihre Laune wurde nicht gerade besser, als jemand sie plötzlich anrempelte und das kalte Bier auf ihr rotes Top spritzte.
"Ach verdammt!"
"Oh, entschuldige", sagte eine dunkle Stimme.
Eine seltsam vertraute dunkle Stimme. Luna blickte auf und blickte genau in die schokoladenbraunen Augen ihres Ex-Freundes Ty.
Na super!

Der Abend konnte ja gar nicht besser werden. Kühl und distanziert blickte sie in die fast schon hypnotisierenden Augen Tys und erwiderte: "Ist schon in Ordnung."
"Nein. ich hol dir ein Neues."
Ty lächelte sanft und schon verschwand er in der Menge.
Dicht gefolgt von . . . dreimal dürft ihr raten.

Nicole.
Tys neuem Betthässchen. Die Cheerleaderin warf Luna finstere Blicke zu und machte sich daran ihrem Freund über die Tanzfläche zu folgen.
Durch ein Fenster entdeckte Luna endlich Chloe auf der Terrasse, und machte sich sofort auf den Weg zu ihr.
Bloß weg von hier und von Ty, dachte Luna.
Chloe schaute in ihre Richtung und erkannte sofort die Panik in ihrem Gesicht. Schnell kam sie Luna entgegen.
"Was ist passiert?"
"Ty und sein neues Sexspielzeug sind passiert." Missbilligend zog Chloe die Augenbrauen hoch. "Na und? Geh und flirte mit ein paar Jungs. Zeig Ty endlich was er alles verpasst hat! Außerdem hab ich gehört, das Tyler Johnson aus der Oberstufe auf dich steht. Jetzt sei endlich mal locker, Luna!", predigte Chloe und Luna rollte mit den Augen.
"Ich will aber nicht Ty und seiner Neuen nicht beim Rummachen zusehen."

"Ach entspann dich und feier einfach mit!"
Entspannen? Luna starrte ihre beste Freundin verzweifelt an und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, wie sehr sie sich in den letzten sechs Monaten voneinander entfernt hatten. Es war nicht nur Chloes Vorliebe für Partys oder die Tatsache, dass sie ihre Jungfräulichkeit verschenkt hatte.
Okay, vielleicht waren es hauptsächlich diese zwei Dinge.

Aber Luna hatte viel eher den Verdacht, Chloe würde alles daran setzten sie auch in den Club der Party-machenden-Entjungferten zu bekommen.
Aber was sollte Luna den dagegen tun, dass Bier für sie einfach zum Kotzen schmeckte? Oder das sie keinen Sex haben wollte? Okay, das war vielleicht gelogen. Sie hätte schon gerne mit Ty geschlafen, aber sie hatten beide gewollt, dass das erste Mal etwas ganz Besonderes sein sollte.
Bis Ty mit ihr Schluss gemacht hatte.
Luna konnte sich noch genau daran errinnern, wie Chloe sich James 'Bedürfnissen' gefügt hatte. James, Chloes große Liebe, der nach drei Wochen bereits die nase voll von ihr hatte und ihr den Laufpass gab.
Daran war ja wohl echt nichts besonders.

Seitdem war Chloe nur noch auf Partys. Feierte, trank Alkohol und machte mit jedem X-beliebigen Typen rum.
"Okay, ich weiß ja das mit Ty und so zieht dich echt runter", lenkte Chloe ein. "Aber du solltest dich wirklich mal locker machen und Spaß haben." Sie strich sich ihr langes braunes Haar hinters Ohr.
"Ich hol dir jetzt einen Cocktail, und ich sag dir, du wirst begeistert sein!"

Und schon wieder verschwand Chloe und ließ Luna allein zwischen den feiernden Schülern zurück. Und da sah sie Nicole, die mit zwei Bierflaschen von draußen hereinkam. In weniger als zehn Minuten würde Ty versuchen, bei ihr zu landen.
Und nach der tief ausgeschnittenen Bluse und dem viel zu kurzen Rock nach zu urteilen, würde er es wohl auch nicht allzu schwer haben.
Schnell wandte Luna ihren Blick ab. Sie wollte Ty nicht mit seiner Neuen sehen.

Knapp eine Stunde später, als vier Beamte der Polizei Houston im Garten auftauchten und sie sich alle am Tor aufstellen mussten, umklammerte Luna noch immer dasselbe, unberührte Bier. Chloe hatte sie augenscheinlich vergessen.
Und ihren versprochenen Cocktail auch.
"Kommt schon Kinder. Je schneller wir euch Kids zum Review bringen, desto schneller können euch eure Eltern wieder abholen", sagte einer der Polizisten.
Und in genau diesem Moment wusste Luna, dass ihr Leben immer noch beschissener werden konnte.

"Was hast du dir nur dabei gedacht?", wollte Lunas Mutter nun schon zum dritten Mal von ihr wissen. "Ich habe doch gar nichts getan! Haben sie dir das nicht gesagt? Ich konnte eine gerade Linie laufen, meine Nase mit dem Finger berühren und sogar das Alphabet aufsagen. Ich hab rein gar nichts getan!", beharrte Luna wütend.
"Die Polizei hat dort Drogen gefunden. Drogen!", fuhr ihre Mutter sie an.
"Ich habe keine Drogen genommen!", schrie Luna zurück, etwas lauter als beabsichtigt.
"Vielleicht hatte Mrs. Day ja Recht", murmelte Lunas Mum und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Recht womit?", wollte Luna wissen.
Mrs. Day war die Vertrauenslehrerin ihrer Highschool und Luna musste nach dem Tod ihres Vaters und der gescheiterten Trennung mit Ty öfters mal zu ihr.
"Ich schaffe das nicht alleine. Ich werde dich auf ein Internat schicken."

"Ich will aber nicht auf irgendso ein bescheuertes Internat!"
"Es geht nicht darum, was du willst, Luna. Es geht darum, was du brauchst. Es ist ein Internat für Jugendliche mit Problemen."
"Probleme? Ich habe keine Probleme!", schrie Luna. Nun ja, zumindest keine, die irgendein Internat lösen könnte.
"Keine Probleme? Soso, und wie erklärst du mir dann, dass ich mitten in der Nacht meine sechzehnjährige Tochter auf dem Polizeirevier abholen muss?
Du gehst auf dieses Internat. Ich melde dich morgen an.
Keine Widerrede!"

3.Kapitel


"Ich werde nicht fahren", sagte Luna sich immer wieder in Gedanken.
Nein.
Das würde sie nicht. Ihre Mutter würde sich bestimmt wieder beruhigen.
Hoffentlich . . .
Luna war fuchsteufelswild und ihre Mutter ebenso. Die restliche Zeit der Heimfahrt vom Polizeirevier sprach keiner der Beiden ein Wort.
Luna wusste, dass wenn ihre Mum noch irgendetwas sagen würde, sie ihre geradewegs an die Kehle springen würde. Warum musste ihre Mutter auch ausgerechnet so hyperempfindlich sein? Chloes Mum war da ganz anders.
Sie erlaubte ihr alles. Aber Lunas Mutter?
Keine Chance.

Unbewusst huschte Lunas Blick bei diesem Gedanken zu ihrer Mum. Diese hatte die Augenbrauen fest zusammengekniffen und ihr Blick richtete sich starr auf die Straße vor ihnen.
Es hätte nicht viel gefehlt und dann wären Lunas Mutter ganz comiclike graue Rauchfahnen aus den Ohren gekommen, so rot war ihr Gesicht mittlerweile angelaufen.

Luna verschränkte ihre Arme vor ihrem Oberkörper. Das war einfach nicht fair!
Lunas Leben war nicht fair! Jetzt sollte sie also auch noch auf irgendein dämliches Internat? Und dann auch noch ein Internat für Kinder mit "Problemen".
Hieße also, sie musste es mit lauter jugendlichen Kleinkriminellen aushalten.
Ihre Mutter hatte den Verstand verloren.
Ganz eindeutig.
Ihre Mutter seufzte. Lunas Blick schnellte wieder zu ihr. Mittlerweile waren sie zuhause angekommen. Lunas Mum schüttelte den Kopf und drehte sich wieder zu ihrer Tochter um. Zunächst war ihr Blick noch weich und mitfühlend, dies schwang jedoch augendblicklich um, als sie Lunas trotzigen, wütenden Gesichtsausdruck sah.

"Du fängst am besten gleich an zu packen, junge Dame", meinte sie im Befehlston und stieg, ohne weitere Worte, aus dem Wagen. Luna holte tief Luft.
Das war der Punkt an dem sie sich einfach nciht mehr beherrschen konnte. Mit lauten Gefluche stieg sie aus dem Auto aus und knallte die Tür fest ins Schloss.
Ihre Wangen begannen, vor Wut und Ärger, zu glühen und ihr schwirrte der ganze Kopf. Im Haus ging sie geradewegs die Treppe hoch, auf dem Weg in ihr Zimmer. Ihre Mutter stand immernoch kopfschüttelnd im Hausflur und sah ihrer Tochter missbilligend hinterher.

"Vergiss nicht Mrs. Day anzurufen. Sie wollte dich dringend sprechen! Und dann kannst du ihr gleich erzählen, das du dich für das Internat entschieden hast!", rief ihre Mum Luna hinterher.
Den Teufel würde sie tun.
Sie sollte also wirklich noch Mrs. Day anrufen? Die Frau, wegen der sie jetzt auf dieses beknackte Internat musste? Die Frau, die ihre Mum überhaupt auf die Idee mit dem Internat gebracht hatte? Das wäre das Letzte, was Luna jetzt tun würde.

Luna stieß ein wütendes Murmeln aus und schlug ihre Zimmertür so fest hinter ihr zu, das diese fast aus den Angeln kippte. Genau in dem Moment, in dem die Tür zufiel, krachte draußen in greller Blitz durch die Wolkendecke.
Seltsam, dachte Luna. Eben sah es noch garnicht nach einem Gewitter aus. Es war fast so, als spiegle das Wetter ihre Gefühle wieder.

Seltsam.


Das Erste, was Luna tat, nachdem sie sich einigermaßen von dem Schock erholt hatte, war: Chloe anrufen. Sie musste ihrer besten Freundin alles erzählen. Und genau das würde Luna vermissen. Die stundenlangen Telefonate mit Chloe.
Nur mit ihr konnte sie wieder lachen. Und dennoch war es inzwischen anders. Nicht mehr so wie früher. Aber genaugenommen war in Lunas Leben nichts mehr so wie früher.
Und jetzt musste sie auch noch auf ein Internat. Das, warscheinlich, aus lauter Vollidioten bestand.

Nach dem dritten Klingeln ging Chloe endlich ran.
"Chloe?", fragte Luna und sie klang wahrhaftig verzweifelt. "Was ist los, Süße? Hat deine Mum dich auseinander genommen? War sie sehr sauer?", fing ihre beste Freundin auch direkt an.
"Chloe. Meine Mum . . . Sie schickt mich auf ein Internat."
"WAAASS??? Du willst mich wohl verarschen? Ist die denn verrückt geworden? Das kann sie nicht machen! Oh Gott! Luna! Du darfst nicht gehen! Du kannst mich hier doch nicht alleine lassen!" Chloe hyperventilierte fast.
Luna schluckte. "Sie meint, Mrs. Day hätte sie darauf hingewiesen. Und da wir heute auf dem Polizeirevier waren, meint sie jetzt, ich müsste auf irgendein bescheuertes Internat für jugendliche Kleinkriminelle. Ich weiß nicht was ich tun soll, Chloe. Ich will doch auch nicht von hier weg!"
"Luna! Du kannst einfach nicht hier weggehen! Wer hilft mir dann mit dem Haare färben oder wer sieht sich dann mit mir nachmittags diese ganzen unnötigen Soaps an?"

Jetzt musste Luna doch gegen ihren Willen lachen. Die ganze Situation war doch einfach nur lächerlich. Luna telefonierte noch eine Weile mit Chloe und legte schließlich auf um sich wieder ihren wahren Problemen zu zuwenden.

Und irgendwann.

Igrendwann, zwischen dem Punkt der maßlosen Wut auf ihre Mum und Mrs. Day und der kopletten Verzweiflung, kamen die Tränen.
Sie liefen Luna unaufhaltsam über die Wangen. Sie konnte nichts dagegen tun.
Normalerweise war sie nicht die Art Mädchen, dass wegen jedem Pieps anfing zu heulen. Aber sie konnte nicht anders. Hemmunglos fing Luna an zu schluchzen und warf sich, neben ihren bereits halb gepackten Koffer, aufs Bett.

Draußen hatte es angefangen zu regnen.
Luna liefen die Tränen immer weiter über die Wangen. Sie warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und drückte dann ihren Gesicht wieder fest in die Kissen.


Der Himmel weinte mit ihr.

4.Kapitel


Vier Tage später stand Luna zusammen mit ihrer Mutter und einem vollbepackten Koffer auf dem Parkplatz des Houstoner Bahnhofs.
Sie konnte es verdammt nochmal nicht fassen, dass sie wirklich hier war.
Ihre Mum zog das wirklich durch. Und es war niemand da, der sie daran hindern würde. Noch nicht einmal John hatte Einspruch eingelegt. Er hatte Luna mitleidig angeschaut und ihr einen schönen Aufenthalt gewünscht.
Scheinbar froh sie los zu sein. Klar, dann hatte er endlich ihre Mom für sich.
Luna, die noch nie mehr als drei Schlücke Bier getrunken, noch nie geraucht hatte - weder Joints noch Zigaretten -, und schon garkeine Drogen genommen hatte, sollte auf irgend so ein Internat für jugendliche Kleinkriminelle geschickt werden.
Ihre Mutter drehte sich zu ihr um und berührte sie leicht am Arm.
"Ich glaube du wirst aufgerufen."
Ihre Mum konnte sie offenbar gar nicht schnell genug loswerden.
Luna entzog ihr ihren Arm. Sie wollte keine Nähe ihrer ach so distanzierten Mutter. Sie war so wütend und verletzt, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Luna hatte gebeten, gefleht und gebettelt - nichts davon hatte auch nur ansatzweise geholfen. Sie würde fahren müssen.
Ob sie nun wollte oder nicht.
Ohne ein Wort zu sagen und fest entschlossen nicht vor den Dutzenden von Jugendlichen zu weinen, richtete sich Luna auf und ging auf die Frau, die ein Schild mit der Aufschrift Shadow Forest Internat in die Höhe hielt, zu.

O Mann. Wo würde sie da bloß hingeraten?

Als Luna das Abteil, des Zuges Richtung Internat, betrat, hoben die acht oder neun Anderen, die schon auf ihren Plätzen saßen, die Köpfe und starrten sie neugierig an. Luna überkam ein ungutes Gefühl.
Noch nie hatte sie so einen starken Drang verspürt, einfach davon zulaufen. Sie zwang sich nicht die Flucht zu ergreifen und begegnete den Blicken dieser . . . O Gott, ihr fiel kein anderes Wort ein als . . . . Freaks?

Ein Mädchen hatte feuerrote Haare, die ihr in langen Wellen bis knapp zur Hüfte reichten. Ein anderes Mädchen trug nur schwarz - schwarzer Lidschatten, schwarze Hosen und ein schwarzes, kurzärmliges Oberteil. Das Einzige was herausstach waren ihre blutroten Lippen. Aber war der Gothik-Look nicht schon längst out?
Wo hatte sie denn diese Mode-Tipps her? Wusste sie denn nicht, das Farben wieder in waren? Das Blau das neue Schwarz war?
Und dann dieser Junge weiter vorne im Abteil. Er hatte ein riesiges Tatoo an der rechten Seite seines Halses, welches ein schwarze Rose darstellte. Sein blonder Iro war mit Haargel hochgestylt und an Lippen und Nase trug er viele Piercings.
Luna fiel nur ein Wort zu dem Jungen ein - Punk.
Und direkt hinter ihm saß ein Mädchen, dessen kurze Haare in wilden Locken von ihrem Kopf abstanden.
Ihre blassgrünen Augen fixierten sie für einen Moment, doch Luna wandte sich schnell wie ab.
O Mann. Was waren das nur für Menschen?

Sie beugte sich vor, um aus dem Fenster nach ihrer Mutter zu suchen. Wenn ihre Mum dies verrückten Typen sah, würde sie bestimmt einsehen, dass Luna hier eindeutig nicht hingehörte.

"Setz dich", forderte sie eine helle Stimme hinter ihr auf. Luna drehte sich um und vor ihr stand die Frau, die eben noch das Schild gehalten hatte. Vorhin war es ihr nicht aufgefallen, aber sogar die Frau hatte etwas Seltsames an sich. Das kurze blonde Haar stand auf ihrem Kopf in alle Richtungen ab. Und die Frau war klein. Elfenhaft klein. "Auf geht's", sagte die Frau bestimmt. "Ich muss euch rechtzeitig zum Mittagessen abliefern, also los."

Da alle außer Luna schon auf ihren Plätzen saßen, nahm sie an, dass sie damit gemeint war. Sie ging weiter in den hinteren Teil des Zugabteils, als sie plötzlich ein Junge ansprach: "Du kannst neben mir sitzen."
Er trug einen grauen Kapuzenpullover, was seine stechenden, grünen Augen umso mehr betonte.
"Schon okay", murmelte Luna und wandte ihren Blick ab. Sie wollte so wenig wie möglich mit diesen Freaks zu tun haben. Und da bot es sich nicht gerade an, dass er sie mit seinen verflixt grünen Augen durchbohrte.
Sie ging ein paar Schritte weiter und schleifte ihren Koffer hinter sich her. Er blieb an der Sitzreihe des allzu freundlichen Typen hängen und Luna drehte sich zurück, um ihn loszumachen.
Ihre Blicke trafen sich wieder und Luna stockte der Atem.
Der Junge mit dem Kapuzenpullover hatte jetzt . . . schwarze Augen.

Wie zur Hölle war das möglich?
Sie schluckte und sah auf seine Hände. Vielleicht hatte er dort ein Kontaktlinsendösschen oder etwas in der Art.
Aber - kein Dösschen.
Er hob seine Augenbrauen und, als sie bemerkte, dass sie ihn anstarrte, riss sie schnell ihren Koffer los. Luna versuchte sich zusammen zureißen und ging weiter zu der Sitzreihe, die sie für sich ausgeguckt hatte.
Bevor sie sich hinsetzte, fiel ihr Blick auf einen anderen Jungen hinten im Abteil. Er saß allein und hatte dunkelblondes Haar, das ihm in alle Himmelsrichtungen abstand. Er trug ein dunkelblaues Hemd, was seine grünen Augen umso mehr betonte. Seine normalen grünen Augen.
Er nickte ihr zu.
Nichts Seltsames, Gott sei Dank!
Wenigstens war noch ein normaler Mensch außer ihr im Zug.

Sie setzte sich und ihr Blick blieb ein weiteres Mal an dem Jungen mit den verschiedenen Augenfarben hängen. Aber er sah nicht mehr in ihre Richtung, so das sie nicht erkennen konnte, ob sich seine Augen ein weiteres Mal verändert hatten.
Was sie allerdungs sah, war, dass das Mädchen, mit den wilden, kurzen Locken, etwas in der Hand hielt.
Luna stockte der Atem. Das Mädchen hatte eine Ratte. Eine echt, riesige, hässliche Ratte. Welches Mädchen besaß schon eine Ratte?
Und dann noch eine von solchem Ausmaß. Das war die größte Ratte, die Luna je in ihrem Leben gesehen hatte.

Luna hievte ihren Koffer neben sich auf den Sitz, damit bloß niemand auf die Idee kam, sich neben sie zu setzen.
Sie seufzte und sah aus dem Fenster. Der Zug war inzwischen losgefahren.

Wie konnte ihre Mum Luna das Alles nur antun?

5.Kapitel


"Sag mal, weißt du warum das Internat 'Shadow Forest' genannt wird?"
Die Stimme kann aus der Sitzreihe des Rattenmädchens. Luna ging nicht davon aus, dass sie mit ihr redete, drehte sich aber dennoch in ihre Richtung. Das Mädchen sah sie an, also war sie wohl doch gemeint.

"Nein. Nicht wirklich", antwortete Luna und blickte, nun doch neugierig geworden, direkt zu dem Rattenmädchen herüber.
"Es ist wegen der Indianersage", meldete sich nun der Junge mit den verschiedenen Augenfarben. "Die besagt nämlich, das man in der Dämmerung, wenn die letzten Sonnenstrahlen durch die Blätterdecke scheinen, die Schatten ruheloser Geister sieht."

Ruhelose Geister?! Was war denn nur los mit diesen Leuten? Misstrauisch sah Luna in Richtung des Jungen und stockte erneut.
Seine Augen waren jetzt golden.
Kontaktlinsen, dachte Luna. Er musste irgendwelche komischen Kontaktlinsen tragen, die seine Augenfarbe veränderten. Ganz bestimmt.
Vielleicht war das ja auch nur einer ihrer bescheuerten Albträume. Sie ließ sich wieder zurück in ihren Sitz sinken und versuchte sich auf das Aufwachen zu konzentrieren, so wie es ihr Mrs. Day gezeigt hatte.

Konzentrier dich.
Sie atmete tief durch die Nase ein und dann durch den Mund wieder aus. Dabei sagte sie sich immer wieder: Es ist nur ein Traum, es ist nur ein Traum. Es ist nicht echt.
Entweder schlief sie gar nicht, oder ihre Konzentration war in den falschen Zug eingestiegen. Und in dem säße sie, verdammt nochmal, jetzt auch am liebsten. Luna konnte immer noch nicht fassen, wo sie hier gelandet war.

Sie schaute sich wieder um. Der Kapuzentyp sah sie an und seine Augen waren wieder grün.
Gruselig. Kam das alles denn niemanden sonst hier komisch vor? Sie drehte sich herum zu dem Jungen, den sie am normalsten eingeschätzt hatte. Seine grünen Augen erwiderten ihren Blick und er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Luna wusste nicht, was das Schulterzucken bedeutete, aber er schien nicht sonderlich beeindruckt von all dem.
Was ihn eigentlich auch schon wieder fast genauso seltsam erscheinen ließ wie die anderen.
Luna drehte sich wieder um und nahm ihr Handy aus ihrer Tasche, um Chloe eine SMS zu schreiben.


Hilfe! Sitze in einem Zug voller Mega-Freaks!

Auf die Antwort musste Luna nicht lange warten:

Nein, du musst mir helfen. Ich glaube, ich bin schwanger.


"Oh verdammt." Sie starrten auf die SMS, in der Hoffnung, das sie dadurch wieder verschwinden würde oder als ob plötzlich ein War nur Spaß darunter erscheinen könnte.
Nichts. Sie verschwand nicht und es erschien auch kein Anhang.
Das war kein Witz.

"Schlechte Nachrichten?", fragte eine Stimme. Luna blickte auf und sah, dass sich das Rattenmädchen neben sie auf die andere Seite des Ganges gesetzt hatte. Sie zog die Beine hoch und stützte das Kinn auf die Knie.
"Ähm. Ja . . . Nein. Ich weiß es nicht." Luna würde dem Mädchen ganz sicher nichts von ihren Problemen erzählen. Sie klappte ihr Handy zu, nur für den Fall, dass das Rattenmädchen Supersehkräfte hatte. Andererseits sollte sie sich da doch eher bei jemand anderem Sorgen um Superaugen machen.
Lunas Blick wanderte wieder zum Platz des Kapuzentyps, der sie schon wieder anstarrte - diesmal mit blauen Augen. Okay, zumindest stand fest, dass es nicht noch seltsamer werden konnte.
"Ach, schon gut", sagte Luna und versuchte sich wieder auf das Rattenmädchen zu konzentrieren, ohne dabei zu sehr auf ihren verwuschelten Lockenkopf zu sehen.
"Mein Name ist Jody Foster", sagte das Mädchen und lächelte sie nun vorsichtig an. Luna musste feststellen, dass sie, mal abgesehen von ihrer offensichtlichen Rattenfreundschaft, doch ganz normal wirkte.
"Ich bin Luna. Luna Harper", stellte sie sich nun auch vor und lächelte zaghaft zurück. "Fährst du zum ersten Mal ins Shadow Forest Internat?", wollte Jody wissen.
Luna nickte.
"Und du?"
"Ich bin schon seit letzten Jahr dort. Ich war sozusagen daheim, wegen den Ferien", antwortete Jody freundlich. Luna schaute in die hellgrünen Augen des Mädchens - die noch kein einzieges Mal die Farbe gewechselt hatten.
Plötzlich war sie doch neugierig. "Wie . . . . wie ist es dort? Das Internat, meine ich. Bitte sag, dass es nicht so schlimm ist."
"Es ist nicht schlimm."
Jody schielte in den hinteren Teil des Zuges, wo sich ein blasses Mädchen aufgesetzt hatte und so aussah, als würde es zuhören. Das Mädchen war Luna bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Lange violette Stränen lugten links und rechts unter der Kapuze ihres schwarzen Pullovers hervor und umrahmten ihr Gesicht, welches mit einer dunklen Sonnenbrille bedeckt war.
"Außer, du kannst kein Blut sehen", flüsterte Jody nun und zog damit wieder gänzlich Lunas Aufmerksamkeit auf sich.
"Blut? Du verarschst mich, oder?" Luna kicherte und hoffte inständig Jody würde mitkichern. Aber nein. Sie lächelte nicht einmal.
"Nein", sagte Jody vollkommen Ernst. "Ich übertreibe höchstens etwas."
"Hör auf damit!", zischte Jody plötzlich und hielt sich die Ohren zu. "Ich habe dich nicht eingeladen!"
"Womit aufhören?", fragte Luna. Das seltsame Verhalten des Mädchens verwirrte sie. "Und wozu eingeladen?"
Doch Jody antwortete nicht.
Sie warf einen finsteren Blick nach hinten, zu dem blassen Mädchen und ließ sich dann wieder zurück auf den Platz fallen.
Luna musste feststellen, dass sie sich geirrt hatte.

Es konnte doch noch seltsamer werden.

Impressum

Texte: Dieses Buch widme ich meiner besten Freundin Annie, die mich niemals im Stich lässt und mir so sehr mit diesem Buch geholfen hat.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

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